Mittwoch, 16. Mai 2012

Für die neue Woche 135: Pedro Laurenz, Martin Podestá - La vida es una milonga

"Stellst Du heute mal wieder einen Titel vor?"

Nachdem ich mich in letzter Zeit nun wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert habe, gibt es heute wieder einen Beitrag in der Serie "Für die neue Woche". Meine Wahl fiel dieses Mal auf eine Milonga von Pedro Laurenz mit dem Sänger Martin Podestá (Martin Podestá ist weder verwandt noch verschwägert mit dem Sänger Alberto Podestá; beide haben diesen Familiennamen erst später angenommen. Martin Podestá erblickte als Fidel Martín Carrouche 1913 das Licht der Welt, Alberto Podestá wurde 1924 als Alejandro Washington Alé geboren [Quelle: todotango.com]). La vida es una milonga ist eine Milonga ganz im energiegeladenen Stil von Pedro Laurenz (Kompsition: Fernando Montoni Text: Rodolfo Sciammarella - der Text in spanisch/englisch). Man muss keine intensiven Studien in Romanistik betrieben haben um den Titel zu übersetzen. Das Leben ist eine Milonga, diese Aussage vermittelt eine gewisse Leichtigkeit, nach der wir möglicherweise alle im Tango suchen.


Pedro Laurenz (mit Martin Podestá) - Eine Aufnahme vom: 05. September 1941

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Aber vielleicht bleiben wir doch noch ein wenig bei dem vergleichsweise atypischen Titel dieses Stücks. Natürlich suchen wir häufig die Leichtigkeit im Tango, die der Titel in seiner ursprünglichen Form vermittelt. Aber spätestens seit dem Kommentar eines Lesers zum letzten Artikel in dem er anmerkte, daß der Tango auch eine Geisteshaltung sei, treibt mich der Gedanke um, wie es wäre, wenn wir das symmetrische Pendant der in diesem Titel postulierten Äquivalenz bilden: Eine Milonga ist [wie] das Leben. Fast zwangsläufig muss man an die üblicherweise tragischen Texte vieler Tangos denken - vorzugsweise über unglückliche Lieben. Da spätestens ist dann wieder diese Schwere. Wie passt das denn eigentlich zusammen?

Ich habe neulich beim Aussortieren alter Dinge über eine Arbeitshypothese zum Tango nachgedacht: "Tango ist die - bisweilen höchst sentimentale - Erinnerung an eine Zeit, in der die eigene Vergangenheit noch Zukunft war." Das betrifft viele Lebensbereiche, nicht nur Beziehungen (aber bei der Frage wird es i.d.R. besonders schmerzhaft). Die Melancholie im Tango ist vielleicht in diesen sehnsüchtigen Erinnerungen gebunden und gleichzeitig kann man den aktuellen Tango genießen und die Leichtigkeit verspüren, die der Titel Das Leben ist eine Milonga vermittelt. Möglicherweise ist es eben kein Widerspruch und all diese Befindlichkeiten können friedlich nebeneinander im Tango existieren. Der Tango wird zur Therapie um mit den eigenen Defiziten gnädiger und weiser umzugehen.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine gute Woche!

Hmmm... Kein grandioser Beitrag, aber immerhin habe ich mal wieder geschrieben. ;-)

4 Anmerkung(en):

Theresa hat gesagt…

Guten Morgen!

So leicht, wie der Titel klingt, ist der Text gar nicht, denn sowohl Milonga als auch Leben können hart sein. Hier ist der Text mit meiner bescheidenen, un-dichterischen Übersetzung:

Todo el mundo está esperando
mejorar su situación;
todos viven suspirando
con razón o sin razón.
Todo el mundo se lamenta
si en la buenas ya no están;
nadie aguanta la tormenta
si la contra se le da.
La vida es una milonga
y hay ques saberla bailar,
que en la pista está sobrando
el que pierde su compás.
La vida es una milonga
y hay ques saberla bailar,
por que es triste estar sentado
mientras bailan los demás.

Alle hoffen darauf, ihre Lage zu verbessern;
alle seufzen, mit oder ohne Grund;
alle klagen, dass es schon mal bessere Zeiten gab;
niemand hält das Unwetter von Widrigkeiten aus.
Das Leben ist eine Milonga,
man muss sie tanzen können,
denn wer aus dem Takt kommt, gehört nicht auf die Piste.
Das Leben ist eine Milonga,
man muss sie tanzen können,
denn es ist traurig sitzenzubleiben, wenn die anderen tanzen.

Das Stück ist wirklich toll, und der Höhepunkt ist das chromatische Klaviersolo in der letzten Phrase.

Theresa

Unknown hat gesagt…

Lieber @Cassiel,

ich freue mich, dass du wider die Kraft gefunden hast, hier einige Gedanken über Tango zu verfassen.

Über diese Vergleich, das du hier ansprichst (Milonga (als Tanz) vs. Leben), habe ich selber oft nachgedacht. Ja, eine Milonga vermittelt den Eindruck der Leichtigkeit. Es ist meistens eine fröhliche Musik mit einem "gleichmäßigen" Takt. Wenn man gute Tänzer beobachtet bekommt man den Eindruck, als sie über den Tanzboden schweben – keine Stopps, nur flüssiges Tanzen. Versucht man die Musik zu vertanzen, merkt man schnell, dass diese Gleichmäßigkeit relativ schwer tänzerisch umzusetzen ist. Man tanzt auf jeden Schlag, man kann auch verdoppeln (ein Schritt zw. zwei Schläge tanzen) – das ist alles. Im Vergleich zur Tango sind die choreographischen Möglichkeiten begrenzt. Darin besteht auch die Schwierigkeit bei der tänzerische Interpretation der Milonga – man kann nicht Fehler durch einbauen von Pausen vertuschen, jede falsche Bewegung führt (fast automatisch) zu einen Taktverlust, der sofort sichtbar ist und was noch schlimmer ist, von den Partnerin spürbar ist.

Genau diese Besonderheit der Milonga hebt der Sänger in "La vida es una milonga" in der zweite Strophe hervor: "que en la pista está sobrando/ el que pierde su compás." (denn wer aus dem Takt kommt, gehört nicht auf die Piste – danke, Theresa). Das berühmte Hamsterrad lässt grüßen... Einen Fuß nach den anderen setzen, immer wieder, kein Schlag verpassen. Man darf den Anschluss nicht verlieren, immer fröhlich und leichtfüßig durchs Leben gehen... Ich bin froh, dass es Tangos gibt, wo ich lange, lange Pausen „tanzen“ kann :)

Theresa hat gesagt…

Sweti,
auch in der Milonga kann man sich die Freiheit nehmen, Pausen zu tanzen, sie sollten halt zu den Akzenten in einer Phrase tanzen. Es ist nicht leicht, aber toll, sich nicht zum Sklaven des Taktes zu machen!
Theresa

Anonym hat gesagt…

Der Titel drängt einem die kleine sprachliche Spielerei so sehr auf, daß man sie lieber vermeiden möchte.
Und ist damit gut beraten, wenn man den Text kennt. Er ist weder ein Plädoyer für Entschleunigung noch Taktsklaverei, und insbesondere keine romantische Lebensbetrachtung. Statt zu Jammern sei es wohl besser, sich den Herausforderungen zu stellen und sie zu meistern, nach dem Motto: nur die Harten kommen in den Garten. Die Musik nimmt dem Ganzen dann die Schärfe, und gibt ihm eine satirische Wendung (denn einfach zu tanzen ist diese Milonga nicht).
Also Jungs, wenn das nächste Mal dieses Stück gespielt wird, denkt daran: wer aus dem Takt kommt, gehört nicht auf die Piste (nein, ist natürlich nicht so gemeint.