Freitag, 21. Juni 2013

Cassiels großer Tango-Knigge: 2. Über den Umgang mit den Mitmenschen in einer Milonga

Leseempfehlung vorab, was bisher geschah... in diesem Tango-Knigge:
0. Einleitung - Abgrenzung zu Regeln, zur Etikette und zu den Códigos
1. Über den Umgang mit der aktuellen Tanzpartnerin / dem aktuellen Tanzpartner


Zuerst die innere Haltung, dann die äußere Form!
Es ist wie beim Malen, wo man die weißen Lichter zuletzt aufsetzt.
Konfuzius (551 v. Chr. - 479 v. Chr.)

Weshalb ich diese konfuzianische Weisheit vorangestellt habe? Ich möchte dem Missverständnis vorbeugen, ich wäre nun brennend an starren Regeln im Tango Argentino interessiert. Um es noch einmal klar zu sagen: Wenn jede/jeder im Tango mit der "richtigen" inneren Einstellung im Tango unterwegs ist, dann brauchen wir eigentlich keine Regeln. Nun ist der Begriff richtige innere Einstellung extrem unscharf und den vielfältigsten persönlichen Deutungen unterworfen, deshalb werde ich - so wie im letzten Teil - von generellen Prinzipien ausgehend, die Regeln anders begründen.

Ähnlich wie in vorausgegangenen Überlegungen zum Umgang mit der aktuellen Tanzpartnerin, dem aktuellen Tanzpartner, geht es in diesem Teil noch einmal um den Begriff der Reziprozität. Im Paar ist es vergleichsweise einfach, oder formaler ausgedrückt, man interagiert im Rahmen der echten bzw. direkten Reziprozität. In der Milonga mit all den vielfältig unterschiedlichen Menschen wird es nun ein wenig abstrakter oder genereller, man spricht von der generalisierten Reziprozität, d. h. Geben und Nehmen findet nun nicht mehr auf der eins-zu-eins-Ebene statt, sondern wird in einen größeren Kontext gestellt. Das wird vielleicht in einem kleinen motivierenden Beispiel deutlicher: Jede und jeder war im Tango einmal Anfängerin bzw. Anfänger und hat vielleicht einmal von der Großzügigkeit einer/eines Fortgeschrittenen profitiert. Im späteren Tangoleben ergibt sich häufig genug die Gelegenheit, dieses Darlehen zurückzuzahlen und ebenfalls eine Anfängerin, einen Anfänger profitieren zu lassen. Diesem Beispiel könnte man ohne große Mühen viele weitere konkrete Beispiele hinzufügen.

Ich persönlich bin der Auffassung, daß eine Milonga, in der alle aufeinander Rücksicht nehmen, ein umwerfendes, durch nichts zu ersetzendes Highlight ist. Man muss es einfach einmal erlebt haben. Dieser Artikel soll dehalb nun für ein umsichtiges Verhalten in der Milonga werben. Plötzlich erlebt man, wie man nicht nur mit der aktuellen Partnerin, dem aktuellen Partner, sondern mit dem gesamten Raum tanzt. Es ist unbeschreiblich schön aber leider (noch) die Ausnahme.

Damit dieses gemeinschaftliche Erleben stattfinden kann, ist m.E. neben äußeren Umständen (ein passender, liebevoll dekorierter Raum / ein guter Boden / eine stimmige Msuikauswahl über eine geeignete Anlage), die innere Einstellung der jeweiligen Individuen zur gesamten Gruppe entscheidend. Aus dieser inneren Einstellung gegenüber der Gruppe lassen sich mühelos die allseits bekannten códigos ableiten.

Zunächst wäre da an erster Stelle sicherlich ein dem Raum und der sozialen Umgebung angepasster adäquater Tanzstil zu nennen. In der vollen Milonga werden die Schritte kleiner, der Abstand zum voraus tanzenden Paar in der Ronda bleibt im Idealfall gleich groß und ist über die Gesamtheit der tanzenden Paare etwa gleich verteilt - kein Drängeln, kein Trödeln. Jedes Paar bleibt in seiner Spur und überholt nur im äußersten Notfall (und wirklich nur dann!) z.B. wenn ein Paar sich nach Beginn eines Stückes noch sehr lange verbal unterhält. Wenn überholt werden muss, dann passiert das selbstverständlich auf der linken Seite des zu überholenden Paares (auf der rechten Seite gibt es - bedingt durch den Kopf der Folgenden - einen großen toten Winkel im Sichtfeld des Führenden des zu überholenden Paares). Beim Betreten der Tanzfläche nachdem sich die Ronda in Bewegung gesetzt hat, sollte man unbedingt Blickkontakt zum linken Paar suchen (also das Paar, vor dem man dann später tanzt). Routinierte Tänzer signalisieren mimisch, daß sie das neue Paar wahrgenommen haben und es in die Ronda eintreten lassen. Achtlos die Tanzfläche zu betreten und einfach zu starten steigert das Risiko auf Kollisonen enorm, da man in den meisten Fällen im toten Winkel eines bereits tanzenden Paares startet (das gilt in besanderem Maße für die Spur 1 - also die äußere Spur).
Abschließend noch ein offenes Wort an die Spur-1,5-Tänzer und die häufigen Spurwechsler: Ein solcher Tanzstil ist für nachfolgende Paare nur schwer bzw. überhaupt nicht abschätzbar. Sollen sie nun links oder rechts oder gar nicht überholen? Eine unpräzise Tanzspur ist eine Hauptquelle für eine unruhige Ronda (und da reichen i.d.R. leider schon ein oder zwei Paare).

Diese offensichtlichen Regeln hat Dirk Apitz bereits vor mehr als 10 Jahren zu einem handlichen PDF (beidseitig angelegt, DIN A5) zusammengestellt. Mittlerweile gibt es auch fremdsprachige Versionen. Veranstalter, denen das Thema wichtig ist, können im Archiv stöbern und Handzettel drucken bzw. drucken lassen.

Das sind - kurz skizziert - die offensichtlichen Regeln. Und man könnte diese konkreten Regeln beliebig ausdifferenzieren, ohne freilich jemals jeden erdenklichen Fall zu erfassen.

Ich möchte aber weitere, weniger offensichtliche Regeln hinzufügen. Diese Regeln resultieren m.E. aus einem Abwägungsprozess, den jede/jeder Einzelne im Tango vornehmen sollte. Es geht um die Frage, wie man die (durchaus legitimen) Eigeninteressen gegenüber den Gruppeninteressen abwägt und ausbalanciert. Mir fällt beispielsweise häufiger unangenehm auf, daß es bestimmte Menschen gibt, die z.B. einfach laut sind. Lautes Reden, lautes Lachen, ausladende Bewegungen in der Unterhaltung mit Anderen am Rande der Ronda, scheinbar unbekümmertes Queren der Tanzfläche usw. Ich denke, eine Schwierigkeit im Tango ist es, den schmalen Grat zwischen Präsenz und Penetranz zu treffen und ich gebe es zu: Das ist auch zu einem Teil eine Frage der unterschiedlichen Persönlichkeiten. Wer diese Zeilen jetzt als Plädoyer für Duckmäusertum liest, der hat mich falsch verstanden. Der Tango ist eine besondere Bühne auf der alle gleichzeitig Schauspieler und Zuschauer sind. Insofern ist ein in sich ruhender, selbstbewusster und ausgeglichener Charakter von Vorteil, wenn aber zu stark an der Selbstbewusstseinsschraube gedreht wird, ist es i.d.R. kontraproduktiv.

Eine kleine Variation des letzten Absatzes ist die Frage nach dem Wettbewerb bzw. der Messbarkeit des eigenen Tangos. Im Bezug auf die Frage, ob man sich selbst mit Anderen vergleichen sollte, werde ich ausführlicher im Teil 4 dieser Serie eingehen. Hier möchte ich nur kurz zu Milongas schreiben, in denen - egal aus welchen Gründen - eine Rangordnung, ein Konkurrenzdenken etabliert wurde. Ja, das gibt es und es ist nicht besonders angenehm, sich in solchen Soziotopen zu bewegen. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe Milongas erlebt, in denen das männliche Alphatier konsequent und subtil alle anderen Männer weggebissen hat (das kann man als Leithammel z.B. dergestalt vornehmen, daß man konsequent die Tanzpartnerinnen eines unliebsamen Konkurrenten unmittelbar nachher auffordert und der versammelten Runde mal demonstriert, wie man "richtig" tanzt - die übrigen staunenden Tangueras sitzen überwiegend brav in einer Reihe und warten sehnsüchtig darauf, auch endlich vom lokalen Matador aufgefordert zu werden; der Konkurrenzkampf ist perfekt). Die Folge ist natürlich ein langsam aber stetig steigender Frauenüberschuss, der schlussendlich (wen wundert es?) die Milonga einen langsamen Tod sterben lässt.
Und um ein zweites Beispiel zu nennen (in diesem Beispiel geht es um eher weibliches Verhalten; es soll hier ja ausgewogen zugehen): Eine Leitkuh (bevor es einen Sturm der Entrüstung gibt, ich habe den Begriff als Pendant zum oben erwähnten Leithammel hier bewusst verwendet) etabliert - vorwiegend unter ihren Geschlechtsgenossinnen - einen ausgeklügelten Hofstaat von Günstlingen und Menschen die niemals diesen Status erreichen können. Das mag sehr bequem und angenehm sein. Auf lange Sicht zerfrisst ein solches Verhalten das soziale Gefüge einer Milonga.
Ganz generell gesprochen: Jeder Versuch, eine objektiv betrachtet nicht nachvollziehbare persönliche Hirarchie in einer Milonga zu installieren, ist eine enorme Belastung des gesamten Gefüges. Eine gleichbleibend freundliche Grundstimmung gegenüber allen Mitmenschen in der Milonga mag auf den ersten Blick vielleicht oberflächlich oder gar langweilig wirken. Langfristig zahlt sich m. E. eine solche innere Haltung immer aus.

Und noch ein Punkt fällt mir manchmal unangenehm auf: Das Tratschen! Ich finde es zum Teil unerträglich, wie manche Menschen im Tango jedes Abweichen von einer höchst subjektiven Norm mit teilweise vernichtenden Kommentaren aburteilen. Um auch diesen Punkt wieder ein wenig zu relativieren: Eine knackige Bemerkung kann manchmal Ärger ventilieren und das kann nicht nur amüsant sondern auch schwer in Ordnung sein - niemand muss ein Heiliger sein. Weitergehende und detaillierte Erörterungen des Privatlebens (u.U. mit intimen Details) von Mitmenschen in der Milonga finde ich komplett unangebracht. Tratsch hat sicherlich auch eine soziale Komponente, es gibt Studien, die zu dem Schluss kommen: Tratsch entsteht in der Suche nach Verbindendem (ein im Vertrauen weitergegebenes intimes Detail kann Mitwisserschaft und damit eine trügerische Nähe erzeugen), aber Tratsch ist immer eine herabwürdigende, häufig ehrenrührige Wertung.

Ein weiteres Kapitel für schier endlose Diskussionen ist der Umgang mit Tänzerinnen und Tänzer, die ein anderes Tangoalter haben (älter oder - häufiger - jünger). Ich bin der Ansicht, daß es notwendig ist, ab und zu auch einmal mit einer erfahreneren Partnerin, einem erfahreneren Partner zu tanzen. ABER: Darauf gibt es keinen Rechtsanspruch! Im umgekehrten Fall kann es manchmal auch besonders spannend sein, einmal eine Tanda mit einem Menschen zu tanzen, der noch nicht so lange im Tango ist. Die Milonga ist eben ein soziales Ereignis.
Ich weiß, daß die folgende Bemerkung von manchen nicht so gerne gelesen wird: Ich bin ein großer Freund von einem umsichtigen Aufforderungsverhalten. Mir fallen in der Milonga meist die Menschen besonders positiv auf, die sich auch nicht zu schade sind, einen länger Sitzenden bzw. eine länger Sitzende aufzufordern.


So! Das war doch gar nicht so schlimm, oder? Aus den Erfahrungen der Diskussion zum letzten Beitrag dieser Serie weiß ich allerdings, daß auch unvorhergesehene emotionale Ausbrüche zu erwarten sind. Ich wünsche mir daher eine friedliche und sachliche Diskussion. Sollte sich tatsächlich ein Troll in die Diskussion verirren, dann ist es bestimmt eine gute Verhaltensweise, wenn man offensichtliche Störversuche einfach wortlos ignoriert.

Ich hatte neulich ein interessantes Gespräch mit einer porteña, die in Europa unterrichtet. Sie ist der Auffassung, daß es typisch deutsch sei, daß die códigos gerade im Tango in Deutschland permanent hinterfragt würden. In den anderen europäischen Ländern, in den sie unterrichtet, konnte sie zwar andere spezifische Eigenheiten wahrnehmen, die Auflehnung oder das In-Frage-Stellen sind ihrer Meinung nach aber wohl ein Spezifikum in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum. Vielleicht kann dieser Artikel Denkanstöße liefern, warum manche Regeln doch gar nicht so verkehrt sind.


Links zu den weiteren Teilen dieses Tango-Knigges:
3. Über den Umgang mit der Musik, den Texten und der Kultur im Tango
4. Über den Umgang im Tango mit sich selbst

39 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Bravo! Anders beleuchtet ist das ja alles plötzlich nicht mehr so schwer zu verstehen.

Vielen Dank

Anne

Anonym hat gesagt…

Ich wusste noch nicht, dass man einen Doktor in Philosophie braucht. Ich will doch einfach nur tanzen.

Anonym hat gesagt…

@Anonym: einfach nur ... was auch immer ... machen, geht nur wenn man es alleine für sich und möglichst in einem geschlossenen Raum oder in der Wildnis macht. Für alles andere, ob nur ein einziger Mensch in der Nähe ist oder eine ganze Gruppe in einem Raum oder auf der Strasse müssen Regeln - meist sind es ungeschreibene - existieren. Ansonsten schlagen sich die Menschen bald die Köpfe ein. Sollte eigentlich selbstverständlich und selbstredend sein. Die Aussage: "Ich (ganz gross, ein/e Egomane/nin?) will (es muss sein und es gibt keine Kompromisse) einfach nur tanzen" ist so ein Quatsch und doch viele denken leider genau so. Und deshalb ist Cassiel's Blog so wichtig und notwendig. Den Leuten etwas beibringen, was deren Eltern versäumt haben. Danke Cassiel! Sascha

peter fangmeier hat gesagt…

genial !!! cassiel,
gut beobachtet und die ganze situation auf einer x-beliebigen milonga sehr treffend und eher zurückhaltend beschrieben.

weiter so....
einer muss es ja schließlich machen...
(diese worte kennst du ja...)

peter fangmeier

bird hat gesagt…

- Ich will doch einfach nur tanzen -

Ja, dass wollen auf einer Milonga viele !!!
Und schon geht es nicht mehr ohne das Miteinbeziehen der anderen.
Das fängt spätestens beim Tanzpartner an und wird, sobald man die Tanzfläche betritt ein Unternehmen von größerem, sozialen Ausmaß, als man evt. zu Beginn der eigenen Tanzkarriere angenommen hat.
Und deshalb ist es gut hier solch einen Blog zu haben der Anregungen gibt darüber Nachzudenken, was auf einer Milonga geschieht und was nötig ist damit für jeden
- Ich will doch einfach nur tanzen -
mit Spaß und Freude geschehen kann.

Ich kann mich noch sehr gut an mein erstes Jahr erinnern und das mir, erst am Ende desselben anfänglich klar geworden ist, was Tango Argentino seinem Wesen nach wirklich ist.
Viel mehr als:
- Ich will doch einfach nur tanzen -
Das allein ist nur "Eigeninteresse", das, wie Cassiel schrieb, seine Berechtigung hat aber eben nur einen Teil des Tango Argentino ausmacht.
Wenn eine Milonga gelungen ist, dann wird aus:
- Ich will doch einfach nur tanzen -

- Wir hatten alle einen wunderschönen Abend -

Only my two cents ...

Joachim hat gesagt…

Es ist das Miteinander!
Das Erlebnis der Milonga und die Wahrnehmung der Qualität einer Milonga sind abhängig von der Haltung, mit der ich sie besuche. Geht es um mich, mein Erleben oder geht es um mich im sozialen Raum, um die Interaktion mit anderen Menschen. Will ich geben und nehmen oder meinen Genuss abholen? Das sind zwei Grundhaltungen, die nicht kompatibel sind, sehr wohl aber Grundbestandteil fast jeder Milonga sind. Wo diese Kulturen sich in einem Raum begegnen, werden die je subjektiven Wertungen immer unterschiedlich sein.
Da ich persönlich weiß, dass mir der Tango ein Gefühl tiefer Erfüllung nur dann vermittelt, wenn das komplexe Zusammenspiel vieler Faktoren stimmig ist, bemühe ich mich aktiv darum, die Elemente zu beeinflussen, die ich beeinflussen kann. Mein Kerngedanke ist: Je ausgeprägter die Orientierung der Tangueras und Tangueros auf das gemeinsame Erleben des ähnlichen Tanzverständnisses ist, desto intensiver ist mein positives Erleben der Milonga.
Wie bird schreibt: „ Wir hatten alle einen wunderschönen Abend!“ – Cassiels Anregungen zum Umgang der Menschen miteinander eröffnet den Blick auf die Komplexität der Prozesse, an denen wir teilhaben, die wir auch durch unser Handeln gestalten. Wenn ich auf meiner Stammmilonga in meiner Clique verharre, laut agiere, abweisend sitze und nur miteinander tanze, dann prägt das die Atmosphäre. Zwei solcher Cliquen und die Veranstaltung wird zur quasi-religiösen Sekte. Anders wohl das Klima, wenn bei freundschaftlichen Beziehungen gleichwohl viele Menschen mit vielen Kontakt pflegen, beim Tanzen und in den Begrüßungen und den Gesprächen.
Auch die Haltung der Gastgeber, Veranstalter prägt- allein eine freundliche Begrüßung, ein kurzes Gespräch, auch das „Zeigen“ der fremden Dame in einer Tanda – das sind symbolische Handlungen, die wirken und eine gewisse Offenheit zeigen.
Eine große Rolle für das positive Erleben eines Tanzabends spielt unterdessen die Ausgewogenheit zwischen Männern und Frauen, Folgenden und Führenden. Aus der Sicht meiner Frau und Lieblingstanzpartnerin ist es niemals ein gelungener Abend, wenn sie bei großem „Frauenüberschuss“ auch als gute Tänzerin gänzlich übersehen wird und jeder Versuch des Blickkontaktes scheitert. Und für viele Frauen ohne feste Partner wird aus der temporären Enttäuschung unweigerlich eine tiefe Verletztheit mit der Konsequenz „ Adieu, Tango!“. Auf mich als Mann wirkt es beklemmend und reduziert meine Tanzlust erheblich, wenn das Geschlechterverhältnis nicht annähernd ausgeglichen ist. „Genderbalanced milonga“ habe ich vor sechs Monaten noch in der Liste meiner bull-shit-bingo-Wörter geführt, heute unterstütze ich die Idee.
Abschließend der mir wichtigste Aspekt in dem Versuch, die Komplexität des Tango als sozialem Tanz zu verstehen: Im Zentrum des Tanzens steht der Wunsch nach intensivem Erleben der gemeinsamen Bewegung mit der Partnerin in der Musik im Raum, den wir teilen. Je geringer in diesem Raum die externen „Störungen“, je gepflegter die Ronda und je verlässlicher der Stil, desto mehr Energie, Aufmerksamkeit, Zuwendung habe ich: zu meiner Partnerin, zur Musik, in diesem sozialen Raum. In meinem Blickfeld ist ein verlässlicher Fluss der Bewegungen wahrnehmbar, die Töne der Lieder erreichen unsere Ohren, vor und hinter mit tanzen „Freunde“...
Und das ist es doch, was wir im Tango suchen. Oder?

haribold hat gesagt…

Bird bringt es auf den Punkt: "Wenn eine Milonga gelungen ist, dann wird aus: Ich will doch einfach nur tanzen – wir hatten alle einen wunderschönen Abend."
Liebe Cassiel-Jünger, merkt ihr denn gar nicht, wie arrogant das ist? Ihr wisst genau, wann alle anderen einen wunderschönen Abend hatten!? Ihr dürft festlegen, nach welchen Knigge Regeln alle anderen einen wunderschönen Abend haben dürfen und wann nicht?! Ihr reklamiert für euch die goldene Regel und Reziprozität, dürfte aber Andersdenkende, die "einfach nur tanzen" wollen, niedermachen?! - Ich bin durchaus dafür, sich generell sozialverträglich zu verhalten, auch auf Milongas! Aber ich möchte meine Verantwortung für mein sozialverträgliches Verhalten gern behalten! Ich brauche keine eifernden Kreuzritter, die mir bis ins letzte TZ durchdeklinieren, wie mein Verhalten gefälligst zu sein hat! Wenn ihr schon Ge-und Verbote aufstellen müsst, dann nehmt euch doch ein christliches Beispiel an Moses: Der begnügte sich mit zehn Geboten, die er seinem Volk vom Berg mitbrachte…

Paul hat gesagt…

@ haribo
Ich denke du solltest selber eine Milonga veranstalten. Für Freigeister eine "Regelfreie Zone" schaffen. Bei den Milongas die wir veranstalten ist das anders. Die Leute werden mit den Füßen abstimmen. Ach ja - ich bin dafür dass es auch im Tango Vielfalt gibt. Wie im richtigen Leben auch. Ich werde weiterhin zu traditionellen Milongas gehen, viel Getöse um den Cabezeo machen, zu 99 % mich an die "Eine Tanda Regel" halten und soviele Encuentros besuchen wie ich mir leisten kann. Viel Erfolg und Glück bei der eigenen Milonga!

Paul

haribold hat gesagt…

Jau Paul - Apartheid, das isses! Noch so eine tolle Lösung aus der Mottenkiste!

Paul hat gesagt…

Begriffsklärung zum letzten Kommentar von haribold: "Apartheid ist ein international definiertes Verbrechen gegen die Menschlichkeit" Aus Wickipädia zum Begriff Apartheit. Möge jeder Leser seine eigenen Schlüsse ziehen ;-)

bird hat gesagt…

Hi haribold,


wo werden hier Leute niedergemacht die einfach nur tanzen wollen ?
Ich habe auch dazu gehört, bin nicht niedergemacht worden, habe mittlerweile verstanden mit - ich will doch einfach nur tanzen - allein, ist mein persönliches Tanzvergnügen nicht entstanden, sondern nur in der Gemeinsamkeit mit vielen anderen. Das war mir zu Beginn des Tango Tanzens nicht bewusst.
- Ich will einfach nur tanzen - ist eine von vielen persönlichen Grundvoraussetzung aber, wie soll ich sagen, die Erfüllung derselben entsteht, meines Erachtens, auf einer Milonga nicht durch mich allein. Du schreibst von dir, dass du dich sozialverträglich verhälst ... wunderbar, um nichts anderes geht es hier. Der von Cassiel aufgegriffene Gedanke des Sozialen in der Gruppe ist eine nötige Erweiterung des persönlichen Sozialempfindens. Ich für meinen Teil habe einiges an völlig unerwartetem im Tango Argentino dazu gelernt und ein Großteil davon lag und liegt im aktiven Miteinander und habe mich vorher nicht als unsozial empfunden. Für mich ist daraus eine Bereicherung geworden, ein echter Mehrwert, was ich gerne angenommen haben.
Darf ich fragen warum du dich durch diese Diskussion über Regeln im Miteinander angegriffen fühlst ? Jeder kann doch aus solch einer Diskussion mitnehmen, was ihm genehm ist und weglassen, was er für überflüssig oder gar falsch hält und hier Schreiben wieso, weshalb, warum er dies oder jenes tut, nicht tut oder für fragwürdig hält.

Basine hat gesagt…

Gestern habe ich auf einer kleinen Milonga in der Diele eines alten Bauernhauses vor den Toren Hamburgs einen wunderschönen Tango-Abend verbracht.

Der Rahmen: eine von den Gastgebern liebevoll gestaltete Privat- Milonga mit etwa 15 -20 Paaren , gezielt gemischt vom Anfänger bis zu weit Fortgeschrittene aus verschiedenen Tango-Szenen Hamburgs aber auch der kleinen Tangogruppe vor Ort, exzellente Musik der Epoca d'Oro und :
eingeleitet von der Gastgeberin mit einer kleinen narrativen Begrüßungsrede über die (bzw. uns) Tangosouveränen, die Tangogemeinschaft und dessen Vereinbarkeit, hinweisend auf den Wunsch nach Cabeceo - ohne erhobenen Zeigefinger!

Und es entstand ein besonderes Gefühl von sozialem Miteinander und Offenheit auf der Tanzfläche und drum herum und wie ich es nur sehr selten erlebe.
Kein Schautanzen, aber Tangopaare, denen gerne zugeschaut wurde, weil sie miteinander und zur Musik getanzt haben.
Ein Kleinod, von der Art wie ich sie mir mehr wünschen würde.

Ich bin mir nicht sicher, ob ähnliches auch auf einer größeren öffentlichen Milonga entstehen kann.
Oder ob es einfach nur des " richtigen" Bemühens der Gastgeber bedarf, einen entsprechenden Rahmen zu gestalten.

Anonym hat gesagt…

@Basine
Der intime Rahmen einer Privatmilonga ist nicht vergleichbar mit dem einer öffentlichen Milonga. Das beginnt schon damit, dass es auf dem privaten Parkett ein ausgewogenes Geschlechterverh#ltnis gibt. Das erreicht keine noch so gut organisierte öffentliche Milinmga. Das Einhalten bestimmter Regeln ist in einem derart überschaubaren und "geschützten" Rahmen besonders einfach und die Wirkung entfaltet sich unmittelbar. Wenn die 20 Paare der Privatmilonga dies mitnehmen in die nächste öffentliche Milonga und sich konsequent dort auch so verhalten, müsste sich auch dort a la longue eine gewisse Wirkung entfalten.

peter fangmeier hat gesagt…

das eine ronda auf einer milonga im prinzip nix anderes ist als ein x-beliebiger autobahnring zur hauptverkehrszeit. wenn jeder sich nur ein bisschen zurück nimmt klappt es wunderbar. wenn da zuviele "spassvögel" unterwegs sind gibt stau etc. wer ein paar minuten zeit hat sollte sich mal die artikel zum thema stauforschung im www/adac etc. nachlesen.... und wundert euch nicht wenn euch das ganze irgendwie bekannt vorkommt.

und da die tangos für alle gleich sind, gibt es keinen grund zu rasen.

fair geht vor.... auch auf einer milonga !

und gestern flüstert mir ein bekannter ins ohr ich würde einen stau verursachen... es könnte keiner auf die piste !!
leider hat er das paar nicht gesehen das direkt vor mir mit leidenschaft kreisel drehte.
deshalb an alle führenden die bitte die "auffahrt" im auge zu behalten..... jeder verursacht mal stau, und jeder steht mal darin...difices feemed

Peter Fangmeier

Di Sarli hat gesagt…


Zunächst einen ganz herzlichen Dank an Cassiel für diesen, aus meiner Sicht rundum gelungenen Beitrag seines Tango-Knigges!

Gleich folgend mit einem Dank an die stützenden und weitere Aspekte einbringende Kommentatorinnen und Kommentatoren. Das macht aus meiner Sicht die bemerkenswerte Qualität dieses Blogs, inzwischen seit Jahren, aus.

Dazu gehören auch Kommentare wie jener erste von Haribold. Dieser Blog bietet eben jene Möglichkeit, sich in der Sache durchaus kontrovers zu äußern, aber sachlich und mit Argumenten.

Daher haribold, es geht eben nicht um die codigos per se um seiner selbst Willen, sondern letztendlich könnte man alles insgesamt mit einem Wort zusammenfassen:
RESPEKT!

Wir wollen auf einer Milonga unsere (nicht unbegrenzte) freie Zeit mit anderen zusammen in möglichst angenehmer Art und Weise verbringen und wenn es uns gelingt, dass wir uns insgesamt (also gegenüber unserer Partnerin/unserem Partner, den anderen Besucherinnen und Besuchern der Milonga, der Musik und nicht zuletzt der Kultur des Tangos ) möglichst respektvoll verhalten, werden wir auch selbst von diesen Stunden sehr Schönes, Erinnerungen und auch Energie mitnehmen dürfen.

Käthe hat gesagt…

@sylvia und @basine,

Ich war auch auf dieser feinen, kleinen milonga, die mir ausserordentlich gut gefallen hat - es herrschte (ein kleiner, unbeabsichtigter) männerüberschuss. Wenn immer mehr tänzer eine solche athmosphäre erleben, werden sie bestimmt versuchen, so etwas auch auf den "normalen" milongas zu erleben. Das hoffe ich jedenfalls ;-)

Zum thema. Mir fällt es wirklich immer noch sehr schwer mit mir unbekannten tänzern zu tanzen. Das traue ich mich wirklich selten. Oft kann ich mich der milonga nicht so weit öffnen. ich werde mir aber mal eine strategie überlegen, um das zu ändern...

Mia hat gesagt…

Was für eine herrliche Seite! Ich schließe mich "Di Sarli" an und denke ebenfalls, das Zauberwort heißt RESPEKT vielleicht noch zusätzlich ACHTUNG und LIEBE. Dann bräuchten wir keine Regeln.

Wie es der Autor schon ausgeführt hat, ist der Begriff der richtigen inneren Einstellung ziemlich "unscharf". Um dieser Unschärfe zu begegnen haben wir Regeln und die ermöglichen dann den Umgang im Tango miteinander.

Ich bedanke mich ebenfalls für diese großartige Seite und hoffe, ich darf hier noch viele inspirierende Beiträge lesen.

Ganz liebe Grüße

Mia

Anonym hat gesagt…


* Wenn eine Milonga gelungen ist, dann wird aus:
- Ich will doch einfach nur tanzen -
- Wir hatten alle einen wunderschönen Abend -

* Da ich persönlich weiß, dass mir der Tango ein Gefühl tiefer
Erfüllung nur dann vermittelt, …

* …

Ich tue mir auch nach vielen Jahren als Tangotänzer schwer, diese
schwelgerischen Übertreibungen nachzuvollziehen.

Sehr gut gefallen mir diese Sätze:

Will ich geben und nehmen oder meinen Genuss abholen? Das sind
zwei Grundhaltungen, die nicht kompatibel sind, sehr wohl aber
Grundbestandteil fast jeder Milonga sind.

Für mich sind sie in jedem Tänzer vorhanden. Mal schlägt das Pendel in die
eine Richtung aus, mal in die andere. Will er nachhaltig seinen Spaß haben,
muss er ins Geschäft investieren, bis genügend Folgende an den Tänzen mit
ihm Freude haben.


Insgesamt ist dieser zweite Teil rhetorisch schon geschickt durchkomponiert.

Ich möchte aber weitere, weniger offensichtliche Regeln hinzufügen. Diese
Regeln resultieren m.E. aus einem Abwägungsprozess, den jede/jeder
Einzelne im Tango vornehmen sollte. Es geht um die Frage, wie man die
(durchaus legitimen) Eigeninteressen gegenüber den Gruppeninteressen
abwägt und ausbalanciert.

In der Masse des Folgenden geht mir unter, dass diese Leitlinien vorläufige
Resultate eines andauernden persönlichen Prozesses sind und somit naturgemäß
von reduzierter Allgemeingültigkeit.


Noch 'ne Regel:
Manchmal ist es auch eine gute Tat, zu Hause zu bleiben. Anstatt in
einem seelischen Tief zur Milonga zu gehen und Heilung/Linderung zu
erwarten.


Martin

Anonym hat gesagt…

Ich hab mich hier klassisch ausgetrickst. Der letzte Kommentar sollte eigentlich mit dem Folgenden anfangen.


Nicht nur nach dem ersten Lesen dieses Teils und der Kommentare habe ich mich
gefragt, ob ich im falschen Film bin. Oder ob es mir an Gefühlstiefe fehlt.
Sicher schien mir jedenfalls, dass es mir an der politisch korrekten inneren
Einstellung und Altruismus mangelt.

* Damit dieses gemeinschaftliche Erleben stattfinden kann, …

* eine Milonga, in der alle aufeinander Rücksicht nehmen, … Man muss
es einfach erlebt haben.

* Im umgekehrten Fall kann es manchmal auch besonders spannend sein,
einmal eine Tanda mit einem Menschen zu tanzen, der noch nicht so
lange im Tango ist.

Martin

bird hat gesagt…

Hallo Martin,

- Wenn eine Milonga gelungen ist, dann wird aus:
- Ich will doch einfach nur tanzen -
- Wir hatten alle einen wunderschönen Abend -

das hast du von mir zitiert und empfindest es als "schwelgische Übertreibung".
In der Tat ist das von mir idealisiert dargestellt und findet in Reinkultur selten statt. Warum aber nicht darüber diskutieren, sprechen wie das vielleicht öfter hinzubekommen ist und was es dafür von einem jeden braucht ?
Ein paar Menschen die, warum auch immer, gerade nicht soviel Geben können, vielleicht einfach mal nur nehmen, verträgt jede Gruppe. Das gehört dazu und trifft wohl auf jeden mal zu. Für mich ist es aber mit -Ich möchte doch einfach nur tanzen- auf Daauer nicht getan. Das reicht, wenn ich mich allein auf weiter Flur befinde. Tango Argentino findet aber in der Gruppe statt, entwickelt seinen Charme geradezu über die Anwesenheit von vielen und damit ist -Ich will doch einfach nur tanzen- ein erter Schritt, sicherlich aber nicht ausreichend, als alleiniger Fokus, um aus einer Milonga ein schönes Event zu machen. Jedenfalls ist das meine Erfahrung, ganz ohne jede Schwelgerei, denn ich habe, wie ich schon vorher erwähnte auch zu -Ich möchte doch einfach nur tanzen- gehört und finde das nicht schlecht, nur eben nicht ausreichend auf Dauer.

Anonym hat gesagt…

Hallo Bird,

deine sachliche Reaktion auf das nicht gekennzeichnete Zitat von Dir freut
mich sehr.

> - Wenn eine Milonga gelungen ist, dann wird aus:
> - Ich will doch einfach nur tanzen -
> - Wir hatten alle einen wunderschönen Abend -

> In der Tat ist das von mir idealisiert dargestellt und findet in Reinkultur
> selten statt.

> Warum aber nicht darüber diskutieren, sprechen wie das vielleicht öfter
> hinzubekommen ist und was es dafür von einem jeden braucht ?

In kleinen Gruppen ist es wohl eher möglich, mit seinem Verhalten direkt
zum Gelingen des Abends beizutragen. Ab einer gewissen Größe der Milonga
(vielleicht ab zwanzig Paaren) möchte ich mich hinter die Volksweisheit
zurückziehen: "Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann."

In der Tat erinnere ich mich an Abende, da waren wenige Leute da, aber die
kritische Masse an gutgelaunten Tänzern/Faszinatoren war da. Beispielsweise an
dem Abend, an dem ich den Tango und "das Milieu" entdeckte - und "verloren"
war. Wenn dich interessiert, wo ich geboren wurde und die ersten Tanzschritte
setzte … Aber es gab auch Abende mit ebenso vielen Leuten, die waren irgendwie
fad.

* Für eine allgemein als angenehm empfundene Milonga braucht es vielleicht
passend verteilt ein paar angenehme, aufgeschlossene Tänzer.
* Und zur Etablierung einer Milonga viel Enthusiasmus, aus der dann das
notwendige Durchhaltevermögen resultiert.
* Offenheit des Pioniers. Er darf "sein Revier" nicht auf Dauer von
Fremdeinflüssen freihalten wollen.
* Eine "kritische Masse". Vorletzten Sonntag habe ich mich mit einer Frau
aus einer Kleinstadt unterhalten - für sie ca. 70 km von zu Hause. Ihren
ersten Unterricht hatte sie daheim, mittlerweile gibt es auch vor Ort Tango
in einer rührigen Kultureinrichtung. Aber: "Mal sind wir fünf Paare, aber
manchmal auch weniger." Also düst das Paar schon mal in die Nachbarstädte.

Ich grenze jetzt mal die Diskussion auf meinen derzeit beschränkten
Erfahrungshorizont ein: die Stätte meiner Initiation und meinen Wohnort, an
dem zwei stagnierende Szenen im eigenen Saft am Rande des Aussterbens vor sich
schmoren. Wenn ich mal wieder einen meiner Sonntags-Tagesausflüge starte, weiß
ich, was mich erwartet: ein vertrauter Ort, eine vorwiegend klassische
Musikauswahl (5/6 traditionell) in Tandas ohne Cortinas, im statistischen
Mittel für meine Kondition zu viele aus verschiedenen Gründen attraktive
Tanzpartnerinnen … Dort begegnete ich vor knapp drei Monaten einer Frau aus
der weiteren Nachbarschaft. Sie hatte sich gegen unseren Wohnort entschieden,
weil sie in meinem Geburtsort den Tango auch ohne festen Partner pflegen kann.
"Daheim" sind mir beiderorts wild ausgewürfelte Musik, wenige Leute und ein
"Nun-ja"-Tanzniveau sicher. Natürlich könnte ich mir auch eine falsche, sprich
übersteigerte Erwartungshaltung vorwerfen? Aber warum bin nicht nur ich dem
Pionier weggelaufen?

> Ein paar Menschen die, warum auch immer, gerade nicht soviel Geben können,
> vielleicht einfach mal nur nehmen, verträgt jede Gruppe.

Ich bin da etwas skeptischer. Auch in der Kleinstgruppe
(Liebespaar/Lebenspartner) tritt oft die Situation ein, dass für einen das
ungleiche Geben/Neben unerträglich wird. Es mag vielleicht weit hergeholt
scheinen: Für mich ist auch die Erarbeitung einer Theateraufführung etwas, wo
es um das Einfügen in die Gruppe geht. Da kann schon eine "facettenreiche
Persönlichkeit" unter zehn Leuten den restlichen das Leben sehr unangenehm
machen.

Martin

Anonym hat gesagt…

> Für mich ist es aber mit - Ich möchte doch einfach nur tanzen - auf Dauer
> nicht getan. …

Mir ist sehr wohl bewusst, dass ein Tanzpaar ein Umfeld hat. Ich genieße es,
ohne Spurwechsler und mit verlässlichen Sicherheitsabständen zu tanzen. Dann
kann ich mich entspannter auf Partnerin und Musik konzentrieren. Und da sind
wir dann wieder bei der verallgemeinerten Reziprozität (oder so ähnlich).
Manche Regeln entspringen pragmatischen Überlegungen und machen allgemein das
Leben leichter.


Um es auf den Punkt zu bringen: Man kann aus verschiedenen, auch eigennützigen
Gründen etwas tun, das der Allgemeinheit nutzt. Wenn ich in der Ronda die Spur
und den Verkehr nicht aufhalte, sind wir wieder bei "Was Du nicht willst …"

Und bei einem zeitweiligen Überschuss tanzwütiger Herren (auch das gibt es)
kommen die Damen zumindest quantitativ auf ihre Kosten. Auf einem meiner
ersten Ausflüge zu Beginn meiner Nomadenjahre hörte ich die folgende
Geschichte: Im kleinen Tangolokal war tote Hose. Fünf oder sechs Kerle -
und dann kam eine Frau rein. "Die haben wir dann zerrissen."

Viele fortgeschrittene Tänzer in meiner Lieblings-Milonga gehen auch als Paare
zeitweise getrennte Wege und wechseln den Tanzpartner. Und integrieren so ganz
zwanglos Reisende und Novizen.


Ich tanze immer noch gern zu dieser tollen Musik und bezweifle nicht
prinzipiell jede Regel. Aber ich bezweifle manchen überpointierten Schluss.
Oder mindestens seine Allgemeingültigkeit.

Wie heißt doch gleich das Werk des Namensgebers? "Über den Umgang mit
Menschen." Und davon gibt es jede Menge jenseits der Milonga. Die haben es
grundsätzlich auch verdient, mit freundlicher Aufgeschlossenheit, Respekt
und Achtung ihrer Würde behandelt zu werden.


Martin

KlausPP hat gesagt…

@Martin.
Bitte beim nächsten Mal die Zitate aus anderen Kommentaren von deinem eigenen Text besser trennnen.

Und wenn Du dann zitierst, dann schreib doch bitte dazu wen du da eigentlich zitierst hast.

In der vorliegenden Form empfinde ich deine Kommentare als recht unleserlich und wirr.

Anonym hat gesagt…

Hallo Cassiel,

Still wie in einer Kirche, doch eher nicht, eine Milonga ist eine Tanzveranstaltung und kein Gottesdienst. In BA war es Laut nicht nur die Musik. Es ist nunmal kein Kaffeekränzchen mit Tanzeinlagen. Das mit der Ronda alles richtig, aber damit schliesst du Anfänger aus, die aus tänzerischer Sicht nicht das Können haben die Spur zu halten. Schon garnicht wenn Sie an Figurenverkäufer als Lehrer geraten, oder welche die mit schlechten Beispiel vorangehen. Es gibt leider immer noch welche die Bühnentango verkaufen.

cassiel hat gesagt…

Hallo Anonym, nein, eine Milonga ist kein Gottesdienst, aber auch keine Ü40-Party, kein Volksfest und keine Disco. Wir können uns herrlich in die Extreme flüchten und wir werden uns immer prächtig missverstehen. Ich bleibe dabei: Man kann sich überlegen, wie laut man in der Milonga ist - in jedem erdenklichen Sinne.

Für Anfänger mag die Ronda und ihr Fluss schwierig sein, da sind die Tangolehrer gefordert. Du hast sicherlich Recht, wenn Du bemerkst, daß viele Lehrer noch immer ihren Tangounterricht vom Bühnentango ausgehend aufbauen. Aber es gibt inzwischen auch höchst erfreuliche Gegenbeispiele. Ich möchte hier und jetzt ein Facbook-Video von Michelle & Murat aus Catania (Italien) von einem Anfängerkurs zeigen (auch ohne Facebook-Account sichtbar):

Di Sarli für Anfänger (Michelle & Murat)

Auch so könnte es gehen...

bird hat gesagt…

Danke cassiel !

Wow, wenn man das so im Unterricht vermittelt bekommt, egal ob Anfänger oder schon Fortgeschritten gibt das ein Gefühl und reales Erleben davon, wie sich Tanzen in der Ronda anfühlt. Danach kann man viel besser spüren und wissen, warum das Sinn macht.
Das sieht richtig gut aus.

haribold hat gesagt…

Di Sarli für Anfänger: Das muss man wirklich gesehen haben! Tango für Lemminge!
Lieber Cassiel, das kannst doch selbst Du mit Deinen Regeln nicht wirklich wollen!?!

cassiel hat gesagt…

Hallo haribold, die Höflichkeit verbietet es mir, hier Videos von abschreckenden Beispielen zu zeigen. Vermutlich haben wir unterschiedliche Ansätze im Tango. Wenn in dem Video wirklich Anfängerinnen und Anfänger zu sehen sind, dann ist das für meine Begriffe großartig. Die sind nämlich im Takt und tanzen sozial, also im Gefüge einer Gemeinschaft. Das Fehlen von individuellen Eigenarten bei den einzelnen Paaren (was Du wohl mit dem Begriff "Lemminge" belegst) stört mich nicht weiter - schließlich sind die Menschen ja erst am Anfang ihrer Tango-Karriere. Da wird eine solide Basis für den Tango Argentino gelegt. Nach meiner Überzeugung muss man den Tänzerinnen und Tänzern nur zwei oder drei Jahre geben und sie werden musikalisch und rücksichtsvoll tanzen.

Anonym hat gesagt…
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Linzer Torte hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
cassiel hat gesagt…

Ich musste etwas länger überlegen und habe mich entschieden, die letzten drei Kommentare zu löschen. So verlockend die Möglichkeit auch wirkt, ich finde es nicht gut, wenn jetzt das Ringen um einen Tango-Begriff durch abschreckende Beispiele abgesteckt wird. Da leidet für mein Empfinden die Diskussionskultur in diesem Blog.
Alle, die hier länger Mitlesen wissen, daß ich ungern Kommentare lösche. Ich bitte dennoch in diesem Fall um Verständnis. Die beiden Kommentare mit Links zu Videos und einen Kurzkommentar, wo denn "das Problem" liege, habe ich gelöscht.

Und ich verspreche auch, daß es demnächst wieder einen Beitrag gibt... :-)

Bis dann...

Tango-Amateur hat gesagt…

@ Cassiel:

Daß ich Dein Blog in mehrfacher Hinsicht sehr schätze, erwähne ich nochmals vorweg, damit Du meinen Änderungsvorschlag nicht als Rüffel sondern als konstruktive Anregung verstehst. ;-)

Nun zu meiner Anregung:

Im Sommer 2013 hast Du hier 3 Kommentare gelöscht...
und seither sind zu diesem eigentlich ertragreichen Thema keine neuen Beiträge verfasst worden. Hatte keine/r darauf mehr Lust?

Deine im Interesse einer kultivierten Diskussion vorgenommenen Lösch-Aktionen haben also nicht nur den Brand gelöscht, sondern gleich die ganze Wiese dauerhaft planiert. Jetzt wächst da kein Gras und schon gar keine Orchidee (gehaltvoller Kommentar) mehr nach .. :'(

Mein Vorschlag, und soweit ich weiß, magst Du K.Valentin, vielleicht also auch dies:
"Manche Leit san so blad, die sollt man gar net erst ignorieren".

Imho funktioniert das 'don't feed the trolls' also viel besser als die Löscherei. Auch Deine Vermutungen an anderer Stelle, der Porteno sei in Wahrheit die 'Portena TT' haben dort nämlich nur die eigentliche Diskussion zerrissen...
Vielleicht hilft zum Erhalt Deiner Gelassenheit künftig der Gedanke: "Niemand und nix ist unnütz: man kann ihn/sie/es immer noch ganz gut als schlechtes Beispiel verwenden" ;-)

Und noch ein pragmatischer Weg für besonders trollige Trolle/innen oder gar beleidigende Beiträge:
Lösche sie doch bitte nicht endgültig, sondern hinterlasse den Hinweis 'Wegen Verstoß gegen die Diskussionskultur wurde dieser Beitrag auf den "Troll-Friedhof" umgebettet." und verschiebe sie anschließend in den dafür einzurichtenden Thread. Dann kann sich jeder selbst ein Bild davon machen, daß Deine Zensur (meist ;-) ) berechtigt ist.

Falls Du die technische Möglichkeit hast, sie zwar an Ort und Stelle zu belassen, aber hinter einem dezenten Troll-Warnhinweis zu auszublenden, oder sie mit einer winzigen Schriftgröße zu strafen und dadurch fast unleserlich zu machen, dann wäre das evtl. noch eleganter ;-)

Was meinst Du? Denk doch mal drüber nach, Danke!

Und ich schreib Dir dann auch noch was mehr Inhaltliches als Formales, obwohl ein Beitrag ja immer beide Seiten aufweist (manchmal hat auch Haribold recht) ... und außerdem meist auch noch ne komische Seite (K.Valentin). Aber momentan war mir dieser Kommentar zu den Lösch-Aktivitäten wichtiger, sorry.

Just my 2 cents ;-)

Chris hat gesagt…

Yours is an interesting suggestion on the censorship, TA. But I think it would defeat the main purpose of the censorship. Since surely Cassiel's deletion of messages from this blog is primarily to prevent readers from seeing them or even knowing they existed.

Tango-Amateur hat gesagt…

@ Chris:

Cassiel schrieb ja: "Da leidet für mein Empfinden die Diskussionskultur in diesem Blog."
Ich habe es also eher so verstanden, dass er sich hauptsächlich um diesen Aspekt sorgt:

Wenn es sich um persönliche Beleidigungen oder "hingerotzte Pöbeleien" a la 'affig' handelt,
gehe ich da natürlich absolut konform mit ihm.
Aber schon bei der Frage was denn jetzt gerade zum Thema gehört und was dann doch nicht, bin ich durchaus nicht immer Cassiels (oder Christian Toblers Meinung) ...

"prevent readers from seeing them or even knowing they existed."

Das scheint technisch ja sowieso nicht vollständig möglich zu sein: man sieht immer einen Vermerk wie z.Bsp.
"Linzer Torte hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt."

Wenn Casiel dann noch schreibt:
"Die beiden Kommentare mit Links zu Videos .. habe ich gelöscht." bin ich natürlich a) neugierig darauf, was er mir vorenthält und b) fühle mich auch von ihm etwas bevormundet.

Mein oben zitierter Lösungsvorschlag hat dagegen die Intention, einerseits die angestrebte Diskussionskultur zu schützen und den Lese-Fluss beim Thread-Thema zu halten, aber gleichzeitig doch auch seine Eingriffe transparenter und damit besser erträglich zu machen.

Bin mal gespannt, ob er sich dazu äußert...

cassiel hat gesagt…

@Tango-Amateur 

Ja selbstverständlich äußere ich mich dazu. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es einem Blogger möglich sein sollte, Kommentare, die dazu geeignet sind, den Frieden einer Diskussion nachhaltig zu stören, zu löschen. Ich erinnere daran, dass es kaum ein Blog im Tango gibt, dass eine ähnliche liberale Grundeinstellung bei kontroversen Kommentaren hat. Nur wenn es gar nicht anders geht, lösche ich hier. Üblicherweise (also bei eingeschalteter Kommentarmoderation) erfahren die Leserinnen und Leser erst gar nicht von solchen Kommentaren. Zur Information: Ich habe die Wahl beim Löschen: Ich kann den Kommentar komplett entfernen - oder nur den Inhalt. Ich entscheide mich in vielen Fällen dafür, einen Hinweis auf einen gelöschten Kommentar stehen zu lassen. Das ist für mein Empfinden einer gewissen Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Kommentierenden geschuldet.

Zu der Frage der Änderung der Einstellungen: Ich kann die Einstellungen nur auf zwei Arten vornehmen: Entweder (so wie es momentan erlaubt ist), mit Google- oder OpenID-Account, mit frei gewähltem Namen oder anonym - oder 2. nur mit Google- bzw. OpenID-Account. Diese zweite Option erscheint mir dann doch ein wenig streng. Deswegen kann ich die Anonym-Option isoliert nicht deaktivieren.

Ich nutze die Umgebung, die von Blogger (ein Service von Google) kostenlos bereitgestellt wird. Änderungen an der Programmierung (wie z.B. Schriftgrößenänderungen bei Troll-Kommentaren) sind selektiv nicht möglich.

Zu Deiner Ausgangsfrage in Deiner ersten Anmerkung: Ich bin aufgrund mancher gehässiger Kommentare sehr viel vorsichtiger beim Schreiben geworden. Dementsprechend mühsamer ist das Verfassen neuer Artikel geworden. Ich habe viele Themen, die ein ausführliches Recherchieren vorab erfordern. Aus diesem Grunde hat sich meine Artikel-Frequenz deutlich vermindert. Gerade überlege ich beispielsweise zum Thema Schalldruck und Lautstärke an Milongas. Da lese ich sehr viel, probiere Dinge aus und mache erste Formulierungsversuche. Es dauert eben. Ich will nicht ausschließen, dass ich auch phasenweise eine gewisse Müdigkeit verspüre. Ich habe eigentlich wenig Lust zu schreiben, wenn das Niveau der Kommentare z.T. bei oberflächlichen Beleidigungen bleibt - aber das ist stark von der Tagesform abhängig.

So, ich hoffe, ich habe alle Punkte angesprochen. Jetzt muss ich mich meinem Hauptberuf widmen. :-)

Chris hat gesagt…

TA wrote: ""prevent readers from seeing them or even knowing they existed."

Das scheint technisch ja sowieso nicht vollständig möglich zu sein: man sieht immer einen Vermerk wie z.Bsp.
"Linzer Torte hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt."


You'd think so, wouldn't you? :)

Sometimes the blog owner leaves that message. Sometimes he deletes that message too. Sometimes he announces that deletions have occurred e.g. here. Sometimes he doesn't.

Most readers (those reading via this web site) see no trace of fully deleted messages. Some see ID info, but not content. Some see the content too. Some even get a permanent copy. It all depends on the method they've chosen to access this blog. Which I guess in turn depends on how interested they are to read the opinions that the blog owner prefers not to be visible to all. :)

cassiel hat gesagt…

... und an dieser Stelle beenden wir vielleicht die Diskussion über gelöschte Kommentare. Ich wiederhole noch einmal: Ich lösche nur dann Kommentare, wenn sie geeignet sind, den Blogfrieden (falls es denn so etwas überhaupt gibt) nachhaltig zu gefährden. Ein (persönlich geführtes) Blog ist m.E. etwas ganz anderes als ein Forum. Deswegen leite ich daraus eine gewisse Berechtigung ab, lenkend einzugreifen, falls Dinge aus dem Ruder laufen. Dabei kann es passieren (je nach Tagesform), dass ich einen Hinweis auf den gelöschten Kommentar stehen lasse oder aber den Kommentar inkl. jeder Spur lösche.

Ich sehe nicht, wie diese Vorgehensweise (besonders, wenn sie sehr zurückhaltend angewendet wird) Leserinnen und Leser beeinträchtigt.

Anonym hat gesagt…

Hallo Cassiel, wie meinst Du deine Aussage am Ende " sich nicht zu schade sein eine/n länger Sitzende/n aufzufordern"? Für mich impliziert das, derjenige der länger nicht aufgefordert wurde oder Tanzangebote nicht angenommen hat, sei nicht gleich viel Wert, oder könnte als jemand "Niedrigeres" angesehen werden. Oder derjenige der "so jemand" auffodert könnte von der Milongagruppe als negativ gesehen werden von den anderen etc. Im allgemeinen Sprachgebrauch meint man damit ja oft gesellschaftlich nicht so angesehene Menschen oder Aufgaben z.B. Ich denke du hast es vielleicht anders gemeint, aber das ist genau das Gefühl was ich habe wenn ich zu lange nicht aufgefordert werde und vorverurteilt werde aufgrunddessen, nur weil es niemand versucht, oder andere "bessere, schönere, bekanntere, jüngere" da sind mit denen ständig und wiederholt getanzt wird. Ich träume von einer solchen Milonga, die du beschreibst, hab ich noch nie erlebt auch wenn ich viel aufgefordert wurde andere blieben auch oft lange sitzen, nur weil sie Anfänger sind oder nicht mehr 20.