Donnerstag, 4. Februar 2016

Ney Melo: „Lehne ohne Angst ab – akzeptiere, ohne zu bereuen“

Bei dem amerikanischen Tanguero und Blogger Ney Melo fand ich in den letzten Tagen einen Text, den ich im Zusammenhang mit Diskussionen zu den Codigos und zu der Frage, wie Männer auf Aufforderungen seitens der Damenwelt regieren, sehr interessant fand. Daher habe ich Ney Melo schriftlich um die Genehmigung zur Übersetzung und anschließender Veröffentlichung gebeten (das halte ich bei Vollzitaten für eine Selbstverständlichkeit). Heute kam seine Genehmigung per eMail und so übersetze ich den Text, der im englischen Original hier zu finden ist:

Ney Melo: Lehne ohne Angst ab – akzeptiere, ohne zu bereuen

Ich denke ernsthaft, wenn Frauen beginnen, ihre Macht, Tänze abzulehnen und [unmissverständliche] Botschaften zu senden, dann [erst] werden Führende anfangen, ihren Tanz zu verbessern. Es sollte [doch eigentlich] eine Art Gewaltenteilung sein. Wenn wir es zulassen, dass mittelmäßige Führende mit den besten Folgenden tanzen – und umgekehrt – warum sollten diese sich dann verbessern wollen? Ich erinnere mich an eine Diskussion zwischen einer Freundin und mir vor langer Zeit. Sie war außer sich, weil ein schrecklicher Führender sie eine ganze Tanda lang grob behandelt hat und sie schlecht aussehen und sich schlecht fühlen ließ. Ich war Zeuge dieser Szene und ich mochte nicht, was der Führende anstellte, aber ich mochte ebenso wenig, dass meine Bekannte zu freundlich war, um dem Drama ein vorzeitiges Ende zu setzen!
Meine Damen, bitte benutzt Eure Macht, um „Nein“ zu schlechten Tänzen zu sagen. Es ist besser, ein ganzen Abend zu sitzen, die Musik zu genießen und gute Gespräche zu führen, als über den Boden der Milonga geschleift zu werden, wie Hector von Achilles, nachdem er von ihm in dem Film "Troja" getötet wurde. Auch ich wurde in meiner Tangojugend etliche Male von guten Folgenden abgelehnt. Ich nahm es nie persönlich. Es diente nur dazu, mich besser werden zu lassen. Ich sage nicht: Tanzt nie mit Anfängern. Jeder sollte in der Milonga ein oder zwei Tänze mit Anfängern absolvieren, es als „Dienst an der Gemeinschaft“ betrachten und ihnen das Gefühl geben, willkommen zu sein. Aber es gibt einen Unterschied zwischen einem Anfänger, und einem schlechten Tänzer, der es einfach nie kapiert. Es gibt eine Reihe von Typen in jeder Milonga, die seit langer Zeit tanzen, die Damen quälen und keinerlei Anreiz haben, besser zu werden, weil sie die Tänze bekommen, die sie wollen.
Andererseits sollte die Dame, wenn sie akzeptiert, nicht nur die Einladung annehmen, sie sollte den Mann als Person akzeptieren. Er hat durch die Aufforderung gezeigt, dass er die Dame akzeptiert, nun sollte die Dame ihm zeigen, dass sie ihn akzeptiert. Zum Tango braucht man Zwei.

[Ich habe versucht, den Text dem Sinne nach zu übersetzen. Ich habe einige ergänzende Worte in eckige Klammern gesetzt um den Sinn zu verdeutlichen. Wenn jemand für einzelne Stellen bessere Vorschläge hat, dann klebe ich selbstverständlich nicht an meiner Übersetzung.]

Ich brauche überhaupt nicht meine Kristallkugel zu entmotten. Ich ahne schon jetzt, es wird wieder einen Aufschrei der „üblichen Verdächtigen“ geben. Ohne in Wahrsagerei zu verfallen, wage ich bereits jetzt zu prognostizieren, dass eine mögliche altbekannte Argumentationslinie darauf abzielen wird: Wir brauchen keine Vereinbarungen oder Regeln im Tango – schließlich ist es ja ein Freizeitvergnügen (das gilt in der Hauptsache und zu allererst natürlich für die Wortführer dieses Gedankens). Eine zweite „Frontlinie“ wird parallel über den Vorwurf der „Arroganz“ eröffnet. Das ist höchst bequem und äußerst wirkungsvoll. Selbstverständlich möchte niemand arrogant wirken und deswegen werden die skizzierten Zeitgenossen weiterhin ihr Unwesen treiben können. Bequem ist es natürlich auch: Man setzt nur einen frechen Vorwurf in die Welt und … schwups … hat man wieder einmal elegant für die nächsten Jahre Ruhe und muss weiterhin keinen Unterricht nehmen. Klasse!
Ich finde die Gedanken von Ney Melo sehr treffend (etwas ähnliches hatte ich übrigens damals beim Formulieren meines Tango-Knigges vermutet, als ich die verbale Aufforderung als eine minderschwere Form der kalkulierten „Nötigung“ bezeichnet habe).
Es ist ja mittlerweile gesellschaftsfähig geworden, nicht auf Sachargumente zu reagieren, sondern bei bestimmten Schlüsselreizen einfach loszupoltern, insofern habe ich nur wenig Hoffnung, dass die oben zitierten Gedanken etwas bewegen werden, aber man soll ja bekanntlich die Hoffnung nie aufgeben. :-)