Donnerstag, 26. November 2009

Think different!

In den letzten zwei oder drei Wochen kündigte sich ein neuer Themen-Cluster in einigen Leserbriefen an. Um es etwas konkreter zu schreiben: Ich habe fünf eMails erhalten, in denen über Streitereien und Konfliktsituationen in örtlichen Szenen berichtet wurde. Ich kann hier natürlich nie im Detail auf einen konkreten Fall eingehen; ein paar generelle Anmerkungen möchte ich aber trotzdem veröffentlichen.

Steitereien in örtlichen Tangoszenen sind wahrscheinlich ebenso üblich wie bei den Freunden des deutschen Schäferhundes, der Zweckgemeinschaft Schrebergartensiedlung 'Heimische Scholle' oder bei den örtlichen Karnickelzüchtern. Insofern ist es Alltag. Die Sehnsüchte und die Ansprüche mit denen Menschen (vielleicht sogar mehrmals wöchentlich) zum Tango gehen lassen allerdings tiefere Wunden aufgrund solcher Konflikte entstehen. Und die Heilung solcher Wunden dauert länger und es bleiben größere Narben zurück. Zusätzlich ist da ja auch noch diese verzwickte Tango-Höflichkeit. Manchmal wird dann der berühmte Teppich, unter den es gekehrt wird zu einem Deckmäntelchen des Schweigens. In extremen Fällen können aber Hügel unter jenem Teppich entstehen, über die dann früher oder später jemmand stolpert. Ich habe kein Patentrezept für die Lösung solcher Konflikte. Für mich persönlich als Beteiligter habe ich die Ski-Bindungs-Technik entwickelt. Stosse ich auf ein Hindernis, geht sofort die Sicherheitsbindung auf und ich lasse sofort los; ich ziehe mich zurück.

Bin ich (unbeteiligter) Dritter in einem Konflikt, dann wähle ich häufig den Weg, daß ich ein paar allgemeingültige Worte von mir gebe und versuche die Energie aus dem Konflikt zu ziehen (z.B. bemühe ich häufig die vier Spiegelgesetze).

Wir könnten nun einen imaginären Ausflug zu den drei Kant'schen Lastern machen... oder wir gehen ins Mittelalter und philosophieren über die sieben Wurzelsünden. Das ist mir aber zu allgemein. Ich behaupte einmal frech, daß 99% der Konflikte im Tangoumfeld ihre tiefere Ursache im Neid, in der Geldgier oder aber in der Eifersucht haben. Welche Strategien und welche Dynamik dann die Beteiligten im Verlauf des Konfliktes entwickeln lässt mich manchmal staunen. Sensiblere und zurückhaltendere Persönlichkeiten bleiben in vielen Fällen auf der Strecke und das finde ich äußerst bedenklich. Und so vergebe ich meine Empathie in Konfliktsituationen häufig an die Partei der Leiseren (die im Regelfall auch unterlegen sind). Und ich gebe es zu: Vielleicht schweige ich manchmal zu lang (hatten wir es nicht oben schon von der Tango-Höflichkeit?).

Diesen Leiseren widme ich die Zeilen aus einer legendären Werbung:
Here’s to the crazy ones.
The misfits.
The rebels.
The troublemakers.
The round pegs in the square holes.
The ones who see things differently.
They’re not fond of rules.
And they have no respect for the status quo.
You can quote them, disagree with them, glorify or vilify them.
About the only thing you can’t do is ignore them.
Because they change things.
They push the human race forward.
And while some may see them as the crazy ones,
We see genius.
Because the people who are crazy enough to think
they can change the world,
Are the ones who do.
[Apple-Computer 1997 - via: Spot bei YouTube]

Und so schreibe ich ganz abstrakt an die Platzhirschen im Tango: Habt ihr den Konflikt auch einmal unter diesem Aspekt betrachtet? Und vielleicht denkt auch einmal das schweigende Umfeld über diese Gedanken nach.

Bevor Mißverständnisse entstehen: Auch ich stehe häufig wie gelähmt neben solchen Konflikten. Es ist eine große Kunst, den richtigen Zeitpunkt für eine Intervention zu erwischen.

Gerne lese ich Kommentare, andere Ansichten und Anmerkungen. Ich bitte aber um abstrakte Äußerungen. Konkrete Angaben (mit Orts- oder Namensnennungen) muss ich leider zensieren.
Und schon ist die Mittagspause wieder vorbei...

15 Anmerkung(en):

Marianne hat gesagt…

Was soll der Kauderwelsch?

Anonym hat gesagt…

Wer es schafft, mit so wenigen Worten so viel Unfreundlichkeit auszudrücken, muß sich auch an ihnen messen lassen: Also, Marianne, es heißt das Kauderwelsch. SCNR!

cassiel hat gesagt…

Ich habe den starken Verdacht, daß sich hinter dem Psydonym Marianne jemand anders verbirgt. Kauderwelsch benutzt ein hier selten auftretender Blogtroll. Also! Was soll's...

;-)

Raxie hat gesagt…

Lass mich raten, Dein nächster Tanguero zum Abgewöhnen heißt "Genius, der Gruppendynamiker"?

Interessanter Gedanke übrigens, den Störenfried zum Genie zu erklären und ausgezeichnete Werbung! Schade, dass sich Neid, Geldgier und Eifersucht so wenig mit Weltverbesserung in Einklang bringen lässt. Aber die braven Sofahocker haben die Welt tatsächlich noch nie verändert.

WEnn der Platzhirsch in unserer Szene das nächste mal zuschlägt, werde ich mal an Deine Worte denken. Vielleicht finden sich ja Verbündete, die eine eigene Dynamik entwickeln, die dann tatsächlich geniale Ergebnisse zeitigen?

Netter Gedanke!
:-)

Austin hat gesagt…

Meine Lieben,

es ist eine Eigenart von Platzhirschen, dass sie nicht merken, wenn sie jemand anderem auf die Füße treten. Deshalb sind sie sich wahrscheinlich keines Konflikts bewusst und werden hier nichts schreiben.

Aber auch mir würde es helfen, wenn Ihr etwas konkreter werden könntet. Wie muss ich mir so einen Konflikt vorstellen? Was passiert denn da und worum geht es?

ein Leser hat gesagt…

Die Präzision, mit der du immer wieder die Themen triffst, ist fast beängstigend. (-:

Jetzt ringe ich um ein Wort. Ich finde deinen Beitrag ... „angemessen”. Meine Partnerin und ich wurden vor Jahren aus einer Szene unschön vertrieben - rausgemobbt würde man wohl heute sagen. Das hat Spuren hinterlassen, die sind sogar heute noch sichtbar.

Mit diesem Beitrag hast du mich als einen neuen Stammleser gewonnen.

Vielen Dank und einen schönen Abend.

Anonym hat gesagt…

Und warum nennst du nicht deinen richtigen Namen?

Aurora hat gesagt…

Interessanter Beitrag!

Deine Andeutungen, cassiel, wecken das Interesse an mehr. Deshalb hab ich durchaus Verständnis, für die Stimmen, die Konkreteres wollen.
Die Frage nach die Identität cassiels versteh ich wiederum nicht.

Aber deine Gedanken lassen sich auch in aller Abstraktheit sehr gut nachvollziehen und diskutieren.

Sicher, in jeder Gemeinschaft gibt es Konflikte. Die emotionale Erregungskurve ist beim arg. Tango deutlich höher als örtlichen Kleintierverein. Ok, da mag ich mich auch täuschen... Aber ein durchschnittle Milonga bittet viel Nährstoff für Neid- und Eifersuchtsgedanken. Je beengter die Szene um so mehr.
Stiller Protest ist eine Art zu reagieren. Stiller Protest alleine, in Form von der Szene fernbleiben, ist wirksam. Der Platzhirsch kann noch so laut röhren, wenn er alleine im Wald steht, hört´s keiner.
Besser finde ich es aber sich Alternativen zu schaffen. Tango-Interssierte nicht anhand von Yellow-Press-Geschichten vom der Sache an sich abhalten zu lassen. Auch die Fahrgmeinschaft ist eine Alternative. Es muss ja nicht gleich die eigene Milonga oder der Umzug nach Buenos Aires sein. Der Blick über den Tellerrand kann Horizonte öffenen. Und schafft auf jeden Fall Distanz. Diese Distanz kann auch Positives beinhalten. Luft und Raum für Neues.
Neuen Nachwuchs für den Platzhirschen? Je geringer die Alternativen, desto großer die Gefahr. Als alternative zum Platzhirschen selbst ein solcher werden? Nein. Ich doch nicht! Wenn aber in einer kleineren Stadt der Tango Argentino erhalten bleiben soll, muss eine Alternative zum Platzhirschen her. Letzendlich doch spalten. Eine Milonga mit Non-Tangos, eine musikal. Traditionelle. Gemeinsames Internetportal. Flyer für die andere Veranstaltung... und die Spaltung kann eine Trennung von den Gegensätzen sein, die sich seit jeher abgestossen haben. Sicher weniger Besucher auf der einen Veranstaltung. Aber, was störrt daran, dass dem Platzhirschen weniger Geld in die Taschen fließt?
Und wer weiß, wieviele von dem unter dem Teppich-Kehrenden-Besen Vertrieben worden sind, geflohen sind und wieder aus ihren Ritzen kommen...
Eine andere Option ist viele Kilometer zu fahren und heimatlos zu werden in Puncto Tango.
Ein Gedanke noch zum schweigenden Umfeld: Will es überhaupt nachdenken? Oder stillt lieber ihr Bedürfniss nach Yellow-Press-Stories?

Sophia hat gesagt…

charmant
andersartig
sehnsüchtig
sensibel
irritierend
einsam
liebevoll

Ich musste eine Stunde suchen, damit ich das mit dem Fettdruck hinbekommen habe. Hoofentlich funktioniert es.

Danke

cassiel hat gesagt…

Ich komme gerade erst nach Hause. Vielen Dank für die Anmerkungen. Ich antworte morgen - es kann ein wenig dauern...

Gute Nacht

Betroffener hat gesagt…

@Cassiel,

als direkt betroffener solcher Mobbing-Aktivitäten in meiner örtlichen Szene, ausgeführt von zwei Platzhirschen die als Veranstalter aktiv sind, komme ich zu ganz anderen Schlussfolgerungen:

# Mobbing an anderen Veranstaltern oder Tänzern schädigt örtliche Szenen massiv und auf viele Jahre hinaus.
# Es ist ausserordentlich verletzend und schafft grosses persönliches Leid, das meist nicht sichtbar wird.
# Es verunmöglicht einen normalen Umgang der direkt betroffenen untereinander.
# Es sorgt für dauerhaft angespannte Stimmung in der örtlichen Szene und darüber hinaus.
# Oft wächst eine örtliche Szene langsamer, weil deswegen Subszenen entstehen die sich voneinander abschotten.
# Damit schädigen Mobber ihre wirtschaftliche Grundlage, was ihnen jedoch egal ist.

Es ist erschreckend, wie wenig Zivilcourage Tänzer zeigen, die den Ausgangspunkt solcher verbal meist nicht übersehbarer Mobbing-Aktivitäten miterleben. Das Wort feig ist durchaus angebracht. Es wird weggeschaut. Man tut so, als ob man von nichts wüsste. Man verniedlicht Geschehendes. Man weigert sich, Stellung zu beziehen. Man zementiert Feindbilder. Weil man Angst vor den Platzhirschen hat, denen man Woche für Woche Geld in den Rachen stopft. Das ist erbärmlich.

Dabei wäre es so einfach. Wenn die Tänzer Veranstaltungen von Mobbern nicht nur konsequent fernbleiben sondern sofort verlassen würden, wäre das Problem nach zweidrei Wochen vom Tisch, weil die Täter zurück krebsen müssten um in ihrer örtlichen Szene zu überleben. Hat sich das mal rumgesprochen, wird es kaum ein zweites mal geschehen. Der Gesichtsverlust wäre zu gross.

Jeder Tänzer trägt Mitverantwortung für den Zustand seiner lokalen Szene. Charakterlosigkeit führt zu diktatorischen örtlichen Szenen. Nichts tun ist eine unmissverständlich Stellungnahme zugunsten der Übeltäter und gegen alle eigenen Interessen. Wer das nicht unterstützen will, muss angesichts von Mobbing in seiner örtlichen Szene sofort handeln, auch wenn das im ersten Moment unbequem ist. Wegschauen macht uns zu Komplizen primitiver, destruktiver Zeitgenossen.

eine Tanguera hat gesagt…

Und auch ich wurde gemobbt. Ich weiß nicht einmal warum. Bei mir ging es aber konkret nur gegen meine Person. Eine Tanguera hatte ein Problem mit mir und hat gehetzt, dass ich schließlich unsicher wurde und zu der Milonga einfach nicht mehr hingegangen bin.

Ich bin so dankbar, daß das auch einmal thematisiert wird. Ich dachte immer, ich wäre allein.

Toller Blog, lieber Cassiel!

Murka hat gesagt…

Ich melde mich auch mal wieder zum Wort. Wie die anderen das geschrieben haben, finde ich es schwierig allgemein über Konflikte zu schreiben. Hier wurde viel über Mobbing geschrieben...
Hier noh Paar Gedanken von mir. Mobbing beim Tango ist mir nicht fremd. Ich muss oft zusehen, dass ich in meiner Szene ignoriert oder nicht begrüßt werde. Ich denke, ich bin daran nicht ganz unschuldig. Ich habe bestimmte Regeln beim Tango nicht beachtet. Es können auch oft die Missverständnisse entstehen. Z.B vor ca. einem Jahr habe ich einen Tanguero, so wie in meinem Land üblich ist mit kopfnicken aus dem Ferne begrüßt und war sehr verwundert, dass er weggeguckt hat, erst später habe ich über cabeceo erfahren und gedacht dass es ein Missverständnis war. Ich wäre aber froh, wenn ich rechtzeitig darauf angesprochen wäre. Ich versuche es anders zu machen. Ein Tanguero, der noch nicht so lange tanzt war mir sehr dankbar als ich ihm gesagt habe, dass seine Umarmung mich beim Tanzen hindert...
Ansonsten weiß ich nicht ob eine Gründung einer neue Milonga unbedingt eine Spaltung der Szene bedeutet. Ich denke es kommt drauf an, wie die Szene damit umgeht. Für mich wäre eine neue Milonga, eine Ergänzung, eine Bereicherung..
Ich wünsche euch allen schöne Tänze.

cassiel hat gesagt…

So und gestern fand ich dann doch keine Zeit und Ruhe auf die Anmerkungen einzugehen. Schließlich habe ich ja ab und zu auch andere Arbeit. Also gibt es erst jetzt ein paar Ergänzungen.

@Raxie
Na ja, Genius, den Gruppendynamiker kenne ich nicht. Den wirst dann Du wohl schreiben müssen. ;-)

@Austin
Ich möchte nicht konkreter werden. Ich finde das schon vergleichsweise konkret.

@ein Leser
Kann es sein, daß Du Subjekt und Objekt vertauscht hast? ;-)
Für mein Empfinden treffe nicht ich die Themen, die Themen treffen mich. Ich tippe dann nur noch.

@Anonym
Herzlich Willkommen. Du bist neu hier oder? Ich habe schon mehrmals erläutert, daß ich hier nur unter Pseudonym blogge. Meines Erachtens kann ich auch nur deshalb solche Themen angehen.

@Aurora
Vielleicht eine Anmerkung: Ich kann das Problem natürlich auf die Platzhirschen reduzieren, für mein Empfinden ist das aber zu kurz gedacht. Vielleicht hat es dann doch etwas mit richtig verstandener Demut zu tun. Das sollte vielleicht eine Grundtugend im Tango werden.

@Sophia
Was soll ich sagen? Hmmm... ich fürchte, ganz so emotional bin ich nicht. Bin ja schließlich nur ein Mann... ;-) Trotzdem lieben Dank.

@Betroffener
Danke für Deine ausführlichen Gedanken. Und zum Thema Zivilcourage bei Tänzern sind vielleicht zwei Punkte anzufügen: 1. Nicht jeder ist als Held geboren worden und 2. manchmal merken Tänzer (gerade wenn sie neu im Tango sind) gar nicht, was passiert. Aber ich denke auch, eine gewisse Mitverantwortung für den Zustand der lokalen Szene trägt jeder.

@eine Tanguera
Ja, das ist vielleicht auch ein wichtiger Punkt: Jeder denkt, er ist mit seinen Erfahrungen allein. Ich denke aber: Da gibt es erstaunlich viele.

@Murka
Danke für Deine Anmerkung, ich lese aber zwischen Deinen Zeilen, daß es Dir vielleicht auch ein wenig an Selbstvertrauen fehlt. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, manchmal ist es nicht so leicht, sich mit einem etwas weniger ausgeprägten Selbstbewußtsein im Tango zu bewegen.

Vielleicht noch einmal eine generelle Anmerkung. Vielleicht sollte die Diskussion aufgeteilt werden. Konflikte git es immer. Das ist menschlich. In der Folge entsteht vielleicht so etwas wie Mobbing. Und das kann man in die Bereiche Mikro-Mobbing (oder schwere Lästereien von Einzelnen) und Makro-Mobbing (richtige Gruppenphänomene) unterscheiden...

Eine Reaktion einer Leserin hat mich daruaf gebracht. Für sie war nicht nachvollziehbar, warum ich den Spot in diesem Kontext gebracht habe. Da habe vielleicht in der Eile der Mittagspause einen Gedanken ausgelassen. Für mich war die Motivation, den Spot zu verlinken, das Vorkommen von Ghandi, er hat seine Idee gewaltfrei beworben. Das finde ich sehr spannend. Es gibt also Werkzeuge, alternativ zu reagieren.

Murka hat gesagt…

@cassiel Mit dem Selbstbewusstsein hast du es richtig erkannt, obwohl es nicht mein Absicht war, es erkennen zu lassen (:. Eigentlich geht es beim Tango, es finden sich meistens trotzdem die Tangueros mit denen ich tanzen kann, ich habe auch soziale. Trotzdem treffen mich solche Mobbing Geschichten mehr, als ich will.
Übrigens vielen Dank für deine Beiträge, ich lese sie regelmäßig, sie haben mir sehr geholfen Tango besser und tiefer zu verstehen