Donnerstag, 13. Januar 2011

Die Tragödie der Raquel Liberman, oder: Das Märchen vom Ursprung des Tangos im Bordell

Nachdem die Diskussion in dem Beitrag Nackter Tango - ein verbalisiertes Unbehagen nach über einem Jahr wieder entflammt ist, ist es vielleicht notwendig einmal über den Tango im Bordell zu schreiben und einige historische Tatsachen zu erwähnen um einer romantischen Verklärung der Geschichte vorzubeugen. Das gehört für mich zur Diskussion dazu. Natürlich habe ich überlegt, ob es überhaupt Sinn macht, zum Thema noch einmal zu schreiben. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, daß Schweigen keine Option sein kann - zu grausam war das Schicksal der betroffenen Frauen.

Mit schöner Regelmäßigkeit wird noch immer das moderne Märchen vom Ursprung des Tangos im Rotlicht-Milieu von Buenos Aires kolportiert. Dieses vermeintlich authentische, erotisch aufgeladene Setting wird immer wieder gerne bemüht, um müde Phantasien ordentlich zu beflügeln. Es bleibt aber trotz aller Wiederholungen ein Märchen und hält sich ähnlich hartnäckig wie die Geschichte von der Vogelspinne im Stamm der Yukkapalme.

Vielleicht helfen da ein paar Fakten weiter. Der Ursprung des Tangos liegt weit vor der Hochphase der organisierten Prostitution in Buenos Aires. Dazwischen liegt so ungefähr ein halbes Jahrhundert. Insofern muss man zu diesen historisch nicht haltbaren Mythen eigentlich kaum etwas anmerken. In den kritischen Jahren der Blütezeit der organisierten Prostitution und des brutalen Menschenhandels in Buenos Aires war der Tango schon längst erwachsen. Wer es ganz genau wissen will, dem sei die Lektüre eines Beitrags auf der Website VeryTango empfohlen. Es verwundert nicht, daß in den Bordellen auch Tango getanzt wurde, es war zu der Zeit üblich (wenn die ausgebeuteten Frauen überhaupt Zeit dazu fanden; Quellen berichten von 70 Freiern pro Tag, andere Quellen erzählen von 600 Freiern pro Woche).

Aber wenn wir schon beim Thema sind, dann könnte ich vielleicht einmal das Schicksal der Raquel Liberman erzählen. Sie war eine Prostituierte in den zwanziger Jahren in Buenos Aires. Arm, ausgebeutet, bestohlen und wiederholt zur Prostitution gezwungen starb sie im Alter von 35 Jahren an Schilddrüsenkrebs.

Raquel Liberman
Raquel Liberman
mit ihren beiden Söhnen
[Quelle: Wikipedia]
Raquel Liberman wurde am 10. Juli 1900 in Berdytschiw (in der heutigen Ukraine) geboren. Im Kindesalter zog sie mit ihren Eltern nach Polen. Am 21. Dezember 1919 heiratete sie den Schneider Yaacov Ferber in der Synagoge von Warschau. In der Folge gebar sie zwei Söhne und im Juli 1921 reiste Yaacov Ferber nach Argentinien zu seiner Schwester und zu seinem Schwager, die in dem kleinen Dorf Tapalqué (Bezirk Bs As) lebten, um dort Arbeit zu finden. Am 22. Oktober 1922 immigrierte Raquel Liberman im Hafen von Buenos Aires und fand ihren Mann schwer an Tuberkulose erkrankt vor. Nur wenige Monate nach ihrer Ankunft verstarb er. Die 23 jährige Witwe war nun wirtschaftlich für sich und ihre beiden Söhne verantwortlich. Das Verhältnis zu ihrer Schwägerin und deren Ehemann war wohl nicht unproblematisch, deshalb ließ sie die Kinder bei einer Nachbarin zurück um in Buenos Aires Arbeit als Näherin zu finden. Sie sprach kein Spanisch und war deshalb auf Hilfe von ebenfalls jiddiisch sprechenden Landsleuten angewiesen. So geriet sie an ihren ersten Zuhälter Jaime Cissinger, bei dem es ihr noch vergleichsweise gut ging. Sie konnte genügend Geld zur Seite legen um ihren Traum, ein Antiquitätengeschäft zu finanzieren. Das Problem der organisierten Prostitution und des Menschenhandels war zu der Zeit in Buenos Aires besonders virulent. Zwi Migdal ein maffiöser und brutaler Menschenhändlerring im Umfeld der Synagoge von Buenos Aires arrangierte vermutlich ihre zweite Ehe mit José Salomon Korn. Dieser zwang sie zur Umsiedlung in das Bordell an der Valentín Gómez Straße und stahl ihr Schmuck und die angesparten 90.000 Pesos.

In ihrer Not wandte sie sich an Simon Brutkievich, er möge ihr bei der Polizei helfen - nicht wissend, daß dieser der Chef der Zwi Migdal war. Er bot ihr die Rückgabe eines Teils ihrer Habe an, falls sie ihre Anzeige zurückziehen würde. Zusätzlich bedrängten brutale Schläger der Zwi Migdal sie massiv.

Es folgte ein jahrelanges und nervenaufreibendes Tauziehen zwischen ihr und der Zwi Migdal vor der Polizei bzw. vor den Gerichten (mit kleineren Erfolgen und größeren Rückschlägen). Aufgrund ihrer Aussagen bei der Polizei wurden schließlich 108 der 434 aktiven Mitglieder der Zwi Migdal verurteilt (das half kaum, die Verurteilten gingen bereits nach wenigen Monaten ihrer alten Tätigkeit wieder nach). Unterstützt von Ezrat Nashim (ursprüngl. in London gegründet mit Filialen in Rio, Montevideo und Bs As - eine jüdische Hilfsorganisation zur Rehabilitation von gefallenen Frauen) gelang es ihr einige Prostituierte aus ihrer Gefangenschaft bzw. Sklaverei zu befreien. Namentlich bekannt sind Ita Kaiser, Bonny Spigler, Perla Pezzeborska u.a.

Raquel Liberman bemühte sich (trotz ihrer russischen Nationalität) um eine Rückreise nach Polen. Dazu kam es jedoch nicht mehr, sie starb am 7. April 1935.

Die detailierte Geschichte von Raquel Liberman findet sich übrigens in dem Buch von Nora Glickman: The Jewish white slave trade and the untold story of Raquel Liberman, New York, 2000.

Am 30. Dezember 2010 veröffentlichte eine Bloggerin aus Buenos Aires einen Artikel (in der Google-Übersetzung verlinkt) zur Zwangsprostitution osteuropäischer Jüdinnen im Buenos Aires zwischen den Weltkriegen.

Aus dieser Biografie wird die katastrophale und beinahe ausweglose Situation der von Pogromen bedrohten jüdischen Frauen im Europa bzw. Osteuropa zwischen den Weltkriegen mehr als deutlich. Sie tauschten die Verfolgung in Europa gegen die brutale Entrechtung, Vergewaltigung und Ausbeutung durch die Zwi Migdal ein. Ich vermute stark, daß die Situation von manchen Zwangsprostituierten asiatischer oder osteuropäischer Herkunft heute kaum besser ist.

Ich denke, die Fakten sprechen eine eigene Sprache. Für mich jedenfalls verbietet es sich, das Rotlicht-Milieu im Buenos Aires der 20er und 30er Jahre als quasi authentische Stimulanz im Tango für gelangweilte und saturierte Europäer heranzuziehen. Entweder entspringt das einer maßlos ignoranten Unwissenheit (um nicht die Vokabel Dummheit verwenden zu müssen) oder einer scheißegal-Hauptsache-ich-hab-meinen-Spaß-Mentalität (pseudo-gebildete Leute verwenden hier gerne das Fremdwort Hedonismus). Als wenig schmeichelhafte dritte Möglichkeit bleibt nur ein menschenverachtender rücksichtsloser Zynismus, den ich niemandem unterstellen möchte. Ich habe hier sehr bewußt auf die Schilderung von der äußerst brutalen Grausamkeit der Zuhälter verzichtet; hier sollen kranke Phantasien keinesfalls weitere Nahrung erhalten. Spätestens nach der Schilderung dieser Fakten sollte klar sein, daß das Heranziehen des Rotlicht-Milieus im damaligen Buenos Aires als Kulisse für eine Tango-Veranstaltung nur aufgrund einer ähnlichen Sensibilität für historische Fakten entstehen kann, die z.B. auch das Erscheinen eines Bengels aus besserem Hause mit einer Hakenkreuz-Armbinde bei einer Promi-Party ermöglichte.

52 Anmerkung(en):

Melina Sedo hat gesagt…

BRAVO!!!!!!
Hervorragend recherchiert und endlich mal den blödsinnigen Mythos vom Podest geholt.
Liebe Grüße und bis bald,
Melina

Monika hat gesagt…

Danke, Cassiel, das war höchste Zeit dass endlich mal in einem Medium mit vielen Lesern dieser Mythos auseinandergenommen wurde. Gründlich. Und sauber recherchiert.

Anonym hat gesagt…

Puh! Das habe ich nicht gewußt. Danke!

Mat hat gesagt…

Der beste Blog den der Tango bekommen konnte.
Bravo & Danke Cassiel

B. G. hat gesagt…

Endlich gebietet einmal jemand kompetent diesem dummdreisten Treiben Einhalt.

Jetzt kann sich wenigstens kein Besucher der Veranstaltung hinter dem Satz verstecken: "Ich habe es doch nicht gewußt."

DANKE!

Promisc hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Promisc hat gesagt…

Leider Thema verfehlt, Cassiel (wie aber auch der Verfasser von VeryTango), wenn auch für nichteingeweihte in einer höchst schlüssigen und eloquenten Form.

Jedoch: Kein Mensch mit auch nur einer Spur Ahnung des Themas behauptet, der Tango sei den Bordellen entsprungen, dort entstanden - das ist eine anderen angedichtete Legende, welche gerade die Verleugner einer Verbindung von Tango und Rotlicht als Banner vor sich hertragen, um sie sogleich wieder wirkungsvoll in der Luft zu zerreisen.
Es ist einfach nicht von der Hand zu weisen, das der Tango Argentino seine erste große Blütezeit unter anderem auch in den Bordellen BAs sowie MVs feierte, zeitgleich mit den großen Einwanderungsströmen - und in diesem Milleu einen ganz gehörigen Schuss seiner erotisch-sinnlichen Komponente abbekam.

Die Texte ungezählter Tangos aus dieser Zeit sprechen da eine eindeutige Sprache.

Schon als der Tango das erste Mal ziemlich zeitgleich nach Europa herüberschwappte, war das hier jedermann bekannt und man fühlte sich bemüsigt, ihn wegen seines überseeischen Milleus zu 'zügeln', um ihn salonfähig zu machen - so entstand übrigens in Europa der Klischée- und Ballroom-Tango, der zwar Elemente wiederum nach Argentinien reimportierte, aber dennoch dort nicht die eindeutige Zweideutigkeit auszumerzen vermochte - zum Glück!

Die jüdische Zwi Migdal als moralisches Totschlagargument - nur noch zum Gähnen, völlig überstrapaziert... sie war eine verhältnismäßig kleine Organisation, überhaupt nicht zu vergleichen mit heutigen mafiösen Strukturen aus Italien, Russland, Rumönien, Japan etc. Man könnte sie wohl eher als "Verbrecher-Bande" titulieren.
Das große Übel damals war vielmehr die Korruption der Polizei, der Justiz und der Verwaltung, wie auch in dem von Dir so huldvoll und ehrfürchtig zitierten Buch beschrieben - nur war eben dieser Polizeichef mitnichten Jude (auch wenn sein Name in diese richtung deutete, da ließ sich wohl die Verfasserin nur all zu gerne täuschen) und erst recht nicht "Chef der Zwi Migdal", sondern hielt einfach nach allen Seiten die Hände auf, so war das eben damals dort.
Nora Glickman übertrieb in vielerlei Hinsicht in ihrem Buch so plakativ, dass sie sich des öfteren schon den Vorwurf der polemischen Geschichtsverfälschung anhören musste, und das nicht nur dieses Buch betreffend. Dazu zählt unter anderem auch die angeblich hohe Zahl von durch Täuschung nach Argetninien gelockten osteuropäischen Frauen (welche mitnichten alle Jüdinnen waren, sondern in der Mehrheit sogar Frauen anderer Konfessionen!), der weit überwiegende Teil der Frauen kam über private damals übliche Heirats-Vermittlungen nach Argentinien (In ganz Europa herrschte Fauenüberschuss wegen des ersten Weltkriegs), und nicht wenige von diesen schlugen aus Enttäuschung über den angetroffenen Verlobten oder aus vielen anderen Gründe den Weg der dort sehr lukrativen Prostituion ein, wie es auch überall auf der Welt geschah, wo es große Auswandererströme hinverschlug, wie zB in den USA des 19. Jhrhdts. Die Vorwürfe gegen Glickman sind durchaus nachvollziehbar, zumal sie wohl offensichtlich schwerpunktmäßig in der Belletristik recherchierte (als Literaturwissentschaftlerin naheliegend) denn wie ein Anthroploge und/oder Geschichtswissenschaftler über redundante Quellen und mit einer einschlägigen Qualitfikation.

*Uff* Nee, mehr tu ich mir jetzt nicht an, Deinen Artikel, Cassiel', weiter in der Luft zu zerreissen wäre eh vergebliche Liebesmüh' - denn Dir geht es eh nur darum, recht zu behalten über etwas, was Du immer noch nicht kennst - aber glaubst, vom Sofa aus bestens kennen und vor allem beurteilen zu können.

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Promisc hat gesagt…

--->

Mach von mir aus 'ne Zeitreise und komm mal zum »Nackter Tango« und recherchiere dort über unsere Verbindungen zur Zwi Migdal - DANN kannst Du mitreden! ;-) Aber so nicht. Nicht mit Geschichtsverfälschungen, polemisch verdrehten Fragestellungen und Verurteilungen eines Dir völlig unbekannten, weil nicht einmal einigermassen realistisch vorstellbaren Objekts Deiner moralisierten Abneigung.

Aber wenigstens hast Du diesmal sauber Farbe bekannt und nicht mehr rosa Wischiwaschi über Deine vorgebliche 'Neutralität' vorgeschoben. Das ist nun ok. DAS kann ich respektieren.

Anonym hat gesagt…

Hey Promisc, was hast Du eigentlich für ein Problem. Mir fällt es da wirklich schwer sachlich zu bleiben. Schon klar, alle haben Unrecht und weißt genau wie es war. Merkst Du noch was? Das Schicksal von Rachel Liebermann ist wahrscheinlich nur erfunden worden um Dir Deine Veranstaltung zu vermiesen, nur Du weißt Bescheid, wie der richtige Tango funktioniert und jede Frau hat die heimliche Sehnsucht mit Prostitution einen Haufen Kohle zu verdienen. Sorry, aber Dir ist nicht zu helfen...

Anonym hat gesagt…

ich habe nachgedacht, ich sehe echt keinen Zusammenhang. Tango ein Mythos, eine Emotion, ein Gefühl von sein oder nicht sein? Der Tango ist weder eine europäische noch kulturelle Institution, welcher es nötig hätte analysiert zu werden. Der Tango ist dreckig,unverfroren und direkt und ist nicht zu verwechseln mit irgendeiner romantisierenden Vorstellung von Tanz und Ausdruck seiner Persönlichkeit. Die Existenz des Tango ist es, mir MEINER sicher zu sein.

B. G. hat gesagt…

@Promisc

Du belegst nicht eine Deiner kühnen Behauptungen mit einer Quelle und sprichst Cassiel ab, zum Thema geschrieben zu haben? Verstehe ich das richtig? Die verlinkten Artikel und Zitate bei VeryTango und der argentinischen Bloggerin sind auch alle falsch? Da komme ich nicht ganz mit. Kann es sein, dass Dir die permanente Jagd nach dem nächsten sexuellen Abenteuer Deinen Verstand getrübt hat?

chamuyo hat gesagt…

hier wird einiges in Richtung schwarz/weiß getrieben. ich gebe Cassiel insofern recht, dass der Mythos mit der Situation der 20'er und 30'er nichts mehr zu tun hatte, mehr hat er auch nicht nachgewiesen. Der Mythos entstand bereits früher. Nun ist kein Zeitzeuge mehr da und alle Zitierten, incl. Borges reden vom hörensagen. Was noch da ist, sind die frühen Texte von Villoldo, und sie sind sehr eindeutig.
Man muss auch bedenken, dass Geschichte auch immer mit einer Absicht erzählt wird. Es hat in Argentinien mehrere Wellen der "moralischen Bereinigung" gegeben, ca. 1890, in den 30'er und unter Peron. Die Führungsschicht war sehr bestrebt ein sauberes heroisches Bild des Landes zu zeichnen. Das ausgerechnet der Tango, mit dem das Land im Ausland als erstes in Verbindung gebracht wird, unter fragwürdigen Umständen entstanden sein sollte, passt nun gar nicht dazu. Und so wurden allerhand Geistesgrößen bemüht um den "Mythos" zu zerstören. Das habe ich alles nicht selber erfunden, das hat ein Professor der Uni in BA recherchiert. Das Buch und das Interview sind leider nur in Spanisch.
http://www.tematika.com/articulo/detalleArticuloRedireccionSEO.jsp?idArticulo=401031
http://edant.clarin.com/diario/2005/06/22/sociedad/s-03201.htm

Dass heute in Europa die Tangoliebhaber ebenso bemüht sind den "Mythos" zu bekämpfen oder froh sind wenn es einer tut, ist nur lustig.
Ich habe mit Promisc nichts zu tun und habe hier auch keine Meinung zu seinem Nackten Tango, ich argumentiere nur zufällig in seiner Richtung.

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
cassiel hat gesagt…

Ich habe zwei Beiträge gelöscht. Promisc hat versehentlich einen Beitrag doppelt eingestellt und einen anonymen Kommentar ist auch dieses Missgeschick passiert.

Zur besseren Lesbarkeit für die Mitlesenden habe ich redundanten Inhalt entfernt.

Inhaltlich kann ich mich erst später äußern. Auch ich muss manchmal Geld verdienen. ;-)

Danke für die Kommentare.

Anonym hat gesagt…

Wow, da kommen Emotionen hoch. Irgendwie verständlich, wenn man so intensiv bei der Sache ist. Es ist aber wie der Streit um Kaiser's Bart. Ob Tango aus den Puffs von BsAs kommt oder aus den Tanzsalons, wo man Mädls bezahlen musste? Wen kümmert's im Jahr 2011? Er kam auf jeden Fall aus der "Gosse" und das ist wichtig. Es entstand aus einem Volk, dass seinerzeit eigentlich noch "keines" war. Es war die Mischung der Massen von Europa und Nahost ohne lokale Beeinflussung. Das macht Tango so eindrucksvoll und resistiv.
Die Geschichte von Raquel Liberman ist hier absolut deplaziert. Vielleicht hatte sie nie Tango getanzt. Es gibt genug Portenos, die noch nie in einem Milonga waren. Was sollen wir machen, wenn wir die Gemälde von Toulouse- Lautrec anschauen? Verabscheuen, weil mit Sicherheit auch in Paris die Huren nicht gerade gut behandelt wurden?
Wir sollten das Ganze vielseitig betrachten: Ich kenne zum Beispiel einen Zuhälter aus BsAs, dem mein volles Mitleid gilt (auch tänzerisch); er wurde nämlich von der bösen Percanta in "Mi noche triste" verlassen.

tangoloco hat gesagt…

Tango auf „Bodell“ zu reduzieren ist genauso unsinnig wie Verbindungen völlig zu verneinen. Da stimme ich chamuyo zu. Die „Berührungspunkte“ zumindest von Tangodichtern zur Prostitution sind offensichtlich – wie sollte es auch anders sein, wenn es zur damaligen Lebenswirklichkeit gehörte. Dabei ist allerdings der Blick auf das Millieu keineswegs verklärt. Hier eine Übersetzung des Tangos „Dame la lata“ von 1888 (Autor anonym, zu finden auf www.tango-rosetta.com):

Wie armselig ist das Leben des armen Zuhälters, am Montag kassiert er die Marken ein, am Dienstag ist er wieder ganz nutzlos.
Gib mir die Marke, die Du versteckt hast. Was denkst Du, ungehobeltes Weib, dass ich ein Gauner bin ?
Gib mir die Marke und dann ab zur Arbeit! Wenn nicht, wirst Du eine schöne Tracht Prügel bekommen.

Das eignet sich wohl kaum für romantisch verharmlosenden Kitsch a la „Moulin Rouge“.

Anonym hat gesagt…

Hallo Cassiel,
vielen Dank für Deine Mühe!
Dies las ich gestern zum ersten Mal:

http://www.regionenforschung.uni-erlangen.de/publikationen/dokumente/6/09.pdf

Also die ganze Verklärung mal hinweggefegt. Und als tanzende Frau finde ich den historischen Überbau für die Veranstaltung übel.

Und: P. nur weil die heutigen "Ringe" Deiner Ansicht nach brutaler sind, rechtfertigt es nicht vergangenes Unrecht!

anonym0815

Tangosohle hat gesagt…

Das sind sehr interessante Beiträge hier, herzlichen Dank! Schade, dass Promisc sehr engagiert schreiben aber überhaupt nicht belegen kann. Das macht ihn zur Wildsau, die sich an der Eiche reibt. (Wer es nicht kennt, es gibt im Deutschen das Sprichwort: Was juckt es die Eiche, wenn die Wildsau sich an ihr reibt).
Ich bin weder Kenner noch Rechercheur, aber Frager: "sinnlich-erotischer Tango", ach herrje, hat der allen Ernstes an Orten statt gefunden, die ich mir eher als Tripper- und Syphilliszuchtanstalten denn als Edelpuffs mit französischer Seife vorstelle?
Liebe Leute, dass eine positiv assoziierte Bordellsituation mit dem Tango verbunden wird, ist doch nichts anderes als ein Marketinggag, und keine Promotion der Geschichtswissenschaft. Es wäre also ehrlicher zu sagen, da machen verschiedene Leute neuartige Events, die auch etwas mit Tango zu tun haben, die Nachfrage befriedigt die Veranstalter. Zu einem guten Marketing gehört ja auch, die Sinne der Rezepienten etwas zu vernebeln, und das wurde auch erreicht. Grandios, Glückwunsch!

Wenn ich die sachlichen Informationen zur Bordellexistenzen richtig zusammenfasse, dann ist/war dies ein Ort des großen Kapitalismus des kleinen Mannes: Angebot, Nachfrage, Ausbeutung, Machtausübung, Vorspiegelung des Vorteilserhaschens, etc. Der Tango spielte hierin u.U. eine Rolle zur zur Erhöhung der Rendite.
Und zu guter letzt frage ich mich, qui bono, wovon lenkt die Bordelldiskussion ab, was wird da eigentlich angesprochen? Es gibt ja wirklich wichtige Themen im Tango der Gegenwart.

Soweit meine 5 cents.

Anonym hat gesagt…

Cassiel, du scheinst wohl auch zu der ethnischen Minderheit zu gehören .....
Sonst würdest du nicht so einen Schwachsinn schreiben.

Christian Tobler hat gesagt…

Da hat wohl jemand zu lange auf das unsägliche Plakat der Show Tanguera geschielt und beschlossen, daraus sein Ding zu zu zimmern zwecks mächtig viel Publizität – Endemol selbst gestrickt quasi, eine viktorianische Frivolität biblischen Ausmasses.

Eigentlich sagen die zwei Fotos auf der Startseite von Nackter Tango alles, was ein Tango-Tänzer wissen muss. Wahrlich ein in jeder Hinsicht professionelles Machwerk: Design, Sprache und Fotos sind allererste Sahne. Genauso wie dieses Suchmaschinen-Spamming aus dem letzten Millenium in schicksalsschwangerem Lila. Da ist ganz offensichtlich einer am Werk, der Tango Argentino in absoluter Vollendung verinnerlicht hat. Ob man bei diesem Könner Privatstunden buchen kann? Man beachte ihre unvergleichlich unverkrampfte Grazie, die vollkommene Verbindung im energiegeladenen Paar, seine ausdrucksstarke tänzerische Dynamik – wahrlich ein Paar mit atemberaubendem Charisma. Er schamvoll bedeckt und sie je länger je nackter. Hier stand wohl Arno Breker Pate und irgendwo im völlig atypisch unscharf gehaltenen Hintergrund steht bestimmt ein Sippenschrein mit faustgrossen Runen in schmissigen Linien.

Dieses Programm versteht tatsächlich jeder und ein Lachanfall ist virtuellen Besuchern allemal sicher. Gibt es das auch auf Youtobe in bewegten Bildern? Aber nein danke, ich muss mich nicht in jeden Kuhfladen setzen, um zu wissen, dass mein Duft hinterher nicht ganz ohne sein wird. Da kann man nur sagen: affig affig in seiner gnadenlosen Konsequenz.

Das Problem mit Dummschwätzern wie Promisc mit seinem bedeutungsschweren Pseudopseudonym ist die Tatsache, dass sie es schaffen, jede Stellungnahme zu ihren Phantasmen zu ihren Gunsten umzuinterpretieren – oberflächlich betrachtet. Und dazu ist ihnen keine Absurdität, keine Geschmacklosigkeit, keine Geschichtskittung zu schade. So betrachtet steht man als Macher im Tango Argentino vor dem Problem, dass man solchen Gestalten eine Plattform zur Verfügung stellt, sprich Marketing für sie betreibt, wenn man ihre Machenschaften thematisiert und ihre Entgegnungen der Fairness halber publiziert. Aber wenn man schweigt, arbeitet man ebenfalls in deren Hände, da sie mit ihrer anything-goes- und check-it-out-Mentalität äusserst umtriebig sind. Danke Cassiel, dass Du nicht wie so viele schweigst und wegschaust. Dafür gibt es ein Wort: Zivilcourage.

Christian Tobler hat gesagt…

Ohne Toleranz kann es keinen Frieden auf diesem Erdball geben. Kinky sex und für manche offensichtlich bereits ein Plazebo davon kann durchaus seinen Reiz haben –  solange er nicht zur Obsession mutiert und jedem (virtuellen) Passanten ungefragt aufs Auge gedrückt wird. So wenig augenzwinkernde Lebenslust entdeckt wohl fast jeder halbwegs neugierige Mensch irgendwann im Leben auch ohne nackte Nichtigkeiten.

Klar hat jeder das Recht, in Sachen Sexualität/sexuelle Fantasien mit einem oder mehreren Menschen hinter verschlossenen Tür zu tun oder zu lassen, was ihm beliebt – solange dadurch keine Menschen seelisch oder körperlich verletzt werden. Das gilt auch für Unbeteiligte die ungefragt instrumentalisiert werden. Wenn ein Promisc publikumsheischend rumkrakeelt, notorisch missioniert und für seine Lachnummer auch noch bewundert werden will, staune ich schon über den Zoo, den der Liebe Gott, falls es ihn gibt, auf dieser Erde installiert hat. Das gilt ganz besonders für so eine Spiessernummer wie Nackter Tango: eher nackige Weiber tanzen mit eher bekleideten Kerlen und alle schweben dabei im siebten Himmel, weil sie so grossartige Tänzer sind.

Dr. Unrat postmodern quasi, was für eine pubertäre Fantasie – also neigt man zu Toleranz: jedem Tierchen sein Pläsierchen. Nur lebt aber niemand auf diesem Planeten allein. Wir Menschen haben eine Vergangenheit und wir gestalten unsere Zukunft: hier und jetzt. In diesem Kontext sind nicht alle ausgelebten Ergüsse wertneutral. Zumindest dort wo Empathie, der Fischkleister unserer Gesellschaft, kein Fremdwort ist.

Der promiscsche, mittels Tango diletantisch kaschierte Erguss entpuppt sich spätestens nach einer Pikosekunde Nachdenken als zutiefst menschenverachtend. Cassiel hat mit seiner Recherche kristallklar aufgezeigt, warum dieses Sandkastenspiel nicht harmlos ist: Promisc und seine Jünger machen das tausendfache Schicksal von Zwangsprostituierten in Argeninien zum Ausgangsmaterial für einen verharmlosenden Ringelpiez. Ob mit oder ohne Anfassen interessiert schon lange niemanden mehr. Dass sie sich mit ihrem Tun am verbürgten Leid von Menschen mit einem schockierend harten Schicksal vollkommen unreflektiert laben dagegen schon. Denn diese Frauen leben nicht mehr. Sie können dem Treiben daher auch nicht Einhalt gebieten.

Christian Tobler hat gesagt…

Ein so geballtes Mass an Zynismus steht niemandem zu. Da helfen auch keine an den Haaren herbei gezogenen Gegenargumente. Denn die Gerichtsakten zum Massenprozess um Zwi Migdal – mit über 100 Verurteilten trotz massiver Protektion durch die argentinische Oberschicht, welche genauso zur Klientel dieser Barabaren gehörte wie die mittelosen Einwanderer – kann nicht mal Promisc wegschwadronieren. Dass er den Zusammenhang mit seinem Reigen auch nach über einem Jahr Disput immer noch nicht nachvollziehen kann, macht das Event und Promiscs Entourage so brisant.

Ich habe das Buch zu Libermann gelesen und im Leben genug erlebt um abschätzen zu können, ob diese Biographie glaubwürdig ist. Sie ist es. Wer das nicht wahrhaben will, sollte mal mit einem Sozialarbeiter reden, der in irgend einem Provinznest Zwangsprostituierte betreut. Denn inzwischen wird dieses Business-Modell in jedem mitteleuropäischen Staat flächendeckend praktiziert, ist also brandaktuell. Nur die Methoden sind arschkalt betrachtet etwas raffinierter geworden.

Wir Menschen sind dazu verurteilt, Lektionen der Geschichte die wir nicht kapieren solange zu wiederholen, bis der Euro fällt. Daher werde ich zu solchen Kalbereien wie Nackter Tango und wie sie sonst noch heissen – die Kälber dieser Welt mögen mir den schändlichen Vergleich bitte verzeihen – nie und nimmer schweigen.

Einen Trost gibt es allerdings für alle, denen Tango Argentino tatsächlich am Herzen liegt: Irgendwann werden solche Zeitgeistsurfer ihr Bündel wieder schnüren und dem nächsten Hype unter einer anderen Etikette als Tango hinterher hechelnd mit ihrem unkreativen Wiederkäuen von Ewiggestrigem wie immer zu spät kommen obwohl sie sich so hip dünken – ganz egal ob das Merengue im Hetero-Darkroom oder Archipel Gulag all inclusive, Flitzen entlang der Innenalster oder im KZ war es doch am schönsten, Tutti Frutti in der Eisdiele oder splitterfasernackte Eigernordwand, General Videla reloaded oder ich versteigere meine Alte heute Nacht temporär, Bungie-Jumping im Auto oder Ü40-Klitorisbeschneidung auf dem Eifelturm, Wienerwalzer unten ohne oder Poppen mit Kuhfladen anstelle des inzwischen doch arg abgelutschten Nackten Tango sein wird.

Nur verlagert solch infantiles Nomadisieren saturierter Langweiler mit Scheuklappen das Problem lediglich. Aus den Augen aus dem Sinn ist daher keine funktionierende Lösung mit Umgang mit Omegatierchen wie Promisc. Das war meine erste, wird meine letzte Stellungnahme zu diesem präpotenten Phänomen sein.

Anonym hat gesagt…

Beim Übereifer einiger Poster hier mache ich mir ernsthafte Sorgen um die Zukunft des Tangos. Ein Link auf dieser Seite verzichtet bereits auf die hier noch übliche Farbe "rot", um zweifelhafte Assoziationen bewußt zu vermeiden. Als nächstes müßten wir uns die Tangotexte einmal vornehmen oder bewußt auf einige Lieder verzichten. Eine große Zahl der Figuren des Tangos sind ebenfalls "frauenfeindlich" und müßten überarbeitet werden. Tango für Pietisten. Tja - und dann kommt noch die Tanzhaltung. Tango ist kein Gesellschaftstanz. Es sind zwei Welten. Der eingangs erwähnte Link versucht nur zu widerlegen, der Ursprung des Tangos länge in den Bordellen. Daß es trotzdem eine Beziehung gibt, wird in diesem Text sogar ausdrücklich bestätigt.

Und dann das Schicksal der Raquel Liebermann. Ein Schicksal beweist die ganze Theorie. Aber sie war Jüdin, und das erzielt hier immer Aufmerksamkeit. Das war auch Sarrazins Erfolgsgeheimnis. Was ich jedoch aus diesem Text nur herauslesen kann, ist, daß sie offensichtlich sehr viel Geld verdient hat und ihr das wieder geklaut wurde.

Die Verbindung zwischen Tango und Bordell ist unübersehbar. Wir können aus dem Tango keinen Gesellschaftstanz machen. Andere haben das versucht und es entstand der Standard Tango, mit festen Regeln und Turnierveranstaltungen. Hier tanzt man mit Anzug und Abendkleid. Beim Tango Argentino wirkt der Anzug merkwürdig. Deshalb wundere ich mich auch etwas über die Veranstaltung "nackter Tango".

Anonym hat gesagt…

Tänzer die immer noch glauben, "Nackter Tango" hätte irgend etwas mit Tango tanzen zu tun, klickt die Links auf der Internetseite unter "Inspirierende Links" an. Da zeigt Lusty Dragon die Fotogalerie Peep Show: nackte Frau liegt bäuchlings auf dem Bett und spielt mit sich. Oder die Fotogalerie Playboy: zwei nackte Frauen sind miteinander beschäftigt. Nichts davon ist neu, aufregend oder ärgerlich. Nur frage ich mich, wie diese Fotos Tänzer an einer Milonga inspirieren sollen. Da hat jemand den Tango überhaupt nicht verstanden. Ich besuche lieber eine richtige Milonga oder steige mit einer Frau aus Fleisch und Blut ins Bett. Was finden die an keinem von beidem so toll?

Anonym hat gesagt…

Es ist alles ganz schrecklich schlimm....

Der Sänger des Country-Liedes "San Antonio Rose" erzählt die Geschichte einer Prostituierten, die er aus ihrem Mileu befreite und ihr ein bürgerliches Leben bot. Doch dann mußte er feststellen, daß sie nicht glücklich war und eines Morgens war sie fort. Ein Lied, so traurig wie ein Tango.

In diesem Thread diskutieren Leute über Bordelle und kennen sie im schlimmsten Fall nur aus gelegentlichen Besuchen. Der eingangs zitierte Link beschreibt plausibel, daß der Tango weniger in Bordellen als vielmehr in deren Umfeld getanzt wurde. Die Musiker spielten auf jeden Fall in Bordellen, also sind sie denen auch zuzuordnen. Wo ist nun der Tango entstanden? Er ist in den Köpfen der Musiker und Tänzer entstanden, und diese waren nennenswert in der Bordellszene beheimatet. - Noch Fragen?

Tango ist kein Gesellschaftstanz und nicht für einen festlichen Ball geeignet. Im Tango winden sich die Partner wie in einem Liebesakt. Es ist nur allzu schlüssig, dann auch einmal nackt zu tanzen. Ich habe es probiert und es ist wahnsinnig aufregend. Bei der so lautstark propagierten Veranstaltung "nackter Tango" war ich allerdings noch nicht. Was mich bisher daran störte, ist der in der Ankündigung unverkennbare BDSM-Bezug, der mich abstößt. Damit kann ich meine Tanzpartnerin nicht überreden.

Ich bin dafür, Tango auch mal nackt zu tanzen. Es ist eine Grenzerfahrung und damit sicherlich schwierig, eine entsprechende Veranstaltung zustande zu bringen. Von anderen Tanzveranstaltungen, die ausdrücklich als textilfrei deklariert wurden, habe ich nur negative Erfahrungen mitbekommen. Zum Teil war ich der einzige, der seine Kleider ablegte und zum Tanzen kam man oftmals ebenfalls nicht, da einfach zu wenig Damen anwesend waren. Ich möchte der Veranstaltung "nackter Tango" gerne eine Chance geben, aber im Moment bin ich noch sehr skeptisch.

Chris hat gesagt…

weder der Partei, dem das erotische Element im Tango scheinbar so peinlich ist, noch den "Liebhabern" des Nackttanzens mag ich auch nur den kleinen Finger reichen. Geifersprühende puristische Kanzelpredigten und kaltschnäuzige Sexfixierung sind für mich einfach nur abtörnend.

Wer dabei nur für sich und Gleichgesinnte eine Nische beansprucht, über den mag ich vielleicht den Kopf schütteln. Aber bitte, so viel Toleranz und Lästern darf sein, sollen sie doch nach ihrer Facon..., ich muß ja nicht hinschauen oder -gehen. Entsetzt bin ich jedoch, wenn sich mir als gebildet und überlegt bekannte Mitmenschen wie Pawlowsche Hunde die entsprechenden Seiten aufrufen, wohlwissend, daß sie ihr Mißfallen erregen, und dann ob deren erwarteten Inhalt vor Empörung wortschaumschlagend den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören.

Wer kann schon so genau sagen, in welcher Ursuppe der Tango vor 150 Jahren geboren wurde und wer alles als Väter, Mütter und Geburtshelfer in Betracht kommen. Sicher ist allerdings, daß nicht alle einwandfreien Leumund genießen, nur bereitet mir daß keine schlaflosen Nächte, wozu der Aufstand. Weder war noch ist die Welt eine gute Seele, und der Mensch des Menschen Wolf, nach wie vor. Es sterben jährlich Millionen von Kindern an Vitamin A-Mangel, das Eintrittsgeld für eine Milonga würde ausreichen, sie übers Jahr zu retten. Und jetzt?.
Es gilt, was zwei auf der Tanzfläche unter sich ausmachen. Sollte dem einen oder der anderen gelegentlich ein wohliger Schauer über den Rücken laufen bei dem Gedanken, in einer direkten Tanzahnenreihe mit einer Hure oder einem Zuhälter zu stehen, nun denn.

Privateer hat gesagt…

Was erwarten wir eigentlich vom Tango, weshalb tanzen wir?

Als die Tanzlehrerin diese Frage in die Runde stellte, herrschte Stille. Ich habe versucht, eine intellektuelle Antwort zu geben, aber ich war nicht ganz ehrlich. Tango bedeutet für mich mehr und ich versuche es jetzt zu formulieren.

Vor 25 Jahren habe ich mit meiner Frau kleine Shows in Bordellen gegeben. Es war nichts Besonderes und diente der Animation. Wir hatten 4 Auftritte am Abend und mußten in der Zwischenzeit irgendwie die Zeit totschlagen. Die Gespräche mit Personal und Besuchern waren nicht besonders ergiebig und so entstand bei mir der Wunsch zu tanzen. Da ich Kenntnisse in Standard und Latein hatte, habe ich alle Tänze in Gedanken durchgespielt, aber es blieb nur die Rumba als körperbezogener Tanz übrig. Heute würde ich den Slowfox noch dazunehmen. Ich machte mir eigene Gedanken, abgeleitet von der Rumba, wie ein Tanz aussehen müßte, der nur zwischen mir und meiner Partnerin stattfindet, gewissermaßen eine Flucht aus der Erwartung des Publikums. Fast hätte ich den Tango neu erfunden. Das Bordell wurde von Amts wegen geschlossen und gegen mich Ermittlungen eingeleitet. Wir waren draußen, aber eine merkwürdige Sehnsucht blieb. Nicht daß ich mir das Bordell zurückwünsche (bin auch mittlerweile zu alt für Shows), aber dieser Wunsch, sich die Freiheit zu ertanzen, brennt heute noch wie Feuer. Heute gibt es eine ausgeprägte Tangoszene und ich tanze wahnsinnig gerne. Ich habe es noch nicht gewagt, mit meinen Tanzpartnerinnen über ihre Empfindungen beim Tanzen zu sprechen und fürchte mich auch davor, Bewegungen zu führen, auf die ihr Körper in so unnachahmig weiblicher Art antwortet. Auch fühle ich mich selbst gehemmt, Bewegungen auszuführen, welche die Knöpfe der Anzugsjacke springen ließen . Es geht bestimmt vielen so. Selbst Tanzlehrer haben Hemmungen, manche Figuren in der Rumba, in denen der Körper deutliche Signale gibt, zu tanzen. Ich kann meine Hemmungen mitsamt den Kleidern ablegen und mich dann völlig natürlich bewegen, selbst wenn alle anderen angezogen sein sollten. Die Bestätigung ist der Beifall nach einem Tanz. Ohne Kleider wage ich es, meine Partnerin mit vollem Körpereinsatz zu führen und es ist ein aufregendes Gefühl, ihre Reaktionen zu spüren. Tango ist für mich keine hedonistische Lust, wie es Ziel der Veranstaltung "nackter Tango" offensichtlich sein soll. Wahrscheinlich ergötzen sich die Zuschauer an unserem Anblick, aber für uns ist es eine Flucht in unsere eigene, mentale Welt.

Hat der Veranstalter des "nackten Tangos" überhaupt den von ihm propagierten Bordellhintergrund verstanden? Ich glaube nicht. Gerade wegen dieses Hintergrunds ist der Tango traurig. Der Tango ist die Flucht aus der Lust. Er zeigt, daß es auch etwas anderes beim körperlichen Kontakt zwischen zwei Menschen gibt.

Chris hat gesagt…

@ privateer ist das wahr? Jedenfalls eine packende Geschichte und ein sehhhr interessanter Gedanke, toll!

Klar, für die in einem Bordell zur Animation Tanzenden hat der Tanz eine andere Bedeutung als für die Zuschauer, leuchtet mir ein. Dementsprechend spielt sich im Paar etwas ganz eigenes ab, das alles sein kann. Das Paar ist dem äußerlichen Zweck im Innersten nicht ausgeliefert, irgendwie ein schöner Gedanke.
Und bevor mir das irgendjemand falsch auslegt: damit romantisiere ich natürlich nicht das Dasein einer Hure. Ich sage nur, der Tango hat sein eigenes Wesen, egal für was er gerade ge-be-nutzt wird.

Anonym hat gesagt…

Jetzt muss ich doch noch schreiben. Als Frau lese ich den mutigen Ursprungsbeitrag und den Beitrag aus dem September 2009 und frage mich, warum tummeln sich hier nicht mehr Tangueras und widersprechen energisch dem Veranstalter. Gibt man als Frau im Tango die eigene Meinung und die Scham an der Milongakasse ab?

Der Beitrag von privateer hat gezeigt, dass es im Tango um andere Dinge geht als um den frivolen Nervenkitzel - mit den geschilderten Begleitumständen nötigt mir das Respekt ab. Bei aller Liberalität sollte man der "anything-goes" Fraktion nicht die Hoheit für die Definition des Tangos überlassen. So las ich auf der Webseite des Veranstalters den Satz "das dem Tango Argentino zugrundeliegende Hure-Freier-Spiel". Das ist und bleibt Unsinn. Wo bleibt der Aufschrei? Natürlich haben Künstler immer wieder die Nähe von Prostituierten gesucht. Aber nur weil ein Henri de Tolouse-Lautrec einige Szenen im Bordell gemalt hat wird niemand behaupten, der Malerei läge ein "Hure-Freier-Spiel" zugrunde.

Die oberlehrerhaften Einlassungen des Veranstalters ("Thema verfehlt", "Nichteingeweihte" usw) sind ein jämmerlicher Versuch, zu retten was vermeintlich noch zu retten ist. Dabei macht er auch vor einer zynischen Bagatellisierung des geschehenen Unrechts nicht halt. Das ist ekelhaft.

Wenn ich dann hier noch Anfeindungen mit latent-antisemitischem Inhalt lese, dann geht mir die Galle über. Schämt Euch!

Nur weil es vielleicht im Tango ein paar Machos gibt muss sich frau nicht alles gefallen lassen. Wer sich in Buenos Aires nicht an die Codigos hält, merkt sehr schnell, was er davon hat. Und hier? Keine Spur (oder nur eine sehr kleine) von einem couragierten Einschreiten durch mutige Frauen. Das verstehe ich nicht. Und damit meine ich jetzt nicht nur den Geisterfahrer, der den Nackten Tango veranstaltet. In kleineren Dimensionen ist dies auf beinahe jeder Milonga zu erleben. Die kleinen und größeren Flegeleien und Respektlosigkeiten werden einfach weggelächelt. Manchmal kann soetwas ja angebracht sein. Der Qualität des Tangos in Deutschland täte es vielleicht gut, wenn die Frauen selbstbewußter bei offensichtlichem Unfug einschreiten!

Danke Cassiel, Du schreibt einen überragenden Blog!

L.

Chris hat gesagt…

"das dem Tango Argentino zugrundeliegende Hure-Freier-Spiel", so, steht das da? Wenn da mal nicht der Wunsch der Erzeuger der Ankündigung war. Ich stelle mir ein paar verdruckte Spießer vor, die brav zehn Euro gezahlt haben um zu altem Schellack-Geschrammel, schmalzigem Timbre und baumarktgedimmerter Beleuchtung heute abend mal ganz kultiviert ein bißchen den Zuhälter raushängen zu lassen, vielleicht, wenn sie sich denn trauen, waaahnsinnig aufregend! Aber Achtung Jungs, wechselt vorher die Schiesser-Unterhosen gegen was Aufregendes, könnten euch sonst den Auftritt versauen. Ach, ihr nur angezogen? Tanzen da nicht auch ein paar knackige nackte Kerle in High Heels und Schlipps und sonst nichts? Nicht? Ich fänd' das gut. Warum eigentlich nicht?

Aber es soll mir recht sein. Wer auch immer sich davon angesprochen fühlt, wird dort hingehen, und eben nicht auf der Milonga sein, auf der ich tanze. Was für ein schöner Gedanke! Ein herzliches Danke an den Veranstalter für den Betrieb dieser Restmüllsammelstelle.

Anonym hat gesagt…

Hallo Chris, es sind wohl doch 40 statt 10 Euro (mit Fesselspielchen vorab noch einmal zusätzlich 25 Euro mehr). Da kann man als Veranstalter dann auch ganz gut Kritik an dem "intellektuellen Überbau" aussitzen und wenn es keine Beschwerden gibt, dann stimmt die Kasse .....

L.

Chris hat gesagt…

€ 40,00, für was eigentlich? Ich dachte, daß fänden beide Tanzpartner gut und würden dort freiwillig zusammenfinden, normal tanzen halt, nur mit noch weniger Klamotten an.
Aber es scheint ja dann doch eher eine Veranstaltung von der Art zu sein, je weniger Klamotten die Frau an hat, desto höher der Eintritt.

cassiel hat gesagt…

So verlockend es auch sein mag, niemand wird gezwungen dorthin zu gehen. Insofern bitte ich darum, die Diskussion um die finanziellen Aspekt hier nicht zu führen.

Mir geht es nur um diesen pseudo-historischen Überbau. Auf den möchte ich die Diskussion fokussieren. Wenn jemand eine Summe X für eine solche Veranstaltung ausgeben will, dann ist das eine bilaterale Angelegenheit zwischen Veranstalter und Gast.

Ich bitte um Verständnis.

Privateer hat gesagt…

Scheinbar sind Bordelle noch immer interessant. Sie beschäftigen unsere Phantasie. Abgründe der menschlichen Seele, eng verknüpft mit der Lust, die uns regelmäßig ereilt. Befindet man sich aber im Bordell, so will man nur noch raus. Die Stimmung ist trostlos, traurig. Die einzigen, die dort Lust empfinden, sind die zahlenden Freier und dafür werden sie verachtet. Ja - richtig: Auch die Hure verachtet den Freier, den sie mit so süßen Worten einlullt. Der Bordellalltag besteht aus Verachtung und gegenseitigen Machtspielen. Gut vorstellbar, daß in dieser traurigen Situation der Tango geboren wurde. Der Wunsch, sich zu befreien, das Elend für einen Moment beiseite zu schieben. Gleichberechtigung und Respekt zwischen den Partnern, ein getanzter Traum von Freiheit. Aus genau diesem Grund wird in den Bordellen kein Tango getanzt. Der Veranstalter des "nackten Tangos" hat das "Hure-Zuhälter-Freier"-Spiel nicht verstanden, da er nur lustgesteuert agiert.

Nackt zu tanzen ist eine Kunst, deshalb interessiert es mich. Es ist eine Möglichkeit, sich noch weiter zu befreien und die Schönheit der Bewegung zu vollenden. Die geplante Veranstaltung "nackter Tango" bietet hierfür keinen Rahmen.

Chris hat gesagt…

lieber Cassiel, ich schweife vom Thema ab, so viel ist richtig.

Wenn Thema der "pseudo-historische Überbau" sein soll, dann hilft die Geschichte von Raquel Liberman aber auch nicht.

So genau weiß niemand wann und wie der Tango entstanden ist. Die Ursprünge liegen am Rio de la Plata und sind irgendwo in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren. Ab 1880 gibt es erste Überlieferungen von Musik und Tanz, die man mit viel Wohlwollen als Anfänge des Tango bezeichnen kann. Zusammengekocht wurde dieser Eintopf aus verschiedensten Musikstilen und Tänzen in einem überwiegend männlichen Einwanderermilieu hauptsächlich europäischen Ursprungs von Arbeitslosigkeit, Kleinkriminalität und Prostitution; solche Milieus sind ja nicht selten Quelle ganz neuer kultureller und gesellschaftlicher Entwicklungen.
Es ist sicher falsch oder zumindest stark vereinfacht, die Entstehung des Tango allein in Bordelle zu verorten. Aber wir dürfen glauben, daß gerade in solchen Etablissements Tango getanzt wurde (wo auch sonst), und dort also auch seine Entwicklung erheblich geprägt wurde.

An der Wende zum 20. Jahrhundert hatte der Tango seinen Weg im Gepäck junger argentischer Männer aus reichem Hause nach Paris gefunden. Dort traf er auf die europäische Tanztechnik, insbesondere des Ballets, und erhielt dabei sein heutiges Gepräge. Er war in Europas Hauptstädten zu dieser Zeit schon immerhin so beliebt, daß sich Kaiser Wilhelm II. auf Drängen seiner Frau genötigt sah, den Tanz zu verbieten (ohne großen Erfolg). Als Frau Liberman nun am 22.10.1922 in Bs.As. immigrierte, war nicht nur der 1.Weltkrieg schon beendet, sondern der Tango seinen Kinderschuhen bereits entwachsen.

Wo auch immer Tango danach getanzt wurde, in Bordellen oder feinen Salons, auf der Straße oder einem Ballsaal, für die Entstehungslegende vom Ursprung des Tangos im Rotlicht-Milieu ist es ohne Belang. Die Geschichte von Frau L, ihrer Zeitgenossen und alle, die ihr folgten sind nicht geeignet, irgendetwas in dieser Hinsicht zu beweisen oder zu widerlegen.
So leid es mir tut, dein Versuch, das 'Märchen vom Ursprung des Tangos im Rotlicht-Milieu' als solches zu entlarven, ist allein schon deshalb ungeeignet.

Aber vielleicht ist es nur unglücklich formuliert. Kann es sein, daß Du nur dem romantisch-erotischem Setting widersprechen willst? Daß Du es unappetitlich findest, wenn sich heutige Versicherungsachbearbeiterinnen und Psychologinnen am erbärmlichen Schicksal von Prostituierten erotisch aufladen? Und sich einige Herren der Schöpfung davon eine befristete nächtliche Konterrevolution zur Emanzipation erträumen, er führt, sie folgt, Macho, Macho?
Nun ja, unsere Träume sagen ja auch ein iges über unsere Defizite und Sehnsüchte aus. Vielleicht ist dein Urteil etwas hart.

Anonym hat gesagt…

Ich hatte gestern abend ein sehr intensives Gespräch mit meiner Frau. Ich gestehe, mich hatte der Nackte Tango gereizt. Unsere Beziehung war im Alltag und mit den Kindern eingeschlafen. Das passiert schnell. Zu einer Anmeldung beim NT kam es nicht mehr, da war eine Art von Scheu und schließlich war die Veranstaltung ausgebucht. Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber.

Meine Frau hatte mich auf den Artikel aufmerksam gemacht und zunächst war ich überhaupt nicht begeistert. Gestern haben wir dann lange gesprochen (bis drei) und für uns war es das längst überfällige klärende Gespräch. Ich kann nur sagen "Hut ab". Da schreibt jemand was er denkt, ist unbequem und setzt sich Vorwürfen aus. Aber er hat verdammt nochmal Recht! So zumindest geht das nicht. Meine Frau und ich werden jetzt den vielleicht mühsamen Weg zum Tango in der Paarbeziehung gehen. Es wird schwierig werden aber wir freuen uns darauf.

Vielen Dank!

cassiel hat gesagt…

@Chris

Wer fragt bekommt auch eine Antwort. Aber vielleicht stelle ich erst einmal eine Gegenfrage: Wie hätte ich es denn bitte anders machen sollen, als hier ein Einzelschicksal vorzustellen? Generelle Anmerkungen zur (Zwangs-)Prostitution sind bislang leider wirkungslos verhallt. Das Schicksal der Raquel Liberman, die 1922 nach Buenos Aires kam, mag insofern einschlägig sein, da der vom Veranstalter bemühte, nachempfundene, zitierte, zelebrierte oder was-weiß-ich Film "Nackter Tango" im Jahre 1924 spielt. Mein Versuch mich durch diesen Film zu quälen scheiterte übrigens bislang mehrmals... mir ist das einfach zu banal.

Als Autor eines Blogs mit bald 300 Artikel zum Tango und einige tausend Kommentaren erlaube ich es mir, deutlich meine Meinung zum Thema Tango und Rotlichtmilieu zu artikulieren. Dabei bin ich etwa so laut und deutlich wie der Veranstalter selbst. So habe ich das auch bei anderen kontroversen Themen bisher gehalten. Wenn es z.B. zu marktschreierische Werbung für ein schwaches Buch gibt, dann gibt es von mir eine vernehmbare Reaktion. Für mich ist das vollkommen legitim. Jeder darf sich hier zu meinen Artikeln äußern - hier wird nicht zensiert. Außerdem steht es jedem/jeder Leser/in frei, ein Blog zum Thema erotische Milongas zu starten.

Nun ist es ja nicht so, als sei der Veranstalter des Nackten Tangos der Erfinder der Idee einer erotischen Milonga. Das gab es schon vor ihm und so lange ich das nicht wahrnehmen muss stört es mich auch nicht. Das gehört für mich zur Toleranz dazu. Das penetrante Verhalten von Promisc und die damit verbundene Bagatellisierung von Unrecht im Rotlicht-Milieu hat mich schließlich dazu veranlasst, deutlich eine andere Meinung zu artikulieren. Verletzungen der sexuellen Integrität einer Person sind keine Kulisse für ein Event sondern eine schwere Straftat. Ich bin gerade ein wenig erstaunt darüber, daß ich eine solche Binsenweisheit hier niederschreiben muss.

Deinen letzten Satz verstehe ich nicht so ganz: unsere Träume sagen ja auch einiges über unsere Defizite und Sehnsüchte aus. Ich habe innerhalb und außerhalb des Tangos genügend mitbekommen, daß ich in dieser Frage sehr sensibel bin. So lief beispielsweise die Beziehung einer Studienkollegin mit einem Vertreter der Halbwelt komplett aus dem Ruder und eskalierte derart, daß die Folgen wirklich schlimm waren. Einzelheiten von damals möchte ich hier bestimmt nicht wiedergeben. Ich weiß aber aus diesem und anderen Fällen, daß es u.U. für labilere Menschen schwierig ist, die Innen- und Außengrenzen einer Paarbeziehung aufrecht zu erhalten bzw. zu etablieren. Und dann gibt es Menschen, die diese Schwächen konsequent für ihr Ding ausnutzen - im Tango oder im restlichen Leben. Da werde ich dann irgendwann sehr deutlich.
Und falls Du es noch detaillierter wissen willst: Ich habe das große Glück, daß ich in einer sehr erfüllenden und stabilen Beziehung lebe. Das soll mich aber nicht blind für meine Umgebung machen.

@privateer, letzter anonym und die Autoren der restlichen konstruktiven Beiträge: Vielen Dank

Chris hat gesagt…

Lieber Cassiel,

Du grollst mir unverdient. Du schreibst vom Märchen vom Ursprung des Tangos im Rotlicht-Milieu von Buenos Aires und lieferst dafür weder einen Beleg noch eine Alternative.
Dieses Märchen ist jedoch keines. Es war die kreative Leistung eines Milieu aus Arbeitslosigkeit, Kleinkriminalität und Prostitution, die diesen Tanz und anderes hervorgebracht hat, nun sollen sie von einem satten Bürgertum 150 Jahre später darum betrogen werden, dem das aus moralischen Erwägungen nicht in den Kram paßt? Finde ich nicht in Ordnung, Ehre wem Ehre gebührt!

Ein anderes ist dein Einsatz gegen Unrecht im Rotlicht-Milieu. Ein grundsätzlich ehrenwertes Motiv. Die Breitseiten gegen diese "Nackter-Tango"-Veranstaltung aber sind Kanonensalven gegen Spätzchen und letztendlich nur ungewollte Werbung. Ich bezweifle, daß dort die sexuelle Integrität von irgendjemand verletzt wird. Das kommt nur dort in Frage, wo es zu einer Zwangssituation kommen kann, vom Bordell über die Familienwohnung bis zum Arbeitsplatz. Nicht jedoch für ein Freizeitevent mit eindeutigem Motto, daß gezielt aufgesucht wird und jederzeit verlassen werden kann.

Und dann noch Promisc, der die Bordellkulisse für seinen Event instrumentalisiert. Über Geschmack läßt sich streiten, wie man sieht, also was soll ich da argumentieren. Ich habe mir die Homepage nun doch noch angesehen und kann nur sagen: schade um die paar Minuten. Ein schlechter Tangolehrer regt mich mehr auf.

"unsere Träume sagen ja auch einiges über unsere Defizite und Sehnsüchte aus", hätte ich vielleicht erklären sollen, denn da hast Du mich offensichtlich mißverstanden. Dazu fehlt mir jetzt aber die Zeit.

Danke an Privateer für seine erhellenden Einsichten.

Theresa hat gesagt…

@Chris,

du weißt ja, ich freue mich immer über deine scharfsinnigen und ehrlichen Beiträge.

Nach allem, was ich so gelesen habe, ist es aber nicht richtig, die Herkunft des Tangos allein in dem "Milieu aus Arbeitslosigkeit, Kleinkriminalität und Prostitution" zu verorten. Es gab ja Ende des 19. Jahrhunderts auch ganz normal arbeitende Menschen in Buenos Aires (und Montevideo), und die haben z.B. bei Nachbarschaftsfesten und in Vereinen ebenfalls der Musik und dem Tanz gefrönt und zur Entwicklung des Tango beigetragen. Z.B. war ein ganzer Schwung von Tango-Musikern Eisenbahner, in deren Verein fleißig Feste gefeiert wurden. Irgendwann lese ich nochmal nach, was ich vor 5 Jahren bei der Vorbereitung zu meinem ersten "Zuhören und Kennenlernen" studiert habe und liefere belegte Fakten.

@Cassiel

Zur ganzen Diskussion möchte ich noch sagen, dass es vielleicht einfach nicht (mehr) stimmt, dass Tangotänzer eine verschworene Gemeinschaft sind oder sein sollten und dass mir deshalb ein wenig absurd vorkommt, "den Tango" gegen Missbrauch zu verteidigen. Vielleicht sollten wir der Tatsache ins Auge sehen, dass Tangotanzen ein ganz normales Hobby ist wie Skifahren und sich unter den Leuten, die eifrig oder gelegentlich Tango tanzen, die unterschiedlichsten und absonderlichsten Subszenen herausgebildet haben. Die Subszene, die sich hier in deinem Blog äußert, ist eine, in der ich mich einigermaßen zuhause fühle, aber einige andere Subszenen interessieren mich überhaupt nicht, und deshalb muss ich mich auch nicht darüber aufregen.

Theresa

Peter hat gesagt…

Zuerst will ich Chris dafür danken, dass er den Begriff "Milieu" in den richtigen Bezug gesetzt hat und ihn nicht auf den Teilaspekt "Prostitution" reduziert.
Das Wissen um das Entstehen des Tangos aus diesem Milieu heraus hat, hat wie richtig gesagt, nichts mit falscher Romantik sondern mit Respekt für alle Protagonisten dieser harten aber nicht minder kreativen Zeit zu tun...Danke.

Mir ist es auch ein Anliegen an dieser Stelle auch noch das offensichtlich heftige Kopfkino einiger Schreiber etwas zu bremsen und wieder auf den Boden zu bringen.

1. In unserem Verständnis von Bondage gehen wir von "Shibari" (der zur Kunstform entwickelten japanischen Bondage) aus , also von einer zwang- und gewaltfreien höchst kreativen Kunst, mit Seilen gemeinsame Bilder und Erlebnisse entstehen zu lassen... und nicht von der SM-orientierten "Schlafzimmerbondage".

2. Bei dem oben erwähnten Workshop geht es zentral um Tango. Die Unterstützung durch Elemente aus diesem Bondage in der Verbindung mit Tango ist vergleichbar mit der Bereicherung durch Feldenkrais, Yoga, oder Aikido etc., was auch in professionellen/engagierten Tangokreisen durchaus üblich ist, um seine Fähigkeiten zu erweitern. Wer sich für die methodisch-technische Einbindung interessiert, mag sich gern an mich wenden.

3. Es gibt inzwischen diverse "open minded milongas", die alle eine durchaus individuelle Ausrichtung haben und dies auch klar kommunizieren. All diesen Veranstaltungen ist allerdings gemein, dass an allererster Stelle die Selbstbestimmung der Teilnehmer steht - das heisst, dass man nach Teilnahme an unserem Workshop beim nachfolgenden "Dekadance-Club" NICHT im Bondage tanzen MUSS, genauso wenig wie es beim "Nackter Tango" KEINE Pflicht ist, nackt zu tanzen. ;-)

4. Zu guter Letzt sei mir noch erlaubt zu bemerken, dass erotische Klischees und das Prinzip "Sex sells" wohl eher in den kommerziellen Machwerken wie "Tango Passion" und ähnlichen geritten werden, was sich deutlich daran aufzeigt was Nichttangotänzern so einfällt, wenn man sie nach Tango fragt.

Tango hatte schon immer eine grosse integrative Kraft, was sowohl den Tanz als auch die Musik betrifft. Man konnte sie ihm trotz grosser Bemühungen nicht dessen berauben, also lasst uns ihn feiern wie es ihm gebührt.
Frei, respektvoll und nicht wirklich zähmbar...

Peter (spell BoundTango)

Chris hat gesagt…

@ Theresa Dank an dich, Du hast natürlich vollkommen recht. In "mein" Millieu gehören selbstverständlich auch und vor allem viele arbeitende Menschen, Proletariat, Handwerker, kleine Händler, Hausfrauen. Und richtig und wichtig zu erwähnen dürfte auch sein, daß bei all den kleinen Festen dort viel getanzt wird.

@ Peter Daß der Tango heute ein Image bei Nichttangotänzern hat, welches in keinem Zusammenhang mit dem tatsächlich getanzten Tango steht, ist den Argentiniern selbst zu danken, die ihre größtenteils affigen Shows damit promoten.
Richtig ist aber auch, daß nicht alles, was mit dem Label 'Tango' versehen wird, auch Tango ist; ein Irrtum wird nicht zur Wahrheit, weil viele daran glauben. Wir werden ohne Zweifel endlos über die Grenze zwischen Tango und nicht mehr Tango streiten können. Ich als PuristIn stehe auf dem Standpunkt, daß keine Bondage, Bdsm, Shibari oder Nacktedei-Mottotanzveranstaltung auch nur irgendetwas mit Tango zu tun hat. Schon in dem Moment, wo ein Ungleichgewicht zwischen den Partnern auch nur statuiert wird, in welcher Form auch immer, ist es für mich kein Tango mehr. Und wenn jetzt der Einwand kommt, früher aber ..., entgegne ich, früher wäre auch keiner auf die Idee gekommen, daß unter Tango laufen zu lassen.
Und da ist dann auch der Punkt, an dem ich Theresa ausnahmsweise mal widerspreche. Wir beide sind einem eher engen Tangobegriff verbunden. Aufweichungen und Randerscheinungen sind zwar in einem gewissen Rahmen hinzunehmen, da eh' nicht zu verhindern, und tolerant wollen wir ja auch ein bißchen sein. Aber es ist auch wichtig Stellung zu beziehen. Und sei es nur, daß andere eine Wahlmöglichkeit erhalten.

Anonym hat gesagt…

Spell "New York", Jim - das kann er aber nicht, denn er ist zu sehr zugekifft. Ähnlich muß das bei "spell bound tango" sein, einer so dämlich albernen Wortschöpfung, daß ich beim Lesen Krämpfe bekomme. Für das Wörtchen "spell" bietet das Wörterbuch eine ganze Latte an Bedeutungen an. Am treffendsten dürfte die Übersetzung "Husten-Anfall" passen, denn "bound Tango" verursacht genau dieses. Der Erfinder des "spell bound Tango" versucht mit hochtrabenden Worten BDSM zu vermarkten. Da ihm die Worte fehlen, seine Perversionen verständlich zu beschreiben, ist sein stärkstes Argument, man müsse es einfach mal miterlebt haben. Aber genau das will ich nicht, da es für mich eine klare Ekelgrenze gibt. Es reichen mir die Schilderungen von Personen, die dabei waren. Ich habe ausführlich über BDSM recherchiert, und es reicht mir. Ich werde richtig böse, wenn jemand kommt und mit blasierten Sprüchen seine Abartigkeit als Kunst vermarkten möchte. Kunst provoziert zuweilen, und die Reaktion bleibt nicht aus: "spell bound tango" - was für eine gequirlte Kacke!

Anonym hat gesagt…

Als Besucher des ersten Dekadance-Clubs muss ich zum vorigen Schreiber jetzt aber doch mal was klar stellen: - Die Bound Tango macher waren dort nicht zugekifft und waren es auch nicht auf anderen Veranstaltungen, auf denen ich diese schon getroffen habe.
- Es gab dort keinerlei echte oder gespielte Gewaltanwendungen. Die Bondage, die ich dort gesehen habe war für mich eine Gestaltungskunst. Als jemand für den so etwas völlig neu ist, assoziierte ich Indianerspiele, Pfadfinder und Segelkurs aus früheren Jahren, und das war auch ganz nett. Aber gewiss keine Grundlage für (Er)regungen, wo auch immer. Für die Beteiligten mag das anders sein oder auch nicht.
- Mein Eindruck vom Veranstalter: Er ist so besessen, aus den Ideen des Tango etwas zu machen und die Grenzen zu erweitern, dass er sich über potentielle Kritiker zu wenig Gedanken macht, bzw. diese locker ertragen kann. Wie du ja sagst: Kunst provoziert, wobei ich es zwar interessant finde, du aber nicht erklärst, warum es sich hier um Kunst handelt.
- Beachte: Er spricht nie vom Tango Argentino, nur vom Tango. Dies zu unterscheiden gelingt auf diesem Forum wenigen und wäre mal ein eigenes Thema wert.
Schönen Tag noch.

cassiel hat gesagt…

Eigentlich habe ich es immer sehr geschätzt, daß der Umgangston der Kommentierenden hier im Blog sehr ordentlich war. Darf ich an dieser Stelle einmal meine Bitte formulieren, daß alle Mitdiskutierenden das auch weiterhin so halten?

Inhaltlich darf hier durchaus kontrovers debattiert werden - ich wünsche mir aber eine angemessene Form des Diskurses.

Vielen Dank.

Und zur Frage, ob es um den Tango oder um den Tango Argentino geht: Ich bin da momentan unentschieden. Einerseits kann man ja froh sein, daß es "nur" um den Tango geht (und nicht um den TA). Die Vorstellung von Fesselung im Tanz finde ich aber immer noch sehr fremd. Der Eindruck vom Veranstalter des D.-Clubs, er sei besessen davon, die "Grenzen zu erweitern", finde ich schon (wie formuliere ich es jetzt neutral? ... ) ... mutig.

Eine Anmerkung hätte ich vielleicht noch zum letzten Diskussionsbeitrag von Peter. Ich finde es mehr als unglücklich, bestimmten Veranstaltungen das Etikett open minded milongas zu verleihen. Bist Du Dir da wirklich so sicher, daß Besucher derartiger Events derartig offen bzw. non-konform sind?

Theresa hat gesagt…

@Cassiel:
Die sagen "open minded", weil in ihrem Weltbild die Veranstalter traditioneller Milongas (meist ist der Musikstil gemeint) engstirnig, verbohrt und "furchtbar deutsch" sind, wahlweise auch "argentinophil".
Theresa

Lydia hat gesagt…

Mal von allem anderen abgesehen ist die Vorstellung ja schon lustig, dass man sich fesseln lässt, um als "open minded" durchzugehen.

cassiel hat gesagt…

@Lydia


:-)))

Hugo hat gesagt…

Die Ankündigung von 'nackter Tango' muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ungekürztes Zitat: "Ein Geist wandelt durch die Stadt, durch das Land und darüber hinaus... der Geist einer Idee. Ein Tango-Argentino-Event bei dem unverhüllt das dem Tango Argentino zugrundeliegende 'Hure-Freier-Spiel' zur Idee und Atmosphäre auf einzigartige Art und Weise zelebriert wird. Tango Argentino der den Bogen schlägt zu bekennender Sinnlichkeit, offener Erotik, Schamlosigkeit, ja, bis hin zu ausgelebter Lust - in Spannung mit dem Tango. Eine intime Milonga. Für Tangueras und Tangueros welche nicht nur von so etwas träumen sondern auch endlich erleben wollen. Das Original."

In Tangotexten finden sich viele Bezüge zu Sex. Was mit 'El Choclo' (der Maiskolben) gemeint ist, muss nicht erklärt werden. Der ursprüngliche Titel von 'Cara Sucia' (schmutziges Gesicht) hiess 'Concha Suica' (dreckige Fotze), bevor er der Zensur zum Opfer fiel. Dieser Patzer muss der Lacher des Jahres gewesen sein. 'Sex and Drugs and Rock and Roll', 'Voules vous coucher avec mois ce soir', 'Satisfaction': Bezüge zu Sex sind in jeder Musikrichtung zu finden. Nur zahlen Musiker schon lange nicht mehr dafür, weil viele sich vor Gelegenheiten nicht mehr retten können. Das ist bereits bei Alberto Castillo verbürgt. Nur wer gar nichts über den Tango weiss, kommt auf die Idee, ihn auf seine Verbindung zu Prostitution zu reduzieren.

Hugo hat gesagt…

Die Definition vom 'Hure-Freier-Spiel' der Veranstalters ist besonders süffig. Ungekürztes Zitat: "In den Bordellen Buenos Aires' und Montevideos' am Ende des 19. Jahrhunderts, der Geburtsstunde des Argentinischen Tangos, gab es sogenannte Kontakt-Salons, große recht elegant eingerichtete Entreés, in denen die Freier mit den Huren ins Gespräch kamen, um dann wenn es passte irgendwann zusammen 'nach oben' zu verschwinden. Nun war es damals nicht so wie heute, dass man einfach über Geld und Dienstleistung verhandelte. Das tat man eh mit der 'Dame du Maison' und nicht mit der Hure, welche jedoch zuvor erst einwilligen musste. Die Huren konnten das damals durchaus, denn sie wussten um ihren raren Wert. Sondern man pflegte zuerst gesellschaftlichen Umgang miteinander, übte Konversation und tanzte auch sehr viel. Das dürfte auch durchaus der 'Anheizung' gedient haben. Jedoch war der Überschuss der frisch eingewanderten Männer gegenüber Frauen und erst recht Huren immens, die Nachfrage war viel höher als das Angebot. So kam es, dass die Männer in ihrer Sonntagskleidung miteinander in Konkurrenz gingen, was die nur spärlich bekleideten oder gar halbnackten Huren anging. Zum einen tanzten dann Männer mit Männern, einerseits mangels Partnerinnen und andereseits um ihre Fertigkeiten zu üben und weiterzuentwicklen. Und zum anderen versuchten sie beim begehrten Tanz mit der Hure ihre Nebenbuhler um diese um eines der raren (damals ausgiebigeren, bisweilen die ganze Nacht währenden) Schäferstündchen tänzerisch auszustechen - indem sie in der Hure durch gewagten erotischen Tango große Leidenschaft und persönliche Zuneigung für sich zu erwecken suchten. Der beste sinnliche Tangotänzer war also im idealen Fall der glückliche, weniger jener welcher am meisten Geld bot oder am schnellsten interessiert war oder schlicht nur am besten aussah. Mal abgesehen vom zahlenmäßigen Hure-Freier-Verhältnis und der räumlichen Trennung von Anbahnung und 'Erfüllung' geht es uns nun bei 'Nackter Tango' um genau diese Kontakt-Salon-Atmosphäre, was ja auch bei den bisherigen Malen mehr als nur gelungen ist, wie man den Gäste-Stimmen oben leicht ennehmen kann."

Hugo hat gesagt…

Lokale wie das 'Armenonville' in Buenos Aires gab es, aber dort wurde nie nur Tango gespielt. Kürzlich wurden in Buenos Aires bei Bauarbeiten die Fundamente entdeckt. So wie der Veranstalter von 'nackter Tango' das beschreibt war dieser Markt nicht organisiert. Prostitution muss Profit bringen. So wie das die Veranstalter beschreiben, klappt das nicht. Kunden dieser Cabarets mit exklusiven Angeboten für Hurenböcke waren nicht nicht die Einwanderer sondern die Reichen. Alle anderen wurden vom Türsteher abgewiesen. In so einem Lokal haben nie Männer miteinander getanzt weil das keinen Profit bringt, höchstens mal Frauen mit Frauen zum aufgeilen. Von dem was ein Freier dort für eine halbe Stunde einer Hure abdrücken musst, hätte eine arme Familie sich einen Monat lang ernähren können. Von dem was die ganze Nacht einer Hure dort kostete, hätte eine arme Familie sich eine berufliche Existenz aufbauen können. Schäferstündchen mit einer Hure, die ganze Nacht, zum Nulltarif, weil er so unwiderstehlich ist? Mann, in welcher Märchenwelt leben die Veranstalter von 'nackter Tango'? Es muss für eine 18-Jährige geil sein, sich von einem fetten Mittvierziger von hinten in den Arsch ficken zu lassen, weil er zu besoffen ist um ihn hoch zu bekommen und das richtige Loch zu finden. Das dauert ewig und am Ende muss sie Hand anlegen, damit der erbärmliche Akt ein Ende nimmt, bevor der Freier einschläft. Sonst verlangt er hinterher sein Geld zurück, weil er nicht zu Schuss gekommen ist. Die Prostitution für arme Einwanderer war anders organisiert. Wenn Freier wenig Geld haben, bringt nur die Masse den Profit. 70 Freier pro Tag waren üblich. Diese Fliessbandarbeit lässt sich nur mit Französisch erledigen. Wenn eine Hure gut war schaffte sie 6 Freier pro Stunde, musste über 12 Stunden täglich lutschten. Mit ein paar kurzen Pausen zum verschnaufen, Rauchen, Scheissen, Essen, Weinen, dauerte das 14 Stunden. Pro Freier blieben keine 5 Minuten für den Akt inklusive Ejakulation. Weil der Freier vorher zahlen, sein Ding aus der Hose und schussbereit bekommen musste. Weil die Hure sich hinterher wenigstens das Gesicht abwischen und das Maul ausspülen musste. Für das laszive Hure-Freier-Spiel bleibt weniger Zeit als ein Tango dauert. Ein Pornostarlet das kürzlich nach einer Brust-OK krepiert ist, hatte einen Kreislaufkollaps, als sie einen Lutschrekord aufzustellen versuchte, der damals Alltag war. Das ist ein knallharter Job.

Hugo hat gesagt…

Bordellcabarets hatten nur wenig mit Tango zu tun. Die gab es in jeder Weltstadt. Sogar in der Provinzstadt in der ich gross geworden bin gab es so ein Lokal auf zwei Stockwerken. Die 100 Jahre alte Marmortreppe ist immer noch da. Sie führt nur noch zu den Toiletten, weil die dritte Tür zugemauert ist. In diesen Puffs landeten nur die attraktivsten 5 Prozent der Huren. Für alle anderen Huren gab es kein paradiesisches Hure-Freier-Spiel, bei dem die Hure sich nach stundenlangem posieren den aussucht mit dem sie die Nacht verbringt, nur Siebentagewoche menschenverachtende Fliessbandarbeit bis zur Erschöpfung. Huren die nach einigen Monaten oder Jahren anschaffen im Cabaret verbraucht und alt waren, durften für den Rest des Lebens Dauerlutschen. Falls sie es schafften zu fliehen konnten sie natürlich mit ein paar Steinen ins Wasser springen bevor die Polizei sie aufgriff und ihrem Luden zuführte.

'Nackter Tango' schiebt den Tango in eine widerliche Ecke und reduziert ihn auf eine dumme Fantasie. Als Tänzer habe ich keine Lust, mich im Gespräch mit Nichttänzern davon distanzieren zu müssen. Solche Veranstaltungen erinnert an Tänzer, die ihrem Freunden bei einer Currywurst grosskotzig erzählen, dass bei ihnen alle Freuen beim Tanzen einen Orgasmus bekommen. Das ist absurd, leider kein Scherz, noch so eine geschmacklose Fantasie. So kann nur einer reden, der noch nie den Orgasmus einer Frau erlebt hat. Mich überrascht, wie wenig Frauen hier ihre Meinung schreiben.

cassiel hat gesagt…

Und an dieser Stelle schließe ich die Diskussion.

Per eMail wurde ich auf das Blog des Veranstalters und auf einige andere Internetseiten hingewiesen und was ich da lesen musste ließ mich verstummen. Da gibt es einerseits das Verhalten des Veranstalters und mit wenigen Klicks ist man bei einer Beteiligten und den (zumindest zeitlich in einem engen Zusammenhang stehenden) psychischen Folgen der Eskapaden. Auch wenn alle Beteiligten - rein juristisch betrachtet - erwachsen sind, die Konstellation von zwei Psychen finde ich in diesem Fall hochgradig besorgniserregend (neutraler kann man das nun wirklich nicht mehr formulieren).

Für mich hat das überhaupt nicht mehr mit Tango zu tun. Insofern kneife ich die Diskussion ab.