Montag, 12. Dezember 2011

Gastbeitrag: Christian Tobler und Monika Diaz bei tangoNegro, Regensburg

So jetzt mal im Vertauen... so ganz unter uns... Wenn uns jemand von einem sechsstündigen Vortrag über die klassische Tangomusik erzählen würde, dann würden wir vermutlich denken, ein solcher Vortrag ist ein Spartenprogramm, wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen und extrem langweilig für einen Großteil der Zuhörer. So einen Vortrag kann nur ein Phantast verfassen und halten, organisiert wird er von Veranstaltern, die Lust am finanziellen Selbstmord haben...

Daß dies nicht so sein muss, hat Christian Tobler aus Zürich bei tangoNegro in Regensburg eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Am 3. und 4. Dezember hielt er - zusammen mit seiner Partnerin Monika Diaz - seinen komplett ausgebuchten Workshop über die musikalische Vielfalt der EdO. Klaus Schwarzwälder aus Biel/CH hat darüber einen detailierten Gastbeitrag verfasst. Klaus hat hier im Blog schon einmal geschrieben. Damals ging es um seine Milonga in Biel; er hat (mit Christians Hilfe) die Tonanlage neu konzipiert. In dem Artikel ging es "nur" um technische Aspekte der Tango-Wiedergabe an einer Milonga. Mich freut es außerordentlich, daß er nun auch inhaltlich zu den Ideen von Christian Tobler zum Tango geschrieben hat.



Einführung in die Epoca de Oro - ein Vortrag/Workshop von Christian Tobler
und der Versuch, dieses Ereignis vom 3./4. Dezember 2011 in Regensburg zu würdigen.
Ein Gastbeitrag von Klaus Schwarzwälder Biel/CH

Die Legende und ihr Sachwalter - Christian Tobler spricht über Aníbal Troilo

Eine kleine Vorgeschichte
Meine Partnerin und ich sitzen im Zug nach Zürich, wo wir uns mit unseren Freunden treffen, um zusammen nach Regensburg zu fahren. Die Vorfreude ist gross, denn die Aussicht auf drei unbeschwerte Tage mit Menschen, die wir schätzen und mögen zu verbringen, ist sehr inspirierend. In unserer Nähe sitzen zwei Frauen, die sich in Gebärdensprache unterhalten, und sie scheinen sich köstlich zu amüsieren. Mindestens eine von beiden ist also gehörlos. Für uns war es faszinierend zu beobachten, wie diese Menschen dank einem Kunstprodukt, der Gebärdensprache, eine Lebensqualität haben, die man oberflächlich betrachtet, nicht erwarten würde.

Diese Beobachtung hat mich zu einem Gedanken veranlasst - und die Leser mögen mir diese Gedankenakrobatik verzeihen - dass jedes tiefere Wissen um eine Kunstform mehr Qualität bringt. Anders ausgedrückt und auf unsere Reise nach Regensburg reduziert, wir suchen mehr Qualität aber auch ganz einfach mehr Spass beim Tanzen, indem wir unser Wissen über die Musik verbessern wollen.

Wir kennen und schätzen Regensburg durch frühere Besuche bereits. Erzeugt doch die Aura der Stadt für uns Berner schon fast heimatliche Gefühle, und ausserdem wohnen wir privat bei lieben Menschen und grosszügigen Gastgebern. Dies hat zwar mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun, ich muss es aber trotzdem loswerden.

Da am Freitag Abend DJane Petronella in der Milonga „Tango im Fluss“ auflegt beschliessen wir hinzugehen, obwohl diese Milonga mit dem Anlass nichts zu tun hat. Und es hat sich gelohnt. Guter Musikmix, gute Tänzerinnen und Tänzer und gute Stimmung.

Ein paar Gedanken voraus
Ich habe schon mehrere Vorträge über Tangomusik gehört, was in der Regel eine bis eineinhalb Stunden dauerte. Gut gemeinte Versuche, uns die Musik der EdO (Epoca de Oro) näher zu bringen. Letztlich hat aber immer die Zeit gefehlt um auf die einzelnen Orchester näher einzugehen und es blieb immer bei einer pauschalen und oberflächlichen Abhandlung. Ich war sicher, dass dieser Vortrag mit total sechs Stunden genügend Zeit bieten würde, um auf alle Themen eingehen zu können. Aber bei mehr als 20 Orchestern, die es verdienen gewürdigt zu werden, sind auch diese sechs Stunden wenig Zeit. Christian Tobler hat mehrfach darauf hingewiesen, dass er schmerzliche Kürzungen vornehmen musste, um den Zeitrahmen einzuhalten.

Allein schon die Menge des Audiomaterials, das Christian Tobler und Monika Diaz bereitgestellt haben, lässt erahnen, welchen Aufwand die beiden geleistet haben, um diesen Vortrag zusammenzustellen. So war es Christian Tobler nicht nur wichtig typische Stücke der einzelnen Orchester vorzustellen, sondern sie auch in einer Qualität zu spielen, wie das die meisten Teilnehmenden noch nicht gehört haben. Ausgesuchte Videos und selten oder nie gesehene Fotos runden den Eindruck ab, dass hier jemand am Werk ist, der nicht damit zufrieden ist, schon x-mal gehörte Anekdoten auf eine süffige Art noch einmal aufzubereiten, sondern Nägel mit Köpfen zu machen, d.h. bestens recherchierte Fakten zu liefern, die auch von Leuten mit wenig Vorkenntnissen verstanden werden.

konzentrierte Zuhörerinnen und Zuhörer

„tangoNegro“, der Verein, der diesen Anlass organisierte, ist von den Interessenten fast überrannt worden. Die geplanten 60 Plätze waren im Nu besetzt und am Schluss waren auch 80 Plätze noch zu wenig. Mehr war nicht möglich, weil es auch Platz brauchte zum Tanzen. Zu jedem der vorgestellten Orchester konnte man ein Musikbeispiel mittanzen, um die Verschiedenartigkeit der Musik auch tanzenderweise zu erfahren. Ausserdem waren am 2. Tag auch rhythmische Beispiele für die ganze Gruppe vorgesehen.

Der Bericht kann niemals vollständig sein. Meine Motivation ist, möglichst viele Leute neugierig zu machen und auch zu unterstreichen, dass so ein Vortrag/Workshop zwischendurch tänzerisch mehr bringt als irgendein Workshop, um Figur 89 bis 95 zu lernen. Für die Interessierten werde ich am Schluss meines Beitrages noch einmal den Link zum Programm der Veranstaltung anhängen. Der Anlass dauerte wie gesagt sechs Stunden auf zwei Nachmittage verteilt. Immer nach einer Stunde war eine kurze Pause eingeplant, mit Verpflegungsmöglichkeit zu äusserst moderaten Preisen (auch das muss gesagt sein).

Der Vortrag
Die vier ganz grossen Orchester der EdO, Juan d'Arienzo und Carlos di Sarli am Samstag, Aníbal Troilo und Osvaldo Pugliese am Sonntag, bildeten den übergeordneten Rahmen des Vortrages. An diesen vier kommt kein Tangotänzer und keine Tangotänzerin vorbei, und wer die Verschiedenartikeit dieser vier Grossen begriffen hat, hat schon ein gutes Stück Tangomusik in seinem Repertoire. Der Vortrag war einerseits sehr vielschichtig und, obwohl ich mich schon länger mit der Musik der EdO beschäftige, war es auch für mich immer spannend. Neue Fakten und neue Sichtweisen haben mein Wissen um die EdO bereichert. Anderseits waren die harten Fakten wie Daten, die sich für Statistiken eignen, z.B. wie produktiv ein Orchester war usw., sehr strukturiert und man konnte sie direkt übernehmen.

Es gibt Orchester, die über sehr lange Zeit existiert haben und sich dabei musikalisch entwickelt haben, nicht immer zu ihrem Vorteil. So kann man bei d'Arienzo vier und di Sarli ganz eindeutig drei verschiedene Perioden hören, welche auch für die Tänzer und Tänzerinnen unterschiedliche Energien haben. Oft waren diese Perioden auch mit einem oder zwei Sängern verbunden. Die Arrangeure der Orchester spielten für die Musik eine bedeutende Rolle. Bei Orchestern wie Pugliese, das als Kollektiv funktionierte, wurde von den einzelnen Musikern Arrangement und Ideen erwartet, was sich beim Wechsel einzelner Musiker natürlich auswirkte. Auch haben immer wieder Orchestermusiker oder Sänger ein eigenes Orchester gegründet, und das sehr erfolgreich. Orchester, die schon in den 20er Jahren erfolgreich und gleichzeitig Avantgarde waren, z.B. Hermanos de Caro und Osvaldo Fresedo hatten viele spätere Orchesterleiter in ihren Reihen. Unter anderen: Pedro Laurenz, Aníbal Troilo, Osvaldo Pugliese, um nur ein paar der ganz Berühmten zu nennen.

... noch mehr Zuhörerinnen und Zuhörer


Die für mich fast wichtigste Erkenntnis oder Bestätigung aus dem Gehörten ist die evidente Verknüpfung der wirtschaftlichen Grosswetterlage mit der Entwicklung der Gesellschaft und damit der Musik. Es gab in den Zwanziger- und Anfang der Dreissigerjahre bereits exzellente Orchester wie Hermanos de Caro, Francisco Canaro, Roberto Firpo und Osvaldo Fresedo, um nur ein paar zu nennen. Diese Orchester waren in der Regel Sextetos und es war nicht die Norm, dass die Musiker eine Ausbildung am Konservatorium absolviert hatten. Die Weltwirtschaft lag nach dem Börsencrash von 1929 in einer tiefen Rezession.

Ganz anders nach 1935: die Wirtschaft in Europa und Nordamerika kam nicht zuletzt wegen enormer Aufrüstung wieder in Fahrt und Argentinien war auch während dem 2. Weltkrieg der Nahrungslieferant erster Ordnung. Mit andern Worten, es wurde - und das besonders in Argentinien - viel Geld verdient. Auch einfache Leute konnten es sich leisten auszugehen, was damals hiess „Tango tanzen“. Etwa 600 Orchester spielten jeden Tag und konnten sich 12 oder 15 Musiker leisten. Die Spitzenorchester holten sich die allerbesten Musiker und Sänger. Unter den Sängern gab es einige, die im heutigen Kontext geradezu Popstar-Status hatten, z.B. Alberto Castillo, Francisco Fiorentino, aber auch andere.

Juan d'Arienzo war derjenige, der mit dem richtigen Konzept (stark rhythmusbetonte, schnellere Musik) zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Das hat 1935 bis 1936 den Tango, der etwas eingeschlafen war, wieder auf die Beine gebracht und die EdO eingeläutet. Fazit: kulturelle Entwicklungen geschehen nicht im luftleeren Raum. Es braucht einen Nährboden und die richtigen Leute, die diesen beackern. Alleine schon auf Grund dieser Tatsache (es gibt auch noch andere Gründe) hat Christian sicher recht wenn er behauptet, dass Tangomusik, wie sie in der EdO gespielt wurde, nie mehr auf so hohem Niveau gespielt werden wird. Der direkte Vergleich von Musikbeispielen aus der EdO mit zeitgenössischen Aufnahmen haben diese eigentlich frustrierende Behauptung belegt und untermauert.

Expertinnen unter sich - Monika Diaz (li.) im Gespräch mit Theresa Faus, München

Das Wissen um die Musik macht alleine keine guten Tänzer und Tänzerinnen. Ein, wenn nicht das wichtigste Ziel des Vortrags ist aber, mehr Spass beim Tanzen zu haben dank besserer Musikkenntnis. Deshalb hat Christian Tobler zu verschiedenen Orchestern Tanzvideos gezeigt. Diese sehr gut ausgewählten Beispiele zeigten, wie auch mit einfachsten Schritten, oft nur im Gehen, die Musik auf raffinierte Art und Weise interpretiert werden kann. Mich selber hat in diesem Zusammenhang das Video von Noelia Hurtado und Pablo Rodriguez zu Fresedos Araca la Cana am meisten beeindruckt. Als passionierter Milongatänzer auch Canaros Milonga de mis tiempos mit Andrea Missé und Leandro Palou. Dieses Thema wurde noch einmal am Sonntag in der zweiten Stunde aufgenommen. Monika Diaz und Christian Tobler haben mit theoretischen und praktischen Beispielen das Tanzen in musikalischen Phrasen erklärt. Allerdings konnte dies aus Zeitgründen nur „ein Riechen am Braten“ sein.

Die Milonga
Die reguläre tangoNegro-Milonga am Samstag Abend war Bestandteil des Vortrags. Christian Tobler als TJ hat uns eine Musikauswahl präsentiert, die mir fast keine Verschnaufpause bot. Ich war praktisch immer auf dem Parkett. Die Tandas mit Angabe der einzelnen Titel, Orchester, Musiker und Sänger sowie die darauf folgende Tanda wurden mit Beamer auf eine Leinwand projiziert. Das grosse Interesse an dieser Anzeige war für mich ein Zeichen, dass die Leute durch den Vortrag am Nachmittag schon stark sensibilisiert waren. Diese Milonga war für mich wiedereinmal, und ich weiss nicht zum wievielten Mal, die Bestätigung was ein TJ aus einer Milonga machen kann, wenn der Musikmix stimmt, die Aufnahmen von bestmöglicher Qualität sind und die Wiedergabetechnik auf einem sehr hohen Stand ist, bei Christian Tobler fast unerreichbar hoch. Auch diese Themen wurden im Vortrag kurz gestreift. Diese Qualitätsmerkmale werden von den meisten Tänzern und Tänzerinnen objektiv nicht wahrgenommen. Aber wenn man nach einer Milonga mit dem Gefühl nach Hause geht „Ahhh... das hat Spass gemacht, Mensch hab ich heute gut getanzt, heute hatten wir aber eine friedliche Ronda oder ich bin todmüde, so viel hab ich getanzt“, dann hat der die TJ vieles oder alles richtig gemacht.

Schlussbemerkung
Für meine Partnerin und mich hat sich die Reise nach Regensburg gelohnt, haben wir doch einerseits alte Bekannte getroffen und neue Freunde gewonnen und anderseits viele schöne Tandas mit Bekannten und Unbekannten getanzt. Wir haben einen Vortrag gehört, der in dieser Qualität und Komplettheit im deutschsprachigen Raum wohl einmalig ist. Ob Anfänger oder fortgeschrittene Tänzer und Tänzerinnen - der Vortrag war für alle ein Gewinn. Ich werde mich jedenfalls noch einige Zeit damit beschäftigen.

Christian Tobler ist überzeugt, dass mehr Wissen um die Tangomusik sich irgendwann in mehr Qualität auf den Milongas auswirken wird, sonst hätte er diese Riesenarbeit nicht auf sich genommen, ist doch kaum ein finanzieller Gewinn daraus zu ziehen. Es bleibt, Christian Tobler und Monika Diaz , die den Vortrag abwechslungsweise gehalten haben, ein riesiges Dankeschön auszusprechen. Ebenso dem Verein tangoNegro gebührt Achtung, da sie den Anlass als Erste durchführten und auch sehr gut organisiert haben.

Alle, die jetzt oder nach der Lektüre des angehängten Programms Lust haben den Vortrag auch zu hören, haben die Möglichkeit dazu Ende Februar 2012 in Augsburg. Nähere Informationen unter knoll-augsburg.de. Ausserdem probiere ich den Vortrag auch in die Schweiz, und zwar nach Biel, zu bringen. Darüber zu schreiben ist aber noch zu früh, es müssen noch einige Hürden überwunden werden.

Klaus Schwarzwälder
Hedi und Klaus Schwarzwälder aus Biel/CH
 
Und für alle, die das Programm nicht gelesen haben, gibt es hier noch einmal den Link zum Programm (PDF) im Internetangebot von tangoNegro. Aus dem Gastbeitrag von Klaus wird für mich deutlich, daß es eine der wichtigsten und innovativsten Veranstaltungen des Jahres im Tango im deutschsprachigen Raum war. Es erfordert auch von einem Veranstalter Mut und Engagement, so einen Vortrag als Premiere durchzuführen. Insofern ist es der Verdienst von tangoNegro, daß sie das Wagnis eingegangen sind. Ich hoffe, daß andere Veranstalter diesem Beispiel folgen und ebenfalls den Vortrag organisieren. Abschließend möchte ich mich bei Klaus Schwarzwälder ganz herzlich für diesen äußerst informativen Bericht bedanken.

tangoNegro bei der Begrüßung

93 Anmerkung(en):

Raxie hat gesagt…

Vielen Dank für diesen wunderbaren Gastbeitrag Klaus! Ich war auch bei der Veranstaltung und habe eine unglaubliche Hochachtung vor TJs entwickelt! Schon immer habe ich mich innerlich gefragt, warum einige Milongas (traditionelle) richtig gut funktionieren und andere wiederum "schrammeln" nur so vor sich hin u es hört sich alles gleich an.

Christian u Monika haben mir eine Ahnung davon vermittelt, WIE UNGLAUBLICH vielfältig und differenziert die Musik der EdO ist. Es war wirklich nur ein Reinschnuppern - und immer wollte man mehr wissen und hören.

Und es macht halt DEN ENTSCHEIDENDEN Unterschied, ob man die Musik der EdO kennt und die gut tanzbaren Stücke mit den jeweils eigenen Nuancen und Wirkungen auf die Tänzer sinnvoll zusammenfügt in eine Milonga, oder ob man "wahllos" irgendwas auflegt. Da wird eine traditionelle Milonga ganz plötzlich unglaublich anregend und vielfältig im Ausdruck und Anspruch - schnell, langsam, einfühlsam, herausfordernd, pfiffig, tragend, spielerisch, sinnlich, peitschend oder auch einfach nur schön zum Hören (wenn man es schafft, sitzen zu bleiben - bei Christian als TJ nicht so einfach...)

Da bekam man auch eine Ahnung, warum der Tango eigentlich zum Weltkulturerbe ernannt worden ist. Die Dimensionen hinter der EdO sind so gewaltig, dass man aufpassen muss, nicht vor lauter Hochachtung vor den Musikern, den Mut zu verlieren, sich dieser Vielfalt zu nähern.

Aber mit der Musik ist es offensichtlich wie mit dem Tanz. Es dauert Jahre, bis man sich ihr annähert.

Danke Christian und Monika, dass Ihr mir eine Tür geöffnet habt. Ich glaub ich bin jetzt so weit, auch einzugehen!

Lieben Gruß an Euch und schöööööön, dass Ihr hier wart!!!! Und ja, danke an TangoNegro, dass Ihr so viel Mut besessen habt, eine solche Veranstaltung anzubieten! Ein Glücksgriff!

La Perla hat gesagt…

... schade, dass ich erst jetzt durch diesen interessanten Bericht von der Veranstaltung erfahren habe - nachdem Cassiel mich auf den "Musikgeschmack" gebracht hat, wäre es eine Überlegung gewesen in den tiefen Süden zu fahren - vielleicht ein anderes Mal .... Danke für den Bericht ...

Lieben Gruß
La Perla

Anfänger hat gesagt…

Kann ich eigentlich auch den Kurs besuchen, wenn ich noch nicht so lange tanze (weniger als ein Jahr)? Leider kenne ich die Interpretennamen nur hier aus dem Blog. Aber ich finde die Musik sehr schön.

Viele Grüße und Danke für eine mögliche Antwort

Andreas

Christian Tobler hat gesagt…

Hallo Andreas,

klar kannst Du dich für den nächsten Termin Ende Februar Nähe Augsburg - http://www.knoll-augsburg.de - anmelden, am besten mit einem Tanzpartner, damit Du Musikbeispiele auch tanzend entdecken kannst. Aber Bedingung ist das nicht. Das Event beinhaltet sechs Einheiten verteilt auf zwei Nachmittage plus eine Milonga am ersten Abend. Einzig die fünfte Einheit beinhaltet herkömmlichen Tanzunterricht. Falls Du damit leben kannst, dass diese eine Stunde nicht Deinem Niveau angepasst ist, bietet das Wochenende auch Dir viele interessante Anknüpfungspunkte, welche Deinen tänzerischen Alltag bereichern werden.

herzlich - Christian

Eva und Wolfgang hat gesagt…

Wir freuen uns sehr über das rege Interesse am obigen Musikvortrag von Christian und Monika am 25. und 26. Februar 2012 bei uns in Diedorf bei Augsburg, über die netten Telefongespräche und die Mails. Die Wertschätzung für einen Musikvortrag dieser Art ist deutlich und hat zur Folge, dass wir nach einer Woche halb ausgebucht sind und von 70 Plätzen im Moment nur noch 35 zur Verfügung stehen. Wir freuen uns schon sehr auf den Event Ende Februar und die vielen Tangogäste.

Herzliche Grüße aus Augsburg
Eva und Wolfgang

Anonym hat gesagt…

Auch wenn es polemisch klingt, die Seilschaft Cassiel/Christian regt mich auf. Ich kann zu den Schrammeltangos nicht tanzen und will es auch nicht lernen. Diese antiquierte Retro-Bewegung hier im Blog und an anderen Stellen stört mich gewaltig. Inzwischen wird auch manchmal bei meier Lieblingsmilonga (das ist übrigens die Tango-Negro Milonga in der Mälze) ab und zu mit Cortinas aufgelegt. Das unterbricht meinen Tanzfluss. Wir sind hier nicht in Beunos Aires, ich will Spaß beim Tango! Und wenn ihr nicht sportlich tanzen könnt, dann lernt es endlich!

Tanguera aus der Nähe hat gesagt…

@Anonym:

Ein bisschen können wir Dir helfen. Ich versuch es mal.

Name:
Als erstes mal ist es natürlich hilfreich, Dich konkret ansprechen zu können. Bei Anonym besteht immer die Gefahr der Verwechslung... Was hältst Du von "Nicht-Tango-Tänzer"? Oder lieber "Tanzfluss-Holperer"? Oder auch "Falscher-Stockwerk-Tänzer"?

:-)

Aufregen:
Musst Du Dich wirklich gar nicht!!! Lies hier einfach nicht mehr mit und schwupp, schon sinkt der Blutspiegel.

Schrammeln:
Fahr nach Augsburg und hör Dir den Vortrag von Christian und Monika an. Selbt unmusikalischen Menschen erschließt sich dort die wunderbare Welt der EdO. "Schrammeln" tut es nur dort (nach meiner Einschätzung), wo TJs auflegen, die sich noch nicht wirklich mit der EdO auseinandergesetzt haben und relativ "wahllos" aus dem unvorstellbar reichen Fundus der EdO auflegen.

Spaß:
Im Keller der Mälze findet gleichzeitig mit der Milonga immer eine Disko statt. Wie wäre es, wenn Du einfach das Stockwerk wechselst?

Sport:
Auch in Regensburg wird es Turnhallen geben, oder? Vielleicht tobst Du Dich sportlich woanders aus und kommst einfach zum Tangotanzen in die Mälze? Eine Milonga ist dazu ausgerichtet, dass man dort Tango tanzt. Und austoben im positiven Tangosinn kann man sich auch ganz phantastisch bei traditionellen Milongas. Traditionell ist ja nicht gleichbedeutend mit langsam und verstaubt...

Ich will!!!:
Fein, dass Du die Bedürfnisse Deiner Umgebung so aufmerksam mit in Deine Betrachtungen einbeziehst! Womit wir wieder beim ersten Punkt, Deinem Namen sind: wie wäre es mit "EgO"?

:-)

Monika hat gesagt…

@Tanguera aus der Nähe: pruuuuuust, danke, made my day :-)

bird hat gesagt…

Anonyma,

es zwingt dich kein Mensch zu klassischen Tangos zu tanzen, oder ? Geschweige denn hier zu lesen, wenn dir dieser Stil und insbesondere die EdO nicht passt.
Deine Aufregung und dein Ärger kommen mir etwas an den Haaren herbeigezogen vor.
Wenn dich in deiner Lieblingsmilonga Cortinas stören, wäre der richtige Ansprechpartner der dortige DJ.
Und was die angebliche Seilschaft anbetrifft, wie kommst du denn darauf ?

bird hat gesagt…

und
...
um das Wichtige nicht zu vergessen, auch von mir einen ganz
herzlichen Dank an Klaus Schwarzwälder für diesen Gastbeitrag ! Bin schon in Vorfreude auf den Vortrag im Februar.

Uralt hat gesagt…

@ Anonym

In unserer Tangoszene, die ganz unverdächtig weit weg von Regensburg ist, gab es auch so einen sportlichen Tänzer. Als er am gleichen Abend gleich 3 Crashs produzierte, und der letzte meiner Tanzpartnerin eine üble Verletzung verursachte, habe ich ihm vorgeschlagen mit einem Apfelprodukt in den Ohren doch besser in den Wald zum joggen gehen. Das wäre doch eine Idee Anonym. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass man nach dem Joggen viel gelassener und friedlicher ist.

z.a.(ziemlicher Anfänger) hat gesagt…

zuvor : ein prima blog - auch wenn nicht alles mein gusto ist, dazu noch Geschriebenes fast immer mehr Mißverständnisse als das Gesprochene produziert . Ich bemerkte den blog erst vor kurzer Zeit .
Völlig einig bin ich mit : ". . . daß jedes tiefere Wissen um eine Kunstform mehr Qualität bringt . . . " Ich möchte ergänzen : Qualität in der Reaktion ( beim Tanzen ) , in der Wahrnehmung ( beim Hören und Betrachten ) u.s.w. Voraussetzung scheint aber , daß dieses Wissen tief genug in's Unterbewußte abgesunken ist , von wo aus es quasi
im Hintergrund laufen kann .
Nun bin ich aber etwas verunsichert worden , und zwar durch Deinen Beitrag , Klaus . Denn gerüchteweise hatte ich von dem workshop gehört und mir vorgestellt,
daß es dabei hauptsächlich um die Musik ginge . Also um die gestaltete Zeit :
was passiert wann, wo / mit welchem Rhythmus/ mit welcher Klangfarbe /gibt es Wiederholungen , Gegensätze , Pausen , ritardandi, accelerandi - kurzum daß
es die Absicht vom Christian sei, den Tanzenden die Ohren zu öffnen , hin zu einem aktiven Hören (was höre ich jetzt, was war vorhin, )aufdaß sie besser, feinfühliger usw auf die Musik eingehen können .
Nun finde ich dazu, lieber Klaus, aber kaum eine Bemerkung in Deinem Beitrag .
Ich habe hier der Einfachheit halber einige grob kopiert :
". . . Tanzen in musikalischen Phrasen . . . Verschiedenartigkeit der Musik . . . stark rhythmusbetonte, schnellere Musik ". Diese Ausschnitte lassen mich annehmen , daß auch von Eigenschaften der Musik die Rede sein wird, nur ist davon in Deinem Beitrag m. E. zu wenig die Rede . Aber vielleicht ist der Grund dafür so, wie ich ihn gleich im ersten Satz beschrieben habe ?
Jetzt hoffe ich nur noch , daß mein Beitrag möglichst wenige solcher Mißverständnisse und Unklarheiten auslösen wird .

Ich meine, und habe oft genug erlebt, daß noch so umfangreiches Wissen um die sozialen Bedingungen , unter denen Musik entsteht, um die Wechsel in Orchesterbesetzungen, Aufführungsdaten,um Plattenfirmen , Wiedergabetechnik (auch wenn die erst ein differenzierteres Wahrnehmen ermöglicht), wirtschaftliche Großwetterlage u.s.w. u.s.w. im Augenblick des Tanzens nichts , aber auch garnichts , zur Qualität des Tanzens, zum Eingehen und Reagieren auf die Musik , beiträgt . Das können nur offene Ohren leisten . Und was daraus für ein Vergnügen im Tanzen folgt, haben auch schon manche erfahren .

konzentrierter Zuhörer hat gesagt…

Ich war bei dem Vortrag und kann ihn sehr empfehlen. Der Vortrag hat noch einige Zeit nachgewirkt und ich werde mich wohl noch lange mit der Musik beschäftigen. Dafür Dank an den Referenten und die Veranstalter.

Ich musste mich aber auch ärgern. Ich fand die Bezeichnung "SexMüll" für das Sexteto Milonguero nicht passend. Natürlich hat mich der Hörvergleich mit dem Original erschrocken, ich frage mich, wie ich so unreflektiert bislang die Musik von SexMil hören konnte, aber die Formulierungen waren mir zu drastisch. Da wurde mir jeder Freiraum zur Bildung einer eigenen Meinung genommen. Schade!

Unknown hat gesagt…

Ich möchte nicht versäumen als Teilnehmer der Workshop auch meine persönliche Eindrücke zu schildern. Dabei möchte nicht Gedanken wiederhohlen, die Klaus und die andere Teilnehmer hier schon geäußert haben, höchstens nur wen sie mir besonders wichtig erscheinen.

Zuerst möchte ich meinem Verständnis über die Zielgruppe dieser Veranstaltung erläutern. Obwohl einige TJ’s und Tangoliebhaber im Publikum saßen, waren sie nicht die Zielgruppe. Mein Eindruck war, dass wie angekündigt (das WS hieß „Einführung in die EdO für Tänzer“) ausschließlich Tänzer angesprochen wurden. Ich möchte nochmals betonnen: falls jemand unbekannte Fakten über Orchester oder Musiker erwartete oder Hinweise zu „Sepertandas“ suchte, er wurde mehr oder weniger enttäuscht, sowas kam in den Vortrag kaum vor. Dafür wurden Tänzern viele, völlig verschiedene und für mich neue Impulse in die Hand gegeben. Falls jemand nur Spaß und Unterhaltung an diese Wochenende suchte, er wurde wahrscheinlich auch enttäuscht. Es wurde motiviert, aufgerüttelt, verführt. Und ja, leider war das Event „nur“ eine Einführung. Ich vermisste Einiges, Anderes erschien mich nicht so wichtig. Es ist vollkommen klar, dass der Zeit sehr knapp bemessen war und Christian viele Kürzungen vornehmen müsste. Dadurch ist der Umfang des Vortrags subjektiv geworden, was aber auf keinen Fall zu Qualitätsverluste führte. Insgesamt denke ich, dass Christian sein heimliches Ziel erreicht hat – er hat EdO eine Menge neue Liebhaber geschenkt.

Die Präsentation war gut durchdacht. Das Design der einzelne Slides hat mich beeindruckt. Der Aufbau, d'Arienzo - di Sarli - Troilo – Pugliese, erschien mir logisch und nachvollziehbar. Jeder Orchester wurde treffend beschrieben - mir hat z.B. "Enrique Rodriguez – ein Orquesta Charakteristika, welches ein verdammt gutes Typica war" sehr gefallen. Die historischen Hintergründe waren exzellent recherchiert und gut rübergebracht. Die musikalischen Charakterisierungen der einzelnen Orchester waren für mich sehr interessant und nachvollziehbar, ich vermute, für jemand, der sich damit nicht auskennt, waren sie zu komplex. Der Wahl der Musikbeispiele war für mich exzellent und die Möglichkeit zu tanzen fand ich sehr auflockernd. Sie hat den Vortrag ein besonderen Charme verliehen und effektiv gegen die Verkrampftheit, die auf solche Veranstaltungen herrscht, gewirkt. Zum Auflockerung haben auch die Hintergrundinformationen über die einzelne Persönlichkeiten der EdO beigetragen. Diese Teil (Teil 2 am ersten Tag) war für mich das spannendste - ich habe wahrscheinlich mit offener Mund zugehört :). Hier kann ich überhaupt nicht meckern, es hat für mich alles gepasst. Sehr interessant und hilfreich fand ich die statistischen Angaben über die tanzbaren Titel der einzelnen Orchester. Insgesamt war das Workshop für mich ein „Fest für alle Sinne“: angefangen mit der musikalischen Genuss und die beeindruckende Qualität der Musikwiedergabe, über der tänzerische Spaß (besonders auf der wunderschöne Samstagsmilonga ) bis zu den Pausenversorgung (danke tangoNegro, es hat alles super geschmeckt) – es hat alles gepasst.

Es gab auch noch was anderes... Diese Freundlichkeit und Wärme, die ihr alle aus tangoNegro ausgestrahlt habt war mir sehr wichtig. Man kann eine Veranstaltung noch perfekter planen und organisieren, wenn die menschliche Nähe fehlt, dann ist das Event wie kalter Kaffee. In Regensburg habe ich einen besonders schmackhaften Espresso bekommen, wenn ich bei der Kaffee-Beispiel bleiben darf.

Für mich ist EdO spannend, aufregend, bunt und nie langweilig. Nach diesem Event weiß ich, dass eine Menge Leute gibt, die auch so denken. Und noch viel besser - es gibt auch einen Menge Leute die mein Verständnis für Tango als Tanz teilen.

Christian Tobler hat gesagt…

Hallo konzentrierter Zuhörer,

wenn Du uns in Zürich für eine individuelle Hör-Session besucht hättest, hätten wir alle Zeit der Welt, damit Du die gemachte Erkenntnis völlig autonom machen kannst, ganz egal ob das zehn Minuten oder drei Stunden in Anspruch nimmt. Bei 80 heterogenen Teilnehmern und knapp bemessenem Zeitrahmen sieht die Sache anders aus. In Gruppen kann ich nicht auf individuelle Tempi eingehen und leise Töne anschlagen. Ich stehe vor der Herausforderung innert kürzester Zeit möglichst vielen Teilnehmern jenes Aha-Erlebnis zu vermitteln welches die Türen zur EdO erst öffnet. Die von dir angesprochenen 30 Minuten vergleichendes Hören waren nämlich der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Veranstaltung.

Jene Formulierung, die Du beanstandest habe ich erst verwendet, nachdem Du dir durch Hörvergleiche bereits eine Meinung bilden konntest. Da gab es keine Bevormundung von meiner Seite bei der Entscheidungsfindung. Warum habe ich in meinem Facit zum Hörvergleich so drastische Worte verwendet? Weil so ein Hörvergleich tief verankerte, unreflektierte Vorurteile entlarvt. Mit den Augen ist man es gewohnt bewusst und aktiv hinzuschauen, mit den Ohren tendiert man dazu unbewusst und passiv wegzuhören. Daher ist die Chance gross, dass Teilnehmer so eine unbequeme Erfahrung hinterher schnell wieder verdrängen. Um das zu vernindern, musste ich zum Abschluss Klartext reden.

Zudem habe ich für diese Vergleiche ausschliesslich beste kontemopräre Orchester heran gezogen. Das ist für uns alle das Frustrierendste an der ausweglosen Situation. Von 80 Teilnehmern haben in Regensburg übrigens 77 den eklatanten Unterschied deutlich wahrnehmen können. Ein so deutliches Verdikt spricht Bände und rechtfertigt ein paar klärende Worte, finde ich.

Wenn man hier aus dem Kontext gerissen liest, das Sexteto Milonguero sei Sexmüll, dann klingt das genauso befremdlich wie meine Aussage, diese Formation sei längst zur Boy Group des Tango mutiert. Denn nicht nur die begleitende Erklärung dazu fehlt hier bei Cassiel. Der am Wochenende als erster Schritt zum Thema gebotene Hörvergleich heute versus damals hat meinen prägnanten Aussagen danach einen ganz anderen Stellenwert verliehen. Sie wurden nachvollziehbar, egal wie unbequem sie daher kommen. Das ist hier nicht gegeben. Zudem verschweigst Du in Deinem Kommentar, dass ich es nicht bei diesem provokativen Statement belassen habe, sondern unmittelbar danach belegt habe, warum kontemporäre Musiker keine Chance haben, das Niveau ihrer Idole je zu erreichen.

Wenn dieses Event zwölf anstatt sechs Stunden dauern dürfte, könnte ich für den von Dir angesprochenen, zentralen Aspekt vergleichendes Hören doppent so viel Zeit einsetzen, manches behutsamer angehen und danach ein halbstündige Diskussion führen, um die Wogen zu glätten. Aber jetzt mal unter uns: Hättes Du das Wochenende gebucht, wenn es doppelt so lange dauern würde –  sechs Stunden Vortrag pro Tag? Ich bin mir sicher, dass sich dann kaum 20% der Teilnehmer angemeldet hätten. Damit hätten wir aber keine kritische Masse mobilisieren können, wie sie für jede lokale Musikhorizonterweiterung unabdingbar ist. Mit 80 Teilnehmern dagegen rückt so was in den Bereich des Möglichen.

herzlich - Christian

konzentrierter Zuhörer hat gesagt…

@Christian

Ich bin beeindruckt, dass du dich der Kritik stellst und ich habe deinen Versuch einer Motivation gelesen. Nun sind Menschen unterschiedlichst. Mir war es zu heftig. Vielleicht wäre weniger mehr gewesen ......

Klaus Schwarzwälder hat gesagt…

@ z.a.

Du schreibst: Dass so ein umfangreiches Wissen über die Musik rein gar nichts zur Qualität des Tanzens beiträgt. Ein Stück weit muss ich dir recht geben. Man kann alles über die Musik wissen und trotzdem ein Pflock sein.

Der Vortrag war kein Workshop über Musikinterpretation beim Tanzen. Am 2. Tag, und das habe ich in meinem Beitrag erwähnt, haben Monika und Christian über das Tanzen in musikalischen Phrasen gesprochen und in theoretischen und praktischen Beispielen erklärt. "Mandrias" von d'Arienzo und "Araca la Cana" von Fresedo haben als Beispiel gedient. Aber in einer Stunde konnten sie nur die Lust auf mehr wecken. Um das zu erreichen, was du in diesen Vortrag hinein interpretierst, hätten Monika und Christian die ganzen 6 Stunden gebraucht, um nur annähernd etwas zu erreichen.

Wenn du die Kommentare von Sweti und Christian aufmerksam liest, bekommst du noch zusätzliche Informationen, die ich nicht erwähnt habe. Es war nie meine Absicht diese 6 Stunden Vortrag bis ins letzte Detail zu beschreiben.

Obwohl du dich als "ziemlicher Anfänger" bezeichnest, scheinst du schon in der Lage zu sein, deine Tänzerinnen mit einer schönen Musikinterpretation glücklich zu machen. Ich weiss, es gibt solche Naturtalente und dazu möchte ich dir mein Kompliment aussprechen.

Patrick hat gesagt…

Nur aus Neugierde: Christian, welche Stücke vom Sexteto Milonguero hattest Du womit verglichen? Ich kenne das Sexteto im wesentlichen von Liveauftritten, und...äh...fände es fast schon ein wenig gemein, bei denen die musikalischen Feinheiten zu vergleichen. Manchmal will man halt Stimmung, dann nimmt man DJ Ötzi.

Hattest Du beim Vortrag auch Hörvergleiche mit Silencio oder Color Tango gemacht?

eine bisher stumme tanguera hat gesagt…

Ich habe es nicht zu hoffen gewagt und nun traue ich mich, es einmal zu sagen. Es ändert sich etwas. Darüber bin ich sehr froh. Dieser blog ist mir vor zwei jahren aufgefallen und seit der zeit lese ich stumm mit und habe gehofft. Ich wollte nicht mehr die turner-milongas - ich war es leid. Cassiel hat durchgehalten und ich sehe diese veranstaltung als wendepunkt im tango im deutschsprachigen raum. Weg von der bewegung, hin zur musik. Das ist neben vielen anderen auch cassiel zu verdanken. Er hat geschrieben und seine leser immer wieder zum kern des tangos zurückgeführt. Vor zwei oder drei jahren wäre eine solche veranstaltung nicht realisierbar gewesen. Jetzt kommen 80 zuhörer. Toll! Dieser kommentar soll keineswegs die bemühungen anderer geringschätzen, es geht um die wirkung in den medien, da hat dieser blog gefehlt und ist inzwischen ein unverzichtbarer bestandteil.

Danke!

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber ZA,

Teil 1: Gerüchte sind stets ein verflixt heikles Ding. Du hast Klaus sicher nicht falsch verstanden. Wie er selbst schreibt ist es ein Ding der Unmöglichkeit, die motivierende und fordernde Vielfalt dieses Wochenendes in einige wenige Sätze zu kleiden. Da geschieht auf zu vielen Ebenen zu viel, was in die immer selbe Richtung weist. Sonst könnten wir statt dessen eine Abhandlung schreiben und Kopien davon verhökern. Hinter diesem Event stecken mehrere Mannmonate Entwicklungsarbeit. Da wurde nichts mit heisser Nadel gestrickt.

Gib Dir einen Stoss und der Veranstaltung Ende Februar eine Chance. Bei all dem, was ich bei Dir zwischen den Zeilen lesen, bin ich mir sicher, dass du am Sonntag Abend musikalisch-tänzerisch reich beschenkt heimwärts ziehen und uns zum Abschied verschwörerisch zuzwinkern wirst.

Deine Wünsche und Bedenken kann ich gut nachvollziehen. Eine Garantie es jedem Tänzer recht zu machen können auch wir nicht abgeben, obwohl wir genau dafür eine ganze Menge tun. Du sprichst in Deinen vielen Fragen elementare Aspekte an, die auch Monika und mir am Herzen liegen. Dass wir dafür bestimmte Wege einschlagen, ist unsere Reaktion auf viel zu häufig anzutreffende Konstellationen in Unterricht wie Milonga: Figuren-Olympiade höherschnellerweiter anstelle von paarfokussiertem Tango Argentino und einheizende Tango-Disco anstelle einer Milonga mit Esprit.

Du darfst von dem Wochenende trotzdem keine Wunder erwarten. Wir müssen kleine Brötchen backen, damit kein Tänzer auf der Strecke bleibt. Betrachte das Event als Initialzündung. Mehr ist in sechs kurzen Stunden zum episch breiten und abgrundtiefen Thema EdO unmöglich zu leisten. Sich als Tänzer die EdO zu erschliessen ist ein Prozess, der Jahre in Anspruch nimmt – genau genommen ein Leben lang. Die Web Site http://www.tangoandchaos.org dokumentiert so eine Reise exemplarisch.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Ziel unsereres Vortrags, der auch ein Workshop ist, ist es möglichst viele Einladungen zu auszusprechen, sich auf diese Reise zu begeben oder sich neu auszurichten zu können falls ein Tänzer sich dabei verirrt hat, damit er seine Reise fortsetzen kann. Diesen Weg kann man nur allein beschreiten. Hier gibt es trotz Youtube und Frontalunterricht kein zeitgeistiges copy/paste.

Klar macht umfangreiches Wissen um den ganzen Kontext der EdO keinen Tänzer zum Überflieger auf dem Parkett. Aber solange die Namen der 30 wichtigen Gran Orquestas lediglich böhmische Dörfer sind, fällt es den meisten Tänzern schwer, einen Sprung ins kalte Wassen zu wagen und anzufangen sich mit einer gewissen Demut mit dem auseinander zu setzen, was eigentlich jeden Tänzer antreiben müsste: jene einzigartige Musik, welche diesen Tanz hat entstehen lassen.

Das Event macht die EdO für Tänzer überschaubar, lebendig und damit verlockend, im Sinn eines Sprungbretts. Wer mal gehört hat wie unteschiedlich zB die vier Orchester d'Arienzos klingen, kann irgenwann damit beginnen, das tänzerisch umzusetzen. Denn nun verschwindet dieser Aspekt der Fremde und Antiquiertheit, den viele Tänzer völlig zu unrecht mit der EdO verbinden. Dann ist man nicht mehr gezwungen, einen frühen Laurenz im selben Grove abzuspulen wie einen späten di Sarli und so an der Musik zu verzweifeln.

Unsere Veranstaltung zeigt bestens hörbar auf, dass die Aufnahmen der EdO klanglich nur dann schrammeln, tänzerisch nur dann langweilen, wenn ein TJ technisch wie musikprogrammatisch eine Lusche ist. Für Tänzer die gelernt haben hin- anstatt wegzuhören ist die EdO musikalisch um Klassen professioneller und moderner, spannender und fordernde, als alles was Tangomusiker uns in den vergangenen 50 Jahren an Konserven hinterlassen haben oder heutzutags an Live-Performance zumuten.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Wir wollen aber nicht verschweigen, dass es kein Problem ist, aus Aufnahmen der EdO eine todlangweilige bis sackagressive Milonga zu stricken. EdO-Aufnahmen plus Tandas mit Cortina garantieren Tänzern gar nichts. Diese drei Aspekte sind lediglich die subtil auszureizende Klaviatur, auf der ein guter TJ bravourös zu spielen vermag.

Am Regensburger Wochenende gab es einen Teilnehmer, der seit über zehn Jahren intensiv Tango tanzt und den Namen Juan d'Arienzo nicht kannte. Wir kommen immer wieder mit Tänzern in Kontakt, die hinter Donato oder Biagi so was wie Volcadas oder Planeos vermuten. Diese Defizite sind aber nicht den Tänzern anzulasten. Die haben ihnen Lehrer eingebrockt, die die Musik im Unterricht zum Metronon degragieren und ihre Schüler so zur Spezies des Zentraleuropäischen Stoppelhopsers mutieren und ihnen dafür auch noch Geld abzwacken.

Die Fähigkeit, einem Tango mit Ohr und Körper dreieinhalb Minuten lang ohne wenn und aber zu folgen lässt sich nicht in sechs Stunden vermitteln. Andererseits laden wir die Tänzer an diesem Wochenende knapp 50 mal ein, genau diese Herausforderung zu wagen und daran zu wachsen. Ob das dem einzelnen Tänzer sofort oder Monate später erstmals gelingt, ist zweitrangig.

Falls wir mit dieser Veranstaltung der Mehrzahl der Tänzer deutlich machen können, wie megageil die EdO ist, haben wir ganz viel erreicht. Denn wer einmal vom EdO-Virus infiziert ist, für den gibt es keinen Weg zurück zu tänzerischer Mediokrität. Er ist der EdO zeitlebens mit Haut und Haar verfallen. Gut so.

herzlich - Christian

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber Patrick,

pruuust, der Vergleich von Sexmil und DJ Ötzi ist aber nicht auf meinem Mist gewachsen. Ballermann-Tango pur quasi – herrlich!

Zu Deiner Frage: bei Sexmil habe ich den Vals Paisje mit Laurenzens Aufnahme mit Podesta und bei Colorlangweilig den Tango El Monito mit de Caros Aufnahme von 1939 verglichen. Wie immer bei unmittelbaren Vergleichen gab es nur ganz wenige Tänzer, denen die Schuppen nicht nullkommaplötzlich von den Ohren fielen.

Ich halte solche Vergleiche in jeder Hinsicht für legitim, zumal kontemporäre Formationen sich häufig so weit wie möglich an den Arrangements der EdO orientieren, in diesem kreativen Kernbereich keinerlei eigene Leistung einzubringen vermögen.

herzlich - Christian

DJ-Salzer hat gesagt…

Zur Qualität contemporärer Orchester(-aufnahmen) habe ich ein paar Gedanken:

A) Ich glaube, dass ein Hör-Vergleich mit den großen Orchestern der EdO derzeit zwangsläufig einen merklichen Unterschied deutlich macht. Und vielleicht ist er auch nicht wirklich fair, im Blick auf die Orchester.
Christian hat ja betont, dass die quanitative Praxis im Zusammenspiel und bei Auftritten bei heutigen Orchestern nicht gegeben ist und auch nicht erreicht werden kann.
Da sind wir aber doch gleich bei der Anzahl von Auftrittsmöglichkeiten. Je mehr, desto höher die Chancen, dass sich durch diese Praxis bei den Orchestern etwas bewegen kann. Angenommen, contemporäre Orchester hätten in den vergangenen 5 Jahren die Möglichkeit gehabt, jede Woche zwei Auftritte zu bekommen, statt maximal alle zwei Wochen im Schnitt ... ich würde zumindest zu hoffen wagen, dass das zu hören wäre.

B) Eine Tango-Bigband mit 10, 17 oder 18 Musikern klingt und funktioniert einfach anders, als ein Quinteto oder ein Sexteto. Diese Dichte, Vielstimmigkeit und Energie wird das kleinere Ensemble nie erreichen können. Wer schon mal in größeren Orchestern musiziert hat, weiß dass diese Synergie im eigenen Register einen mächtigen Input darstellen kann.
Aber: würden wir so großen Orchestern eine Chance geben? 2003 wurde das Gran Orquesta Sabor a Tango in Berlin gegründet: 4 Bandoneóns, 4 Geigen, 1 Bass, 1 Piano. Ich habe sie drei Mal live erlebt ... hierbei kommt man zumindest in die Nähe dessen, was die EdO klanglich geboten hat.

Vielleicht ist es - bei aller Begeisterung für die Aufnahmen aus der EdO, die ich überdies in ganz vielen Fällen auch teile - doch möglich, die contemporären Musiker nicht ganz aus dem Blick zu verlieren. Ich sehe es so: sie gehören aktuell zur Tango-Kultur unbedingt dazu.

Herzliche Grüße
Hans Peter

Florian hat gesagt…

Vor kurzem habe ich zum ersten mal ein Tango-orchester, das grösser war als ein Sextet, live gehört. Als ich gehört habe wie laut die (unverstärkt) manchmal klingen konnten habe ich mich gefragt ob die Grösse der Orchester der EdO auch eine Frage der Lautstärke war? Oder haben die damals schon verstärkt gespielt und gesungen? Weiss jemand vielleicht Bescheid, bzw. wo ich das nachlesen könnte?

Vielen Dank im voraus!

DJ-Salzer hat gesagt…

Lieber Florian,

die Größe der Gran Orquestas in der EdO hängt unmittelbar mit der Lautstärke zusammen. Weil die Veranstaltungen immer größer wurden und ganz lange ohne Verstärkung gespielt wurde war die schiere Masse an Instrumenten der einzige Weg, sich musikalisch durchzusetzen. Es gab teilweise Orchester mit jeweils über 10 Bandoneóns und Violinen.
Wann die Orchester bei live-Auftritten erstmals elektronisch verstärkt wurden, kann ich nicht sagen.
Da damals aber die Platten-Aufnahmen meist mit nur einem Mikro gemacht wurden, wäre vermutlich auch das der naheliegende Weg gewesen - 1 Mikro für ein ganzes Orchester! Dabei nimmt dieses Mikro alles auf, was in dem Raum an Schall erzeugt wird. In einem stillen Studio macht das Sinn. Bei einem Ball nicht.
Ich denke, dass erst mit dem Einsatz von mehreren Spuren und der Möglichkeit, Mikrophone auszurichten, eine live-Verstärkung sinnvoll war.
Was die Jahreszahlen für diese Entwicklungen anbetrifft, kann vermutlich Christian helfen.

Viele Grüße, Hans Peter

DJ-Salzer hat gesagt…

P. S.: Vielleicht noch eine Ergänzung
Viele Fotos aus der EdO zeigen Sänger vor Mikrophonen. Das scheint mir sinnvoll gewesen zu sein, weil die Menge an Instrumenten die Sänger sonst zugedeckt hätten.
Hierbei unterstelle ich die klare Absicht, dass die Sänger für ihre Parts an den Pegel der Orchester angeglichen werden konnten, und weniger die Absicht, das Orchester mit zu verstärken.

Hier wären allerdings auch für mich die Kenntnisse eines technischen Historikers hilfreich.

Viele Grüße, Hans Peter

Florian hat gesagt…

@Hans-Peter
Vielen Dank für die Antwort. Das habe ich mir so ungefähr auch gedacht. Aber zum Beispiel Angel Vargas unverstärkt in einer grösseren Milonga...? Ich hoffe Christian liest mit :-)

Florian hat gesagt…

Aha, wir sind uns einig :)

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber Florian,

schriftlich nachlesen kannst Du das in Bezug auf Argentinien damals nirgends. Zumindest ist mir keine solche Quelle bekannt. Andererseits betreibe ich solche Studien nicht beruflich und kenne bestimmt ganz viel existierende Publikationen nicht. Da in den 30ern und 40ern nur einige wenige Firmen PA-Technik im Angebot hatten, kannst Du aber weltweit auf die Suche nach Informationen gehen. Und dann findest Du mit etwas Geduld eine ganze Menge.

Bell Labratories / Western Electric / ERPI / Altec / Graybar / Lansing / JBL, USA und Siemens Klangfilm, Deutschland waren damals die wichtisten Hersteller. Sie haben in erster Linie Kinos ausgestattet. Aber die selbe Technik wurde natürlich allmählich auch in Sälen eingesetzt, in denen Musiker live auftraten. Eine wichtige Rolle spielte auch Tannoy (England), allerdings weniger in Kinos.

Instrumente wurden damals bei Live-Musik höchstens in Ausnahmefällen verstärkt. Wenn die Räume gross waren, wurden damals schlicht mehr Musiker eingesetzt. Manpower war damals nicht teuer, viele Berufsmusiker waren Tagelöhner. Wie Hans Peter schon erwähnt hat, war das bei Sängern anders. Die hat man durchaus verstärkt. Und das nicht nur in grossen Sälen sondern bereits in Clubs, was nicht wundert wenn man weiss, dass die Ochester damals sechs oder sieben Tage pro Woche viele Stunden täglich auftraten. Instrumente werden nicht heiser von zuviel spielen. Bis heute habe ich aber keine Quellen gefunden, die dazu verifizierte Kenntnisse liefern. Aber wenn Du genug Fotos aus diesen Jahrzehnten anlaysierst, kannst Du irgendwann damit beginnen, Rückschlüsse zu ziehen.

Falls Du je Argentangos Vortrag/Worshop zu den Gran Orquestas der EdO besuchen solltest, wirst Du eine ganze Reihe von Fotos zu sehen bekommen, die zB die Mikrophonierung von Sängern bei Live-Performances zeigen, aber auch Fotos der Technik welche die beiden Label RCA-Victor und Odeon damals eingesetzt haben. Wir zeigen auch Fotos von Orchestern mit 25, 50 und mehr Musikern. Manche dieser Fotos sind von sehr schlechter Qualität. Trotzdem sind sie aufschlussreich.

Viele der Fotos, auf die Hans Peter hinweist, sind in einem der knapp 20 Radiostudios aufgenommen worden, die es in Bs As damals gab. Es gab damals bereits Mischpulte mit mehreren Kanälen. Die wurden aber im Gegensatz zu Filmstudios bei Audio-Aufnahmen kaum eingesetzt. Die tonale Balance wurde damals in Tonstudios einzig durch Distanz und Lage von Sängern und Instrumenten in Relation zum einzigen Mikro gesteuert.

herzlich - Christian

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber Florian,

damit Deine Frage nicht so abstrakt bleibt: über den Link unten findest Du ein Beispiel für PA-Technik, wie sie bereits 1940 von RCA angeboten wurde. Für 300 USD bekam man PA-Technik mit der man über 1000 Leute beschallen konnte (Amerikaner neigen manchmal ein ganz klein wenig zu Übertreibungen, daher die konservative Zahl). Das hat damals halb so viel gekostet, wie ein Auto mit V8-Motor, umgerechnet auf heute rund Euro 30'000 also. Du wirst nirgends Angaben darüber finden, was in Argentinien damals in Clubs und Cabarets an PA-Technik eingesetzt wurde. Was in der Art war sogar für eine erfolgreiche Klitsche finanzierbar. Eine oder zwei Stimmen liessen sich so mit links bestens versträrken.

RCA: PG 114 – Portable Sound System
# www.argentango.ch/ty/PA-1940-mobile-USD300.jpg

herzlich - Christian

Anonym hat gesagt…

Und ich möchte etwas zu den "Langzeitfolgen" des Vortrags schreiben. Natürlich war der Vortrag von Monica und Christian keine leichtverdauliche Kost. Allerdings hat es in mir gearbeitet und zwei Wochen später muss ich zugeben, sie haben einfach Recht. Ich habe hier in den letzten zwei Wochen die wunderbaren Tangos nachgehört und allmählich reifte die Erkenntnis, was die Zwei eigentlich wollten. Früher dachte ich, es läge grundsätzlich an mir, wenn ich in eine Milonga keinen Einstieg gefunden habe. Jetzt bin ich zwar noch immer der Meinung, es liegt zu einem großen Teil bei mir, aber es gibt eben auch Milongas, bei denen der DJ gefühlvoll den Tänzern das Ankommen erleichtert. Eine Tanda Neo oder Non-Tango ist wie ein freigelassener Hornissenschwarm. Die Auswirkungen sind sofort (und für längere Zeit) auf der Piste zu merken. Ich will keineswegs anderen ihren Tango vorschreiben - für mich wünsche ich mir mehr rein klassische Milongas (und klassische Milonga heißt eben mehr, als alte Tangos aufzulegen, dazu gehört die Mischung, die Energie der einzelnen Stücke, Tandas und Cortinas usw.).

Wenn ich darüber nachdenke, wieviel diese 6 Stunden bei mir angeregt und verändert haben, dann kann ich den Vortrag nur uneingeschränkt empfehlen. Das war ein kompakter Einstieg in einen für mich vollkommen neuen Tango, den ich nicht mehr missen möchte.

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber HPS,

Teil 1: natürlich gehören kontemporäre Tango-Formationen auch zur Tango-Kultur. Es stellt sich bloss die Frage, für welche Kultur diese Tango-Musiker stehen.

Du votierst dafür, Verständnis für die Möglichkeiten heutiger Tango-Musiker zu zeigen. Ich votiere dafür, darüber eine zieloffene Debatte zu führen. Denn ich finde, jede kreative Tätigkeit die auf Beifall hofft, bedarf auch kritischer Hinterfragung. Ganz besonders, wenn das Thema ein Vergleich mit deren Wurzeln ist. Wer sich auf einer Bühne produziert, sollte mit kritischen Äusserungen zurecht kommen.

Ich kenne keine einzige kontemporäre Tango-Formation, die sich ohne wenn und aber dem Musizieren für Tänzer verschrieben hat, jener Disziplin welche die Gran Orquestas so meisterlich beherrschten. Heutige Musiker wollen sich musikalisch nicht einschränken lassen von den in Bezug auf Arrangement und Spieltechnik anspruchvollen Bedürfnissen der Tänzer. Sie bestehen darauf ihre Expressivität ohne wenn und aber auszuleben – ganz in der Tradition von Piazzolla sogenannt schön zu spielen, der es gehasst hat, wenn man zu seiner Musik tanzt. Dagegen ist erst mal nichts einzuwenden. Das nennt sich künstlerische Freiheit.

Aber warum sollten wir Tänzer uns Musikern ausliefern, die uns mit ihrem konzertanten Anspruch auf dem Parkett tänzerisch unendlich langweilen. Genau betrachtet sprechen Musiker und Tänzer heute nicht mehr die selbe Sprache. Mit kontemporärem Tango kann ein durchschnittlicher Tänzer der in der Musik tanzen will anstatt zum Takt Figuren abzuspulen keinen verspielten Dialog aufbauen. Klar schaffen Ausnahmetänzer es, auch noch zur Furzerei eines bierseeligen Frosches grossartig zu tanzen. Nur kann das nicht Masstab für Milongas sein, da dort Tänzer jeden Niveaus Alltag sind.

Wie Du weisst vertrete ich die Ansicht, dass es für tanzbaren Tango Argentino heute keinen Markt mehr gibt, der es erlaubt halbwegs anständig davon zu leben. In Argentangos Vortrag/Workshop zur EdO habe ich die vielfältigen Ursachen dahinter ebenso aufgezählt, wie die Defizite der Musiker. Tänzer sollten Musikern daher ihre egozentrische Haltung nicht verübeln. Die wirtschaftliche Realität bietet Tango-Musikern heute nur wenig Spielraum.

Sollten eines Tages Tango-Musiker bereit sein, ohne wenn und aber für Tänzer zu musizieren, werden sie bestimmt mit offenen Ohren und wirbelnden Beinen empfangen. Bis es vielleicht irgendwann soweit kommt, denke aber nicht nur ich nicht mal im Traum daran, mich an Milongas mit Live-Musik zu langweilen und für eine drittklassige Live-Performance ein Mehrfaches des Eintritt zu zahlen, wie er für erstklassige EdO-Konserven üblich ist. Das ist eine absurde Situation. Veranstalter täten gut daran, anstelle von Live-Musik in gute PA-Technik zu investieren. Denn dann verschwinden die Klagen über das alte Geschrammel schneller als ein TJ seine MP3 schrotten kann.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Klar klingt ein Gran Orquesta anders als ein Orquesta Tipica. Andererseits belegen eine ganze Reihe der Formationen von damals, dass die Antwort so einfach nicht ist. Die alten Säcke brachten auch mit kleinen und kleinsten Formationen Dinge zustande, die heutige Musiker schlicht nicht auf die Reihe bekommen.

Was Firpo mit vier Musikern auf die Beine gestellt hat, ist waschechte Tanzmusik, auch wenn der Sound etwas dünn klingt. Was Canaro mit fünf Musiker möglich gemacht hat, schenkt uns heute noch Tanzspass pur. Was de Caro und di Sarli bis 1930 mit sechs Musikern zustande brachten, muss ich Dir nicht erklären. Und der fette Sound, den Troilo 1938 und di Sarli 1939 mit nur acht Musikern kreiert haben, steht den Gran Orquestas mit bis 16 Musikern in keiner Weise nach.

Ich habe Sabor a Tango nur einmal für Tänzer spielend erlebt. Begeistert hat mich das nicht. So wie ich das sehe, spielen auch die nicht in der selben Liga wie die EdO. Wenn ich Eric Clapton hören will, lege ich auch nicht Milli Vanilli auf. Und wenn ich Vladimir Ashkenazy hören will, lasse ich natürlich die Finger von Lang Lang. Für mich ist das eine Frage gesunden Menschenverstandes. Erstere werden für alle Zeiten bleiben. Letztere fallen mit etwas Distanz der Vergessenheit anheim.

Maurizio Pollini hat nach seiner ersten Einspielung von Chopins Etüden mehrere Jahre lang kein Aufnahmestudio mehr betreten, weil er der Meinung war, er müsse erst mal an sich arbeiten. Ich fürchte, ohne den Mut zu einer so konsequenten Ausrichtung auf qualitative Belange, auch im ureigenen Interesse jeden Musikers, wird es zeitgenössischen Musikschaffenden immer seltener gelingen Jahrhunderteinspielungen zu schaffen. Was Bohlens Musikschrottimperium uns beschert, sollte inzwischen jedem Musikliebhaber klar sein.

Nicht nur in Europa gibt es seit wenigen Jahren eine immer grösser werdende Schar von Tango-Tänzern, die bevorzugt kleine Festivals besucht, welche sich fast auschliesslich auf EdO-Musikkonserven konzentrieren: Saarbrücken, Crema, Montpellier, Bologna, Montecatini, Devon, Carpentras, Constanta, Kehl, Celje, Impruneta, Barcelona, Bari. Diese Szene wächst ständig und rasant. Wer dort ein Wort über Live-Musik verliert, muss damit rechnen, dass andere ihm einen Stinkefinger zeigen.

Hier sehe ich die Zukunft des getanzten Tango Argentino: Forward to the roots. Anzeichen für eine kontemporäre Alternative zur EdO bei Orchestern sind nirgends auszumachen, leider.

herzlich - Christian

Monika hat gesagt…

@letzter Anonym: Danke. Genau das ist, was wir erreichen wollten: das Tänzer sich mit der Musik und dem ganzen Drumherum beschäftigen, selber überlegen warum ihnen diese oder jene Tanda oder Milonga gefallen hat oder auch nicht und sich dann selbst ein Urteil bilden. Mit genügend Wissen (oder auch fundiertem Halbwissen oder dem Wissen den Weg erst gerade gefunden zu haben - völlig wurscht) um die subtilen, aber machtvollen Spiele die die EdO (und der TJ) da mit uns treiben können.

DJ-Salzer hat gesagt…

Lieber Christian,

okay: ergebnisoffen! Gerne! Vor meiner Seite aus vor allem offen!

Ich werbe nicht um Verständnis für heute aktive Tango-Musiker. Ich ziehe einfach nur andere Schlussfolgerungen. Diese sind nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern einfach nur meine Meinung. Und ich bemühe mich dabei fair zu bleiben.

In der Kunst ist immer alles in Bewegung. Im Tango auch. Die Musiker der 1890er haben anders gespielt, als die in den 1920ern, oder in den 1940ern oder in den 1950ern oder in den 1970ern. Als Einflüsse lassen sich meist immer wirtschaftliche Gründe und neue Anregungen von Innen oder von Außen ausmachen. Das war schon immer so. Man kann das wertfrei als Entwicklung bezeichnen. Ich nenne es jedenfalls nicht "egozentrisch". Was ich für viele Musiker einfach bestätigen kann ist, dass sie sich wirklich um die Tanzenden kümmern. Das mag vielleicht nicht allen genügen. Aber in den Raum zu stellen, dass ihnen die Tanzenden egal sind, greift zu kurz. Und: sie kümmern sich auch um die vielen nicht notierten Spieltechniken.

Du sagst, dass ein Ensemble, das eines Tages bedingungslos für die Tanzenden spielt, auch offen empfangen werden wird. Ich frage: Wie kommt dieses eine - für Dich im Moment noch imaginäre - Ensemble dort hin, wenn sie von der tanzenden Communitiy geschmäht und den Veranstaltern links liegen gelassen werden? Übung macht den Meister. Oder anders gesagt: wenn wir ihnen heute keine Auftrittsmöglichkeiten geben, wird es in Zukunft ein solches Orchester mit Sicherheit nicht geben - das ist meine Befürchtung.

Und ich glaube sagen zu können, dass verschiedene Musiker und Gruppen im deutschsprachigen Raum sich schon deutlich bewegen. Spannend ist z. B. dass eine ganze Reihe von denen nach Berlin gezogen sind. Bei aller Konkurrenz haben die auch Kontakt miteinander und tauschen sich aus - und dabei sind gewiss nicht die Piazzolla-Phrasen das Hauptthema, denn die sind ja sauber notiert. Auf jeden Fall wissen die Tangomusiker um diese Synergieeffekte, auch wenn es sich nicht um zig bis hunderte Locations und um tausende Musiker/innen handelt.

An einem Punkt lasse ich mich gerne von Dir korrigieren: die Größe eines Ensembles sagt noch nichts über die Qualität der Musiker. Da bin ich mit Dir einverstanden.
Z. B. finde ich, dass manche Duos eine Virtuosität und Vielschichtigkeit entwickelt haben, die man nicht bei jedem größeren Ensemble so hört.

Jeden ist freigestellt, auf die Musik zu tanzen, die er bevorzugt. Ich tanze wahnsinnig gern auf EdO und auf Deine Musik. Am 3.12. hast Du in der Mälze einen super Job gemacht! Aber ich tanze mittlerweile auch gerne zu guten live-Ensembles.

Mit herzlichen Grüßen
Hans Peter

DJ-Salzer hat gesagt…

@ Christian:

Ich frag nur noch mal kurz nach, weil ich nicht ganz glauben kann, was Du da in Deinem Teil 2 geschrieben hast:

"Wer dort ein Wort über Live-Musik verliert, muss damit rechnen, dass andere ihm einen Stinkefinger zeigen."

Ist das wirklich Dein Ernst, oder eher eine Deiner ironisch-sarkastischen Übertreibungen?

Ich wünsche allseits noch gute und ruhige vorweihnachtliche Tage!
Hans Peter

Aurora hat gesagt…

@ Dj-Salzer

tja, offensichtlich musst du es auf einem Versuch ankommen lassen, um die Frage mit dem Stinkefinger zu lüften...

ich persönlich, meide vernehmbare Beleidigungen in Anwesenheit Dritter, sparrt einfach sehr, sehr viel Ärger.

Genauso meide ich Tanzpartner und DJ´s, die offensichtlich den Wert der Epoca de Oro (noch) nicht zu schätzen wissen. Ein vehementes Plädieren für zeitgenössische Tangomusik, womöglich noch aus der Konserve und/oder mit Verstärker, werte ich persönlich als eindeutiges Indiz für eine mangelnde Wertschätzung der Musik der Epoca de Oro.

Ebenso meide ich DJ´s die eine solche Respektlosigkeit gegenüber den Tanzenden besitzen, in einer Tanda mit drei Valses der Epoca de Ora eine vierte Vals, wie z.B. aus "Die Wunderbare Welt der Amelie" oder Vergleichbares zu spielen.
Nein, den Stinkefinger zeige ich solchen DJ´s nicht, ich verlasse die Milonga und meide selbigen DJ zukünftig, vor allem wenn es nicht nur eine "unschöne" Tanda gewesen ist. So zuletzt geschehen beim Tangofestival in Innsbruck 2011 Samstagabend, als ein Hans-Peter Salzer am DJ-Pult saß.

In diesem Sinne auch Dir eine besinnliche Weihnachtszeit!

@ Christian Tobler, Monika Diaz und Cassiel

vielen herzlichen Dank für Eurer Engagement für die Musik der Epoca de Oro!!!

cassiel hat gesagt…

Nur ganz kurz: Ich fände es sehr schön, wenn hier ein sachlich, konstruktiver Gedankenaustausch stattfinden kann.

Mir wäre es sehr wichtig, daß etwaige Aufregungen nicht zum Gegenstand der Diskussion würden.

Einen schönen Abend allerseits...

c.

Rory Dixon hat gesagt…

Es ist keine Frage dass die Qualität der Musik der EdO die der anderen Epochen des Tango weit übertrifft, die Ursachen sind ja ausreichend ventiliert worden. Insofern ist es auch nicht wirklich verwunderlich, dass keines der heutigen Orchester an diese Qualität herankommt. Auch teile ich den Eindruck, dass viele aktuelle Orchester eher sich des Musizierens als der Tänzerbeglückung verschreiben. Vereinzelt sehe ich da allerdings eine sehr positive Entwicklung, z.B. bei Christian Gerber, der durch sein Zusammenspiel mit den letzten Überlebenden der EdO viel Spielerfahrung sammeln konnte und sich mehr und mehr zu tanzorientierten Auftritten hin bewegt.
Eines ist allerdings bei Live-Orchestern für mich als Tänzer immer besonders. Das ist die Einmaligkeit des Momentes. Diese hat für mich nochmal eine andere Qualität als Konserven und fordert mein eigenes Eintauchen in die Musik und Antizipieren derselben nochmal auf einer weiteren Ebene. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das den einen oder anderen Tänzer durchaus auch überfordert, so wird die Interpretation eines schon hundert mal gehörten Stückes immer anders sein als bei einem Stück, das man so noch nie gehört hat. Auch wenn ich EdO klar und mit Abstand bevorzuge mag ich den gelegentlichen (so einmal im Jahr oder so) Genuss des ultimativ realen Momentes mit Live-Orchester (wenn es sich denn wenigstens um die Tänzer bemüht) nicht missen.
Und was den Stress der hier wohl häufig anzutreffenden Süddeutschen mit nicht-EdO-Milongas betrifft: diese Gattung stirbt in Berlin gerade vollständig aus, zusammen mit den Neo-Tänzern. Völlig out, findet sich nur noch vereinzelt (nicht-klassische Milongas) oder aber durch ein paar wenige, die es einfach nicht anders können (Neotänzer). Also: entspannt euch, alles wird gut!

DJ-Salzer hat gesagt…

@ Aurora:
Ja, vielleicht hat das für den Samstag in Innsbruck so nicht gepasst. Weil ich die anderen DJanes des Festivals (teilweise auch nur ganz kurz) erlebt hatte, habe ich extra beim Veranstalter bezüglich der musikalischen Ausrichtung nachgefragt und die Auskunft bekommen, dass ich auch (wie von Schloss Elmau her bekannt) moderne Musik einflechten soll. Möglicherweise auch ein Missverständnis. Aber: ich habe es so wie ich es verstanden habe dann auch gemacht.
Die Entwicklung zeigt, dass diese Entscheidung und meine praktische Umsetzung zumindest für manche Tanzenden unglücklich war. Da ich mich als Dienstleister verstehe, versuche ich sowohl für die Veranstalter, als auch für die Tanzenden aufzulegen. Wenn ich in meinem Publikum jedoch sowohl EdO-Begeisterte als auch Freunde modernerer Klänge habe, ist es praktisch unmöglich, alle glücklich zu machen.
Dass Dir die Musikzusammenstellung an dem Samstag nicht gefallen hat, ja dass sie Dich geärgert hat, bedauere ich, denn das ist nicht mein Ziel.

Ich finde es immer bereichernd, wenn Tanzende einen Zugang zu der musikalischen Qualität der Tangos aus der EdO haben. Ich meine das ehrlich: ich finde es toll, dass Du mit der EdO wirklich etwas anfangen kannst und dass sie Dir etwas bedeutet. Mich fesselt, bewegt, beflügelt das alles, worüber Christian 5 Stunden lang referiert hat, von Beginn an. Z. B. die Hermanos De Caro fand ich schon in meinem ersten Tangojahr einfach phänomenal! Die Tanzenden auf der Piste in meinen Regionen haben das vor 12 Jahren aber noch ganz anders gesehen und empfunden. Ich bin erst zu mehr Engagements gekommen, als ich den Anteil an der EdO bewusst kundenorientiert zurückgenommen habe. Das ist das Dilemma eines DJs, der versucht offen zu sein.
Um die Musik der Goldenen Epoche bestmöglichst in bestehende Audio-Anlagen übertragen zu können, habe ich vor 6 Jahren in sehr gutes transportables Equipment investiert, das ich zu jedem Gig mitschleppe. Für kontemporäre Aufnahmen brauche ich diesen Aufwand nicht zu betreiben.
Hier in Regensburg haben wir im Lokschuppen vor 5 Jahren schon mit dem selben Ziel die bestehende Audioanlage für unsere Salons aufgerüstet. Aber es hat vier Jahre gedauert bis sich die Cortina durchgesetzt hat - befürwortet wird sie immer noch nicht von allen unseren Milongabesuchern.

Ich versuche bei all dem offen zu sein und zu bleiben. Offen für meine Mitmenschen, für die Ereignisse des Lebens und auch für die Vielschichtigkeit des Tangos. Ich bitte schlicht darum, dies nicht als Missachtung der EdO zu werten.

In Innsbruck habe ich verschiedene moderne Tandas eingeflochten. Vals-Tandas bestehen bei mir grundsätzlich (wie auch bei Christian und manchen DJs in BsAs) aus drei Titeln. Die einzige Mischung von Interpreten und Tango-Epochen, die ich bei einer Vals-Tanda vorgenommen habe war die: 1. Biagi, Lagrimas y Sonrisas (1941), 2. Canaro: Francia (1943), 3. Los Indios Tacunau: Romance de Barrio (1969) - alle Musiker und Aufnahmen aus Argentinien. Bisher war ich der Auffassung, dass der 3. Titel von der tonalen Struktur und dem Tempo gut anschließt und dass er für Menschen mit "moderner" Hörgewohnheit auch eine Brücke darstellen kann.
Mir wird mehr und mehr klar, dass dies auch als klarer Bruch empfunden und bewertet wird. Ist für mich durchaus ein Anlass und ein Anstoß, die Zusammenstellung dieser Tanda zu bedenken und zu überarbeiten.

@ Rory Dixon - die Einmaligkeit des Moments.
So geht es mir bei einem guten Orchester auch. Und ich stelle mir vor, dass die Tanzenden der EdO dies jeden Abend haben konnten, da sie ausschließlich zu live musizierenden Orquestas mit dieser außergewöhnlichen Qualität getanzt haben. Diese Aufnahmen, zu denen wir derzeit Zugang haben, bewahren ja nur eine Version von hunderten oder gar über tausend erlebten Aufführungen des jeweiligen Stückes von dem jeweiligen Orquesta. Durch die Zeit reisen können - das wäre doch eine tolle Sache ...

Herzliche Grüße an alle und eine friedliche Festzeit!
Hans Peter

cassiel hat gesagt…

Üblicherweise halte ich mich bei den Diskussionen zu Gastbeiträgen bewußt zurück... an dieser Stelle kann ich nicht anders...

@Hans Peter
Jetzt wären wir bei der Frage, wie denn die Milonga in Innsbruck angekündigt war. Wenn sie als klassische Milonga etikettiert war, denn hat La valse d'Amelie da einfach nichts verloren - Kundenorientierung hin oder her... Wir sind leider in der unangenehmen Situation, daß bei uns der Begriff Tango Argentino schon derartig verwässert ist, daß dieser Begriff allein nicht mehr für eine präzise Charakterisierung einer Milonga ausreicht. Sei's drum! Wenn eine klassische Milonga angekündigt wurde, dann sollten sich auch Besucher darauf verlassen können. Ich sehe es ähnlich wie es oben bereits geschrieben wurde: Jedes Einflechten von moderne Neo- oder Non-Tango-Stücken ändert eine Milonga nachhaltig. Da kann man auch ein Rührgerät in die Tanzfläche halten und kurz auf Stufe 3 stellen.

Wenn andere solche Stücke gerne tanzen, dann sollen sie das bitte tun, ich möchte nicht gezwungen werden es zu tun. Deswegen wähle ich bewußt trad. Milongas bzw. DJs, die klassisch auflegen.

Ich bin inzwischen einigermaßen ratlos, weil einem mit einer solchen Haltung regelmäßig Fundamentalismus bzw. Dogmatismus vorgeworfen wird. Für mich ist diese Haltung einfach nur konsequent. Die (teilweise fanatische) Ablehung rein klassischer Milongas ist für mich schon lange nicht mehr nachvollziehbar und ich frage mich manchmal, wer da fundamentalistisch bzw. dogmatisch ist...

Nur meine Meinung...

c.

DJ-Salzer hat gesagt…

@ Cassiel:
Innsbruck war ein Ball mit dem Cuarteto Rotterdam. Mit CR bekommt man alles, vor Allem auch eine gute Portion Pugliese aus den 60ern und auch Piazzolla. Vor Veranstalterseite gab es kein Etikett. Ich habe in meinem Rundbrief und auf meiner Seite das als traditionellen Abend etikettiert. Dabei verwende ich die Kategorisierung, welche vor Jahren von der Tangodanza eingeführt wurde: mind. 80% trad., max. 20% mod. Das hat viele Jahre funktioniert.

Ich denke aktuell ernsthaft darüber nach, diese Kategorisierung zu überarbeiten und anzupassen, um Klarheit zu schaffen. Was mir derzeit rückgemeldet wird, ist dass die Beizeichnung "traditionell" mittlerweile die Erwartung auf EdO weckt. Das führt freilich zu Problemen. Ich will die Leute aber nicht vor den Kopf stoßen und mach mich deshalb daran. Eine Idee aber habe ich aber noch nicht dafür.
Denn eines kann ich nicht machen: in mein Portfolio den EdO-Abend aufnehmen und Crossover drin lassen. Ich glaube nicht, dass sich das miteinander verträgt oder verstanden wird. Davon gehe ich deshalb aus, weil die kritischen Stimmen von beiden Seiten an mich herangetragen werden.

Ich persönlich bin keiner, der eine rein klassische Milonga aus Prinzip ablehnt. Ich versuche mit den Menschen im Gespräch zu bleiben und lasse mich auch zu Veränderungen anregen. Ich hoffe nicht, dass hier der Eindruck entstanden ist, ich sei ein fanatischer Gegner der traditionellen Musik!

Zu dem Argument mit der Unruhe auf der Piste bei Electro oder Nuevo: das leuchtet ein. Es bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es bei EdO immer gepflegt auf den Pisten zugeht. Ein Besucher des Vortragswochenendes berichtete, dass bei uns in der Mälze am 3.12. sehr rücksichtsvoll getanzt wurde, wogegen in einer Heimatmilonga, wo seit langem EdO das Etikett und die Praxis ist, es sehr viel rempeliger zugehe.

Freilich hat der DJ sehr viel Möglichkeiten, hier Impulse zu geben und Einfluss zu nehmen. Aber das tanzende Auditorium muss es auch aufnehmen und mitmachen wollen.

Mit herzlichen Grüßen
Hans Peter

bird hat gesagt…

Hi cassiel,

warum ist es für einen Menschen/Tänzer wie dich so schwierig 2-3 Tanden am Abend mit nicht EdO-Musik stehen lassen zu können. Tanzen mußt du ja nicht danach, kannst ein Päuschen einlegen, so wie der ein oder andere wenn es ihr/ihm zu "schepprig" ist.
Was spricht so dagegen eine Mischung 80/20 o.ä. auf 4-5 Stunden verteilt ? Ich verstehe das nicht wirklich.

Theresa hat gesagt…

Lieber Hans-Peter,

zum "DJ-Dilemma" will ich nur ganz kurz anmerken, dass meiner Meinung nach der Kontrast zum Cuarteto Rotterdam nicht Crossover ist, sondern Donato, Lomuto & Co.

Leider kann ich gar nicht nachvollziehen, was jemand über die Pistenkultur bei der Milonga in der Mälze berichtet hat. Ich fand sie fürchterlich, trotz der wirklich exzellenten Musik von Christian. Es wurde kreuz und quer getanzt, und ich hab schon lang nicht mehr so viele Kollisionen abbekommen, und das lag nicht an meinen Partnern, lieber HP :-) Ich bin wohl verwöhnt von gewissen Milongas in München und anderswo auf der Welt.

Theresa

cassiel hat gesagt…

@bird

Nur ganz kurz: Wenn es tatsächlich eben nur auf die Tandas Neo- oder Non-Tango beschränkt wäre, dann wäre es kein Problem. Nach meiner Wahrnehmung wirken aber solche Tandas lange nach... Ich bin primär nun einmal Blogger und nur im Nebenberuf Tango-DJ, ich habe aber sehr häufig die Erfahrung gemacht, daß Neo- und Non-Tango lange nachwirkt (deswegen lege ich mittlerweile 100%ig klassisch auf).

Und zur Klarstellung vielleicht noch: Natürlich kann ich auch mit klassischen Tangos eine ganze Milonga als DJ vor mir hertreiben. Ich schraube den Anteil der d'Arienzos, Biagis und anderer Kandidaten hoch, kürze konsequent alle Tandas auf drei Titel, spiele einen hohen Anteil instrumentale Titel, reduziere die Pause zwischen zwei Titel auf 0 Sekunden und schon wird es unruhig (da gibt es sicherlich noch mehrere Kunstgriffe - das waren jetzt nur Beispiele).

Vielleicht wird jetzt deutlich, warum ich mir hier die Finger wund schreibe für rein klassische Milongas als zusätzliches Angebot einer lokalen Szene; es ist ein anderes Tanzen.

Peter Fangmeier hat gesagt…

wenn es zu kollisonen auf der piste kommt sind immer die "führenden" schuld... und zwar beide. beispiel: wenn zwei auto zusammen stoßen sind die fahrer schuld, und nicht die beifahrer. kollisionen auf der piste können vermieden werden wenn "mann" so voraus schauend führt/tanzt das er kein anderes paar behindert. leider wird diese thema in vielen schulen nicht angesprochen.

Peter Fangmeier

Unknown hat gesagt…

Ich versuche meine Gedanken zu Thema „traditionelle Milonga“ zusammen zu fassen. Einige Wörter über den Kontext in dem ich schriebe wären hilfreich: ich bin jemand der Neo- und Non-Tangos auf Milonga strikt ablehnt und ich bin kein DJ – ich werde versuche aus der Sicht einen traditionellen Tänzer zu schreiben.

Die Kategorisierung von TD ist mir bekannt, ich finde sie für nicht Zielführend. Was bedeutet 20% modern. Vorausgesetzt, die Milonga ist im Tandas mit Cortinas aufgeteilt (das ist eine Grundlegende und notwendige Voraussetzung zu einer erfolgreichen Miloga), bedeutet die Klassifikation „traditionell“ nach TD, dass in jede Tanda ein modernes Stück enthalten ist? Oder bedeuten die 20%, dass man jeder Stunde eine moderne Tanda spielt? Oder Spielt man zuerst eine Stunde moderne Stücke und dann 4 Stunden traditionell? Kurz gesagt die Klassifikation „traditionell“ nach TD bringt für mich keine Vorteile.

Was wünsche ich mir? Natürlich eine traditionelle Milonga mit 20% 20er und 80% EdO (bis 55 und kein Stück aus der 60er). Da ich aber ein toleranter Mensch bin, sehe ich ein, dass einige Tänzer auch versuchen möchten auf kontemporären Titeln zu tanzen. Tandas, in den klassischen mit modernen Titeln vermischt sind, sind für mich „no go“. Die Gründe dafür sind sehr einfach und mehrfach hier in Blog diskutiert worden (aber auch bei tango-de . Ab und zu eine Tanda mit kontemporären Stücken ist in Ordnung. Da kann ich pausieren.

Die Argumentation von Cassiel kann ich gut nachvollziehen – es ist richtig, dass Non- und Neo-Tandas Unruhe auf den Parkett bringen. Diese Unruhe stört mich persönlich immer weniger. Auch wenn es um mich Beine und andere Körperteile fliegen, kann ich mich relativ gut „abschotten“ und nach innen orientiert Tanzen. Es ist nicht optimal - es fehlt die Verbindung zu den aneren Tanzende, es ist aber auch nicht besonders störend für mich. Nun ist es auch so, dass für ein großes Stadt wie Berlin oder München für eine traditionelle Milonga immer genügend Tänzer da sind. Anders wird es bei einer kleinen, lokalen Szene, die alle 14 Tage eine Tangoveranstaltung organisiert.

Ich bilde mir nicht ein, irgendwas besser zu wissen. Tango lebt von der Vielfalt, der Tango lebt aber auch von der Konventionen, die über die Jahre entstanden sind. Von einem DJ erwarte ich, dass er in der Lage ist eine Tanda von einem Orchester mit einem Sänger bzw. instrumentell, zusammenzustellen, welche in sich homogen und doch spannend ist.

@Theresa
Deine Aussage über der „Pistenkultur bei der Milonga“ kann ich leider bestätigen. Es waren aber nur einzelne Tänzer, die rücksichtslos getanzt haben. Bei so eine große Menge an Tanzende werden die Möglichkeiten des TJs, aktiv das Geschehen auf die Piste zu beeinflussen, oft überschätzt.

Aurora hat gesagt…

@Dj Salzer

Danke für deine ausführliche Antwort. Mein Kommentar war ein Beispiel meiner Interpretation von "jemanden den Stinkefinger zeigen" im Kontext Tango. Ich zeige niemanden den Stinkefinger und will auch niemanden auch nur durch die Blume beleidigen. Gefällt mir etwas nicht an einer Milonga, so besuche ich sie einfach nicht mehr. Bin ich mit der Musikwahl eines DJ´s nicht einverstanden, meide ich ihn künftig.

Hinsichtlich den Aufbau einer Tanda sind wir wohl grundsätzlich anderer Ansicht, hier stimmen meine Erwartungen, mit Swetis überein und es wurde dazu schon hinreichend viel in diesem Blog geschrieben.

Samstagnachmittag wurde bei besagten Festival von einer Rosmarie aus Brixen sehr schön traditionell aufgelegt. Eine Ankündigung hinsichtlich der Musikwahl gab es von offizieller Seite nicht. Soweit mir Informationen zu den DJ´s zugänglich waren, haben alle zumindest angekündigt, auch traditionell aufzulegen. Nach meinem Empfinden ist dies nur Samstag- und Sonntagnachmittag erfolgt. Am Sonntagabend, nach Verlassen der Abschiedsmilonga, habe ich mit meiner Begleitung diskutiert, ob derartige Veranstaltung noch unter den Begriff "Tango Argentino" zu verstehen sind, oder sich lieber als "Tango Alternativo" oder ähnliches bewerben sollen.
Ich will hier weder das besagte Tangofestival, noch die DJ-Kunst eines Einzelnen zum Diskussionsgegenstand machen und beende deshalb meinen Diskussionsbeitrag.

Ein Gedanke noch, gestern nach Posten meines Kommentars, habe ich einen Artikel über Rechtsradikalismus gelesen. Dabei kam mit der Gedanke: Vielleicht bin ich "Epoca-de-Oro-Radikal".

Florian hat gesagt…

@Christian
Vielen Dank für die Informationen bezüglich Verstärkung der Sänger!

@Cassiel
Es freut mich sehr zu lesen, dass es Leute gibt die noch fundamentalistischer sind als ich ;-)

@Sweti
Ich beneide dich um deine Fähigkeit dich "abzuschotten". Mir fällt das leider nicht so leicht. Um angenehm tanzen zu können müssen die Tänzer um mich hin einigermassen verlässlich sein. Das heisst wenn ich Raum vor mir in der Ronda sehe möchte ich davon ausgehen können dass dieser Raum zwei Sekunde später noch immer frei ist und nicht jemand aus der Mitte mit Höchstgeschwindigkeit rein gerannt ist. Sonst beschränkt es meine tänzerische Freiheit ungemein.

@all
Eine 80/20 Verhältnis ist für mich keine traditionelle Milonga. Aber das ist eben eine Definitionsfrage. Eine oder zwei moderne Tandas halte ich aus, wenn sonst keine Überdosis '50 gespielt wird. Ich kenne eine Milonga wo manchmal eine solcher Tanda gespielt wird, und die Tanzfläche davon nicht chaotischer wird.

Auch ich vertrete der Meinung dass im Moment kein Orchester an der EdO dran kommt. Dafür kommt eine Aufnahme nie am Niveau einer live-Auftritt...

In letzter Zeit habe ich zweimal ein Ensemble erlebt das sich eindeutig den Tänzern verpflichtet hat. Einmal war es Orchester Silencio. Die haben ausdrücklich mit 100% tanzbare Musik für sich geworben und das meiner Meinung nach auch wahr gemacht, auch wenn ihr Stil für mich eher "spät" ist, aber das ist Geschmackssache.

Das andere Ensemble war La Tubatango. Bei dieser Gruppe hat sich der Vergleich mit der EdO für mich erübrigt, ich habe einfach Lust zum tanzen bekommen und so sollte es sein! Die youtube-Videos zeigen nicht mal wirklich welche tänzerische Energie von so einer Gruppe ausgeht wenn die in einer kleinen Milonga spielen. Vielleicht vergleicht man sie eher nicht mit der EdO da sie so eine aussergewöhnliche Besetzung haben. Bei anderen Orchestern sind es meist die Geiger die mich am meisten stören, da hat sich die Klangvorstellung sehr geändert seit der EdO, übrigens auch in der klassischen Musik.

Ich bin mit Hans Peter einverstanden dass man den viel(bzw. etwas)versprechenden Orchestern eine Chance geben muss, damit sie sich weiterentwickeln können. Das sind leider nur ganz wenige Orchester...

Für mich besteht die grosse Hoffnung daraus, dass die Tango-Szene in Europa ständig wächst und deshalb auch immer mehr professionelle Musiker tanzen. Wenn man mal eine Gruppe zusammen kriegen würde von wirklich guten Musikern, die dreimal der Woche nur zu EdO-Aufnahmen tanzen -das heisst, das nach ein Paar Jahren ziemlich im Blut haben- dann könnte etwas entstehen, das sogar Christian überraschen würde, Spielpraxis hin oder her.

Unknown hat gesagt…

@Florian

Es ist nicht eine Fähigkeit, die mir so gegebene ist oder plötzlich gekommen ist. Es ist eher einen Prozess, der ich seit einiger Zeit durchlaufe. Ich bin der Meinung, dass weder Tanzstyl (im Sinne traditionell, modern, sportlich) noch Musik wesentlich der Verhalten der Paare auf die Tanzfläche beeinflussen. Es ist vielmehr so, dass Paare mit einen bestimmten Tanzverhalten bei jede Milonga gibt: es gibt die Anfänger, die mit sich selbst beschäftigt sind, es gibt die extrovertiert und sportlich tanzende Paare, es gibt die Rücksichtslose und die Rücksichtsvolle – die Liste ist selbstverständlich nicht abschließend.

An den Vorabend von Christians WS im Regensburg besuchte ich die Milonga bei "Tango im Fluss". TJane Petronella legte wunderbar traditionelle auf. Ich genoss gerade eine schöne di Sarli-Tanda als ich vor mir ein sportlich, extrovertiert tanzende Nuevo-Paar sah. "Oje, Oje" dachte ich, aber es kam anders. Sofort war der Blickkontakt mit dem Führenden da und ich erkannte, dass vor mir ein erfahrener Tänzer genau so wie ich das herrliche di Sarli genoss. Obwohl die beiden vor mir raumgreifende und sportliche Bewegungsabläufe vorgeführten, empfand ich diese Tänzer nicht als störend – immer wenn ich zu den Paar blickte konnte ich einen Blickkontakt herstellen und ich konnte relativ gut das Verhalten den Beiden vorhersehen.

Und ein Gegenbeispiel: am Abend danach legte Christian auf. Über die Qualitäten von Christian als TJ habe ich schon mehrfach ausführlich geschrieben. Für mich war es ein sehr entspanntes und genussvolles Tanzen an diesen Abend. Es gab aber trotzt dem traditionell tanzende Paare, die sich chaotisch und rücksichtslos beim Tanzen verheilten. Diese bemerkte ich aber kaum. Erst nach einer Bemerkung von Theresa, dass auf die Tanzfläche chaotische Verhältnisse herrschen, beobachtete ich gezielt die Paare. Und ja, es waren nur einzelne Paare, die mit raumgreifenden Bewegungen tanzten.

Seit einiger Zeit besuche ich ausschließlich Veranstaltung auf den traditionell aufgelegt wird. Cristian hat diese schon angesprochen:
"...Nicht nur in Europa gibt es seit wenigen Jahren eine immer grösser werdende Schar von Tango-Tänzern, die bevorzugt kleine Festivals besucht, welche sich fast auschliesslich auf EdO-Musikkonserven konzentrieren: Saarbrücken, Crema, Montpellier, Bologna, Montecatini, Devon, Carpentras, Constanta, Kehl, Celje, Impruneta, Barcelona, Bari."
Interessierte finden eine Liste einige Festivalitos & Encuentros bei Melina.
Das Bild was ich an solche Veranstaltungen erlebe ist uns allen bekannt: es gibt "gute" und "nicht so gute" TJs, es gibt Anfänger und erfahrene Paare, es gibt rücksichtsvolle und rücksichtslose Tänzer. Ich kann und will mir den Spaß durch rücksichtslose Tänzer nicht verderben. Um meinen Spaß und meine Tanzpartnerin zu schützen muss ich nach und nach lernen mich "abzuschotten". Für mich gibt nur ein Rezept und es heißt: Toleranz und introvertiertes tanzen.

bird hat gesagt…

Hi @,

ich sehe das wie sweti, auch wenn ich weit davon entfernt bin ein Traditionalist zu sein. Es ist doch zu schade, sich eine Milonga schlecht machen zu lassen, weil nicht alles mit einem selber kompatibel ist and by the way auch ein ganz schön hoher Anspruch an den DJ, die anderen Tanzenden, den Veranstalter und wer oder was da noch so dran beteiligt ist. Das es das hin und wieder gibt ist ja wunderschön aber jedesmal ? Und wenn dann, wie Auroa schreibt:

... Ebenso meide ich DJ´s die eine solche Respektlosigkeit gegenüber den Tanzenden besitzen, in einer Tanda mit drei Valses der Epoca de Ora eine vierte Vals, wie z.B. aus "Die Wunderbare Welt der Amelie" oder Vergleichbares zu spielen.Nein, den Stinkefinger zeige ich solchen DJ´s nicht, ich verlasse die Milonga und meide selbigen DJ zukünftig, ...

bei einer Tanda das letzte Stück nicht dem eigenen Fühlen, Denken und Wollen entspricht, gleich zu gehen ? Hm, finde ich leicht mimosenhaft, wenn ich das hier mal so sagen darf und wenig fähig auch etwas locker und tolerant sein zu können, zu schmunzeln und nicht alles bierernst zu nehmen.

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber HPS,

Teil 1: ich meine wahrzunehmen, dass wir zwei in 3/4 der zur Debatte stehenden Fragen der selben Ansicht sind. Wir ziehen lediglich unterschiedliche Schlussfolgerungen.

Man muss nicht immer einer Meinung sein und sich gut zu vestehen. Theresa und ich zB schätzen einander menschlich und debattieren trotzdem jedesmal über die immer selben strittigen Punkte. Und jeder träumt vergeblich davon, den anderen für seine Ansichten zu erwärmen. Allerdings gibt es heimlich und leise trotzdem eine allmählich Annäherung. Vielleicht gelingt auch uns beiden so was irgendwann. Denn so weit liegen wir gar nicht auseinander mit unseren Sichtweisen. Ich schätze Dein Engagement in der Sache. Vielleicht habe das nicht deutlich genug gemacht.

Ich vertrete meine Sichtweise mit so grossem Nachdruck, weil ich der Ansicht bin, dass genau diese Diskussion in Europa weder in genügender Breite noch mit genügend Ehrlichkeit geführt wird. Daher übernehme ich manchmal die Rolle eines Advocatus Diaboli in Sachen Non-Otro-Nuevo und Konsorten. Mir wird zu diesem Thema zu viel schön geredet und unter den Tisch gekehrt. Und es fehlt ganz klar an Fairness Tänzern gegenüber. Das hat zur fatalen Situation geführt, dass man hierzulande viele Tänzer mit allem beschallen kann was Gott verboten hat und die schlucken das obwohl sie sich damit äusserst unwohl fühlen. Aber das erzählen sie meist nur hinter vorgehaltener Hand flüsternd. Keine Ahnung, wie es zu so einem erschreckenden Mangel an Zivilcourage kommen konnte.

Es freut es mich für Tänzer in Deiner Region, dass Du als TJ für beste Tontechnik an Milongas sorgst. Leider ist das nach wie vor alles andere als selbstverständlich. Als TJ war mir dieser zentrale Aspekt von Anfang an wichtig. Fünf Jahre lang haben mich allerdings Veranstalter nicht verstanden. Und ich habe mich gefragt, was die mit ihren Ohren angestellt haben: defekte Lautsprecher-Chassis, übersteuerte Verstärkerstufen und Brummschleifen zuhauf. Aber es hiess immer: So haben wir das noch nie gemacht. Da könnte ja jeder kommen. Wir machen das immer so. Zum Glück verändert sich diese Situation stetig zum Besseren.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Mit Tandas und Cortinas hatte ich Zürich im Gegensatz zu Dir von Anfang an Glück. Die waren in einem Teil der Szene bereits etabliert. Dass sich heute noch Leute dagegen wehren ist natürlich auch mir bekannt. Verständnis für diese Haltung bringe ich kaum mehr auf. Eine Milonga kann nicht Gymnastikstunde für Bürolisten sein, die nicht genug Auslauf haben. Denen kann man nur die Richtung zum nächsten Wald respektive See weisen oder die Adresse einer Muckibude auf den Arm tätowieren. Workout mit einer Frau im Arm – nein danke.

Dafür gibt es genug Tango-Discos, die solche Bedürfnisse wunderbar abdecken. Also bitte keinen Etikettenschwindel mehr von Seiten der Veranstalter. So was ist inzwischen eine unprofessionelle Provokation. Eine Tango-Disco ist was vollkommen anderes als das komplexe und fragile soziale und musikalische Gefüge einer hinreissenden traditionellen Milonga. Eine Milonga ist nur traditionell, wenn keinerlei Nuevo oder Contemporaneo, Elektro oder Otro aufgelegt wird. Wenn eine Milonga als traditionell angekündigt ist, darf jeder Tänzer erwarten, tatsächlich den real McCoy vorgesetzt zu bekommen. TangoDanzas Definition in dieser Sache schafft Probleme, da sie den aktuellen Bedürfnissen vieler Tänzern hinterher hinkt. Zum Glück gibt die Web Site von Torsten Zörner: http://www.tango-tradicional.de . Aber auch damit kann es gelegentlich Probleme geben, weil die Angaben auf Selbstdeklaration beruhen.

Mein Tip: bei unbekannten Milongas einige Tage vorher per Email nach dem Musikmix fragen und falls keine klare Antwort erfolgt einen grossen Bogen um diese Milonga machen. Wenn eine korrekte Deklaration nicht eingehalten wird, sollten frustrierte Tänzer, die womöglich eine lange Anfahrt hinter sich haben, dem Veranstalter mit deutlichen Worten die Meinung sagen und den Eintritt zurück fordern anstatt die Faust im Sack zu machen. Friedefreudeeierkuchen ermutigt solche Veranstalter nur, uns Tänzern anstelle angekündigter Frösche weiterhin Kröten unterzujubeln.

Ich kann aus ureigener Erfahrung nachvollziehen, wie heikel jene Gratwanderung ist, auf die sich jeder TJ einlassen muss, der versucht sein qualitativen Ansprüche mit jenen von Veranstaltern und Tänzern unter einen Hut zu bringen. Tänzer unterschätzen das darin liegende Konfliktpotential. Am Ende kann man es nie allen recht machen und ist meist Affenarsch für die ganze Herde. Ich habe deswegen vor einigen Jahren entschieden solche Kompromisse nicht länger einzugehen. Für diese Haltung werde ich nicht nur geliebt und ganz sicher nicht besonders häufig gebucht. Egal –  für mich stimmt das rundum, weil ich mich nicht länger verbiegen muss. Seit über zwei Jahren zahlt sich diese Konsequenz auch aus. Inzwischen bekomme ich eine Wertschätzung geschenkt, die mir im Rahmen von Kompromissen nie zuteil wurde: Everybody’s darling, everybody’s Depp.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Wo wir kaum je einer Meinung sein werden ist der weit verbreitete Aspekt von Egozentrik unter heutigen Tango-Musikern. Es geht um dieses vermaledeite Piazzolla-Gen. Ich verfüge nicht über eine fundierte musiktheoretische und spielpraktische Ausbildung. Trotzdem kann ich meist innert Sekunden sagen, ob eine Formation für Tänzer zu spielen vermag. Das bedeutet, die Situation ist inzwischen desolat. Sonst wären die Unterschiede nicht so krass. Gefragt sind daher nicht moderate Korrekturen sondern ein Paradigmenwechsel unter Musikern. Sonst wird daraus zumindest für Tänzer nie was Gescheites.

Unterschätz den seit zweidrei Jahren immer kräftiger wehenden Wind namens EdO nicht. Das ist kein Trend. Nach 25 Jahren Tangorevival in Europa wird Tango Argentino allmählich erwachsen. Nuevo war ein Trend, vermutlich schlicht das Äquivalent zu Pubertät. Die EdO wird für immer bleiben. Wenn die Mehrheit der Tänzer mal entdeckt hat, wie viel mehr an tänzerischen Möglichkeiten ihnen diese unverzichtbare Epoche schenkt, werden viele schon nach einzwei Jahren behaupten, sie wären schon immer in der Wolle gefärbte EdO-Freaks gewesen.

Unterschätz den Einfluss der neuen kleinen Festivals nicht, deren Veranstalter und Teilnehmer zeitgenössischen Tango-Musikern oft grundsätzlich die kalte Schulter zeigen. Dahinter steckt fast immer eine jahrelange Leidensgeschichte, die auch ich aus eigener Erfahrung kenne. Diese Tänzer haben jahrelang jede neue Formation sehnsüchtig erwartet, deren Auftritte subventioniert, die erste CD blind gekauft und wurden jedesmal von neuem herb enttäuscht. Ich bin in einer Kultur der Toleranz gross geworden. In meinem Elternhaus haben fast täglich Künstler verkehrt. Mir ist diese Welt bin ich also bestens vertraut. Daher habe ich jahrelang lang tolerant auf zweite CDs gewartet und gehofft, dass die eine Entwicklung zum Positiven dokumentieren und Hoffnung keimen lassen. Leben und leben lassen. Leider war die zweite CD falls überhaupt realisiert, meist eine noch grössere Enttäuschung als die erste oder die holprigen Live-Auftritte.

Irgendwann hatte ich den Kanal gestrichen voll von dieser immer gleichen Leier. Also haben ich damit begonnen, intensiv direkte Hörvergleiche mit bester Studiotechnik anzustellen. Das Resultat war für zeitgenössische Musiker schlicht desaströs. Nun hiess es für mich Farbe bekennen. Damit erzähle ich Dir sicher nichts Neues. Du hörst das genauso gut wie ich, ziehst lediglich andere Schlussfolgerungen. Ich konnte mir anfangs nicht erklären, warum die alten Säcke so viel besser musizierten. Also habe ich angefangen, deren Musikeralltag noch intensiver zu recherchieren.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 4: Zudem habe ich mich mit einem guten Freund intensiv ausgetauscht, der Musiker und Instrumentenbauer ist und eine grosse Affinität zu Tango pflegt. Nach einigen Diskussionsrunden und Hör-Sessions war klar, wo genau der Schuh drückt. Es geht schlicht um Anspruch versus Können. Das hier abzuhandeln, würde den Rahmen sprengen. Genau dazu versuche ich ein breite Diskussion in Gang zu setzen. Tänzer sollen sich darüber mit eigenen Ohren ein Bild machen und hinterher auch aussprechen, was sie von Musikern und Musikkonserven erwarten. Das ist unbequem aber unverzichtbar, damit sich vielleicht irgendwann was ändern kann.

Für mich gibt es ein legitimes Recht der Tänzer, sich der tänzerischen Sackgasse kontemporäre Tango-Musik konsequent zu verweigern. Tangomusik war immer dann wirtschaftlich wie künstlerisch am erfolgreichsten, wenn sie sich ganz auf die Bedürfnisse von Tänzern eingestellt hat. Ja, ein Stück weit war das Gebrauchsmusik anstelle kompromissloser künstlerischer Freiheit. Die Gebrauchsmusik EdO bewegt sich künstlerisch aber auf einem sehr viel höheren Niveau, als alles was heute im Tango musikalisch kreucht und fleucht. Viele Kontemporäre wollen sich selbst verwirklichen, als Kreativer im Zentrum stehen. Damit können Tänzer aber nichts anfangen.

Ich möchte dazu aus einem Gespräch mit Podestá zitieren, dem letzten noch lebenden Superstar unter den Sängern der EdO. Er hat mit vor wenigen Jahren in Bs As erzählt, wie frustrierend es ist wenn er jungen Musikern ganz genau erklären möchte –  und der kann das, war auf dem Höhepunkt seiner Karriere in den 40ern keine 25 – warum sie mit ihrer Spielweise Tänzer im Regen stehen lassen. Das war keine grantige Bemerkung eines alten Mannes. Podestá ist heute noch ein kreativer Gigant, geistig hellwach und grenzenlos ehrlich, betörend bescheiden und atemberaubend inspirierend.

Vermutlich interessiert Podestás Knowhow jungen Musiker nicht, weil ein Umdenken aber viel mehr noch ein Umsetzen dessen mit ganz viel Arbeit im stillen Kämmerlein verbunden wäre und das künstlerische Ego für längere Zeit unten durch müsste. So geht nach wie vor unwiederbringlich Wissen verloren, weil drittklassige Kreative borniert agieren. So aufgeplustert kann aus Tango-Musik für Tänzer nie mehr was Gescheites werden. Diese Qualitäten lassen sich nicht mit positivem Denken und sei lieb zu mir herbei reden. Dazu müssten Musiker erst mal eine egotorpedierende Katharsis durchlaufen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 5: Zudem habe ich mich mit einem guten Freund intensiv ausgetauscht, der Musiker und Instrumentenbauer ist und eine grosse Affinität zu Tango pflegt. Nach einigen Diskussionsrunden und Hör-Sessions war klar, wo genau der Schuh drückt. Es geht schlicht um Anspruch versus Können. Das hier abzuhandeln, würde den Rahmen sprengen. Genau dazu versuche ich ein breite Diskussion in Gang zu setzen. Tänzer sollen sich darüber mit eigenen Ohren ein Bild machen und hinterher auch aussprechen, was sie von Musikern und Musikkonserven erwarten. Das ist unbequem aber unverzichtbar, damit sich vielleicht irgendwann was ändern kann.

Für mich gibt es ein legitimes Recht der Tänzer, sich der tänzerischen Sackgasse kontemporäre Tango-Musik konsequent zu verweigern. Tangomusik war immer dann wirtschaftlich wie künstlerisch am erfolgreichsten, wenn sie sich ganz auf die Bedürfnisse von Tänzern eingestellt hat. Ja, ein Stück weit war das Gebrauchsmusik anstelle kompromissloser künstlerischer Freiheit. Die Gebrauchsmusik EdO bewegt sich künstlerisch aber auf einem sehr viel höheren Niveau, als alles was heute im Tango musikalisch kreucht und fleucht. Viele Kontemporäre wollen sich selbst verwirklichen, als Kreativer im Zentrum stehen. Damit können Tänzer aber nichts anfangen.

Ich möchte dazu aus einem Gespräch mit Podestá zitieren, dem letzten noch lebenden Superstar unter den Sängern der EdO. Er hat mit vor wenigen Jahren in Bs As erzählt, wie frustrierend es ist wenn er jungen Musikern ganz genau erklären möchte –  und der kann das, war auf dem Höhepunkt seiner Karriere in den 40ern keine 25 – warum sie mit ihrer Spielweise Tänzer im Regen stehen lassen. Das war keine grantige Bemerkung eines alten Mannes. Podestá ist heute noch ein kreativer Gigant, geistig hellwach und grenzenlos ehrlich, betörend bescheiden und atemberaubend inspirierend.

Vermutlich interessiert Podestás Knowhow jungen Musiker nicht, weil ein Umdenken aber viel mehr noch ein Umsetzen dessen mit ganz viel Arbeit im stillen Kämmerlein verbunden wäre und das künstlerische Ego für längere Zeit unten durch müsste. So geht nach wie vor unwiederbringlich Wissen verloren, weil drittklassige Kreative borniert agieren. So aufgeplustert kann aus Tango-Musik für Tänzer nie mehr was Gescheites werden. Diese Qualitäten lassen sich nicht mit positivem Denken und sei lieb zu mir herbei reden. Dazu müssten Musiker erst mal eine egotorpedierende Katharsis durchlaufen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 6: Kurzum, das von Dir erwähnte, ernsthafte Bemühen um die Tänzer kann ich bei heutigen Tango-Musikern nicht erkennen. Sonst würde an Milongas und Bällen nicht so konzertant musiziert. Wir können hier gerne eine Debatte dazu führen. Lass mich wissen, welche auf CD erhältlichen Aufnahmen Kontemporärer Dich begeistern. Gerne werde ich die CDs kaufen, hören und Dir darauf schreiben was ich höre. Hier ist eine Annäherung falls überhaupt nur möglich, wenn wir das Thema anhand einzelner Aufnahmen diskutieren und dabei in die Tiefe gehen.

Am Termin in Regensburg war erfreulicherweise auch ein langjähriger Tango-Musiker unter den Teilnehmern. Der Name tut nichts zur Sache. Ich bin nicht dazu gekommen, mit ihm zu reden. Aber Monika hat das nach einer Rauchpause geschafft. Das ist immer so, Raucher vernetzen sich mit Überschallgeschwindigkeit. Quintessenz des kurzen Gesprächs: Grundsätzlich hat er alles bestätigt, was ich zur heutigen Performance der Tango-Musiker aufgezeigt habe. Er würde es lediglich nicht mit so deutlichen Worten wie ich formulieren. Das kann ich gut verstehen. Er sagt, in Bs As zB gäbe es längst keine Kontakte mehr zwischen Tänzern und Musikern. Die würden sich allenfalls aus sicherem Abstand heraus misstrauisch beäugen. Das deckt sich mit meinen Beobachtungen eins zu eins. Schade dass nicht mehr Tango-Musiker den Vortrag besucht haben. Aber sie könnten sich hier an der Diskussion beteiligen, sogar anonym.

In Bezug auf die minimale Grösse einer Tänzer rundum begeisternden Tango-Formation mache ich eine klare Grenze nach unten aus. Ich kenne keine kontemporäre Formation aus vier Musikern, die mit Firpos Cuarteto mithalten könnte. Der Mann hat damit Wunder vollbracht. Dasselbe gilt für Canaos Quinteto Pirincho, mit einem Bandoneon und zwei Geigen. Mit sechs bis acht Musikern kann man Tänzer einen erwachsenen Orchestersound liefern. Wenn Minimum zwei Bandoneon und zwei Geigen orchstriert werden können, wird ein Sound möglich, der enormes Suchtpotential hat. Mit weniger als sechs Musiker braucht es dafür unglaubliche Könner, die zumindest ich heute weder unter Arrangeuren noch unter Musikern oder Orchesterleitern ausmachen kann.

Es gab es mal eine Periode in der die buchstäblich greifbare Live-Performance eines Oktetts mich begeistert hat. Das hat natürlich seine eigene Qualität. Aber je länger ich mich mit den 500 Jahrhunderteinspielungen der EdO beschäftigt habe, je tiefer ich in die 1’000 weiteren unverzichtbaren EdO-Aufnahmen abgetaucht bin, desto mehr verblassten die tanzinspirativ allenfalls mediokren Live-Auftritte und Tonkonserven Kontemporärer. Ich habe diesen Prozess nicht gesucht und nicht gewollt. Er hat hat mich überfallen und vereinnahmt und gar keine Wahl gelassen. Wir beide kennen uns noch nicht gut. Aber ich habe einige Deiner körpersprachlichen Reaktionen am Vortag wahrgenommen. Daher könnte ich mir vorstellen, dass auch Du längst mitten in diesem Prozess steckt, der genauso anstrengend wie grossartig ist und keinen Stein auf dem anderen lässt währenddem er unendlich reich beschenkt. Aber eben, damit Neues greifbar wird, muss man vorher Altes loslassen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 7: Wenn Veranstalter ein Jahr lang gleich viel Geld in Milongas mit Tonkonserven pumpen würden, wie sie in Bälle mit Live-Musik investieren, stünde ganz schnell genug Geld für EdO-taugliche Tontechnik zur Verfügung. Dann wären die meisten Tänzer von EdO-Konserven emotional genauso ergriffen, wie von Live-Auftritten. Ich weiss wovon ich spreche. Bei Argentango daheim sassen genug Porteños ergriffen bis weinend vor den Lautsprechern, weil sie ihr grösstes Kulturgut nochmals neu entdeckten.

Lieber HPS, lass mich zum Abschluss noch Deinen zweiten Kommentar beantworten. Du sprichst von: (m)einer ironisch-sarkastischen Übertreibung. Ja, ich liebe es mit Sprache zu spielen. Und ja, ein gewisser Sarkasmus ist meinem spitzen Humor bei Bedarf durchaus auf den Leib geschrieben. Aber meist beinhalten meine Statements keinerlei Übertreibung. Ich meine genau das was ich sage, spreche lediglich aus was bei genauer Betrachtung ohne Scheuklappen offensichtlich ist und vielleicht genau deswegen viel zu oft verdrängt wird: unbequeme aber wichtige Fakten. Naja, ein ganz klein wenig übertrieben habe ich womöglich. Aber nur ein ganz klein wenig. Den Musikern werden die Tänzer kaum einen Stinkefinger vor die Nase halten. Das ist eine Frage des Anstands. Aber untereinander sprechen wir eine deutliche Sprache. Verdrehte Augen oder eine Grimasse zu Kontemporären sind durchaus üblich, ganz egal ob die uns leibhaftig oder als Konserve ärgern.

Ergebnisoffen heisst für mich nicht Konklusionen vermeiden. Im Gegenteil, irgendwann ist es an der Zeit Bilanz zu ziehen und für diese Resultate auch einzustehen, wenn Gegenwind aufkommt. Meine Ohren haben diesen Schritt längst vollzogen. Und sie haben mich nicht nach meiner Meinung gefragt. Ich vertraue meinen Sinnen. Es war mir gar nicht möglich, an weit verbreiteten, nie durchdachten Vorurteilen länger festzuhalten. Daran kann sich ohne neue Erkenntnisse nichts ändern. Ausnahmen, welche diese Regel bestätigen – her damit, ich lasse mich gerne überraschen.

Auf jeden Fall langweilt heutige Tango-Musik mich auf dem Parkett. Und wenn so ein langweiliges Set endlich ihr wohlverdientes Ende findet, habe ich jedesmal nur einen einzigen Wunsch und sende inbrünstiges ein Stossgebet gen Himmel: Dass die Tänzer zurecht mit Applaus geizen, damit die verflixte Formation nicht auf die Idee kommt, noch einen, zwei oder gar drei weitere Schuhplattler nachzureichen, bevor sie endlich abtritt.

Wie sagen die Franzosen so treffend: Vive la différnce! Dann also in diesem Sinn: Du findest spannend, was mich einschlafen lässt und trotzdem haben wir uns viel zu sagen.

herzlich - Christian

Unknown hat gesagt…

@bird

Leider muss ich hier wiedersprechen. Meine Toleranz galt den Tänzern auf den Parkett. Jeder darf sein Spaß haben und tanzen wie er möchte. Gegenüber TJ’s bin ich gar nicht tolerant. Non- und Neo-Tandas wurden von mir geduldet, weil offensichtlich Leute gibt, die sowas mögen und ich in der Zeit pausieren kann. Tandas von Kontemporären quittiere ich immer mit eine Ironische Bemerkung. Ich sehe keinen Grund warum sowas aufgelegt wird. Und wenn sich einen TJ so eine, wie von Aurora beschriebene, Frechheit erlaub, spätestens dann ist mein Geduld zu ende. Es kann nicht sein, dass ich mit 3 EdO Vals zu tanzen animiert werde und als Krönung mir einen Stück angeboten wird auf dem ich gar nicht tanzen mag.

Anonym hat gesagt…

Zu diesem interesanten Gespraech wollte ich noch meinen Senf geben. Ich wohne (und tanze) in Buenos Aires, kenne die deutschen Milongas fast ueberhaupt nicht. Verzeiht bitte meinem schlechten Deutsch.

Untraditionelle Musik (sprich Neo- oder Nicht-tango) lehne ich bei der Milonga persoenlich volkommen ab. Und sogar wenn ich das nicht tun wuerde, tanzt keiner meiner Lieblingspartner gerne zu einer solchen Musik. Auch die meisten (wenigen, weil Nuevo inzwischen sehr ausser Mode gekommen ist) Neuvo-Taenzer meiner Bekanntschaft tanzen auch nur gern zu traditioneller Musik. Untraditionelle Musik bekomme ich aber extrem selten auf den Milongas zu hoeren.

Ich faende es allerdings schade, wenn wir uns nur auf Musik der Epocha de Oro beschraenken wuerden, und gar nicht zu Musik der Guardia Vieja Zeit tanzen. Da gibt es auch ganz tolle Sache, bei Canaro zum Beispiel. Und ich wuerde eher gerne mehr desgleichen auf den Milongas hoeren.

Was die Wiedergabequalitaet angeht, ist sie in Buenos Aires fast immer ziemlich schrecklich. Trotzdem schaffen viele es, recht musikalisch zu tanzen. Erstens kennen die meisten sich da sehr gut aus (ich habe seit langer Zeit nicht mehr mit jemandem getanzt, der das jeweilige Orchester nicht erkannt hat), kennen die einzelnen Stuecke sehr gut, auch die Texte (fuer mich auch ein wichtiges Element) usw.

Was die Liveorchester angeht: die machen schon etwas wohl richtig, denn sie sind bei den Taenzern sehr beliebt. Wenn ein Liveorchester irgendwo angeboten wird, rennen viele sofort hin. Auch gute Taenzer. Es gibt Liveorchester, die ich inzwischen vermeide (wie Color Tango, die fuer meinen Begriff immer gleich spielen und mich inzwischen langweilen) und andere, die ich regelrecht mag (das Quintet von Julian Hermida ist ein Beispiel). Aber von der Musikqualitaet ganz abgesehen finde ich es schon spannend, auf einem Stueck zu tanzen, das ich nicht schon in und auswendig kenne. Meine Partner finden das oft auch eine erfreuliche Herausforderung und das kann sehr viel Tanzspass erzeugen. Allerdings habe ich fast immer die Erfahrung gemacht, die CDs von diesen Orchestern zu Hause anzuhoeren hatte nicht dieselbe erfreuliche Wirkung.

Was mich persoenlich bei den Orchestern eher stoert, ist die Anzahl von flotten, Candombe-maessigen Milongas, die sie spielen, oft eins nach dem anderen (bitte, keine 10 Milongas am Stueck, liebe Leute, es ist 38C hier!). Und die Unmenge von Zusatzstuecken, die sie spielen, nachdem sie schon gesagt haben, dass sie Feierabend machen, sogar wenn der Applaus eher spaerlich ist. Ein Encore, gut und gern. Zwei, vielleicht. Aber sechs? Bitte nicht. Das ist Folterei.

Oskar hat gesagt…

@Christian
Es schmerzt, aber mit der Beurteilung der aktiven Tangoorchester hast du sicher recht. Es fehlt (nicht nur) an der Komunikation zwischen Tänzern und Musikern. Mark Wood hat auf seinem Blog bemerkenswertes unter dem Titel "Musicians killing Tango" geschrieben:
http://tango-beat.blogspot.com/2011/05/musicians-killing-tango-part-1.html
Die Gleichstellung SexMil und DJ Ötzi, das tut zwar weh, ist aber treffend. Beide schaffen es so richtig Party-Stimmung aufkommen zu lassen - mit allen Vor- und Nachteilen.
@ ALLE. Ich werde alle mir bekannten Musiker und DJ`s und Veranstalter auf die Diskussion hier aufmerksam machen. Vielleicht hilft es für zukünftige Life-Acts und Milongas. Irgendwie hab ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass eines Abends dienliche Musiker tolle Tango-Tanz-Musik auf einer Milonga spielen.

Herzlichst Oskar

Tanguera hat gesagt…

@TangoNegro: Wie wäre es mit einem Workshop "Wie verhalte ich mich richtig auf der Tanzfläche?" Ganz ehrlich, ich glaube, dass den meisten Regensburger Tänzern nicht ganz klar ist, was auf einer Milonga eigentlich gar nicht geht... Das von vielen Auswärtigen als "Chaos" empfundene Tanzverhalten in R ist dort die Regel. Völlig normal. Beschwert sich auch kaum einer. Man hat es nicht anders gelernt.

Und da die Meisten sich damit auch wohl fühlen (weil sie sich dessen gar nicht bewußt sind, dass es auch anders ginge), sehen sie auch keinen Grund das zu ändern.

Da wäre ein entsprechender Workshop schon sehr sehr hilfreich!! Vielleicht auch anstelle einer tapa?

Nur mal so als Idee...

mir würde das auch sehr gut tun! Und spannend fände ich es auch!

Peter Fangmeier hat gesagt…

@tanguera,
bitte nicht alle verantwortung auf die veranstalter, dj etc abladen, lehrmeister gibt es auf der piste genug. fragt lieber in euren ws danach ... denn es gehört mehr zum tango als jede woche ein neuer schritt. wenn frau aber das gefühl hat als tanzsportgerät behandelt zu werden hilft immer noch ein klaren NEIN.

erfahrene und unerfahrene tänzer gibt es überall, aber solange die wilden lokalen tänzer sich alles erlauben können und von ihren tänzerinnen kein deutlichen NEIN hören wird sich nichts ändern denn regensburg ist überall!!!

tanguera, fang bitte bei deinen tanzpartnern mit einem NEIN an.

Peter Fangmeier

Di Sarli hat gesagt…

@all zu schön, zu gut, zu wahr!

Ganz herzlichen Dank Klaus Schwarzwälder für diesen Beitrag, der eine so fruchtbare Diskussion ausgelöst hat!

Dank gebührt selbstredend mindestens so sehr Cassiel für diesen Blog, der derartige Diskussionen erst möglich macht und auch ein ganz besonderer Dank an Christian, dr sich immer wieder die Mühe macht,ausführlichst zu schreiben, zu debattieren, klar Stellung zu nehmen und sich damit immer und eimmer wieder für "die Sache" engagiert!!
Ganz herzlichen Dank!

Es wäre so schön, wenn die eine oder der andere über Weihnachten vielleicht Zeit findet und weitere Gedanken (oder Fortsetzungen) zu diesem Thema in den Blog einbringen würde!

Z.B.: War schon einmal jemand auf dem WS von Joaquin Amenabar (Tanzen zur Musik?

Frohe Weihnachten!

Theresa hat gesagt…

@Terpsichoral:

Ich kann dir zu 100% zustimmen, sowohl was die Gepflogenheiten in Buenos Aires betrifft als auch die Erfahrungen mit dem Tanzen auf Live-Musik, obwohl ich das Quinteto von Julian Hermida nicht kenne.

Ich meide normalerweise Milongas mit Live-Musik, weil wirklich meistens die Musik der modernen Orchester nicht so toll zum Tanzen ist, zumal ja immer gleich sehr viel davon erklingt (wenn ein Orchester 3 Sets mit Zugaben an einem Abend spielt, dann entspricht das ca. 8 normalen Tandas). Aber es gibt Ausnahmen. Zur Musik vom Quinteto Angel, vom Sexteto Andorinha und von Silencio habe ich traumhafte Tanzrunden mit aufmerksamen, musikalischen Tänzern erlebt. Mit solchen Tänzern kann das Überraschungsmoment - wenn man die Musik nicht in- und auswendig kennt - sehr schön sein und auch das intensive Erlebnis, direkt neben den Musikern zu tanzen und sie beim Spielen sehen zu können.

Aber fast nie macht es mir Spaß, zu den Milongas der modernen Orchester zu tanzen. Fast immer besteht ihr Repertoire aus hektischen, schlecht tanzbaren Milongas wie z.B. "La trampera", und es fehlt einfach der Groove, wie wir ihn von Canaro-, Lomuto- oder Donato-Milongas kennen.

Theresa

bird hat gesagt…

Hi die Sarli,

ja, ich habe einmal einen Workshop mit ihm gemacht. Leider viel, viel zu wenig Zeit, ich hätte wesentlich mehr gebraucht, um davon auch nur etwas in die Tanzrealität mitnehmen zu können.
Es hat mir gefallen, war didaktisch gut aufgebaut und sein Deutsch ist nicht zu verachten.
Nun ja, vielleicht bald mal wieder.

Christian Tobler hat gesagt…

@ Amenábar-Interessierte,

Ende Januar ist am Bodensee ein Amenabar-Wochenende ausgeschrieben. Soweit ich weiss, sind aber nicht mehr viele Plätze frei.

Veranstalter-Web-Site:
# http://www.tangolibre.de/Kurse und Workshops.html

Amenabar-Flyer:
# http://www.argentango.ch/ty/FlyerAmenabar.pdf

Das wird bestimmt ein spannendes, forderndes Wochenende für alle, die tatsächlich zur Musik des Tango Argentino tanzen wollen.

herzlich - Christian

Peter Fangmeier hat gesagt…

@ di sarli,

ich hatte schon mehrere ws bei joaquin amenabar. wenn er in deiner nähe ist buche einen workshop und kaufe auch anschließend sein buch ( ca 35€). da es in seinen ws um die musikalische structur im tango geht ist partner nicht zwingend nötig.
sein buch und die beiligende DVD dient mir immer wieder als lexicon/nachschlagewerk... und hier findest du und alle anderen seine tourdaten 2012

http://www.joaquinamenabar.com

di sarli, wenn du keine möglichkeit hast seine ws zu besuchen dann hol dir auf alle fälle sein buch, dort ist der stoff seiner ws genau beschrieben.

Peter Fangmeier
facebook

Florian hat gesagt…

Wenn es um tanzbare live-Musik geht darf das Orchester Soledad nicht unerwähnt bleiben, siehe hier:

http://www.youtube.com/watch?v=q1nq2sI-Sa8&feature=related

Dank dieser Diskussion habe ich mal etwas intensiver auf Youtube rumgeschaut und bin auf diesem Quartett (das sich aber Solo Tango Orchester nennt) gestossen:

http://www.youtube.com/watch?v=2-gUwAK08D8&feature=related

Und da man immer wieder hört es gibt keine Orchester die wie D'Arienzo spielen können:

http://www.youtube.com/watch?v=4DRufsshZ38

Und noch eins mit Bandoneon-solo:

http://www.youtube.com/watch?v=FywDr0Gw92g&feature=related

Es würde mich sehr interessieren was ihr von dieser Gruppe hält. Eigentlich wollte ich mich mit meiner Meinung erst mal raus halten, aber dass ich begeistert bin versteht sich, sonst würde ich es hier nicht posten. Zur Sicherheit: ich habe keinerlei Bezug zu diesem Orchester.

Theresa hat gesagt…

@Florian:

Ja, dieses "Solo Tango Orquesta" spielt tatsächlich für die Tänzer, hat den Groove raus und bietet auch eine gewisse Bandbreite an Stilen (sehr schön "Buscándote" nach Fresedo!); allerdings hat das Bandoneon noch gewisse technische Mängel ....

Das Gleiche gilt auch für das Sexteto von Alex Krebs in Portland, die spielen sehr fetzig, aber eben technisch verbesserungswürdig. Sie haben einige schöne Milongas im Programm. Hier kann man hineinhören: http://www.cdbaby.com/cd/alexkrebstangosextet .

Theresa

Renato hat gesagt…

@ Florian

Besten Dank für deinen Hinweis.
Das Sexteto Soldedad und deren Quartett habe ich in Leipzig und Basel erlebt und war beide Male begeistert.
Livemusik die zum tanzen zwingt! Ein Feeling, das keine auch noch so gute Konserve auf noch so gutem Equipment erzeugen kann.
Aber eben, leider ist dies eine seltene Ausnahme.

Eva und Wolfgang hat gesagt…

Herzlichen Dank für Euer Interesse am Musikvortrag von Christian Tobler und Monika Diaz in Augsburg. Wir sind nun ausgebucht und können nur noch Plätze auf der Warteliste annehmen. Wir freuen uns, die Gäste aus ganz Deutschland und der Schweiz begrüßen zu dürfen und widmen uns jetzt ganz dem Gelingen der zwei Tangotage im Februar.

Vielen Dank noch mal an alle, die uns unterstützt haben.
Liebe Grüße
Eva und Wolfgang

TwoToTango hat gesagt…

Ich habe mich beim Sylvesteressen mit einem Drummer, der mit seiner Band viel Tanzmusik live spielt, über diesen Beitrag unterhalten.
Dieses Gespräch hat nochmal ein paar Punkte aufgeworfen.

Zum ersten wurde ich auf die offenkundige Differenz des Tango Argentino zu viel anderer Tanzmusik gestossen - der Rhythmus wird in der Regel nicht durch Drums und Bass vorgegeben, sondern die Instrumente übernehmen den Rhythmus wechselweise, am häufigsten Bass und Bandoneons.

Dies machte es schwierig, mit Beat, so heisst er, überhaupt über diese Musik zu sprechen, weil er selbst keine Erfahrung damit hat und es eben keine Drums in der Musik gibt.

Dann war es ehrlich gesagt, gar nicht so einfach, aus dem Gedächtnis zu reproduzieren, wonach Christian Tobler, Klaus Schwarzwälder und die verschiedenen Kommentatoren suchen, wenn sie am liebsten nach der Musik der EdO tanzen. Ich konnte es an dem Abend nur bruchstückhaft benennen.

Nachdem ich den Bericht von Klaus, das Programm des Vortrags und oberflächlich die Kommentare jetzt nochmal gelesen habe, bleibt für mich als Fazit die Vielfalt, in der man ein Musikstück tänzerisch interpretieren kann, je nachdem, welchem Instrument resp. welchen Phrasen innerhalb des Stücks man folgt.

Was mir allerdings unklar geblieben ist - warum die heutigen Livemusik-Spielenden auf so wenig Gegenliebe stossen. Wenn man mal von den Gruppen absieht, die wirklich eher konzertant spielen, im Sinne von häufigen Rhythmuswechseln oder unterschiedlich gedehnten Phrasierungen, die extrem schwierig zu tanzen sind. Ist ihre Interpretation der Stücke in den verschiedenen Instrumenten zu eindimensional? Ist das Zusammenspiel zu schlecht? Ich kann es aus meinen wenigen eigenen Erfahrungen mit Livemusik nicht nachvollziehen, was Euch fehlt / stört.

Und dann noch was zum Nachdenken - Wenn ich führe, dann bin ich letztlich immer in meiner eigenen Fähigkeit gefangen, die Musik zu interpretieren und in Schritte, Rhythmus, Impuls etc. umzusetzen. Eine Motivation, daran weiter zu arbeiten und mehr zu üben.
Wenn ich folge und eine einigermassen fortgeschrittene Tanzerfahrung habe, ermöglicht mir jeder Tänzer einen Blick in eine eigene Tanzwelt und ich habe schon äusserst unterschiedliche Tanzerlebnisse mit denselben Musikstücken gehabt. Und damit meine ich nicht schlecht oder gut, sondern unterschiedliche Stile, letztlich wohl auch Persönlichkeiten. Insofern finde ich hin und wieder sogar Gotan oder Otros witzig - mit dem richtigen Tänzer, vorausgesetzt dass dieser ordentlich navigiert.

chamuyo hat gesagt…

@TwoToTango: wann Musik tanzbar ist, ist nicht so einfach zu definieren, und schon gar nicht als "Kochrezept", sonst könnte man es programmieren. Melina hat hier mal einige Kriterien genannt, die m.E. alle richtig sind, und von den heutigen Orchestern nicht wirklich beachtet werden, bis auf einige der zitierten Ausnahmen.
Mein Favorit ist die Vorhersagbarkeit. Das richtige Verhältnis zwischen erkennbarer Struktur und Überraschung macht es aus. Zu simpel (Malerba) ist langweilig, zu komplex (Piazzolla) ist tänzerisch für den normalen Tänzer nicht mehr umsetzbar. Naveira kann das, aber es ist dann auch eine Show. Umsetzbar ist immer der Grundrhythmus, den gibt es auch bei Piazzolla, aber dafür tanzen wir nicht Tango und hätten auch bei Discofox bleiben können.

Unknown hat gesagt…

@TwoToTango

"...warum die heutigen Livemusik-Spielenden auf so wenig Gegenliebe stossen?"

Bei mir stoßen die "Livemusik-Spielenden" nicht auf "wenig Gegenliebe". Es sind nette, junge Leute die musizierend durch Europa fahren. Es sind auch meist gute Tänzer. Sie spielen entweder neue Kompositionen, die an den traditionelle Tango angelehnt sind oder interpretieren alte Tangos meistens mit neue Arrangements. Und trotzt allem, gibt es für mich drei wesentliche Gruppen von Unterscheide zwischen der kontemporären Formationen und der Orchester der EdO:

Zuerst ist die Anzahl der Musiker. Eine "bescheidene" Formation von 6 Musikern (heutigen Formationen sind meistens noch kleiner) klingt anders als einen Grand Orchester. Es gibt ein Grund, warum die Orchester damals in den 30er und 40er so groß waren – sie haben live und fast ohne Verstärkung musiziert. Auch wenn heute die PA-Anlagen sehr weit entwickelt sind, kann man den satten Sound von 15 Musikern mit den besten Verstärkern nicht nachmachen. Da helfen auch technisch ausgeklügelte Effekte nicht – 6 Musiker klingen halt wie 6 Musiker.

Danach kommt eine Gruppe von Merkmale, die ich als Virtuosität bezeichne, man kann sie auch handwerklichem Können nennen. Diese Virtuosität kann man über den ganzen Prozess der Musikproduktion damals beobachten. Über die Virtuosität der einzelne Interpretern brauche ich nicht zu schreiben – es sind einige Beispiele hier vorgestellt und diskutiert worden. Virtuosität erkennt man auch bei den Arrangements – dazu später noch mehr. Ein Punkt möchte ich noch erwähnen – das Produktionsprozess damals ist für mich auch virtuos. Die besten Tontechniker waren gut genug um die Aufnahmen der EdO zu produzieren. Ich habe mich öfters bei den Live-Auftritten verschiedene Gruppen umgesehen – ich habe keinen Tontechniker entdeckt. Ich kenne auch relativ gut die Studios, wo kontemporären Orchestern produzieren – das einziges Kriterium, das bei der Produktion von CD’s heute eine Rolle spielt sind die Kosten. Entsprechend sind auch die Ergebnisse – die Unterschiede zw. einen Stück der 1943 und dann 2003 produziert worden ist, kann man in den WS von Christian Tobler hören.

Die Arrangements - die Komponisten damals haben die Stücke wahrscheinlich in eine vereinfachte Notation geliefert, die die Melodie und die entspr. Harmonien beinhaltetet (bei dem Jazz heißt diese Notation Leadsheet und wird heute noch verwendet). Aufgabe der Dirigent und der Arrangeur bestand darin die Orchestrierung für die einzelne Instrumente zu schaffen. Dieser äußerst kreative Prozess wurde damals unter Berücksichtigung der Tanzbarkeit durchgeführt. Und die Arrangeuren damals waren wirklich virtuos – in denke dabei an Troilo/Piazzolla. Ohne alle kontemporären Orchester zu kennen, behaupte ich, dass wahrscheinlich nur wenige Musiker heute in der Lage sind qualitativ hochwertige Arrangements, die tanzbar sind, zu produzieren. Ich behaupte auch, dass nur wenige kontemporäre Orchester in der Lage sind, die Arrangements von damals adäquat zu interpretieren.

Und noch ein Unterschied zw. der Stücke der EdO und Tangos von heute möchte ich erwähnen. Er ist leider (oder Gott sei Dank) äußerst subjektiv – mir gefallen die Tangos von damals viel besser. Ich verstehe die Musik, ich kann die Stimmungen, die in den Stücke enthalten sind, fühlen und sie auch interpretieren. Das alles gelingt mir bei der neue Tangos (du erwähnst Gotan Project und Otros Aires – beide Vertreter der sog. Elektrotango, eine Stilrichtung, die in der 90er entstanden war und heute praktisch als nicht existent gilt) nicht. Nach den dritten Tackt empfinde ich leider nur Langeweile. Es tut mir Leid, ein richtiger Partner für diese Musik bin ich nicht.

Mich stört die kontemporäre Tangomusik nicht, ich muss ja nicht tanzen. Was mich aber wirklich stört ist die Tatsache, dass für eine Milonga mit Live Acts, die miserabel beschallt sind und durch mittelmäßige Musiker performt werden, das dreifache Preis verlangt wird. Solche Milongas meide ich.

TwoToTango hat gesagt…

Wow - noch so viel zu entdecken!

@ chamuyo: Danke für den Hinweis auf Melinas Beitrag und dann hab ich (dort oder hier bei Cassiel? bin nicht mehr sicher) auch noch Tango-Beats Beiträge "Musicians/DJs killing tango" (http://tango-beat.blogspot.com/2011/05/musicians-killing-tango-part-1.html) entdeckt. Dies hat vieles für mich geklärt und ich kann Eure Aussagen jetzt besser verstehen. ...und teile sie grösstenteils...

@sweti: Auch Dir herzlichen Dank für die ausführliche Antwort. Den Klangkörper eines Tangoorchesters in grosser Besetzung einmal live zu erleben, stelle ich mir wahrlich eindrucksvoll vor! Deine anderen Punkte kann ich nachvollziehen. Zum Glück unterscheiden sich die Geschmäcker und wenn mir die sture Wiederholung von Melodieteilen und der gleichförmige Takt in einem Gotan-Stück zu einem fast meditativen Tanzerlebnis verhilft, so kann dasselbe Stück Dich einfach nur langweilen - einverstanden. :-)

Bleibt mir nur noch zu hoffen, dass Klaus es schafft, Christian Tobler mit seinem Vortrag wirklich nach Biel zu holen. Ich werde je länger je neugieriger darauf!

chamuyo hat gesagt…

@sweti: es ist zwar nicht so wichtig, aber Elektrotango entstand nicht in den 90'er (höchstens in den Köpfen) sondern nach 2001. Gotan's Revancha del Tango erschien 2001 und ist ein europäisches Phänomen von Pariser Club DJs. Libedinskys Narcotango erschien 2002. Libedinsky verteilte 2001 noch selbst Flyer in den Milongas und nach Erscheinen verteilte er die CD an DJs, die es beim Aufräumen nach der Milonga laufen ließen. Einige junge Tänzer experimentierten damit und fanden ihre Marktlücke. In den folgenden Jahren explodierten die Neuerscheinungen der Trittbrettfahrer. Das erste Neue war dann Otros Aires 2005 und damit hat sich die Originalität erschöpft.

Unknown hat gesagt…

@chamuyo: vielen Dank für diese Zusammenstellung. Es ist richtig, dass die erste Platte von Gotan "LA REVANCHA DEL TANGO" 2001 erschien ist. Ich dachte eher an ALCAMET (gegründet 1995). Die Platte "VELADABRISTOLCASINO", 1998, ist für mich die erste Elektrotangoaufnahme. Ich kenne mich auf diesem Gebiet in Wirklichkeit aber nicht aus.

chamuyo hat gesagt…

@sweti: mir waren Alcamet noch nicht bekannt, aber aus dem was ich bei youtube gefunden habe habe ich den Eindruck, dass sie electropop machen und nie etwas mit Tango am Hut hatten.
In der Tangoszene wurde vor 2001 gelegentlich non-Tango gespielt, so etwas wie Tango to Evora z.B., aber nie electropop.

Unknown hat gesagt…

@chamuyo: bitte um Entschuldigung, die Gruppe heißt Altocamet. Ich bilde mir ein, dass auf die von mir genannte Platte aus 98 mindestens 3 Stück Tngoelemente beinhalten, kann mich aber auch täuschen. Die Videos auf YouTube sind wahrscheinlich alle neuer als die erwähnte Platte. Leider besitze ich das Album nicht mehr und kann meine Behauptung nicht mit Beispiele bekräftigen. Ich bin einverstanden, dass die Periode der Elektrotango mit Gotan Project "Revancha del Tango" aus 2001 beginnt und bitte meine Ungenauigkeit zu entschuldigen.

Simon hat gesagt…

Ich möchte mal ein klein wenig Kritik am DJing am dem Abend in der Mälze üben:
Soweit ich es mitbekommen habe, hatten alle instrumental Tandas nur 3 statt 4 Tangos. Ich habe das als sehr störend empfunden. Die meisten Anderen mit denen ich mich unterhalten habe, haben sich ähnlich geäußert. Ich gehe davon aus Christian hat einen (guten?) Grund dafür, glaube aber nicht, dass ich mich davon überzeugen lassen werde. Ich hätte lieber 4. ;)

Mein Grund ist ganz einfach: Ich fühle mich unwohl wenn ich mit jemanden nur 3 Tangos tanze, das kommt mit immer als unausgesproche Bemerkung "Danke, passt schon" vor (außer es ist Milonga, dann ist das ja schon am Anfang der Tanda eindeutig klar, außerdem tanze ich das fast ausschließlich mit Leuten die ich gut kenne).

Gruß,
Simon

cassiel hat gesagt…

Darf ich einmal versuchen, eine Entgegnung zu formulieren?

Prinzipiell kann man natürlich Deine kritische Meinung bezüglich 3er-Tandas teilen; allerdings kann m.E. bei instrumentalen Tango-Tandas sich sehr schnell Langeweile einstellen und diesem Gefühl der Langeweile versucht mancher DJ vorzubeugen.

Es gibt z.T. eine Konvention, instrumentale Tango-Tandas auf 3 Titel zu begrenzen. Warum eigentlich? Vielleicht ein Beispiel:
Ein klassisches Instrumentalkonzert hat üblicherweise 3 Sätze (eine Ausnahme ist das 2. Klavierkonzert von Johannes Brahms mit 4 Sätzen), eine klassische Symphonie hat 4 Sätze (auch hier gibt es eine prominente Ausnahme, die 9. von Ludwig van Beethoven hat einen 5. (Chor-)Satz). Es gibt also so etwas wie Konventionen. Nun kann man natürlich lange darüber diskutieren, ob es Konventionen gibt, weil sie funktionieren, oder ob es funktioniert, weil es gerade den Konventionen entspricht. Und Ausnahmen von Konventionen gibt es (wie an Beispielen belegt) natürlich auch.

Ein Tango-DJ versucht immer den Korridor zwischen Ruhe und Aufregung zu erwischen (da hat einmal ein mir sehr wichtiger Mensch die Formulierung: "Ruhige Aufregung und aufregende Ruhe" geprägt). Das ist eine Gratwanderung und wenn es gelingt, dann unterstützt die Musikauswahl im Idealfall ein ruhiges und konzentriertes Tanzen. Um ein Abreißen dieser Konzentration zu vermeiden, begrenzen manche Tango-DJs die instrumentalen Tandas.

BTW: Ich finde es auf gar keinen Fall unhöflich, beim Erklingen einer Cortina die aktuelle Tanzpartnerin / den aktuellen Tanzpartner zu verabschieden.

chamuyo hat gesagt…

von so einer Konvention habe ich nie gehört. M. E. ist es eine Unsitte variable Tandas zu machen. Es gibt einige wenige in Buenos Aires, die Tandas zwischen 3 und 5 variieren, aber nach Länge der Stücke, nicht nach Instrumental oder nicht.
Das wichtigste an einem DJ ist, dass er berechenbar in seiner Struktur ist. Wenn ich nach den ersten Akkorden entscheide, ein Tanda zu tanzen, erwarte ich 4 Stücke des gleichen Stils. Vielleicht fange ich beim 2. Stück an, und dann ist es gleich vorbei. Das nächste Mal fange ich gar nicht erst an, oder, was schlimmer für die Milonga ist, dann tanze ich 2 Tandas mit der gleichen Frau, weil 2 oder 3 Stücke zu wenig sind.
Wenn der DJ nur 3 Vals macht, rege ich mich bei der ersten Tanda furchtbar auf und dann tanze ich gar keine Vals Tanda mehr an diesem Abend. Diesen DJ werde ich dann für mind. 3 Jahren meiden.
Ich bin übrigens, falls es noch nicht klar ist, von der Taliban Fraktion :-)

cassiel hat gesagt…

Nur eine Verständnisfrage: Besteht dann eine ideale Milonga-Tanda nach Deinem Verständnis auch aus vier Stücken?

Klaus Schwarzwälder hat gesagt…

Eine Randbemerkung zur Diskussion der Tandalänge. An diesem Anlass in Regensburg war jede Tanda mit einem Beamer auf eine Leinwand 4mal 6 Meter projiziert. Das gerade gespielte Stück war bezeichnet und die darauf folgende Tanda wurde auch angezeigt. Alle die es wissen wollten waren ganz genau im Bild was für Musik welcher Sänger und das wievielte Stück der jeweiligen Tanda gerade gespielt wird. Mehr Information kann man nicht verlangen und man kann auch nicht behaupten der TJ sei nicht berechenbar.

Trotzdem, und das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung, würde ich an einem Anlass dieser Grösse, ausser bei Milongas, keine Dreiertandas spielen.

@ chamuyo
Ich schätze deine Kommentare im allgemeinen sehr. Hier muss ich aber einschränken, dass du als Tangotaliban dich in dieser Sache nicht auf Mohammed berufen kannst. Denn ich glaube zu wissen, dass die Methode die Musik in Tandas und Cortinas zu gliedern nicht so alt ist wie das allgemein angenommen wird.

@ Cassiel
Ob Instrumental oder mit Sänger ist doch auch Geschmacksache. In unserer Szene (100% traditionell) wird der TJ, der mehr als 60% gesungene Tangos spielt, nicht geschätzt.

chamuyo hat gesagt…

@cassiel:
ja, wenn es nach mir ginge, sollten immer 4 Milongas gespielt werden, aber selbstredend nur die guten, das sind die eher langsamen z.B. von Canaro, auf keinen Fall schnelle wie die späten D'Arienzo Echague, die dazu verleiten "die Nähmaschine anzustellen".
Aber ich muss mich daran gewöhnen, dass angesichts der fortgeschrittenen durchschnittlichen Alters der Besucher mancher Milongas und aus Rücksicht auf das üblicherweise reichlich anwesende medizinische Personal, das auch mal Feierabend verdient hat und keine Noteinsätze mag, drei Milongas akzeptabel sind. Es ist auch deswegen ein geringeres Problem, da ich Milonga mit nur sehr wenigen Tänzerinnen tanze und wir uns sehr schnell finden, um keinen Takt zu verpassen.
@Klaus:
mir ist nicht bekannt, dass in B.A. jemals, außer bei Livemusik, ohne Tandas und Cortinas aufgelegt wurde. Als nur Livemusik gespielt wurde, waren mind. 2 Orchester im Einsatz und in der Wechselphase ergab sich automatisch eine (stille) Cortina. Wenn Du andere Quellen kennst, lasse ich mich auch gerne belehren. In Deutschland ist es tatsächlich erst in den letzten 5-7 Jahren vermehrt dazu gekommen. Einige altgediente DJs weigern sich noch heute, die Mehrheit der Tänzer ist aber vom Segen dieser Erfindung inzwischen überzeugt und ist irritiert, wenn keine Cortinas kommen.

DJ-Salzer hat gesagt…

Liebe Tangobegeisterte,

zu den Konventionen eine Beobachtung, die ich gemacht habe:
als ich in Bs As war, habe ich an mehreren verschiedenen Veranstaltungsorten mindestens drei unterscheidbare Systematiken erlebt:
A) - 4Ts - 3Ms - 3Cumbias - 4Ts - 3Vs - 4Ts - usw
B) - 4Ts - 4Ts - 4Vs - 4Ts - 4Ts - 4Ms - 4Ts - 4Ts - usw (war mehrmals vertreten)
C) - ähnlich wie B aber manchmal drei Tango-Tandas hintereinander

Das war vor drei Jahren. Als ich als DJ angefangen habe, kam die Botschaft aus Bs As, eine Tanda bestände aus 3 bis 5 Stücken.

Meine Fragen (weil es mich wirklich interessiert) an die Fachleute (weil sie öfter in Bs As waren und sind und auch sonst mehr herumkommen, als ich) sind die:
Weiß jemand, wie diese Konventionen (z. B. Typ B) entstanden sind?
Und weiterführend: wann?
Welche Gründe geben Bs As-DJs an, warum sie ihre Struktur anders anlegen?
Gibt es in Bs As noch DJs, die eine eigene Systematik verwenden?
Wann ist die Konvention zu beobachten gewesen, keine Orchester innerhalb einer Tanda zu mischen?
Wann die, bei den Orchestern die Sänger nicht zu mischen?
Wann die, bei den Orchestern innerhalb des Aufnahmezyklus zu bleiben?
Wann die, Aufnahmen vor 30 und nach 55 nicht mehr zu spielen?

Mich interessiert wirklich, inwiefern schon alte Traditionen in den Konventionen transportiert wurden und werden. Darüber hinaus, welche Entwicklungen in dem Bereich zu beobachten sind.
Und: welche Konventionen gab es in den 30 Jahren der eher "heimlichen Zeit" des Tangos zw. Mitte der 50er und Mitte der 80er?

Herzliche Grüße
Hans Peter

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber HPS,

Teil 1: die Fragen die Du stellst, finde ich auch ich interessant. Viele Antworten habe ich nicht. Aber das eine oder andere kann ich vielleicht zu Deinen Fragen ergänzen. Leider hat bis heute kein Porteno meine Fragen zu diesem wichtigen Themenkomplex auf befriedigende Weise beantworten können.

Meist hatte ich Gleichgültigkeit oder Ratlosigkeit geerntet, respektive zu oft ich den Eindruck, das Antworten in erster Linie darauf abzielten, die Ansichten Gefragter zu untermauern. Es ist bereits schwierig Antworten dazu zu erhalten, wie all das Anfang 90er gehandhabt wurde. 80er, 70er, 60er oder gar 50er – über diese Jahrzehnte habe ich bis heute keine brauchbaren Antworten bekommen. Ich gehe davon aus, dass in den 80ern noch weitgehend mit LPs und Schellacks aufgelegt wurde, da erst im Verlauf der 90er ein genügend breites Sortiment an CDs lieferbar war.

Tatsache ist, dass in früheren Jahrzehnten sehr viel öfter Tandas mit anderen Rhythmen aufgelegt wurden. Das wurde mir von verschiedenen Seiten bestätigt. Die gelieferte Begründung war stets dieselbe und die konnte ich gut nachvollziehen. Früher haben die meisten Tänzer eine ganze Reihe von Tänzen beherrscht und das wollten sie auch praktizieren.

In Tanzschuppen war es am Rio de la Plata üblich, meist zwei Live-Orchester zu engagieren, die sich alle 40 Minuten abwechselten, oft je eine Formation für Jazz und Tango. Inzwischen habe ich allerdings herausgefunden, dass zB die Characeristica Rodriguez bei Veranstaltern unter anderem extrem beliebt war, weil die so mit einem Orchester viele Tänze anbieten konnten. Das machte eine zweite Formation überflüssig, obwohl es bedeutete, dass Pausen eingelegt werden mussten.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Ich habe mir sagen lassen, dass in den 30er und 40ern viele Tänzer nur auf wenige Orchester abonniert waren und ihnen innerhalb der Stadt wie Fans zu den verschiedenen Tanzschuppen folgten. Kurzum, wer ein bestimmtes Orchester betanzen wollte, frequentierte jenes Lokal, dass diese Musiker momentan gebucht hatte. Andererseits gab es immer wieder Grossveranstaltungen, an denen verschiedensten Orchester nacheinander auftraten, ganz besonders zu Karnevalszeit. Und viele dieser Grossveranstaltungen wurde im Radio live übertragen.

Ich habe bisher gar keine Antworten dazu erhalten, wann man an Milongas damit begonnen hat, anstelle von Musikern Konserven einzusetzen. Die Technik dazu war bereits in der zweiten Hälfte der 30er erhältlich. Das kann ich inzwischen belegen. Aber bis Ende der 50er gab es in BA im Radio dermassen viel Tango zu hören, dass kaum ein Markt für TJs entstehen konnte. Tango war Teil des Alltags. Ich bin sicher, dass in der zweiten Hälfte der 50er schnell TJs gefragt waren, weil der Tango aufgrund der Gesetzgebung in den Untergrund abtauchen musste und die meisten Orchester aufgelöst wurden. Daher ist die Kultur von Tandas getrennt durch Cortinas bestimmt frühestens in den 50ern entstanden.

Falls Du wieder mal in BA bist, kotaktiere Cacho Dante, der eine eigene kleine Milonga betreibt. Er war bereits in den 50ern ein notorischer Milonga-Besucher und hat mal in einem Interview erzählt, wie Tango-Tänzer in der zweiten Hälfte der 50ern von der Polizei drangsaliert wurden. Sehr interessant. Als in der Wolle gefärbter Tango-Freak kann er Dir bestimmt sehr viel mehr Informationen ab den 50ern liefern. Leider habe ich im Gespräch mit noch lebenden Portenos oft den Eindruck, dass so weit zurückliegende Erinnerungen kaum mehr abrufbar sind – keine Ahnung warum.

Ich bin zwar nicht der Ansicht, dass man alles unreflektiert wie damals, respektive in BA machen soll. Dazu sind die Defizite am Rio de la Plata inzwischen zu gross. Es wäre aber schön, wenn andere weitere Informationen zu Deinen Fragen beisteuern könnten.

herzlich - Christian

Theresa hat gesagt…

Lieber Christian, vielen Dank für diese interessanten Infos. Und lieber Hans-Peter, vielen Dank fürs Aufwerfen der Fragen! Wie gerne würde ich noch mehr darüber wissen.
Theresa

Klaus Schwarzwälder hat gesagt…

Ich glaube nicht, dass ich hier noch wesentliches beitragen kann. Insbesondere kann ich, meine wichtigste Quelle, das Interview mit einem Milonguero, der seit den frühen 50er Jahren tanzt, nicht mehr finden und ich habe auch den Namen vergessen. Erinnern kann ich mich an seine Bemerkung, dass sie als ganz junge Tänzer eher auf die kleinen Milongas zum Tanzen gingen weil dort a) der Eintritt viel billiger war b) die Musik ab Konserve gespielt wurde und deshalb vielfältiger war und c) das Tanzniveau deshalb viel besser war als auf den grossen Bällen. Aber ob dort schon mit Tandas und Cortinas gespielt wurde, wurde vielleicht erwähnt aber ich kann mich nicht erinnern.

Ich vermute aber, dass gerade in dieser Zeit des Übergangs die TJs das gemacht haben was ihnen vernünftig und richtig erschien. Eine Rolle hat sicher auch die Spieldauer der damaligen Schallplatten gespielt. Und wenn diese 10 bis 12 Minuten war, was ich nicht sicher weiss, sind wir eigentlich schon bei einer Tanda von 3 bis 4 Tangos.

Ab 1963 kam dann das Kassettengerät. Diese Geräte waren im Sinne der Musikqualität ein riesiger Rückschritt, aber sie waren billig und die Kassetten nicht so empfindlich wie Schallplatten. Sie konnten neu überspielt werden, man konnte ganze Tandas nach dem eigenen Gusto zusammensetzen, und ich bin sicher, dass diese neue Freiheit genutzt wurde.

In den späten 90er Jahren erlebte ich in Südfrankreich und in Norditalien an verschiedenen Bällen Felix Picherna als TJ. Er wurde damals als der TJ Superstar aus Argentinien gefeiert. Übrigens ist er mit einem Koffer voller Kassetten angereist. Ich weiss, es gibt heute Leute die rümpfen die Nase über seine Art aufzulegen. Aber damals war er für mich der erste TJ der den ganzen Abend toll tanzbare Musik spielte und mit den Tänzern/ Tänzerinnen mit ging. Er hat die Tandas immer über das Mikrofon angesagt und wenn er fand die Leute seien jetzt gerade so inspiriert am tanzen hat er oft noch ein oder zwei Stücke des selben Orchesters angehängt mit der Bemerkung "und jetzt noch die zwei besten z.B. d'Arienzos". Ausserdem spielte er immer wieder von ihm so genannte "Cortinas musical". Das waren 2 bis 4 Stücke Tanzmusik z.B. Salsa, Rock'n Roll oder Swing aber auch Samba. Felix Picherna legt seit 1958 auf und es ist anzunehmen, dass er mit seiner unkonventionellen Methode nicht alleine war.

Anonym hat gesagt…

Zwei kurze Bemerkungen: ich persoenlich habe es noch nie erlebt, dass die Tandas unterschiedliche Laenge hatten, jenachdem ob es sich um instrumentale oder gesungene Musik handelte. Ich waere auch sehr enttauescht, wenn ein Lieblingstaenzer mich zu einer instrumentalen Tanda auffordern wuerde und es waere dann nur 3 Stuecke lang. Da denke ich, lieber DJ, goenne mir doch ein viertes Stueck mit diesem tollen Partner! Allerdings wird bei uns sehr selten angekuendigt, wie lange die Tanda sein wird und darum macht es auch weniger Sinn, die Laenge zu wechseln.

Die meisten DJs hier legen zZ gesungene Tangos ein 80% der Zeit auf. Das ist mir recht. Ich finde die im allegemeinen schoener und finde es oft auch recht wichtig, zu dem Text (und nicht nur zu den Noten der Musik) tanzen zu koennen. Aber es gibt genuegend schoene Instrumentaltangos als das mann nicht gezwungen sein sollte, "langweilige" Exemplare dieser Art aufzulegen. Wenn es der Fall sein sollte, dass der DJ in Deutschland nicht genug schoene Instrumentalstuecke findet, um 4-er Tandas daraus zusammenzulegen, dann waere es vielleicht sinnvoller schoene vokale Tangos auflegen als die Tandas zu kuerzen.

Uebrigens, wer in Buenos Aires zu Besuch ist und die verschiedenen Meinungen von aelteren Taenzern zu diesen und anderen Fragen hoeren will, sollte die regelmaessigen Gespraechsrunden in Luna Llena besuchen. Die heissen "Tengo una pregunta para vos."