Donnerstag, 24. Dezember 2009

Irgendwie Weihnachten

Schreibt ein Tango-Blogger zu Weihnachten? Es ließen sich bestimmt eine Reihe von Argumenten für und wider finden. Letztlich habe ich mich dann doch entschlossen zu schreiben. Ich sitze und höre Tango (Horacio Salgán und Edmundo Rivero). Der Hund schläft mit seinem neuen Spielzeug unter der Pfote. Später gibt es dann noch ein Abendessen. Mir ist neulich eine Legende in zwei Versionen untergekommen und die möchte ich allen Leserinnen und Lesern, die heute abend allein sind schreiben. Nun bin ich nicht besonders fromm, aber trotzdem hat mich die Erzählung berührt und ich finde auch, daß die Geschichte etwas mit Tango zu tun hat. Es gibt die Legende in einer buddhistischen und in einer christlichen Version. Das finde ich spannend. Wahrscheinlich ist die Entstehung nicht zu klären und es wird auch niemals herauskommen, wer da von wem abgeschrieben hat; das ist auch egal. Wenn es aber diese Erzählung in zwei Kulturkreisen gibt, dann spricht einiges dafür, daß es um eine Grundfrage der Menschheit geht. Aber vielleicht jetzt die Legenden:


Die vier buddhistischen Mönche
Buddha reiste durch die Welt um seine Schüler zu besuchen. Vier Mönche, die erfahren hatten, daß er irgendwann nach Vaali kommen würde packten ihre Siebensachen und machten sich auf den Weg. Einer von ihnen war ortsunkundig - er folgte den anderen Mönchen. Am dritten Tag kam die Gruppe in einen Sturm und der ortsunkundige verlor den Anschluß und mußte bei einem Schäfer Schutz suchen. Als der Sturm vorbei war und er seine Reise fortsetzen wollte, bat ihn der Schäfer, die Schafe, die vom Sturm in alle Richtungen versprengt worden waren, wieder zusammenzutreiben. Es dauerte drei Tage, dann machte er sich eilig auf um seine Reisebegleiter einzuholen. Er rastete kurz an einem Bauernhof und da erzählte ihm die Bäuerin, wie schwierig es war, die Ernte einzubringen seit ihr Mann gestorben war. Der Mönch dachte sich, es ist genung Zeit, bis Buddha in Vaali sein würde, er könne der Bäuerin kurz helfen. Nach drei Wochen war die Ernte eingebracht. Er hörte, daß Buddha zwischenzeitlich Vaali verlassen hatte und sich in einem Dorf im Norden aufhilt. Er änderte seine Reiseroute und sah unterwegs ein altes Paar, daß hilflos auf einem reißenden Fluss trieb. Ohne seinen Beistand hätten sie dem sicheren Tod ins Auge geblickt. So folgte der Mönch 20 Jahre lang Buddha und immer, wenn er kurz davor war, ihn zu treffen benötigte ein Mensch seine Hilfe. Schließlich hörte der Mönch, Buddha habe sich in sein Heimatdorf aufgemacht, um dort zu sterben. Unverzüglich machte er sich auf um den geliebten Meister noch einmal zu sehen. Kurz bevor er das Dorf erreichte stolperte er fast über einen verletzten Hirschen. Da er es eilig hatte, lagerte er das schwer verletzte Tier unter einem Strauch und bereitete Wasser und Nahrung für den Hirschen. Er eilte weiter und es plagte ihn das schlechte Gewissen, er habe eine Kreatur dem sicheren Tod überlassen, er drehte um und ging zum verletzten Hirschen zurück. Er pflegte ihn die ganze Nacht und machte im kalte Umschläge. Am Morgen hatte sich das Tier erholt und der Mönch war sehr traurig. Er hatte die letzte Möglichkeit verpasst, Buddha zu sehen. Da vernahm er eine Stimme: "Suche nicht weiter nach mir, denn Du hast mich gefunden". Der Mönch drehte sich um und sah, wie der Hirsch mit Licht erfüllt wurde und die Form Buddhas annahm. "Du hättest mich verloren, wenn Du mich heute nacht hättest sterben lassen, um mich im Dorf zu treffen..." [nacherzählt nach: Jorge Bucay, Komm, ich erzähl dir eine Geschichte Fischer Verlag.]

Die Legende vom vierten König
Außer Caspar, Melchior und Balthasar war auch ein vierter König aus dem Morgenland aufgebrochen, um dem Stern zu folgen, der ihn zu dem göttlichen Kind führen sollte. Dieser vierte König hieß Coredan. Drei wertvolle rote Edelsteine hatte er zu sich gesteckt und mit den drei anderen Königen einen Treffpunkt vereinbart. Doch Coredans Reittier lahmte unterwegs. Er kam nur langsam voran, und als er bei der hohen Palme eintraf, war er allein. Nur eine kurze Botschaft, in den Stamm des Baumes eingeritzt, sagte ihm, dass die anderen drei ihn in Betlehem erwarten würden. Coredan ritt weiter, ganz in seinen Wunschträumen versunken. Plötzlich entdeckte er am Wegrand ein Kind, bitterlich weinend und aus mehreren Wunden blutend. Voll Mitleid nahm er das Kind auf sein Pferd und ritt in das Dorf zurück, durch das er zuletzt gekommen war. Er fand eine Frau, die das Kind in Pflege nahm. Aus seinem Gürtel nahm er einen Edelstein und vermachte ihn dem Kind, damit sein Leben gesichert sei. Doch dann ritt er weiter, seinen Freunden nach. Er fragte die Menschen nach dem Weg, denn den Stern hatte er verloren. Eines Tages erblickte er den Stern wieder, eilte ihm nach und wurde von ihm durch eine Stadt geführt. Ein Leichenzug begegnete ihm. Hinter dem Sarg schritt eine verzweifelte Frau mit ihren Kindern. Coredan sah sofort, dass nicht allein die Trauer um den Toten diesen Schmerz hervorrief. Der Mann und Vater wurde zu Grabe getragen. Die Familie war in Schulden geraten, und vom Grabe weg sollten die Frau und die Kinder als Sklaven verkauft werden. Coredan nahm den zweiten Edelstein aus seinem Gürtel, der eigentlich dem neugeborenen König zugedacht war. „Bezahlt, was ihr schuldig seid, kauft euch Haus und Hof und Land, damit ihr eine Heimat habt!“ Er wendete sein Pferd und wollte dem Stern entgegenreiten - doch dieser war erloschen. Sehnsucht nach dem göttlichen Kind und tiefe Traurigkeit überfielen ihn. War er seiner Berufung untreu geworden? Würde er sein Ziel nie erreichen?
Eines Tages leuchtete ihm sein Stern wieder auf und führte ihn durch ein fremdes Land, in dem Krieg wütete. In einem Dorf hatten Soldaten die Bauern zusammengetrieben, um sie grausam zu töten. Die Frauen schrieen und Kinder wimmerten. Grauen packte den König Coredan, Zweifel stiegen in ihm auf. Er besaß nur noch einen Edelstein - sollte er denn mit leeren Händen vor dem König der Menschen erscheinen? Doch dies Elend war so groß, dass er nicht lange zögerte, mit zitternden Händen seinen letzten Edelstein hervorholte und damit die Männer vor dem Tode und das Dorf vor der Verwüstung loskaufte. Müde und traurig ritt Coredan weiter. Sein Stern leuchtete nicht mehr. Jahrelang wanderte er. Zuletzt zu Fuß, da er auch sein Pferd verschenkt hatte. Schließlich bettelte er, half hier einem Schwachen, pflegte dort Kranke; keine Not blieb ihm fremd. Und eines Tages kam er am Hafen einer großen Stadt gerade dazu, als ein Vater seiner Familie entrissen und auf ein Sträflingsschiff, eine Galeere, verschleppt werden sollte. Coredan flehte um den armen Menschen und bot sich dann selbst an, anstelle des Unglücklichen als Galeerensklave zu arbeiten. Sein Stolz bäumte sich auf, als er in Ketten gelegt wurde. Jahre vergingen. Er vergaß, sie zu zählen. Grau war sein Haar, müde sein zerschundener Körper geworden. Doch irgendwann leuchtete sein Stern wieder auf. Und was er nie zu hoffen gewagt hatte, geschah. Man schenkte ihm die Freiheit wieder; an der Küste eines fremden Landes wurde er an Land gelassen. In dieser Nacht träumte er von seinem Stern, träumte von seiner Jugend, als er aufgebrochen war, um den König aller Menschen zu finden. Eine Stimme rief ihn: „Eile, eile!“ Sofort brach er auf, er kam an die Tore einer großen Stadt. Aufgeregte Gruppen von Menschen zogen ihn mit, hinaus vor die Mauern. Angst schnürte ihm die Brust zusammen. Einen Hügel
schritt er hinauf, Oben ragten drei Kreuze. Coredans Stern, der ihn einst zu dem Kind führen sollte, blieb über dem Kreuz in der Mitte stehen, leuchtete noch einmal auf und war dann erloschen. Ein Blitzstrahl warf den müden Greis zu Boden. „So muss ich also sterben“, flüsterte er in jäher Todesangst, „sterben, ohne dich gesehen zu haben? So bin ich umsonst durch die Städte und Dörfer gewandert wie ein Pilger, um dich zu finden, Herr?“ Seine Augen schlossen sich. Die Sinne schwanden ihm. Da aber traf ihn der Blick des Menschen am Kreuz, ein unsagbarer Blick der Liebe und Güte. Vom Kreuz herab sprach die Stimme: „Coredan, du hast mich getröstet, als ich jammerte, und gerettet, als ich in Lebensgefahr war; du hast mich gekleidet, als ich nackt war!“ Und der Sterbende am Kreuz schaute gerade auf ihn herab - mit gütigem Blick. Da kniete der vierte König nieder und sagte: „Herr endlich bin ich da, meine Hände sind leer, aber mein Herz ist reich.“ - „Ich weiß“ sprach der Herr am Kreuz; „doch alles, was du an den Geringsten unter den Menschen getan hast, das hast du für mich getan.“ Da faltete der vierte König die Hände. Drei Blutstropfen des sterbenden Jesus fielen in diese gefalteten Hände. Dann neigte Jesus das Haupt und starb. Als der vierte König seine Hände wieder aufmachte, da waren die Blutstropfen verschwunden, sie waren zu drei herrlichen roten Edelsteinen geworden.

Manche erzählen diese Legende aber auch mit folgendem Schluss:... der Vierte König kam zu Jesus am Kreuz. „Hier bin ich,“ sagte er zu Jesus. „Mein ganzes Leben wollte ich nur das eine: Dich finden. Ich habe keine Gabe mehr für dich, ich bin gebrochen wie du. Was ich dir geben kann, das ist meine Armut, meine Sehnsucht und meine Schwäche.“ Da sah der König plötzlich wieder das helle Licht des Sterns -nach so vielen Jahren!- und eine große Freude erfasste ihn. Er taumelte und fiel vor dem Kreuz zu Boden. Er spürte keinen Schmerz und keine Furcht. „Ich habe den König der Welt gefunden! Ich habe meinen Herrn gefunden!“ dachte er. Es war sein letzter Gedanke... Kurz darauf fanden die Leute den Toten. Er lächelte.
[hier kann ich keine Quellenangabe machen - ich habe die Legende als PDF per eMail erhalten]
Nun könnte man meinen, diese Legenden sind zu traurig für Weihnachten. Ich denke, es sind sehr weihnachtliche Geschichten - erzählen sie doch über das "Arrangement des Allein-Seins mit dem Allein-Sein" (diese Formulierung habe ich neulich am Rande der Tanzfläche in einem Gespräch mit einer Tanguera erfunden). Und so hat der Tango dann doch viel mit dem Leben und auch viel mit Weihnachten zu tun.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich ein schönes Fest!

11 Anmerkung(en):

Tangosternchen hat gesagt…

Hallo, Cassiel,

Du scheinst ein netter und mitfühlender Mensch zu sein, auch wenn Deine Ansichten den Tango betreffend machmal sehr überholt und altmodisch anmuten. Oft habe ich auch den Eindruck, der Tango und das Ganze drumherum werden sehr verklärt. Ich tanze jetzt schon zwanzig Jahre Tango und kann mir ein Leben ohne Tango nicht vorstellen. Aber ich bin ein nüchterner und realistischer Mensch und kann mit den vielen Klischees, die immer wieder verbraten werden, nicht viel anfangen. Der Tango begleitet micht, mein Tanz ist auch oft ein Abbild meiner Verfassung und manchmal treffen Sehnsüchte aufeinander. Aber das Leben findet größtenteils außerhalb der Milonga statt und es gelten andere Gesetze. Auch wenn ich maches befremdlich finde, scheinst Du ein Mensch zu sein, der sich um vieles und auch um seine Mitmenschen Gedanken macht und dass ist allemal Anerkennung wert.

Ganz liebe Grüße und schöne Tage für Dich, Tangosternchen

Anonym hat gesagt…

DANKE!

Dein Post versprüht eine Melancholie aber er ist wunderschön. Du hast mich gerade berührt...

Soledad hat gesagt…

Dein Beitrag war eine Überraschung! Ich musste zunächst furchtbar weinen: mein Freund hat mich rechtzeitig zu Weihnachten verlassen! Eine andere Tanguera war wohl spannender. Dann habe ich nachgedacht und du hast wirklich Recht, es sind weihnachtliche Legenden.

Kann man eigentlich mal mit Dir bei Gelegenheit einmal tanzen?

Liebe Grüße

Soledad

Raxie hat gesagt…

Lieber Cassiel, Dein Beitrag lässt mich an frühere Worte von Dir denken. Schon oft hast Du die Achtsamkeit in Deinen Beiträgen zum Thema gemacht. Und Du bist ein ausgesprochen achtsamer Mensch und forderst das ja auch von Deinem Tango-Umfeld ein. Achtsamkeit hat viel mit Nächstenliebe zu tun, wie ich meine. Womit wir bei Deiner heutigen Legende sind. Auch dort wird Nächstenliebe praktiziert.

Die Nächstenliebe und die Achtsamkeit liegen im Tango nahe beieinander, wie ich finde. Das Öffnen der Augen für sein Umfeld und vielleicht auch das Erkennen, wenn ein Tanguero oder eine Tanguera lange am Rand der Tanzfläche sitzt und es ihr/ihm vielleicht nicht so gut geht - auch das ist eine Form der Achtsamkeit. Vom "Erkennen" ist es dann eigentlich nur noch ein kleiner Schritt, diese Person aufzufordern und sich für diesen Menschen während des Tanzens zu öffnen. Das kann so ein großes Geschenk sein! Und verblüffenderweise ist es immer für beide Seiten ein Geschenk. Man bekommt so viel zurück, wenn man sich auf jmd einlässt. Richtig einlässt - offenen Herzens und ehrlich.

Der Tango hat so viele Gesichter, dass es mich immer noch überrascht, wenn wieder ein neuer Aspekt hinzukommt. Und dieses Gefühl, dass auch ich meinem Tanzpartner etwas geben kann, ist neu für mich.

Danke für den Beitrag Cassiel. Mögen wir uns nicht nur um Weihnachten darauf besinnen, achtsam zu sein...

Auch Dir frohe Weihnachten und eine hoffentlich entspannte Zeit!
LG
R.

Ralph hat gesagt…

Na dann reihe ich mich mal nahtlos in die Reihe der einsamen Herzen ein. Ich sitze hier halbwegs verstört-meine Liebste ist schon vor längerer Zeit gegangen-vielleicht war ich zu nett. Ich höre Donato und denke an sie. Scheiße!

Ich habe erst heute diesen Blog entdeckt. Wahnsinn!

Anonym hat gesagt…

... ich kann nichts schreiben...

Und: Auch ich möchte mit Dir tanzen...

Anonym hat gesagt…

Wer bist Du???

So einen Menschen gibt es doch gar nicht!

Ich suche genau so einen Mann. Bist Du echt?

cassiel hat gesagt…

Guten Morgen!

Schön, da haben sich ja einige Anmerkungen gefunden.

@Tangosternchen
Wie kommst Du darauf, ich sei ein altmodischer Mensch? ;-) Und warum denkst Du, ich wäre nett? ;-)

Aber mal im Ernst: Ich denke auch, daß der Tango überladen ist. Eine Wiederverbindung mit der eigene Gefühlswelt halte ich llerdings für wichtig.

@Anonym
Schön, wenn Dich mein Beitrag angesprochen hat.

@Soledad
Man findet mich auf jeder x-beliebigen Milonga - man muss nur richtig suchen. ;-)

@Raxie
Ja, Achtsamkeit: Das ist ein großes Thema. Und vielleicht ein weiterer Gedanke: Was Erfolg bzw. Mißerfolg ist, das lässt sich manchmal schwer beschreiben.

@Ralph
Schön, daß Du hierher gefunden hast. Viel Spaß beim Lesen.

@Anonym2
Vielleicht haben wir ja schon miteinander getanzt.

@Anonym3
Vielleicht solltest Du aufhören zu suchen und Dich auf das Einlassen, was Dir begegnet.

Vielen Dank für die Anmerkungen! Allen einen schönen Tag...

yy hat gesagt…

"Achtsamkeit ist das Gebet der Seele"

Lieber Cassiel,

Frohe Weihnachten wünsche ich dir von ganzem Herzen!

Wir hören zufälligerweise sehr oft dieselben Tangos zur selben Zeit und beschäftigen uns mit denselben Gedanken. Also: wir (nicht nur wir 2) sind gar nicht allein, auch wenn es manchmal so scheint.

C.

Sophia hat gesagt…

Lieber Cassiel,

den Satz über das Alleinsein verstehe ich nicht. Kannst Du schreiben, was Du gemeint hast?

Schöne Weihnachten und liebe Grüße

cassiel hat gesagt…

Hallo Caren,

auch Dir wünsche ich schöne Zeit!

Hallo Sophia,

was ich gemeint habe? Ich habe sehr häufig im Tango eine Grundtraurigkeit gesehen und ich vermute, die hat viel mit der Einsamkeit zu tun. Vielleicht ist das ein Grundthema im Tango: Das Allein-Sein. Doch damit nicht genug; wir sind nicht nur in letzter Konsequenz allein, wir sind auch bei der Auseinandersetzung und beim Entwickeln von Lösungsstrategien für dieses Allein-Sein auch einsam.

Das klingt vielleicht konfus, aber ich denke, man kann es leichter nehmen, wenn man etwas intensiver darüber nachgedacht hat.

lg

c.