Donnerstag, 13. Mai 2010

Tangueros zum Abgewöhnen V: Kasimir, der Casanova

Neulich am Rande der Tanzfläche: Eine Tanguera (nennen wir sie einfach Eleonore) saß tapfer kerzengerade auf ihrem Stuhl und schaute einfach durch die tanzenden Paare durch. Es schien so, als wäre sie nicht wirklich anwesend. Ihr Gesicht verriet keinerlei emotionale Regung und der aufmerksame Beobachter konnte nur erahnen, was in ihr vorging... und dies auch nur, wenn er die Vorgeschichte mitbekommen hatte.

Ein paar Wochen zuvor war Eleonore noch die Favoritin von Kasimir und er tanzte fast ausschließlich mit ihr. Dann kam die nächste Tanguera und Eleonore musste zusehen, wie ihr die Gunst des Maestros kalt entzogen wurde. Aktuell steht... nennen wir sie... Kunigunde in der Gunst des Meisters.

Keine Frage, Kasimir ist ein guter Tangotänzer und das weiß er auch. Er hatte genügend Zeit und Gelegenheit seine Fertigkeiten zu perfektionieren. Kasimir ist offen, locker und meistens ein wenig zu laut. Er ist der Schwarm vieler Frauen. Wenn er in seinem sorgfältig komponierten Äußeren eine Milonga betritt, dann hat sein Erscheinen etwas Messianisches. Kasimir tritt in verschiedenen Outfits auf. Manchmal erscheint er im hellen Anzug, die Sonnenbrille im Haar; manchmal kommt er in extrem lässigen Sportklamotten und manchmal ist er fast unauffällig mit Jeans und T-Shirt. Viele Damen beobachten ihn mit sehnsuchtsvollen Blicken. Und Kasimir hat lange trainiert, das scheinbar gelassen zu ignorieren. Beobachtet man ihn allerdings länger, dann fällt diese Rastlosigkeit auf. Permanent scannt er seine Umgebung und kontrolliert die Wahrnehmung seiner Person; das muss anstrengend sein. Aber er ist sich seiner Wirkung durchaus bewußt. Dementsprechend bewegt er sich auf der Tanzfläche: Seine Führung ist raumgreifend, effektvoll und kontrolliert. Ob sie nun immer genau zur Musik passt? Das ist kaum auszumachen. In ganz wenigen Augenblicken sieht man Kasimir ratlos während eines Tanzes. Es sind die Momente, in denen die Musik ein bewegungsloses Warten anbietet. Die bereits erwähnte Rastlosikeit führt dazu, daß Kasimir diese Pausen nicht aushalten kann.

Aber kommen wir noch einmal zu Kunigunde zurück. Kunigunde sitzt und hofft, seit Kasimir erschienen ist. Nachdem er seine joviale, professionell freundliche Begrüßungsrunde absoviert hat geht schließlich er mit ausgestreckter Hand auf sie zu und bitte zum Tanz. Er tanzt lange mit ihr. Und sie versinkt im Glück des Augenblicks; nicht wissend, daß dieses Glück mit einiger Wahrscheinlichkeit bald ein jähes Ende finden wird.

Vielleicht fragt sich nun mancher Tanguero, wie Kasimir es schafft, scheinbar mühelos die Gunst der Damen zu erobern. Ist es verbal oder sogar physisch gekonnt übergriffig? Aber das bleibt Kasimirs Geheimnis.

Eine etwas unangenehme Eigenschaft ist erwähnenswert: "Das Revierpinkeln". Wie ein Leitwolf beansprucht er die Alpha-Position in einer Gruppe. Tanzt ein Tanguero zu lange und zu innig mit einer Tanguera, so muß er diese unmittelbar anschließend auffordern und seine Rolle als Leitwolf verteidigen. So gesehen ist eine Milonga eben auch nur ein Zoo. Sein Umgang mit anderen Tangueros ist eher schwierig. Irgendwie vermittelt er sehr häufig den Eindruck, daß es ihm um einen wie auch immer gearteten abstrusen "Längenvergleich" geht. Das ist etwas mühsam.

Vielleicht müssen wir auch ein paar Archetypen von hoffenden und schließlich enttäuschten Tangueras aus seiner Vergangenheit beschreiben damit das Phänomen Kasimir greifbarer wird. Da wäre zunächst Frida, die Frustrierte: Sie hat nach ihrer Enttäuschung mit Kasimir dem Tango komplett und endgültig abgeschworen. Dann gibt es noch Wilma, die Wütende: In ihrer Denkwelt gibt es nichts mehr, was positiv an Kasimir wäre. Ihr Tango ist phasenweise etwas ehrgeiziger und hektischer geworden. Und schließlich blieb einzig Ina, die Indolente; seit Ewigkeiten ist sie, scheinbar vollkommen schmerzfrei, solidarisch mit Kasimir und hält zu ihm - hoffend, daß er eines Tages erkennt, sie ist die einzig wahre Freundin.

Gibt es Hoffnung für Kasimir? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Sicherlich hinterlässt die Jagd nach einem immer neuen Kick auch Spuren in der Seele. Gerade aus diesem Grunde wird das Agieren auch immer hektischer. Aber nun ist ein Tango-Soziotop kein schier unendlicher Ozean und irgendwann gibt es eine natürliche Grenze. Dann wird Kasimir hoffentlich den anderen, den stillen Tango kennenlernen. Vielleicht kann er einen Zugang finden.

3 Anmerkung(en):

Tango Therapist hat gesagt…

Cassiel -- thanks for this link. Here is my translation into English of this post! http://tango-beat.blogspot.com/2011/09/kasimir-der-tango-kater.html

cassiel hat gesagt…

Es bleibt mir nur, mich ganz herzlich für die Mühen der Übersetzung zu bedanken.

Ach so...
Damit es für die Leserinnen und Leser hier etwas angenehmer ist, gibt es einen Link zu Deinem Artikel: Kasimir der Tango Kater.

Anonym hat gesagt…

Einige von uns sind immernoch etwas im Dunkeln geblieben, darueber, was du hier genau beschreibst. Vielleicht sind solche Figuren eher in einer kleinen, provinziellen Tangoszene gefaehrlich und daher (da ich haupsaechlich in Buenos Aires tanze) etwas schwer fuer mich, mir vorzustellen. Ich faende es schoen, wenn du dich ein bisschen mehr dazu auessern wuerdest, vor allem als Kommentar zu Marks Blog. (Wo einige Frauen sich fragen, wie es eigentlich sein kann, das ein Kasimir so viel Schaden ausrichten kann und dabei etwas baff geblieben sind).