Samstag, 20. März 2010

Carlos Gavito - weitere Weisheiten zum Tango

Die mir liebste Tanguera von allen am frühen Abend: "... Du kannst ja mal wieder einen Blogartikel schreiben..." Hmmm... stimmt! Nach meiner langen Pause fühle ich mich IRGENDWIE ;-) eher unbeholfen, aber irgendwann muß ich meine Sprache wiederfinden. Also nehme ich nach einer ereignisreichen Woche einen eher umspektakulären Anlass und versuche wieder zu schreiben. Und weil es ungewohnt ist, zitiere ich zunächst einmal einen großen Tanguero.

In dieser Woche ging eine türkische Website zum Tango offline. Auf dieser Seite fand ich mal ein Interview mit Carlos Gavito in dem ich dann jetzt doch noch etwas nachlesen wollte. Mittlerweile ist die Seite wieder online. Ich möchte einige ausgewählte Passagen in deutscher Übersetzung hier bringen. Man kann mir berechtigterweise Redundanz vorhalten; meine jüngsten Erfahrungen im Tango lassen aber eine erneute Erwähnung dieser grundlegenden Weisheiten angebracht erscheinen.


Für diejenigen unter den Leserinnen und Lesern, die mit dem Namen Carlos Gavito nichts anfangen können sei kurz erwähnt, daß er einer der berühmtesten Tangueros mit einem sehr eigenwilligen Stil war. Er tanzte sein Leben lang Tango und verdiente damit von 1965 bis kurz vor seinem Tod 2005 seinen Lebensunterhalt.

Die hier wiedegegeben Passagen stammen aus einem Interview, das er etwa 1995 oder kurze Zeit später gegeben haben muß (in der Zeit tanzte er mit Marcela Durán - sie hörte Ende der 90er aus familiären Gründen mit dem Tango auf).
Carlos Gavito: Ich habe immer zwischen dem Tango und dem Show-Tango unterschieden. Der eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Show-Tango wird aufgeführt um Eintrittskarten zu verkaufen während Tango zur eigenen Freude getanzt wird. Aus diesem Grunde habe ich die Ganchos und Kicks im Tango nie verstanden. Ich habe meinen Schüler immer klargemacht, daß ich Ganchos nicht unterrichte.
CG: [...] I always make the distinction between social tango, and the tango performed on stage. One has nothing to do with the other. Stage tango is done to sell tickets, while social tango is dancing for your own enjoyment. That's why I've never understood the "ganchos" (hooks) and kicks in social tango. I always make it clear to students that I don't teach ganchos.[...]

Frage: Was zeichnet einen guten Tangotänzer aus?
CG: Ein guter Tangotänzer ist der, der der Musik zuhört.
Frage: Ist das das einzige Kriterium?
Carlos Gavito: Ja. Wir tanzen die Musik, keine Schritte. Jeder, der vorgibt gut zu tanzen denkt niemals über die Schritte nach, die er machen wird. Er kümmert sich darum, daß er der Musik folgt. Sehen Sie, wir sind Maler, wir malen die Musik mit unseren Füßen. Musiker spielen ein Instrument mit ihren Fingern, ihren Händen. Tänzer benutzen ihre Zehen.
R: What makes a good tango dancer?
CG: A good tango dancer is one who listens to the music.
R: Is that the only criteria?
CG: Yes. We dance the music, not the steps. Anybody who pretends to dance well never thinks about the step he's going to do, what he cares about is that he follows the music. You see, we are painters, we paint the music with our feet. Musicians play an instrument and use their fingers, their hands. Dancers use their toes.

Frage: Ist es also leichter schnell zu tanzen als langsam zu tanzen?
Carlos Gavito: Richtig. Ich sehe manchmal, daß eine Person, die schnell tanzt versucht, ihre Fehler zu verstecken. Der Tänzer, der langsam tanzt tut dies weil er 100%ig sicher ist, daß es perfekt ist, was er macht.
R: It’s easier to dance fast than dance slowly...
CG: Right. I sometimes see that the person who dances fast is actually trying to hide mistakes. The dancer who dances slowly does it because he's a hundred percent sure that what he's doing is perfect.

Frage: Können Sie Ihren besten Tango-Moment beschreiben?
Carlos Gavito: Das ist so schwierig. Ich schwöre bei Gott, daß ich jeden einzelnen Tango genossen habe. Deswegen tanze ich auch nicht die ganze Nacht, wenn ich auf eine Milonga gehe. Ich tanze einige ausgewählte Tangos. Wichtig ist, daß ich immer gut tanze. Wenn ich müde werde, dann setze ich mich und schaue zu; das mache ich bevor ich schlecht tanze. Ich tanze zur Inspiration durch die Musik. Ich brauche Inspiration. Als erstes brauche ich die richtige Musik und dann muß ich die richtige Partnerin finden. Wenn ich die richtige Partnerin nicht finde, dann tanze ich nicht. Wenn ich die Musik nicht mag, dann tanze ich [auch] nicht.
R: Can you describe your best tango moment?
CG: It's so difficult. I swear to God that I enjoy every single tango I dance. That is why, when I go to a milonga, I don't dance the whole night. I dance a few selected tangos. What is important is that I always dance well. If I get tired, I go sit and watch, because I'd rather do that than dance badly. I dance to the inspiration of the music. I need inspiration. So first, I need the right music, and then I have to find the right partner. If I can't find the right partner, I won't dance. If I don't like the music, I won't dance. [...]
Das vollständige Interview gibt es übrigens hier als pdf.

Weitere Zitate von Carlos Gavito in diesem Blog:

Warum tanzen wir Tango?

Das Geheimnis des Tangos

Und noch ein YouTube-Video

7 Anmerkung(en):

Lydia hat gesagt…

Schön, Deine Stimme wieder zu hören. Jetzt merke ich erst, wie sehr ich sie vermisst habe.

Tangosohle hat gesagt…

Als Blogger kannst du dir alle Zeitabstände erlauben und schreiben, wann und was du magst. Ich freu mich ebenso über die Wirkung der liebsten Tangueras Worte.

Sehr schöne Worte von Gavito, schade, dass meine ersten Tangolehrer davon nichts wussten.

Besonders gefällt mir der Satz "wir tanzen die Musik". Eine meiner zweiten Tangolehrerinnen sagte mal so wunderschön, aus einem Quintett (aus der Box) macht ihr ein Sextett, das Tanzpaar ist das zusätzliche Instrument, das die Musik gestaltet. Mit dieser Art zu Hören ergeben sich oft besonders schöne Tänze.

Was er mit I have to find the right partner genau meint, entzieht sich meiner Sprachkenntnisse. Ich verstehe diesen Satz so: Es reicht nicht eine sehr gute Tänzerin zu sein, sondern es muss die richtige sein. Denn an guten Tänzerinnen wird es ihm sicher nicht gemangelt haben.
Auf der Suche, was für ihn die ideale Tänzerin ausmacht, bin ich an anderer Stelle in dem Interview fündig geworden (also in dem pdf Dokument, das oben verlinkt ist)
Zu diesem Zeitpunkt heißt sie Marcela Durán und er sagt über ihre Tanzbeziehung

... You know, even if we are having a different idea, a different understanding, or a different feeling, we are still thinking alike.
What we get is the mood.
She doesn't listen to my thoughts, I don't listen to her thoughts, but somehow we communicate the same mood to each other.
... our souls communicate, we don't need to talk.
So, right now I feel like I'm dancing with my ideal, but really, my ideal does not have a face. She's a dream of something I want in real life, but that ideal does not have a face...


Reicht es, das mood mit Stimmung zu übersetzen?
So verstehe ich the right partner als „die für mich passenden Partnerin“

Das ist wirklich spannend und anregend, vielen Dank für dieses Interview!

Beste Frühlingsanfangsgrüße!

Austin hat gesagt…

Mit dem Langsam-Tanzen, da spricht er was an, der Herr Gavito. Diese 100%-ige Sicherheit, dass es richtig ist, was man tut, die braucht man definitiv, wenn man es aushält, vier Schläge einfach nur mit Körperspannung dazustehen und zu warten, bis das Ritardando vorbei ist und die Musik wieder im Tempo weitergeht. Ich glaube, wenn ich das probieren würde, käme mir so ein Moment vor wie eine halbe Stunde, und ich hätte größte Angst, dass mich meine Partnerin für einen profilneurotischen Spinner hält.

Andererseits: man weiß es nicht. Vielleicht gibt es mehr Tangueras, als man denkt, die es ganz angenehm finden, wenn sich einer mal Zeit lässt, anstatt einen Schritt nach dem anderen abzuspulen (aus Angst, für unkreativ oder nicht ausreichend versiert gehalten zu werden).

Ich denke, es hat etwas mit Souveränität zu tun. Dass man es nicht nötig hat, beim Wettbewerb um noch mehr Schrittfolgen und abgefahrenere Kombinationen mitzumachen, sondern dass man einfach sein Ding macht, egal wie das auf die Zusehenden wirken mag.

Und je länger ich drüber nachdenke, umso mehr finde ich, dass Gavito recht hat: virtuose Kunststücke sind in die Musik nicht hineinkomponiert. Die Musik enthält Tempowechsel, das Innehalten, das Wiedereinsetzen, leise Solopassagen und energiegeladenes Forte; in den Tanz übersetzt bedeutet das in erster Linie, dass man die Schrittgeschwindigkeit dem Tempo anpasst und vielleicht die Dynamik der Bewegung der Lautstärke. Virtuose Kunststücke machen Spaß und sehen gut aus - aber um die Musik umzusetzen, braucht man sie nicht.

Ob ich mich das jemals trauen werde, mal alles wegzulassen, was man zum Übersetzen der Musik in Bewegung nicht braucht? Kann ich mir gerade nicht so recht vorstellen.

Lydia hat gesagt…

Den Reiz der Langsamkeit habe ich - wie manch andere auch - erst nach einiger Zeit entdeckt. Obwohl ich Gavitos Äußerung im vollständigen Interview über langsames Eisschlecken, um mehr davon zu haben, zu jeder Zeit meines Lebens unterschrieben hätte.

Meinen ersten Zeitlupentango werde ich nie vergessen. Der Tanguero, mit dem ich damals zum ersten Mal tanzte, stand anfangs nur da, die Augen geschlossen, dann, nach einer Weile erst, fing er an sich zu bewegen, indem er jeden Ton bis zum Äußersten auskostete. Dabei entstand eine unglaubliche Energie zwischen uns und eine Intensität des Erlebens, wie ich sie bis dahin beim Tango nicht gekannt hatte. Deshalb trau Dich, lieber Austin, es gibt sicher mehr Tangueras als Du denkst, die die Langsamkeit zu schätzen wissen - wahrscheinlich sogar einige, die es selber noch gar nicht wissen.

cassiel hat gesagt…

Vielen Dank für die Anmerkungen!

@Tangosohle
Ich lese es so: Mit zunehmender Erfahrung gibt es eben unterschiedliche Konstellationen für die unterschiedlichen Tangos. Schon jetzt gibt es Tangueras, mit denen ich besonders gerne einen Pugliese tanze (nicht, daß es wirklich könnte). Ich denke, dieses Ausdifferenzieren wird mit wachsender Erfahrung noch weiter gehen.

@Austin
Ja, das Wohlfühlen im Tango ist die Hauptsache. Was hat eine Tanguera von atemberaubenden Drehungen, wenn sie nicht die Musik genießen kann? Es ist wirklich schwer, das Tempo aus dem Tango zu nehmen. Der Versuch lohnt aber.

@Lydia
Vielen Dank für Deine Anmerkungen.

Unknown hat gesagt…

Irgendwann hat mir jemand die Gavito-Base gezeigt. Diese unwahrscheinlich langsame 6 oder 7 Schritte, die einfach, aber zugleich sehr spannend sind. Damals dachte ich mir - das kannst du mit keine Tanguera tanzen. Warum eigentlich nicht? Irgendwann habe ich es probiert. Was die Tanguera damals dachte, weiß ich nicht mehr. Meine Gedanken waren: Boa ist das toll – Augen schließen und Musik hören, dann nach einige Takte – Seitwärtsschritt, dann ganz, ganz langsam ein winzigkleine spannungsvolle vorwärtsschritt… Musik hören – erster Takt, zweiter Takte, Achse der Frau spüren, vierte Takte, Spannung baut sich auf… Und dann diese kraftvolle Schritt um die Frau…
Ich weiß, ich langweile schon :)
„Mit den Noten gehe ich nicht besser um als andere Pianisten. Bei den Pausen zwischen den Noten - da ist die Kunst angesiedelt“ sagte einmal Artur Schnabel und ich denke, das passt auch zu Tango. Jeder Ton vertanzen ist zwar schön, viel schöner ist diese ruhige, langsame Abwarten, die Partnerin spüren und auf die Musik hören. Wenn die Tanguera auch mitmacht ist noch schöner, ich bin mir sicher, jeder Tanguera sehnt sich nach diese ruhiges Gefühl. Und ich denke, es geht nicht so sehr um die Langsamkeit sonder um die Ruhe. Jeder Schritt ruhig setzen, die Partnerin abwarten, spüren wo sie steht, die Musik hören, nächste schritt vorbereiten, Musik hören… Dieser Prozess (eigentlich handelt es sich um viele parallel verlaufende Prozesse, ich kann leider nur sequenziell schreiben :) läuft erstaunlicherweise schnell, sogar eine schnelle Milonga kann man so vertanzen. Der Mehrwert was man dadurch hat, ist diese innere Ruhe trotz die spannungsvolle Schritte, die sich dann auch an den Partnerin überträgt. Ich erleben immer wieder wie schnell und angespannt tanzende Tangueras nach 20-30 Takte ruhig vertanzte Musik auf einmal sich entspannen und viel ruhig und gelöster tanzen. Das ist für mich die Magie der Tango – geistige Zustände, Gefühle, ja gar Gedanken an den Partner übertragen und sich wie ein vierbeiniges Tier mit den Musik ruhig und trotzt dem kraftvoll bewegen. Das hebe ich von Gavito gelernt. Vielen Dank maestro viejo.
abrazo

Tangosohle hat gesagt…

Ich verstehe das hier Gesagte über die Langsamkeit als Beschreibung von Erlebtem. Auch mir ist das vertraut und meine Erfahrung ist, es hängt sehr von der Partnerin und der Verbindung ab.

Bevor ich aber jemandem den Tipp geben würde, Tanz mal langsam, das mögen die tangueras plädiere ich doch sehr viel mehr den Appell Tanze musikalisch und finde heraus, was das ist. Das langsame Tanzen stellt sich dann schon ein - oder auch nicht. Langsamkeit um der Musik Willen ist Fülle, Langsamkeit um der Langsamkeit willen ist ermüdend.