Donnerstag, 26. Februar 2009

Tangueros zum Abgewöhnen II: Dieter, der Distanzlose

Neulich bei der Milonga: Ich betrete den Saal, entrichte meinen Eintritt (den man wohl als Beitrag zur Miete des Raumes betrachten muß) und bestelle mir gleich anschließend ein großes Mineralwasser. Schon habe ich eine Faust im Bauch (nicht wirklich heftig, aber doch eben auch nicht das, was man eine herzliche Begrüßung nennt). Erschrocken drehe ich mich um etwa 90 Grad im Uhrzeigersinn und schaue direkt in das Gesicht von Dieter. Der Schmollmund und der Dackelblick. Na Mahlzeit! Das kann ja heiter werden! Durch mein Gehirn wandern flink die verschiedenen Handlungsoptionen. Zurückboxen? Nein, ich schlage keine Tiere. Anschreien? , das kann es nun auch nicht sein. Sachlich erklären, daß er doch bitte etwas mehr Abstand halten soll? Die Worte wären vergebens. Ich entscheide mich für einen Satz, der so ähnlich klingt wie: "Auch ich grüße Dich". Doch bevor ich ihn aussprechen kann ist Dieter schon weiter und begrüßt eine Tanguera. Ob Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit... die "Küsschen links - Küsschen rechts" Nummer läuft so ab, daß die Dame einige widernatürliche Verrenkungen vollführen muß, um nicht einen Kuss direkt auf die Lippen zu bekommen. Jetzt wird es langsam ärgerlich! Ich überlege mir, ob ich Dieter mal diskret zur Seite nehme und ihm ein paar Takte sage. Das würde allerdings deutlich gegen das Höflichkeitsgebot beim Tango verstoßen. Also gibt es hier nun einen offenen Brief.
Mensch Dieter,
mach' Dich doch bitte nicht zum Affen. Es schmerzt wirklich, Dich anzusehen. Dein kugelrundes Bäuchlein (ist ja nicht wirklich schlimm, aber ein paar Weißbier weniger und alles wäre gut), Dein Jack-Wolfskin Fleecepullover, Dein Gehampel und Deine Distanzlosigkeit fallen auf. Hast Du schon einmal den Satz gehört: "Weniger ist mehr"? Nein? Das merkt man. Nur weil wir die gleiche Leidenschaft (i.e. Tango) teilen, heißt das noch lange nicht, daß ich unbedingt Dein Freund sein will. Ich kann sehr gut entspannen, wenn Du ebenfalls beim Tango bist. Aber komm' mir doch bitte nicht zu nahe.
Und... Ja, es stimmt, der Mann führt beim Tango. Aber die Frau bestimmt in der Frage von "Distanz und Nähe". Was das heißt? Nun, nicht jede Frau möchte in Deiner Umarmung wie in einem Schraubstock gefangen sein. Und nicht jede Frau sehnt sich danach, von Dir zur Begrüßung feucht abgeschlabbert zu werden. So einfach ist das! Schau' Dich doch bitte einmal ein wenig im Internet um. Da gibt es kilobyteweise Beiträge über die besondere emotionale Situation der Milonga. Die Nerven liegen etwas schutzloser da als im restlichen Leben. Wehmut und Erinnerungen kommen unwillkürlich hoch.
Wenn dann ein Tanguero wie ein Panzerkreuzer daher kommt, dann stört das ungemein. Vielleicht trainierst Du mal, etwas sensibler und leiser zu werden. Das ist gar nicht so schwer. Du wirst ganz schnell merken, daß ein solches Verhalten von den Damen sehr geschätzt wird. Und dann... irgendwann... kommen sie freiwillig in Deine Umarmung.

So einfach ist das!
Nachtrag: Dieter hat es dann doch nicht verstanden. Gestern mußte ich etwas sagen und eigentlich ist das schade. Er hat mich gezwungen, gegen mein selbstauferlegtes Höflichkeitsgebot beim Tango zu verstoßen. Das nehme ich ihm schon ein wenig übel.

Natürlich heißt Dieter im echten Leben nicht Dieter. Der Name wurde hier frei erfunden.

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