Dienstag, 25. März 2014

Reden wir vielleicht einmal über das Hören...

Um es gleich vorweg zu schreiben: Die Lektüre dieses Artikels ist für viele im Tango eher uninteressant, gleichwohl betrifft das Thema Alle im Tango. Ich habe ihn in erster Linie für Veranstalter und DJs geschrieben weil mir im Lauf der Zeit immer häufiger auffällt, dass augenscheinlich Basiswissen rund um das Hören einfach fehlt bzw. nicht beachtet wird. Natürlich ist dies z.T. mit dem Geldmangel im Tango erklärbar. Gute Technik kostet nun einmal ordentliches Geld und wirklich geschulte Techniker für den Betrieb bzw. die Justierung einer Anlage sind i.d.R. nicht finanzierbar - allerdings kann man sehr häufig schon allein durch einen bewussten und sorgfältigen Umgang mit Geräten sehr viel bewirken.

Ich erinnere mich an eine mehrtägige Veranstaltung mit mehreren Milongas und ausnahmsweise einer sehr guten Anlage für die Wiedergabe der Musik (das ist im Tango leider immer noch eine Seltenheit)... kurzum ein gutes Umfeld für eine Reihe von Milongas... Was dann aber einzelne DJs (mit dem Anspruch international erfahrene DJs im Tango zu sein) mit dieser Anlage veranstaltet haben, war für mich nicht nachvollziehbar. Ein DJ hat es geschafft, die Höhen derartig nach oben zu drehen, dass es in den Ohren schmerzte, ein anderer DJ drehte die Bässe so auf, dass man nur froh sein konnte, dass die 18" Subwoofer für die Veranstaltung gar nicht aktiviert waren. Bei dieser mehrtägigen Veranstaltung war nach meiner Einschätzung an vielen Sitzplätzen die Musik häufig so laut, dass der arbeitsrechtliche Grenzwert von 87 dB(A) dauerhaft deutlich überschritten wurde. In solchen Situationen drängt sich mir die Frage auf, hören diese DJs nicht hin? Warum verlassen sie nicht ihren Arbeitsplatz und gehen einmal im Raum umher um Klang und Lautstärke zu kontrollieren? Vielleicht ist es auch der Stress, vielleicht ist es ihnen egal, oder sie sind so von sich überzeugt, dass es für sie außerhalb jeder Vorstellung liegt, sie könnten etwas falsch machen.
Bei einer guten Anlage wird nicht sofort eine Verzerrung zu hören sein, wenn sie zu laut betrieben wird, falls das Frequenzspektrum harmonisch ausgeglichen ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass eine zu hohe Lautstärke gepaart mit einem verbogenen Frequenzgang (und in der Folge eine Übersteuerung einzelner Frequenzbereiche in der Wiedergabe) bei Tänzerinnen und Tänzern enormen Stress verursacht und damit einen unmittelbaren Einfluss auf die Milonga hat. In der Folge meine ich häufig beobachten zu können, dass Tänzerinnen und Tänzer nervöser werden, es kommt vermehrt zu Kollisionen oder aber die Ronda bricht komplett in sich zusammen und jedes Paar scheint wie am Platz festgenagelt, es geht nicht mehr vorwärts. In meinem Artikel greife ich zunächst einmal zwei wichtige technische Themen auf: Die generelle Lautstärke einer Milonga und das feine Gefüge des Freuenzspektrums der wiedergegebenen Audio-Daten.


Unser Gehör ist im Vergleich zu anderen Sinnen des Menschen sehr gut und äußerst empfindlich. Es ist vermutlich eine - evolutionär betrachtet - ältere Sinneswahrnehmung (im Vergleich zur taktilen Wahrnehmung, die sich wohl erst im Lauf der Evolution immer mehr verfeinerte). Unser Ohr ist im sensiblen Bereich - also etwa zwischen 2 und 5 kHz so empfindlich, dass wir das Rauschen der Luftmoleküle hören würden, wenn es noch ein klein wenig empfindlicher wäre. Diese sog. Hörschwelle entspricht etwa 0,00002 Pa (Pa = Pascal eine Einheit für Luftdruck; der normale atmosphärische Luftdruck liegt auf Meereshöhe bei etwa 1000 Hektopascal, also 100.000 Pa. Schalldruck muss man sich also als Überlagerung des normalen atmosphärischen Luftdrucks vorstellen). Die obere Grenze der akustischen Wahrnehmung wird Schmerzschwelle genannt und wird bei 20 Pa angesetzt (oder leicht darüber, das ist individuell verschieden). Und da liegt der Grund für die üblichen logarithmischen Skalierungen der entsprechenden Maßeinheiten. Linear kann man so große Unterschiede kaum vernünftig darstellen.

Also wurde eine logarithmische Einheit dB-SPL für den Schalldruckpegel (sound pressure level) eingeführt. Der (Bezugs-)Schalldruck p0 von 0,00002 Pa entspricht aufgrund der mathematischen Definition dem Schalldruckpegel von 0dB-SPL. Für diejenigen, die es ganz genau wissen wollen: Der Schalldruckpegel Lp in dB-SPL wird wie folgt definiert: Lp = 20 log10 (p/p0) dabei wird mit p der aktuelle Schalldruck und mit p0 der Referenzwert der Hörschwelle bezeichnet. Der Umgang mit der logarithmischen Einheit Dezibel (dB) ist stark gewöhnungsbedürftig (dies wird weiter unten bei den Beispielen noch einmal sehr deutlich). Das Wachstum ist rasant. So wird die Schmerzschwelle üblicherweise bei 130 dB-SPL angesiedelt. Das (theoretische) Maximum liegt bei knapp 200 dB-SPL, dann nämlich erreicht der Schalldruck die Werte des normalen atmosphärischen Drucks.

Und nun wird es etwas kompliziert: Die Einheit dB-SPL ist zwar prädestiniert für eine (physikalisch exakt bestimmbare) Messung des Schalldruckpegels, allerdings variiert die empfundene Lautstärke stark mit der Frequenz des Tons. Das liegt an einer Eigenart unserer auditiven Wahrnehmung. Wir empfinden unterschiedliche hohe Töne mit einem gleichen Schalldruckpegel als unterschiedlich laut. Dafür wurden 1933 erstmalig unter dem Titel Fletcher-Munson-Kurve (Untersuchungen von Harvey Fletcher und Wilden A. Munson zur psychoakustischen Wahrnehmung von Lautstärke von Sinustönen über Kopfhörer) und später im Jahre 1956 (von D. W. Robinson und R. S. Dadson - die sog. Robinson-Dadson-Kurve - hier wurden die Messungen allerdings mit frontal eingefallenen Sinustönen über Lautsprecher vorgenommen) Untersuchungen mit Probanden gemacht. Im Jahr 2003 wurden leicht abgewandelte Kurven in der ISO 226:2003 standardisiert.

Kurven gleicher Lautstärke nach ISO 226:2003 - Bildimport von sengpielaudio.com

In dieser Grafik wird eine bislang nicht erwähnte Einheit Phon verwendet. Phon ist definiert als der Schalldruckpegel dB-SPL bei einem Sinuston von 1 kHz und gleichlaut wahrgenommene Sinustöne anderer Frequenzen. Ein Beispiel: Ein Sinuston von 1kHz mit einem Schalldruckpegel von 20 dB-SPL bzw. 20 Phon wird als genauso laut empfunden wie ein Sinuston von 40 Hz mit einem Schalldruckpegel von 70 dB-SPL der damit dann auch mit 20 Phon angegeben wird. Für den Arbeitsschutz wird für Messungen der Lautstärke noch eine andere Einheit dB(A) benutzt. Ohne tiefer in die Details zu gehen möchte ich hier nur erwähnen, dass die Bewertungskurve dieser Einheit in etwa der invertierten Kurve für gehörrichtiges Hören bei 40 Phon entspricht.

[Weiterführende Anmerkung: Leider sind wir an dieser Stelle noch lange nicht am Ende einer erschöpfenden Darstellung des Themas Lautstärke. Nur der Vollständigkeit halber sei noch der Begriff der Lautheit (engl. Loudness) erwähnt. Mit Lautheit wird die subjektive Wahrnehmung der Lautstärke bezeichnet. In der Musikindustrie der späten 80er und Folgejahren kam es zum sog. Loudness-War. Damit war die Bearbeitung von Musikstücken (meist durch aggressive Kompression der Dynamik) gemeint, so dass bei gleichen Spitzenpegeln die Musik subjektiv als lauter empfunden wurde. Einen kurzen Überblick findet man in dem folgenden YouTube Video.]


Stichwort: Lautstärke bzw. Schalldruckpegel

An dieser Stelle sollen einige Beispielwerte für Geräusche und deren dB(A)-Wert angegeben werden.

Geräuschbeispiele und der zugehörige dB(A)-Wert
Quelle: Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie
(Achtung: Angaben für dB(A)-Werte machen nur Sinn, wenn die Entfernung zur Schallquelle angegeben wird, deswegen ist bei dieser Grafik davon auszugehen, dass bei fehlenden Angaben immer eine typische Entfernung angenommen wurde.)

Arbeitsrechtlich ist ab einer Dauerlärmbelastung von 80 dB(A) der Arbeitnehmer über die Folgen einer dauerhaften Lärmexposition aufzuklären, ab 87 dB(A) müssen endgültig Maßnahmen zum Gehörschutz ergriffen werden. Das betrifft z.B. auch Orchestermusiker.

So mancher DJ spielt nach meiner Einschätzung so laut, dass 87 dB(A) in der Nähe der Lautsprecher (oder im gesamten Raum) dauerhaft deutlich überschritten werden. Geht man nun von einer Dauer einer längeren Milonga von 6 Stunden oder mehr aus, dann sind schnell die arbeitsrechtlichen Grenzwerte einer gesundheitsschädlichen Schallbelastung erreicht.

Ich möchte mit diesen Überlegungen eine Diskussion anstoßen. So manchmal habe ich den Eindruck, Musik in der Milonga wird nach der Maxime: So leise wie nötig, so laut wie möglich dargeboten. Ich schlage vor, darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll wäre diese Maxime zu ändern:

Musik in der Milonga: So laut wie nötig, so leise wie möglich.

Persönlich schätze ich die Momente in der Milonga, in der es ganz still wird. Ein DJ, eine DJane beeindruckt sein/ihr Publikum nicht durch Lautstärke sondern durch programmatische Aspekte der Musikauswahl. Das ist fast magisch, wenn 100 oder mehr Personen ganz von der Tangomusik ergriffen werden. Da braucht es keine Dezibel.

[Und an dieser Stelle vielleicht ein Hinweis für diejenigen unter den Leserinnen und Lesern, die meinen Ausführungen nicht so recht folgen wollen. Das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales hat sehr eindringlich in einem PDF vor der dauerhaften Exposition von erhöhten Schallpegeln gewarnt. Wer also meine Ausführungen für übertrieben hält, dem sei die Lektüre dieses PDFs herzlichst empfohlen.]


Stichwort: Klangkorrektur durch den DJ

Ein DJ hat in seiner Audiokette idealerweise einen Equalizer. Mit diesem Gerät kann man die den Pegel einzelner Frequenzbereiche bei der Audiowiedergabe anheben bzw. absenken. Es gibt eine Fülle von unterschiedlichen Prinzipien bei der Konstruktion dieser Geräte. Ich möchte auf zwei Haupttypen näher eingehen.
Beispiel für einen grafischen EQ (Fa. dbxpro)
Da ist zunächst der grafische Equalizer (den gibt es in unterschiedlich feinen Ausführen: Die Variante mit Oktaven-Regelung: 10 Schieberegler, die den hörbaren Bereich im Oktav-Abstand darstellen, die Variante mit 20 Reglern, hier wird als Abstand zwischen zwei Reglern eine halbe Oktave realisiert und schließlich die feinste Regelung: 31 Regler mit einem Abstand von 1/3 Oktave zwischen zwei Reglern). Typischerweise erlaubt jeder Regler das Anheben bzw. Absenken des entsprechenden Frequenzbereichs um 12 dB.

Beispiel für einen parametrischen EQ (Fa. Sontec)
Ein anderer Ansatz wird über den sog. parametrischen Equalizer realisiert. Für jeden Regelbereich (üblich sind 3, 5 oder 7 Bereiche) kann die Frequenz des Scheitelpunktes, die Charakteristik der Filterkurve und die Anhebung bzw. Absenkung in dB angegeben werden. Auch wenn das Arbeiten mit einem parametrischen Equalizer zunächst gewöhnungsbedürftig erscheint, man kann m.E. häufig sehr viel genauer und wesentlich effektiver eine Korrektur der Frequenzwiedergabe realisieren.

Mit professioneller Audiotechnik ist es m.E. fast kritischer als mit professionellen digitalen Spiegelreflexkameras. Man hat sehr viele Möglichkeiten, extreme Bedingungen zu kompensieren. Man hat sogar die Freiheit, vollkommenen Unsinn mit derartigen Geräten anzustellen. Deswegen ist Vorsicht immer ein sehr guter Begleiter, wenn man mit professioneller Audio-Technik hantiert. [Ich würde sogar noch weitergehen und behaupten: Ohne geschultes Gehör und viel Erfahrung kann niemand einen Equalizer richtig einstellen - er hört nicht, was er anrichtet.]

An dieser Stelle sei vielleicht auch eine Bemerkung bezüglich irgendwelcher Klangregelmöglichkeiten in günstigeren Mischpulten erlaubt (da wird häufiger versucht, einen sog. Channel strip zu simulieren). Das ist m.E. kein Ersatz für einen richtigen EQ und nach meinen Erfahrungen lässt man von solchen Reglern am besten die Finger. Ich habe schon Mischpulte für um die 100 € (und auch deutlich teurere)  gesehen, die einen generellen Regler für den Baß, den Mitten- und den Hochtonbereich hatten. Dabei wurden die Regler für den Scheitelpunkt der Änderung und den Charakter des Filters einfach weggelassen (diese Werte wurden vom Mischpult-Konstrukteur einfach vorgegeben und fest verdrahtet). So etwas kann man bestenfalls als Klangmanipulationseinheit bezeichnen und inständig hoffen, dass derartige Baugruppen nicht durch schlampige Konstruktion ein Audiosignal irreparabel zerstören. Etwas anders ist der Fall gelagert, wenn mit Software-Emulationen teurer professioneller Audio-Geräte ohne die entsprechende Sachkenntnis und Erfahrung gearbeitet wird. Mittlerweile bekommt man diese Software im Bundle mit Audio-Interfaces oder manche kopieren sie auch einfach. Hier liegt es nicht an mangelhafter Technik, wenn der Klang desaströs wird. Hier verursacht fehlende Kompetenz den akustischen GAU.

Eine sorgsame DJane, ein sorgsamer DJ im Tango Argentino wird nach meiner Einschätzung einen Equalizer zurückhaltend einsetzen. Wir haben es im Tango Argentino mit Jahrzehnte alten Aufnahmen zu tun, die in mancher Hinsicht (z.B. Frequenzspektrum) nicht mit heutigen Aufnahmen konkurrieren können. Versucht man nun, mit diesen Aufnahmen eine zeitgenössische Klang-Ästhetik zu bedienen, so wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit gnadenlos scheitern. Die alten Aufnahmen eignen sich nicht für Schalldruckpegel, wie sie in einer Disko üblich sind. Auch wummernde Bässe oder knackige Höhen werden dieser Musik ihre Einzigartigkeit rauben. Wenn man sich aber auf diese Musik einlässt und ihre spezifischen Besonderheiten berücksichtigt, dann ist es nach meiner festen Überzeugung möglich, eine komplette Milonga zu verzaubern. Die ältere Musik der EdO hat nämlich trotz eingeschränkten Frequenzgangs einige unschätzbare Vorteile. Alle Aufnahmen wurden beispielsweise in einem Mono-Direktschnittverfahren aufgenommen und haben damit einen äußerst kurzen Signalweg, ohne die heute üblichen Effektgeräte (Hall, Echo, Verfremdungseffekte usw.), die meist die Tiefenstaffelung einer zeitgenössischen Produktion gänzlich zerstören.

Nach diesen eher allgemein gehaltenen Ausführungen soll es nun etwas konkreter werden: Wie kann man als Tango-DJ, als Tango-DJane sensibler für die alten Aufnahmen werden? Der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg dorthin ist eine vernünftige technische Umgebung daheim beim Vertrautwerden mit den Tangotiteln. Ich will hier versuchen, das mit den einfachen Mitteln, die mir im Internet zur Verfügung stehen, zumindest im Ansatz zu demonstrieren. Üblicherweise ist das gute Gehör eines Audio-Ingenieurs nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern das Resultat von Training und harter Arbeit... und das über Jahre bzw. Jahrzehnte. Ein feines Gehör ist nicht eine Gabe, sondern - und hier gibt es die gute Nachricht - man kann so etwas durchaus trainieren. Dazu muss man sich aber die Tatsache bewusst machen, dass wir mit akustischem Müll den ganzen Tag berieselt werden. Natürlich ist die Formulierung drastisch, aber milder kann ich es nicht ausdrücken. Überall läuft Musik (oder genauer gesagt: Geräusche, die an Musik erinnern), man sollte anfangen, qualitativ hochwertige Musik über geeignet Anlagen bewusst zu hören, damit ist ein erster Schritt gemacht.

Nachfolgend werden mehrere kurze Ausschnitte eines Testsignals wiedergegeben. Es handelt sich um Rosa Rauschen. Im Gegensatz zum Weißen Rauschen wird beim Rosa Rauschen der Pegel mit zunehmender Frequenz (also der Tonhöhe) kontinuierlich abgesenkt (dies dient dem Ohren- und dem Hochtönerschutz) - nämlich um 3 dB pro Oktave. Manchmal wird das Rosa Rauschen auch mit dem Begriff 1/f Rauschen benannt.

[Die nachfolgenden Testsignale sind im Pegel abgesenkt - empfindliche Personen sollten trotzdem vorsichtig mit den Beispielen umgehen und zunächst mit dem Lautstärkeregler den Wiedergabe-Pegel senken.]

Beispiel 1: Rosa Rauschen von 20hz - 20 kHz

Direkter Link zur Datei bei goear.com.

Beispiel 2: Rosa Rauschen von 70 Hz - 14,7 kHz (der - großzügig bemessene - Frequenzbereich von Schellack-Aufnahmen)

Direkter Link zur Datei bei goear.com.

Beispiel 3: Rosa Rauschen von 70 Hz - 14,7 kHz, Frequenzen bei 400 Hz um 5 dB angehoben

Direkter Link zur Datei bei goear.com.

Beispiel 4: Rosa Rauschen von 70 Hz - 14,7 kHz, Frequenzen bei 5 kHz um 5 dB angehoben

Direkter Link zur Datei bei goear.com.

Beispiel 5: Rosa Rauschen von 70 Hz - 14,7 kHz, Frequenzen bei 400 Hz um 1,5 dB angehoben

Direkter Link zur Datei bei goear.com.

Beispiel 6: Rosa Rauschen von 70 Hz - 14,7 kHz, Frequenzen bei 5 kHz um 1,5 dB angehoben

Direkter Link zur Datei bei goear.com.

Eigentlich sollten deutliche Unterschiede hörbar sein (zumal bei den Beispielen 3 und 4 die entsprechenden Frequenzen um saftige 5 dB angehoben wurden). Wer also die Unterschiede in den Beispielen 3 und 4 hört, der sollte sich zu den Beispielen 5 und 6 vorwagen. Dort sind die Änderungen nur um 1,5 dB vorgenommen worden (gute Mastering-Ingenieure hören Unstimmigkeiten in Frequenzspektrum von einem halben Dezibel). Sollte aber bei der Verwendung von eingebauten Laptop-Lautsprechern kein Unterschied erkennbar sein, so ist das kein Grund zur Besorgnis, häufig sind diese eingebauten Lautsprecher (aufgrund von Kompromissen beim Hardware-Design) gar nicht in der Lage, solche Unterschiede hörbar zu machen. Bei guten Lautsprechern sollten allerdings sehr deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Signalen zu hören sein. Diese Beispiele sind ein kleiner Ausschnitt eines möglichen Arbeitsprogramms für angehende Tontechniker. Mit viel Fleiß und Übung hören die nämlich, wo bei einer Audio-Wiedergabe etwas fehlt bzw. zu sehr verstärkt wird. Ein Equalizer ist also ein Werkzeug, die natürliche Balance eines Musikstückes wiederherzustellen bzw. kleinere (!) Fehler zu korrigieren. Wer einen Equalizer als Instrument zur Deformierung einer Audio-Wiedergabe gemäß den eigenen (Klang-)Vorstellungen missbraucht, hat nicht verstanden, wozu diese Geräte gebaut wurden. (Ich entschuldige mich hiermit für die drastische Wortwahl, aber ich nehme ja schließlich auch keinen Hammer um eine Schraube in ein Stück Holz zu drehen.)

Ich möchte zur Verdeutlichung noch ein YouTube-Video anhängen. Es zeigt einen Mastering-Ingenieur bei der Arbeit. Beim Mastering wird ein bereits fertig abgemischter Titel noch einmal durchgehört und es werden ggf. kleinere (Summen-)Änderungen auf den bereits fertig gemischten Track angewendet. Mit Hilfe der Untertitel ist es möglich, zu erahnen, was der Techniker gerade hört und welche Werkzeuge er mit welchen Einstellungen wählt, um den Klang zu bearbeiten. Es ist m.E. wichtig zu begreifen, dass der Techniker etwas hört und sich dann auf die Suche nach der entsprechenden Frequenz begibt um dort gezielt zu korrigieren.

Und im Bezug auf die Einstellung eines Equalizers gilt nach Bob Katz (einem sehr berühmten Mastering Ingenieur) das erste Prinzip des Masterings ganz besonders:

Changing anything affects everything!

Und in einem anderen Artikel führt er aus:
Remember the yin and the yang: Contrasting ranges have an interactive effect. For example, a slight dip in the lower midrange (~250 Hz) can have a similar effect as a boost in the presence range (~5 kHz). Harshness in the upper midrange/lower highs can be combatted in several ways. For example, a harsh-sounding trumpet-section can be improved by dipping around 6-8 kHz, and/or by boosting circa 250 Hz. Either way produces a warmer presentation. The next trick is to restore the sense of air which can be lost by even a 1/2 dB cut at 7 kHz, and this can often be accomplished by raising the 15 to 20 kHz range, often only 1/4 dB can do the trick. Remember the interactivity of the frequency ranges; if you make a change in any of them, you must reevaluate your choices on them all.


Dieses Video sollte mit der höchstmöglichen Auflösung angesehen werden. Bei einer schlechten Internetverbindung empfiehlt sich der Download vorab.

Selbstverständlich wird in diesem Video auf einem anderen Niveau gearbeitet (sehr teures Equipment, gute Abhörsituation in einem speziellen Studio...), als Demonstration, wie subtil die Änderungen sind, mit denen ein einfühlsamer Bearbeiter in die Musik eingreift, mag dieses Video dennoch ein sehr gutes Beispiel sein.


Um es noch einmal deutlich zu schreiben: Auch ich habe auf der Suche nach dem guten Klang in der Milonga noch einen langen Weg vor mir. Ich habe vielleicht einen Vorsprung von zwei Jahren - so lange beschäftige ich mit dem Thema, aber ich bin weit davon entfernt, wirklich guten Klang in jeder Umgebung garantieren zu können. Mir ist aber das Thema sehr wichtig. Ich denke, guter Klang lässt Tänzerinnen und Tänzer entspannt werden und ist somit kein Selbstzweck. Er dient unmittelbar dem Tango. Die schlimmsten Folgen einer Fehlbedienung eines Equalizers sind eine extrem rumpelige Ronda, oder Stillstand, Nervosität und Disharmonie.

Zum Abschluss dieses Beitrags gibt es ein paar Literaturempfehlungen und Link-Tipps für weitere Vertiefung. Vielleicht ist es ratsam, sich von der Vorstellung zu verabschieden, derartiges Wissen können man sich mal eben so anlesen bzw. aneignen. Es ist ein Prozess der m.E. Jahre dauert.
  • Zunächst wäre einmal eine wichtige Übersicht zu nennen: Alles fängt an, mit einer konkreten Vorstellung der Frequenzbereiche. Dazu hat E. J. Quinby (wohl ein Techniker der Carnegie Hall) 1941 handschriftlich eine Übersicht gemacht. Diese gibt es hier.
  • Eberhard Sengpiel (nicht nur ein begnadeter und preisgekrönter Audio-Ingenieur, sondern auch ein Dozent, der sein Wissen gerne weitergibt) hat im Internet eine umfangreiche Linksammlung zu allen Themen im Audio Bereich angelegt. Hier lohnt das Verweilen, das Stöbern und Lesen.
  • Für alle, die die grundlegende Details und physikalsichen Gesetzmäßigkeiten ganz genau studieren wollen, sei ein Buch von Andreas Friesecke: Die Audio-Enzyklopädie, Ein Nachschlagewerk für Tontechniker empfohlen. Dieses Buch ist mit ca. 85 € nicht ganz billig, allerdings gibt es das Buch bei Google-Books für ein Reinschnuppern vorab.
  • Bob Katz hat ein Buch geschrieben: Mastering Audio, the art and the science. Diese Buch halte ich noch immer für die Referenz in Fragen der Bedienung von Audio-Technik. Das Buch gibt es inzwischen auch in einer deutschen Übersetzung (die ich allerdings nicht kenne).
  • Hubert Henle schrieb vor Jahren das Buch: Das Tonstudio Handbuch. Auch wenn die Informationen etwas älter sind, sie sind immer noch aktuell und der Stil in dem der Autor schreibt, ist sehr verständlich.

    An allen hier angegebenen Fundorten für weitere Informationen findet man sehr nützliche Hinweise. Man findet aber auch viele Anmerkungen, die für das DJing im Tango Argentino nicht einschlägig sind (Stereobearbeitung, Filmtonabmischung usw.). Es gibt m.W. kein Buch, dass sich auf die etwas ältere Technik im Tango Argention spezialisiert hat.

231 Anmerkung(en):

«Älteste   ‹Ältere   201 – 231 von 231 Anmerkung(en)
Anonym hat gesagt…

@Wolfgang_wi "..
Was den Tanzstil angeht - das hängt von der Musik ab - von ruhig und minimalistisch bis dynamisch, falls der Platz es zuläßt. Hier finde ich es manchmal etwas gruselig, wie manche Tänzer völlig musikunabhängig ihren Minimalbewegungstango zelebrieren. ...."
nenne es doch einfach Musikneutrales tanzen. Ob Arienzo oder di Sarli, immer dieselben Bewegungen. Zeitlupenbewegungen auf Rhytmik und umgekehrt. Eigentlich ein viel grösseres Problem als die Qualität der Musik, wenn man sowieso nicht darauf hört. Wie empfindet die Dame das ?
Das wäre aber etwas für eine getrennte Section

Grüsse Bert

cassiel hat gesagt…

Eigentlich arbeite ich ja an einem neuen Artikel für das Blog. Ich möchte aber kurz auf eine interessante Software hinweisen. Die Firma Harman hat eine Software (sowohl für Mac OS X als auch für Windows) veröffentlicht. Die Software ist kostenlos und wird hier zum Download angeboten. Ein PDF mit der Anleitung gibt es ebenfalls. Ich habe jetzt mit der Software ein wenig trainiert und kann sie empfehlen (obwohl es einige Abstürze gab; wahrscheinlich werden diese Fehler in einer neuen Version behoben).

Viel Spaß beim Probieren und Trainieren. :-)

Christian Tobler hat gesagt…

@ Wolfgang Wi,

Teil 1: Die eine oder andere deiner Formulierung in deinen letzten zwei Kommentaren macht deutlich, dass du dich – ich greife hier nicht dich an, möchte aber auf ein Phänomen aufmerksam machen, welches unter der Wahrnehmungsschwelle oft nachhaltig wirkt – dem Phänomen der Neomanie, einer Art Kindchenschema der Innovation, man kann das Ding auch beim Namen nennen und von Gegenwartseitelkeiten sprechen, nicht immer zu entziehen vermagst. Neu ist nie zwangsläufig besser. So was ist in jedem einzelnen Fall zu klären. Wer das versäumt, wird irgendwann zum auf lauter Konsumschrott sitzenden Lemming.

Natürlich wird Geschichte immer von den Siegern geschrieben. Aber auf so was muss niemand herein fallen. Falls du tatsächlich dem Ammenmärchen nachhängst, dass Märkte sich selbst regulieren, dann erkläre mal, warum wir eine Bankenkrise haben und wie die zur Wirtschafts- und Staatenkrise werden konnte. Das ist auch eine Situation, in der Inkompetenz und Mutwilligkeit einiger weniger von ganz vielen ausgelöffelt werden muss.

Betreffend MP3 überzeugt deine Argumentation nicht. Die Krux liegt im praktischen Umgang mit dem elenden Gesocks. Es sind Abermillionen encoder- und/oder handwerksbedingt schlecht klingender MP3 im Umlauf – auch von kommerziellen Anbietern. Das ist an vielen traditionellen Milongas unüberhörbar. Die Zeit, die ein DJ einsetzen müsste, um in seiner Tangothek File für File hörend zu klären, ob ein MP3 den Speicherplatz wert ist, den es beansprucht, reicht locker aus um die selben Aufnahmen von unkomprimierten Files neu in halbwegs archivwürdiger Qualität in einem unkomprimierten Format zu rippen – falls ein DJ weiss wie man dafür hören muss und dafür passende Technik besitzt. Allerdings ist der Zeitaufwand dafür exorbitant. Unter drei Mannmonaten ist da bereits mit einer Tangothek moderater Grösse nichts zu machen. Gute DJs sind daher zumindest im stillen Kämmerlein ziemlich fleissige Hummeln.

Kein Mensch kauft ein Buch und schneidet bevor er mit dem Lesen beginnt oben und unten so viel Papier weg, dass auf jeder Seite 15 Zeilen fehlen, damit das Buch nicht so viel Platz beansprucht – um hinterher zu behaupten er würde die Handlung trotzdem verstehen. Das mag manchmal sogar der Fall sein. Aber viele Details und Zusammenhänge fehlen dann und das Buch ist vollkommen verstümmelt. Und keinesfalls behauptet so jemand hinterher, sein verstümmeltes Buch lese sich genau gleich gut, wie ein unversehrtes Exemplar.

Musikliebhaber und Professionals, die Hörschulung absolviert haben, hören diese Unterschiede deutlich genug. Sie können auch erklären was sie hören. Alle anderen Tänzer reagieren unbewusst auf die Defizite von MP3, sind sich dessen aber meist nicht bewusst und können auch nicht sagen, wo das Problem liegt. Hier zwei Links, die jeden ans Ziel führen, der über etwas Ausdauer verfügt und daheim über gute Audiotechnik hört. Für DJs ein Muss.
# http://www.youtube.com/watch?v=6NgkP8aABO4
# http://harmanhowtolisten.blogspot.de/

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Mit über MP3 jammern hat meine Stellungnahme gar nichts zu tun. Solange der Mut fehlt, Dinge auch dann beim Namen zu nennen wenn sie alles andere als schmeichelhaft für uns sind, ist Fortschritt zu oft Rückschritt. Wie gesagt gibt es Bezug auf MP3 zu allem Elend keinerlei Schadenbegrenzung. Was an Musikinformation verpfuscht wurde, weil ein verlustbehaftetes Format verwendet wird, womöglich auch noch unsachgemäss eingesetzt, lässt sich mit MP3 bis in alle Ewigkeit nicht mehr rekonstruieren. Und mit jedem neuen Speichervorgang wird der Pfusch gravierender. Hier hilft einzig und allein der Rückgriff auf unkomprimierte Formate – Formate, die du salopp als Verlierer bezeichnest.

Du weisst das – aber zu viele DJs sind sich solch elementarer Fakten und der sich daraus ergebenden Konsequenzen in der Praxis nicht bewusst. DJs im Tango Argentino sollten aber zumindest gelegentlich in der Lage sein, Files ihrer Tangothek zu bearbeiten, ohne dafür Qualitätseinbussen in Kauf nehmen zu müssen. Verlustbehaftete Formate eignen sich nicht mal zur Archivierung. Wenn es unter Formaten irgend einen Verlierer gibt, ist das MP3, weil es seit Jahren bessere verlustbehaftete Codeces gibt, die für DJs aber genauso obsolet sind, weil die Komprimierung dieser Formate noch weniger Festplattenplatz einspart. Festplattenplatz ist aber schon seit Jahren keine teure Mangelware mehr.

Wissenschaftler haben schon vor Jahren belegt, dass bei der Kaufentscheidung die Qualitäten eines Produkts höchstens 7% beitragen können. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, das sind deutlich weniger als 10% und damit beinahe schon vernachlässigbar. Das Aussehen trägt über fünfmal so viel zum Erfolg bei. Über die Hälfte, 55% tragen PR und Werbung zum Erfolg bei. Aussen fix und innen nix als Lebenskonzept. Das erklärt natürlich, warum so viel Bockmist Käufer findet. Trotzdem ist Bockmist Bockmist und bleibt Bockmist Bockmist – bis dieser gottverdammte Bockmist irgendwann die unendliche Gnade gnadenloser Entsorgung erfährt und wir entwarnen können: Der Mist ist geführt.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Ein DJ ist aber gar kein Consumer. Verlustbehaftete Formate sind jedoch grundsätzlich und immer und ausschliesslich Consumer-Kram. Aber nur für Consumer, die das Denken unterlassen. Musik die man liebt alle 10 bis 20 Jahre neu zu kaufen ist absurd – nur weil die Industrie ein neues Speichermedium oder -format in den Markt drückt, weil sie den nächsten Reibach inszenieren will. Spätestens nach dem zweiten solchen Leerlauf hat man dazu keine Lust mehr. Schauen wir uns kurz an, was bisher geschehen ist.

Die wichtigsten dieser Schritte, für Consumer aus klangqualitativer Hinsicht:
• Vor mehr als 100 Jahren: Schellack mechanisch aufgenommen
• 1926: Schellacks elektrisch aufgenommen – enormer Fortschritt
• 1947/52: Bandmaschine (nur in Deutschland seit 1940), LP und Single – enormer Fortschritt
• 1957: Stereo –  wenig Fortschritt
• 1963: Compact Cassette und Walkman (seit 1979) –  Rückschritt, aber mobil
Nun erfolgte der Wechsel von der analogen zur digitalen Domäne.
• 1982: Red-Book-CD –  Rückschritt, verglichen mit LP
• 1995: MP3 – Rückschritt, aber Internet-tauglich
• 1999: AAC, das bessere MP3 – etwas Fortschritt
Das ist eine vereinfachte Übersicht. Weniger erfolgreiche Formate fehlen.

Seit Jahren machen nicht mehr neue technische Formate von sich reden, sondern neue Distributionswege im Internet. Der iTunes store bietet erst seit rund zwei Jahren akzeptable Klangqualität. Aber diese proprietäre Lösung wird sich kaum ewig im Markt halten. Irgendwann werden andere Player im Markt diesem Beinahequasimonopol bessere Lösungen gegenüber stellen. Noch nicht etabliert sind hochauflösend Formate auf der Basis von PCM oder DSD. Hier fehlt ein gemeinsamer Standard der grossen Player im Markt. Und die vorhandene Repertoire-Bandbreite des Sortiments ist lächerlich.
# http://www.focalpress.com/books/details/9780415656856/

Aber was soll dieser ganze Zinnober? Angesichts der Tatsache, dass der grösste Teil des Repertoires der EdO in sämtlichen digitalen Formaten so wie das heute lieferbar ist schlechter klingt, als eine ungespielte Schellack elektrisch aufgenommen und abgespielt auf optimaler Technik dafür. Die technologisch-qualitative Situation betreffend Restaurationen des Genres Tango Argentino der EdO ist seit Jahren absurd. Das Problem beschränkt sich aber nicht auf die digitale Domäne. Viele LP-Editionen der Aufnahmen der EdO ab den 60ern wurden unter anderem mit künstlichem Hall verunstaltet ihrer Qualitäten beraubt. So was lässt sich nicht wegfiltern. Das kaschiert die auf Schellacks vorhandenen Raumreflektionen des Aufnahmeraums, was der Aufnahme jegliche Authentizität raubt. Das Resultat klingt tot.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 4: Betreffend 78er beziehe ich natürlich nicht mechanische Grammofone mit stahlnadelbestückten Tondosen, wie manche DJs ohne jegliche tontechnische Kompetenz und ohne jegliches Bewusstsein für Kulturgut sie zur Zerstörung von Schellacks an Milongas einsetzen. So was kann man nur als maximal-invasive Hornochserei bezeichnen. Bereits Ende der 20er kamen elektrische Abspielgeräte auf den Markt, die ohne Stahlnadeln abtasten.

Natürlich fürchtet sich die Musikindustrie davor, nochmals einen gemeinsamen Standard für ein unkomprimiertes digitales Format auf den Markt zu werfen, klanglich besser als die Red-Book-CD. Denn das könnte garantiert bereits nach kürzester Zeit wieder verlustfrei kopiert werden. Proprietäre Lösungen wie Apples iTunes Store können wie gesagt diese Aufgabe wie jedes Quasi-Monopol nicht erfüllen. Das zeigt: Die Unterhaltungsindustrie hat aus dem Betamax-versus-VHS-Debakel und anderen Gockelkämpfen betreffend Formatstandards gar nichts gelernt.

Hier zugunsten von verlustbehafteten Formaten Mobilfunkbedürfnisse ins Feld zu führen, geht vollends am Ziel vorbei: Thema in diesem Thread sind eigentlich Defizite betreffend Lautheit und Frequenzverlauf an Milongas. Dort wird nicht mit Handys beschallt, zumindest nicht von DJs mit einem halben Funken Verstand.

Sowie es im Tango Argentino unter DJs weniger Nullcheckerbunnys geben wird, wird der Prozentsatz positiver Nachrichten ganz von allein grösser werden. Ein erfreuliche Situation kann man weder herbei reden noch herbei ignorieren. Best Practice in einem Blog dargestellt kann diese Probleme kaum lösen. Das lässt sich eher im Rahmen persönlicher Begegnungen lösen. Für jedes andere Vorgehen liegt zu viel im Argen. Das Dilemma beginnt beim Thema Klangästhetik und bereits hier helfen nur konzentrierte Einzel- oder allenfalls Kleingruppenabreibungen im persönlichen Kontakt im Rahmen von einzwei Tagen ohne Unterbruch oder Ablenkung. Und auch dann ist bereits das eine Knacknuss, die nur gelingen kann, wenn die Teilnehmer unvoreingenommen an die Fragen heran gehen.

Wer als DJ bei mir umfassenderes Knowhow abholen will – dafür gibt es meinen TJ-Workshop ohne jegliches Infotainment. Der dauert nicht wenige Stunden sondern mehrere Tage, weil er das ganze Spektrum an Anforderungen abdeckt. Weil beim DJing alles mit allem zusammen hängt. Diesen Workshop gibt es nicht zum Nulltarif. Darauf sollte man sich vorbereiten. Das ist richtig schwere Kost. Dabei wird niemand gepampert, weil das nicht zielführend ist. Und man bekommt Hausaufgaben für mindestens ein Jahr völlige oder zwei Jahre halbe Freizeitblockade.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 5: The great Gatsby fusst auf dem gleichnamigen Schlüsselroman von Fitzgerald über das Zeitalter der roaring twenties mit seinen enormen gesellschaftlichen Umbrüchen. Dieser Roman wurde für Kino viermal verfilmt. Ich halte die von dir thematisierte 3D-Neuverfilmung von 2013 nicht für besonders gelungen. Aber so was ist Ansichtssache. Einen Schlüsselroman des 20. Jahrhunderts zu verfilmen ist immer eine Gratwanderung. Ich bezweifle, dass die Musik der 20er-Jahre beim jungen Kinopublikum von heute ein deja vu evoziert. Im Gegenteil, für diese Generation ist das alte Musik, welche sie kaum kennt. Für diese Generation wäre das Alte daher neu und überraschend. Der vermeintlich moderne Soundtrack dieser Verfilmung ist ein Mix aus Hip-Hop und anderem von heute. All das kennt diese Generation zwangsläufig bestens. Hiphop gibt es ja nicht erst sein fünf Jahren. Man könnte daher aus Sicht dieser Kinobesucher von einem alten Hut sprechen.

Die Musik der 20er als archäologische Fundstücke zu verorten – nein Wolfgang, da scheint es dir an Horizont zu fehlen. Das ist einfach nur ignorant und das hätte ich von dir so nicht erwartet. Oder ging es dir nur darum, zu provozieren? Zum selben Aspekt noch mehr an Thema vorbei schrammt deine unmittelbar daran anschliessende Aussage: „Emotion vor Analytik.“

Lass uns zu beiden Aussagen einen konkreten Vergleich anstellen – mit zwei Klassikern: Nehmen wir Ellingtons Schellack „East St. Louis Toodle-Oo“ von 1927 und vergleichen das mit Snoop Doggs LP„Doggystyle“ von 1993, beides Aufnahmen Schlüsselwerke dieser Musiker aus deren Frühzeit und zu ihrer Zeit kolossale chart breaker: „East St. Louis Toodle-Oo“ erreichte in US-Charts Platz 10 (kein Bezug zum Magazin Billboard, welches erst 1935 Charts zu veröffentlichen begann) – Doggystyle erreichte in den US-Charts Platz 1.

Auch wenn ich kein Fan von Hiphop bin, kann ich Faszination für dieses Genres durchaus nachvollziehen. Während drei Jahren hatte ich immer wieder spannende Kontakte mit einem Musiker dieses Genres. Die Situation im Kontext meiner beruflichen Tätigkeit für ein Theater hatte die Qualität umfassender Werkstattbesuche. So bekam ich tiefe Einblicke in diese Welt. Dieser Musiker wird nie Chart-Plazierungen erreichen. Trotzdem ist das im Rahmen des Genres tolle Musik. Dir muss ich kaum erklären, dass es viele exzellente Musiker gibt, die nie grosse Erfolge feiern werden. Ich bin in Sachen Hiphop also kein extraterrestrischer Hampel. Ich habe mir dieses Genre mit Neugier und Sympathie angeschaut.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 6: Und nur zum Vergleich. Mach Dir den Spass, eine halbe Stunde zu investieren. Ich habe das auch gemacht. Als erstes fällt auf, wie sehr „Doggystyle“ in 20 Jahren gealtert ist. Gemäss dem Magazin „Rolling Stone“ war das eins der einflussreichsten Alben der 90er. „East St. Louis Toodle-Oo“ wirkt dagegen immer noch musikalisch frisch. Wenn du anstelle der Aufnahmen von 1926 jene von 1928 heranziehst, klingt es noch frischer – so frisch wie eine vollreife Himbeere, genau richtig um sie mit der Zunge langsam zu zerquetschen. Und du weisst bestimmt, wie schnell eine vollreife Himbeere hinüber ist. Keine Ahnung wie Ellington dieses Kunststück geschafft hat. Das ist atemberaubend.

Egal welchen Titel du auf „Doggystyle“ wählst, um ihn mit dem einen Titel von Ellington hörend zu vergleichen: Am Ende kommt betreffend der von dir in Spiel gebrachten Emotion jedes Mal das selbe Resultat heraus, mit geradezu brutaler Eindeutigkeit. Immer vorausgesetzt der musikalischer Horizont eines Musikliebhabers ist breit genug, um Jazz und Pop/Rock, Klassik und Tango und einigen anderen Genres ein gemeinsames Dach über den Noten zu geben.

Die elektronisch generierten Beats des Hiphop können es betreffend Emotion in keinster Weise mit dem phänomenalen Können Ellingtons und seiner Musiker aufnehmen. Das ist keine Frage des Geschmacks. Dazu gibt es konkrete Parameter, die sich jedem erschliessen, der sich die Mühe macht hinzuhören. Konkret: Wie sollte die Monotonie computer-generierter Loops mit ihrer roboterhaften Präzision auf zweidrei Stellen hinter dem Komma es mit Vollblutmusikern aufnehmen, die zu einer verschworenen Gemeinschaft verschweisst den Takt ständig spielerisch handhaben und so jegliche Langeweile im Keim ersticken, weil alles ständig im Fluss ist, lebendig bleibt, uns überrascht, inspiriert und aufweckt. Und dazu diese unbändige Spiellust: hot aus Spass anstatt cool aus Prinzip, das Leben geniessen anstatt eine Rolle auszufüllen. Oder auf einen kurzen Nenner gebracht: sein anstatt scheinen. Drogen waren und sind übrigens in beiden Genres ziemlich weit verbreitet. Diese Ausrede betreffend Qualitätsunterschiede zieht daher gar nicht.

Jazz und Tango Argentino verbindet eine gemeinsame Entwicklung, die enorme Auswirkungen hatte. Als die Musik beider Genres gegen Ende der 40er allmählich von Hot zu Cool wechselte, ging die Tanzbarkeit verloren und damit verloren beide Genres in ihrem Kulturkreis die Machtposition von Genres, die nicht nur zum Mainstream gehörten sondern zeitweise bestimmten, wohin Mainstream sich bewegte.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 7: In BA wurde ab Mitte der 50er auf Grund des Putsches kaum mehr Tango Argentino getanzt. Das war eine ziemlich abrupte Kehrtwendung ohne Alternative, falls man nicht zum gesellschaftlich Geächteten werden wollte. Unter den Links auf meiner Web Site www.argentango.ch gibt es das PDF eines Booklets, in dem Cacho Dante erzählt, wie er in dieser Zeit des Tango-Niedergangs in BA gesellschaftlich zum schikanierten Aussenseiter wurde, jeglicher Willkür faschistischer Obrigkeit schutzlos ausgesetzt.
# http://cinema.argentango.ch/tango/pdf/Argentango-Milonga-5-Booklet.pdf

In den USA und in Argentinien hat sich das Interessen nachwachsender Generation bis Mitte der 50er schnell auf andere, neue Genre gerichtet, die tanzbar waren oder geblieben sind. Tanzbarer Tango Argentino hat in diesen Jahren die Bühne des Mainstream endgültig verlassen und mutierte zu einem konzertanten Gerne mit egozentrisch-expressiver Attitüde. Das mag gefallen oder auch nicht. Aber tanzbar ist das für einen Durchschnittstänzer nicht mehr. Und Jazz wurde vom Massenphänomen für Tanzwütige zur Musik westlicher Intelligenzija.

Ob Filme die mit Mechanismen wie Immersion arbeiten den Zuschauer mit Gewohnten einlullen oder mit Ungewohntem aufwecken – das ist eine Frage über die wir zwei hier monatelang debattieren können. Das kann für einen Film interessant sein oder auch nicht. Es hängt von der Prägung der Zielgruppe und von den Zielen der Macher ab.

Als Konzept für traditionelle Milongas halte ich so was allerdings für kulturverballhornend. So ein ultralibertärer Hopser an Milongas kann nur mit einer kapitalen Bauchlandung enden. Eine traditionelle Milonga ist kein Kinosaal für Mainstream. Mir ist auch noch kein Spinner bekannt, der ein Auto aus den 20ern mit dem Innenraum eines Autos von heute ausgestattet hat, damit heutige Benützer sich sofort in vertrautem Umfeld wähnen. So was würde schon nach wenigen Metern schief laufen, weil die Kombination von trampelnden Starrachsen und schmalen Diagonalreifen so eine Mutantenkarre subito aus der ersten scharfen Kurve tragen und das Experiment abrupt beenden würde.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 8: Trotzdem können wir das Thema Immersion gerne genauer betrachten. Lass uns dazu den Horizont etwas weiter aufmachen und einen Blick auf Coppolas „Cotton Club“ von 1984 werfen, dessen Handlung wie die von „The great Gatsby“ ebenfalls in den 20ern angesiedelt ist. Für den Soundtrack zeichnet John Barry verantwortlich, der dafür Arrangements von damals angepasst hat. Filme profitieren immer davon, dass die Wahrnehmung unserer Ohren von der unserer Augen dominiert wird. So betrachtet begeistert dieser Soundtrack beim ersten Mal durchaus. Und trotzdem fehlt was, auch wenn nicht jeder sofort sagen kann, was das ist. Das wird klar, sobald man zB den Titelsong des Films mit der Vorlage vergleicht: Ellington hat „The Mooche“ im Oktober 1928 für drei Label fünf mal aufgenommen. Ich beziehe mich hier auf seine letzte Aufnahme, jene für RCA-Victor.

Natürlich ist die Aufnahmequalität bei Barry besser. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie akademisch Barry hat musizieren lassen. Ellington, 1928 bis 31 Hausorchester im Cotton Club, hatte in diesen frühen Jahren einen aufmüpfigen und kohlrabenschwarzen, erdigen und eruptiven Klang –  jungle music pur. Bereits die Erinnerung daran jagt mir in diesem Moment einen wohligen Schauer über den Rücken. Verglichen damit ist Barrys Hollywood-Version ist lediglich ein müder Abklatsch. Kommerziell gut gemacht, keine Frage, aber ein Abklatsch eben. Das wird kristallklar, sobald man zum Vergleich nicht den Film anschaut sondern den Soundtrack mit der Vorlage nur hörend vergleicht. Bei Barry fehlt schlicht die unbändige Spiellust des Originals, die es Menschen mit einem Fünkchen Temperament beinahe unmöglich macht still sitzen zu bleiben.

Hätte Coppola für diesen Film das von dir propagierte Prinzip der Immersion eingesetzt, wäre ein womöglich ein Soundtrack mit Barry Gibs Falsett entstanden. Und darüber könnten wir heute höchstens lachen, ganz egal ob man damals auf die Bee Gees stand oder nicht. Hätte das dem Film damals mehr Erfolg verschafft? Wir wissen es es nicht. Immersion ist in so einem Kontext allerdings immer eine Eintagsfliege, weil auf extreme Weise dem Zeitgeist verpflichtet eine Verbindung schaffend, der höchstens wenige Jahre funktionieren kann. Und schlussendlich zeugt sie daher nach einer Weile fast immer von mangelndem Horizont. Ich sage voraus, dass deine Gatsby-Verfilmung in zehn Jahren genau so wahrgenommen werden wird: zu klein gedacht, zu mutlos agiert. Populär um jeden Preis ist höchstens momentan erfolgreich und auch das nur moderat.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 9: Ähnliche Mechanismen kann man längst auch im Bereich von E-Musik beobachten. Und auch hier haben sie ihren Preis. Seit Jahren stehen zB Opernproduktionen hoch im Kurs, in denen die historische Handlung in die heutige Zeit oder ein abstraktes Setup transferiert wird. Romeo begegnet Julia im Atomkraftwerk, Carmen leidet im Innern eines Schuhfachgeschäfts, Tosca durchquert den Taklamakan zu Fuss. Solange Musik und Gesang dafür nicht zurück stecken müssen, ist gegen so eine dramaturgische und bühnenbildnerische Variation für einmal nichts einzuwenden. Wenn solcher Firlefanz für Erfolg im Genre aber unabdingbar wird, und davon kann man in Zürich mehr als nur ein Lied singen, legen wir uns damit ein Kuckucksei mit Dinosaurierdimension.

Nehmen wir zB Rizzis „La Traviata“ von 2005 in Salzburg, eine Produktion die mit ihrem modernen und puristischen Bühnenbild ein grosser Erfolg war. Schaut man sich das an, gefällt das im ersten Moment durchaus. Die Netrepko bietet passend zum Zeitgeist viel Bühnenpräsenz. Aber wie sieht es denn gesanglich aus? Wie gut ist die Netrepko tatsächlich? Vergleicht man diese Aufnahme mit der Traviata-Interpretation der Callas von 1953, sieht die Bilanz ganz schnell ganz anders aus. Und damit haben wir lediglich einen einzigen Aspekt geklärt.

Wenn man zum Vergleich auch hier wieder nur hört und nicht schaut wird sofort klar, was der Produktion von 2005 fehlt. Die Netrepko macht gesanglich nichts verkehrt. Das ist passables Handwerk. Aber gesanglich gibt es keinen Grund, sich diese Produktion ins Regal zu stellen oder auf Festplatte zu speichern, weil es genug Besseres gibt. Brauchen wir so was? Wenn es mithilft, den heutigen Kulturbetrieb am Leben zu erhalten, warum nicht – falls so was nicht zur Regel wird. Daher so was bitte ehrlich etikettieren und wo angebracht ohne falsche Scham mit einem angemessenen Ablaufdatum versehen, damit wir mit der Zeit nicht die Orientierung verlieren.

Wenn im Kulturschaffen das Kernanliegen eines Genres –  und das kann im Genre Oper zwangsläufig nur Musik und Gesang sein – zum Nebenschauplatz degradiert wird, weil sich damit kurzfristig mehr Kasse machen lässt, demontieren wir dieses Kulturgut allmählich und unaufhaltsam, anstatt es am Leben zu erhalten. So was ist nicht Weiterentwicklung sondern Sackgasse. Dann koppeln Menschen mit Anspruch und Durchblick sich zu Recht ab. Sie haben gar keine andere Wahl. Zudem überlebt kein Genre solche Machenschaften langfristig ohne gravierenden Schaden zu nehmen. Tango Argentino kann davon ein Lied singen. Bei kontemporären Tango-Musikern ist das auch nicht anders. Solange diese Musiker Tanzbarkeit keine Priorität einräumen, können sie nicht Mal davon träumen, auch nur annähernd an die Leistung ihrer Vorbilder der EdO anzuknüpfen. Denn die waren sich dafür nicht zu schade. Da helfen auch keine Sprüche von wegen Asche oder Feuer von Kommentatoren, welche die Quelle dieses Bonmots nicht kennen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 10: Im Gegensatz zur von dir propagierten Immersion halte ich andere Mechanismen die nicht auf Negierung und Substitution aufbauen für vielversprechender, wenn zwischen Generationen musikalisch vermittelt werden soll. Wo Vertreter unterschiedlicher Genres sich die Mühe machen auf einander zuzugehen, können Aufnahmen entstehen die den Genre-Horizont von Musikfreunden erweitern und neugierig auf mehr von etwas machen das bisher fremd war. Immer vorausgesetzt man geht künstlerisch wie persönlich respektvoll miteinander um anstatt den anderen, respektive ein anderes Genre zu instrumentalisieren, wie das im Tango Argentino weit verbreitet ist.

Schauspieler Danny Aiello und Songwriter Damon Hasan haben in Folge einer zufälligen Begegnung in einem Aufnahmestudio zusammen das Album „Bridges“ realisiert, in dem zwei Genre Verbindung aufnehmen, die sich sonst Spinnefeind sind. Nun kann man einwenden, Aiello sei kein toller Sänger – geschenkt, der Mann war beinahe 80 als dieses Album entstand. Trotzdem transportieren diese Aufnahmen und vor allem diese Version von „Besame Mucho“ Qualitäten, welche die Schwächen vergessen lassen. Schau dir auch das dazu gehörige Musikvideo an. Die beiden Musiker schaffen tatsächlich Brücken. Und das ist Tanzmusik. Das alles ist nicht weltbewegend und wird musikalisch langfristig kaum Bestand haben. Aber es ist konstruktiv. Und der Spass den die zwei dabei hatten kommt eins zu eins rüber.
# https://www.youtube.com/watch?v=UBoU3I4Ti9E

Natürlich ist es ziemlich komisch, wenn Tänzer an einer Milonga trotz genügend freien Raums d’Arienzos oder frühe Troilos, frühe Laurenzens oder di Sarlis der 40er mit den immer gleichen Minimalbewegungen tanzen und die Ronda sich dann immer noch im Zeitlupentempo bewegt. Obwohl sogar das passend umgesetzt werden kann. Dazu sollte man aber ein verflixt guter Tänzer sein. Noch gehen dabei zu oft Musikalität wie Tanzspass flöten. Noch komischer ist es allerdings, wenn Tänzer sämtliche Orchester mit der selben Anmutung im immer selben Trott tanzen.

In BA wurden diese Dinge damals natürlich nicht überall so langweilig und monoton praktiziert, wie das manche Traditionalisten heute leider verwurstet sehen wollen. Im Microcentro, wo sich Tänzer aus allen Barrios begegneten, gab es meist wohl tatsächlich nur Platz für minimalistische Bewegungen. Im Norden der Stadt dagegen, wo die Mehrbesseren wohnten, gab es genug Tanzschuppen mit reichlich Platz auf dem Parkett und in Nachbarschafts-Milongas sowieso. Dort konnte man zB di Sarli in langen Geraden tanzen, was nicht nur dieser Musik sehr entgegen kommt.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 11: Ich kann verstehen, dass du die eine oder andere Aufnahme der EdO irgend wann leid bist. Wenn an einem Encuentro mit fünf Milongas die zwar schöne aber längst zu Tode genudelte Aufnahme Canaros von „Poema“ oder di Sarlis 56er-Version von „Nuevo Puntos“ an jeder einzelnen Milonga zu hören ist, ist das ein enormes Ärgernis. Solche Aufnahmen mag auch ich nicht mehr hören, obwohl sie eigentlich schön wären. Solche Ärgernisse verursacht aber nicht die tolle Musik, sondern unsichere, inkompetente DJs. Solange Tänzer diesen DJs nicht die rote Karte zeigen, kann sich daran aber nichts daran.

Momentan werden von DJ zB drei Aufnahmen ohne Rücksicht auf Verluste zu Tode genudelt. Obwohl mausetot sind die längst, man könnte bereits von musikalischer Nekrophilie sprechen. Gemeint sind Canaros „Invierno“ – OTVs „Bajo el Cono azul“ – und diese obskure Aufnahme aus Uruguay: Pellajeros „Mi vieja Linda“, unüberhörbar ein Tango-fremdes Musik-Genre.

Allerdings beobachte ich in diesem Zusammenhang schon länger was Interessantes und das wiederum – ganz wichtig – ist nicht auf dich gemünzt: Vier von fünf Tänzer, die genau wie du dieses Argument der Übersättigung vorbringen, tanzen gar nicht zur Musik. Da stellt sich die Frage, warum diese Tänzer manche Aufnahme nicht mehr hören können. Denn mit ihren Tanzen hat das definitiv nichts zu tun. Wie kann man von etwas genug bekommen, auf das man tänzerisch gar nicht eingeht? Erst nach zwei längeren und schwierigen Gespräch mit Betroffenen und einigen Wochen Beobachten wurde mir klar, was da schief läuft.

Figurenbolzer bekommen immer dann Probleme mit einer Aufnahme der EdO, wenn sie die endlich so oft gehört haben, dass sie damit demnächst vertraut werden könnten. Nun wird es immer schwieriger, die Musik zu ignorieren. Saudumm – denn genau hier und erst hier würde Tango Argentino tanzen beginnen. Diese Tänzer stehen an der Schwelle zum Einstieg und verweigern sich dieser Chance total. Weil man ihnen nie beigebracht hat, wie man damit umgeht. Die Verantwortung dafür tragen also die Lehrer. Klar muss für diese Tänzer daher jedes Mal ganz schnell was Neues her. Damit das Tango Argentino spielen keinesfalls durch Tango Argentino tanzen abgelöst werden muss. Neo oder Na, Non oder Nie, oder was auch immer für ein Nonsens ist in diesem Moment egal. Hauptsache ihr Tanzen wird nicht verbindlich und es geht nicht ans Eingemachte.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 12: Musik hören und Musik tanzen sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Klar kann man zu allem was sich zur Not irgendwie in einen Viervierteltakt quetschen lässt verzagt bis vehement takthopsen. Aber mit Tango Argentino tanzen hat das nichts zu tun, ganz egal wie viele Vocadas, Boleos und Torpedos dabei hyperventilierend eingebaut werden. Warum sich für durchschnittlich begabte Tänzer – und die bilden nun mal an praktisch jeder Milonga die tonangebende Mehrheit – nur Musik der EdO dazu eignet tatsächlich Tango de Salon zu tanzen, wäre ein Thema für einen völlig anderen, eigenen Thread. Vielleicht schreibt Cassiel irgendwann mal einen Beitrag zu diesem brandaktuellen Thema. Ich würde mir das sehr wünschen.

Musik als Gewürz zu bezeichnen, führt in die Wüste, weil sich damit viele Analogien bilden lassen, die nicht zutreffen. Für Tanz ist die Musik kein Gewürz, sondern die eine, zentrale Voraussetzung: Provokation, Basis, Wonne, Orientierung, Motor, Hintergrund, Lust, Fundament, Inspiration, Herausforderung, Führung, Labsal, Verführung, Überforderung und noch viel mehr. Tänzer die Musik nicht pur und in grossen Mengen konsumieren, ja geradezu mit dem ganzen Körper hemmungslos verschlingen und davon Zeit ihres Lebens nie mehr genug bekommen können, können unmöglich zur Musik und sicher nicht gut tanzen.

Seinen Tanz mit ein klein wenig Musik anderer Genres zu würzen, und das noch nicht mal pur – was für eine fader, armseliger, inspriationsloser Abklatsch – lenkt höchstens die Überflieger unter den Tänzern nicht ab. Und von denen gibt es nur ganz ganz wenige. Fast anderen verlieren dabei die tänzerische Orientierung und verstricken sich in einem intellektuellen Figurensalat. Vielleicht sieht es daher an vielen Milongas mit dem Tanzspass so trist und autistisch aus.

Es ist das alte Thema: Will man lediglich den kleinen Zehen ins Wasser halten und sofort klönen: uäääää, wie nass und kalt und fremd und überhaupt. Oder watet man ohne nachzudenken durch das Flachwasser, um dort wo das Meer schnell tiefer wird ohne weitere Fiesematenten lustvoll in die Tiefe abzutauchen ins tänzerische Paradies oder wenigstens schnorchelnd eine Idee davon zu erhaschen, was Tango Argentino, Tango de Salon tatsächlich ist. Klar muss man dazu zuerst hinaus waten und sich dann ins kalte Wasser stürzen. Aber genau darum geht es. Alles andere ist aus meiner Sicht feig – und lustfeindlich sowieso.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 13: Diesen Schritt ins Unbekannte nicht zu tun wäre wie wenn man seinem Gegenüber nie in die Augen schauen, beim Kochen nie die Herdplatte einschalten, zum Lesen nie die Augen öffnen, beim Fotografieren nie auf den Auslöser drücken, beim Rasieren nie das Messer ansetzen, beim Klavierspiel nie die Tasten berühren, beim Autofahren nie das Lenkrad drehen, beim iPod nie den Kopfhörer einstöpseln, seinen Seelengefährten nie in die Arme nehmen würde – und damit gar kein Leben im eigentlichen Sinn zulassen würde.

Trotzdem finde ich den Austausch mit dir interessant. Oft sind es einzelne Sätze oder Satzteile nur, die den Eindruck erwecken, dass wir sehr weit auseinander liegen. Ob dem schlussendlich tatsächlich so ist –  ich weiss es (noch) nicht.

herzlich –  Christian

Christian Tobler hat gesagt…

@ Haribold,

zu behaupten, das Thema Lautheit habe etwas wenig mit Tango zu tun ist so absurd, wie die Behauptung das Thema Autofahren habe nichts mit den Thema Tempo zu tun. Das ist kein Expertenthema. Es betrifft jeden Tango-Argentino-Tänzer ganz unmittelbar und persönlich.

herzlich –  Christian

Wolfgang_wi hat gesagt…

@Christian,

ich bewundere Deine Geduld und Hingabe - muß allerdings anmerken, daß sie für mich teils nur schwer von Verbissenheit zu unterscheiden ist.

ich gehe mal davon aus, daß Du nicht für mich schreibst, ebenso wie ich nur für Dich schreibe. Das ist der Grund, weshalb ich doch noch mal zur Tastatur greife.

Nein,. auf dieses MP3-Thema gehe ich jetzt nicht nochmal ein. Dazu ist bereits alles gesagt. Nur zwei Anmerkungen. a) Schallplatten. Vor einiger Zeit habe ich meiner Tochter mal zeigen wollen, wie man früher Musik gehört hat, und den Analogplattenspieler ausgepackt. da wußte ich nach ganz kurzer Zeit wieder, warum diese Dinger zu recht (fast) von der Bildfläche verschwunden sind. das ewige Theater mit dem Staub, und die enorme Empfindlichkeit gegen so ziemlich alle Einflüsse von außen, beides nur einigermaßen in den Griff zu bekommen durch aufwendige Zeremonien, tonnenschwere Setups und dergleichen. Von daher fand ich dann deine etwas selektive Auflistung der Lossy-Formate vs Analogträger etwas seltsam.

Ebenso sind Deine Ausführungen zu neuen Formaten reichlich inkonsistent; immerhin bist Du Dir offenbar doch der Tatsache bewußt, daß es digitale Formate gibt, die den analogen überlegen sind.

Zum Schluß noch eine Anmerkung zu Gatsby. Mir ist egal, der wievieltbeste Remake das ist, der Film selbst geht mir einigermaßen am Gesäß vorbei. War aber auch nicht der Punkt. Es geht darum, daß die Muskikwahl in der Partyszene beim heutigen Zuschauer eine emotional korrektere Abbildung des damaligen "Feelings" sein dürfte als die historisch korrekte Zwanziger-Musik. Und da wir jawieder aus den Gefilden des Codec-War-Reenactments zum Tango zurückkommen wollen (ich jedenfalls) darfst Du dann selbst entscheiden, ob das auch was mit dem "Tango-Feeling" zu tun haben könnte.

Christian Tobler hat gesagt…

@ Wolfgang Wi,

Teil 1: Das mit der Verbissenheit ist ein heikles Argument. Dasselbe könnte ich genauso gut dir vorwerfen. Das bringt unsere Debatte keinen Schritt voran. Ich würde eher sagen, wir sind beide einigermassen hartnäckig. Und das halte ich für eine Qualität. Nur Argumente zur Sache könnten uns voran bringen. Du schreibst: „ich gehe mal davon aus, dass Du nicht für mich schreibst, ebenso wie ich nur für Dich schreibe.“ Gehe ich richtig in der Annahme, dass da ein Wort fehlt? Klar schreibe ich nicht ausschliesslich für dich – aber ich meine schon dich ganz konkret.

Überrascht hat mich die Beschreibung der Probleme mit deinem Plattenspieler. Mein Plattenspieler verfügt über kein tonnenschweres Setup, obwohl er damit bestimmt noch etwas besser klänge. Aber diese Kirche möchte ich im Dorf lassen. Staub gibt es bei mir daheim auf Grund der geografischen Grosswetterlage meist reichlich, angereichert durch die überzähligen Haare zweier Katzen. Trotzdem muss ich nie Zeremonien abarbeiten, um LPs zu spielen. Ich öffne lediglich den Plattenspieler, hole die LP aus der Hülle, lege sie auf den Teller, befestige sie, streife den Staub ab, positioniere den Tonarm und senke ihn ab. Und dann ist die Musik da. Magst du erzählen, was für aufwändige Zeremonien dein Plattenspieler von dir abverlangt und warum dem so ist?

Wenn ich ein Jewel Cases – definitiv eine kapitale Fehlkonstruktion –  für CDs in Händen halte, dessen Haltekrallen auf Grund der Alterung abgebrochen sind – was die CD beim öffnen rausfallen lässt – oder dessen Haltekrallen die CD auf Grund verlorener Elastizität –  die Weichmacher haben sich verflüchtigt – beim Herausnehmen nicht loslassen wollen, bin ich beinahe geneigt, LPs vorzuziehen. Die gleiten stets problemlos aus ihrer Innenhülle.

Im Gegensatz zu dir nehme ich wahr, dass Plattenspieler nie fast von der Bildfläche verschwunden sind –  zumindest nicht bei Musikliebhabern. Längst werden wieder neue Konstruktionen hergestellt, auch preiswerte Modelle für Einsteiger. Und der Markt für beste gebrauchte Geräte trocknet bei stetig steigenden Preisen immer mehr aus. Die Produktion von Vinyl-Scheiben hat sich zwar schon vor Jahren auf sehr tiefem Niveau eingepegelt – allerdings mit Jahr für Jahr stetig leicht steigender Tendenz. Dahinter stecken handfeste Gründe. Das wird die Red-Book-CDs von sich nie mehr behaupten können.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Das ist aber noch nicht alles betreffend kopfloser Neomanie. Wie viele Jahrzehnte CDs abgespielt werden können, ist noch nicht klar. So ein Materialverbund ist chemisch eine heikle Sache. Meine ältesten LPs stammen aus den 50ern. Die kann ich immer alle noch ohne jede Einschränkung abspielen, wogegen ich bereits mehrere CDs renommierter Label – vorwiegend deutsche Wertarbeit übrigens – aus den 80ern wegschmeissen musste, weil sie auf Grund von Alterungsproblemen des Materialmixes irgendwann nicht mehr spielbar waren.

Mit deiner Bemerkung zur Überlegenheit digitaler Formate hast du eine Büchse der Pandora geöffnet. Ich hoffe, du bist dir dem bewusst. Diese Äusserung ist Neomanie pur. Kein Kenner der Materie kann solches Schwarz/Weiss-Denken ernst nehmen, weil es keiner sachlichen Überprüfung stand hält. Zumal ein bestimmtes digitales Format nichts darüber aussagt, wie die damit gespeicherte Aufnahme entstanden ist oder von welcher aufnahmetechnischen Qualität sie ist. Uns interessiert hier nicht trockene Theorie, sondern handfeste Praxis – die Frage, was wir für unseren geliebten Tango Argentino der EdO daraus ableiten können.

Dass die Musikindustrie uns seit Jahren manche Red-Book-CD-aufgelöste Aufnahmen hochgerechnet als hochauflösend unterjubelt, entlarvt jede Spektralanalyse. Das nennt sich Betrug und zeigt, in was für einem desolaten Zustand die globalen Player der Musikindustrie sich inzwischen befinden. Wollen oder können sie nicht mehr erkennen, was sie tun?

Bei der Beurteilung welches Format, welches Verfahren besser klingt, spielen Zeitgeist und Aufnahmeästhetik mehr denn je hinein, beides extrem subjektive Aspekte, die von Marketing und Verkauf seit jeher dazu instrumentalisiert werden, nicht nur einfältigen Konsumenten sondern auch einfältigen Professionals zu suggerieren, dass sie den Anschluss an den Puls der Zeit verlieren und zur Lachnummer werden, falls sie nicht umgehend und ohne jegliches Hinterfragen auf den neusten Hype aufspringen und dafür viel Geld ausgeben. Solchen Machenschaften geht niemand auf den Leim, der selbständig denken kann.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Am Anfang jeder Musikaufnahme analoger Instrumente steht ohne jede Ausnahme ein analoges Mikrophon. Denn der erste Schritt – die Umwandlung eines Schallereignisses in einen elektrischen Wert –  findet immer in der analogen Domäne statt: Bewegung der Luft bewegt ein physisch existierendes Teil, das beweglich angebracht ist. Auch in sogenannt digitalen Mikros lässt sich das anders gar nicht bewerkstelligen. Danach kann der Tonmeister heute tatsächlich bei jedem Schritt entscheiden, ob er sich der analogen oder digitalen Domäne bedient oder ob er die beiden Welten über den ganzen Prozess hinweg pragmatisch mit einander verzahnt.

Beide Domänen können Vorteile für sich verbuchen – bei ganz verschiedenen Anwendungen – und mit beiden Welten sind längst exzellente Resultate möglich. Die besten Resultate erhält man jedoch, wenn man beide Domänen situativ einsetzt. So ist die digitale Domäne zB unschlagbar, wenn es um Archivierung und Vervielfältigung geht. In der analogen Domäne dagegen wurden für Studioelektronik bereits in den 60ern bei vielen Parametern die Grenzen dessen erreicht, und zwar bis auf Stellen hinter dem Komma, was unverrückbare physikalische Gesetze an Werten zulassen. Das lässt sich nicht mehr steigern. Darüber gab in Deutschland das entsprechende Braunbuch teils Auskunft. Ich gehe davon aus, dass du weisst, warum die Spezifikationen mit denen die meisten Hersteller von Audiogeräten werben bewusst so angelegt sind, dass sich daraus Nullkommanichts ablesen lässt.
# http://www.youtube.com/watch?v=BYTlN6wjcvQ

Wenn neue Audioformate auf breiter Ebene eingesetzt werden, dauert es jedesmal nochmals rund zehn Jahre, bis die Entwickler von Geräten und die diese verwendenden Tonmeister damit genügend Erfahrungen sammeln konnten, um so eine Formatspezifikation qualitativ tatsächlich auszureizen. Das war bei der CD auch nicht anders. Bei den von dir thematisierten hochauflösenden digitalen Formaten hat dieser elementare Prozess noch nicht begonnen, weil die Industrie sich bis heute auf keinen Standard einigen konnte, manche Formate inzwischen gescheitert und andere bereits obsolet sind. Falls die Industrie diesen Schritt irgendwann machen sollte – im Moment deutet darauf nichts hin – können wir deine Debatte über deren allfällige Überlegenheit zehn Jahre danach beginnen. Im Moment wäre so was Kaffeesatzlesen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 4: Bezüglich der Gefühle, die ein Film, der Immersion als Mittel einsetzt, beim heutigen Kinopublikum auslöst, habe ich mich dezidiert aber differenziert geäussert. Schade, dass Du auf die von mir aufgezeigten vollkommen anderen Möglichkeiten Brücken zu schlagen gar nicht eingehst. Ich bin der Ansicht, dass ich dazu Gesprächsstoff geliefert habe, der er wert wäre, darauf einzugehen. Auch wenn wir am Schluss vielleicht unterschiedlich Ansicht bleiben, wäre ein offen Debatte darüber eine konstruktive Sache.

Der von dir favorisierte Film, der dir plötzlich nicht mehr viel zu sagen scheint, arbeitet unter anderem mit Hip-Hop, einem Genre, das inzwischen gute 20 Jahre alt ist. Daran ist längst nichts neu und nichts innovativ. Warum Immersion eine emotional korrektere Abbildung des damaligen Feelings ermöglichen soll, erklärst du nicht. Du stellst das lediglich als Behauptung in den Raum ohne dafür stichhaltige Argumente zu liefern. Womöglich ist das schlussendlich eine Frage der Horizontbreite und -tiefe. Ich habe im Gegensatz zu dir den Eindruck, dass Immersion Barrieren auf- anstatt abbaut und damit Ignoranz und Neomanie fördert. Daher kann ich darin nichts Konstruktives erkennen. Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist sowieso dazu verurteilt, ihre Fehler pausenlos zu wiederholen.

herzlich – Christian

wolfgang_wi hat gesagt…

@Christian,

erstmal - danke, da hat definitiv ein Wort gefehlt. Es sollte natürlich sinngemäß heißen: wir beide schreiben ja vor und sicher auch für Publikum.

Bei so unstrukturiertem Text wie dem in dieser Inputbox übersehe ich leider dann doch manchmal etwas, leider läßt sich so ein Kommentar ja nach dem Abschicken nicht mehr bearbeiten.

Dieser "öffentliche" Aspekt ist auch der Grund, weshalb ich mir die Zeit nehme - weil ich finde, daß Deine Position (die ich ansonsten als Meinung völlig in Ordnung finde) ein Gegengewicht braucht. Der aktuelle Inhalt hat sich zwar etwas vom Thema Tango entfernt; ich sehe meine Schreibaktivität durchaus als eine Art Landschaftspflege.

Nichts für ungut hierbei - wir wissen beide, TJ's lassen sich nun mal von lautstark geäußerten Meinungen beeinflussen und in meiner Region sind die TJ's schon ängstlich genug, was auch nur kleine Abweichungen von "100% Tradi" angeht.

Und aus diversen Gesprächen weiß ich, daß ich mit meiner "Gewürzauffassung" nicht allein bin. Es ist wie auch in anderen Bereichen, wo mit den Füßen abgestimmt wird - wenn jemand einer Veranstaltung fernbleibt oder die Frequenz reduziert, ist dies eben nicht direkt sichtbar. Und ich bin wie schon öfter gesagt an einer dynamischen, lebendigen Tangoszene interessiert; "Überschwinger" sind ein Zeichen von Lebendigkeit und das Gegrummel einiger dann eben auch, das sollte man aushalten.

A propos Zeit - leider fehlt mir diese momentan, um den Rest Deines Textes zu lesen, aber versprochen - ich werde es "as soon as possible" tun.

cassiel hat gesagt…

@wolfgang_wi 

Da muss ich jetzt doch noch einmal intervenieren. Du schreibst: „in meiner Region sind die TJ's schon ängstlich genug, was auch nur kleine Abweichungen von "100% Tradi" angeht.“ Da möchte ich doch einmal einhaken. Warum sind sie ängstlich, was passiert denn, wenn sie von "100% Tradi" abweichen. Ich vermute es passiert gar nichts - außer das ein paar Tänzerinnen und Tänzer die gekommen sind, weil die Milonga traditionell ausgeschrieben war, diesen DJ zukünftig meiden werden (so halte ich das zumindest). Das erinnert mich stark an die Polemik von Annette Postel und da widerspreche ich energisch. Niemand wird einem DJ im Tango ein empfindliches Übel zufügen, nur weil er einen nicht-traditionellen Titel aufgelegt hat. Diese Behauptung ist Blödsinn. Wenn ein DJ solche Titel auflegt, dann muss er - erwachsen, wie er hoffentlich ist - die Folgen auch ertragen (nämlich das Nicht-Erscheinen von Tänzerinnen und Tänzern, die sich einem traditionelleren Tango verpflichtet fühlen); weitergehendes Vorgaukeln von irgendwelchen angsteinflößenden Aktionen seitens der Tänzer sind Unfug.

Ich vermute, es hat auch etwas mit persönlichem Werdegang zu tun. Was Du unter dem Stichwort Gewürzauffassung andeutest, ist für mich im Geschmack fad und öde. Wenn das jemand im Tango spielen will... Bitte sehr... nur ich mag das nicht in der Milonga hören. Also bleibe ich weg.

Nix für ungut...

Wolfgang_wi hat gesagt…

@Cassiel,

das meinte ich mit "Abstimmung mit den Füßen". Bei alldem, was inzwischen über Niedergangs-Ursachen des Tango spekuliert wurde...die "Over-Sophistication" sehe ich (falls es diesen Niedergang überhaupt gibt) als eine der wahrscheinlicheren Ursachen. Was Deine ja schon bekannte Position, eine Milonga bereits bei geringen Abweichungen von 100% Tradi für schwerwiegend kontaminiert und "bäh" zu erklären: Nichts für ungut...aber ich glaube, "der Tango" kann den Abgang eines Hardcore-Tradi-Silberrückens, so wortgewaltig er in der Szene auch sein mag, eher verkraften als das stille Wegbleiben von zehn low level-Aficionados, die Vielfalt und Leben in die Bude bringen und denen solche Fundi-Positionen auf den Senkel gehen.

Unknown hat gesagt…

Du sprichst ein, für mich sehr spanendes Problem an und obwohl dieser hier OT ist, möchte ich doch etwas darüber schreiben.

Die "Abstimmung mit den Füßen" ist ein bekanntes Phänomen, der nicht nur bei Tango gibt.
Die Spezialisierung auf bestimmte Musikrichtungen bzw. Tanzstyle mit dem wachsenden Erfahrungsschatz ist auch bekannt und nicht nur Tango-typisch. Ich gebe dir recht, das Wegbleiben einen „Hardcore-Tradi-Silberrückens“ von den lokalen Milongas (weil er garantiert wo anders tanzt) ist keine Katastrophe. Das wegbleiben fast alle erfahren Tänzer führt zwangläufig zu eine extreme Verschlechterung der Tanzniveau und dazu noch zu Bildung elitäre Gruppen, die der lokale Szene fern bleiben und entweder Reisen organisieren oder sogar eigene Sub-Szenen bilden. Diese Tendenz beobachte ich seit längere Zeit in einige lokale Szenen in Mitteldeutschland. Besonders Milongas, die durch (Tango-)Tanzschulen organisiert sind, leiden unter diese „Under-Sophistication“. Der begrenzte Bandbreite an Unterricht (verursacht durch nicht ausreichen Qualifikation der Tango-Lerer) und das Bestreben der Veranstalter eine breite Publikum auf der Milongas zu hohlen, führen dazu, dass die erfahrene Tänzer der lokale Szene wegbleiben. Ich weiß nicht was für eine lokale Szene besser ist – das Bedienen von eine, möglichst breite Publikum von „low level-Aficionados“, die die Abwechslung lieben, oder das ständige Verbesserung das Tanzniveau von möglichst viele Tänzer, was zu eine Spezialisierung sowohl des Unterrichts als auch der Veranstaltungen zwangsläufig führen wird.

Wolfgang_wi hat gesagt…

@Swetoslav, das Gleichsetzen von 'guter, erfahrener Tänzer' mit 'intoleranter Tradi-Fanatiker' wäre ein Denkfehler. So Schwarz-Weiß ist die Tangowelt zum Glück nicht.

Wolfgang_wi hat gesagt…

@Christian,

nun habe ich es geschafft, Deinen Text nochmal anzuschauen, und ein paar Punkte brauchen in der Tat noch einen Kommentar.

Ausgebrochene Plastikteile an irgendwelchen CD-Boxen sind ein Problem? Echt jetzt? Klingt ein bißchen an den Haaren herbeigezogen. So wie Ersatz für eingerissene LP-Innentaschen gibt es auch Jewel Cases im Ersatzteilhandel. Zum Beispiel.

Was Deine Vermutungen zum Grad meiner Verehrung für den Luhrmann-Gatsby-Film angeht: Wenn ich schreibe, 'das Steak in Restaurant X schmeckt mir', meine ich genau das und nicht 'alles auf der Speisekarte ist superlecker' oder 'ich möchte die Kellnerin heiraten'. Du verstehst?

Duke Ellington vs Snoop Dogg: Ehrlich gesagt finde ich beide von Dir genannten Alben nichtssagend. Das Ellington-Album klingt zudem noch schrecklich. Ich glaube, wir haben wirklich ganz unterschiedliche Musikvorlieben, das ist ja auch nicht schlimm.

Neomanie: hm. Ich empfinde den Aufenthalt auf der Ebene solcher Schwarz/Weiß-Kampfbegriffe als Zeitverschwendung, lassen wir sowas einfach weg, okay?

Aber ansonsten: Klar finde ich diese Diskussion auch unterhaltsam und respektiere Deine Ansichten, auch wenn ich sie nicht teile.

Chris hat gesagt…

Swetoslaw, we see the same specialisation here in the UK. I think it is a natural separation of two forms of dancing tango that are in fact incompatible.

What you call the low-level form is the product of the tango class teaching business model. This model must target the widest possible customer base. It is actually disadvantaged by the presence at its events of people who can actually dance tango, since they disrupt the uniformity of the community of classgoers who all share an inability to dance. Such businesses often advertise their events in such a way to deliberate discourage milonga-goers e.g. http://yhoo.it/ShnyAc . We also have events at which non-beginners are actually barred e.g. http://bit.ly/1k1FKod "a friendly, non-threatening tango party where you can practice what you’ve studied in class."

I think it is good that the separation is increasing between events for classgoers and events for milongagoers. The specilisation of the class-style dancing and milonga-style dancing will lead to more satisfaction for those that enjoy either style, and diminish the poisonous effects of the class tango business on traditional milonga-style dancing.

Wolfgang_wi hat gesagt…

Chris,

from what you wrote I assume that you perceive this kind of division as non-threatening, and I would agree. If Tango is like a house, everyone profits if this house has many rooms and the doors are not closed.

Let's be honest: Tango is more than just "Zen with bandoneon" as some of the shiny-eyed purists try to make us believe. Or to say it more direct: we look at tribal or pack behaviour, including alpha (males) and their aggressive defense of perceived threats to their status (and, of course of competition for females).

Of course, a standard source of status and elite feeling creating barriers is looking down at others but personally I think this is paltry.

Wiese alphas know that the DNA basis should be as wide as possible. Or, the number of rooms in the tango house should be as large as possible and the doors unlocked. If no other argument works, tango alpha males should consider that they need admirerers and where they can come from.

Wolfgang_wi hat gesagt…

@Chris,

sorry for the typos in the last paragraph..Tablet with touchscreen keyboard. I can do better:

Wise alphas know that the DNA basis should be as wide as possible. Or, the number of rooms in the tango house should be as large as possible and the doors unlocked. If no other argument works, tango alpha males should consider that they need admirers and where they can come from.

Wolfgang_wi hat gesagt…

@Chris,

Just in case I was not clear enough: I am aware that your description of the situation in the UK may not have expressed happiness about the “tango class” sub-subculture. To avoid misunderstanding – some of the aspects of dance schools are outright creepy (e.g. the permanent grin of competition dancers). But such classes can work as a kind of incubators – some people may find their way into “real” milongas after all. At least I don’t think little milongueros are brought by storks, don’t you?

«Älteste ‹Ältere   201 – 231 von 231 Anmerkung(en)   Neuere› Neueste»