Montag, 19. September 2011

Für die neue Woche 119: Roberto Firpo - Milonga del 38

Mit der Musik von Roberto Firpo habe ich, ich gebe es zu, immer noch meine Schwierigkeiten. Um aber seinen Stellenwert im Tango zu würdigen, stelle ich heute einmal eine Milonga vor, die er mit seinem Quartett 1938 einspielte: Milonga del 38.

Roberto Firpo (Bildquelle: Internet)
Roberto Firpo (10. Mai 1884 - 14. Juni 1969) muss wohl als erster großer Pianist im Tango gesehen werden. In dem Buch von Horacio Salas: "Der Tango" kann man die Anekdote lesen, wie Roberto Firpo 1913 den Tangomusik-Wettbewerb im Armenonville gewonnen hatte. Es war zur damaligen Zeit ungewöhnlich, daß ein Pianist gewählt wurde (angeblich "gratulierte" sogar ein Gitarrist mit einem Faustschlag). Fortan war Firpo ein gefragter Musiker. So wie das Armenonville ein äußeres Zeichen für die Ankunft des Tangos - nach dem Umweg über Paris - im damaligen "Bildungsbürgertum" war (es war ein Cabaret für die bessere Gesellschaft), so war mit Firpo endgültig das Klavier als Instrument dieses "Bildungsbürgertums" im Tango akzeptiert. Wenn man es einmal drastisch überspitzt formuliert, dann wäre ohne Firpo ein Di Sarli, ein Pugliese, ein Demare oder sonst irgendein Pianist im Tango schwer zu erklären.

Ich persönlich habe (noch) keinen Zugang zur Musik von Roberto Firpo. Gerade die Aufnahmen mit dem Cuarteto sind zwar für die Zeit technisch bemerkenswert (das Beispiel heute stammt aus den späten 30ern), sie klingen aber für meine Begriffe leicht nervös und hektisch - ja, die Instrumentierung wirkt manchmal artifiziell bzw. manieriert. Die Milonga del 38 kann ich mir zwar als Musik zum Tanzen durchaus vorstellen, als Tango zum reinen Hören würde ich es mir jedoch nicht auflegen. Aber das ist nur meine höchst subjektive Meinung.

Roberto Firpo (instrumental mit seinem Cuarteto) - eine Aufnahme vom 23. Mai 1938

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche.

9 Anmerkung(en):

Uralt hat gesagt…

"als Tango zum reinen Hören würde ich es mir jedoch nicht auflegen"


Ja einverstanden, ich kann mir aber auch niemanden vorstellen, der sich gemütlich in einem Sessel installiert um z.B. Biagi zu hören.
Firpo ist ein Orchester mit einem ausgeprägten eigenen Stil. Dieser eignet sich gut, um während der Milonga musikalisch einen Bruch zu erzeugen, den es manchmal ganz einfach braucht. Ausserdem hat Firpo einige sehr gute Milongas eingespielt, die den Namen „ Milonga als Tanzmusik“ auch verdienen. Diese Milongas haben das, was ich den richtigen Milonga-Groove nenne. Leider scheint die Mehrheit der DJs/DJanes keine Milongatänzer zu sein, denn es werden zu oft Milongas gespielt, denen eben dieser Groove fehlt. (Es fällt mir kein besserer Ausdruck als Groove ein)

tangopeter hat gesagt…

Es ist nicht Firpo selbst, der es schwermacht, den Stellenwert seiner Musik zu würdigen,
es ist vielmehr das Marketing der Musikindustrie. Es ist immer noch nicht ganz leicht,
gute, milongataugliche Stücke zu finden, die sich eben nicht auf die bekannten
Einspielungen der Cuartetos beschränkten. Die nämlich sind in der Tat dünn instrumentiert,
nervös und hektisch. Die Milonga del 38 ist da geradezu eine saftige Rosine (Danke, Cassiel)
im ansonsten eher langweiligen Rührkuchen dieses Abschnitts in Firpos Schaffen.
Das kommt vielleicht dabei heraus, wenn man keinen Bock mehr auf Tango hat
und statt dessen mit Rinderzucht und Börsenspekulation die schnelle Kohle machen will.
Als Einstieg in den "besseren" Firpo könnte diese Tanda dienen:

Fuegos Artificiales
Vea Vea
El Compinche
La Murra

Dazu habe ich im Frühjahr die Boys von Sexteto Milonguero tanzen sehen - sehr schön...
Firpo ist schon eine Klasse für sich, leider sind die wirklich guten Sachen schwierig aufzutreiben.
Ich muss auch zugeben, eine brauchbare Diskografie von Firpo ist mir bisher nicht in die Finger
gekommen. Vielleicht kann Theresa helfen? ;-))

chamuyo hat gesagt…

eine halbwegs brauchbare Diskographie von Firpo:
http://tangodj.org/firpo.html
Firpo war fast so produktiv wie Canaro, er soll bis 1959 ca. 3000 Aufnahmen gemacht haben. Da er bereits 1913 schon sein erstes Orchester hatte, gibt es sicherlich auch Aufnahmen, von denen niemand mehr etwas weiß. Ich vermute, das ist auch der Grund, warum Todotango immer noch keine Firpo Diskographie veröffentlicht, weil sie einfach nicht gut genug sein kann.

Die von tangopeter aufgeführten Stücke sind allesamt von der Orquesta Roberto Firpo aufgenommen, das ist eine ganz andere Musik als die Cuarteto Aufnahmen.
Der Stil von Cuarteto ist sehr viel älter, ungefähr das, was man sich unter Guardia Vieja vorstellt, obwohl kein Lebender mehr da ist, der es tatsächlich gehört hat. In diesem Stil hat auch Miguel Villasboas gespielt, Anfang der 60'er.

Theresa hat gesagt…

Ja gerne äußere ich mich zu Firpo!

Roberto Firpo wollte sich 1930 zur Ruhe setzen, da war er immerhin schon 46 Jahre alt und hatte jahrzehntelang mit großem Erfolg Musik gemacht. Er hatte sein Geld aber so angelegt, dass ihm in der Wirtschaftskrise alles verloren ging. Deshalb musste er weiter Musik als Broterwerb machen. Dabei betrieb er sowohl das Orchester als auch das Cuarteto. Das Orchester, das ab ca. 1936 sehr reichhaltig instrumentiert war, mit Cello und Bläsern, hatte nicht immer Engagements; in Flaute-Zeiten arbeitete er mit dem Cuarteto, bis in die 50er Jahre hinein.

Das Cuarteto trug den Namen "A la Guardia Vieja" und musizierte meist im Rhythmus der alten Guardia Vieja von vor ca. 1922, von der es keine auflegbaren Aufnahmen gibt. Dieser Rhythmus ist eins -(zwei) - und - drei - vier, der typische Milonga-Rhythmus, und das Tempo ist etwas langsamer als Milonga; manche nennen das heute Tango-Milonga. Die Spielweise mutet etwas hektisch an, ist aber sehr virtuos, und ich höre eher viel Spielfreude raus und nicht Lustlosigkeit, wie Peter nahelegt.

Das Orchester dagegen spielt langsamer und klingt wärmer, weicher und voller.

Aber die Spieltechnik der Violinen ist im Cuarteto und im Orchester gar nicht so verschieden.

Aus mir unerfindlichen Gründen wird vom Orchester Firpo fast nie etwas in Milongas aufgelegt, obwohl es eine seit Jahren leicht erhältliche CD gibt: "Tangazos de antaño" von Reliquias, die hab ich neulich sogar bei Beck in München gesehen (zwei der von Peter vorgeschlagenen Stücke sind da drauf). Die anderen Sachen vom Orchester Firpo (aus den 20er Jahren gibt es schon sehr schöne und reichhaltige Musik; sehr romatisch die frühen 30er Jahre) sind auch nicht sooo schwer zu bekommen, es gibt einige CDs beim Buenos Aires Tango Club, bei dem man online bestellen kann. Eine Diskographie kenne ich nicht, aber ich orientiere mich weniger an Diskographien als einfach daran, was zu bekommen ist.

Von der CD "Tangazos de antaño" empfehle ich besonders eine wunderschöne Version von "El amanecer", dann "Arrepentido", das ist unglaublich romatisch und virtuos, und den Vals "Barreras de amor", der ist fröhlich, beschwingt und mit schwindelerregenden Geigen.

Firpo rocks!

Theresa (zur Zeit in Buenos Aires auf der Suche nach neuem Stoff)

tangopeter hat gesagt…

@Theresa
Ich muss zugeben, dass meine Musikempfehlungen sich nicht
ganz uneigennützig an einer grossen Versandfirma orientieren,
die "Tangazos de antaño" natürlich auch im Programm hat...
Die von Dir genannten wundervollen Stücke gehören zu meinen Lieblingen,
zumal die Tonqualität sehr gut ist - dass Firpo rockt, kann ich nur unterstreichen!
Für mich stellt sich eher das Problem der Auflegbarkeit so manch anderer
hervorragender Aufnahmen. Vielleicht verlinke ich an dieser Stelle mal auf einige
Beispiele dieses Zwiespalts: Einerseits superschöne Musik, andererseits grenzwertige Tonqualität.
Bei der Fülle von Firpos Werk taucht oft die Frage auf, was noch zumutbar ist.
Die Grenze ist bei jedem Tänzer, bei jedem Gehör verschieden.
Ich lote sie auch immer wieder mal aus und muss mir dann berechtigte Kritik anhören,
kann daher auch DJs verstehen, die lieber auf Nummer Sicher gehen.
Das mag dann auch ein Grund sein, warum Firpo in vielen Milongas unterrepräsentiert ist.
Doch wie gesagt, Tangazos de Antano sollte wirklich nicht fehlen!
Viel Erfolg bei der Suche nach Stoff!

Unknown hat gesagt…

Der Artikel von Cassiel gab mir den Anlass mich nochmals mit diesen wunderbaren Künstler der Guardia Vieje zu beschäftigen. Dafür vielen Dank, Cassiel!

Ich versuche eine Liste von CD’s zusammen zu stellen, die relativ einfach zu bekommen sind. In Klammer stehen die sog. TIN’s, die die Suche auf tango.info immens erleichtern.

Zuerst ein Paar CD’s die man in Europa relativ preiswert über die üblichen Wege bekommt. Fast alle kann man auf amazon unter 5€ bekommen
- Tangazos de Antano Reliquias (00724354172724)
- De la Guardia Vieja Vol. 1 - 3 2007 Reliquias (00724383747726, 00724349997929, 00724354169922)
- Tangos Y Valsecitos Vol.1-2 2007 Reliquias (00724352913329, 00724359515625)
- Las milongas más milongas Reliquias (00724352943326)
- Alma de Bohemio 1989 El Bandoneón EB-CD-08 (08427328130080) - ... Y Su Cuarteto
- Milonga orillera 1996 El Bandoneón EB-CD-75 (08427328130752
- Sentimiento Criollo 2005 El Bandoneón
- 40 grandes éxitos 1999 Blue Moon CD 609 (2 CDS) (08427328146098)
- From Argentina to the world EMI (00094637197028)
- 1920-1944 2006 Harlequin HQCD 138 (00008637213824)
- Serie de Oro:Grandes Exitos 2004 EMI

Die schon erwänten Buenos Aires Tango Club (BATC) bietet eine umfangreiche Sammlung
- Roberto Firpo CPM105 (02480003010523)
- Roberto Firpo – “En la brecha” (1927-1935) ORQ 202 (02480003020225)
- Roberto Firpo – “Marejada” (1931-1934) ORQ 241 (02480003024124)
- Roberto Firpo – “Marejada” (1926-1927) ORQ 242 (02480003024223)
- Roberto Firpo – “El apronte” (1926-1927) ORQ 278 (02480003027828)
- Roberto Firpo – “Bravo porteño” (1935-1942) ORQ 285 (02480003028528)
- Roberto Firpo – “Viejo Tango” (1927-1931) ORQ 332 (02480003033225)
Bei Preisen um $9 fällt mir einen Import aus finanziellen Gründe schwer.

Hier einige Formationen, die Firpo selber gegründet und geleitet hat:
1913 - Trio mit Eduardo Arolas (Bando) und David Tito Rocatagliata (Viol) , später auch Leopoldo Thompson (Kontrabas)- Vertrag mit Armenoville und Max Glucksmann, erste Schalplatte bei Era mit “Argañaraz” und Odeom-Nacional
1914-17 BsAs/Montevideo - Orquesta Tipica Criola mit Jose Martinez (Piano, 1926-29 Pugliese), Eduardo Arolas (Bando 1), Osvaldo Fresedo (Bando 2), Pedro Polito (Bando 3), “Bachicha” (Bando 4), Francisco Canaro (Viol 1), Leopoldo Thompson (Kontrabas), Cayetano Puglisi (Viol ab 1918), Fernando Murillo (voc, ab 1930)
1916 BsAs - Cuarteto Roberto Firpo mit Tito Rocatagliata (Viol), Juan “Bachicha” Deambroggio (Bando) und Juan Carlos Bozan (Klarinette) - Aufnahmen bei Odeon und Victor, erste Plattenaufnahme von La Cumparsita
1935 - Cuarteto “Alma de Bohemio” (gleichnamige Titel von 1929, Erstaufgeführt in Armenoville, meine Lieblingaufnahme OF-P mit Podesta, 1946). Diese Formation wurde dann aus Geldnot gegründet. Sie versucht der Aufführungsstil der Guardia Vieja wieder aufzunehmen und zu etablieren - mit einen m.E.n. mäßigen Erfolg.

Ich tendiere mich der Meinung von Theresa anzuschließen. Für mich ist Firpo sentimental ohne kitschig zu werden. Die Musik ist virtuos gespielt und sehr professionell instrumentiert. In Gegensatz zu andere Musiker, hat er die “decarensische Revolution“ nie ganz vollzogen, was ihm in meine Augen sehr sympathisch macht. Er hat Musiker wie Pedro Mafia, Osvaldo Fresedo, Francisco Canaro, Leopoldo Thompson sehr stark geprägt. Nur durch diese Musiker war später der Wandel zu Epoca d’ Oro möglich.
Ich bin auch der Meinung, dass der unverwechselbare Klang der frühen Firpo auf keine Milonga fehlen soll.

cassiel hat gesagt…

Nur schnell zwischendurch:

Herzlichen Dank für die schönen, ausführlichen und informativen Anmerkungen! Ich habe alle gerne gelsen.

Muss schon wieder weiter...

Einstweilen viele Grüße

c.

Theresa hat gesagt…

Wow Sweti, vielen Dank!

Darf ich noch hinzufügen, dass Ende der 30er Jahre Horacio Salgán das Klavier im Orchester von Firpo spielte; im Cuarteto hingegen spielte Firpo selbst.

Bei deiner CD-Liste ist es, glaube ich, so, dass die in Europa erhältlichen CDs mit Ausnahme von "Tangazos de antaño" vom Cuarteto sind, die vom BATC sind hingegen alle vom Orchester.

Hey, und was ist denn das für eine Aufnahme von "Alma de bohemio" mit Podestá???

Theresa

Unknown hat gesagt…

@Theresa
...30er Jahre Horacio Salgán das Klavier im Orchester ...
stimmt, habe ich vergessen

...Bei deiner CD-Liste ist es, glaube ich, so, dass die in Europa erhältlichen CDs mit Ausnahme von "Tangazos de antaño" vom Cuarteto sind
bin ich mir nicht so sicher, muss ich heute Abend prüffen

guck hier