Samstag, 27. März 2010

[Der Beitrag ohne Überschrift]

Ich will das hier nicht ewig weit ausbreiten, aber meine Sprachlosigkeit nervt mich gerade gewaltig. Mein Leben ist momentan einfach zu voll. Ich arbeite sehr viel (und möglicherweise noch zu ineffektiv), ich denke sehr viel nach (auch darin bin ich langsam) und das sind wahrscheinlich die wesentlichen Ursachen meiner Stille hier. Auch in anderen Gebieten verläuft mein Leben gerade zu ereignisreich. Und so müssen meine Leserinnen und Leser manchmal einfach warten. Ich hatte hier ja schon einen Beitrag aus der Serie "Tangueros zum Abgewöhnen" angekündigt. "Kasimir, der Casanova" ist aber noch nicht fertig. Dann kam mir neulich ein Gedanke, den ich auch noch nicht präzise fassen kann. Ich hatte todotango zitiert, Osmar Maderna sei der Chopin des Tangos. In meinen Gedanken reift ein Artikel, Osvaldo Pugliese muß dann wohl der Beethoven des Tangos sein. Ich kann diesen Gedanken (oder ist es nur ein Gefühl?) nicht final in Worte fassen. Dann schwirren einige diffuse Assoziationen zu den Begriffen "Weiblichkeit" bzw. "Männlichkeit" im Tango in meinem Kopf herum. Auch diese kann ich (noch) nicht exakt formulieren.
Was gibt es noch zu berichten? Gestern habe ich zum ersten Mal "aus der Situation heraus" aufgelegt. Sicherlich hatte ich mich vorher gründlich vorbereitet, aber ich bin nicht mit einer fertigen Playlist angetreten. Eine seltsame Stimmung war auf der Milonga. Männerüberschuß! Das ist mir auch schon lange nicht mehr passiert. Mit einer vorbereiteten Playlist wäre ich gestern wortlos untergegangen, also habe ich aus der Situation heraus aufgelegt und es hat dann doch 2,5 Stunden gedauert, bis ich alle Anwesenden in die Milonga geholt hatte. Es wurde schließlich noch akzeptabel schön.

Jetzt ist Samstagabend und es ist der erste Abend in dieser Woche, den ich auf meinem Sofa (mit einer therapeutischen meditierenden Betrachtung der weißen Wand) verbringe. Vorhin las bei den Kollegen Alex-Tango.Fuego und Tangosohle: Am letzten Mittwoch vor 34 Jahren, am 24. März 1976 putschte das Militär in Argentinien und etablierte für sieben Jahre eine Schreckensherrschaft, die von einem fanatischen Antikommunismus angetrieben, von US-amerikanischen Geheimdienstkreisen unterstützt und von einer Menschenverachtung geprägt war, die fast beispiellos für das späte 20. Jahrhundert erscheint.

Über 30.000 Menschen verschwanden spurlos. Entführt, entrechtet, gefoltert und schließlich ermordet. Ich habe in dieser Woche noch einmal den Roman "Drei Minuten mit der Wirklichkeit" von Wolfram Fleischhauer als Hörbuch bei einer längeren Autobahnfahrt (ich war beruflich im Rheinland unterwegs) gehört und auch ein Feature aus dem Deutschlandradio: "Vom Blau der Königin am Silberfluss". Beide Stücke haben intensiv die Zeit zwischen 1976 und 1983 thematisiert. Im Tango soll es für mein Empfinden nicht so passieren wie im Fussball (die Weltmeisterschaft 1978 wurde trotz schwerster Menschenrechtsverletzungen in Argentinien veranstaltet) und deshalb wird hier auch diese Zeit erwähnt. So wie ich den Beitrag aus dem Deutschlandradio verstanden habe, fehlt in Argentinien eine ganze Generation im Tango. Es gibt die "Alten" und die "Jungen"; dazwischen fehlt eine ganze Altersgruppe. Dieser Beitrag soll nicht eine sinnfreie Gedächtnisnummer sein; ich frage mich allerdings, wie es wohl war. Wie ängstlich muß eine Diktatur gewesen sein, wenn sie den Tango (mehr oder weniger offiziell) verboten hat? Und wie präsent sind heute noch die Spuren jener düsteren Zeit?

Deshalb gibt es heute keinen Tango als embedded video. Es gibt einen Song von Sting. They dance alone besingt zwar die chilenischen Mütter der vom General Pinochet verschleppten Opfer seiner Diktatur, ich denke aber, dieses Lied gilt auch für die Mütter und Angehörigen der Opfer der argentischen Junta. Sting singt live (mit Peter Gabriel) 1988 in Argentinen.

2 Anmerkung(en):

Austin hat gesagt…

Mein lieber Cassiel,

wenn Dir irgendwie nichts gescheites zu dem Thema einfällt, ob Pugliese der Beethoven des Tango ist oder wer auch immer der Chopin des Tango (das wurde vor kurzem hier mal erwähnt, stimmts?), dann könnte das daran liegen, dass man dazu schlicht nichts vernünftiges schreiben kann. Ich ziehe jetzt mal einen dehr hinkenden Vergleich:

Ich weiß noch, früher haben mir immer ein paar Heavy-Metal-Fans erklären wollen, dass Beethoven der erste Rocker war, und das sollte eine Metapher dafür sein, dass Beethoven die Form der Sinfonie weiterentwickelt hat und dass die Musik nach Beethoven ein bisschen mehr Wumms hatte als vorher, aber viel mehr fiel denen natürlich nicht ein an Gemeinsamkeiten, und am Ende sollte ich nur davon überzeugt werden, dass Heavy Metal irgendwie super ist und auch irgendwie groß und bedeutend. Der zweite Klassiker aus dieser Vergleichsreihe ist die Nummer mit Bach, der angeblich den Swing erfunden hat.

Wenn man nun über Gemeinsamkeiten von Tango-Komponisten und den Großen der Wiener Klassik spricht, oder meinetwegen mit Bach oder den Romantikern, dann reden wir natürlich über eine ganz andere Liga, aber der Erkenntnisgewinn ist ähnlich gering, vermute ich. Dass Pugliese einen etwas ruppigeren Sound erfunden hat, na gut. Aber darüber hinaus? Vergessen wir nicht, dass Beethoven nicht nur die Sinfonien geschrieben hat, sondern auch Kammermusik und Klaviersonaten und solche Dinge. In der Summe hat er wahrscheinlich mehr Sachen geschrieben, die gar nicht so nach dem Beethoven klingen, der immer für die Vergleiche herhalten muss, also der mit dem Schicksal, das angeblich an die Pforte klopft oder mit dem schönen Götterfunken.

Was ich damit eigentlich sagen will: bei solchen Vergleichen stellen sich mir immer die Nackenhaare auf. Deshalb, um die Geschichte abzukürzen: die Idee mit dem Männlichen und dem Weiblichen im Tango gibt viel mehr her, glaube ich.

Auf dass Du bald wieder die Lust am Schreiben finden mögest.

cassiel hat gesagt…

Hi Austin,

daß Du aber auch gleich grüne Punkte am ganzen Körper bei Komponistenvergleichen bekommen musst! :-))) (War der Versuch eines Scherzes - mein Humor ist aber wohl auch eingerostet.)

Es geht mir nicht um Parallelen im Leben oder Werk von (Tango-)Komponisten, es geht eher um das Gefühl der Energie beim Komponieren bzw. Musizieren. Ich habe neulich noch einmal das Heiligenstädter Testatment gelesen und da wird für mein Empfinden diese Kraft (die fast etwas Gewalttätiges hat) in Beethovens schaffen noch einmal in Worte gefasst und begründet. Es ist nur ein Gefühl, aber genau diese fast nicht zu zähmende Kraft nehme ich bei Pugliese wahr.

Aber möglicherweise hast Du Recht und ich sollte es bei dem Gedanken lassen.

Dir einen schönen Tag...

cassiel