Montag, 4. Juni 2012

Für die neue Woche 136: Aníbal Troilo - Comme il faut

Für heute habe ich einen instrumentalen Tango ausgesucht, der von drei der vier großen Orchester ("the big four" Juan D'Arienzo, Carlos Di Sarli, Aníbal Troilo und Osvaldo Pugliese) eingespielt wurde. Comme il faut, eine Komposition von Eduardo Arolas aus dem Jahr 1917 (es gab auch einen Text von Gabriel Clausi - sämtliche hier vorgestellte Versionen sind allerdings instrumental).

Wir sind im Jahr 1938 und ein neues Orchester spielt zum ersten Mal einen Tangotitel für eine Schellack ein. Der Orchesterleiter ist kein geringerer als Aníbal Troilo. Seine Wahl für die erste Aufnahme fällt auf Comme il faut (übersetzt etwa: Wie es sich gehört), komponiert von einem Bandoneon-Virtuosen seiner Zeit: Eduardo Arolas. Die Komposition ist zum Zeitpunkt dieser Einspielung bereits über 20 Jahre alt.
Zwei Jahre zuvor hatte Juan D'Arienzo schon diesen Titel (ebenfalls instrumental) eingespielt und Carlos Di Sarli hat diesen Titel später gleich mehrmals aufgenommen.

Aníbal Troilo - Eine Aufnahme vom: 07. März 1938

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Juan D'Arienzo - Eine Aufnahme vom 27. Oktober 1936

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Carlos Di Sarli - Eine Aufnahme vom 14. Januar 1947

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Carlos Di Sarli - Eine Aufnahme vom 26. September 1951

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Carlos Di Sarli - Eine Aufnahme vom 15. Juli 1955

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Ob Eduardo Arolas diesen Titel in Paris (er war lange dort und der französische Titel legt diese Vermutung nahe) oder in Argentinien komponiert hat, konnte ich nicht herausfinden. Ein interessantes Detail habe ich aber noch zu berichten. Aufmerksame Leserinnen und Leser werden vielleicht eine thematische starke Ähnlichkeit zu dem Tango Comparsa criolla (1930 von Francisco Canaro und 1941 von Ricardo Tanturi eingespielt) entdeckt haben. Comparsa criolla ist laut tango.info eine Komposition von Rafael Iriarte. In der Comunicatión interna No. 6 des Instituto Argentino de Estudio sobre el Tango wird dieser Umstand folgendermaßen erklärt: Wahrscheinlich haben Eduardo Arolas und Rafael Iriarte den Tango zusammen komponiert und jeder für sich veröffentlicht.

Ich möchte in meinem heutigen Beitrag noch auf zwei tangofremde Dinge eingehen, die für mein Empfinden sehr eng miteinander verknüpft sind. Da ist zum einen der Streit um das Urheberrecht, der absurderweise eigentlich nur in den Extrempositionen (Freigabe sämtlicher Werke einerseits und rigorose Vergütung aller Wiedergaben andererseits) geführt wird. Wann immer ich in irgendwelchen Medien Debattenbeiträge lese, geht es um eine dieser Extrempositionen. Ich denke, niemand möchte Kulturschaffenden die Honorierung ihrer Arbeit verwehren. Allerdings nimmt der Schutz der Leistungsrecht immer sonderbarere Züge an. Damit wären wir beim zweiten Thema dieser Zeilen: Der Streit zwischen YouTube und der GEMA ist so ein Klassiker. Viele Tangovideos können beispielsweise gar nicht mehr in Deutschland angeschaut werden, da die verwendete Musik sich im GEMA-Repertoire befindet. Natürlich verdient YouTube mit den Kurzvideos Geld (Werbung), allerdings (so ist jedenfalls mein Eindruck) beharrt die GEMA auf einer Extremposition und verhindert damit z.B. ganz konkret im Tango, daß Videos von Vorführungen problemlos angeschaut werden können. Niemand wird ernsthaft die Musik aus einem Tanzvideo extrahieren und seiner Tangosammlung hinzufügen. Was soll das also.

Aber zurück zum Urheberrecht. Ich denke, die Diskussion nur in dem Extremen zu führen hilft nicht weiter. Nach meiner bescheidenen Meinung sollte man verstärkt über lizenzfreie künstlerische Arbeiten häufiger reden. Ein bemerkenswerter neuer Ansatz wurde in der letzten Woche bekannt: Die Pianistin Kimiko Ishizaka hat die von mir sehr geliebten Goldberg-Variationen von Johann-Sebastian Bach eingespielt (opengoldbergvariations.org) und die Nutzungsrechte komplett freigegeben. Weitere Werke sollen folgen. Solche alternativen Lizenzformen finde ich sehr spannend. Und ich denke, sie sind u.a. ein ernsthafter Beitrag, die starren Fronten im Urheberrechtsstreit abzubauen. Für die Künstlerin ist es vielleicht Werbung für ihre Konzerte, die Nutzer kommen in den Genuss freier Musik. So haben alle gewonnen.

Die GEMA hat unlängst eine Tarifreform zum 1. Januar 2013 angekündigt. Diese Tarifreform betrifft den Tango eigentlich nur am Rande, da in den unteren Preisregionen angeblich die Musiknutzung billiger wird. Ich habe mich ernsthaft bemüht, die neuen GEMA-Tarife zu verstehen und bin an den Beispielen (auf der Website der GEMA nachzulesen) gescheitert. Die Tarife sind m.E. nicht transparent. So gab es beispielsweise früher spezielle Tarife für eine Raumgröße von 133 qm (die Vergütung richtet sich immer nach der Bruttogröße des Veranstaltungsraumes). Zukünftig gibt es nur noch Tarife für 100qm, 200qm usw. Allein hinter diesem "Aufrunden" bei der Raumgröße des Veranstaltungsraumes darf man eine "versteckte" Preiserhöhung vermuten.

Meine Kritik an der GEMA richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Sachbearbeiterin, den Sachbearbeiter am Telefon. Da findet man i.d.R. sehr nette Menschen, die sich sehr viel Mühe geben, eine Veranstaltung (wie z.B. eine Milonga) möglich zu machen. Üblicherweise wären z.B. bei einem Raum von 140 qm, 80 Personen mit 8 Euro Eintritt ein paar hundert Euro Vergütung für die Musiknutzung zu zahlen. Diese Mondpreise, die im Tango kaum erwirtschaftet werden können, schrecken viele Veranstalter ab. Wenn man dann auf die Härtefallregelung zurückgreift (ich habe den Eindruck, daß alles getan wird, um diese Härtefallregelung auf der Website der GEMA zu "verstecken"), zahlt man meist nur noch 10% der Einnahmen zuzügl. VGL-Vergütung und ggf. 50% Zuschlag für die Nutzung von Musik vom Laptop.

Ich kann diese von mir empfundene Tarif-Willkür der GEMA nicht verstehen. Hat das eigentlich System? Welche Grundlagen legt die GEMA ihren Tarifrechnungen zu Grunde? Wer erhält das eingenommene Geld konkret? Insofern möchte ich auf eine online-Petition aufmerksam machen und bitten, diese zu lesen und ggf. zu unterzeichnen. In der Petition gibt es leider keine konkrete Aufforderung an die Politik, das Geschäftsgebaren der GEMA zu überprüfen. Eine Unterzeichnung kann aber dennoch symbolische Wirkung haben und zeigen, daß der Unmut über das intransparente Gebührenmodell der GEMA wächst.

openpetition.de - Gegen die Tarifreform 2013 - GEMA verliert Augenmaß

Natürlich kann man die Frage stellen, ob derartige Petitionen überhaupt Sinn machen. So hat es beispielsweise eine Petition von Künstlern zur Überprüfung der Vergütungssätze für Künstler immerhin in den Petitionsausschuss des deutschen Bundestages geschafft. Das Video der Sitzung des Petitionsausschusses vom 18. Mai 2010 ist beim Bundestags-TV noch immer vorhanden (Link zum Web-TV Angebot des Bundestages; die GEMA-Petition wird ab etwa 1:29:00 behandelt). So wie ich es sehe, ist in den vergangenen zwei Jahren faktisch überhaupt nichts an den beanstandeten Umständen bei der GEMA geändert worden. Immerhin gab es etwas Aufmerksamkeit für das Thema und vielleicht muss man nur einen langen Atem haben, damit sich bei der GEMA etwas ändert.

Ich hoffe, meine Leserinnen und Leser verzeihen mir diesen kurzen Exkurs.


Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche.

5 Anmerkung(en):

bird hat gesagt…

Herzlichen Dank für die schöne Zusammenstellung. Kann mich gar nicht entscheiden welche Interpretation mir am besten gefällt. Jede hat ihren ganz eigenen Charme.

Dank` auch für das Thema Gema, habs gleich weitergeleitet, geht uns ja alle an.

Monika hat gesagt…

Ich hatte garnicht im Visier das es so viele Interpretationen dieses schönen Tangos gibt. Aber ich bin auch einseitig gepolt: Obwohl ich D'Arienzo liebe und di Sarli (inzwischen) sehr mag und mit Troilo noch oft hadere (ich, die ich den grössten Troilo-Fan ever daheim sitzen habe ;-) ) - Troilos Version ist die Spannendste. Zum Hören und zum Tanzen.

Die GEMA - und damit nicht zwingend zusammenhängend aber doch Teil des Themas - die Urheberrechts-Diskussion, die momentan in meiner kleinen Ecke des Netzes geführt wird beschäftigt mich sehr, aber eine konkrete, sinnvolle Meinung konnte ich mir dazu noch nicht bilden. Zuviele Einflüsse und zuwenig neue Ideen wie man das Problem angehen könnten. Wegdiskutieren lässt sich nicht dass sich Musik (und andere Daten) heute so schnell und problemlos kopieren lassen wie noch nie. Unbestritten (für mich) ist auch dass Musiker, Schriftsteller (das Urheberrechts-Problem betrifft ja auch Bücher, Video-Künstler und alle anderen kreativen Berufe die mir grad nicht einfallen) angemessen entlohnt werden sollen für ihre Leistung.

Was die GEMA (und die SUIZA, das schweizerische Pendant, seit Anfang 2012 schon) sich hier aber leisten ist meiner Auffassung nach krass, hier in der Schweiz haben sich die Tarife (ich habe mich nur mit den "Kleinveranstalter-Tarifen beschäftigt) verdoppelt, was für eine Milonga bedeutet dass sie nicht mehr CHF 45 pro Woche kostet sondern rund CHF 75, trotz Vertrag. Viele, vor allem kleine Milongas tragen das nicht und haben zugemacht.

Wenn das Geld das die GEMA/SUIZA einnimmt uneingeschränkt den tatsächlichen Musikern, im Tango also den Nachkommen der Musiker von damals oder allenfalls kontemporären Tango-Musikern zuginge, ich würde ja gerne zahlen. Aber der Verteilschlüssel richtet sich nach Plattenverkäufen und Charts. Geht hin und rechnet wieviel die Tango-Künstler kriegen.

Wirr und unausgegoren, mein Kommentar, aber genau so fühle ich mich momentan bezüglich dieses Themas

Monika hat gesagt…

ich vergass: die Petition habe ich längst unterzeichnet. Ob es was bringt vermag ich nicht zu beurteilen, aber ich wollte wenigstens mein Unbehagen ausgedrückt haben.

(Und um eines klarzustellen: ich bin deutsche Staatsbürgerin, auch wenn ich schon sehr lange in der Schweiz lebe und auch diese Staatsbürgerschaft besitze. Ich nehme mir das Recht heraus sehr gelegentlich mich in die deutsche Politik einzumischen...)

Anonym hat gesagt…

Wie würdest du es den finden wenn plözlich deine Texte irgendwo im Internet wieder auftauchen würden?

cassiel hat gesagt…

Vielen Dank für die Kommentare.

@letzter Anonym
Zu Deiner Frage: Meine Haltung zum Kopieren meiner Inhalte habe ich in der Fußzeile der Seite (mittlere Spalte) deutlich formuliert.