Mittwoch, 12. September 2012

Für die neue Woche 144: Juan D'Arienzo, Héctor Mauré - Mirame en la cara

Eigentlich wäre ja Juan D'Arienzo noch gar nicht wieder an der Reihe, aber am Wochenende habe ich sehr intensiv seine Aufnahmen mit Héctor Mauré gehört. Zwei Stücke haben sich in meinem Hirn festgesetzt. Diese möchte ich hier heute präsentieren.

Da wäre zunächst Mirame en la cara aus dem Jahr 1942 (eine Komposition von Héctor Varela mit einem Text von Luis Castiñeira) und anschließend Tango brujo (Komposition und Text Francisco Canaro) aus dem Folgejahr.

Im Moment befinde ich mich in einer Phase, in der ich eher einen Zugang zu den Interpretationen mit Héctor Mauré habe, Ich kann nicht genau beschreiben, was es ist, aber ich habe eine leichte Überdosis von Aufnahmen mit dem Sänger Alberto Echagüe. Vielleicht ist mir die Stimme teilweise einfach zu grob in der Interpretation, vielleicht liegt es aber auch nur an Änderungen in meinem Audio-Setup. Ich vermeide es sehr bewußt, hier detaillierter (im Sinne von konkreten Typenbezeichnungen) zu schreiben, aber ich habe einen "neuen" Digital-Analog-Wandler (für wenig Geld gebraucht bei ebay ersteigert) und plötzlich klingt die Stimme von Mauré voll und ausdrucksstark.

Ich möchte an dieser Stelle jetzt gewiss keine Diskussion über einzelne Audio-Komponenten lostreten, ich möchte nur einmal mehr eindringlich für einen sorgfältigen Umgang mit den alten Aufnahmen plädieren. Vor einiger Zeit habe ich mir aktive Boxen gebraucht gekauft, die vor ein paar Jahrenn noch 2.000 Euro neu gekostet haben (die kamen für etwa 600 Euro zu mir) jetzt habe ich den Digital-Analog-Wandler im Rechner arbeitslos gemacht und die Arbeit wird von einem externen Wandler erledigt (der hat gebraucht etwa 80 Euro gekostet - statt 400 Euro neu). Ich kann nur aus meiner Erfahrung berichten, daß der sensible Umgang mit Audio-Daten wirklich lohnt. Gerade bei den Aufnahmen mit Héctor Mauré wird für meine Ohren ein eklatanter Unterschied deutlich hörbar. Die Stimmlage von Mauré ist für ein Empfinden extrem heikel bei einer mittelmäßigen Audio-Kette - die Stimme "verklebt" für meine Ohren mit den Instrumenten und ein differenziertes Zuhören erfordert einige Anstrengungen.

Nicht nur beim Hören daheim, nein auch bei der Milonga hilft gute Technik ungemein. Wer einmal eine Milonga besucht hat, an der gute Technik sinnvoll eingesetzt wurde, weiß, wovon ich spreche - es ist ein anderes Tanzen. Handelsübliche PA-Systeme sind leider häufig auf die effektvolle Wiedergabe von Pop- und Rockmusik getrimmt. Das ist für Tango Argentino fast immer komplett ungeeignet. Manchmal sehe ich dann auch beim DJ ein Mischpult in minderwertiger Qualität (da könnte man gleich einen Rausch- bzw. Verzerrungsgenerator einbauen). Ich möchte an dieser Stelle noch einmal herzlich dazu einladen, darüber nachzudenken, ob wir uns alle einen Gefallen tun, wenn wir bei einer 5-Stunden Milonga mit schlechter Technik einfach unsere Ohren überfordern. Erst unlängst hat mir wieder ein Tango-Veranstalter gesagt, daß bei der minderwertigen Qualität der traditionellen Tango-Aufnahmen jeder größere technische Aufwand sinnlose Geldverschwendung sei. Meine Erfahrungen sind anders - allerdings muss dann die ganze Kette stimmen, von der Datei auf dem Rechner, durch den Digital-Analog-Wandler, durch den Verstärker zu den Lautsprechern. Eine Audio-Kette kann natürlich nur so gut sein, wie ihr schwächstes Glied.

Eigentlich macht es kaum Sinn, die beiden oben erwähnten Aufnahmen zu präsentieren; sie können auf Computer-Lautsprechern nicht ihre volle Schönheit entfalten. Ich stelle sie trotzdem hier ein und hoffe, meine Leserinnen und Leser denken einmal über ihre Audio-Kette nach.

Mirame en la cara - Juan D'Arienzo (Säner: Héctor Mauré) - Eine Aufnahme vom 18. Juni 1942

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Tango brujo - Juan D'Arienzo (Säner: Héctor Mauré) - Eine Aufnahme vom 13. Juli 1943

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich (leicht verspätet) eine gute Woche.

9 Anmerkung(en):

PacoDaCapo hat gesagt…

Ich gestehe, dass ich bei dem Orchesterklang von D’Arienzo sehr schnell ein Gefühl der Überdosis empfinde, es ist mir insgesamt doch zu treibend, zu hektisch, was dieses Orchester zu seinem Sound gemacht hat. Dafür hat man Juan D'Arienzo als den King of Rhythm, den rey del compás, gefeiert.

Mírame en la cara ist schon einmal eine Ausnahme, auch Tango brujo ist hörenswert, offenbar ein Jahrzehnt, in der sich alle Strömungen etwas annäherten und die extremen Unterscheidungsmerkmale etwas abschmolzen. Also eine gute Auswahl und ein guter Anhörvorschlag!

Bei aller möglicher Neigung oder Abneigung ist zu sagen: D’Arienzo war und ist ein wichtiger Eckstein in der Tangogeschichte und verdiente sich seine Meriten besonders mit der Wieder-Erfindung dieses besonderen Stils ab ca. Mitte der 30er Jahre. Er bewahrte damit den Tango vor einem kulturellen Absturz, einem Versinken in einer abseitigen Nische, er bereitete musikalisch das Jahrzehnt der Época de Oro vor. Wer weiß, ob nicht der Tango sonst nicht eher eine Randexistenz geführt hätte, weit in den Schatten gestellt von anderen populären Tänzen, die ein Orchester zu bieten hatte, wie Swing, Jazz, Twostep etc., wenn nicht die Betonung auf Tanzbarkeit und Rhythmus, so wie es D’Arienzo anstrebte, den Tango wieder populär gemacht hätte. Damit hat er also auch den anderen großen Orchestern der 40er Jahre den Weg bereitet. Ich habe eine Zeitungsannonce vor Augen, in der alle ständigen Orchester aufgelistet waren, die jeden Abend in Buenos Aires in den Cabarets, Sportclubs oder auch Theatern oder Kinos auftraten, aus dem Jahr 1946, als Deutschland in Trümmern lag. Ich kann mir den Wunsch von Christian Tobler, noch einmal und auch nur für einen Moment einen Ausschnitt aus dieser Epoche erleben zu können, auch mir zu eigen machen – eine wahre Pracht, was da damals abging. Und D’Arienzo war ein wichtiger Teil dieser „Máquina tanguera“, dieser Tangoindustrie, wie sie Pugliese bezeichnete. Den typischen Stil hat er bis in die 70er Jahre durchgehalten, und seine Musiker haben dieses musikalische Erbe auch weiter verwendet. Rodrigo aus Berlin wies in der Tango-de Gruppe vor einigen Tagen auf die D’Arienzo Diskografie hin und zusätzlich auf eine japanische Website, die die Besetzung des Orchesters durch alle Jahrzehnte benennt. Das fand ich sehr bereichernd, es ordnet gerade in der späteren Zeit wichtige Rollen denjenigen zu, die auch mit D’Arienzo und für D’Arienzo komponiert haben, Juan Polito, Carlos Lázzari und einige andere wie z. B. die Sänger des Orchesters. Das wirft noch einmal ein ganz besonderes Licht auf diese „Firma“, dieses Kollektiv, wie man es bei Pugliese wohl bennant hätte. Ich persönlich neige doch eher zu der Troilo-Fraktion mit einer, daneben, großen Vorliebe auch für den eleganten und präzisen Di Sarli-Stil, aber insgesamt macht es die Mischung, etwas D’Arienzo sollte schon dabei sein. Vielen Dank für die Musik an Cassiel!

cassiel hat gesagt…

@PacoDaCapo

Der Begriff "Überdosis" ist für meine Begriffe sehr passend. Juan D'Arienzo war schon in der Zeit der Épocha de Oro umstritten. Diesen Schluss lässt jedenfalls eine Äußerung von Aníbal Troilo zu: "Laugh if you will... but without him, we’d all be out of work." (zitiert nach VeryTango). Aber - wie Troilo es bereits betonte, ohne D'Arienzo hätte es vermutlich die EdO so nicht gegeben.

Zum Verständnis von Musik, Rhythmus und Tanzbarkeit möchte ich noch auf einen Artikel von Juan D'Arienzo persönlich hinweisen:
Tango has three things: beat, impact and nuances
.

Auch wenn es manche anders sehen, für mein Empfinden war es D'Arienzo, der nach dem plötzlichen Tod von Carlos Gardel die Situation nutzte und den tanzbaren Tango wieder in den Vordergrund stellte (auch wenn es vorher andere großartige und tanzbare Aufnahmen gab).

Florian hat gesagt…

Lieber Cassiel,

Obwohl ich dein Bemühen für bessere Wiedergabe sehr schätze, muss ich sagen, dass meine nicht mal mittelmäßige Audio-Kette mich nicht davon abgehalten hat D'Arienzo mit Maure zu lieben. Wobei ich die von dir vorgestellten Titel nicht zu ihren besten Lieder rechne, weder die zwei von hier noch Judas. Deshalb für mich (und wahrscheinlich einige andere) sehr interessant sie mal richtig kennen zu lernen, aber Leute die wenig D'Arienzo - Maure kennen würde ich eher andere Stücke empfehlen.

Freue mich auf den nächsten Beitrag!

cassiel hat gesagt…

@Florian

Ich will bestimmt keine Grundsatzdiskussion über Audio-Wiedergabe starten (das machen wir dann doch lieber in einem gesonderten Strang). Je intensiver ich Tango höre, desto einfacher wird es bei mir. Ich weiß mittlerweile, wie bestimmte Stücke klingen müssen und ich beobachte zunehmend eine Verlagerung des Phänomens der Gemervtheit bei mir. Was ich damit meine? Ich bin inzwischen bei schlechter Audio-Wiedergabe sehr schnell genervt (das bereitet mir natürlich auch Kopfzerbrechen bezüglich des Hörens von Tangos in der Milonga). Gerade die Stimme von Mauré hat mich früher schnell genervt. Mit sorgfältiger ausgesuchter Technik lerne ich die Titel inzwischen sehr zu schätzen.

Welche Titel von d'Arienzo mit Mauré würdest Du denn vorschlagen?

Florian hat gesagt…

Amarras, Ya lo ves, Dime mi amor... oder ihre valses: Flor del Mal, Adios querida... Für mich persönlich ist das schon eine andere Liga. Und genau deshalb lese ich deine Beiträge gerne, um mal was anderes kennenzulernen.

Neugierig hast du mich schon gemacht was das jetzt für eine DA-Wandler ist :-) Obwohl ich mich selbst nicht als unempfindlich für Musik-Qualität bezeichnen würde nerv ich mich nicht so oft daran in Milongas. Wenn schon meistens weil es zu laut ist. Natürlich kann gute Audio-Wiedergabe das Hören und Empfinden der Musik massiv verbessern, aber trotzdem ist es nur ein Faktor für eine gelungene Milonga und hab ich den Eindruck andere Faktoren sind noch viel wichtiger. Die meiste Stücke kennt man eh auswendig und wenn es dann nicht so gut klingt stellt man es sich halt vor, verbessert man den Klang sozusagen im Kopf. Ich habe ganz tolle Milongas mit unterdurchschnittlichem Klang erlebt, aber keine tolle Milongas mit z.B. unfreundlicher Atmosphere, chaotischer Piste, schlechter Musikauswahl usw.

Aber versteht mich bitte nicht falsch, ich würde mich sehr freuen wenn DJs und Veranstalter sich etwas mehr Mühe geben würden diese schöne Musik halbwegs ordentlich wiederzugeben. Jeder Schritt in dieser Richtung begrüsse ich mit grosser Freude. Ich glaube aber auch dass diese Musik so schön und kraftvoll ist, dass man einiges unternehmen muss um sie ihren Reiz ganz wegzunehmen. Und ja, leider passiert das ab und zu.

cassiel hat gesagt…

Flor del mal hatte ich bislang noch nicht auf dem Schirm. Das Stück muss ich noch ein paar mal Hören. :-)

Und Du hast Recht: Lieber eine gute Musikauswahl und eine schlechte Technik als andersherum. Andererseits habe ich auch schon häufiger beobachten können, daß gute Technik die Tänzerinnen und Tänzer aufmerksam und sensibel werden lässt. Aber das war nicht mein ursprüngliches Thema. Mir ging es ursprünglich darum, daß (ich zumindest) mit guten Lautsprechern beim Vorbereiten von Milongas neue Stücke entdecke, die mir so bislang nicht bekannt waren.

Anonym hat gesagt…

Der Tango, der mich bewegt - das heisst, der meine Seele und meinen Körper zum " schwingen" bringt - ist definitiv nicht von D´Arienzo.
In bewundernder Anerkennung seiner Leistung brauche ich, weiterhin, Tandas von Pugliese, Di Sarli und - ja - Piazzola, um Blickkontakt zu suchen. Die Qualität der Musikanlage ist dabei - fast - zweitrangig.
D´Arienzo - typen und Pugliese - fans... wäre das mal ein Thema?
Zum Vergleich biete ich den Tango "La Mariposa " an, von D´Arienzo und Pugliese.
Habe viel Freude an diesen Blog!
Gruss Kerstin

cassiel hat gesagt…

Hallo Kerstin,

vielen Dank für Deine Anmerkung. Bei mir ist es genau umgekehrt verlaufen: Früher war ich ein großer Fan von Osvaldo Pugliese und konnte mit Juan d'Arienzo nichts anfangen. Heute ist es genau umgekehrt und irgendwann wird es sich wieder ändern. Das finde ich sehr spannend.

Natürlich muss es wie graue Theorie klingen wenn ich hier schreibe, daß sehr viel von der Wiedergabekette abhängt. Da habe ich in letzter Zeit sehr große Fortschritte gemacht und ich kann mich sher gut an eine Zeit erinnern, als ich ähnnlich wie Du gedacht habe. Nun bin ich aber sehr neugierig und so habe ich angefangen, mir die entsprechende Technik bei eBay zusammenzusuchen. Ich kann es nur vollkommen subjektiv beschreiben: Es ist eine andere Welt. Aber ich erinnere mich sehr gut an die Zeit, als ich noch mit "suboptimaler" Technik Tango gehört habe - insofern kann ich jeden verstehen, der sagt, er höre keine Unterschied bzw. es ist ihm nicht so wichtig.

Ich habe hier im Blog leider nicht die Möglichkeit, meinen Leserinnen und Lesern einen Zugang zu eröffnen; vielleicht muss ich einfach einmal dazu ausführlicher schreiben.

Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende!

Anonym hat gesagt…

Hallo Cassiel,

" eine andere Welt ", mit Sicherheit ja - und gewiss eine, die noch auf mich wartet. Grossartig finde ich es, dass der Tango so viele Zugänge bietet.
Meine war eine wörtliche - ich war so begeistert von der Poesie der Tangotexte, dass ich mir, in Buenos Aires, mehrere Lunfardolexica besorgt habe, um " alles" zu verstehen.
Im Moment ist das Tanzen für mich das Wichtigste, und das nun seit Jahren.
Ich weiss aber, dass ich als Nächstes versuchen werde die Musik
mehr "kopfmässig " , analytisch aneignend zu verstehen.
Dein Blog, mit seinen Kommentaren, ist dabei SEHR hilfreich!
Ich danke Dir für die Arbeit, die Du hier leistest!
D´Arienzo - Pugliese.... vielleicht ist es übermorgen Biagi?
Dir auch ein schönes Wochenende!
Kerstin