Freitag, 17. Juni 2011

Zum gefühlten Widerspruch zwischen umarmungsfokussiertem- und bewegungsfokussiertem Tango - Ein Debattenbeitrag

Zugegeben, das Thema quält mich. Es ist ein Teil meiner unlängst beschriebenen Tango-Krise und so muss ich vielleicht doch noch einmal schreiben. Seit Wochen trage ich das Thema mit mir herum, seit mehreren Tagen wird es virulent und es gibt sicherlich ein halbes Dutzend Versuche, mich dem Thema adäquat zu nähern.

Melina hat neulich einen wunderbaren Artikel geschrieben (auch die Lektüre der kommentierenden Anmerkungen ihrer Leser lohnt) und auf den Einfluss von Tangolehrern und Showpaaren auf die Qualität des Tangos in einer örtlichen Szene hingwiesen. Zumindest ich habe es so gelesen, daß sie einigermaßen erschrocken war, was da teilweise auf den Milongas zu beobachten ist. Mir geht es ähnlich. Allerdings habe ich mich in den Jahren darum bemüht, eine gelassene und freundlich entspannte Haltung zu der Fragestellung zu entwickeln. Tango wird in allen Altersschichten getanzt und so ist es für mein Verständnis vollkommen in Ordnung, daß beispielsweise ein Tangopaar Mitte 20 sportlicher tanzt und eine andere Vorstelllung von einem schönen Tango hat als ein routiniertes Paar in den 40ern. Rick von tangoandchaos.org hat es in einer Anmerkung zum "Coolness Issue" auf den Punkt gebracht: Junge Menschen haben eben eine andere Energie und es ist manchmal kontroproduktiv, den Zeigefinger zu erheben und moralinsauer über den richtigen Tango zu dozieren. Andererseits ist die Mode kurzweilig und so kann das, was heute sehr modern ist, in wenigen Jahren furchtbar albern aussehen. Im Gegensatz zu früher ist allerdings das kollektive Gedächtnis in der Form des Internets bzw. YouTubes wesentlich langlebiger geworden.

Eine äußerst erfreuliche Anmerkung einer Leserin zu meinem Beitrag über die Tango-Krise gab mir dann den noch letztendlich notwendigen leichten Stubs, meine Gedanken noch einmal schriftlich zu fixieren.

Für mich gibt es einen scheinbar unüberbrückbaren Widerspruch zwischen dem umarmungsfokussiertem- und dem bewegungsfokussiertem Tango. Und nach meiner Meinung hat das ganz entscheidend mit der Musik auf einer Milonga zu tun. Möglicherweise gibt es auch noch eine Abhängigkeit von der Frage, mit welchem Verständnis sich ein Veranstalter dem Tango nähert. Ist eine Milonga eine Veranstaltung, bei der möglichst viele Menschen schöne und innige Tangomomente erleben sollen und ggf. mit ihrem persönlichen Tango weiterkommen sollen? Oder ist es eher doch eine Zusammenkunft mit überwiegendem Partycharakter (so wie etwa eine Ü30 oder Ü40 Party)? Diese Teilfrage können wir allerdings getrost unter den Punkt Musik subsumieren.

Es wird meine Leserinnen und Leser kaum überraschen, daß ich ein Vertreter des ruhigeren umarmungsfokussierten Tangos bin. Mir geht es um die Kommunikation im Paar. Die Außenwirkung ist mir relativ schnuppe. Allerdings gestehe ich jedem anderen Tanzpaar einen anderen Ansatz zu - solange es dabei auf der Tanzfläche gesittet zugeht. Wenn also ein Paar gemeinsam einige Soltadas oder auch Sac/Colg/Volcadas genießen möchte, dann entspricht es meinem Verständnis von Toleranz, wenn sie das (sozialverträglich) auf der Milonga erleben können. Allerdings wäre es sehr schön, wenn sie dafür das Zentrum der Tanzfläche wählen würden und auf die übrigen Tänzer Rücksicht nehmen.

Die m.E. jahrelange Missachtung der Musik hat für mein Empfinden zu einem Tangoverständnis in Deutschland geführt, welches bei mir häufig massives Unwohlsein verursacht. Ich wünsche mir in jeder lokalen Szene im Minimum eine Milonga im Quartal, die dezidiert auf klassischen Tango ausgerichtet ist. Ist das denn wirklich zu viel verlangt? In den letzten zwei Jahren hat sich nach meiner Wahrnehmung ein Wandel vollzogen. Statt Schülerinnen und Schülern den Zugang zum traditionellen Tango zu ebnen, laufen viele Veranstalter dem vermeintlichen Massengeschmack hinterher und spielen zunehmend Neo- bzw. Non-Tangomusik auf den Milongs. Wurde also vor zwei Jahren noch faktisch jede Milonga im Verzeichnis der Tangodanza mit 80% trad. Tangomusik beschrieben, so sind mittlerweile nur noch 60% traditionelle Tangos die Regel. Besucht man nun eine solche Milonga, so entsteht häufig er Eindruck, die traditionelle Musik erfüllt nur noch eine Feigenblattfunktion für die ersten zwei Stunden der Veranstaltung und anschließend geht die Post ab. Gibt man sich als Liebhaber der Musik der Epocha de Oro zu erkennen und fragt man einmal freundlich nach, wann es wieder eine Milonga mit Tangomusik gibt, dann setzt man sich häufig dem Vorwurf des Dogmatismus bzw. der Rigidität aus. Dabei frage ich nur ganz freundlich. Meinetwegen kann es ruhig Neo-Tango Milongas geben, sofern diese entsprechend angekündigt sind. Dann habe ich zumindest die Wahl, entweder dahein zu bleiben oder mich ins Auto zu setzen und in eine andere Stadt zu fahren.

Nach meiner Erfahrung hat sich aber inzwischen schleichend ein Tangobegriff durchgesetzt, der eine klassische Milonga eher zur Ausnahme macht. Ist es eine Folge der schnelllebigen Zeit? Treibende Non- bzw. Neo-Tango-Klänge sind inzwischen der Tango. Klassische Milongas müssen als solche explizit angekündigt werden. Als ich Anfang diesen Jahres auf einer Milonga traditionell in Tandas mit Cortinas aufgelegt habe (mit entsprechender Ankündigung natürlich - darauf lege ich als DJ großen Wert) kam eine Tanguera zu mir und fragte mich, wann ich denn endlich richtige Tangomusik spielen würde, sie könne auf diese alte Musik nicht tanzen. Ich war total von der Rolle und reagierte mit einer Gegenfrage, wie lange sie denn schon tanze. "3 Jahre" bekam ich zu hören und konnte nur noch staunen (weil ich ein harmoniesüchtiger Mensch bin habe ich dann noch eine Tanda mit gemäßigten richtigen Tangos gespielt).

Ich möchte hier gewiss nicht als der missmutige einsame Rufer in der Wüste auftreten, aber ich plädiere für mindestens eine traditionelle Milonga im Quartal, die jeder (!) Veranstalter einer regelmäßigen Milonga einplanen sollte. Das hat weniger mit Menschen wie mir zu tun - ich kann auch einige hundert Kilometer für einen schönen Tangoabend fahren. Ich denke vielmehr, es wird sich mittel- und langfristig positiv auf die Qualität des Tangos einer Szene auswirken. Für mein Verständnis kommt fast jede Tanguera, fast jeder Tanguero nach ein paar Jahren Figuren und Neo-Musik an den Punkt, an dem sie oder er entweder den Tango aufgibt oder aber die klassischen Tangos lieben lernt. Und so folgt für mich fast zwingend, daß ein Veranstalter/DJ schon aus purem Eigeninteresse etwas liebevoller mit der traditionellen Musik umgehen sollte. Nun könnte man mir entgegen, das sei doch nicht nötig, es laufe doch ganz gut so wie es ist. Warum solle man Bewährtes andern? Meine Antwort wäre dann: "Weil sich der Tango ändert! Und diese Änderung war vor Jahren weg von der traditionellen Musik und nun geht sie wieder in Richtung Ursprung zurück." Wer als Veranstalter diese Entwicklung verschläft, dem laufen früher oder später die Milongabesucher davon. Erst letzte Woche habe ich erfahren, daß wieder einmal eine örtliche Milonga stirbt. In dem speziellen Fall sind die Gründe vielschichtig - ein Grund ist aber auch der m.E. unachtsame und unreflektierte Umgang mit der Musik.

Wenn unter meinen Leserinnen und Lesern nun einige eine Art "Abrechnung" mit dem modernen, bewegungsfokussierten Tango hier zwischen den Zeilen lesen, dann habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich halte diese Form des Tanzens für legitim. In meinen Augen ist dieser Zugang zum Tango allerdings sehr begrenzt. Aus vielen Gesprächen habe ich gelernt, daß fast jede Tanguera und fast jeder Tanguero irgendwann an den Punkt kommt, an dem es ihr bzw. ihm reicht. diese Menschen gehen zurück zu den Ursprüngen des Tanzes. Sie tanzen den Tango nicht mehr so sehr noch außen sondern sie tanzen ihn verstärkt im Paar bzw. nach innen. Die Bewegungen werden feiner, sensibler und umarmungsfokussierter. Ich denke, Veranstalter sind sehr gut beraten, wenn sie diese Besuchergruppe in ihren Überlegungen und Planungen mit berücksichtigen.

Und für alle Liebhabern der traditionellen Tangomusik habe ich noch ein Zitat von Aníbal Troilo zum Trost: "¡El tango te espera!" [Der Tango wartet auf Dich!]. Ich lese es so: Früher oder später kommt der Tango zu jeder/jedem Suchenden. Das kann man ganz gelassen abwarten. Jede Aufgeregtheit verdirbt nur schleichend den eigenen Tango.

Gerne lese ich andere Ansichten und weiterführende Anmerkungen in Kommentaren.

81 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Spinnst Du? !!!!!!

So wird Tango getanzt!

http://tango-videos.blogspot.com/2011/06/gustavo-rosas-and-gisela-natoli.html

Wir sind doch nicht in der Seniorensportgruppe!

Johannes Kuhn hat gesagt…

Hallo Cassiel!

Was nicht stimmt ist, daß "den Zeigefinger zu erheben und moralinsauer über den richtigen Tango zu dozieren" "manchmal" kontraproduktiv ist.... es ist IMMER kontraproduktiv. Es hat noch niemand durch Besserwisser, Fundis und erhobene Zeigefinger zum "umarmungsfokusierten" Tango gefunden oder es auf eine traditionelle Milonga geschafft. Wie Du richtig beschreibst, ist das eher ein natürlicher Prozeß und man hat oft einfach Glück, auf die richtigen Lehrer zu treffen, um zu entdecken, daß der eigentliche Reiz am Tango nicht in akrobatischen Figuren liegt.

Eine traditionelle Milonga im Quartal ist nicht zuviel, sondern ein bißchen arg wenig verlangt! Aber wenn es zu wenig traditionelle Milongas in Deiner Region gibt, dann mach doch welche!

Solltest Du Dich da aber in Tanzenthaltung (wegen Krise) moralinsauer hinsetzen und mißbilligend Neotangopaaren zusehen oder den Kopf bei Soltadas und den Siehtmichauchjedertänzern schütteln, ist der Mißerfolg vorprogrammiert ;-)

Gruß Joh

cassiel hat gesagt…

@Anonym

So unterschiedlich können Vorstellungen sein. Das von Dir vorgeschlagene Video hat für mein Empfinden so rein gar nichts mit argentinischem Tango zu tun. Die Musik ist schauerlich. Es sieht ja vielleicht schön aus, aber es fühlt sich vermutlich wie Kunstturnen an. Für mein Empfinden ist das für Vorführungen OK. Auf der Milonga hat das nichts zu suchen. Es gibt ja schließlich auch einen Unterschied zwischen einer Mordszene in einem Kriminalfilm und einem echten Mord oder einem Filmkuss und einem echten Kuss. Da ungefähr liegt mein Punkt in der Diskussion.

@Johannes Kuhn
Ich denke in der Tat darüber nach, eine Milonga zu veranstalten. Aber da ist noch nichts spruchreif.
Nein, ich sitze nicht missmutig am Rand. Ich kann sehr entspannt sitzen und plaudern. Ich bin allerdings manchmal bestürzt, wenn ich so beiläufig mitbekomme, was alles als Tango verkauft wird. Und manchmal bin ich traurig, daß kaum eine Entwicklung im Tango in bestimmten Szenen zu beobachten ist. Aber das ist mein höchst-subjektives Problem...

Dank für die Anmerkungen...

Theresa hat gesagt…

Lieber Cassiel, danke für diesen interessanten Beitrag!

Zu den Ankündigungen bei Tangodanza möchte ich anmerken, dass ich 80% traditionelle Musik immer noch viel zu wenig finde ;-) Aber leider gibts bei Tangodanza nicht die Option "100%".

Ich erlebe immer wieder, dass Tänzer, je geübter sie werden, mehr und mehr die traditionelle Musik lieben. Einige der Kult-DJs, die viel für Marathons eingeladen werden, sind richtige Spezialisten für alte und seltene Tangos. (Allerdings scheint mir der allerletzte Schrei bei der Crème der Tangotänzer die späte Musik von di Sarli mit Sängern und von Varela zu sein, leider ....).

Trotzdem meinen viele Veranstalter, nicht darumherumzukommen, auch "alternative" Musik anzubieten. Hier in München wirbt meine bevorzugte wöchentliche Milonga, in der immer gute DJs fast ausschließlich traditionell auflegen, in der die besten Tänzer sind und meist eine gute Pistenkultur herrscht, damit, dass auch nicht traditionelle Musik aufgelegt wird ("a little drop of poison") - ein Programmpunkt, den meine dort auflegenden DJ-Freunde, dann halt mit 0 bis 1 Tandas hinter sich bringen.

Ansonsten sortieren sich hier in München in der Tat die Tanzstile sehr stark nach der Musik. Die chaotischsten Pistenverhältnisse finden sich jedenfalls in den "modernsten" Milongas.

In meinen beiden monatlichen Milongas mit 100% traditioneller Musik sind die Teilnehmer nicht sehr zahlreich, aber Qualität geht vor Quantität.

Was mir nicht so gefällt, ist deine Antipode umarmungs- vs. bewegungsfokussiert. Man kann in engster Umarmung äußerst bewegungsreich tanzen und sich so richtig austoben :-))

Theresa aus München

cassiel hat gesagt…

@Theresa

Danke für Deinen Beitrag. Deine Kritik an den Begrifflichkeiten kann ich verstehen. Ich wollte bewußt durch eine andere, neue Wortwahl nicht in ide alten Denkstrukturen abrutschen. Wahrscheinlich ist mir das nicht so gut gelungen.

Schönes Wochenende

Die dem Tango verfallene hat gesagt…

Bis vor Kurzem hätte ich diesen Beitrag nicht verstehen können aber vor etwa drei Wochen war ich sonnabends in Regensburg und habe einen himmlischen Abend mit traditioneler Tangomusik erlebt. Das war ganz anders. Ich hatte bisher immer traditionelle Milongs gemieden und bin auf gut Glück nach Regensburg gefahren. Die Alternative wäre München gewesen, das ist ungefähr die gleiche Entfernung. Aber ich wollte dort keine traditionelle Milonga. Dann war aber ein anderer DJ in der Milonga da und hat alte Musik aufgelegt, die ich zum Teil noch nie gehört hatte. Es war der schönste Tangoabend in meinem Leben und ich tanze nun schon ein paar Jahre. Der Abend hat mir ein anderes, intensiveres Erleben beschert und ich fühle, dass sich mein Tango ändern wird. Diesen Text kann ich jetzt verstehen. Vor zwei Monaten hätte ich noch mit dem Kopf geschüttelt.

Vielen Dank für diesen tollen Blogg!

affig hat gesagt…

bewegungsfokussirt?
umarmungsfokussirt?

Was soll diese geschwollene Schreibe? Ich rege mich schon wieder auf. Stümper!!!

Mittelalt hat gesagt…

Nun, die Überschrift mutet doch etwas – äh – merkwürdig an und zum Glück bezeichnest du diese auch als eher verfehlt an. Wie wär's noch mit musikfokussiertem, gefühlsfokussiertem, dialogfokussiertem... Tango? Wer den Tango versteht und seine Partnerin „lesen“ kann, weiß, worauf er sich fokussiert.

Der Artikel ist ein bißchen „alter Wein in neuen Schläuchen“ Versteh das nicht als Kritik, deine Unzufriedenheit über die Musik auf den von dir besuchten Milongas machst du nun mal immer wieder deutlich. Ich meine: du bist einfach auf den falschen Milongas, und das löst deine Unzufriedenheit aus. Ich tanze eigentlich nur auf schönen Milongas, in denen hauptsächlich g u t ausgewählte klassische Musik aufgelegt wird. Eine erfrischende Tanda mit Neo- oder Nontango ist da kein Pflichttribut, sondern ein Gläschen Sekt inmitten von Gläsern Rotwein. Absolut d'accord.

Ich meine aber auch: Du scheinst eine eigene sehr orthodoxe Haltung zum Tango zu haben. Nach diesem Beitrag habe ich wiederholt den Eindruck, der Tango existiert für dich als echter Tango nur in der Epoca d'oro. So kann man auch denken, nur: dann beschäftigt man sich mit einem historischen lateinamerikanischen Tanz. Da kann ich mich der Empfehlung, eine eigene Milonga zu gründen, nur anschließen. Schade nur, dass wir Leser das nie mitbekommen werden, da du ja anonym bleiben möchtest. Denn mich interessiert viel mehr musikalisch als schriftlich, was du unter einer guten Milonga verstehst.

Einige Zitate muss ich leider aufgreifen
Die m.E. jahrelange Missachtung der Musik
Schade um diese abwertende Formulierung. Meine Beobachtung ist, dass viele DJs eine Entwicklung zu mehr Qualität durchlaufen, wozu sie auch ihre Zeit benötigten. Da hat sich gerade in den letzten Jahren viel getan.

In den letzten zwei Jahren hat sich nach meiner Wahrnehmung ein Wandel vollzogen.
Nach meiner Wahrnehmung ebenso, nur ein Wandel in eine ganz andere Richtung: Die Hinwendung zu qualitativen Tandas und Milongas mit immer weniger nicht-klassischen Tandas.

Ich war total von der Rolle
Pardon, das sollte nicht passieren. Wenn ein Gast eine Frage hat, bedeutet das nicht, dass du dich über seinen Geschmack unterhalten sollst, sondern, dass er nicht versteht, was du machst. Und um das zu erklären, muss man nicht von der Rolle kommen, sondern sich über seine Rolle im Klaren sein und freundlich erklären.

Andererseits ist die Mode kurzweilig und so kann das, was heute sehr modern ist, in wenigen Jahren furchtbar albern aussehen. Andererseits ist die Mode kurzweilig und so kann das, was heute sehr modern ist, in wenigen Jahren furchtbar albern aussehen.
Und? Wen stört das? Auch die Top Hits der klassischen Tangotitel hängen irgendwann aus dem Ohr und man braucht andere ebenso wunderschöne Stücke.
Immerhin, Mode hat den Vorteil, dass ab und zu auch Menschen unter 40 zum Tango kommen, was kein Nachteil ist.

Dominio hat gesagt…

@Cassiel:

danke Cassiel, für einen weiteren wertvollen Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht. Es tut gut, Deine Gedanken zu lesen.....

Inzwischen achte ich, wenn ich ortsfremde Milongas besuche, immer darauf, welche Musik dort von welchem DJ aufgelegt wird.
Leider findet man während der Recherche bspw. im Internet oft Information über den Werdegang eines DJs, aber nicht viel über die Musik!
Auch Übersichten zu den stattfindenden Milongas enthalten oftmals nicht den mir so wichtigen Hinweis auf die Musik.
Für mich rundet die Aufteilung in Tandas die traditionelle Milonga ab bzw. ist Teil davon. Auch diese Information vermisse ich oft in den Ankündigungen.
Neulich habe ich in einer fremden Stadt getanzt und eine Milonga besucht, auf der leider beinahe ausschließlich Non-/Neo-/Elektrostücke gespielt wurden. Ich habe die Milonga dann verlassen und eine traditionell ausgerichtete Milonga besucht. Dort waren weniger Tänzer, doch das Niveau erschien mir höher und die Paare haben in aufregender Weise besonders musikalisch miteinander getanzt. Ich war ganz und gar angetan. Allein diese schönen alten Tangos zu hören, zauberte ein Lächeln in mein Gesicht.
Vielleicht gibt es tatsächlich mehr Tänzer, die sich für die moderne Musik interessieren, doch bei vielen fortgeschritteneren Tänzern, die zudem gern in enger Umarmung tanzen, merke ich auch ein großes Bedürfnis nach passender Musik.
Ich möchte auch etwas zur Umarmung schreiben: mich berührt diese (alte) Musik direkt im Herzen. Sie "bewegt" mich, in dem sie mich so anrührt.
Mit einem Tanzpartner diese (Be-)rührung durch die Musik zu teilen, wie könnte man es besser, als in enger Umarmung? Und wenn man genau zuhört (der Musik und dem Partner), dann findet man etwas über seine Interpretation, seine ganz spezielle Berührung, seine Idee. Und wenn man dann eine gemeinsame Sache daraus macht, eine Begegnung beginnt, eine Bewegung daraus wird, dann geht es schnell vom Herz in die Beine, in den Fuß, in den Boden. Oft kann ich mich dann gar nicht entscheiden, ob ich den Rhythmus oder die Melodie tanzen möchte, doch im Gespräch mit dem Tanzpartner kann sich diese Frage immer wieder neu beantworten.
Ich könnte ewig weiterschreiben.
Diese neuartige Musik hingegen rührt mich nicht an. Ich finde sie auch nicht schlimm. Aber ich habe es versucht und kann in dem von mir bevorzugten engen Stil nicht danach tanzen.
Diese moderne Musik paßt eher zu den fließenden Neo-Bewegungen und umgekehrt.
Mich bewegt sie eher nicht, ich bewege mich bei solcher Musik dann an die Bar :-)
Ich weiß nicht, ob die Präferenz für die Golden Age-Tangos und die Umarmung im engen Stil eine Altersfrage ist. Ich selbst treffe auf den traditionell ausgerichteten Milongas auf alle Altersklassen. Ich beobachte außerdem viele junge Profis, die von ausladenden Figuren zurück zum Tango in engem Stil finden und ihn sogar auf der Bühne eng tanzen. Darüber freue ich mich und hoffe auf eine Vorbild-Funktion.
Vielleicht sollten auch die Tanzlehrer einen Teil der Verantwortung für die Entwicklung des Tangos in ihrer Stadt übernehmen. Sex sells, Boleos auch, aber es gibt auch noch was anderes.

Die Liebe zu den alten Tangos hat sich bei mir immer weiterentwickelt, es war wie eine kleine Entdeckungsreise, die dann zu einer großen Entdeckungsreise wurde, weil sich das eine kleine Tangostück als große Welt entpuppt hat.

@Mittelalt:
Die Top Hits der klassichen Tangotitel hängen irgendwann aus den Ohren heraus?
Bei mir ist das Gegenteil der Fall: sie entwickeln sich und zwar so sehr, dass ich mich kaum noch in der Lage fühle, sie zu tanzen, so vielseitig und spannend finde ich sie.

@Die dem Tango Verfallene:
Das freut mich sehr für Dich!

@the rest:
Dies ist nur meine kleine Sicht auf den Tango: Dies ist ein Ausschnitt aus dem, was Tango für mich bedeutet.
Ich kann es durchaus genießen, Neotänzer in ihrem Tanz zu beobachten, es ist eben überhaupt nicht vergleichbar.

chamuyo hat gesagt…

Die Begriffe "bewegungsfokussiert" und "umarmungsfokussiert" bringen es tatsächlich auf den Punkt, auch wenn es dem einen oder anderen gestelzt erscheinen mag. Das sind völlig verschiedene Aspekte dessen, was jemand im Tango sucht. Es hat alles seinen Charme, mit dem richtigen Partner kann beides schön sein. Ich kenne bloß kaum jemanden, der beides gleich gut beherrscht /genießt. Man sollte auch bedenken, dass unabhängig von dieser Einteilung, es einfach schlechte Tänzer gibt, und zwar nicht Anfänger sondern solche, die es auch nach Jahren nicht mehr lernen (wollen).
Ich möchte noch anmerken, dass die häufige Gleichsetzung von Nuevo tanzen mit Elektro- oder Nontango Musik inzwischen nicht mehr so gilt. Man kann zwar nicht besonders innig auf Bajofondo tanzen, aber sehr gut Nuevo auf Canaro oder Donato. In 4 Wochen Buenos Aires Anfang dieses Jahres habe ich kein einziges Stück gehört, das neuer als 1958 war, wohl aber sehr viele junge expressive Tänzer gesehen. Wer das zweifelhafte Vergnügen hatte, an einem der angesagten Marathons teilzunehmen, wird auch festgestellt haben, dass Elektro und Nontango völlig out sind. Das ändert nichts daran, dass der von den meist jungen und meist sehr guten Teilnehmern gepflegte Tanzstil in keiner Weise als "umarmungsfokussiert" bezeichnet werden kann, sondern eher als akrobatisch. Zur späten Stunde sind aber auch sie geneigt, ruhig und innig zu tanzen.
Zum Vorhaben eine eigene Milonga zu gründen, kann ich nur sagen, tu es!! Mit hinreichend langem Atem, das sind möglicherweise Jahre, kann sich ein sehr schöne Szene etablieren. Ein paar Gleichgesinnte braucht man, als Einzelkämpfer ist es arg schwer. Hilfreich ist es auch, wenn man Lehrer einladen kann, die den bevorzugten Stil unterrichten. Nur Mut!!

B. G. hat gesagt…

Ich sehe es wie chamuyo: "umarmungsfokussiert" und "bewegungsfokussiert" beschreiben zutrefend die Situation einer typischen europäischen Milonga. Es ist die besondere Begabung von Cassiel, dass er es vermieden hat die üblichen Etiketten wie z.B. "Tradis" vs. "Neos" zu verwenden. Er will keine Polarisierungen; sein Anliegen ist aber dennoch berechtigt.

Wieder einmal ein sprachlicher und gedanklicher Leckerbissen dem ich weite Verbreitung wünsche. Schon aus eigenem Interesse.

Johannes Kuhn hat gesagt…

Hallo Cassiel,

> Ich denke in der Tat darüber nach,
> eine Milonga zu veranstalten.

Schön - dann gibts eine traditionelle mehr auf www.tango-tradicional.de

(In welcher Region lebst Du eigentlich bei 1 trad. Milonga im Quartal? Bei uns gibt es im 30 km-Umkreis 2-4 pro Woche...)

> Ich bin allerdings manchmal bestürzt,
> wenn ich so beiläufig mitbekomme,
> was alles als Tango verkauft wird.

Das verstehe ich zwar, aber andererseits gilt nach wie vor, daß es kein "falsch" und "richtig" beim Tango gibt. Das halte ich für wichtig. Nicht nur, weil Wertungen noch keinem Paar weitergeholfen haben (ich rede hier von Milongas - nicht vom Unterricht!), sondern auch, weil der kritische Blick auf andere einem den eigenen Tango vergällt. Denn das bedeutet, daß man zwar keine Fugurenfixiertheit hat, aber zwanghaft alles "richtig" machen will. Das eine macht Leidenschaft und Harmonie so unmöglich wie das andere.

Gruß Joh

Anonym hat gesagt…

Cassiel,
bei mir hat es Jahre und Umwege gebraucht, bis ich zum "richtigen" Tango gefunden habe, aber jetzt kann ich nur sagen: Es gibt keinen Weg zurück!
Ich habe nicht durch bestimmte Lehrer dorthin gefunden. Ich denke vielmehr, dass gerade (zu viel) Tangounterricht einen meistens auf den falschen Weg führt, vor allem als Frau. Weniger ist hier sicher mehr. Man lernt durchs Tanzen und indem man der Musik zuhört, nicht durchs Kopieren von dem, was Lehrer einem vormachen. Es braucht nicht viel um auf der Tanzfläche zurechtzukommen, weder als Mann noch als Frau. Und das Wenige kann man dann dort ausbauen. Man braucht nur ein Gefühl für das Wesen des Tango, seinen Körper und den des Partners.
Die Musik, auf die man tanzt, heißt Tango. Darauf kann man nicht "bewegungsfokussiert" - wie du es verstehst - tanzen. Lediglich musik- oder partnerfokussiert. Wobei mir das Wort "fokussiert" schon wieder nicht gefällt, weil da die Sinnlichkeit und die Leichtigkeit fehlt, mit der es stattfinden sollte. Es klingt streng - so wie übrigens auch Melinas Beitrag streng klingt. Auch ihr Tanzen wird von manchen als streng empfunden.
Jedoch, jeder der das, was du schreibst, für Spinnerei oder Stümperei usw. hält, hat keine Ahnung vom Tango. Und tanzt - oder bewegt sich - bevorzugt auf Musik, die er vielleicht für Tango hält, aber kein Tango ist.
Schade dass du dich als DJ von solchen Kommentaren beirren lässt und dann selbst non-tango Musik auflegst. Ich finde, man hat als Tango-DJ eine Verantwortung für die Milongabesucher und ist ihnen Tango sozusagen schuldig.
Umso trauriger, dass Milongas, die mit 80% traditioneller Musik für sich werden, dann doch nur 60 oder 70& davon spielen, weil die Veranstalter oder der DJ gar nicht wissen, was traditioneller Tango ist.
Ich bin auch besorgt wegen der aktuellen Entwicklungen in den Tangoszenen, jedoch weniger weil es zu wenig traditionelle Milongas gibt, als vielmehr wegen der Tänzer, die auch traditionelle Musik ignorieren und ihre im Kurs gelernten Figuren darstellen müssen, die auf einer Milonga einfach keinen Raum haben und nur stören.
Ich sehe nicht - wie du - dass momentan eine Entwicklung zurück zur Tradition stattfindet. Leider im Gegenteil. Deshalb sollten Leute wie du in ihren Blogs unbedingt solche Dinge schreiben und damit auf diesen Missstand aufmerksam machen und retten, was es zu retten gilt. Unseren Tango.

tangofriend hat gesagt…

Pardon, wenn ich heir ein wenig den Neotango verteidige. Ich denke das Tango ein Tanz ist der sich wie jeder andere entwickelt. Es ist eine Tendenz feststellbar, dass das Durchschnittsalter der TänzerInnen sich verjüngt. Das hat natürlich auch zur Folge, das diese mehr Rhytmusorientiert/ sportlicher tanzen wollen! Ich für meinen Teil tanze Tango nach der Musik die mir gefällt, das kann auch Neo sein (und das geht auch eng, sowie Tanzkommunikativ!) Wer behaupt bei Neo findet keine Kommunikation statt, dem unterstelle ich einfach mal, das er den Tango nicht wirklich tanzt!
Ich habe teilweise genauso schöne Neotangoerlebnisse wie auch bei klassischen Tango. Wichtig ist, das man bereit ist, sich darauf einzulassen! Und ich stelle zur Zeit eher eine Tendenz zum klassischen Tango auf den Milongas fest. (was mir persönlich nicht gefällt, 80%/20% ist ok, aber Tendenz 90% klasssisch und mehr ist nicht so mein ding).

Austin hat gesagt…

Weil diese Diskussion ganz stark mit der zugrunde liegenden Musik verknüpft ist, möchte ich mal ein paar Gedanken zu klassischem Tango vs. Neotango loswerden:

Ich glaube, der klassische Tango (und die klassische Art, ihn zu tanzen) werden bleiben, wohingegen der Neo-Tango wieder verschwinden wird. Vielleicht werden einige Moves bleiben, aber die Musik wird wieder verschwinden, denn Elektro-Tango ist eine Spielart der Popmusik wie Dub-Step, Trance, Trip Hop, Jungle, Urban und wie sie alle heißen.

Der klassische Tango hingegen hat fast 100 Jahre Tradition und es gibt immer noch eine Riesen-Community, die ihn liebt, entdeckt und spannende Erfahrungen mit ihm macht. Da ist er in guter Gesellschaft mit der klassischen Literatur, der Oper und anderen Kulturgütern, die sich durch Substanz und Qualität auszeichnen. Es ist völlig unerheblich, dass die meisten Tangofans erst im Erwachsenenalter zum Tango finden. Es ist auch unerheblich, dass er vielen nicht gefällt. Der Tango muss seine Qualität nicht mehr beweisen. Sie ist bewiesen.

Diese Qualität schätzen zu wissen heißt nicht, dass man nichts anderes gelten lassen darf. Im Gegenteil, ich finde es sehr spannend, was dabei rauskommt, wenn man Tango mit Strömungen der Popmusik kreuzt, und es gibt Elektro-Tangos, die ich großartig finde. Aber wahrscheinlich finde ich sie nicht ewig großartig, denn auch wenn sie im Kontext mit dem Zeitgeist eine Weile lang eine gute Wirkung haben, sind sie auf zu wenig musikalischer Substanz aufgebaut, um dauerhaft zu bleiben. Das ist in Ordnung, Popkultur ist so. Sie ist kreativ, schnelllebig und manchmal eine Provokation für die arrivierte Kultur, aber sie produziert eben auch nur selten echte Substanz.

Man kann Dinge ohne Substanz auch mal gut finden und Spaß dran haben, aber man soll das bitte nicht mit Qualität verwechseln. Und es möge keiner daherkommen und sagen, es gebe keine Qualitätsunterschiede in der Musik, weil das alles subjektiv ist. Das ist Unsinn. Beethoven ist besser als Hansi Hinterseer. Pugliese ist besser als Otros Aires.

Ich werde weiterhin keine ausgewiesenen Neo-Milongs besuchen, und trotzdem werde einige Neo-Tangos sehr gut finden und darauf auch tanzen. Aber ich werde immer unterscheiden können, was mich wirklich berührt und was einfach nur ein cooler Sound ist. Und am Schluss geht es darum, was einen berührt.

Unknown hat gesagt…

@Austin,
sehr interessante Gedanken, vielen Dank. Das Erkenntnis, dass Qualitätsunterschiede in der Musik (allg. in der Kunst) Objektiv sind und Qualität in der Kunst messbar ist, ist ein sehr wichtiges und spielt bei dem Umgang mit Kunst eine wesentliche Rolle. Damit mit den Begriff Qualität präziser umgehen kann, soll man auch die Qualitätskriterien abgrenzen. Man redet über der Qualität der Musikinterpretation (handwerkliche und künstlerische Fähigkeiten der Musiker), Qualität der Komposition des Stückes, Qualität der Arrangements bis zu die technische Qualität der Aufnahme. Alle diese und auch viele andere Qualitäten sind objektiv messbar.

Obwohl ich nicht genau weiß, was Du unter Popkultur verstehst, erlaube ich mir dir zu wiedersprechen – es gibt eine ganze Menge Werke, die unter diese allgemeinen Begriff fallen, die qualitativ hochwertig sind und inzwischen zu den Kulturgütern, wie die klassische Literatur oder Oper, zählen. Paradebeispiele sind die Beatles, das Popart von Andy Warhol, die Fotografien von Stephen Shore und vielen anderen. Ob die Tango-Nuevo dazu gehören wird, mag ich jetzt nicht prophezeien.

Wenn man die Fundgrube von Tangos betrachtet (ich verfüge über Stücke zw. 1925 und 1965), kann man feststellen, dass der größere Teil eher Mittelmaß ist, was die musikalischen Qualitäten betrifft. Man beobachtet zw. 1935 und 1950 einen Qualitätsanstieg, was mit der große Konkurrenz zw. den Musiker und Orchester in BsAs zu dieser Zeit zu erklären ist.

Und trotzt der mäßigen Qualität berühren uns die Tangos aus dieser Zeit. Das sind die Emotionen, die die Musik in uns weckt. Dieser Prozess hat mit der musikalische Qualitäten der Musik nichts zu tun. Beispiele für diese „Diskrepanz“ (Qualität vs. Emotionale Wirkung) gibt es wie Sand am Meer: nicht alle Opern von Mozart sind musikalische Glanzstücke, trotzt der mittelmäßige Interpretationsfähigkeiten hat der Orchester von André Rieu mehr Anhänger als der Berliner Philharmoniker… Mein subjektiver Eindruck ist, wenn man über „tanzbare“ Stücke spricht, werden meistens Stücke mit eine musikalisch mäßige Qualität empfohlen (Pugliese wird selten gespielt, Arrangements von Piazzolla werden gemieden). Ich denke, das hat mit dem sog. Phänomen der „Massengeschmack“ zu tun.

Lieber @Austin, Beethoven ist qualitativ mit Hansi Hinterseer nicht vergleichbar. Der Fakt, dass trotzt minderwertiger musikalischer Qualität, Herr Hinterseer doch so viele Anhänger hat, erstaunt mich jedes Mal, bestätigt aber nur meine These :)

Austin hat gesagt…

@ sweti

Danke für die Antwort. Ich stimme Dir völlig zu, die Beatles und Andy Warhol sind großartig, und Bob Dylan ist es wahrscheinlich auch, aber das sind alles Werke, die schon mehrere Jahrzehnte da sind und sozusagen den Test der Zeit bestanden haben. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass die Popkultur nichts großartiges hervorbringt, ich habe nur gesagt, dass sie daneben noch ganz viel anderes produziert, was nicht goraßartig ist, sondern halt nur mal en vogue.

Was ich an Deiner Antwort nicht verstanden habe: wenn Du schon findest, dass Qualität in der Kunst objektiv messbar ist, wie spielt dann hier der Geschmack der breiten Masse mit rein? Das habe ich in Deiner Antwort nicht verstanden.

Und noch was zur objektiven Qualität in der Kunst: ich glaube schon auch, dass es die gibt, aber es ist nicht möglich, andere als grobe Vergleiche sicher zu treffen. Dass Beethoven besser ist als Hansi Hinterseer, ist klar. Aber sind die Stones besser als Prince? Schwer zu sagen.

Unknown hat gesagt…

@Austin

…sind die Stones besser als Prince? Du muss schon sagen was du unter besser meinst – Musikalische Interpretation und Virtuosität (Musiker/Sänger), Komposition der Stücke, Arrangements, Bühnenpräsenz, Show…. Eine Qualitätsverglech könnte so aussehen: „Sir Michael Philip Jagger ist gesangstechnisch besser als Prince Rogers Nelson, weil er Technik A, Technik B und Technik C besser beherrsch und souveräner einsetzt“. Abgesehen davon, dass Prince und die Stones verschiede Musikrichtungen vertreten und eine Vergleich fast unmöglich ist, sollte man versuchen die Qualitätskriterien zu objektivieren.

Ich vermute jetzt, dass unter „der Geschmack der breiten Massen“ die emotionale Wirkung der Musik zu verstehen ist. Diese Wirkung ist natürlich subjektiv. Manche Künstler verstehen diese „Geschmack“ durch handwerkliche Tricks zu manipulieren (in der Fotografie treffen meistens stimmungsvolle Sonnenuntergänge den breiten Geschmack und Katzenfotos sind unter jungen Mädchen äußerst beliebt). Diese Tricks sind in der Tat sehr kurzlebig und führen oft zu Übersättigung und anschließend Ablehnung der Künstler.

cassiel hat gesagt…

@Sweti

... nicht zu vergessen die Mohnblumen in reifen Getreidefeldern. Das ist sehr beliebt, hält aber nicht vor, prägt sich nicht ein und ist deswegen irgendwann langweilig.

Vielleicht muss die ganz große Kunst auch ein wenig sperrig sein. (Beethoven erntete nur negative Reaktionen von seinen Zeitgenossen auf seine 9. Symphonie)...

Nur so als kleine Anmerkung zwischendurch...

comilona hat gesagt…

Hier mal Gedanken einer Anfängerin (als die ich mich auch nach einigen Jahren noch betrachte):

Als Frau und damit üblicherweise in eine Bewegung "Geführte" (oder "Annehmende" um es in meiner Sichtweise formulieren) versuche ich dem Mann so neutral zu begegnen, dass er seine "Führung" (oder besser "Einladung in die Bewegung") möglichst frei ausführen kann. Durch gute Umarmung, Taktsicherheit, Achse, Nicht Vorlaufen, blabla kennt Ihr alles). Ich ermögliche es damit dem Mann, sich auszudrücken.
Ich betrachte das Paar dann (etwas esoterisch) als Teil des Orchesters. Der Mann als Musiker und die Frau als Instrument, vielleicht?
Ein wirklich phantastischer Musiklehrer hat mich einmal (als meine kleine Tochter ihre Querflötenkrise hatte) folgende Sichtweise ermöglicht: Es ist nicht wichtig, dass das entsprechende Musikstück gekonnt wird. Es ist wichtig, dass sich der Mensch mit seinem Musikinstrument ausdrücken kann, seine Seele zum Schwingen bringen kann. Das ist der Sinn, und nicht noch ein seelenlos geübtes Stück.

Wenn man das jetzt auf den Tango übertragen mag, dann heißt das für mich, dass ein Mensch, der bewegungsfokussiert tanzt, das eben jetzt gern macht und sich auf diese Art und Weise ausdrücken mag, und vielleicht ein wenig den verständnisvollen Blick der übrigen Milongabesucher herausfordern muss. Kann sich ändern, muss nicht.
Ich will nicht den richtigen Tango oder die richtige Musik postulieren. Das muss jeder einfach für sich entscheiden. Und es ist m.E. auch wichtig immer mal wieder die eigene Sichtweise zu überprüfen.

Seit kapp 2 Jahren übe ich mit einem sehr jungen Partner regelmässig ca. 4-5 Stunden die Woche und mit einem sehr sehr viel Älteren gehe ich auf ca 2-3 Milongas die Woche.
Und ratet mal: Der Junge tanzt bewegungsfokussiert und der Ältere umarmungsfokussiert.
Und beides liebe ich sehr. Bei beiden fließt eine unglaubliche Energie!
Im bewegungsfokussierten Tanzen kann sich ebenfalls eine hohe Körpersensibilität entwickeln! Und eine genussreiche Kommunikation!
Lustigerweise wendet sich der Junge jetzt eher mal der engen Umarmung zu und der Ältere fängt an zu experimentieren!
Das Leben ist so spannend, wenn man neugierig ist!

Liebe Grüße von
Christina,
deren Tangokrise im Moment nur aus einer dicken Erkältung besteht. (Ich fürcht mich so vor der echten Krise)

FastZuAlt hat gesagt…

So neu ist diese Debatte nicht. Auch zu Zeiten der Epocha de Oro gab es immer wieder diese Diskussionen um richtig und falsch, um den echten Tango und um das Sakrileg, mit Neuem zu experimentieren. Auch Troilo und Salgan sorgten mit ihren Neuerungen schon seinerzeit für lebhafte Debatten ganz zu schweigen davon, dass ein Piazzolla später sogar Morddrohungen erhalten haben soll, als er den eher konzertanten Tango Nuevo kreierte. Dieser Meinungswettbewerb ist fast so alt wie der Tango selbst und wird von ihm selbst provoziert. Denn er spricht nicht allein das musikalische Gespür an, sondernd darüber hinaus etwas, das tief in uns ist- ja vielleicht geht es wirklich um den Ausdruck innerster Sehnsucht und um ein Lebensgefühl. Insofern bietet er natürlich auch den Nährboden für - sagen wir mal - "ideologische" Polaritäten.

Schon immer erstaunt mich aber, wenn großartige Tänzer verallgemeinernd erklären, eine bestimmte Musik sei "nicht tanzbar". Ist sie das wirklich immer? Mag sein, dass man darauf nicht "in bestimmter Weise" tanzen kann.. Aber die Verallgemeinerung, es sei (überhaupt) nicht zu tanzen, findet doch selten eine objektive Bestätigung. Natürlich wird ein guter Tänzer auch auf Piazzolla tanzen können, wenn ihm danach ist und selbst auf solche umstrittenen neuen Orchester wie Ciudad Baigon wird ein Tänzer mit offenem Herzen, mit frecher Lust oder mit gelassener Unvoreingenommenheit tanzen können. Wenn er mag. Ist es nicht immer eine Frage des Momentes und der spontanen Freude an der Musik und das sich-öffnen für unerwartete Inspiration? Und ist klassischer Tango denn immer per se wirklich "tanzbar" und wunderbar, nur weil er aus jener Zeit stammt? Wer hätte nicht schon mal frustriert die Tanzfläche verlassen, weil sich zwar eine klassische Tanda ankündigte, aber eben keine, die in diesem Moment etwas in mir weckte? Und welcher Dj ist wirklich in der Lage, zB "Celos" einmal an einer Stelle des Abends einzuspielen, wo wir uns auch wirklich dieses besonders ruhige Stück gewünscht hätten?

Nach meinem Eindruck ist die Zahl derer, die wirklich nur und ausschliesslich dieses historisch-nostalgische Erlebnis einer 100 % "klassischen" Milonga erleben wollen, doch deutlich geringer als jener, die sich immer noch "Farbtupfer" wünschen, die neugierig sind, die den Tanz in ihrer Unbedarftheit als lebendig und entwicklungsfähig ansehen und die sich gerne einmal von einem andern Stil, einer anderen Stimmung beeinflussen und berühren lassen wollen.

@Austin hat recht: Natürlich wird der Tango der Epocha de Oro vieles andere überleben..Natürlich ist er als ein Höhepunkt der Entwicklung nicht hinwegzudenken. Er ist und bleibt eine Wegmarke. Aber so wie manche Erscheinung der Popkultur inzwischen als "klassisch" anzusehen ist, ist nicht ganz ausgeschlossen, dass einiges von dem Neuen bleibt (oder noch kommt) und dazu beiträgt, dass der Tango nicht in Ehrfurcht vor der Epocha de Oro erstarrt, sondern sich als lebendig erweist und nach neuen Ausdrucksformen sucht. Das hat ihn von je her spannend gemacht. Der Ausgang ist offen. Und wohin die Reise geht,entscheiden am Ende die, welche als Tänzer ihren Lieblings- Veranstaltungsort auswählen. Eigentlich ganz einfach.

Anonym hat gesagt…

Da ich meine Tangokrise aus der komplett umgekehrten Perspektive erlebe, kann ich nicht anders als einige Bemerkungen beizusteuern. Ich weiß leider nicht in welcher Region Du tanzt, aber ich möchte von Hamburg behaupten, und höre das auch von anderen Tänzern, dass es eher eine Tendenz gibt mehr klassischen Tango auf den Milongas zu spielen als ohnehin schon, sprich dass "Neotango" (ich verwende den Begriff sonst anders) gar nicht mehr gespielt wird. Es geht mir (45 J.) also eher so, dass ich nach 13 Jahren jetzt weniger zum Tanzen gehe, weil ich das goldene Zeitalter, so gerne ich den alten Tango auch habe, in seiner konservierten Reinform einen ganzen Abend lang nicht mehr hören möchte.

Die "offenere Art Tango zu tanzen" wird hier mit einer ganzen Reihe von Begriffen belegt: "erschreckend, jung im Sinne von unreif, sportlich, cool im Sinne von darstellerisch, rücksichtslos, nicht innig, begrenzt" und das natürlich zu "qualitativ minderwertiger Musik". Gleichzeitig wird debatiert, dass dieses Genre bis zu 20 % einer Milonga ausmacht für die keine oder wenig Toleranz aufgebracht werden kann.

Ich bin ehrlich gesagt auch sehr harmoniebedürftig und kann mir nicht ganz erklären, wie es zu dieser Polarisierung "Alt/Neu" kam. Ich für meinen Teil genieße es einfach aus dem ganzen Spektrum der Schritte zu improvisieren, zu öffnen, zu umarmen und mit den Achsen zu spielen. Es ist kühn zu behaupten der Tanz sei dadurch weniger innig weil er nicht nur die enge Tanzhaltung aber auch Dynamik, eine in Maßen biegsame Wirbelsäule und das Lächeln kennt.

Meine Idee ist, dass man sich dem Thema über die "Improvisation" nähern könnte. Die Musik des goldenen Zeitalters, der Rhythmus und der Tanz im Milonguero-Stil bilden eine feste Einheit in der Schritte improvisiert werden. Wenn jetzt zur Melodie getanzt wird oder die Musik wechselt zu Pop, Jazz oder Neotango, so passen auch neue, manchmal arythmische Akzente und Bewegungen. Dennoch bleibt es immer noch ein Improvisationstanz. Man muss es ja nicht mal "Tango" nennen, dennoch hat sich diese Art zu tanzen aus dem Tango entwickelt und es wäre nett wenn wir die Tanzfläche noch eine Weile teilen dürften.

Im übrigen plädiere auch dazu, dass die musikalische Ausrichtung der Milonga kommuniziert wird, damit die Tänzer wissen, wieviel Toleranz dem Dj gegenüber nötig wird.

Man findet doch zu allem ein Zitat: "Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers" (Gustav Mahler – wird aber auch anderen zugeschrieben).

Titus

cassiel hat gesagt…

Hallo Titus,

wenn ich mich recht erinnere, dann habe ich von einer Milonga im Quartal gesprochen (es kann vielleicht ja auch ein wenig häufiger sein). Keinesfalls wollte ich zum Ausdruck bringen, daß nun jede Milonga klassisch sein sollte. Ich suche nur einen Raum für die, die in Gegenden leben, in denen immer noch (scheinbar wahllos) gemischt wird.

Du sprichst einen ganz wesentlichen Punkt mit einer entsprechenden Ankündigung an. Ich finde das ist ein guter Schritt vorwärts auf dem Weg zur Lösung.

Eine möglichst genaue Ankündigung hilft Tänzern und vermeidet Frust bei Veranstaltern, DJs und Milonga-Besuchern.

Da kommen wir aber schon zu einem weiteren Problem: Was ist klassischer Tango? Für mich ist das die Musik zwischen 35 und 55 (so ganz grob - es gibt abzählbar viele Grenzfälle). Für andere DJs ist z.B. Color Tango, El Arranque oder meinetwegen auch das Sexteto Milonguero ebenfalls klassischer Tango. Wir haben eben schon eine Unschärfe in den Begrifflichkeiten. Prinzipiell finde ich es ja sehr gut, wenn es Neo-Milongas gibt; ich mag nur wirklich selbst entscheiden, ob ich an einem Abend dahin will oder nicht. Insofern ist eine möglichst präzise Vorankündigung sehr gut.

@all
Danke für die Anmerkungen!

Austin hat gesagt…

@ sweti

Völlig richtig. Da müsste man sich erst mal einen Wolf definieren, bevor man über Qualität reden kann. Und selbst das führt noch nicht zum Ergebnis, weil zum Beispiel ein großartiger Popsong durchaus von einem mittelmäßigen Sänger gesungen sein kann. Das ist bei den meisten großen Popsongs wahrscheinlich sogar der Fall.

Und deshalb kann man nur große Qualitätsunterschiede feststellen, kleine sind Definitionsfrage.

Schorle hat gesagt…

Dem Kommentar von FastzuAlt möchte ich mich ausdrücklich anschließen.

Die neue Klassik war schon immer die Avantgarde von gestern, egal ob Pugliese oder Piazzolla. Ob Gotan oder Bajofondo, Otros Aires oder gar Tango Crash die Klassiker der Zukunft sind, wird sich weisen. Unachtsame Akrobaten und Selbstdarsteller werden zu elektronischen Beats ebenso ihr Airobicprogramm durchziehen wie zu den schönsten Tangos der Goldenen Epoche. Dies zu steuern und im günstigen Fall zu verhindern, ist aber nun mal auch der Job eines guten DJ - egal wie hoch der jeweilige Anteil an Stilen ist.

Unknown hat gesagt…

Teil 1

In den Artikel "Umarmung gegen Kampfsport und die halbleeren milongas flojas in den c.a.t. Blog schreibt Angela Baciu:
Wieso ist es wichtig, sich wohlzufühlen? Weil man für sich tanzt. Und für die Frau. Der Ehrgeiz (und Argentinier haben meist viel davon) ist dann befriedigt, wenn die Frau nach dem Tanzen lächelt. Sollte man für die ANDEREN tanzen wollen, wird man für sich die Bühne in Anspruch nehmen. Wenn schon für die anderen, sollen sie wirklich zuschauen. Man sollte dann so gut sein, dass sie auch zuschauen WOLLEN. Aber eine Gratisshow in der Milonga abziehen, mit hundert anderen Paaren auf der gleichen Tanzfläche? Macht wenig Sinn, oder?

Diese Gedenken, besonders die Idee, dass nach jeden Tanz die Frau lächeln soll, haben mich fasziniert. Ich habe versucht einige Erfahrungen, über die Kommunikation (ich verwenden meistens Verbindung als Verallgemeinerung) in Tango so zu formulieren dass, die Leser diesen wunderbaren Blog davon profitieren können. Ich hatte nur einen Ziel: mehr Lächeln möglichst nach jeden Tanz.

Tanz nennt man (laut Wikipedia) auf Musik ausgeführte Körperbewegungen. Tanzen ist ein Ritual, ein Brauchtum, eine darstellende Kunstgattung, eine Berufstätigkeit, eine Sportart, eine Therapieform oder schlicht ein Gefühlsausdruck. Die Aspekte Ritual, Brauchtum Therapieform und darstellende Kunstgattung spielen für diese Diskussion keine wesentliche Rolle. Wichtig dagegen ist dass, Tango eine Paartanz ist - wird meist in eine Umarmung paarweise getanzt - und Tango eine Lauftanz ist - er besteht aus Schrittsequenzen (Figuren).

Entscheidend für diese Diskussion ist die Motivation zum Tangotanzen. Ich befrage öfters Anfänger, um die Gründe für den Entscheidung Tango zu erlernen zu erfahren. Meistens höre ich: “Ich will mich auf diesen herrlichen Musik bewegen” (“El rey del compás” läßt grüßen). Es ist ein legitimer Grund. Wenn man dieser Wunsch nachgeht und der Tango so unterrichtet, gelangt man irgendwann zu den Fähigkeit “in der Musik tanzen”, d.h. man bewegt sich synchron mit der Takt oder die Melodie der Musik - je erfahrener der Tänzer ist, desto komplexer die Bewegungen sind. Das ist das, was Cassiel “bewegungsfokussierte” Tanzen nennt. Das ist auch das Bild was man auf YouTube meist beobachten kann - sehr erfahrene Tänzer führen akrobatische Bewegungen auf Tango-, Tango-Nuevo- oder Non-Tango-Musik. Die Musik spielt die Rolle einen Metronom und hilft den Tanzpaar sich synchron zu bewegen. Für die meisten Tangopaare, die “bewegungsfokusiert” tanzen, ist die Musik austauschbar - ob Canaro, Kusturica oder Nuevo - Hauptsache 3/4Takt.

Der Tangolehrer hat mit den Unterricht der Wunsch der Lernende erfühlt - er hat die hand(fuß)werkliche Fähigkeiten des Tangotanzens vermittelt, er hat aber der Tango zu einen Art Sport “degradiert”. Dabei hat man folgende Aspekte versäumt:

- Tango ist ein Paartanz. Die Verbindung zw. die beide Tanzende ist unwahrscheinlich wichtig (vorausgesetzt es handelt sich um improvisierte Tango und nicht um eine choreographierte). Ohne diese Verbindung ist eine adäquate Kommunikation in den Paar unmöglich und eine Musikinterpretation erschwert. Die Stärke der Verbindung ist von der Art der Umarmung, geschlossene oder offene, unabhängig Denkbar ist es eine “bewegungsfokusierte” Tanzstill mit einer starken Verbindung zwischen den Tanzpartner zu praktizieren. Meistens sind erfahrene Tanzpaare der Nuevo-Richtung, die diese Art von Tanz tanzen, naturgemäß in eine offene Umarmung.

Unknown hat gesagt…

Teil 2

- Tango tanzt man in der Gruppe (abgesehen von den Fall, dass man Tango als Showtanz auf der Bühne tanzt), bei eine Milonga. Das bedeutet, dass die Bewegungen auf diese Gruppe abgestimmt sein sollen um den eigene Tanzvergnügen so weit wie möglich angenehm zu gestalten und dabei die Gruppe nicht zu stören. Anders um, beeinflusst die Gruppe das Befinden einzelne Tanzpaare. Das Verhalten der Gruppe wird durch die Musik beeinflusst. An diese Stelle möchte ich @Mittelalt zustimmen: in den letzten Jahre beobachte auch ich eine positive Entwicklung, ja einen Wandel, bei der Tango-DJ’s. Kaum eine Milonga auf einen Festival kann sich erlauben ohne Tandas und Cortinas auszukommen. Der Anteil der Non-Tango-Tandas ist minimal. Die melodramatische Tangos aus der spätere 50er und 60er hört man kaum. Ich staune sogar, dass der Technik besser wird und die Restaurationen immer auf höhere Niveau. Vielleicht täusche ich mich.

- Auf eine Milonga gibt es sowohl Tanzende als auch Zuschauer (die mehr oder weniger Tanzerfahrungen besitzen). Naturgemäß entsteht eine Verbindung zw. den Tanzenden, als Paar und als Gruppe und die Zuschauer. In Abhängigkeit davon, wie die einzelnen Paare diese Verbindung werten, entsteht eine introvertierte (innige) oder eine extrovertierte (nach außen orientierte) Tanzen. Vereinfacht dargestellt, man beobachtet Paare die kleine Bewegungen mit vielen Pausen (ruhig) tanzen und Paare die große, dynamische Bewegungen bevorzugen. Es ist nur logisch, dass diese beiden Verhaltensmuster sich gegenseitig auf die Tanzfläche stören. Ich denke, der DJ kann durch die Musikwahl dieses Verhalten bedingt steuern. Jeder Art Musik kann sowohl introvertiert als auch extrovertiert getanzt werden. Man kann nur hoffen, dass die einzelne Führende intelligent und tolerant genug sind und die Gruppe sich selbst organisiert und synchronisiert, so dass einen angenehmen Tanzerlebnis, sowohl für die Tanzende als auch für die Zuschauer, möglich wird. Bestimmte Regel, die allgemein bekannt sind (vermeide ich grundsätzlich dynamische Figuren, die viel Platz brauche oder passe ich meine Bewegungen bei solchen Figuren an der verfügbare Tanzfläche an), helfen das Verhalten an der Gruppe (Milonga) anzupassen. Tanzlehrer sollen diese Regel bei den Lernenden bekannt machen und bei dem Unterricht penibel auf die Einhaltung achten. Selbsternannte “Tangopolizisten”, die die Einhaltung diese Regeln auf eine Milonga durchsetzen wollen, sind peinlich :)

- es reicht nicht aus, “nur” auf die Musik zu tanzen, das Ziel für mich ist mit meiner Partnerin gemeinsam die Musik zu Interpretieren. Jede Musik verursacht in uns Emotionen. Meiner Meinung nach, besteht der Kunst Tango zu tanzen darin, diese Emotionen mit der Partnerin in adäquate Bewegungen umzusetzen. Die Interpretation der Musik hat zwei folgen: einerseits werden die Emotionen durch die gemeinsame Interpretation der Musik und die Kommunikation miteinander intensiviert und dadurch bekommen sie eine neue Qualität; zum zweiten verursachen die Musik zusammen mit der Beobachtung des Tanzes bei den Zuschauern ästhetische Empfindungen, die viel stärker in Verhältnis zum reinen Musikgenuss sind. Die Verbindung zu Musik hat also verschieden Qualitäten - angefangen von “auf der Musik tanzen” bis hin zu expressive Musikinterpretation.

Unknown hat gesagt…

Teil 3

Nur wenn man diese Aspekte berücksichtigt, kann man der Tango zu einem Gefühlsausdruck, zu einer Emotion, verwandeln. Das sind wahrscheinlich die “schöne und innige Tangomomente”, die Cassiel sucht (zugegeben, ich weiß nicht was Cassiel mit “schöne Tangomomente” meint - schön für mich, für meine Partnerin, für die Beiden, für die Mittanzende, für die Zuschauer...).

Betrachtet man die einzelne Verbindungen im Tango (zu den Partner, zu Musik, zu den anderen Tanzende, ja auch zu den Zuschauern) kann man selbstv. verschieden Fokussierungen feststellen. @Mittelalt hat einige aufgezählt: musikfokussiertem, gefühlsfokussiertem, dialogfokussiertem, Danke. Für mich existiert keinen Wiederspruch zw. diese Tanzarten. Sie sind alle mehr oder weniger berechtigt und bereiten den Tanzenden offensichtlich viel Freude. Ja, diese Vielfalt bereichert an vielen Stellen der Tango, sie machen ihn einem lebendigen Tanz. Entscheidend ist, dass man in der Ronda alle rücksichtsvoll miteinander umgehen und tolerant tanzen. Wie wäre es mit einen expressive toleranzfokusierten Tanzstill?

Cinderella hat gesagt…

Mit großem Interesse verfolge ich diese Debatte jetzt seit Tagen.
Danke, Cassiel, für die Anregung. Ich stimme dir in ganz vielen Punkten zu. Mit geht es auch um "die Kommunikation im Tanz". Die Außenwirkung ist auch mir auch "relativ schnuppe". Was mir jedoch nicht schnuppe ist: ob ich oder mein Partner Mittänzer in der Milonga behindern. Und das tun eben oft die Tänzer, die zeigen wollen, was sie so alles drauf haben.
Ich habe es auch erlebt: Nach ein paar Jahren Figuren und Faible für den Neotango endlich "den Klassischen Tango entdecken und lieben lernen". Manchmal schäme ich mich richtig, dass ich früher so schlecht gehört habe. Ich glaube auch nicht, dass das etwas mit dem Alter bzw der Beweglichkeit zu tun hat. Ich habe mich eben wie viele andere zunächst mal auch von "coolem Sound" blenden lassen, wie Austin sagt, zu ungungsten von Qualität.
Wie schön, dass der Tango trotzdem "auf mich gewartet hat", um Troilo nochmal zu zitieren.

Auch sehr anregend und bereichernd fand ich die Gedanken von sweti. Noch besser ist, wenn man schon während des Tanzens lächelt... :) Der Moment, in dem ich anfange zu lächeln, ist der Moment, in dem ich anfange zu tanzen, mich der Musik und meinem Partner vollkommen hingebe. Das passiert mir nicht so oft, und das erwarte ich auch gar nicht. Aber das ist so erfüllend, dass ich mich auch nicht scheue dafür Hunderte von Kilometern zu fahren, Cassiel. Wo ich wohne, kann man das nämlich gar nicht erleben.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche Verbindung bei nicht klassischer Musik zustande kommen kann. Du hast recht, sweti, wenn du sagst dass die "Verbindung von der Art der Umarmung, geschlossene oder offene, unabhängig ist". Ich glaube aber, dass die Zuschauer, die du auch ansprichst, diese Verbindung wahrnehmen können. Ich bilde mir ein, dass ich es selbst in der Zuschauerrolle bei anderen sehen kann. Ich sehe das jedoch äußerst selten bei Showtanz und bei Paaren, die in der Milonga "bewegungsfokussiert" tanzen... Wenn ich es wahrnehme, passiert da unter Umständen relativ wenig in den Beinen und Füßen usw.
Die "Tangopolizisten", die du schmunzelnd kritisierst, finde ich nicht so schlimm. Leider gibt es nämlich nicht genügend Lehrer, die darauf achten, ihren Schülern Regeln für das Tanzen in der Milonga beizubringen. Überhaupt bringen viele Lehrer ihren Schülern leider meistens Dinge bei, die sie in der Milonga sowieso nicht anwenden können - oder zumindest nicht sollten, wenn sie den Tanzfluss nicht sabottieren wollen.

Anonym hat gesagt…

Cassiel, ich was sowas von wovon Du redest, es ist erschreckend! Ich könnte buchstäblich jeden Satz von Dir in diesem Beitrag unterschreiben.

Darf ich fragen, oin welcher Stadt Du residierst? Ich meinerseits "bin ayn Bearleener"

Florian hat gesagt…

Lieber Cassiel,

ich erkenne dein Problem - habe selbst mit Tango angefangen in einer Kleinstadt, wo vielleicht 20% der aufgelegten Musik klassische Tangos sind (nicht übertrieben, es kann auch weniger sein). Dank Internet habe ich Gottseidank andere Tangomusik entdeckt und inzwischen pendele ich zwischen zwei Grossstädte, wo es, neben einige Neo-Milongas, auch ausreichend Milongas mit 90-100% traditionelle Musik gibt (mindestens 3x pro Woche). Trotzdem gibt es ein grosses Niveau- und Stilunterschied zwischen den traditionellen Milongas in den jeweiligen Städten. Woran das liegt bin ich mir noch nicht ganz sicher aber ich habe den Eindruck ganz entscheidend sind die erste Tangolehrer die in einer Stadt anfangen haben Tango zu unterrichten und damit die Szene gegründet haben.

Also, kurz gesagt glaube ich, dass dein grösstes Problem ist, dass du nicht in der Nähe einer grossen Stadt wohnst, bzw. nicht das Glück hast in der Nähe von einer kleine, aber klassisch zugeneigte Tangoszene zu wohnen (falls es sowas gibt?). Damit möchte ich das Problem gar nicht bagatellisieren, sondern nur darauf hinweisen, dass es auch Orte gibt wo man ganz angenehm zu schöner Musik tanzen kann ;)

chamuyo hat gesagt…

Fundsache zum Thema:
Young dancers think that they are being rebellious when they do crazy steps to nuevo music. They are not being rebellious because this is what EVERYONE is doing. If you want to be a rebel, then put on a nice suit, and just walk, turn, and pause with your partner for one performance. I can assure you that, at first, it is the most nerve wracking thing that you will do because every fiber of your body will say “move faster, do something crazy!” but once you finish the tango, you will feel great because you will know that you have done something that really took guts.
von: http://tangoreviews.com/2011/05/12/interview-with-ney-melo-part-2/
(ich hoffe, das Zitieren verstößt nicht gegen die Regeln des Blogs)

Cinderella hat gesagt…

@chamuyo
Danke! Und nicht zu vergessen: Klassischer Tango ist und war schon immer "rebellious". Neo Tango ist doch eigentlich nichts Neues, sondern eher mit diesem fragwürdiden 80er Jahre Musik Revival, das wir zurzeit erleben, zu vergleichen. Wenn ich das höre, denke ich immer, "denen fällt leider selbst nichts Neues ein...". Klassischer Tango ist eigentlich mehr "neo" als Neo-Tango.

cassiel hat gesagt…

@all
Vielen Dank für die Anmerkungen!

Vielleicht noch ein paar Anmerkungen:


@letzte(r) Anonym,

natürlich darfst Du fragen, in welcher Stadt ich residiere. Ich hoffe nur, ich darf Dir die Antwort auf die Frage schuldig bleiben.

Darf ich offen fragen, ob Du hier neu bist? Ich gehe einmal davon aus - sonst wüßtest Du, daß es in diesem Blog nicht um reale Menschen oder konkrete Orte geht.

Ich denke, meine Beschreibungen haben eine gewisse Allgemeingültigkeit für den europäischen Tango-Alltag. Insofern ist es egal, ob ich aus Berlin, München, Stuttgart, Köln, Hamburg oder Frankfurt komme. Ich war in all diesen Städten schon beim Tango und habe eigentlich immer ähnliche Phänomene beobachten können.

Mir geht es nicht darum, nun den Anspruch zu erheben, definieren zu können, wie der Tango zu sein hat. Es geht vielmehr um meinen Tango für den ich nur wenige Milongas finde.

@Florian
Danke für Deinen Beitrag. Nun, ich denke, ich kann ja jederzeit in die nächste größere Stadt fahren. Ich fahre ja auch gerne für schöne Milongas. Aber, wie geschrieben, finde ich, daß es auch einer lokalen Szene sehr gut tut, wenn dort ab und zu eine klassische Milonga veranstaltet wird.

@chamuyo
Es gibt kaum Regeln für diese Blog und Dein Hinweis war ja sachorientiert und somit höchst willkommen. Ich erlaube mir, Dein Fundstelle noch einmal zu verlinken.
Interview mit Ney Melo
Vielen Dank für die Fundstelle.

Chris hat gesagt…

der Versuch, über Abgrenzung eine eigene Identität zu finden und zu sichern, ist zwar sehr verbreitet, aber weder originell noch besonders effektiv.
Authentischer ist, dem eigenen Herzen zu folgen und das Beste aus dem Gewählten zu machen, und die "Anderen" einfach zu lassen.

Bewegung findet idealerweise in enger wie weiter Umarmung statt; Bewegung und Umarmung sind keine Gegensätze.
Der Wechsel zwischen eng und offen ist schwierig und wird von wenigen TänzerInnen beherrscht, eröffnet jedoch neue Tanzwelten.

Kann man über Musikgeschmack wirklich streiten? Gibt es da richtig und falsch?

Florian hat gesagt…

@Chris
Genau das bewundere ich an Cassiel: dass er die Situation nicht einfach so nimmt wie sie ist, sonder aktiv probiert was daran zu ändern. Sein Blog ist ja ein grossartiges Beispiel davon. Seine Gedanke es wäre besser für die ortliche Tangoszene generell finde ich interessant, aber ob das stimmt bin ich mir noch nicht ganz sicher. Für Tänzer wie Cassiel und ich wäre es jedoch auf jedem Fall wünschenswert. Aus Eigeninteresse sozusagen.

Meiner Meinung nach lässt sich über Musik wunderbar streiten. Manchmal bringt es nichts, manchmal ist es aber auch sehr fruchtbar. Ich habe sehr viel gelernt von Kritik von anderen auf bestimmte Stücke, egal ob sie von Di Sarli oder Schubert seien.

Am liebsten bin ich auf Milongas wo die Musik von den meisten Tänzer nicht als Hintergrund-Gedudel wahrgenommen wird, sondern zugehört und gegebenfalls darüber diskutiert wird. Vor kurzem gehört: "Fresedo ist ja in Ordnung, aber dieses Lied, schrecklich!!" Oder beim Schuhen wechseln, Troilo mit Fiorentino läuft, ein mir unbekannter Tänzer zu mir: "wir kommen genau am richtigen Moment."

Unknown hat gesagt…

@Chris: "der Versuch, über Abgrenzung eine eigene Identität zu finden und zu sichern, ist zwar sehr verbreitet, aber weder originell noch besonders effektiv."

Das ist ein schöner Satz und ich bin Überzeugt, dass die darin enthaltene Aussage richtig ist. Ich verstehe leider nicht den Zusammenhang mit der laufenden Diskussion. Identitätsfindung ist nicht originell, sie ist für einige Leute essential. Über der Effektivität kann ich auch nichts sagen. Ich frage mich nur: soll Identitätsfindung effektiv sein?

Ich werde mich sehr freuen, wenn du mir helfen würdest deine Gedanken zu verstehen.

tangoloco hat gesagt…

Interessante Diskussion, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Vielleicht @ Chris:

Über Geschmack lässt sich tatsächlich nicht streiten. Über Musikqualität schon eher. Und darüber, wie sehr ein Stück zum Tanzen geeignet ist, erst recht. Denn natürlich kann man, wie FastZuAlt behauptet, zu jeder Musik tanzen, nur ist nicht jede Musik zum Tanzen gedacht, sprich: komponiert und eingespielt. In diesem Sinnne ideal sind nun mal die Tangos der Epoca D'Oro. Aber spätenstens Mitte der 50er Jahre wird's schwieriger, weil der Hauptzweck nicht mehr der des Tanzens ist (hier hat ohnehin Rock'n'Roll die Herrschaft übernommen). Pugliese macht da keinen Hehl draus, auch Piazzolla sagt das ganz klar, und er bezeichnet seine Musik ja auch nicht mehr als Tango, sondern als Tango Nuevo. Ja, man kann darauf tanzen - wenn man die Stücke genau kennt. Denn berechenbar ist diese Musik nicht mehr, und Berechenbarkeit braucht es zum Tanzen, um in der Musik zu sein und nicht nur hinterherzutanzen. Zuviel Berechenbarkeit allerdings ist, was die Musik betrifft, auch nicht gut, dann wird es schnell langweilig (betrifft sehr viele Neotango-Stücke, aber auch diverses klassische Tangos).

Berechenbarkeit (oder wem das lieber ist: Verlässlichkeit) ist dagegen unerlässlich, wenn es um den Tanzfluss geht, besonders beim vor mir tanzenden Paar. Ob die nun klassisch oder freestyle tanzen ist mit dabei relativ egal, Hauptsache, ich muss mir darum keine bzw. nicht ständig neue Gedanken machen, denn sonst tanze ich nicht mehr umarmungs- oder bewegungs- oder sonstwie fokussiert, sondern nur noch vorderpaarfokussiert, um Schaden von meiner Partnerin abzuwenden, und mit Tangofühlen ist es dann vorbei.
Diese ganze Berechenbarkeiten (auch Tandas tragen dazu bei, ebenso wie das Wissen um das, welche Musik mich auf einer Milonga erwartet) schaffen vor allem eins: Freiheit. Und die brauche ich für einen vollendeten Tangotanzgenuss – in der Umramung, in der Musik.

cassiel hat gesagt…

Liebe Chris,

natürlich funktioniert Identität durch Abgrenzng nicht. Meintest Du mich mit dem Zitat?

Ich habe vor fast zwei Jahren diesen Spruch einmal verwendet, als ein umtriebiger Mensch den Tango für sein Ding missbrauchen wollte und bei einem kritischen Hinterfragen gleich Verfolgung gebrüllt hat.

Vielleicht hast Du es in meinem ursprünglichen Beitrag überlesen, ich plädiere nicht dafür, jede Milonga klassisch auszurichten - ich bin aber sehr wohl der Meinung, daß jede Milonga einmal im Quartal (oder so) klassische ausgerichtet werden sollte. Davon kann mich auch Kritik nicht abbringen.

In mehreren Versuchen habe ich es ausprobiert, modernere Klänge in eine klassische Milonga zu integrieren. Es war immer ein Bruch. Liebhaber klassischer Tangos leben mit diesem Bruch auf inzwischen fast jeder Milonga (a little drop of poison). Degegen setze ich mein Konzept, einmal im Quartal klassische Musik zu spielen (und zwar ausschließlich). Ich habe den Eindruck, mir wird dann Fundamentalismus vorgehalten und dann frage ich mich unwillkürlich, wo denn bitte der größere Fundamentalismus liegt: Wenn man ab und zu eine klassische Milonga wünscht oder wenn man die Veranstaltung reiner EdO-Milongas kategorisch ablehnt.

Nix für ungut :-)

c.

Chris hat gesagt…

Die Stile: Ich bin dem tango nuevo dankbar, daß er den Staub aus den Köpfen geblasen, dem Tango eine solide Technikbasis und eine unendliche Vielzahl neuer faszinierender "Moves" beschert hat.
Heute tanze ich den Milonguero-Stil mit neuer Technik und bin begeistert, wie Sinnlichkeit und Dynamik damit in unverkrampfter Haltung und Bewegung vereint werden können, unabhängig von der getanzten Figurenzahl/Minute(was wieder ein gaaanz anderes Thema ist).

Ich kann mich nicht freisprechen von der Versuchung zu glauben, ich tanze nun den "besten" Stil. Aber im Grunde bringt mich solche Abgrenzung nicht weiter. Erstens ist nicht für jeden gut, was mich glücklich macht, und, es lebe die Vielfalt, zweitens gibt es immer was zu lernen und zu erfahren.
Die Schubladen gut und böse, echt und falsch, sozial und unsozial sollten wir schön verschlossen halten, wenn wir über Milonguero-Stil und Tango-nuevo diskutieren. Es sind die Akteure, nicht die Stile.

Die Musik: Wiewohl ich inzwischen ein eingeschworener Fan von Theresas 100%igen epoca d'oro Veranstaltungen bin, gehe ich auch gerne auf Veranstaltungen, bei denen gut gemischt wird (was immer seltener zu werden scheint). Entscheidend ist für mich, ob ein Stück etwas in mir zum klingen bringt, mich emotinal bewegt, dies muß kein Tango sein.
Dabei staune ich immer wieder, wie von mir bewunderte Musikkenner auf Stücke tanzen, die mich allenfalls in den Rotweinmißbrauch treiben, und dann Tandas verquatschen, die mich zum Weinen bringen. So einfach ist es nicht mit gut und schlecht.
Auch hier gilt: Schubladen geschlossen halten und Augen auf. Wer glaubt, man könne auf ein Stück nicht tanzen, ist vielleicht nur selbst nicht gut genug. Was einem selbst unmöglich scheint, gelingt anderen offenkundig sehr gut, ob nun diSarli, Pugliese, Metallica oder Bach aus den Boxen scheppert. Ich hab's oft genug gesehen und kann nur raten: respektieren und genießen, und einfach mal die Finger von den Wertungsknöpfen lassen.

B. G. hat gesagt…

@Chris

Bist Du Dir sicher, dass Du nicht die Wertung ins Spiel bringst? Ich teile Cassiels Standpunkt, dass eine halbwegs regelmäßige traditionelle Milonga jeder Szene hilft, das Niveau zu heben.

Cinderella hat gesagt…

@ Cassiel und Chris
Geht es jetzt doch um "reale Menschen und konkrete Orte"? Ihr scheint euch jedenfalls zu kennen und noch was zu klären zu haben. Bach, Metallica? Geht es noch ums Tangotanzen?
Was ist gut daran, die Finger von den Wertungsknöpfen zu lassen, Chris, wenn es dich "in den Rotweinmissbrauch treibt"?
Ich finde es nach wie vor gut, dass es Leute gibt, die wie du, Cassiel, versuchen, dem traditionellen Tango Ehre zu erweisen und ihn zu pflegen. Und warum nicht in einem solchen Forum Dampf ablassen, wenn einen bestimmte Entwicklungen stören?
Natürlich macht nicht jeden dasselbe glücklich, aber wenn eine Milonga mit 80-100% traditionellem Tango für sich wirbt, möchte ich mich auch darauf verlassen können. Vor allem, wenn ich dafür 100 Kilometer und mehr gefahren bin. Wenn ich weiß, dass mich höchstens eine 60% T Milonga erwartet, setze ich mich nämlich gar nicht erst ins Auto. Das macht mich dann nämlich nicht glücklich. Für ein Metallica Konzert würde ich mich übrigens auch nicht ins Auto setzen... :)

cassiel hat gesagt…

Liebe Cinderella,

der Eindruck trügt; Chris und ich sind uns nie begegnet. Es geht eben nicht um reale Menschen und konkrete Orte. Deswegen habe ich auch Schwierigkeiten, den Punkt von Chris zu verstehen. Ich halte meinen Wunsch nach einer durchgängig klassischen Milonga (von Zeit zu Zeit) für gar nicht so abwegig.

Ich habe m.W. auch keine Wertungsknöpfe gedrückt. Mir gefällt Non-Tango Musik schlicht nicht auf der Milonga. Ich höre gerne Johann Sebastian Bach (die Goldberg Variationen liebe ich beispielsweise) und ab und zu höre ich auch gerne Metallica - aber nicht beim Tango.

Cinderella hat gesagt…

@ Cassiel, tut mir Leid, dass ich nicht ganz eindeutig war. Mein letzter Kommentar war an dich und Chris gerichtet. Das mit den Wertungsknöpfen war ein Zitat von Chris und ging an Chris' Adresse. Wie du auch meinen vorhergehenden Beiträgen entnehmen kannst, bin ich völlig deiner Meinung, was traditionelle Milongas und klassischen Tango anbelangt. Auf den Milongas geht es dann nämlich doch um reale Menschen und konkrete Orte. Und es ist gut, dass wir uns hier davon distanzieren. Das eröffnet uns Möglichkeiten (Wertungsknöpfe zu drücken, Zitat Chris), die wir auf der Milonga so nicht haben und auch nicht beanspruchen sollten.
Ich höre auch mal was anderes als Tango. Auf der Milonga lege ich aber Wert darauf - und auch im Auto auf dem Weg dorthin und wieder nach Hause möchte ich nichts anderes haben.

Austin hat gesagt…

@ Chris

Das erinnert mich an den ersten Kommentar, den ich in diesen Blog geschrieben habe. Es handelte sich um die Frage, was eigentlich ein Non-Tango ist. Ich verstehe darunter ein Stück, dass kein Tango ist, aber auf einer Milonga gespielt wird und der DJ tut das in der Absicht, dass darauf Tango getanzt wird.

Theoretisch geht das mit jeder Musik im Viervierteltakt, die nicht zu schnell und nicht zu langsam ist. Das scheinst Du ähnlich zu sehen, denn wenn Du sagst, Du hast schon Leute auf Bach und Metallica super Tango tanzen gesehen, gehe ich mal davon aus, dass auch Du Dich von bestimmten Metallica-Stücken dazu inspiriert fühlen könntest, Tango zu tanzen, oder dass Du Dir vorstellen kannst, dass Dir bei "Großer Herr, o starker König" aus dem Weihnachtsoratorium der Tanzschuh juckt.

Das vermag ich nicht nachzuvollziehen. Ich fühle mich grundsätzlich nicht von Musik zum Tangotanzen inspiriert, die kein Tango ist, auch wenn ich es technisch schon hinkriegen würde. Ich bestreite nicht, dass es Nicht-Tango-Musik geben mag, die zum Tango passt (und wenn ich müsste, würden mir auch ein paar Stücke einfallen), aber die von Dir gewählten Beispiele sind meiner Ansicht nach vom Tango viel zu weit entfernt.

Meiner Ansicht nach zeichnet sich ein Tango (als Musikstück) doch durch viel mehr aus als durch den Viervierteltakt und das tanzbare Tempo, und ich kann es kaum glauben, dass dieses "viel mehr" von all denen nicht vermisst wird, die behaupten, auf einer Milonga ohne (oder mit nur wenigen) klassischen Tangos auszukommen.

Unknown hat gesagt…

Ich sehe es ähnlich wie @Austin.

Es ist noch einen Aspekt, den ich noch gerne in der Diskussion einbringen möchte. Traditioneller Tango ist einer der wenigen Musikrichtungen, die so eng mit dem Tanz verbunden sind. Diese Tatsache ist historisch beding und ist mit den Entwicklung der Tango als Musikrichtung insb. in der 30ger und 40er (sog. Epoca d’oro 1935-1955) begründet. Die Stücke wurden in diese Zeit ausschließlich für die Tanzenden geschrieben. Die Arrangeure waren in engen Kontakt mit den großen Tänzern und passten die Arrangements an den damals üblichen (und modernen) Schrittsequenzen. Die Musiker (und Sänger) spielten vorwiegend auf Tanzveranstaltungen und nahmen stets Rücksicht auf die Tanzende. Durch diese enge Verbindung zw. Tanz und Musik entstanden in der Musik charakteristische Strukturen die einmalig sind und nur mit der Ausdrucksmittel des traditionellen Tangotanzes zu interpretieren sind. Hier zwei willkürlich ausgewählte Beispiele: Aunque no lo crean - Francisco Canaro, voc. Roberto Maida (ab 2:00) und Tormenta en el alma - Francisco Canaro, voc. Ernesto Famá, Mirna Mores (ab 1:30). Ich behaupte sogar, es sind Schrittsequenzen des traditionellen Tangotanzes, die nur auf entspr. traditionellen Musik tanzbar sind (meine subjektive Verständliss).

Die Entscheidung traditionelle Tango auf traditionelle Tangomusik zu tanzen stellt selbstv. eine Einschränkung der Kreativität dar. Solche Einschränkungen sind aber bei jede kreative Tätigkeit (die manchmal auch Kunst genannt wird) üblich und erwünscht. Ein Mahler, der nur Kreidezeichnungen mahlt, verzichtet auf dem Ausdrucksmittel Farbe, um sich auf bestimmte Aspekte zu konzentrieren. Wenn ich heute mit meine 50 Jahre alte Kamera fotografiere, verzichte ich bewusst auf die unwahrscheinlich vielfältigen Möglichkeiten, die mir die moderne Digitalfotografie bietet. Diese Entscheidung ist bewusst getroffen und das Ergebnis ist ein Produkt, der genau meine Vorstellungen entspricht. In der Regel unterscheidet sich diese Produkt von den allgemein üblichen Vorstellungen.
Und zurück zur Tango: mir ist die bewusste Entscheidung wichtig. Alternativ kann man selbstverständlich jede passende Musik vertanzen (in Sinne von konsumieren) und dabei auch Spaß haben.

Chris hat gesagt…

also um es vorweg klarzustellen: cassiel und ich kennen uns nicht, wahrscheinlich sind wir uns noch nicht einmal begegnet.
Und ich schätze cassiels besonnene und zurückhaltende Art sehr (ich habe aber den neuen Brief an Bruno noch nicht gelesen). Daran ändert auch so manch unterschiedliche Einstellung nichts.

Wenn cassiel mehr traditionelle Milongas fordert, rennt er bei mir offene Türen ein, ja tatsächlich.
Es wird mich auch nie jemand irgendwo auf Metallica tanzen sehen (außer vielleicht auf einer Ü40 Geburtstagsparty zu später Stunde).
Ich finde es nur nicht fair, andere wegen ihres Musikgeschmackes abzuwerten; zumindest schwingt da für mein Empfinden mehr oder weniger unterschwellig eine Wertung mit in manchen Beiträgen. Für manche ist es das Größte, auf bestimmte Non-Tangos Tango (oder Tangoähnliches) zu tanzen, und bei wenigen sieht es sogar richtig gut aus.

Ja natürlich lassen wir hier Dampf ab (oder auch nur heiße Luft). Insbesondere ich ;-)

Unknown hat gesagt…

Berliner Tagesspiegel - Beeindruckende Bilder, schöner Text
Dank an Maria Santos auf tengo-de

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank @ Sweti

Ich beachte Tango-De nicht mehr - zu viel Mist. Das ist eine sehr beeindruckende Diaschau!

Cassiel, kannst Du nicht für solch wertvolle Meldungen hier etwas einrichten? ich hätte es beinahe überlesen.

cassiel hat gesagt…

@all
Vielen Dank für die Anmerkungen!

@letzter Anonym
So geschmeichelt ich mich auch durch Deinen Vorschlag fühlen mag, mir fällt da weder eine technische Möglichkeit ein, noch könnte ich ein solches Angebot redaktionell betreuen.
Ein Blog ist ein Blog und eine Mailing-Liste ist eine Mailing-Liste.
Ich verwende ja schließlich auch keinen Schraubenzieher um einen Nagel in die Wand zu schlagen. ;-)

Ich wünsche allseits ein schönes Wochenende...

Chris hat gesagt…

Danke Sweti, schöner, unaufgeregter Blick in unsere Welt.

Gute Idee Anonym. Eine kleine Ecke für solche Sammelstücke oder Anektoden, wäre nicht schlecht. Was meinst Du, Cassiel, Du hättest die Arbeit?

P.S. Da hab' ich auch schon getanzt. Bereits auf dem Weg dorthin, nach Wedding, durch zwei Torbögen unter verfallende Häuser in den zweiten Hinterhof, Tangomusik ist leise zu hören, eine brüchige Betontreppe hoch durch moderfeuchte Luft verläßt man die Welt, in ein Zimmerlabyrinth, bollerofenheiße Luft, Plüsch und Backstein, Dj-Pult und Klavier. Leider ist die Szene etwas, wie soll ich sagen, schwierig, doch dazu ein andermal.

cassiel hat gesagt…

Liebe Chris,

Opa hat gesagt: Schuster bleib bei Deinem Leisten und höchstwahrscheinlich hat er damit Recht gehabt. ;-)

Ich sehe keinen Weg, das irgendwie vernünftig technisch zu realisieren und außerdem würde jede Besucherin / jeder Besucher erwarten, daß ein solches Angebot in einem Blog auch redaktionell (oder ähnlich) betreut wird (der Blogger ist ja eine Instanz, die filtert und einen Rahmen vorgibt). Diese Leistung kann ich nicht erbringen. Leider.

Mikamou hat gesagt…

@sweti - Teil 1: Nettes Zitat von Angela ... und es stimmt, sie treibt keinen Kampfsport sondern praktiziert die Umarmung, nur deshalb ist der Tanz aber weder innig noch ein Dialog mit dem Gegenüber.
Ich wundere mich auch bei so einigen Diskussionen, dass das Übel in der Musik gesucht wird, es ist meines Erachtens höchstens der Auslöser. Vorbilder sind meines Erachtens weit wichtiger.

Unknown hat gesagt…

@Mikamau
Hm... ich kenne Angela nicht und ich weiß nicht wie sie tanzt. Ich habe auch nicht behauptet, dass die (enge) Umarmung Voraussetzung und ausreichend für eine introvertiertes (inniges) Tanzen ist. In Gegenteil, ich bin überzeugt, dass die Qualität der Umarmung nicht in Zusammenhang mit der Kommunikation zwischen den Partnern steht. Man kann genauso gut auch in eine offene Umarmung introvertiert Tanzen und eine Dialog aufbauen

Ja, die Rolle der Vorbilder (Tangolehrer, gute Tänzer, YouTube) wird meistens unterschätzt und die Rolle der DJ (Musik) überschätzt, denke ich. Du hast richtig formuliert - die Musik kann nur als einen Auslöser, Initiator des Dialogs dienen.

grüspan hat gesagt…

Hallo!
Ich bin aus Berlin und, da mich niemand sehen kann:
habe die letzten Sechs Jahre durchgetanzt (damit einen Teil meines anderen Lebens eingetauscht)teils sechs mal die Woche.
Ich unterrichte inzwischen, bin nicht Yannick (yannick & eugenia), aber bestimmt besser als alle (!) der Referenten in diesem Blog.
Leute, leute, mir fällt nur auf,das Ihr einfach mehr tanzen gehen solltet um dann festzustellen, es ist alles nur ... bullshit.
Anfänergesülze.
Es klingt despektierlich, aber nur, wenn du erwartetest, das sitzen gleich lernen ist: (besser sitzen, als schlecht tanzen) hat mir mal eine Freundin gesagt. Ich habe auch all diese Punkte durch, in mir, aber es sind nur Punkte auf einer Etappe.
Erinnert euch doch bitte, was Ihr selbst als Teenager in Euer Tagebuch geschrieben hättet, über das Leben im Allgemeinen.
Oder:
Lerne Klavierspielen (mit dem Alter von über 45): Erwartest du wirklich, Sonaten von Dir?
E ben.
mfg
Euer ...
Dance on, NOW!

(Ich lerne gleich Colgadas an der Türklinke! ja)

Unknown hat gesagt…

Ja, Herr Lehrer, so könne wir hier nicht tanzen. Wier bevorzugen diese Tanzstil.
Ich kenne aber jemand aus Potsdam, er könnte dir einiges Zeigen :)

cassiel hat gesagt…

@grüspan
Schön, daß Du Dich meldest und Deine Sicht der Dinge schreibst. Ich fürchte, wir haben komplett unterschiedliche Konzepte vom Tango. Wenn meine Sicht der Dinge für Dich Anfängergesülze ist, dann kann ich damit leben.

Als Teenager habe ich kein Tagebuch geschrieben, insofern kann ich mich nicht erinnern, was ich damals nicht vermerkt habe. ;-)

Dein Selbstbewußtsein ist bemerkenswert. Ich denke allerdings, daß es im Tango vielleicht noch ein paar andere Aspekte gibt. Vielleicht entdeckst Du die ja noch.

affig hat gesagt…

Bravo grünspan! Endlich sagt man einer die Wahrheit. Lauter winselnde und sülzender Anfänger hier.

chamuyo hat gesagt…

@grüspan:
stell dir vor, es könnte Leute geben, die etwas deutlich länger tanzen als du, und diese von dir beschriebene Phase schon hinter sich haben. Könntest du dir dann auch noch vorstellen, dass es Leute gibt, die der Meinung sind, dass in Berlin miserabel getanzt wird?
Es gibt das alles. Vielleicht kommst du irgendwann auch hin.

Cinderella hat gesagt…

Colgadas lernen an der Türklinke. Interessant...
Im englischsprachigen Blog tangocommuter1.blogspot.com wurde kürzlich unter dem Stichwort 'technique' darüber diskutiert, wie es sich für Männer anfühlt mit einer Frau zu tanzen, die zum Lernen eine Wand als Partner benutzt hat. Könnte auch interessant sein. Man muss aber Englisch können. ;)

Unknown hat gesagt…

@Aschenputtel:
wie jetzt, Du übst die Colgadas nicht an der Türklinke? Da bin ich aber enteuscht von Dir :(
Der Artikel von tangocommuter ist prima, danke!

Cinderella hat gesagt…

@sweti
Nein, ich übe keine Colgadas an der Türklinke, ich tanze auch nie allein. Da sitze ich dann lieber mal und schaue zu oder gehe früher nach Hause, bevor der Ball zu Ende ist - deshalb hat mich mal jemand Cinderella gennant. Der war auch enttäuscht, aber das macht nichts. Schlechtes Tanzen macht nicht glücklich. Wäre nett, wenn du mir meinen Namen lässt. :)

Unknown hat gesagt…

@Cinderella,
ich erschuldige mich für dieser, zugegeben, plumper Scherz. Und ja, jeder hat Recht auf einen Alias

Anonym hat gesagt…

Ich bitte Euch allen, mir meine Deutschfehler zu verzeihen (ich bin keine Muttersprachlerin).

Erstens: zur Musik. Was du da erzaehlst, erscheckt mich ein wenig. Ich tanze Tango eigentlich nur gerne mit traditioneller Tangomusik und war eigentlich bislang noch nie auf einer Milonga, wo etwas anderes aufgelegt wurde. Es klingt fuer mich ziemlich furchtbar, ehrlich gesagt.

Aber fuer mich hat das mit dem Tanzstil ueberhaupt gar nichts zu tun. Die allermeisten Nuevo-Taenzer, die ich aus Buenos Aires kenne, haben einen ausgesprochen konservativen Musikgeschmack und auf den Milongas, wo viel Nuevo getanzt wird, werden lauter Orchester aus den Bluetezeit des Tangos aufgelegt (obwohl in manchen Practicas auf Cortinas verzichtet wird). Elektro- und Alternativtango kommt selten vor.

Zweitens: Ich bin ueberhaupt nicht mit deinen Definitionen von "umarmungsfokusiertem und bewegungsfokusiertem Tango" zufrieden. Ich nehme an, damit meinst du auf der einen Seite Milonguero-Stil (mit einer Umarmung 'von zwei Titten,' die man nie oeffnet) und auf der anderen Salon oder Nuevo. Da ich am liebsten Salon tanze, werde ich aus dem Sichtpunkt einer Salontaenzerin antworten. (Wer sich wundert, wie ich die Stile definiere, kann naeheres dazu in meinem Blog lesen: siehe "A Question of Style" und "Young Conservatives: the Sunderland Practica".)

Beim Salon wird zwar die Umarmung geoeffnet, aber nur dann, und nur so weit, also noetig ist, um gewisse Schritte, die feste Bestandteile des Salon-Repertoires sind (z.B. Giros im Laufen) bequem tanzen zu koennen. Wir laufen immer in einer geschlossenen Umarmung und legen sehr viel wert darauf, dass diese Umarmung sich schoen kuschelig und schnuggelig anfuehlt. Ehrlich gesagt, einer der Gruende, warum ich manchmal nicht so gern mit einigen Milonguero-Taenzern tanze, ist, dass manche eine harte, unbequeme Art haben, mich zu umarmen (ein Missverstaendnis des Milonguero-Stils, meiner Meinung nach). Die Salon-Umarmung dagegen ist oft weicher.

Anonym hat gesagt…

Aber wir stehen nicht nur da und kuscheln uns. Denn es gibt ein weiterer, sehr wichtiger Element beim Tango. Eben die Musik. Und diese Musik ist nicht immer langsam, sanft und zahm. Verlangt nicht immer kleine, ruhige Bewegungen. Sie ist sehr abwechlungsreich: ruft manchmal gerade nach groesseren, dramatischeren Bewegungen. Wir versuchen nur, auf unsere Art und Weise ihr (der Musik) gerecht zu sein. Dies gilt uebrigens auch fuer aeltere Taenzer. Schau mal nur zu, wie Argentinier in ihren 60. 70. und 80. spaete D'Arienzos oder flotte Biaggi-Milongas tanzen. Da geht das Zeug ab. Wie kann man bei D'Arienzo mit der selben Sanftheit und Seelenruhe tanzen wie man etwa bei Fresedo tanzt? Die Musik verlangt etwas anderes von uns.

Es geht nicht deswegen darum, etwas nach aussen zu zeigen. Die Konnektion im Paar liegt auch fuer uns Salon-Taenzer an erster Stelle. Aber diese Verbindung, diese Kommunikation findet nicht nur durch koerperliche Beruehrung statt, sondern auch dadurch, dass beide die Musik hoeren und gemeinsam interpretieren.

Natuerlich kann das von aussen auch schoen aussehen. Das liegt am Tango. Er ist halt ein schoener Tanz. Aber das heisst lange nicht, dass es uns in erster Linie um blosse Aesthetik geht. Wir sind Interpreten. Sogar bei einer Auffuehrung geht es mir darum, eine moeglichst innige Verbindung zum Partner zu etablieren. Das Publikum will genau das naemlich sehen: unsere Tanz-Chemie als Paar. Und es geht mir darum, dieser schoenen Musik gerecht zu werden. Das ist mir wichtiger als blosses Kuscheln, wie schoen auch das Kuscheln sein kann.

Und man soll nicht vergessen, dass die Tanzflaeche auch in der Milonga nicht immer proppevoll ist. Gegen Ende des Abends gibt es auf vielen Milongas ziemlich viel Platz.

PD Ich habe inzwischen alle Kommentare gelesen -- mit etwas Erstaunen ueber die Beschreibungen der deutschen Milongas. Viele Leser stellen den Vergleich zwischen Milonguero und Nuevo auf. Und Salon? Es ist zur Zeit der beliebteste Tangotanzstil in Buenos Aires (Nuevo ist ziemlich ausser Mode gekommen). Und mein persoenlicher Lieblingsstil. Wer nicht weisst, wie das aussieht, dem empfehle ich im Youtube nach Roxana Suarez und Sebastian Achaval oder Lorena Ermocida und Fabian Peralta zu suchen.

cassiel hat gesagt…

Werte, überaus geschätzte Blogger-Kollegin!

[für Alle die es nicht wissen: Terpsichore ist eine der 9 Musen in der griechischen Antike; die Muse der Tanzfreude - ein wunderbar passendes Pseudonym für eine Tango-Bloggerin. Terpsichorals Blog "Tango Addiction" findet man übrigens in meiner Blogroll.]

Zunächst möchte ich noch einmal die Wahl der Begriffe erklären: Mir ging es in diesem Beitrag darum, den scheinbar unüberbrückbaren Graben zwischen Tradis und Neos oder Salontänzern und Nuevos durch die Wahl anderer Begriffe zu versöhnen.

Du schreibst aus Bs As - da kann ich nicht mithalten. Ich kann nur über meine Beobachtungen im deutschen Tango schreiben. Und da sehe ich große Unterschiede, die sehr häufig auch mit der Wahl der Musik eng verknüpft sind.

Ich unterscheide nur zwischen Salon- und Neo-Tango (der m.E. häufig ein getarnter Bühnentango ist). Der eine ist umarmungsfokussiert, der zweite bewegungsfokussiert. Es gibt ernstzunehmende Menschen, die die Existenz eines Milonguero-Stils bezweifeln. Sie halten es für ein Marketing-Werkzeug von Susanna Miller. Ich kann das nicht in letzter Konsequenz beurteilen, aber es klingt für mich plausibel.

Vielleicht führen wir noch einen weiteren Begriff ein? Die Achse; ist sie "gemeinsam", dann kann ich nur mit Menschen tanzen, die eben genau so tanzen. Ich für meine Begriffe bevorzuge, daß jeder der beiden Tanzpartner in seiner Achse steht (wie im richtigen Leben).

Aber vielleicht reden wir gerade aneinander vorbei. Wie würdest Du z.B. den Stil von Melina und Detlef beschreiben? Ich das Milonguero oder Salon. Für mich ist das Tango de Salon.

Für mich persönlich ist der Tango eine zur Musik gegangene Umarmung. So einfach und gleichzeitig schwierig ist das. Ich tanze den Tango nach innen in das gegenwärtige Paar hinein. Wie das von außen aussieht ist mir ziemlich egal. Ich habe den Eindruck, daß in weiten Teilen Deutschlandes ein Bühnentango (mit der entsprechenden Außenwirkung) getanzt wird. Da fehlt für mein Empfinden häufig die Exaktheit und die Synchronität und (viel wichtiger): ich habe den Eindruck, da tanzen Menschen paarweise jeweils für sich.

Wenn sich mein Gesicht beim Anblick einer vor meinen Augen hingestolperten Volcada schmerzverzerrt (weil ich an ein paar schmerzhafte Sitzungen für die Tanguera beim Osteopathen denke, der den Lendenwirbelbereich wieder repariert), dann denke ich immer unwillkürlich daran, daß es doch vielleicht für die nämliche Tanguera ganz schön wäre, wenn man den Tango einfach und zur Musik tanzt. Aber das ist meine höchst subjektive Meinung.

Ich denke, daß ich beurteilen kann, daß in weiten Teilen in Deutschland das denkwürdige Interview aus der "El tangauta" vom Dezember 2009 mit Chicho Fumboli gänzlich unbekannt ist. Fragen der Musik bzw. Musikalität spielen hier weitgehend immer noch eine untergeordnete Rolle.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, wie wertvoll ich Dein Blog finde und ich empfehle es allen Leserinnen und Lesern ausdrücklich.

Viele Grüße

c.

cassiel hat gesagt…

[Noch ein Kommentra von Terpsichoral - sie kann aufgrund eines Fehlers hier nicht kommentieren und hat mir ihre Antwort zur Veröffentlichung geschickt.]

@Cassiel Eigentlich macht es wenig Sinn, uns ueber Begriffe zu streiten. Ich denke, wir sind im wesentlichen der gleichen Meinung.

Das wichtigste ist die Musik. Und da stimme ich dir 110% zu in dem, was du schreibst.

Ich moechte nur nicht, dass alles, was nicht Tango-Milonguero ist, in einen Topf gesteckt wird oder als blosse Akrobatik oder Bewegung lediglich um der Bewegung willen abgewertet wird (ich weiss, das war nicht deine Absicht, haette aber so verstanden sein koennen). Das ist etwas, was ich eben hier in Europa vor allem von einigen Milonguero-Taenzern gehoert habe: wir tanzen das richtige Tango. Das andere ist nur schoene Bewegungen: steril und bedeutungslos. Und das ist offentsichtlich quatsch.

Auch Nuevo, meiner Meinung nach, kann mit viel Gefuehl, Konnektion, Respekt vor der Tanzrunde und Musikalitaet getanzt werden. Das beim Unterricht zu vermitteln ist allerdings vielleicht bei Tango-Nuevo eine groessere Herausforderung fuer die Lehrer als bei anderen, weniger spektakulaeren Stilrichtungen.

Was ich unter Milonguero-Stil verstehe: man umarmt sich 'mit zwei Titten' (also beide Seiten des Oberkoerpers der Frau beruehren den des Mannes); man oeffnet diese Umarmung nie. In Salon und Nuevo ist die Umarmung dagegen eine 'eine Titte Umarmung' und wird geoeffnet und wieder geschlossen, jenachdem was der Mann tanzen will.

Ich finde den Begriff Milonguero eine nuetzliche Abkuerzung. Wenn jemand sagt, Dingsbums tanzt Milonguero; Hunzeli tanzt Salon, die meisten koennen da schon verstehen, was ungefaehr gemeint wird.

Aber die Grenzen sind da ziemlich fliessend. Ausserdem tanzen viele erfahrene Taenzer in Buenos Aires Milonguero-Stil, wenn es sehr wenig Platz auf der Tanzflaeche gibt. Der Stil ist dafuer ideal. Sie steigen dann ggf. auf Salon/Nuevo spaeter am Abend um, wenn einige schon ins Bett gegangen sind und es also mehr Platz gibt.

Salon wird in Buenos Aires als einen ganz spezifischen Stil verstanden (manche nennen ihn auch Villa Urquiza). Die Wettbewerbe in Tango Salon spielen da eine grosse Rolle, was die Definitionsfrage angeht.

Natuerlich gibt es auch viele, die ihren Stil nicht definieren wollen. Und manche, die eine Fusion aus Salon und Nuevo tanzen (Nuevo und Milonguero kann man wiederum schwer miteinander vereinen). Das hatte den lustigen Ergebnis, dass manche jetzt ihren Stil als "Extrem-Salon" bezeichnen: also Salon ohne Nuevo-Einfluesse.

Melina und Detlef tanzen ganz, aber ganz deutlich Milonguero. 100%ig. Keine Zweifel. Oeffnen sie jeweils die Umarmung? Nein. Also, das ist Milonguero.

Das, was Susanne Miller tanzt, ist zwar auch Milonguero. Im Gegensatz zu Melina & Detlefs Tanzen, gefaellt mir aber Susanne Millers Tanzart nicht. In ihrem Fall unterrichtet sie, dass man die Achse teilt. Das ist aber ihr persoenlicher Stil, kein wesentlicher Bestandteil des Milonguero-Stiles. Aber was sie eben trotzdem zu einer Milonguero-Taenzerin macht, ist eben dass sie und ihre Partner die Umarmung nie oeffnen.

Anonym hat gesagt…

Juppi! Ich kann einen Kommentar hinterlassen.

Um Missverstaendnisse zu vermeiden:

"Wenn sich mein Gesicht beim Anblick einer vor meinen Augen hingestolperten Volcada schmerzverzerrt ... dann denke ich immer unwillkürlich daran, daß es doch vielleicht für die nämliche Tanguera ganz schön wäre, wenn man den Tango einfach und zur Musik tanzt." Volkommen einverstanden.

"Ich tanze den Tango nach innen in das gegenwärtige Paar hinein. Wie das von außen aussieht ist mir ziemlich egal." Mir ist es nicht egal, wie ich von aussen aussehe (weil ich schoene Taenze mit guten Taenzern haben moechte und sie gucken zu, bevor sie eine Frau auffordern und ausserdem ist mir die Aesthetik schon auch wichtig -- wenn lange nicht so wichtig wie das Gefuehl). Aber die beste Art und Weise, einen auch nach aussen hin schoenen Tango zu tanzen, ist sich auf seinen Partner und die Musik voellig zu konzentrieren. Das gilt sogar bei der Auffuehrung (und in der Milonga erst recht). Wenn du moechtest, dass die Zuschauer dich anklatschen, tanze als waeren sie gar nicht da, als wuerde nichts anderes in der Welt existieren als der Partner und die Musik.

Unknown hat gesagt…

@Terpsichoral

Ich bin begeistert!

Ich kann jedes Wort, was Du hier schreibst, unterschreiben. Die Dreiteilung - Milonguero-, Salon- und Nuevo-Art - finde ich sehr wichtig. Deine Aussage, dass ein inniges Tanzen unabhängig von der Tanz-Art und der Art der Umarmung entstehen kann, ist für mich genauso wichtig. Ich denke, die Umkehrung ist auch gültig – unabhängig von der Art des Tanzes und die Umarmung kann man extrovertiert, nach außen orientiert, tanzen. Diese Unabhängigkeit gilt, m.E.n., auch für die Musik.

Ich freue mich, dass jemand mit so großen Tanzerfahrungen, meine Verständnis zur Tango teilt.

p.s. bitte um Entschuldigung, ich habe in einen Kommentar deinen Nikname falsch geschrieben. Gleichzeitig danke ich Cassiel für die aufklärenden Wörter.

Tangosohle hat gesagt…

Liebe Terpsichoral,

vielen Dank für deine Hinführung zur Sensibilisierung dieser drei Tanzstile. Wobei mir gar nicht klar ist, was eigentlich Nuevo-Stil sein soll. Ich glaube es war Sebastian Arce, der irgendwo mal sagte, jeder Unterricht, der zur eigenen Entwicklung anregt, ist ein Nuevo-stil. Weil nicht klar ist, was am Ende dabei an Tanzfertigkeiten herauskommt. Das verstehe ich als Abgrenzung zum Nachahmungsunterricht, soweit man so etwas überhaupt Unterricht nennen kann und nicht besser Unterweisung oder Lehrgang.
Der Hinweis auf die qualitativen Möglichkeiten jeder Tanzart kann gar nicht stark genug betont werden. Es geht ja um die Qualität und nicht um die Schublade. Wer weiß, wie wir in 10 Jahren denken werden. (....).
In meinem Wahrnehmungskreis waren ein Grund für das Interesse an Fusion Tango die schlechten und sehr schlechten Milongas und DJs von klassischen Milongas. Mit der schönsten Musik wurden und werden die langweiligsten Milongas gestaltet. Das merken die DJs natürlich auch, und da kamen die bekannten Nuevo- und Fusion gruppen gerade recht. Ein paar Gotans und Otros Aires-titel bringt wieder Schwung und kompensieren einen ansonsten langweiligen Abend. Anstatt sich mit der Musik auseinander zu setzen. Leider werden viele Tangueros dadurch auch dem Fusiontango nicht gerecht, da es zwar schlechte, aber auch definitv gute und passende Titel gibt. Ob als Tanda, ob als Cortina, ob bei einer Tageslichtmilonga, spezielle Umgebung, es kommt halt immer drauf an.

Dein Satz Mir ist es nicht egal, wie ich von aussen aussehe ist sehr irreführend. Unter- oder überschätze da uns Männer nicht. Ja, es gibt Männer, die achten darauf, wie eine Frau ihre Füße und Beine und ihren Torso bewegt. Es gibt Männer, die achten auf die Harmonie zwischen einer Frau und ihrem Tänzer; welche, die achten auf den Gesichtsausdruck; welche, die achten auf Alter, Figur, Haarfarbe,...; welche, die achten, ob eine Frau schon zu lange sitzt; solche, die machen einmal die Augen zu und lassen sich überraschen, wer beim Augen aufmachen in ihrem Fokus ist. Etc. Manchmal entscheidet ein unbeabsichtigtes Lächeln am Tag vorher zufällig in der Stadt über einen großen Teil des tänzerischen Abends. Völlig unabhängig sämtlicher äußerer Kriterien.
Bei der Gelegenheit
möchte ich doch sehr darauf aufmerksam machen, wie genussvoll es sein kann mit einer 90 kg leichten Dame zu tanzen. Wenn diese tanzen kann(sic!), dann fühlt sie sich leicht wie ein Schmetterling an und leichter als manch 45 kg leichte Tänzerin. Probiert's einfach aus!
Ich für mich kann sagen: Ich habe es eine Zeitlang über mich ergehen lassen, dass Tänzerinnen ungeführte Boleos, Powackler, etc. machten, also Wirkung erzeugen wollten anstatt gemeinsam zu tanzen. Irgendwann bin ich dazu übergegangen, dass diese für ein paar Jahre als Tanzpartnerinnen nicht mehr in Frage kamen.
Es geht also um Authentizität und nicht um Pose, wenn von der Außendarstellung die Rede ist.

Cassiel, der Satz mit der hingestolperten Volcada: Möglicherweise tanzten sie gar keine Volcada, sondern einfach irgendwas, wofür sie einen hippen Namen verwenden wollten. Oder sie verwechselten Practica und Milonga.

„daß es doch vielleicht für die nämliche Tanguera ganz schön wäre, wenn man den Tango einfach und zur Musik tanzt.“ Ich gehe zwar persönlich in die selbe Richtung, aber man sollte sich nicht täuschen: Nicht zu wenige Tangueras wollen nicht einfach und sinnlich und so zur Musik tanzen, sondern wollen Action, Spaß, Überraschung, Verdrehungen, schwitzen. Auch wenn sie nach einer musikalischen Tanda „echt nett“ sagen und meinen - wenn die temperamentvollen Tandas nicht mehr enden w/sollen und Cortinas ignoriert werden, dann ist das eine andere Sprache.

Herzliche Grüße
TS

Anonym hat gesagt…

@Sweti Ich weiss, dass einige Nuevo- und andere Taenzer eine genuaere Idee davon haben, was Nuevotango als solchen charakterisiert (er wurde sogar von manchen so ziemlich intellektualisiert.) Ich finde das aber persoenlich relativ schwer zu definieren. Volcadas und Colgadas koennen ja auch im Salon gefuehrt werden -- aber meistens sind die dann schon viel kleiner und undramatischer, als in Tango-Nuevo ueblich ist. Es gibt eine gewisse Art und Weise, Boleos und Ochos zu fuehren, die sehr charakteristisch fuer Nuevo ist. Und in Nuevo sind lineale Boleos sehr angesagt: die kommen zwar auch im Salon vor, doch werden die kreisformigen Boleos von den Salon- und Milonguerotaenzern sehr bevorzugt und die Lineale sind eher eine Seltenheit. Ganchos werden auch beim Nuevo oft gefuehrt, kommen bei Salon oder Milonguero nicht oft in der Milonga vor (auf der Buehne oder bei einer Auffuehrung dann schon). Doch faellt es mir sehr schwer, das schriftlich zu beschreiben. Und bei Tango-Nuevo kann man die Umarmung nicht nur oeffnen, sondern auch 'brechen': fuer Soltadas, usw. Ich bin keine Nuevo-Expertin. Meistens ist es ziemlich klar, wenn jemand entweder Milonguero tanzt oder Salon. Wenn sein Tanz weder in die eine noch in die andere Schublade so richtig passt, und manche wilde Elemente hat; oder wenn er sehr spielerisch ist und es ist ihm der Humor wichtiger als die Eleganz, denke ich schnell dazu "Ach, Tango Nuevo." Ich geniesse es eigentlich sehr, mit einem guten Nuevo-Taenzer zu tanzen. Mit einem weniger erfahrenen Taenzer dagegen, wurde ich hundertmal lieber Salon oder Milonguero tanzen. Kein Tango-Nuevo ist besser als schlechter Tango-Nuevo.

Anonym hat gesagt…

@Tangosohle Frau weiss ja meistens nicht, warum ein Mann sie auffordert oder nicht. Aber bei den sehr guten Taenzern spielt die Qualitaet des Tanzens meistens schon eine Rolle. Die besten Taenzer sind schon waehlerisch. (Und wenn es an der Schoenheit oder Jugend der Frau liegt, ob man sie auffordert oder nicht -- dafuer kann ich halt nichts. Aber ich kann ja an meinem Tango arbeiten).

Wenn ich vom Auesseren rede, meine ich ueberhaupt NICHT solche Sachen wie Boleos selber tanzen oder nach aussen tanzen. Das sieht eigentlich scheisse aus und ist nur peinlich zu sehen. Ich spreche eher von Sachen wie die Tatsache, dass ich eine schoene Koerperhaltung haben will, ohne natuerlich im Geringsten meine Umarmung weniger weich oder schnuggelig zu machen. Bei Adornos (Verzierungen) geht es mir in erster Linie darum, die Musik zu interpretieren. Sie muessen zur Musik passen, um schoen zu sein -- keine Frage. Aber koennen auch mit guter Aesthetik ausgefuehrt werden. Verzierungen sind hauptsaechlich fuer den Genuss des Partners, aber nichts spricht dagegen, sie auch aesthetisch schoen zu tanzen.

Ich bin ja Taenzerin. Mir kann es nicht egal sein, wie mein Tanzen aussieht. Schon zu Ehre des Tangos moechte ich schoen tanzen. Auch wenn es keine Zuschauer gaebe. Wie gesagt, wie frau sich anfuehlt ist im Tango deutlich wichtiger, als wie sie beim Tanzen aussieht. Meistens funktioniert der Tango aber schon so, dass das was schoen aussieht, sich auch schoen anfuehlt und umgekehrt.

"Es geht also um Authentizität und nicht um Pose, wenn von der Außendarstellung die Rede ist." Offentsichtlich. Von Pose kann nicht die Rede sein. Posen sehen auch scheisse aus. Das, was schoen aussieht, ist eine Frau, die mit Sensibilitaet ihrem Partner zugewendet ist und die Musik mit Sorgfalt interpretiert (die Musikalitaet der Frau ist genauso wichtig wie die des Mannes).

Geschlossene Augen sind bei der engen Umarmung schoener als offene. Und das kann man durchaus verallgemeinern. Die Innigkeit ist gerade das, was schoen ist. Ironischerweise, sogar von Aussen ist das schoener.

Was das Gewicht der Damen angeht, kann ich nur zustimmen. Wenn die Frau eine gute Technik hat, kann sie sich auch mit 90kg leicht anfuehlen -- oder mit einer schlechten sehr schwer mit einem Gewicht von 45kg.

Ich zitiere Javier Rodriguez (im schoenen Film, Der Letzte Bandoneon): "Es ist eine unglaubliche Erfahrung, mit diesen 80kg Frauen zu tanzen. Nicht weil sie 80kg wiegen. Oder doch. Sie wiegen 80kg. 80kg von reinem Tango."

Tangosohle hat gesagt…

Wir gehen da im Großen und Ganzen d'accord.
Das ist sehr interessant und schön, wie du das "schöne Tanzen" beschreibst.
Was das Auffordern betrifft, ich ahne, dass du da in einer völlig anderen Tangowelt lebst. Wenn ich auf den kleinen Milongas in meiner mittelgroßen Stadt anfangen würde, nur die besten Tänzerinnen aufzufordern wird 1. die Auswahl schnell sehr klein und ich würde 2. den unsozialen Tango fördern und selbst als arrogant in der Szene gelten. Es gibt zwar immer wieder tangueros, die plötzlich sagen, ich habe bei dem und dem Unterricht gehabt/ war in Bs.As., jetzt habe ich es nicht mehr nötig mit diesem oder jener zu tanzen. Die sind dann aber schnell einsam.

"Das, was schoen aussieht, ist eine Frau, die ... die Musik mit Sorgfalt interpretiert (die Musikalitaet der Frau ist genauso wichtig wie die des Mannes)."
Voilá!
Und das heißt, dass die Frau nicht die "Folgende"(ein sehr unpräziser Hilfsbegriff), geschweige denn die Ausführende des "Führenden" ist.

"80kg reiner Tango".... Ich speichere mir dieses Zitat ;)

Anonym hat gesagt…

Detlef Engel und Melina Sedo haben sich dazu geauessert, dass ich mit dem Etikett "Milonguero-Stil" so frei umgehe. Sie fuehlen sich da misrepresentiert (da ich sie auch als Vertreter dieses Stils beschreibe) und lehnen ueberhaupt Stil-Etikette ab. Ihr Beitrag war interessant und hat mich zum Gruebeln gebracht. Vielleicht verbreite ich nur Bloedsinn, mit meinen Beschreibungen und Labels? Kann sein. Auf jeden Fall ist es ziemlich unwichtig, wie man etwas nennt. Ich zitiere direkt aus meinem Facebook (wo der Austausch auf Englisch stattgefunden hat).

Melina: We don't dance Milonguero style! The "style" Milonguero was defined by Susanna Miller for the US market. We never studied with Susanna Miller who focusses on a very limited set of steps in an embrace that verges on sharing axises. We dance our own interpretation of Tango de Salon - as do all Milongueros in Buenos Aires. Please read my definition on my blog:

http://melinas-two-cent.blogspot.com/2011/02/weve-just-returned-from-italy.html

Anonym hat gesagt…

Detlef: Our dance is not all what you would understand as 'milonguero style'. If you'd met us you'd know ... Read as well our last interview on tangoreviews.com, please. And don't put us into a label box again, please. Our websites name is 'tangodesalon.de' - for a reason ! Milonguero style does not exist, it is a marketing label, when will you all get that ?

Ich: Detlef und Melina, thank you for this clarification of how you understand your dancing. I apologise for labelling you with a term which we clearly understand quite differently and which you feel does not reflect how you dance or teach. Perhaps I am rather overenthusiastic about using labels, because it's what I hear in Buenos Aires constantly: so-and-so dances salon; so-and-so dances milonguero. And, generally, I and the person I'm speaking to both mean the same thing when we use those terms (and, in the case of milonguero, it has nothing to do with a leaning style like Susannah Miller's). As far as I can tell from Youtube videos, your teaching video, personal experience of the way Andreas dances (which I incidentally love) etc. you do have a very distinctive way of dancing, which, for me, is similar to those I know from Buenos Aires who describe their dancing as milonguero and rather more distant from those who define their dancing as salon/Villa Urquiza. And nothing like those who describe their dancing as nuevo or a salon/nuevo hybrid. These terms, of course, have no absolute meaning, just the kinds of meanings that have accrued to them from use. Nor do they have any historical authenticity. Just as clan tartans have very little historical authenticity, but people still associate them with Scotland. When I say or hear 'milonguero' in Buenos Aires, what is generally meant is a style in which the dancers have a 'two tit' embrace which they do not open (they may open one side, so that the embrace becomes more of a V) but they don't open in the sense of creating space between the two torsos, so that they are no longer touching. People, in general, use it to refer to a range of ways of dancing (with more or less pivot, with larger or smaller steps, etc.) which are all united by this feature: not opening the embrace. People also talk about 'dancing milonguero style, rather than salon' as the sensible thing to do when the milonga is very crowded. So, I suppose I have got into the habit of using this distinction, too. Personally, I am not fond of Susannah Miller's style of dancing. As I know many excellent dancers who describe their style as 'milonguero' who were not influenced by her and whom I enjoy both dancing with and watching, it was in no way meant as an insult.

But I really should not have mentioned individual professional dancers by name here in the Facebook. I was responding to a comment one of your students made, which is why your names came up. Again, thanks for the clarification and I apologise for having labelled you. I'll be more thoughtful about the use of labels in future.

cassiel hat gesagt…

Nur ganz kurz: Ich hoffe, die wiedergegebenen Äußerungen von MyD waren ursprünglich öffentlich und nicht Teil einer privaten Kommunikation. In diesem Detail bin ich sehr genau. Eigene Gedanken darf hier jede(r) einstellen. Bei der Wiedergabe von Äußerungen Dritter bitte ich um einen umsichtigen Umgang mit diesen Informationen.

Ich bitte um Verständnis.

Anonym hat gesagt…

Cassiel, die Auesserungen von Melina und Detlef waren Kommentare zu meinem ('Terpsichorals') Facebook-Status. Terpsichoral hat fast 1000 Facebook Freunde und ausserdem koennen Freunde meiner Freunde die Posts auch lesen. Ich glaube also, dass war schon ziemlich oeffentlich.

cassiel hat gesagt…

OK

Danke...

Anonym hat gesagt…

Wichtig finde ich die Dynamik, der Wechsel zwischen langsameren und schnelleren Abschnitten innerhalb eines Stückes und dann auch innerhalb des Tanzes, vielleicht auch mit unterschiedlicher Lautstärke und Wechsel des dominierenden Instrumentes. Mitunter werden mehrere traditionelle Stücke hintereinander gespielt, die überspitzt als gleichförmiger Klangteppich herüberkommen. Bei moderner Musik ist mir das seltener untergekommen, aber auch "traditionelle" Tangomusik gibt es in schwungvoll und dynamisch.
Dynamik, wie von mir gemeint, geht entsprechend sowohl in umarmungsfokussiertem- wie in bewegungsfokussiertem Tango, wobei ihr Fehlen bei letzterem vielleicht mehr auffällt.
Joachim F.

Anonym hat gesagt…

"Aber wenn es zu wenig traditionelle Milongas in Deiner Region gibt, dann mach doch welche!"

Die Einstellung führt, konsequent zu Ende gedacht, in vielen Regionen zu einer Zersplitterung der Tangoszene, bis auf den jeweiligen Milongas jeder Stilrichtung nur vier Paare vertreten sind, oder, wenn es der Zufall so einrichtet, auf der einen sieben Führende und eine Folgende, auf der anderen ein Führender und sieben Folgende Tänzer*innen.

Die Mehrzahl der Tänzer findet eine gewisse Mischung am Besten, wobei das ideale Mischungsverhältnis natürlich von den unterschiedlichen Geschmäckern abhängt. Aber selten 100% zu 0% oder 0% zu 100%. Also lieber etwas Toleranz und halt mal eine Runde aussetzen.

cassiel hat gesagt…

Hallo Anonym :-),

leicht verspätet kommen hier meine Gedanken zu Deiner Anmerkung. Ich bin nun schon länger im Tango unterwegs und deshalb gehe ich nur dann zur Milonga, wenn mir die Rahmenbestimmungen passend erscheinen. Wenn m.E. unbrauchbare Musik gespielt wird, dann gehe ich erst gar nicht los. Lieber gar nicht tanzen als schlecht tanzen. Ich beobachte leider, dass Tango mehr und mehr zu einer Party verkommt. Da bin ich dann raus.
Ich erlebe gut gefüllte Milongas, die nur den Kern der Musik aus Bs As spielen.

Dein Argument der Toleranz ist etwas schwierig zu beantworten. Ich bin ein sehr toleranter Mensch. Bei ästhetischen Fragen bin ich eher strikt. Niemand hat etwas davon, wenn alle nur halbherzig anwesend sind. Deswegen plädiere ich für Vielfalt bei den angebotenen Milongas. Das wäre mein Lösungsvorschlag.

P.S.: Es reißt gerade wieder ein, dass hier viel anonym kommentiert wird. Grundsätzlich ist das okay. Nur im Verlauf einer Diskussion ist es einfacher, wenn alle Anmerkenden einen (möglicherweise frei erfundenen) Namen angeben. Dann kann man einfacher reagieren …