Montag, 1. Februar 2010

Tango und Religion - Fragmente

Für den Tango existiert kein Volk als abstrakte Einheit oder als Ideal.
Der Tango kennt nur den Menschen aus Fleisch und Blut.

José Gobello


Als Blogger hat man ja so seine technischen Helferlein, die einem kleine Informationsschnipsel aus dem Netz in das Postfach spülen. So erreichte mich die Nachricht von Querelen in einem Ort in Südostanatolien namens Batman (Nomen est omen?) um einen Tangokurs. Und natürlich gibt es auch gleich die üblichen Diskussionen mit verhärteten Standpunkten und hinlänglich bekannten stereotypen Klischees (hier oder hier).

Und dann war ich gestern zu einer Milonga in der Aula einer Klosterschule. Der Raum war teilweise romanisch (ohne da Experte zu sein würde ich so auf das 12. Jahrhundert tippen) und es war ein ganz besonderes Erlebnis, in einer Umgebung gefühlter, fast plastischer abendländischer Geschichte mit allen Irrungen und Wirrungen zu tanzen. Eine Ordensschwester kam nachher beim Aufräumen vorbei und gestand, sie hätte durch den Vorhang gespäht und wäre tief beeindruckt gewesen. Ihr hat wohl die Versunkenheit der Paare und die leise Musik sehr gefallen. Aber das Verhältnis der katholischen Kirche zum Tango war nicht immer so entspannt. Wikipedia berichtet von einem Verbot seitens Papst Pius X. um 1900 (eine andere Quelle schreibt dieses Verbot Papst Benedikt dem XV. 1915 zu). Das scheint sich nun mittlerweile deutlich entspannt zu haben.

Aus den beiden beinahe beliebigen Informationspartikeln wird deutlich wie unterschiedlich die Begegnung Tango und Religion ausfallen kann.

Aber neben der Rezeption des Tangos durch religöse Kreise gibt es auch einen zweiten Aspekt: Die Affinität von Religion zum Tango.


Rodrigo hat vor einigen Tagen in einem Beitrag in Tango-de auf ein Buch mit einem Beitrag von Hedwig Meyer-Wilmes: Tango con pasión - Erinnerung als zentrales Element einer Hermeneutik des Raumes hingewiesen. Den Aufsatz findet man bei GoogleBooks - ich habe mir natürlich den Text mehrfach durchgelesen... und... ich bin nicht wirklich schlauer geworden. Aber vielleicht schreibe ich der Reihe nach.

Das Thema "Tango und Religion" beschäftigt mich schon eine Weile. Joli hatte dazu einmal einen Artikel in ihrem wunderbaren Blog geschrieben und seit geraumer Zeit ringe ich um Worte damit ich angemessen reagieren kann (was auch immer "angemessen" in diesem Zusammenhang bedeuten mag). Joli hatte damals geschrieben, Tango sei eine Religion. Ich habe da meine erheblichen Zweifel.

Ich erinnere mich auch an ein Erlebnis in meiner Kindheit. Im Dom in Münster wohnte ich einer Veranstaltung bei, bei der tanzende Derwische um den Altar wirbelten (ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es ein Gottesdienst oder eine kulturelle Veranstaltung war - damals konnte ich wahrscheinlich noch aufrecht unter einem Tisch hindurchgehen) - nebenbei bemerkt: für die katholische Kirche in den siebziger Jahren finde ich aus heutiger Sicht eine solche Veranstaltung beachtlich. Ich nehme diese Erimnnerung als Beispiel, wie eng Tanz und Relgion beieinander stehen. So ließen sich auch beliebig viele Beispiele für kultische Tänze finden. Und das überspannt wohl den gesamten Erdkreis. In den asiatischen Religionen finden sich kultische Tänze ebenso wie in den indianischen Riten (Nord-)Amerikas.

Neulich hatte ich hier auch den Denkansatz Tango Zen - Walking Dance Meditation erwähnt. Ich lese noch immer in dem Büchlein und überlege.

Und in regelmäßigen Abständen begegnet mir immer wieder ein Text von Aurelius Augustinus (354 - 430): Lobe den Tanz. Mit Augustinus habe ich gewaltige Probleme, seine Philosophie bzw. seine Sicht der Dinge ist mir zu streng. Seinen Antisemitismus nehme ich ihm richtig übel (auch wenn man diesen im Kontext einer jungen Religion lesen und verstehen muss) und die Nummer, Frau und Kinder im Stich zu lassen (um fortan ein heiligmäßiges Leben zu führen), finde ich nicht besonders gelungen. Aber das ist vielleicht ein anderes Thema.

Ich lobe den Tanz

Ich lobe den Tanz
denn er befreit den Menschen
von der Schwere der Dinge
bindet den Vereinzelten
an die Gemeinschaft

Ich lobe den Tanz
der alles fordert und fördert
Gesundheit und klaren Geist
und eine beschwingte Seele

Tanz ist Verwandlung
des Raumes, der Zeit, des Mensche
der dauernd in Gefahr ist
zu zerfallen ganz Hirn
Wille oder Gefühl zu werden

Der Tanz dagegen fordert
den ganzen Menschen
der in seiner Mitte verankert ist
der nicht besessen ist
von der Begehrlichkeit
nach Menschen und Dingen
und von der Dämonie
der Verlassenheit im eigenen Ich

Der Tanz fordert
den befreiten, den schwingenden
Menschen
im Gleichgewicht aller Kräfte

Ich lobe den Tanz
O Mensch lerne tanzen,
sonst wissen die Engel
im Himmel mit dir
nichts anzufangen!


Augustinus

Dieser Text nötigt mir Respekt ab. Den Kerngedanken, daß der Tanz einen zentrierten und ausgeglichenen Menschen erfordert, finde ich sehr bemerkenswert und ich denke, der Gedanke gehört wirklich in den Tango. Ich meine tatsächlich, der Mensch benötigt für den Tango den Willen (Bauch), den Verstand (Gehirn) und das Gefühl (Herz) in einer gesunden Mischung. Fehlt ein Anteil oder ist ein Teil überbewertet, dann wird der Tango kaum gelingen.

Und um noch einmal zur These von Joli zurückzukommen: Tango ist nach meinem momentanen Denkprozess keine Religion. Er besetzt aber die Rezeptoren in der menschlichen Existenz, die üblicherweise durch Relgion bedient werden. Die inzwischen berühmte Definition von Karl Marx, der zufolge Religion Opium für das Volk sei, ist möglicherweise auch ein Indiz für eine Verwandschaft. Man denke nur an die Tangosucht.

;-)

Dieser Beitrag ist gewiß keine Sternstunde meines Blogs. Derzeit habe ich genügend andere Baustellen in meinem Leben. Ich musste mir das aber eben schnell in der Mittagspause von der Seele schreiben. Vielleicht lese ich ja den einen oder anderen ergänzenden Gedanken in Kommentaren.

24 Anmerkung(en):

Patrick hat gesagt…

Der Tanz allgemein und Tango im speziellen bieten wunderschöne Rituale. Darum ist das ja auch so ein hervorragendes Betätigungsfeld für Gurus.

Marx (den Du übrigens trotz des Wikipedia-Links falsch zitiert hast) starb sechzig Jahre zu früh. Sonst hätte er bestimmt "Tango ist die Religion des Volkes" gesagt.

B. G. hat gesagt…

Mal wieder typisch! ;-)

Da schaut man nichts ahnend schnell auf die Seite und unvermittelt liest man einen solchen Kracher. Wie findest Du eigentlich immer die Themen?

Dein "Gift" wirkt langsam - aber man kann sich diesem lauten Nachdenken kaum entziehen.

Mehr davon!

Tanguera hat gesagt…

Respekt Cassiel! Das romanische Portal (wo die Garderobe untergebracht war) stammt aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, das einschiffige Langhaus ist ein spätgotischer Raum aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Und ich stimme Dir zu - die Räumlichkeiten haben auf die Milonga u ihre Besucher ausgestrahlt. Eine wunderschöne Milonga! Was aber auch ganz maßgeblich an den Menschen lag, die die Milonga ausgerichtet haben. Die Zwei sind wirkliche Menschenlieber, im Wortsinn. Womit wir doch wieder bei Religion sind - liebe Deinen Nächsten. Nimm ihn an, wie er ist. Das ist gestern gelebt worden. Und wenn Du jemanden annimmst, wie er ist, dann bringst Du ihm Respekt entgegen und achtest ihn - wobei wir wieder bei der Achtsamkeit sind. Der Kreis schließt sich.

affig hat gesagt…

... und wieder nur der übliche Scheiß!

Wer solche Texte schreibt ist bestimmt nicht ganz dicht. Beästige doch nicht eine Öffentlichkeit mit Deinem Müll!

cassiel hat gesagt…

@Patrick, B. G. und Tanguera

Danke für die Anmerkungen.

Sophia hat gesagt…

Lieber Cassiel,

kannst Du das etwas genauer schreiben? Was meinst Du mit "Rezeptoren", die durch Tango bzw. Religion besetzt werden?

Wie kommen eigentlich solche Nachrichten (ich meine die Meldung über den Tango in der Türkei) ins Internet?

Und in einem solchen Raum möchte ich auch einmal tanzen. Das muss ja wunderschön gewesen sein.

Liebe Grüße


Sophia

peter hat gesagt…

Hallo affig,

das diese zeilen aus deiner feder stammen hat mich überrascht... halte dich bitte an dein eigenes geschreibsel.

peter fangmeier (aus mörfelden)

zitat
... und wieder nur der übliche Scheiß!

Wer solche Texte schreibt ist bestimmt nicht ganz dicht. Beästige doch nicht eine Öffentlichkeit mit Deinem Müll!

Murka hat gesagt…

Ich werde auch Paar Worte zu dem Thema schreiben. Ich habe mal überlegt, was die leute in der Religion suchen. Halt, Trost, Gefühl angenommen, getragen zu werden? Vielleicht suchen das auch viele in Tango? Ich habe leider auch beobachten müssen, dass die Dogmen der Religion statt Halt zu geben oft mehr einschränken, was bei diesen Berichten aus Anatolien zu beobachten ist...

bobina hat gesagt…

"Tango ist nach meinem momentanen Denkprozess keine Religion. Er besetzt aber die Rezeptoren in der menschlichen Existenz, die üblicherweise durch Relgion bedient werden."

nach meinem momentanen Denkprozess?
Rezeptoren?
Rezeptoren in der menschlichen Existenz?

das ist alles ernst gemeint?
nee, oder?

cassiel hat gesagt…

@bobina

das ist alles ernst gemeint?
nee, oder?


Vielleicht formuliere ich manchmal etwas eigentümlich... aber... das war schon ernst gemeint...

Bist Du jetzt besorgt? ;-)

@all

Danke für die Anmerkungen

cassiel hat gesagt…

@Sophia

Das habe ich jetzt vergessen. Ich wollte Dir ja noch kurz antworten. Nach meiner (höchst subjektiven) Überzeugung gibt es eine tiefe Sehnsucht in der menschlichen Existenz nach dem Transzendenten; vielleicht als Reaktion auf das klare Bewußtsein der Begrenztheit der eigenen Existenz. Manchmal habe ich den Eindruck, daß es auch so eine Sehnsucht bei Atheisten gibt - jedenfalls sind manche unter ihnen, deren Überzeugung so vehement ist, daß ich mißtrauisch werde.

Diese Sehnsucht nach dem Rational-Nicht-Zu-Fassenden wird für mein Empfinden auch im Tango bedient. So habe ich den Satz mit den "Rezeptoren" gemeint.

Patrick hat gesagt…

Sehnsüchte haben wohl Theisten wie Atheisten. Aber statt in dunklen Räumen nach schwarzen Katzen zu suchen (oder eben den Suchenden zu erklären, es gäbe hier keine schwarzen Katzen), wäre es doch spannender, aus dem dunklen Keller rauszugehen.

Dorthin, wo das Leben und die Musik spielt, dorthin, wo man Menschen umarmen und mit ihnen tanzen darf. Und wo der glückliche Agnostiker ruft: "Ich hab keine Ahnung, ob Tango eine Religion ist, aber es macht Spass". :)

Anonym hat gesagt…

Soll das jetzt hier eine Philosophie-Vorlesung werden?

Geht doch einfach tanzen!

leo hat gesagt…

wenn der Tango religiöse Züge annimmt, dann werde ich misstrauisch. Aber eine Parallele gibt es schon. Sowohl der Tango als auch Religionen wollen Menschen auf jeweils ihre Art vereinen, aber beide schaffen es auch immer wieder, sie zu trennen. Beide Kräfte existieren, und jeder steht vor der Entscheidung, für welche Kräfte er steht.

Anonym hat gesagt…

Ein wunderbarer Artikel! Es ist aber leider keine leichte Kost (wie übrigens viele andere Text hier auch). Ich kannte den Text von Augustinus bislang noch nicht. Dank' Dir dafür.

Kann es aber nicht sein, dass der Tanz (oder der Tango) eben diese "Zentriertheit" des Menschen fördert? Mir kommt es manchmal so vor.

Und eine Bemerkung zu den unfreundlichen Kommentatoren: Wenn ihr diese Gedanken nicht ertragt (so mache ich mir einen Reim auf Euer Verhalten), dann solltet ihr vielleicht zum online Angebot der Bildzeitung wechseln. ;-)

Anonym hat gesagt…

Irgendwo stand: "Dein Gift wirkt langsam, aber es wirkt". So langsam lerne ich und ich bin gespannt, welche Überraschungen der Tango noch für mich bereithält.

Für mich ist es kaum vorstellbar, wie ein Mensch so viele Gedanken haben und veröffentlichen kann - und dazu noch kostenlos. Kann man Dich eigentlich für einen Preis vorschlagen?

Du hast eine weitere Stammleserin gewonnen. (:

Anonym hat gesagt…

(Murka)
irgendwie funktioniert es bei mir mit dem Passwort nicht. @Patrick ich finde es eigentlich beides schön: im stillen Keller über die Dinge nachdenkenund unter den Leuten zu sein und zu tanzen...

serapio hat gesagt…

"Wenn ihr diese Gedanken nicht ertragt, dann solltet ihr vielleicht zum online Angebot der Bildzeitung wechseln"

jawohl, Gegensätze sind gefragt
Encyclopaedia Britannica – Wikipedia
Fassbinder - Emmerich
The Beatles - Silbermond
tangoplauderei.blogspot.com - Bildzeitung

Anonym hat gesagt…

Als ich den Artikel vor Tagen das erste Mal las war ich hmmmm sagen wir mal .. verstört. Je länger ich über das Thema nachdenke, desto notwendiger und spannender finde ich eine Diskussion.

Wenn man es stark abstrahiert, dann kommt man zu Kernproblem (jedenfalls sehe ich das so) wie geht der Mensch im Rahmen seiner Freizeit und im Rahmen seiner Religion mit der Körperlichkeit um. Na gut! Dann jönnte man auch Marathon-Läufer mitbetrachten. Also genauer: wie geht man mit körperlicher Nähe um. Das ist nicht einmal in den jeweiligen Religionen durchgängig. So werden bestimmen Unterschiede zwischen Katholiken und evangelischen Christen festzustellen sein und im Islam wird es bestimmt ähnliche Unterschiede geben (wie verträgt sich Burkka und Bauchtanz?). Ich will mit diesen Beispielen kein "besser" oder "schlechter" andeuten. Es sei nur auf Unterschiede hingewiesen.

Ich werde noch ein wenig grübeln...

Lydia hat gesagt…

"Religion (lat: religio, wörtlich „Rück-Bindung“) bezeichnet eine Vielzahl unterschiedlicher kultureller Phänomene des Glaubens an eine „andere Welt“ der Gottheiten oder der Spiritualität, die menschliches Verhalten, Handeln, Denken und Fühlen prägen und Wertvorstellungen normativ beeinflussen." (Wikipedia)

Das kann ich im Tango nicht sehen, schon gar nicht ist der Tango eine Religion. So wie ich Joli in ihrem Blog verstehe, hat sie das auch eher symbolisch gemeint.

Aber was ich - und so wie ich es aus Blogs und Kommentaren zum Tango immer wieder herauslese, auch viele unter Euch - immer wieder erlebe, und ich denke, darauf zielt auch Augustinus' Lob des Tanzes ab, dieses Einssein, wenn ich ganz bei mir bin, eins bin mit mir, mit dem Partner, mit den anderen Paaren, dann fühle ich mich auch in Verbindung mit etwas, das weit über mich hinausgeht. Ob man das nun Gott nennt, kosmische Energie, Leben oder Liebe, sei dahingestellt. Dieses Einssein sehe ich auf jeden Fall als Erleben von Transzendenz, von Spiritualität an. Wikipedia: "Spiritualität (von lateinisch spiritus = Geist, Hauch bzw. spiro = ich atme – wie griech. ψύχω bzw. ψυχή, siehe Psyche) bedeutet im weitesten Sinne Geistigkeit und kann eine auf Geistiges aller Art oder im engeren Sinn auf Geistliches in spezifisch religiösem Sinn ausgerichtete Haltung meinen. Spiritualität im spezifisch religiösen Sinn steht dann auch immer für die Vorstellung einer geistigen Verbindung zum Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit." Ist es das, was Ihr meint, wenn Ihr von einer Verbindung zwischen Tango und Religion sprecht?

Tangosohle hat gesagt…

Die Verbote des Tango scheinen mir ziemlich verständlich: Im Tango hat man die Möglichkeit Zugang zu den eigenen Emotionen zu erhalten – damit ist der Tango eine Gefahr für jeden, der auf die Emotionen der Menschen einwirken möchte: Z.B. für den ein oder anderen Kirchenvertreter mit dem Mittel der Religion, ob in Batman oder in Vatikan.
Ein Verbot 1915 hätte natürlich den Hintergrund des Kriegszustandes in halb Europa, der Tango mit seiner lebensbejahenden und sinnlichen Wirkung ist ja geradezu eine Bedrohung für Kriegsführer.

Aber Tango eine Religion?
Das kann ich nicht nachvollziehen, eher eine Art Heiliger.

@Lydia, der Tango reicht zwar in viele tiefe und unbekannte Schichten meiner Person, die Verbindung zum Transzendenten kann ich selbst nicht nachvollziehen.
Und wenn Joli meint, Gavito ging in den Tangohimmel, so ist das bestenfalls eine allegorische Abwandlung eines Kinderglaubens.

Anonym hat gesagt…

Ich finde es super, dass du dieses Thema anschneidest, bin ich doch in meiner "Religion" gut verwurzelt (obwohl ich meine Beziehung zu Jesus selbst nie so bezeichnen würde).

Das meiste von dem was du gesagt hast, kann ich selbst sehr gut verstehen, nur vermag ich es nicht so gediegen philosophisch auszudrücken.

Nach meiner Erfahrung hat jeder Mensch in sich dieses "schwarze Loch", jene Sehnsucht nach dem Unendlichen, dem Ewigen. Ist das Ziel dieser Unendlichkeit gefunden, kehrt erstmal Ruhe ein, denn die Fragen: Woher komme ich ? Wo gehe ich hin ? Welcher Sinn hat mein Leben ? sind ja erst einmal beantwortet.

Trotzdem bleibt unser Leben, auch auf dem Weg zum "Himmel", immer in diesem Spannungsfeld der Gegensätze zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit, zwischen Himmel und Erde. Meist sind die vorhandenen religiösen Gemeinschaften in Europa zu sehr von ihrer Kultur beeinflusst, um in dieser Spannung den nötigen Halt, z.B. in Form von geeigneten Ritualen zu geben. Der Tango hat fast den Stellenwert eines solchen Rituals in einer Gesellschaft, die keine Rituale mehr kennt, weil ihre Identität in Auflösung begriffen ist.

Irgendwo habe ich mal gelesen, beim Tango geht es darum, Spannungen auszuhalten. Und jeder, der Tango tanzt, wird mir recht geben, dass der Tango voller Spannungen ist. Tango tanzen hat nicht nur schöne Seiten (z.B. wenn's mit dem Tanzen nicht so geklappt hat). Andererseits spendet er z.B. auch Trost durch die Umarmung oder lässt einen die Erbärmlichkeit des Lebens vergessen, weil jede Milonga ein Fest ist.

Und dieses Feiern ist ein wirklicher Vorgeschmack auf den Himmel, zu dem wir hoffentlich alle unterwegs sind. Deshalb spricht mir "Ich lobe den Tanz" wirklich aus der Seele, auch wenn's vermutlich nicht von Augustinus stammt. Eines bin ich mir sicher: Jesus hätte sicher auch Tango getanzt.

Anonym hat gesagt…

Tango hat für mich viele Facetten. Was mir auffällt, dass die Tänzer dann nur noch Tango tanzen. Fragt sich, ob hier eine "Verhungerungswunde" im seelischen gestillt werden möchte ? Zuviel davon, lässt die Realität verschwimmen, es entstehen eigene ritualisierte Gesetzmäßigkeiten, die oft mit dem Leben außerhalb des Tanzsaales nicht viel Gemeinsamkeiten aufweisen. Kritik daran ist ebenso unerwünscht, wie Kritik daran, dass im Tango eben alles erlaubt ist, weil es Tango ist. Wer sich dem nicht fügen kann, "ist noch nicht so weit". Sagen pseudospirituelle auch gerne. Manchmal beobachte ich die unendlich aufwändigen und lagen Verabschiedungsrituale, obwohl am nächsten Tag doch wieder alle beisammen sind. Manchmal erinnert mich das an Vater, Mutter, Kind spielen, besonders wenn man sich die Dynamiken betrachtet. So gesehen, belegt es einige offene Rezeptoren. (LB)

Anonym hat gesagt…

Tango, der Fahrstuhl durch die Hölle in den Himmel, ohne die Grundlagen unseres Seins aufzugeben. Sonst wird es wackelig, nebulös, wie zuviel Religion eben. Spaß soll es machen, bei all den traurigen Liedern. Gar nicht so leicht. Vielleicht hilft dann wirklich nur beten?