Ich war über das vorletzte Wochenende bei einem kleinen unaufgeregten Encuentro (gute 100 Teilnehmer, 5 Milongas, kein Facebook-Hype, kein offizieller Fotograf; einfach Tango).
Inzwischen schätze ich diese kleineren Veranstaltungen (so um die 100 Teilnehmer) sehr. Wenn dann alle noch alle Teilnehmenden eine Unterkunft am Veranstaltungsort oder in der Nähe finden, dann ist es perfekt. Die Gruppe ist vielleicht dehalb genau von der richtigen Größe, weil man an einem Wochenende die Möglichkeit hat, mit allen anwesenden potentiellen Tanzpartnerinnen (bzw. Tanzpartnern) zu einer Tanda kommen zu können.
Natürlich gibt es auch unterschiedliche Ansichten zum Tango in solchen kleinen Gruppen. Dort war es beispielsweise so, dass die Musik eher energetischer war und nicht jeder/jede DJ nun exakt meinen Musikgeschmack im Tango getroffen hat. Trotzdem war der Gesamteindruck sehr gut (auch wenn beispielsweise die PA für den Tango vollkommen ungeeignet war). Aber darum geht es mir in diesem Artikel nicht.
Ich möchte hier einmal erzählen, was ich an mir selbst nach der Rückkehr von einem derartig intensiven Tangowochenende bemerke. Meine Ausführungen beziehen sich auf die Situation nach einem Encuentro, sie gelten höchstwahrscheinlich aber gleichermaßen auch für Marathons oder Festivals bzw. Festivalitos (über diese Varianten kann ich nichts berichten, da ich keine Marathons bzw. Festivals besuche).
Es dauert nach meinen Beobachtungen immer ein paar Tage, bis man wieder in seinem eigenen gewohnten Alltag angekommen ist. Unmittelbar nach einem intensiven Tangoerlebnis geht man anders durch die „normale“ Umwelt. Das fängt schon bei der Art zu gehen an. Ich habe in der letzten Woche wieder einmal bemerkt, dass ich gefühlte zwei bis drei Zentimeter größer war. Ich bewegte mich ruhiger und aufmerksamer durch Menschenmengen und meine Schritte waren entschlossener (gleichzeitig war ich aufmerksamer für den Gang der Menschen um mich herum). Mein persönlicher Radius, mit dem ich mich im Kontakt mit anderen Menschen wohlfühle, wurde temporär etwas kürzer (d.h.: ich ließ Menschen dichter an mich heran, ohne sofort meinen persönlichen Radius – beispielsweise duch einen Schritt zurück – wieder herzustellen). Und ich bemerke bzw. suche den Blickkontakt mit Mitmenschen. Das ist bei mir sehr auffällig: Ich sehe anderen Menschen viel häufiger offen in die Augen. Das führt auch zu überraschenden Begegnungen. So bin ich beispielsweise an einer Politesse in der letzten Woche vorbeigegangen und sie hat mich (nachdem ich ihr wohl direkt in die Augen geshen habe) einfach angelächelt; ähnlich erging es mir mit einigen, mir völlig fremden Menschen auf der Straße.
Und ich bin nach solchen intensiven Wochenenden gelassener, vielleicht weicher oder verletzbarer. Ich kann mich im realen Leben beispielsweise über „Vordrängler“ richtig aufregen. Mein Zeitplan ist zwar nicht so super eng getaktet, aber ich hasse es, in einem Geschäft warten zu müssen. Die Dame, die sich dann in der Metzgerei vorgedrängelt hat, habe ich einfach nur angelächelt, ich musste mir nicht einmal eine Bemerkung verkneifen – es war schlicht ok. Ähnliches gilt für den Umgang mit den rücksichtsloseren Autofahrern in meiner unmittelbaren Umgebung, wenn es jemand so eilig hat, dann soll er sich halt eben durchsetzen, es macht mir in einer solchen Stimmung nichts aus.
Nun wäre es ja vielleicht auch sehr interessant, warum ich nach einem intensiven Tangowochenede in dieser aufmerksamen Ruhe unterwegs bin. Dazu ist es möglicherweise hilfreich, ein paar zusätzliche Anmerkungen zu schreiben. Eine sehr schöne und intensive (Einzel-)Milonga reicht – bei mir jedenfalls – nicht aus, um in eine solche Stimmung zu kommen. Entweder reicht die Dosis Tango nicht aus, um derartige Glücksgefühle zu produzieren, oder es kommt an den Wochenendveranstaltungen etwas hinzu, was ebenso notwendig ist. Vielleicht leigt es einfach nur an der längeren Anreise. Alle Teilnehmenden treffen sich gleichsam in einer Urlaubsstimmung; der Alltag ist weiter weg. Und wenn man einige Male eine solche Veranstaltung besucht hat, dann trifft man Freunde wieder. Das ist jedesmal sehr schön. Eine weitere höchst sübjektive Vermutung wäre, dass es das konzentrierte Miteinander am Veranstaltungsort ist. Man lernt (neben den bereits bekannten Freunden) viele neue Menschen kennen und Begegnungen sind natürlich das Elixier im sozialen Tango. Außerdem ist der Tango (auch wenn er an einem Encuentro beispielsweise strikt traditionell ausgerichtet ist) vielfältiger in seinen Formen. Da gibt es die Eröffnungsmilonga mit allen Erwartungen der Teilnehmenden an ein schönes Wochenende. Aber jede und jeder hat noch die Anreise in den Knochen. Es ist quirlig, etwas hektisch aber freudig. Es gibt die Abendmilongas, die für mich im Laufe der Jahre immer schwieriger geworden sind (eigentlich verändere ich mich gerade zu einem großen Fan der Nachmittagsveranstaltungen). Ich beobachte bei den abendlichen Veranstaltungen regelmäßiger die festlichere Kleidung, vielleicht liegt es auch am Alkohol, der dann doch vermehrt am Abend getrunken wird. Ich kann auch nicht ausschließen, dass das fehlende Tageslicht (und damit der Kunstlichtersatz) einen Einfluss hat. Die Abende können schwierig sein. In den Nachmittagsmilongas jedenfalls finden sich wunderschöne Tandas. Vielleicht ist an dieser Stelle auch noch ein Wort zur sog. Despedida fällig. Die Despedida ist die letzte Milonga einer mehrtägigen Veranstaltung (üblicherweise am späten Sonntagnachmittag). Die Teilnehmer sind nach rund 20 Stunden Tango nun etwas müde, kennen einen Großteil der Anwesenden und jetzt kann sich der Zauber entwickeln, wenn die oder der DJ Rücksicht auf diese Stimmung ist und entsprechend einfühlsam die Musik wählt. Nach meinen Beobachtungen ergeben sich die schönsten Tänze auf dieser letzten Milonga eines Wochenendes. Da tanze ich häufiger mehrere Etagen oberhalb meines (doch recht bescheidenen) Niveaus.
Ich merke aber beim Schreiben, die Auflistung dieser einzelnen Faktoren hilft mir als Erklärungsversuch für meine Stimmung nach einem Tangowochenende nicht weiter. Möglicherweise muss ich einfach geduldig auf andere Ideen meiner Leserinnen und Leser in den Anmerkungen warten. :-)
Diese Phase nach einem schönen und intensiven Tango-Wochenende dauert bei mir üblicherweise ein paar Tage, dann habe ich mich wieder in meinem „normalen“ Nicht-Tango-Leben eingerichtet und warte geduldig auf mein nächstes schönes Tango-Wochenende. Bei mir persönlich werden das vermutlich fünf Wochenenden in den nächsten fünf Monaten sein; weiter habe ich noch nicht geplant.
Um meine Schilderung zu vervollständigen muss ich vielleicht auch noch die von mir empfundene Post-Encuentro-Depression erwähnen. Die bricht komplett bei der ersten Milonga in heimischer Umgebung nach einem intensiven Tangowochenende aus. Inzwischen kenne ich das Phänomen und kann damit halbwegs ordentlich umgehen. In der gewohnten Tangoumgebung will nichts so richtig gelingen. Die Rempeleien sind häufiger und es bedarf einer ordentlichen Portion psychischer Energie um diese Milonga zu überstehen. Das ist schade, aber nach meinen Beobachtungen kaum zu ändern. Die nächste Milonga in heimischer Umgebung wird dann wieder deutlich besser.
Vorsorglich möchte ich betonen, dass ich mit diesem Artikel nicht den Aufschlag für eine weitere Encuentro/Gegen-Encuentro Diskussion machen wollte. Es ist einfach ein spontan, in der Mittagspause geschriebener Text. Die Phänomene habe ich aus meiner Sicht beschrieben und das ist eben die Situation nach einem Encuentro. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass es ähnliche Selbstbeobachtungen nach Marathons bzw. Festivals gibt. Deshalb ist eine Neuauflage des mittlerweile offensichtlich wieder salonfähig gewordenen Encuentro-bashings in den Kommentaren nicht notwendig.
10 Anmerkung(en):
Nun, ob Tangowochenende oder ein anderes Erlebnis mit einem intensiven Zwischenmenschlichen Kontakt öffnet die Menschen. Ich kenne die Erlebnisse nach gelungenen Tangowochenenden oder Tangourlauben. Eigentlich sucht der Mensch die Nähe zu anderen. Wenn dies auf positive Weise passiert geht es Dir einfach gut einschließlich mit den von Dir beschriebenen Erlebnissen danach.
Wir sind es im normalen Alltag einfach nicht mehr gewohnt nah mit anderen zu sein. Das macht natürlich auch verletzlich und sensibel im positiven wie im negativen Sinne.
Die Nähe sollte eigentlich der Normalzustand sein.
.... hinein ins lange Tango-Wochenende ;-)
Ein langes 3 Tage Tango-Wochenende steht bevor und ich möchte Dir lieber Cassiel kurz beschreiben, was ich mir erhoffe und worauf ich mich danach einrichte.
Meine Partnerin und ich werden uns in einem doch recht geschützten Rahmen bewegen. Die meisten Menschen werden freundlich aufeinander zugehen, gut miteinander umgehen. Möglicherweise gibt es ein paar Ausreißer - aber das sind höchstens Wolken am sonst blauen Himmel. Wir werden mit Sicherheit die eine oder andere schöne und noch schönere Tanda tanzen. Auch ich habe beobachtet, dass die Qualität des Tanzes mit den Tagen steigt. Die Verkrampfungen die wir aus dem Alltag mitbringen lösen sich. Die beiden Gehirnhälften sich ausreichend synchronisiert. Die Umgebung wird vertrauter. Der Abschied naht und das Gefühl ".... oh Augenblick verweil, du bist so schön" wird dadurch noch stärker.
Dann zurück noch tagelang die gute Energie, die man getankt hat. Zufriedenheit und Ausgeglichenheit, die auch die Umgebung spürt. Sehr bewusster Umgang mit den Praktikas und Milongas in der Heimatregion. Erwartungshaltung gaaanz bewusst auf ein reales Maß trimmen.
Der Alltag hat uns wieder und die Such(e/t)beginnt.
In Wahrheit alles ganz normal. Deshalb tanzen wir Tango, deshalb lassen wir nicht los. Dafür investieren wir - in Musik, Emotion, Diskussion, Übung.
Ja, so eine Welt ist schon etwas wert. So versuche ich auch ständig etwas davon in die andere Welt mit hinüber zu bringen. Aber zu dieser (D)Tankstelle kehre ich immer gerne zurück.
So sind sie halt die Tangosüchtler
Alles Liebe
Snoop
@Snoop
Nur ganz kurz: Ich wünsche hinreißende Tandas und keine Wolken am (bzw. im) Tangohimmel. ;-)
Für mich ist Tango Meditation. Fokussierung auf hören und fühlen. Durchlässig werden. Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass sich meine Gehirnwellen verändern...
Von daher wundert es mich nicht, dass deine Nachwirkungen dem eines Meditationswochenendes ähneln.
Lieben Gruß
Chris
Willst du nicht zum Riedel schreiben? Sieht so aus, als ob du da deine andere Seite zeigst.
http://milongafuehrer.blogspot.at/2016/05/der-tragodie-zweiter-teil.html
@Anonym
Den Artikel bei Gerhard Riedl hatte ich noch gar nicht gesehen und eigentlich möchte ich mich nach der Lektüre gar nicht groß dazu äußern. Es ist (einmal mehr) ein typischer Riedl. Das ist auf die Dauer ermüdend und macht schlechte Laune. Ich frage mich, wie man mit so viel negativer Enrgie im Tango überhaupt glücklich werden kann – aber das ist selbstverständlich die höchstpersönliche Entscheidung von Gerhard.
Vielleicht ist eine ganz kurze Ergänzung zum Artikel notwendig: Es ist m.E. symptomatisch, dass Gerhard (einmal mehr) vergisst die Fundstelle ordentlich zu verlinken. Er belässt es beim relativ allgemeingehaltenen Link auf das Forum (da muss man als interessierter Leser schon sehr genau suchen). Ich reiche hier also einmal einen DeepLink zu meinem ersten Beitrag in der Diskussion nach. Dann hat jede und jeder ohne aufwendige Suche die Chance, es nachzulesen und sich selbst eine Meinung zu bilden.
Beherscht man die Kulturtechnik des sinnerfassenden Lesens, dann kann man leicht feststellen, dass ich mich primär gegen das Skandalisieren eines Löschvorgangs in der Facebookgruppe Tango München gewendet habe. In meinem ursprünglichen Diskussionsbeitrag (und einigen Folgebeiträgen) habe ich versucht, Gerhard zu erklären, warum ich die Zensurvorwürfe nicht zutreffend finde. In der Diskussion ist Gerhard etwas robuster geworden und ich habe meinen Stil entsprechend angepasst.
In Gerhards Artikel geht es allerdings angeblich auch um meinen Ursprungsartikel hier. Mir ging es gerade nicht um die Encuentros (das habe ich auch deutlichst formuliert). Mir ging es um mehrtägige Tangoveranstaltungen und meine persönlichen Beobachtungen nach der Rückkehr in den Alltag. Offensichtlich ist Gerhard aber an diesem Thema gar nicht interessiert. Deswegen greift er zu seinem üblichen Mitteln um mir meine vermeintlichen Schlechtigkeiten vorzuhalten. Da wäre (wieder einmal) die Fundamental-Opposition (wen wundert's, er ist „dagegen“), das unvolllständige Zitieren (ohne oder nur mit sehr ungenauer Quellenangabe), wenn er sich zur Sache nicht äußern kann, wird es (wie häufiger) persönlich (seine offensichtlich unverarbeitete weltanschauliche Sozialisation spielt dabei eine erhebliche Rolle) … und … und … Das ist ja nicht das erste Mal, es wiederholt sich. Es ist Gerhards gutes Recht sich hier erneut an meinen Texten zu reiben. Es bringt allerdings m.E. keinen Erkenntnisgewinn, seine Beiträge werden nur wieder einmal schriller und er verpasst erneut die Möglichkeit sich zur Sache zu äußern. Das finde ich langweilig und schade…
Deinen Link auf Gerhards Text lasse ich jetzt einfach stehen; ich will mich einfach nicht dem Vorwurf der „Zensur“ aussetzen.
Wer ist Gerhard Riedl?! Der Hund bellt, die Karawane zieht weiter!
Sehen wir es positiv: Wenn jemand so extrem gestrickt ist, weiß
jede(r) ja wenigstens sofort, woran man/frau ist! Gilt auch für Nachbarn im Wohnviertel und am Arbeitsplatz!
Beste Grüße!
Das ist wieder typisch!!!!! Cassiel glänzt wieder durch seine unerträgliche Arroganz und kanzelt den Riedel ab. Einmal mehr spielt er kalt seine haushohe Überlegenheit aus. Dabei hat G.R. doch geschrieben: "Allerdings erlaube ich mir den Hinweis, dass besagter Blogger fast stets zur Stelle ist, wenn ich auf anderen Foren einmal etwas veröffentliche, auch ohne ihn dabei anzugreifen, ja nicht einmal zu nennen, zum Beispiel die Geschichte mit der Löschung auf der FB-Gruppe „Tango München“. Offenbar möchte er halt verhindern, dass meine Beiträge mehr Zustimmung finden als nötig."
@Anonym
Jetzt wird es aber schon ein wenig anstrengend. Wie soll ich es denn bitte anders machen? Entgegen der Vermutung von Gerhard, äußere ich mich nur extrem selten zu seinen Ansichten. In diesem Fall habe ich es in dem Forum tanzmitmir getan, weil ich die Begriffe „Zensur“ bzw. „Unterdrückung der Meinungsfreiheit“ dann doch etwas zu dick aufgetragen fand. Es gab von mir mehrere Diskussionsbeiträge in einem Tangoforum (dessen genuine Zweckbestimmung eben genau diese Diskussionen sind) auf einen werbenden Hinweis von Gerhard für seinen Artikel. Der Rest ist der schon aus anderen Situationen bekannte Verfolgungsmythos. Nein, ich verfolge Gerhard nicht, allerdings erlaube ich mir an und zu mit einer anderen Ansicht vorstellig zu werden, wenn Gerhard seine Ansichten in einem Diskussionsforum veröffentlicht. Wo Du die „Arroganz“ siehst, ist mir nicht klar.
Ich denke, an dieser Stelle können wir den thematischen Exkurs beenden und zum Ursprungsbeitrag zurückkehren …
... selber zurück aus dem Tango-Wochenende :-)))
Den Link zu Gerhard Riedl aufgemacht.
Noch zuviel positive Energie, um sowas länger als zwei Absätze lesen zu können.
Ich schicke Gerhard nun auch ein Lächeln - kleine zornige Kinder brauchen manchmal auch nur liebevolle Zuwendung.
Zurück zum Ursprungsbeitrag: Wünsche allen, dass es ihnen so gut geht oder besser wie mir im Moment.
Herzlich
Snoop
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