Mittwoch, 24. Februar 2021

Der Tango in den Zeiten von Corona

Eigentlich … eigentlich wäre dieser Blogbeitrag schnell fertig. Die kurze Entgegnung auf den Beitragstitel würde lauten: „Gibt es nicht!" Ich denke aber, das ist zu kurz gedacht und deswegen schreibe ich ausnahmsweise einmal über eine ungewisse Zukunft.

Dieses Virus nervt gewaltig! Ich bemerke an mir selbst, wie ich langsam ungeduldig werde. Nach etwa einem Jahr ist das nun auch wirklich nicht weiter verwunderlich. Ich kann allerdings nicht genau festmachen, was mich mehr nervt. Sind es die Einschränkungen im täglichen Leben, die den Alltag phasenweise sehr viel stressiger machen, sind es die sorglosen Mitmenschen, die zumindest in der Vergangenheit viele Maßnahmen ausgehebelt haben (mittlerweile kann man wohl nicht mehr seriös abschätzen, ob die Schwierigkeiten beim Zurückdrängen der Pandemie auf diese Menschen zurückzuführen sind, oder ob es an der stärkeren Verbreitung von Virus-Mutationen liegt), oder sind es die Corona-Leugner (für die ich faktisch kein Verständnis mehr aufbringen kann).

Die einzige Hoffnung besteht momentan darin, dass die Geschwindigkeit beim Impfen die Geschwindigkeit der Verbreitung der aggressiveren Mutanten übertrifft und dass damit das Virus ausgebremst wird. Ob es einen mildernden Effekt mit dem beginnenden Frühling (wie im letzten Jahr) geben wird, ist im Moment nicht seriös abzuschätzen. Und weil ich (trotz alledem) ein Optimist bin, entscheide ich mich dafür, dass die Geschwindigkeit beim Impfen höher ist und wir irgendwann – vielleicht im Sommer – zu einem Leben zurückkehren können, wie wir es vor der Pandemie leben konnten. Ja, ich gehe sogar so weit, wieder an Tango zu denken, mich für Tango-Wochenenden (ab dem Spätsommer) anzumelden und mein sehr zahmes Fitnessprogramm wieder aufzunehmen. Mit den wärmeren Temperaturen der letzen Tage habe ich wieder meinen mittäglichen Spaziergang von mindestens einer Stunde aufgenommen (irgendwie muss der „Innere Schweinehund“ ja auch einmal Gassi geführt werden). Mein Tango daheim beschränkt sich nicht mehr nur auf das Hören der Musik. Ich habe mir bei YouTube Videos herausgesucht, online-Kurse gekauft und fange ganz langsam wieder an, mich in die Bewegungsmuster im Tango hineinzufühlen (dazu unten mehr). Nur so zwischendurch gefragt: Kann man Tango eigentlich verlernen?

In den vergangenen Monaten habe ich meine Musiksammlung aufgeräumt, durchforstet und Titel wieder gehört. Das hat eigentlich immer ganz gut funktioniert. Ich habe mir das Kernrepetoire (mit der Zufallsfunktion) mehrmals durchgehört, verschiedene Einspielungen verglichen, falsche Titelinformationen korrigiert und einige CDs und online-Sammlungen gekauft.
In diesem Zusammenhang möchte ich von zwei Käufen berichten. TangoTunes.com hat sich an das Werk von Aníbal Troilo gewagt und damit eine lange bestehende Lücke im Reigen besserer Transfers geschlossen. Für mein Empfinden war die Lücke gerade bei dem etwas lyrischeren Sänger des Orchesters, Alberto Marino, besonders schmerzlich. Die Transfers sind sehr gut … wenn man es jetzt noch besser haben möchte, dann geht dies wahrscheinlich nur über die sehr aufwendige Suche nach besser erhaltenen Schellacks in Buenos Aires. Die Transfers atmen eine Leichtigkeit und Durchlässigkeit und vermitteln eine Vorstellung davon, warum Troilo zu den beliebtesten Interpreten den 40ern in Buenos Aires gehörte.
An dieser Stelle berichte ich auch noch von einem weiteren Anbieter von Transfers mit Anspruch: TangoTimeTravel.be ist mit den Transfers sämtlicher Titel des Orchesters von Juan d'Arienzo aus den 40er Jahren als Debüt in dem Kreis der Anbieter von Tangomusik aufgetaucht. Auch hier ist es wieder ein etwas lyrischerer Sänger (Héctor Mauré) dessen Titel in guter Qualität schmerzlich gefehlt haben. Ich habe im Moment nicht die Möglichkeit, intensiv auf geeigneten Lautsprechern Tangomusik zu hören, deswegen bitte ich für eine detailliertere Besprechung noch um etwas Geduld. Mit meinen Schreibtisch-Lautsprechern klingen beide Kollektionen sehr ordentlich und ich bin froh, dass es noch immer neue Transfers der alten Tangomusik gibt.

Ansonsten ist das Leben hier vergleichsweise wenig spannend. Ich bin in der äußerst angenehmen Situation, dass ich in Zeiten der Pandemie mir um meine Arbeit überhaupt keine Sorgen machen muss. Es ist eher zu viel als zu wenig Arbeit. Und um Langeweile vorzubeugen habe ich in Zeiten des Lockdowns meine Kochkünste verfeinert (inzwischen koche ich sogar meine eigene Brühe und friere diese ein), aber das ist für ein Tangoblog thematisch nicht einschlägig.

Weiter oben habe ich geschrieben, dass ich noch zu den online-Angeboten von Unterricht schreiben wollte. Für Tangueras und Tangueros, die – ähnlich optimistisch wie ich es bin – sich für einen Neustart der Milongas im Verlauf des Jahres vorbereiten wollen, stelle ich hier drei meiner derzeitigen Favoriten aus dem breiten Angebot vor (selbstverständlich lese ich gerne in den Anmerkungen weitere Hinweise auf online-Material).

Zum Thema Musikalität

Ich schätze die Arbeit von Murat Erdemsel sehr. Er hat drei Videos veröffentlicht, die ich an dieser Stelle herzlichst empfehlen möchte. Er geht ins Detail und bietet einen Überblick über die Aspekte der Musikalität (alle Videos sind in englischer Sprache).

Form of tango music 1 - composition (the FORM) of music in milongas
Form of tango music 2 - TANDA
Form of tango music 3 - A TANGO

Leserinnen und Leser, die sich wieder in die Musik hineindenken wollen, finden dort hoffentlich spannende Einsichten oder vielleicht auch nur Vertiefungen bereits bekannter Zusammenhänge. Ich habe die Videos jedenfalls sehr genossen.

Zum Thema Körperarbeit

Melina Sedó hat auf ihrem YouTube-Kanal eine Serie von 8 Videos unter dem Titel „Melina's 10 minutes“ veröffentlicht. Zumindest bei mir ist eine ständige Wiederholung dieser Übungen bestimmt notwendig. Diese acht Videos fangen mit Basisarbeit an (Wirbelsäulenbeweglichkeit, Achse, Schritte) und arbeiten sich dann zu den komplexeren Bewegungsabläufen vor (zirkulare Kreuze und Milonguero Ochos). Ich denke, die Videos sind eine gute Unterstützung beim (Wieder-)Erlernen der Basisfähigkeiten im Tango.
Die englischsprachigen Videos finden sich auf Melinas YouTube-Kanal (keine Angst … das englische Vokabular im Tango ist m.E. sehr gut verständlich).

klassische Tangokurse im online-Format

Sollte jemand Geld ausgeben können und wollen, so kann man auch im Shop bei Melina und Detlef Tangokurse kaufen und somit nicht nur den eigenen Tango verbessern, sondern auch Kulturschaffenden im Tango zu Einkünften verhelfen. Ich habe die ersten 5 Kurse gekauft, heruntergeladen und übe daheim (mal mehr, mal weniger fleißig).
Es gibt mittlerweile 6 Kurse (von denen ich 5 kenne) und ich kann diese Kurse uneingeschränkt empfehlen. Natürlich muss man den Tango mögen, den Melina und Detlef tanzen und unterrichten, aber ich finde es eine lohnenswerte Angelegenheit, die Basis-Prinzipien laufend zu wiederholen (ich entdecke an mir selbst viel zu viele Nachlässigkeiten, die sich im Lauf der Zeit eingeschlichen haben). Man kann diese online-Kurse im Shop von Melina Sedó und Detlef Engel kaufen, herunterladen und dann unbegrenzt daheim üben.

Tangokurse online
Tangokurse online … daheim …


Das war ein kurzes Lebenszeichen aus dem Lockdown. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie gesund und munter durch diese Zeit kommen. Und irgendwann in diesem Jahr werden wir vermutlich wieder tanzen können.

Ach so … ich stelle gerade fest, dass vor ein paar Tagen dieses Blog 11 Jahre alt geworden ist. Nachdem ich sowieso kaum schreibe, ist das aber auch kaum erwähnenswert. Mal sehen, was die nähere und fernere Zukunft noch so bringen wird …

7 Anmerkung(en):

laperla hat gesagt…

oh, 11 Jahre schon 😀🌞 obwohl es in den letzten Jahren (zu) wenig Tango für mich gab und ich mich von den Milongas zurückgezogen habe, bleibt die Lust auf die „berühmten drei Minuten“. Vielleicht kann ich mich nach der Öffnung wieder darauf einlassen, so ganz zu Ende war es ja nicht ... meine internationalen Tangolehrer*innen, die mich am Ball bleiben ließen, würden sich sicher freuen ;-) Herzliche Grüße, La Perla

Anonym hat gesagt…

Sind es nicht zwölf Jahre? Ich tanze jetzt seit acht Jahren Tango und damals habe ich relativ früh diesen Blog entdeckt und er war schon vier Jahre alt. Dein Blog war ein ständiger Begleiter in meinem Tango. Danke dafür!
Ich bin gespannt auf die nächsten zwölf Jahre. Bitte schreibe weiter. Deine Texte sind ziemlich einzigartig. Leider findet man ältere Texte zum Nachlesen nur sehr mühsam. Da ist die Struktur an der Seitenleiste etwas unpraktisch.

Anonym hat gesagt…

Konntest du nicht bleiben wo du warst? Wie ein Untoter kommst du zurück. War es dir zu modrig in deiner Gruft? Niemand hat dich vermisst. Merke: Keiner will deinen altmodischen Scheiss lesen und dein Alleinvertretungsanspruch ist unerträglich!

cassiel hat gesagt…

Es sind ja doch ein paar Kommentare aufgetaucht. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich antworte kurz (muss nachher schon wieder arbeiten):

@LaPerla
Du bist ja eine sehr treue Leserin. Vielen Dank! Hoffentlich findest Du in Post-Corona-Zeiten wieder zum Tango zurück. Vielen Dank und viele Grüße.

@Anonym [Anmerkung #2]
Was soll ich sagen? Du hast Recht! Es sind tatsächlich schon 12 Jahre. Als einzige Erklärung kann ich nur vortragen, dass das vergangene Jahr ja praktisch nicht zählt. :-) Dein Einwand mit der komplizierteren Auffindbarkeit älterer Blogpost ist berechtigt. Ich habe mir da auch schon einmal meine Gedanken gemacht. Wenn ich aber einen Übersichtsartikel als normalen Beitrag verfasse, dann verschwindet dieser Text im Laufe der Zeit ebenso. Es bliebe dann nur der Weg über eine „Seite“ (so wie „Links“ oder „Tango-Zitate“) da sind dann aber die Layout-Möglichkeiten stark eingeschränkt. Außerdem müsste ich irgendwie erst einmal eine Kategorisierung der Bestandstexte erfinden (damit ein Übersichtsartikel irgendwie strukturiert wäre). Das ist bei der Unterschiedlichkeit der Texte gar nicht so einfach. Aber vielen Dank für die Anregung, ich werde sehen, was ich tun kann … Vielen Dank für Deinen Beitrag und viele Grüße.

@Anonym [Anmerkung #3]
Auch Dir ein herzliches Grüß Gott hier im Blog. Kann es möglicherweise sein, dass Du Dich im Ton vergriffen hast? Bei mir keimt jedenfalls der Verdacht auf. Schön, wenn Du feststellst, dass mich niemand vermisst hat (davon war ich ausgegangen). Die Geschichte mit dem „Alleinvertretungsanspruch“ könntest Du mir bei Gelegenheit erklären - ich sehe den hier nicht.

Leonie hat gesagt…

Lieber Cassiel,

vielen Dank für Deinen Beitrag, ich lese Deinen Blog total gern!

Gerade Erklärungen zu bestimmten Interpreten oder Komponisten, auch und gerade weil mein Wissen auf diesem Gebiet noch sehr gering ist.

Weiter so!

cassiel hat gesagt…

Hallo Leonie,

vielen Dank für Deine Rückmeldung. Ich gestehe, ich war nicht sehr fleißig in der Vergangenheit. Aber ich gelobe Besserung (gerade bereite ich ein neues Interview in der Reihe Tacheles mit Tanguer@s vor; es wird wohl noch ein wenig dauern).

Viele Grüße und einen (hoffentlich) sonnigen Tag

c.

Yokoito hat gesagt…

Lieber Anonym #3, ich hatte nur kurz Zeit für einen Spaziergang durch die Tangoblog-Welt und ich weiß jetzt wieder, warum mich das nicht mehr so interessiert. Ich fand Deinen Kommentar dennoch ausgesprochen unterhaltsam. Er scheint mir jedoch auf einen mittelschweren Fall von Coronakoller hinzuweisen. Sowas sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich empfehle rausgehen und ausgiebig schreien, natürlich an einem Ort, wo man anderen nicht auf die Nerven geht oder sie erschreckt. Vielleicht hilft auch, den Kopf ein paarmal kräftig gegen die Wand zu schlagen.