Mittwoch, 13. März 2013

Festival-Bericht: 54°29'6''N 9°48'26''E Viento Norte

Nach der Rückkehr in meinen (Arbeits-)Alltag möchte ich nun doch noch zum Festival Viento Norte in Eckernförde am letzten Wochenende schreiben. Um es vorweg kurz zusammenzufassen: Es war perfekt, ein wahrgewordener Traum für Milongur@s.

Der Name war Programm: Der Nordwind (Viento norte ist ein wunderbarer instrumentaler Tango vom Orquesta Típica Victor aus dem Jahr 1929) kam im konkreten Fall allerdings wohl eher aus dem Osten und wehte - angeblich mit Winstärke 7 - über Eckernförde hinweg und es steht ja schon in der Bibel: "Wer Wind sät, wird Sturm ernten" (Hosea 8,7).


Die Veranstalter haben keine Mühen gescheut und ein perfektes Festival ausgerichtet. Es hat alles gestimmt, die wichtigen Faktoren und die Kleinigkeiten. Fangen wir vielleicht mit den Kleinigkeiten an. Am Freitag wurden alle Gäste bei der Ankunft zur Nachmittagsmilonga persönlich von Gastgebern, Sylvia Menzdorf und Jürgen Wyludda begrüßt (diese Beiden bilden den neuen nördlichen Außenposten des Tangokombinats: die Sección Norte). Eine Nebensächlichkeit? Vielleicht. Ich denke aber, diese kleine, von Herzen kommende Geste hat das Wochenende für viele Besucher sehr angenehm gestaltet. Der Raum war mittels eines raffiniert geführten Lichts ideal auf den Kompromiss zwischen gedimmter Gemütlichkeit und ausreichender Cabeceo-Möglichkeit eingestellt. Das Catering an der Bar im Vorraum war sowohl zügig in der Bedienung, als auch freundlich im unmittelbaren Kontakt. Es waren eben Gastro-Profis. Bereits im Vorfeld haben sich die Gastgeber rührend um die Gäste gekümmert. So gab es beispielsweise Restaurant-Tipps via Facebook - eine Kleinigkeit, die aber das Wochenende sehr entspannt haben. Die Tische waren dezent mit einer unaufdringlichen Dekoration und Tischdecken geschmückt und die Veranstalter hatten (wiederverwendbare) Plastikbecher, die mir persönlich wesentlich lieber als die brüchigen Einwegbecher aus Polysterol sind (ich werde vermutlich langsam auch alt und spießig). Selbstverständlich hatten die Veranstalter der örtlichen Taxizentrale Bescheid gegeben und so bekam man auch morgens um vier Uhr noch ein Taxi.

Die DJs des Wochenendes waren die bekannten DJs aus dem Dunstkreis des Tangokombinats. Besonders hervorheben möchte ich Lynn Collins, die die schwierige Aufgabe - alle Besucher in der ersten Nachmittagsmilonga in das Festival zu "holen" - perfekt gemeistert hat. Ich habe sie zum ersten Mal gehört und war begeistert! Großartig! Sie hat auf eigenwillige Sonderwege konsequent verzichtet und allen den Einstieg in das Festival mit einem soliden und stimmigen Mix ermöglicht. Die Veranstalter hatten eine professionelle Betreuung bzw. Einrichtung der vorhandenen Audio-Anlage mitgebucht und das war deutlich hörbar. Auch wenn man mit Vergleichen immer vorsichtig sein muss, so meine ich doch berichten zu können, daß der Klang mit Abstand das Beste war, was mir je an einem Festival zu Ohren gekommen ist (die Anlage war sogar so gut, daß man mp3s mühelos erkennen konnte). Leider gab es wohl eine kleine Störung am frühen Samstag und die Einstellungen der Anlage waren zurückgesetzt, das wurde aber duch den spontan angeforderten Techniker wieder weitestgehend behoben (so etwas passiert jedem Techniker genau einmal - und deshalb sollte man darüber großzügig hinwegsehen).

Hevorzuheben ist auch die fast durchgängige hohe Disziplin der Tanzenden (es gab nur ganz wenige Ausnahmen). Die Miradas und Cabeceos flogen förmlich zu Beginn jeder Tanda durch den Raum. Das war sehr angenehm. Eine leichte Unsicherheit gab es gelegentlich am Ende der Tanda. Zu einem ganz überwiegenden Teil geleiteten die Tangueros ihre aktuelle Tanzpartnerin zum Platz zurück. Bei einigen Wenigen hat sich dieser gute Brauch noch nicht herumgesprochen. Und spätestens seit dem Video von Michelle und Murat Erdemsel sollte auch der Cabeceo zwischen den Führenden (Blickkontakt vor dem Einreihen in die Ronda) zu den Softskills eines Tangueros gehören. Die Rücksichtnahme auf die Paare in der unmittelbaren Nachbarschaft sind ein elementarer Bestandteil einer guten Pistenkultur und eines entspannten Tanzens auf einer gut gefüllten Piste (auch wenn man - wie es teilweise am Wochenede passiert ist - innerhalb einer Tanda u.U. nur 20 Meter "geschafft" hat).


Video: Monika Diaz - mit freundlicher Genehmigung

Berichtenswert ist auch die für mich neue Erfahrung einer Ferienwohnung für ein Festival. Das war sehr lässig. Die Pausen am Freitag und Samstag zwischen der Nachmittags- und Abendmilonga waren zwar mit drei Stunden großzügig bemessen, mit Duschen und Umziehen konnte das aber eng für einen Restaurantbesuch werden. Wir haben uns daher als Gruppe (6 Tanguer@s) dazu entschlossen, selbst zu kochen. Am Freitag gab es Nudeln mit Pesto und frischem Parmesan sowie einen knackigen Salat, am Samstag wurde vormittags auf dem Wochenmarkt Räucherfisch eingekauft und es wurden Kartoffeln vorgekocht. Abends mussten die Kartoffeln nur noch mit Rosmarin in der Pfanne erwärmt und der Salat geputzt werden - fertig war ein sehr leckeres Essen und es blieb genügend Zeit für die Vorbereitungen zur Abendmilonga.

Über die vielen schönen Tandas kann ich hier leider nicht erschöpfend berichten - es waren einfach zu viele. :-)

Am Sonntag endete die letzte Milonga gegen 20 Uhr. Um die erfahrungsgemäß hungrigen Tänzerinnen und Tänzer zu versorgen, waren vorab Listen ausgelegt worden und man konnte eine Pizza für den Abend bestellen. Nun entlud sich die Spannung nach über 20 Stunden konzentrierten Tanzens. Es war ein stundenlanges Gespräch mit Freunden, die man nur wenige Male im Jahr sieht; irgendwo zwischen gelöster Heiterkeit und sentimentalem Abschiedsschmerz. Ich möchte hier ein Video vom späteren Abend präsentieren, das diese gute Stimmung möglicherweise verdeutlicht.


Video: Matthew Cooper - mit freundlicher Genehmigung

Abschließend bleibt mir nur, dem Tangokombinat Sección Norte zu dieser außerordentlich gelungenen Premiere herzlichst zu gratulieren. Das Festival hat in so mancher Beziehung neue Maßstäbe gesetzt - Ein perfekter Einstand! Ich freue mich auf das Viento Norte 2014.

Und weil auch ich manchmal leicht desillusioniert bin: Es hat mich sehr gefreut, daß mein Bemühen um den guten Klang in der Milonga auf offene Ohren gestoßen ist. Es bewegt sich etwas. Außerdem wurde in einem Bericht der Eckernförder Zeitung ein Tanguero zitiert, der die bald zwei Jahre alte Idee vom bewegungs- bzw. umarmungsfokussierten Tango aufgegriffen hat. Manchmal ist es beruhigend zu wissen, daß es doch ein paar Menschen gibt, die dieses Blog lesen. :-)

Nachtrag: Inzwischen gibt es eine Website des Festivals: viento-norte.de. Dot sind weitere Blogartikel u.ä. verlinkt.

4 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Ja! Genau so war es.

Sylvia hat gesagt…

Noch immer überwältigt vom grenzenlosen Lob und wertschätzender Zustimmung der Gäste des 1. Viento Norte in Eckernförde, erfahren wir nun auch von Cassiel Bestätigung für das Premieren-Festival an der Ostsee. Unfassbar geradezu, haben wir doch eigentlich nur das getan, was gute Gastgeber gern tun: Dafür sorgen, dass alle sich wohlfühlen. Ihr alle, die Premierengäste und Cassiel, gebt uns den Mut und die Freude daran, 2014 erneut den Viento Norte wehen zu lassen. Auch dafür vielen Dank sagt Sylvia

Anja Noa Luna hat gesagt…

Ich kann mich deinem Lob nur anschließen, Cassiel. Ich fände es noch toll, wenn du auch die beiden anderen Videos (das von der perfekten Ronda und das von den Füßen) veröffentlichen würdest, um einer breiteren Leserschaft/Tänzerschaft zu zeigen, was tänzerisch möglich ist.

cassiel hat gesagt…

@Sylvia
Darf ich mich hiermit für die Vormerkungsliste VN2014 anmelden? :-)

@Anja
Eine gute Idee. Allerdings sind die Videos (im Gegensatz zu Matthews Video bei YouTube) reine Facebook-Videos. Ich werde das aber mit Monika besprechen. Danke für die Idee.