Dienstag, 25. September 2012

Buchbesprechung: Michael Lavocah - Tango Stories: Musical Secrets

Die Post brachte einen festen, beinahe unscheinbaren kartonierten Briefumschlag, das neue Buch von Michael Lavocah über die Tangomusik: Tango Stories: Musical Secrets und ich möchte es hier besprechen. Um es in einem Satz vorweg zu nehmen: Das Buch ist gut und wichtig und ich möchte es jeder Tanguera, jedem Tanguero ans Herz legen, denn das Buch ist nicht für Musikwissenschaftler, sondern für Tänzer geschrieben. Um es vielleicht mit einem Bild zu versuchen: Michael Lavocah gibt den Tangobegeisterten ein kommentiertes Register an die Hand, um sich auf eine systematische Entdeckungsreise durch die Musik der Épocha de Oro zu begeben. Das ist ihm sehr interessant und kurzweilig gelungen.

Um es vielleicht einmal plakativ zu etikettieren: Der Tango in Europa wird endlich erwachsen. Die prä- und postpubertären Phänomene von sehr eigenartiger Musikwahl bei Milongas klingen auf breiter Front langsam ab (auch wenn - wie mir erst neulich zu Ohren kam - vereinzelt noch beinahe lustige Fortbildungsangebote für Tangoinfizierte existieren; so soll es unlängst beispielsweise ein Kursangebot gegeben haben: "Die Cortina richtig getanzt"). Zu diesem Erwachsenwerden gehört m.E. für jeden Tänzer die Auseinandersetzung mit den musikalischen und historischen basics und deswegen sind Vortragsangebote und Bücher, die einen Überblick über die Epoche geben, besonders wichtig.

Stark gewöhnungsbedürftig ist der sehr enge zeitliche Rahmen, den Michale Lavokah für die Épocha de Oro vorschlägt. Gleich zu Beginn und auf Seite 38 zitiert er Fachleute, die die Dauer des goldenen Zeitalters mit 40 Jahren angeben und leitet unmittelbar folgend ab, daß es ein goldenes Jahrzehnt (von 35 bis 44) gibt. Dieses enge zeitliche Korsett leitet m.E. in die Irre. Bei aller Unschärfe des Begriffs sollte man vielleicht doch die Épocha de Oro von 1935 (Tod von Gardel und beginnender breiter Erfolg für Juan d'Arienzo) bis 1955 (Putsch und anschließende Diktatur mit Versammlungsverboten) terminieren.

Ähnlich wie bereits zuvor Christian Tobler in seiner Einführung in die musikalische Vielfalt der Épocha de Oro (hier ein Link zum PDF-Flyer seiner Veranstaltung vom Dezember 2011) betont Michael Lavokah die überragenden Bedeutung der "Großen Vier" (The big four - Juan d'Arienzo, Carlos di Sarli, Aníbal Troilo und Osvaldo Pugliese). Sie bilden die Klammer des Buches (Kapitel 1 und Kapitel 4). Dazwischen schreibt der Autor zu dem Kanon der üblichen orquestas (Kapitel 2). Als Besonderheit ist zu erwähnen, daß Lavokah Elvino Vardaro ein eigenes Kapitel widmet, obwohl kaum Aufnahmen mit diesem Ausnahme-Violinisten und seinem eigenen Orchester verfügbar sind. In Kapitel 3 geht der Autor auf die Wegbereiter der zwanziger Jahre ein. Die einzelnen Formationen werden klar strukturiert (immer mit der Angabe wichtiger Titel) vorgestellt.

Ein weiterer höchst erfreulicher Punkt ist die klare Zuordnung (und Gewichtung) der Sänger der jeweiligen Formationen. Es gelingt Michael Lavokah, Leserinnen und Leser die Entwicklung der einzelnen Orchester aufzuzeigen und darzustellen, wie der künstlerische Dialog Orchester und Sänger formte (so z.B. bei Juan d'Arienzo mit (u.a.) Alberto Echagüe und Hector Mauré oder etwa Carlos di Sarli mit Roberto Rufino, Alberto Podestá und Jorge Durán). Detailiert auf diese Einzelheiten einzugehen und sie zu kommentieren würde den Rahmen dieser Rezension sprengen.

Aus diesem beinahe vollständig positiven Eindruck, den das Buch bei mir hinterlassen hat fällt leider der Anhang: How to be a Tango-DJ heraus. Nun gut, es handelt sich "nur" um einen Anhang und da sollte man nicht so streng sein. Mir ist diese Kurzanleitung zu dünn; das reicht nicht. Etwas abenteurlich mutet es an, wenn Lavokah instrumentale und vokale Titel in einer Tanda mischt und dies mit dem plötzlichen Auftritt von Francisco Fiorentino bei einer Aufführung des Orchesters von Aníbal Troilo begründet. Das halte ich für absurd. Auch sein vehementes Veto gegen vorbereitete Playlists kann nicht unrelativiert so stehen bleiben. Natürlich ist es nervig, wenn Tänzern wiederholt die gleiche Tanda präsentiert wird. Mir sind allerdings DJs und DJanes, die sich daheim sorgfältig auf eine Milonga vorbereitet haben lieber, als plötzliche negative Überraschungen in der Milonga, wenn der oder die Auflegende plötzlich unter Stress kommt und die Enrgie in einer Tanda aufgrund einer unüberlegten spontanen Wahl abreisst. Das Sich-in-das-Repertoire-Einhören ist ein jahrelanger Prozess und wir hätten kaum genügend DJs für einen hoffentlich weit verbreiteten Milongabetrieb. Um diese Tipps für angehende Tango-DJs richtig einzuordnen, hilft der Blick auf eine andere Website des Autors. Unter der Adresse: milonga.co.uk betreibt der Autor einen CD-Versand und bewirbt seine Dienste als DJ. Dort kann man lesen, daß er normalerweise keine Cortinas spielt ("I don't normally use cortinas - it's not normally necessary in Europe, where the codigos of Buenos Aires are not observed [...]") und auch "guten" tango nuevo auflegt. Schade!

Abschließend fasse ich noch einmal zusammen: Ein höchst erfreuliches Buch, das jede / jeder im Tango gelesen haben sollte. Diese Empfehlung muss ich allerdings unter einen Vorbehalt stellen: Das Buch macht nur Sinn, wenn die Leserin, der Leser bereits einen emotionalen Zugang zur Musik der Épocha de Oro gefunden hat (sei es durch lange Tanzerfahrung, sei es durch einen Workshopbesuch); weiterhin muss Interessierten bewusst sein, daß viele Einzeltitel besprochen werden und konkrete Bemerkungen nur dann zu verstehen sind, wenn man die Möglichkeit hat, die Titel unmittelbar zu hören. Das setzt eigentlich eine Basis-Tangothek vorraus. Wer allerdings keine Angst vor dem Internetdienst spotify hat, der kann sich dort vom Autor hinterlegte Playlists anhören.

Ich finde es sehr gut, wenn es zunehmend Bücher zum Selbststudium der Musik im Tango gibt. Ich möchte allerdings vermeiden, daß Bücher ungenutzt liegen bleiben, weil die Basis bei der Leserschaft fehlt. So habe ich z.B. mir das Buch von Helena Ruegg und Arne Birkenstock zu früh gekauft und auch das Buch von Joaquin Amenabar ist (ohne entsprechenden emotionalen Zugang zur Musik) schwer verdauliche Kost. Vielleicht ist das Buch auch erst ein zweiter Schritt und ein vorheriger Besuch eines musikalischen Workshops ist dringend zu empfehlen.

Das in englischer Sprache verfasste und sehr ordentlich gebundene Buch, das - jenseits aller Geschmacksfragen - grundlegenden Anforderungen an Layout, Satz und Typographie erfüllen will, ist für 15 £ (mit Versandkosten in die EU für 19 £) online bei tangomusicsecrets.com zu bestellen.

112 Anmerkung(en):

Theresa hat gesagt…

Lieber Cassiel,

ich freue mich, dass du dieses Buch besprichst, ich finde es nämlich auch sehr informativ und gut geschrieben.

Mit dem kritischen Teil deiner Besprechung bin ich aber nicht einverstanden.

Erstmal fehlt mir eine Begründung für deine Feststellung, die Kurzanleitung "zu dünn, das reicht nicht". Was fehlt denn eigentlich? Ich finde, Michael hat alle wichtigen Punkte genannt. Du bist nur nicht mit allen Punkten einverstanden.

Ich persönlich mische auch öfters instrumentale und gesungene Titel. Bei den frühen Tangos, wo der Sänger nur "Estribillo" singt, ist er so dezent, dass man die Mischung kaum bemerkt; bei Musik aus späteren Epochen mit einem mehr hervortretenden Sänger kann das Mischen mit Instrumentalstücken eine Tanda, die mit einem sehr markanten Sänger "aufdringlich" wäre, etwas abmildern, z.B. bei di Sarli mit Durán oder bei Tanturi mit Castillo oder bei Troilo mit Marino; klar geht das nur, wenn der Gesamt-Stil sich nicht drastisch ändert. Jedenfalls finde ich es abwegig, das Mischen gleich absurd zu finden; und auch die historische Begründung, die Michael gibt, ist durchaus nachvollziehbar. Auch zeitgenössische Orchester mit Sänger spielen zwischendurch instrumental.

Zum Thema vorbereitete Playlists vs. spontanem Auflegen: Wir können uns doch sicher darauf einigen, dass es ok ist, wenn einzelne Tandas vorbereitet sind, aber die Reihenfolge, in der sie aufgelegt werden, der Stimmung angepasst wird. Michael spricht sich gegen eine feste Playlist für den ganzen Abend aus.

Und gegen das Vorhören. Ein interessantes Thema. Das eine Extrem ist der DJ, der den ganzen Abend die Kopfhörer auf hat und womöglich dabei ein gestresstes Gesicht. Der hört gar nicht mehr die Musik, die den Raum beschallt. Das andere Extrem ist jemand wie ich, die ich unter der mentalen Einschränkung leide, nicht eine Musik hören zu können, wenn drumherum gerade eine andere spielt - ich höre nie vor. Ich weiß, dass viele das Instrument des Vorhörens sinnvoll einsetzen, um zu überprüfen, ob die Übergänge in einer Tanda stimmig sind. Aber ich stimme Michael zu, es sollte nicht dazu benutzt werden, Musik rauszufischen, die man eigentlich gar nicht kennt.

Und dass Michael auch Non-Tango spielt und keine Cortinas, ist eine Geschmacksfrage und eine Frage der lokalen Kultur und nicht Teil der Anleitung. Man sollte aus beidem kein Dogma machen - und das sage ich, die ich immer Cortinas und nie Non-Tagos spiele.

Theresa

cassiel hat gesagt…

@Theresa

Ich brauche ein wenig Zeit für eine Antwort.


In der Zwischenzeit hat auch die Bloggerin Royce eine Rezension verfasst.

Royce Chau hat gesagt…

Dear Cassiel,

Thank you for linking my review and pointing yours to me. I don't read German so I can only read yours using google translate. The translation is not ideal but I think I manage to understand most of it.

Like you, I don't 100% agree with Michael's DJ guide. However, since it is really not the focus of the book, I prefer not to talk about it in the review. In fact, the DJ practice by itself already deserves a book - I'm sure one day someone will come out with such a book.

PacoDaCapo hat gesagt…

Ich habe mir das Buch auch bestellt und bin gespannt, wie lange es dauert! Ich gehe nach Deiner Empfehlung, Cassiel, davon aus, dass es weit davon entfernt ist, zu einem Problemfall wie das Buch von Riedel seinerzeit zu werden! Das habe ich bis heute nicht gelesen, aber Literatur zu Tangothemen interessiert mich immer. Ich habe selbst noch ein persönliches Buch über den Tango als Rezensionstext liegen (von dem in Brasilien lebenden Deutschen Peter Echervers) und komme sicher erst im Herbst wieder dazu, etwas mehr zu lesen.

PacoDaCapo hat gesagt…

Ergänzender Kommentar zu meinem letzten Kommentar: Eine eigene Schau der Jahre der großen Orchester muss sich jeder Leser aus vielen Quellen zusammenstellen. Dieter Reichardt beschreibt zum Beispiel die 30er Jahre sehr anschaulich auf dem Hintergrund politischer Wirren und ökonomischer Unsicherheit; nicht nur bei ihm ist zu lesen, dass diese 30er Jahre als Jahrzehnt der Infamie beschrieben werden können (infame Dekade). Man kann aber schlichtweg nicht eine Hälfte einer infamen Dekade als Teil einer „goldene Epoche“ beschreiben, ein glatter Gegensatz. Deshalb bin ich mit dem so weit gefassten Begriff von Cassiel hier nicht ganz einverstanden.

Ein Begriff wie Época muss ja nicht unbedingt einem Jahrzehnt entsprechen, aber als das goldene Jahrzehnt hat man auch die 40er Jahre bezeichnet. (Chiodo). Ich sehe es so, dass die allerletzten Jahre der 30er und die ersten Jahre der 50er eine als eine Anlauf- bzw. eine Auslaufphase der goldenen Jahre gesehen werden können. Unstrittig ist, dass mit dem Sturz von Perón „Schluss mit lustig“ war, die Militärs betrachteten den Tango als tendenziell subversiv und verboten vieles, aber schon etwas eher könnte man das Ende einer ungetrübten Epoche ansetzen, vielleicht um 1951 herum, nachdem Persönlichkeiten wie Manzi oder Discépolo gestorben waren, dies aber nur eine Koinzidenz, kein kausaler Zusammenhang. Man kann es musikalisch sehen, „tänzerisch“, politisch, ökonomisch, je nach Perspektive wird man es ein wenig anders beurteilen, mit jeweils ganz passablen Begründungen.

Copes hat beispielsweise gesagt, dass zwischen 1935 und 1950 das ganze Volk Tango getanzt habe. Als Begründung für ein durchgehendes goldenes Zeitalter taugt diese Beobachtung nicht. Wenn in dem Buch von Michael ein Schnitt im Jahr 1944 genannt wird, bin ich allerdings darauf gespannt, denn da kann ich mir keinen Bruch vorstellen, eher schon etwas später, als Argentinien nicht mehr kriegswichtiger Lieferant für alle am 2. Weltkrieg beteiligten Mächte war und die Wirtschaft sich deswegen allein schon abschwächte.

Jetzt werde ich auch mal die Playlisten-Vorschläge ansehen, vielleicht stimmt es mich ein bisschen ein auf das Wochenende und auf kommende Tanznächte…

Iona hat gesagt…

Ich habe gerade das Buch (mit extremer Freude!) gelesen. Zu dem Thema des Anhangs für die, die gerne DJs sein möchten: Lavocah sagt zwar, dass er nichts dagegen hat, Instrumental und gesungene Stücke in einem Tanda zu mischen. Er behauptet aber weder, dass er keine Cortinas benütze (ganz im Gegenteil) noch dass er alternative oder Nicht-Tangos auflege. Vielleicht liegt dieses Misverstaedniss daran, dass du kein englischer Muttersprachler bist? Ich finde aber, Cassiel, dass du ziemlich oft die Woerte andere aus dem Zusammenhang und falsch zitierst -- eine bedenklich Tendenz, die du versuchen solltest, in Rand zu halten.

cassiel hat gesagt…

Ich habe von der Website von Michael Lavocah zitiert. Das kann man in dem Artikel genau nachlesen.

cassiel hat gesagt…

Und eigentlich hatte ich schon vor Wochen einen Wunsch geäussert...

Iona hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
cassiel hat gesagt…

@Iona

Ich schrieb im Artikel:

Um diese Tipps für angehende Tango-DJs richtig einzuordnen, hilft der Blick auf eine andere Website des Autors. Unter der Adresse: milonga.co.uk betreibt der Autor einen CD-Versand und bewirbt seine Dienste als DJ. Dort kann man lesen, daß er normalerweise keine Cortinas spielt ("I don't normally use cortinas - it's not normally necessary in Europe, where the codigos of Buenos Aires are not observed [...]") und auch "guten" tango nuevo auflegt.

und habe einen Link auf die Fundstelle gesetzt. Genauer kann ich es nicht machen.

Selbstverständlich werde ich weiter veröffentlichen. Vielleicht benutzt Du für Deine Gedanken - wie besprochen - einfach Dein Blog.

Iona hat gesagt…

Ich habe keinen Blog.

Christian Tobler hat gesagt…

@ alle,

Teil 1: das ist ein ganz wichtiger Artikel im bedeutendsten und einflussreichsten deutschen Tango-Blog, weil das ein ganz wichtiges Buch für Tango-Argentino-Tänzer ist. Seit September 2012 gibt es eindlich ein Buch (in englischer Sprache) über die Musik der Epoca de Oro (EdO), das tatsächlich für Tänzer geschrieben ist. Allerdings spricht Lavocah eine Reihe von Emfpehlungen aus, die über Jahre hinweg zu sehr grossen Missverständnissen führen werden, leider. Dazu gegen Ende meines Kommentars mehr.

Eigentlich müssten hier längst 200 Kommentar stehen. Thema und Buch wären es wert. Andererseits kann nur mitreden, wer das Buch tatsächlich gelesen hat. Daher melde ich mich erst jetzt. Ich wollte das Buch vollständig lesen, bevor ich mich dazu äussere. Es wird wohl noch eine Weile dauern bevor hier weitere Kommentare auftauchen. Womöglich wird diese Diskussion einschlafen, bevor sie richtig losgegangen ist. Das darf nicht sein. Ich möchte alle Leser dieses Blogs dazu einladen, das Buch heute noch zu bestellen, es zu lesen und sich danach hier an der Diskussion darüber zu beteiligen. Das Thema ist es wert, sich dazu ausführlich zu äussern.

Lesenswert ist dieses Buch für alle Tango-Argentino-Tänzer, die mit den Orchestern der EdO noch nicht per Du sind – also die überwiegende Mehrzahl aller Tango-Tänzer. Sie können sich mit Hilfe dieses Buches einen Überblick verschaffen, den es bis anhin zwischen zwei Buchdeckeln so nicht gab, weil kein anders Buch sich auf die Blütezeit tanzbaren Tango-Argentinos (TA) konzentriert und auf akademischen Firlefanz verzichtet. Da schreibt ein Tänzer für Tänzer.

Einen Nachteil hat dieses Buch. Da es sich um Musik dreht, muss man Zugriff auf die im Buch aufgeführten Musikbeispiele haben. Sonst bleibt die Leküre ein trockene Scheibe Brot. Ein Teil der als beispielhaft aufgeführten Aufnahmen findet man im Internet kostenlos. Allerdings erschliessen sich einem nicht nur die Feinheiten der einzelnen Aufnahmen erst, wenn man mittels unkomprimierten Daten und bester Technik auf Entdeckungsreise geht.

Für mich bestätigt dieses Buch wieder mal, was ich schon lange sage und wofür ich immer noch schräg angeschaut werde. Wer sich intensiv und lange genug mit der EdO beschäftigt, entdeckt, dass deren Wahrnehmung schlussendlich eben doch nicht Ansichtssache ist. Es taucht allmählich eine allgemeingültige Wahrheit auf, über die aufrichtige Afficionados einer Meinung sind. Dieses postmoderne anything goes hat im TA nicht verloren. Dazu fehlt es der EdO an der notwenigen Oberflächlichkeit.

Natürlich halten Lavocah und ich die selben vier Orchesterleiter für die ganz grossen. Aber wir sind uns auch ganz oft einig darüber, welche Aufnahmen exemplarisch sind, ganz egal ob Mandria bei d'Arienzo oder Corazon bei di Sarli, Negracha bei Pugliese oder Comme il faut bei Troilo, Arrabal bei Laurenz oder Todo te nombra bei Biagi, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Wir sind beide der Meinung, dass der fünfte ganz grosse Orchesterleiter Canaro wäre, falls es einen fünften ganz grossen gäbe. Gibt es aber nicht. Und wir sind uns einig darüber, dass ein guter DJ über Canaro ab 1942 ein ganz grosses Tuch des Schweigens ausbreitet. Diese Liste allgemeingültiger Wahrheiten liesse sich fast endlos fortsetzen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Daher kann ich allen TA-Tänzern, welche nicht profunde Kenner der Musik der EdO sind nur zurufen: Kauft das Buch und lest es fünf Jahre lang alle sechs Monate von vorne bis hinten und hört jedesmal jede darin aufgeführte Aufnahme zehn mal. Und dabei bleibe ich, obwohl ich nicht darum herum komme, mich von einen kleinen Teil der Inhalte sehr deutlich zu distanzieren. Denn das ändert nichts daran, dass es bis auf weiteres zu diesem Buch keine Alternative zwischen zwei Buchdeckeln gibt.

Um zu verstehen, warum Lavocah bestimmte Ansichten vertritt, sollte man wissen dass er DJ (Disc-Jockey) ist, kein traditioneller TJ (Tango-Jockey) ist. Das weiss, wer ihn schon gehört hat oder seine Web Site kennt. Dort bekennt er zB, dass er nur Cortinas spielt, wenn ein Veranstalter das von ihm fordert und immer auch Nuevo und allen möglichen anderen Kram auflegt (Stand seiner Web Site Ende Oktober 2012).

Ich bin der Ansicht, dass sich den meisten TJs das Repertoire der EdO nur über eine jahrelange und regelmässige, intensive und über weite Strecken weitgehend ausschliessliche Beschäftigung in ihrem ganzen musikalisch-tänzerischem Reichtum erschliesst. Dazu ist diese Welt sehr nahe an Perfektion einfach zu komplex – eine Subkultur die Hochkultur ist. Aber Ausnahmen gibt es immer und Lavocah scheint eine solche Ausnahmen zu sein, zumindest über weite Strecken.

Denn solange ein DJ Nuevo und andere Musikgenre einstrickt oder gemischt Tandas zusammenstellt, mit Orchestern bei denen das nicht nötig ist, oder gar vokal und instrumental in der selben Tanda zu Hackbällchen verwurstet, wird er kaum in sich stimmigen Tandas zusammen stellen können und noch viel weniger erlernen, den Spannungsbogen über eine ganze Milonga hinweg harmonisch aber abwechslungsreich zu gestalten. Auch Lavocah wird das vorläufig nicht gelingen, obwohl er den Repertoirekern der EdO verinnerlicht hat.

Dazu sind diese Prozesse zu subtil. Wer das nicht verstehen kann oder will, den verweise ich auf das ästhetische Konzept Wabi-Sabi aus Japan und empfehle, sich eine Weile intensiv damit zu beschäftigen. Im Kern geht es dabei um Vergänglichkeit und das nicht ganz Perfekte. Ich werde dazu ganz bewusst nichs weiter sagen. Wabi-Sabi lässt sich nicht mit zweidrei Sätzen erklären. Die Parallelen zur EdO sind überraschend vielfältig. Dazu passt dieser vermeintliche Widerspruch entspannt-perfekter Spieltechnik, welche sich fast alle Musiker der Top-Orchester aneignen mussten. Dazu passt das inspirierende Setup der damaligen Aufnahmetechnik und deren Ablauf, dessen Besonderheiten heute fast vergessen und vor allem verloren gegangen sind. Das und weitere Zusammenhänge verständlich zu erklären, würde den Rahmen dieses Blogs jedoch sprengen.

Um als DJ an diesen Punkt entspannter, annähernder Perfektion zu gelangen, muss man entweder besonders begabt sein, oder lange an sich arbeiten und dann den Dingen zum rechten Zeitpunkt trotzdem ihren Lauf lassen können. Es geht um Loslassen und Bescheidenheit – aber nicht Bescheidenheit in der Sache, sondern Bescheidenheit betreffend der eigenen Person.

Als TA in der ersten Hälfte der 50er allmählich aber nachhaltig an Bedeutung verlor in BA, und Mitte der 50er mit dem Putsch TA sehr schnell in Ungnade fiel, gibt ganz schnell ganz viel spieltechnisches Wissen darum verloren, wie man gekonnt und entspannt für Tänzer musiziert, weil für diese Spitzenleistungen kein Markt mehr vorhanden war. Das geschah quer durch alle verbliebenen Orchester und machte auch vor einzelnen Musikern nicht halt. Der Markt bewegte sich in Richtung konzertantem Tango und wer als Orchesterleiter, Arrangeur oder Musiker von Tango leben wollte, hatte dem Rechnung zu tragen oder einen anderen Beruf zu ergreifen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Wenn wir uns im Buch anschauen, was Lavocah zB im zweiten d'Arienzo-Teil als exemplarische Aufnahmen auflistet, wird deutlich wo das Problem liegt. Lavocah streicht Aufnahmen von d'Arienzo aus der zweiten Hälfte der 50er und den 60ern als beispielhaft und tanzbar heraus, die nur noch ein billiger Abklatsch dessen sind, was dieses Orchester mal ausgezeichnet hat. Kein traditioneller DJ würde auf die Idee kommen, solche Katzenmusik an einer Milonga aufzulegen.

Denn da wird mit Baseballschläger musiziert, holzschnittartig und grobschlächtig, Note für Note zuerst erwürgt und dann erschossen. In Argentinien stand auf diesen CDs während Jahrzehnten so wie heute auf Zigarettenpackungen eine deutliche Warnung: for Export – will heissen grässlicher Kram für einfältige Gringos. Inzwischen haben die Argentinier leider entdeckt, dass sie mehr CDs verkaufen, wenn sie diesen elementaren Hinweis weglassen.

Egal ob einem diese Aufnahmen nun gefallen oder nicht. Sie basieren auf Arrangements, die konzertante Bedürfnisse befriedigen, weil die Orchester in den 60ern ihr Geld mit Ausland-Tourneen verdient haben, in Ländern in denen man diese Musik meist auf dem Stuhl sitzend genossen hat.

Mit solchen Empfehlungen schickt Lavocah seine tanzenden Leser nach vielen tollen Seiten plötzlich ohne jede Vorwarnung in eine teuflische Sackgasse, aus der sich viele Tänzer nur mit Mühe irgendwann wieder zu befreien vermögen. Diese Form der Desorientierung findet sich im Buch von Lavocah leider häufig. Von Lavocahs Hörempfehlung ab 1955 kann ich eigentlich nur di Sarlis Alterswerk bestätigen, die Aufnahmen der Jahre 1954/58. Die selbe Problematik findet sich bei Pugliese und bei Troilo. Wie ein praktizierender Tänzer zB auf die Idee kommen kann, Aufnahmen des Quartets Troilo/Grela als tanzbar zu empfehlen, ist unbegreiflich. Das ist Kammermusik, die mag gefallen oder auch nicht, aber eins wird sie niemals sein: tanzbar.

Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Ich sage dann immer süffisant: Entweder man hat Geschmack oder eben nicht – und ernte dafür bitterböse Blicke. Aber in diesem Fall greift dieses Argument zu kurz. Denn ganz viel von dem was Lavocah schreibt, ist für Tänzer wertvoll und zielstiftend. Ich kenne Lavocahs Web Site seit Jahren, mag mich auch an die eine oder andere seiner früheren Aussagen dort erinnern. Ich vermute, dass drei Aspekte bei Lavocah für eine ganze Reihe von Fehleinschätzungen betreffend der 50er und danach verantworlich sind, die auch erklären, warum die für Tänzer essentielle Abgrenzung zu konzertantem Musizieren nicht vermittelt wird, welche in Europa im Bewusstsein der meisten Tänzer leider immer noch nicht angekommen ist. Und deswegen sind diese Passagen des Buchs so fatal, dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Sie behindern die qualitative Entwicklung jeder lokalen TA-Szene.

1. Lavocah hat sich umfassendes Wissen zu Musik angeeignet, gar keine Frage. Für einen DJ kann zuviel davon allerdings das ein Nachteil sein, falls er das nicht zu relativieren vermag. Das eigene Wissen nicht als Masstab für die Auswahl der Stücke zu nehmen ist dann essentiell. Aber das ist nicht jedermann Sache. Insbesondere Musiker sind – manchmal bilden sie sich aber auch nur ein, das zu können –  in der Lage auch extrem kompexe und anspruchsvolle Stücke musikalisch zu erfassen und damit vielleicht tänzerisch umzusetzen. Das eine bedingt ja nicht automatisch das andere. Diese Fähigkeit birgt eine grosse Gefahr, auch Aufnahmen zu spielen, die gar nicht für Tänzer arrangiert und gespielt wurden und einen durchschnittlichen Tänzer heillos überfordern.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 4: 2. Weil die Qualitäten der Aufnahmen der EdO in jeder Hinsicht aussergewöhnlich sind, erschliessen sich den meisten DJs viele Qualitäten dieser Aufnahmen erst, wenn sie sich intensiv und einigermassen ausschliesslich über lange Zeit damit beschäftigen. Das gleicht tatsächlich einer Reise per Zeitmaschine. Und damit ist es gewöhnungsbedürftig und vor allem ein fragiler Zustand, der eine Runde AC/DC oder Sexteto Milonguero anfangs kaum überlebt. In diesem Kontext kommt eine Nuevo- oder eine otra-Tanda einer Streubombe gleich, die für eine Stunde alles plattwalzt, was der TJ an Inspiration für seine Tänzer schaffen konnte. Natürlich gilt das nicht nur fürs Parkett der Milonga sondern genauso für die stille Kammer des TJs daheim.

Ohren lösen zehnmal detaillierter auf als Augen, sind also unser potentester Sinn überhaupt, aber auch unser empfindlichster. Sich die Bartoli anzuhören mag für manche ein Vergnügen sein. Aber nach einer Stunde mit der Callas fällt der Wechsel zurück zur Bartoli schrecklich ernüchternd aus. Ich wünschte, diese Mechanismen würden im TA ebenso zuverlässig und schnell funktionieren. Das tun sie aber nur, wenn eine Voraussetzung technischer Natur erfüllt ist.

3. Da viele DJs sich viel zu wenig um die technischen Aspekte ihrer Tätigkeit kümmern, wird eine verhängnisvolle Wechselwirkung zwischen Technik und Musik wenig beachtet. Und die hat es in sich. Viele DJs verwenden daheim Wiedergabetechnik, welche die Qualitäten der EdO in keiner Weise wiederzugeben vermag. Und in über 90% aller Tanzschuppen ist PA-Technik installiert, welche die Qualitäten der EdO überhaupt nicht wiederzugeben vermag. Das hat weitreichende und destruktive Konsequenzen: Mit mieser Technik klingen schlechte Musiker, aber auch schlechte Aufnahmen besser als sie sind, weil ganz viele Fehler nicht hörbar werden. Man könne das auch das MP3-Syndrom nennen. Es macht Musik langweilig und beliebig. Es kommt aber noch schlimmer: Mit mieser Technik klingen gute Musiker, aber auch gute Aufnahmen schlechter als sie sind, weil ganz viele Qualitäten nicht hörbar werden.

Damit wird zumindest teils klar, woher die verhängnisvolle 20er- und 30er-Fixierung mancher TJs kommt. Es liegt auf der Hand, dass die damals oft unisono spielenden Musiker mit sehr viel bescheideneren solistischen Fähigkeiten mittels schlechter Technik besser klingen, als der Repertoire-Kern der EdO, die komplex arrangierten und gekonnt musizierten Aufnahmen der goldenen 40er. Wer seine Technik nicht im Griff hat, wird daher von ihr an der Nase herum geführt.

Aussagen über die Dauer der EdO und dessen Kernjahrzehnt müssen immer zu Disputen führen. Lavocahs Entscheidung, die Definition des Kerns der EdO auf die Jahre 1935 bis 44 zu legen bildet da keine Ausnahme. Denn damit fallen über 300 wichtige Aufnahmen der EdO der Jahre 1945/48 ausserhalb des Kerns. Ja, die Tanzbarkeit dieser Aufnahmen nimmt bei einer ganzen Reihe von Orchestern tatsächlich allmählich ab. Aber darunter würden zu viele Aufnahmen zB von di Sarli oder Pugliese fallen. Aber vor allem beginnt die EdO nicht 1935 mit Canaros Poema oder d'Arienzos Hotel Victoria, sondern im September 1937 mit Laurenzens Arrabal, im März 1938 mit Troilos Comme il faut, im Dezember 1939 mit di Sarlis Corazon.

Am Ende des Buches finden sich fünf Seiten zum TJ-Handwerk. Da steht viel Richtiges drin. Leider Lavocah stellt hier zwei Regeln auf, mit denen Anwendung ein TJ gute Tänzer schneller gegen sich einnimmt, als man auf drei zählen kann. Ein TJ, der diesen Empfehlungen folgt, stürzt sich offenen Auges ins Verderben.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 5: Lavocah empfielt, als TJ nur Aufnahmen zu spielen, die man selbst mag. Diese Empfehlung ist Nonsens pur. Ein Musikliebhaber darf natürlich das spielen, was er mag, da er mit sich selbst beschäftigt ist. Genau deswegen ist ein Musikliebhaber kein TJ. Ein TJ ist ein Dienstleister, dem Dutzende von Tänzern für einen Abend ihr Vertrauen schenken und dafür oft auch noch Geld zahlen. In dieser Situation ist es ein Unding, für Tänzern nur das aufzulegen, was man selbst mag. Sonst müsste der TJ jedem Tänzer Geld für die investierte Zeit zahlen. Ich empfehle Tänzer, die an einer Milonga einem Musikliebhaber in die Fänge geraten, den Veranstalter darauf anzusprechen, den Eintritt zurückzufordern und zu gehen. Sonst lernen diese Egomanen nie was dazu.

Es ist vollkommen normal, dass ein TJ persönliche Vorlieben hat. Und solange ein TJ noch nicht in Routine begraben ist, werden sich diese Vorlieben immer wieder verändern. Manche Orchester oder Sänger werden immer Favoriten sein. Andere rücken irgendwann in die Ferne oder ins Zentrum. Das ist ein spannender Prozess, der viel Spass macht und einem als TJ und Tänzer lebendig bleiben lässt. Die heterogene Tänzerschaar einer Milonga darf dieser sehr persönlichen und ausgesprochen wechselvollen Entwicklungen natürlich nicht unterworfen werden.

Kein TJ mit einem Funken Verstand wird ein Jahr lang keine d'Arienzos spielen, weil er als Tänzer im Moment mit d'Arienzo nichts anfangen kann, oder pro Abend vier Pugliese-Tandas auflegen, weil er im Moment auf Pugiese steht, oder nur einmal im Monat eine di-Sarli-Tanda spielen, weil er im Moment einzig auf Troilo abfährt. Leider erlebe ich solche Musikliebhaber, die sich einbilden TJs zu sein jeden Monat. Diese Probleme sind sehr real und Lavocah giesst mir dieser Empfehlung Öl in ein Feuer, welches noch lange nicht gelöscht ist.

Zwei Seiten weiter empfiehlt Lavocah, Tandas aus Instrumentaltiteln und Vokaltiteln zu mischen. Jeder Tänzer, der den Repertoirekern der EdO kennt, wird er damit nachhaltig verärgern, weil das selbe Orchester Aufnahmen mit Sänger fast immer deutlich hörbar anders spielt als Aufnahmen ohne Sänger.

Insbesondere Troilo ohne Fiore ist etwas ganz anderes als Troilo mit Fiore. An einem Abend hat man als Tänzer vielleicht Lust auf Troilo instrumental. An einem anderen Abend steht einem eher der Sinn womöglich eher nach Troilo mit Fiore. Fiorentinos Leistung als Sänger im Tango ist annähernd einzigartig, auch im Umfeld der Perfektion der EdO. Daher darf ein DJ diesen Sänger ganz sicher nicht mit Instrumentaltiteln mischen. Wenn ein TJ sich nicht darauf beschränkt, lediglich in Ausnahmefällen einen solchen musikalischen Geriatrie-Brei zusammenzuhäxeln, wird er vielen Tänzer mit Wissen um die EdO den Abend versauen.

Es gibt noch andere problematische Empfehlungen von Lavocah auf diesen fünf Seiten, auf die ich nicht weiter eingehen möchte. Es liegt auf der Hand, dass man ein komplexes Metier wie das des TJs nicht auf fünf Seiten erklären kann. Jeder TJ hat seinen Eigenheiten, seine Mechanismen, sein Vorlieben. Aber wenn man andere TJs anleitet will, darf man sich nicht von seinen eigenen Marotten leiten lassen. Dann muss man den Horizont so weit öffnen, wie das die Abrenzung eines traditionellen TJs zulässt. Ein DJ ist natürlich was ganz anderes. Aber der hat im TA nicht verloren. Das ist eine ganz andere Geschichte.

Und jetzt kauft dieses Buch endlich, lest es, kommt zurück hierher und beteiligt euch an dieser wichtigen Diskussion, die in den kommenden zwei Jahren jeden Tag neue Kommentare bekommen müsste, falls die vielen Tausend deutschsprachigen TA-Tänzer keine Figurenkasper sind sondern zur Musik tanzen: http://www.tangomusicsecrets.co.uk

herzlich - Christian

Theresa hat gesagt…

Teil 1:

Nicht zum Buch will ich mich äußern (jetzt), sondern zu einigen Diskussionspunkten, die über das Tango-DJen in den Kommentaren zu den beiden Threads (zum Buch und zum Djing) aufgetaucht sind. Hauptsächlich ist das natürlich eine Replik auf Christian, der sich am differenziertesten geäußert hat.

Zum Mischen von instrumentalen und gesungenen Titeln. Man muss da unterscheiden. Es stimmt, was Christian schreibt, dass der Charakter eines Orchesters oft unterschiedlich zwischen instrumentalen und gesungenen Titeln ist. Ich würde auch in eine Troilo/Fiorentino Tanda keinen instrumentalen Titel mischen. Aber z.B. bei d'Arienzo/Echagüe, speziell bei den Valses, passen gut auch instrumentale Titel hinein, ebenso bei Laurenz, bei den di Sarli um 1940, bei OT Victor um 1930, bei Donato und bei Canaro. Auch bei Pugliese in allen Epochen kann man gut Instrumentales und Gesungenes mischen. Wie ich schon vorher schrieb, ist nämlich entweder der Sänger sehr dezent (in frühen Aufnahmen), oder er ist so dominant, dass ein instrumentales Stück ein bisschen von der Dominanz herausnimmt.

Insgesamt gibt es unter den gut tanzbaren Tangos mehr gesungene als instrumentale Stücke, zumindest ab Mitte der dreißiger Jahre. Bei manchen Orchestern gibt es u.U. gar nicht genug instrumentale Titel, um eine schöne Tanda zu füllen (Lomuto 1932-1940, Carabelli, d'Agostino, Fresedo 1933-1940).

Christian, hat deine Gepflogenheit, bei instrumentalen Tango-Tandas nur 3 Titel zu spielen, mit dem beschränkten Repertoire instrumentaler Stücke zu tun? Ich finde diese Gepflogenheit sehr irritierend. Wenn ich mir einen Tänzer für eine Tanda aussuche, möchte ich nicht nach dem 3. Stück schon aufhören müssen.

Theresa (Teil 2 folgt)

Theresa hat gesagt…

Teil 2:

Zum Thema "Darf der persönliche Geschmack eines DJs in sein Auflegen eingehen?" Ich stimme zwar zu, dass der DJ ein Dienstleister ist, aber die DJs sollten sich auch unterscheiden und tun das ja auch. Wenn keine persönlichen Akzente gesetzt werden sollen und nicht auch Tandas mit unbekanntem Stoff aufgelegt werden sollen, besteht doch sehr die Gefahr, dass alles auf ein Einheits-Repertoire von "Greatest Hits" hinausläuft, auf das sich alle einigen können, das aber in der Wiederholung eintönig wird.

Bei dem an anderer Stelle als elitär kritisierten Event neulich in Saarbrücken bestand diese Tendenz ziemlich ausgeprägt. Es war keine einzige Tanda dabei, die nicht exzellent tanzbar gewesen wäre. Aber in 4 Milongas erklang z.B. 4 mal "Corazón" von di Sarli und "Lágrimas" von Donato. Und kein einziges Mal etwas von de Caro oder von Firpo. Die Schnittmenge der DJs war sehr groß bezogen auf die Menge der insgesamt gespielten Stücke. Und der DJ mit dem meisten Applaus hat ausschließlich aus der Schnittmenge aufgelegt. Wie gesagt, exzellenter Service für die Tänzer; aber es waren fast nur Tänzer mit vielen Jahren Erfahrung dabei – warum sollen die nicht mal eine Überraschung vorgelegt bekommen, aus dem riesigen Fundus von ebenfalls toll tanzbaren Stücken, die nicht unter den "greatest Hits" sind?

Mein Plädoyer geht deswegen dahin, dass die DJs ihre persönlichen Vorlieben einbringen sollen - selbstverständlich sollen sie nur wirklich gut tanzbere Stücke auflegen, aber darunter auch seltenere Preziosen.

Jawohl, auch vieles von vor dem "Kerndatum" 1937/1939! OT Victor, Carabelli, Petrucelli, Los Provincianos, Canaro und Lomuto von Anfang der 30er, Fresedo nicht nur mit Ray, sondern noch Früheres, frühere Donatos, Firpo. Bei den Genannten trifft es nun wirklich nicht zu, dass sie nur Unisono gespielt hätten; die Soli sind zwar sparsam, aber wenn, dann exzellent gespielt, und das hört man sogar mit mp3. Und wer sich mal in Ruhe z.B. von Los Provinicanos "El distinguido ciudadano" (1932) anhört, der kann nur staunen angesichts des komplexen Arrangements und des von Ciriaco Ortiz, Aníbal Troilo, Elvino Vardaro u.a. produzierten Sounds.

Ich bekenne mich zum "einseitigen Auflegen". Ich lege – mit Ausnahme von Valses – nie de Angelis auf, und aus dem Repertoire der "Greatest Hits" nur wenig Caló und Rodríguez, aber viel Troilo, de Caro, Orquesta Firpo (nicht Cuarteto), Los Provincianos / Petrucelli / OTV, Lomuto, Pugliese aus den 40er Jahren. Dann hören die Leute bei mir halt nicht zum hundertsten Mal "Marinero" oder "Lejos de Buenos Aires" (doch: mit Troilo/Fiorentino). Am nächsten Tag gehen sie dann zu einem DJ, der davon mehr spielt. Und zumindest für die Viel-Tänzer ist es keinerlei Einschränkung, wenn ein DJ ein ausgeprägtes persönliches Profil hat.

Aus demselben Grund finde ich DJ-Challenges, die ja ebenfalls umstritten waren, eine feine Sache. Es sollte sich natürlich nicht um DJs handelt, die ohne Rücksicht auf die Tänzer möglichst seltene Stücke auflegen wollen; bei den Challenges, an denen ich bisher selbst teilnahm, war das jedenfalls nicht der Fall. Wenn das DJs sind, denen es um die Tänzer geht, und die gleichzeitig ein besonderes Repertoire jenseits der "Greatest hits" haben, dann können sehr interessante Playlisten entstehen, und meine Erfahrungen in meiner Milonga "Bailongo" haben gezeigt, dass es die Tänzer beflügelt, besondere Musik zu hören.

Theresa

Michael Lavocah hat gesagt…

Casseil, thank you for your review and also for alerting me to a very out-of-date page on my website. It's years since I played any tango nuevo, and as I say in the book, I prefer to play cortinas.

As for mixing instrumental and vocal, all I am saying is that I don't forbid it. As Theresa says, surely it won't work in many cases.

Warm wishes to all

Michael Lavocah

chamuyo hat gesagt…

Bei einem Festival möchte ich gerne mit unbekannten Partnern tanzen (mit den bekannten kann ich auch zu Hause tanzen). Wenn ich endlich die Partnerin frei ist, mit der ich tanzen möchte und dann eine unbekannte schräge Tanda kommt, hasse ich den DJ. Ich möchte bei einem Festival nur bekannte bewährte Hits hören, damit ich mich nicht mit suboptimaler Musik beschäftigen *und* gleichzeitig mit einem neuen Partner kämpfen muss. Kämpfen nicht im Sinne von Gymnastik, sondern von erhöhter Konzentration, bis man sich auf einen neuen Menschen eingestellt hat.
Es reicht völlig für das Sendungsbewußtsein und für die Volksbildung, wenn in einer guten Tanda 1 unbekanntes Lied eingebaut wird, am besten an dritter Stelle. Das erste muss die Leute auf die Fläche treiben, vergeht aber fast ungetanzt bis man sich eingeordnet hat usw. Das Zweite kann man endlich ganz genießen, beim Dritten ist man bereits in Stimmung und gnädiger gegenüber Fehlern, und das Vierte muss wieder so sein, dass man ungerne aufhört und der nächsten Tanda entgegenfiebert.
Wenn eine nicht passende Tanda kommt, oder eine, die nur eine Minderheit der Tänzer anspricht, wie "Orquestas olvidadas", die mit gutem Grund vergessen wurden, kann die Stimmung ganz schnell abflauen.
Deswegen hat Lampis Applaus bekommen, nicht weil er besonders originell war, auch nicht wegen gutem Sound, sondern weil er einfach solide Musik gemacht hat. Es wäre natürlich möglich gewesen, die Stücke zu vermeiden, die bereits gespielt wurden, aber dafür hätte man sehr genau die ganze Zeit aufpassen müssen.
Mir persönlich würde es schon reichen wenn ich auf solchen Events nicht jeden Tag Cacareando und Milonga de los Fortines hören müsste, oder Invierno mitten im Sommer. Garua wäre besser angebracht gewesen, das hat aber keiner gespielt.

Theresa hat gesagt…

@Chamuyo,

ja, es ist wirklich ein Jammer, dass die beiden wunderbaren OT Victor Milongas langsam zu Tode gespielt werden und auch die drei aus Uruguay.

Dem zu Tode Spielen von exzellenter Musik will ich gerade mit meinem Anliegen entgegenwirken. Und wenn ich mir wünsche, dass nicht nur die "Greatest Hits" aufgelegt werden sollen, dann meine ich nicht komische Musik von zurecht vergessenen Orchestern, sondern - ich erwähnte es bereits mehrfach, aber es dringt irgendwie nicht durch - super tanzbare, halt nur weniger bekannte Stücke.

Viele meiner Lieblingsstücke lege ich bewusst selten auf, ich will sie für wirklch besondere Momente aufsparen. Und es tut mir in der Seele weh, wenn sie dann irgendwann doch zu Tode gespielt werden.

Theresa

Joachim hat gesagt…

Zuerst: Ich lese hier gerne, ich erfahre viel und ich lerne ( gerne ) immer weiter dazu. Ich merke, dass mein Tanzen durch Denken und Diskussion nicht schlechter, sondern besser wird. ( Selbstredend: Tanzen lernt mensch durch tanzen! - Der Rest ist support und Mehrkanallernen.) - Was mich heute erstmalig zum Schreiben bringt ist der Wunsch nach Diskurs über das Buch in seinem Hauptinhalt: Der Musik und ihrer Bedeutung für das Tanzen. TangoDJing ist auch für mich interessant, aber nicht das Motiv, das Buch zu lesen.

Zwischenbericht nach vielen Kurzsequenzen und jetzt sorgfältigem Lesen und Hören ( eine sehr gute Idee von Michael, die gedruckten Listen über Spotify zu veröffentlichen).
Eindruck 1: Ich lese mit großem Genuss und höre mit Begeisterung und Erstaunen, was sich mir auch nach sieben intensiven Jahren neu erschliesst.
Eindruck 2: Der Schreiber liebt die Musik und den Tango als Tanz und er schreibt in dieser Perspektive. Der Stil ist begeistert, anregend und niemals rechthaberisch.
Eindruck 3: Der Anspruch ist darauf gerichtet, das Tanzen über Wissen und Hören und langsames Wachsen vom Verstehen ( Christian, es muss ja nicht so oft gehört und gelesen werden, wie du dir wünschst, um sich zu entwickeln, oder? ;-) )zu entwickeln. Dazu passt der gesamte Aufbau, der sowohl kontinuierliches Lesen als auch "stöbern und schnuppern" ermöglicht, ja provoziert.
Eindruck 4: Mir passt gut zu meiner Wahrnehmung, dass Tango für mich sensationell ist - aber eben auch der Eistanz von Thorwell und Dean zu Bolero diese Intensität hat. Diese Kontexte einer ästhetischen Wahrnehmung erfreuen mich.
Eindruck 5: Es geht auch um das Mehr an Geschaffenem der Großen. Und im El Bosque del Rey von Canaro höre ich Griegs Peer Gynt mit der Höhle des Bergkönigs.
Eindruck 6: Ich freue mich auf die weiteren Seiten ( und vielleicht auch auf ein Echo auf das Geschriebene)

Anonym hat gesagt…

Mir scheint, wir brauchen einen neuen Blogeintrag und/oder Diskussion, die tiefergehend hier das Buch von Michael Lavocah besprechen und nicht nur einige Behauptungen, die er auf einer uralten, nicht updated Website gemacht hat -- und die im Buch widersprochen werden. (Obwohl das ja auch zu ganz interessanten und wertvollen Kommentaren gefuert hat). Danke, Joachim, für den ersten Anstoss in dieser Richtung.

Anonym hat gesagt…

Und mir scheint, manche lesen hier nur das, was Sie lesen wollen. Cassiel hat das Buch sehr wohlwollend besprochen. Dass ihm die Ausführungen zum DJing zu dünn waren und er zudem anderer Ansicht ist, ist für mich verständlich.

Die Anspruchshaltung mancher Diskutanten finde ich 'bemerkenswert'.

Melomaner Tanguero hat gesagt…

Anonym 31. Oktober 2012 14:35

Ist der Anhang zum DJ-Sein wirklich das einzige Interessante an Michaels Buch? Warum schreibt keiner der vielen Fachkundigen hier irgendwas dazu, was er von den Bezeichnungen und Beschreibungen der einzelnen Orchester hält? Was er da hinzufügen würde? Was er etwas anders sieht? Ob er mit Michaels Schilderungen der Entwicklung der Tanzmusik einverstanden ist? In wie fern? Das wäre mir, da ich kein Expert bin, sehr recht. Es würde zu einem tieferen Verständnis der Musik führen -- auch für die von uns, die keine DJs sind. Die Diskussion darüber, ob Michael ein guter DJ ist oder nicht, bringt mich nicht weiter, da ich selber kein DJ bin, noch ist es sehr wahrscheinlich, dass ich in nächster Zeit Michael als DJ werde erleben können. Es stimmt, dass da Interessantes und Wichtiges gesagt wurde und ich habe die Beiträge mit Interesse verfolgt. Aber Christian Tobler hat die Leser dieses Blog zu weiteren Kommentaren aufgemuntert. Ich finde, er hat recht. Weitere Kommentare wären sehr gut -- und zwar, zum Hauptanliegen des Buches. Die bisherige Diskussion war zwar sehr interessant, handelte sich allerdings in erster Linie um sehr zweitrangige Aspekte des Buches. Es geschieht sehr selten, dass man die Gelegenheit hat, über die Charakteristika der einzelnen Tanzorchesters detailliert zu reden. Ich wünsche, ich könnte da selber mehr beitragen. Aber ich finde, wenn wir diesen Aspekt des Buches ignorieren, verpassen wir da eine wichtige Gelegenheit. Es ist natürlich leichter, übereinander oder über Michaels vermutliche Schwächen als DJ herzuziehen. Aber bei so viel Fachwissen ist das extrem schade.

cassiel hat gesagt…

Vielen Dank für die Anmerkungen

@Melomaner Tanguero
Du hast vollkommen Recht, die Diskussion hat sich (zu meinem Bedauern) in eine Richtung entwickelt, die zu eng auf den Randaspekt des DJings verkürzt ist. Das ist sicherlich schade, aber ich mag in laufende Diskussionen nicht lenkend eingreifen und Beiträge von Leserinnen und Lesern sollten nicht in Kategorieen von passend bzw. unpassend einsortiert werden. An meinen ursprünglichen kritischen Gedanken zum Anhang über das DJing halte ich allerdings fest. Mir ist aber der Rest des Buches ebenso wichtig.

Christian ist zuzustimmen, wenn er schreibt, daß dieses Buch eigentlich viel mehr Diskussion verdient hat. Nun kann ich allerdings nicht diese Diskussionen erzwingen.

Ich persönlich finde die bisherigen Beiträge in ihrer Fokussierung auf einen Randaspekt nicht so schlimm. Mir ist es wichtig, daß hier (möglichst ohne Vorgaben) diskutiert werden kann.

vielleicht können wir uns jetzt in der Diskussion auch anderen Themen des Buches widmen.

Christian Tobler hat gesagt…

@ Joachim + alle,

klar kann man sich entwickeln, auch wenn man dieses Buch nur einmal liest. Meine persönliche Erfahrung hat mich allerdings gelehrt, dass sich bei intensiver Beschäftigung die Sicht auf den Repertoire-Kern der EdO immer wieder markant verschiebt. Wenn man das Buch in solchen Situationen wieder lesen würde, würde man bestimmt auf ganz andere Aussagen von Lavocah anspringen. Der verschobene Fokus sorgt für eine veränderte Wahrnehmung.

Aber nun gehe ich noch einen Schritt weiter, weil die Diskussion hier nur sehr zögerlich startet: Paare mögen sich bitte jeder sein eigenes Exemplar dieses Buches kaufen, damit ein jeder Leser die Ränder der Seiten mit seinen eigenen Bemerkungen füllen kann. Betrachtet diese Veröffentlichung nicht als Buch zum einmal lesen –  sorry Joachim, jetzt ist mir das schon wieder raus gerutscht –  sondern als Arbeitmittel auf einer Entdeckungsreise, als verbalen Kompass für vielleicht drei Viertel des Repertoire-Kerns der EdO, den man immer und immer wieder zur Hand nimmt, der irgendwann zerfleddert auseinander fällt. Denn genau dafür eignet sich Lavocahs Buch trefflich.

herzlich – Christian

Christian Tobler hat gesagt…

@  Melomaner Tanguero + alle,

genau, diskutiert die zentralen Inhalte des Buches. Ein einziges Beispiel nur von ganz vielen, wofür es sich lohnen würde zu debattieren: Lavocah nimmt sich zurecht viel Zeit für den absoluten Repertoire-Giganten Canaro mit seinen über 4'000 Aufnahmen. Dazu liefert er, sehr sinnvoll, eine Einteilung seiner Aufnahmen und ist wie ich der Ansicht, dass Canaro ab 1942 nicht mehr zur ersten Liga gehört. Die musikalische Qualität ist spätestens ab 1942 zweitklassig und die Tanzbarkeit eingeschränkt.

Wenn man die Aufnahmen der Ära der akustischen Aufnahmetechnik aus klanglichen Gründen fast zwangsläufig weglässt, bleiben bei Lavocah also vier Entwicklungsstufen Canaros, von denen sich zwei überschneiden. Dass sich Tänzer intensiv damit beschäftigen, macht Sinn. Mögliche Diskussionspunkte gibt es viele:

Ist diese Einteilung ausreichend für Tänzer? Seid Ihr mit Lavocahs Wertung der einzelnen Phasen einverstanden oder hört ihr was anderes? Sind TJs in der Lage, damit beim Zusammenstellen von Tandas nicht über den Zaun zu fressen? Welche CDs sind am wertvollsten für die Beschäftigung mit den einzelnen Phasen von Canaro? Sich nur mit exemplarischen Aufnahmen zu beschäftigen reicht nämlich nicht für ein umfassendes tänzerisches Verständnis. Hat Lavocah die eine oder andere exemplarische Aufnahmen nicht genannt? Falls ja, warum soll genau diese Aufnahme exemplarisch sein? Zwei Beispiele: Warum findet Lavocah Canaros Aufnahme von "Charmusca" exemplarisch, die von d'Arienzo fünf Jahre später jedoch nicht? Warum benennt Lavocah bei Canaro, dem König der Milonga, bei Milongas "Milonga sentimental" als exemplarisch, aber zB weder "La Milonga de mis Tiempos" noch "La Milonga de Buenos Aires"?

Es gäbe zu Canaro allein noch ganz viele Fragen, die zu stellen sich lohnen würde. Nicht, weil Lavocah viel falsch gemacht hätte. Aber weil es sich lohnen würde, das Buch nicht nur zu lesen und das Besprochene hundertmal zu hören, sondern viele Aspekte zu hinterfragen, und nach so einer Überprüfung allenfalls zu bestätigen oder zu relativieren. Betrachtet dieses Buch nicht als Buch sondern als Arbeitsmittel als Katalysator, was hilft angemessen und das bedeutet nun mal abgrundtief in den Repertoire-Kern der EdO einzutauchen.

Kurzum, ich will für einmal keine Antworten geben, sondern zu einer intensiven Diskussion anregen. Vergesst die Furcht, nicht kompetent genug zu sein, euch womöglich eine Blösse zu geben. Auch der profundeste Kenner der EdO hat irgendwann mal klitzeklein begonnen – mit einem allerersten Lieblings-Tango, bei dem er bestimmt nicht wusste, wer damals am Piano sass, wer die erste Geige spielte und weiss auch heute noch ganz viel nicht. Bringt euch ein. Tauscht euch aus. Lernt von einander. Streitet miteinander. Und wachst daran. In vielen lokalen TA-Szenen findet ihr vielleicht zu wenig Gleichgesinnte. Hier gibt es diese Spezies gleich dutzendweise und noch viel mehr. Also haut endlich in die Tasten, anstatt hier nur zu konsumieren. Gute Blogs wie dieses sind tatsächlich ein interaktives Medium.

herzlich – Christian

Melomaner Tanguero hat gesagt…

Ich finde es schade, dass du dich weigerst, an der Diskussion teilzunehmen, Christian. Mir würde sehr interessieren, wie du zB Canaros Orchester charakterisieren würdest. Du bist der Musik-Fachmann. Ich bin Tänzer.

Christian Tobler hat gesagt…

@ Melomaner Tanguero,

wenn du in diesem einen Thread prüfst wieviele Kommentare von mir sind wird klar, dass ich mich längst massgeblich an der Diskussion beteilige.

Womöglich kommt in einigen Tagen nochmals ein Kommentar von mir als Antwort hinzu. Das hängt auch damit zusammen, dass ich nicht immer endlos Zeit in Tango Argentino stecken kann. Zudem wünsche ich mir ganz besonders zu diesem Thema, dass sehr viel mehr Leser sich aktiv einbringen, bitte bitte bitte.

Weil: Das Buch kostet nicht alle Welt. Und viele der von Lavocah als exemplarisch eingestuften Aufnahmen findet man zur Not komprimiert im Internet. Alles was nötig ist, um sich hier zu beteiligen, ist also etwas Zeit und die Bereitschaft mit den eigenen Ohren genau hinzuhören und hinterher zu erzählen, was man wahrnimmt, was die Musik mit einem macht. Jeder Tänzer, der tatsächlich zur Musik der EdO tanzt, wird mit den Jahren mindestens genauso zum Fachmann, wie du mir das zugestehst. Sonst verwendet er die Musik beim Tanzen bestenfalls als vielstimmiges Metronom.

Ich stelle Lavocahs Canaro-Definition nicht in Frage. Damit kann man als Tänzer bestens leben. Also gebt endlich euren Senf dazu –  und zwar reichlich.

herzlich - Christian

Michael Lavocah hat gesagt…

Christian / all,

Regarding Canaro, I am afraid there is a misprint in the hardback :-(
I've notified this here in mid-October: http://www.tangomusicsecrets.co.uk/playlists/5-canaro/
To save people the trouble of looking there - the four phases should read like this:
1. 1915-1926: the acoustic era
2a. 1926-1931: the early electrical era: mostly soft. Charlo.
2b. 1932-1934: the early electrical era: mostly hard. Famá.
3. 1934-1938: the Maida era (soft)
4. 1939 onwards: the populist era: Famá, Amor, Adrián etc.
I'm really sorry about this error. Even with editing and proof-reading, this slipped past me.
Best wishes,
Michael

Christian Tobler hat gesagt…

@ Theresa,

Teil 1: Zu einigen deiner Kommentare möchte ich eine Replik anbringen. Dabei geht es wie bei dir erst in zweiter Linie um Lavocahs Buch. Wir zwei werden wohl nie der selben Ansicht sein in Bezug auf die Definition darüber was ein traditioneller TJ ist. Das muss auch nicht sein, weil es nie nur eine richtige und viele falsche Antworten gibt. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass vieles von dem was ich vertrete Hand und Fuss hat und damit verbindlicher ist, als das manchen Zeitgenossen lieb ist. Weil die mit TA lediglich ihr eigenes Ding drehen, aber auf die Ettikete Tango aus Marketing-Gründen nicht verzichten wollen. Denn nicht überall wo Tango draufsteht ist auch Tango drin. Das ist aber nicht auf Dich gemünzt, Theresa.

Wie schon mehrmals geschrieben: Wenn man sich lange genug intensiv genug mit der EdO beschäftigt, tauchen überraschend oft allgemeingültige Ansichten auf. Daher vertrete ich die Meinung, dass vieles betreffend EdO schlussendlich eben doch nicht Ansichtssache ist. Also habe ich mir die Mühe gemacht, zu klären warum unser beider Ansichten so weit auseinander liegen.

Du definierst Dich als TJ über den Umfang des Repertoires, welches du auflegst, also primär über das WAS des Auflegens. Ich definieren mich als TJ über den Umgang mit den Repertoire-Kern, also primär über das WIE des Auflegens. Das sind zwei vollkommen verschiedene Ansätze. Und damit wird verständlich, warum wir nie einer Meinung sein können. Denn du sprengst damit einen über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Konsens. Diese Freiheit kann dir niemand verwehren. Aber das hat weitreichende Konsequenzen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Ich agiere weitgehend aus diesem über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Konsens. Allerdings vertrete ich nicht die Ansicht, dass alles was aus BA kommt gut ist. Aber ich respektiere vieles davon, nachdem es einer sehr genauen Überprüfung standgehalten hat. Zukunft braucht nun mal Herkunft. Damit stehe ich in einer langen Tradition von TJs. Eine solche Haltung birgt natürlich immer auch Gefahren in sich. Deshalb agiere ich nach wie vor sehr achtsam und schaue natürlich gelegentlich gerne neugierig über diese recht massiv gewordene Hutschnur hinweg. So bin ich mir zB bewusst, dass das in BA als tanzbar betrachtete Repertoire der EdO stetig kleiner wird, was längst kontraproduktiv ist. Hier gebe ich vorsichtig Gegensteuer – aber lediglich in einem angemessenen Rahmen.

Du hast einen anderen Weg gewählt, welcher den buenosairensichen Konsens betreffend tanzbarem Repertoire sehr oft links liegen lässt und eine angemessen Gewichtung der Jahrzehnte ein Stück weit auf den Kopf stellt. Du bevorzugst instrumentale Aufnahmen über das Mass ihrer Häufigkeit hinaus und legst den Schwerpunkt klar auf die Guardia Vieja und Titel, die bis 1935 aufgenommen wurden. Und du hast den Anspruch, den Tänzern vermehrt Aufnahmen zu bieten, die sie nicht kennen, die wenig aufgelegt werden. Damit agierst du aus Opposition heraus und das halte ich für problematisch, weil du nicht für etwas auflegst sondern gegen etwas.

Damit nimmst du dir als TJ ein Mass an Freiheit heraus, das ich nicht mehr für zielführend halte. Das Handwerk eines TJs besteht nicht darin, ständig nach Aufnahmen zu suchen, welche die Tänzer noch nicht kennen. Das Handwerk eines TJs besteht darin, die Titel einer Milonga so gekonnt zusammen zu stellen, dass sie trotz der Beschränkung des Repertoire-Kerns auf 1200 bis 1600 Aufnahmen nie langweilig daher kommen. Das scheint recht wenig Spielraum zu sein. In Wirklichkeit ist das ein göttliches Unviersum. Denn genau hier und ausschliesslich hier zeigt sich, ob ein DJ ein TJ ist und ob er ein Könner ist. Wenn es ihm gelingt, die Tänzer in diesem Rahmen mit auf seine Reise zu nehmen und sie vielleicht sogar abheben zu lassen, dann und nur dann beherrscht er sein Metier tatsächlich. Alles andere ist Selbstverblendung –  finde ich – stricken mit einer viel zu groben Nadel.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Die Individalität eines TJs – falls er sein Metier beherrscht –  zeigt sich also in einem Spielfeld, welches man im ersten Moment oder falls man mit der Materie nicht umfassend vertraut ist, für Spitzfindigkeiten halten könnte. Dem ist aber nicht so. Das erkennt man, sobald man, nein nicht genau hinschaut, aber genau hinhört. Der persönliche Faktor, die Handschrift quasi ist natürlich absolut unabdingbar für einen guten TJ. Aber die definiert sich eben nicht über Andersartigkeit, das wäre ein viel zu grobes Raster. Viele TJs verwechseln leider Originalität mit Individualität. Ein bunter Hund wird nie ein guter TJ werden. So wie ein egozentrischer Sänger für Tänzer nie ein guter Tango-Sänger werden wird. Da gibt es sehr viele Parallelen.

So umgesetzt mag der Konsens über das tanzbare EdO-Repertoire alles Mögliche sein, aber ganz sicher nicht ein zu Tode spielen toller Aufnahmen. Manche Tänzer erfassen den musikalischen Inhalt einer dieser Jahrhunderteinspielungen, dieser Dreiminutenkleinode der EdO, nach einmaligem hören. Andere müssen so eine Aufnahme mindestens fünfzig mal hören, bevor sie den Eindruck haben, sie könnten mit anstatt gegen die Musik dazu tanzen. Du Theresa gehörst zur recht kleinen ersten Gruppe, aber die meisten deiner Tänzer gehören zur grossen zweiten Gruppe. Und selbst der beste Tänzer wird es nie müde sein, die 1200 zentralen Aufnahmen zu tanzen. Weil es keine abschliessende Interpretation gibt.

Zum Glück möchte ich ergänzen, weil das Tanzen sonst ganz schnell schrecklich monoton werden würde, weil man sich nur selbst kopieren könnte. Mit den Musikern beim Tanzen noch mehr auf Tuchfühlung gehen, ist immer möglich. Wenn hier Langeweile aufkommt, tanzt ein Paar alles mögliche, aber sicher nicht die Musik. Und wenn das Tanzen für einen absoluten Könner, einen gottbegnadeten Überflieger –  ja, die gibt es, aber das sind nur ganz wenige – tatsächlich mal langweilig werden sollten, dann wird der die Musik parodieren, konterkarieren, sprich Elemente tanzen die nicht im Vordergrund stehen, dominant sind oder zB auf contra piano wechseln. Aber dazu braucht es Partnerinnen, die das mitzuspielen in der Lage sind, augenzwinkernd hören und tanzen können.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 4: Mir fällt auf, dass viele Tänzer, welche sich über Beliebigkeit des EdO-Repertoire-Kerns beklagen, es kaum schaffen auch nur eine einzige dieser Aufnahmen halbwegs angemessen zu interpretieren. Oft wird da hemmungslos taktgehopst. Die hören die Musik gar nicht: Sie verpassen das Ende der Phrasen und tanzen die verschiedenen Melodie eines Tangos als ob es keinen Unterschied gäbe. Sie laufen neben dem Takt während dem sie dem Rhythmus nachlaufen. Wenn die Geigen singen oder der Sänger einsetzt, tanzen sie nur den Kontrabass. Und sie machen eine Pause, wenn die Bandoneons kleinräumig treiben. Kurzum, die Musik wird zum Hintergrundgeräusch degradiert. Eine Milonga ist aber kein Bummel im Einkaufszentrum, mit musikalischer Hintergrundberieselung. Das ist wie Willy de Ville bei Ikea oder Maria Callas bei Spar. Klar gibt es auch hier Ausnahmen. Aber die bestätigen wie immer lediglich die Regel.

Der Höhepunkt der Entwicklung tanzbaren Tango Argentinos wurde in den Jahren 1938/47, oder 1935/50 erreicht –  dazu gehen die Ansichten auseinander. Die Jahrzehnte davor und danach sind wichtig, haben aber niemals den selben Stellenwert – aus Sicht von Tänzern. Und nur das interessiert hier. Wenn ein TJ zuviele frühe Titel auflegt, führt das zu einer langweiligen Stimmung an JEDER Milonga. Wenn ein TJ zuviel späte Titel auflegt, führt das zu einer agressiven Stimmung an JEDER Milonga.

Neben dem Primat des Eingehens auf die Laune der Tänzer, der Stimmung im Raum, einer sorgfältigen Zusammenstellung der Titel jeder Tanda und dem Aufbau eines musikalisch inspirierenden und energetisch positiven Spannungsbogens über den ganzen Abend hinweg, ist das Sicherstellen einer angemessenen Balance zwischen frühen, kernigen und späten Aufnahmen der EdO das zentrale Werkzeug jedes guten TJs. Denn wenn der Repertoire-Kern der EdO nicht zwei Drittel der Titel einer Milonga umfasst, läuft die Stimmung praktisch immer aus dem Ruder. Lokale Szenen, die nichts anderes kennen, können das natürlich nicht nachvollziehen. Für sie ist so ein Trauerspiel Milonga-Alltag und meist auch noch das Mass aller Dinge, was eine tänzerische Entwicklung so gut wie verhindert.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 5: In Bezug auf diese elenden DJ-Challenges werden wir zwei nie einer Meinung sein. Ich habe noch nie eine Milonga damit erlebt, die musikalisch ausgewogen gewesen wäre, abwechlungsreich tatsächlich, aber eben nicht ausgewogen abwechslungsreich. Zu oft will ein DJ die anderen übertreffen und dann katapultieren die sich gegenseitig in eine Hypererregeung. Zu oft sind einzelne DJs nicht konzentriert und plötzlich hören wir das selbe Orchester unmittelbar hintereinander zweimal. Zu oft stossen DJ-Auffassungen aufeinander, die sich gar nicht unter einen Dach vereinen lassen. Zu oft sind daher die Spünge betreffend Anmutung der einzelnen Tandas zu gross. Und ein ausgewogener Spannungsbogen über die ganze Milonga hinweg ist bei so einem Potpourri auch nicht realisierbar. Als Tänzer kommt man sich dann auf dem Parkett vor wie eine Nusschale in stürmischen Gewässern. Wo ich meine tänzerischen Wurzeln habe, stellt man sich unter einer inspirierenden Milonga was anderes vor.

Ein guter TJ drängt sich niemals in den Vordergrund. Das ist der Unterschied zwischen einer Milonga und einer Tango-Disco. So ein schreckliches DJ-Challenge drängt sich aber bereits auf Grund des egozentrischen Setups in den Vordergrund. Das ist wie eine Faust auf das Auge einer traditionellen Milonga. Am Ende bleibt so eine Gaudi-Milonga musikalisch immer Stückwerk. Kein Tango-de-Salon-Tänzer setzt sich dem gerne aus.

Auch zum Mischen von vokalen und instrumentalen Titeln in einer Tanda werden wir zwei niemals einer Meinung sein. Ja, die guten Sänger singen dezent, aber die guten Sänger singen alle ausgesprochen ausdrucksstark, ein jeder auf seine ganz eigene, unverwechselbare Weise. Diese Sänger sind nie Nebenschauplatz in einer EdO-Aufnahme. Das ist eine Stradivari oder Stainer, Guarneri oder Amati mit Lippen und Zunge niemals. Daher kann man sie nicht mitten in einer Tanda ein- oder ausschalten und hoffen, der musikalisch-emotionale Rahmen wäre immer noch der selbe.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 6: Die Summe aus Orchester und Sänger kann nicht gleich klingen, wie das Orchester allein, weil die guten Sänger ein weiteres Instrument im Reigen eines Gran Orquestas sind, aber ein Instrument ganz anderer Kategorie, als zB ein Flügel oder ein Kontrabass, vier Bandoneon oder fünf Geigen. Daher kann man instrumental und vokal unmöglich mischen. Die Instrumentierierung ist auf Grund des zusätzlichen Sängers eine vollkommen andere. Nicht alles was in Bs As entwickelt wurde ist sinnvoll. Aber dieser eine Aspekt, der ist goldrichtig. Er geht mit den unverzichtbaren Aufnahmen der EdO fachgerecht um.

Und nein Theresa, ich finde d'Arienzos aus den Jahren 1938/39 mit oder ohne Echagüe gehören mitnichten in die selbe Kategorie. Dazu ist der damals blutjunge Echagüe einfach zu einzigartig in seinem Ausdruck. Echagüe ergänzt diese vokalen Tangos mit seiner sängerischen Persönlichkeit in einem Mass, dass für eine markanten Unterschied zu den instrumentalen Titeln aus diesen Jahren sorgt. Dabei geht es sicher nicht um besser oder schlechter. Aber es geht um Andersartigkeit. Ausserdem werden instrumentale Titel zwangsläufig anders arrangiert als vokale, das geht gar nicht anders, weil wie gesagt eine zentrale Instrumentenkategorie fehlt – der Sänger. Die guten Arrangements wurden den einzelen Sängern damals sowieso immer auf den Leib geschrieben.

Auch bei Laurenz ist der Unterschied zwischen insturmentalen und vokalen Titeln aus dem selben Grund markant. Und bei di Sarli sind gemischte Tandas allein schon deswegen nicht nötig, weil es von diesem Orchester aus diesen Jahren beste Aufnahmen in Hülle und Fülle gibt, um verschiedenste Tandas zusammenzustellen, ohne sich zu wiederholen. Dasselbe gilt natürlich für Canaro, mit über 4000 Aufnahmen der Repertoire-Gigant des TA schlechthin. Auch bei Pugliese macht es angesichts der Repertoire-Vielfalt überhaupt keinen Sinn, gemischte Tandas zusammen zu stellen. Grossartige instrumentale Stücke gibt es sowieso genug. Und mit seinen besten Sängern, Chanel und Moran, sind ebenfalls genug Aufnahmen vorhanden, um verschiedene Tandas zusammen zu stellen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 7: Ganz besonders bei diesen zwei Sängern ist eine gemischt Tanda ein Schlag ins Gesicht dieser grossartigen Künstler. Wenn ich als Tänzer die ersten zwei Phrasen einer Aufnahme von Pugliese höre und erkenne, dass in rund einer Minute Moran einsetzen wird, dann gehe ich auf's Parkett, weil ich genau diese anspruchsvolle, kompromisslose Kombination von Orchester und Sänger tanzen will. Oder ich bleibe sitzen, weil ich genau dazu im Moment kein Lust habe.

Wenn ich dann nach zwei Aufnahmen mit Moran zusammen mit meiner Partnerin vielleicht endlich in den genau richtigen Goove gefunden habe und gemeinsam abhebe, dann kannst Du sicher sein, dass ich einem DJ, der als dritten Titel eine Instrumentalaufnahme einfügt, am liebsten umgehend Berufsverbot erteilen würde. So ein Stümper! Eine Tanda ist kein Cocktail. Und die Vermessenheit eines DJs, einen absoluten Könner wie zB Duran in einer Tanda amildern zu wollen, indem man die Tanda mit einem instrumentalen Tiel nein nicht abschwächt sondern verunstaltet ist genauso arrogant, ignorant. Botox hat in Tandas nichts verloren. Ein TJ hat die Qualitäten dieser Musiker ins rechte Licht zu rücken und nicht in den Schatten stellen zu wollen. Als Musikliebhaber darf man solche Präferenzen pflegen. Als TJ hat man darüber zu stehen, sich zurück zu nehmen.

Ein sehr guter Tänzer hat mal gesagt, dass er im Durchschnitt nach einer von drei Pugliese-Tandas mit einem entrückten Lächeln zurück an seinen Platz geht, weil einfach alles ins Lot gefallen ist. Die anderen zwei Pugliese-Tandas waren bestenfalls nett, aber kein grosser tänzerischer Wurf, weil die musikalische Herausforderung Puglieses einfach zu gross ist, um damit jedes mal erfolgreich zu hantieren. Diese vielen rhythmischen und melodischen Ebenen, die Pugliese so gekonnt zu einem Hochhaus aus Noten schichtet, dass einem als Tänzer manchmal schwindlig werden könnte, werden für jeden Tänzer zeitlebens eine Herausforderung bleiben. Und genau das ist das Schöne daran, es wird nie langweilig.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 8: Damit Tänzer mit diesem Potenzial konstruktiv umgehen können, braucht es einen Kodex an den sich alle traditionellen TJs halten. Eine Pugliese-Tanda mit Moran ist anspruchsvoll genug, ohne dass einem die wunderschöne La Tupungatina mittendrin einen Strich durch die Rechnung macht und in dieser Konstellation die Stimmung versaut weil das einfach nicht zusammen passt. Die Aufgabe eines TJs ist es nicht, mittels Kreuzung neue Rosensorten zu züchten. Ein guter traditoneller TJ gestaltet Milongas entlang eines tänzerischen Spazierwegs aus Büschen mit bestehenden Sorten gekonnt zu einen wunderbar abwechlungsreichen Spaziergang, der doch irgendwie aus einem Guss ist. Diese vermeintlich simple Aufgabe für Tänzer angemessen zu lösen ist tausendmal genug Herausforderung für jeden, der bereit ist, als TJ zu agieren anstatt in DJ zu machen.

Es liegt auf der Hand, dass ich mit Verärgerung reagiere, wenn ein selbstsüchtiger DJ mir die tänzerisch berauschende Herausforderung einer traditionellen Milonga damit erschwert, dass er es nicht nur nicht schafft, in sich homogene Tandas zusammenzustellen, sondern ganz bwusst –  was für eine Impertinenz –  ein disharmonisches Unding einer Tanda zusammen stiefelt und das auch noch als tolle Leistung reklamiert. Theresa, das ist nicht persönlich gemeint, wir kennen und mögen uns. Aber bei solchen Verbrechen an der Musikalität kann man von DJs bestenfalls sagen: Sie wissen nicht, was sie tun. TJs sind Dienstleister, keine DJs, das ist was für die Disco. Nichts gegen Discos, solange sie mit genau dieser Ettikette versehen sind. Aber eine traditionelle Milonga ist keine Disco.

Gemischte Tandas mache lediglich dort Sinn, wo auf Grund des beschränkten Repertoires einzelne tolle Titel sonst nie gespielt werden könnten. Aber nicht mal in diesen Fällen würde ich je auf die Idee kommen, instrumental und vokal in eine Tanda zu packen. So was ist ein absolutes no go für einen traditionellen TJ. Ein DJ, der mehr als ein, maximal zwei gemischte Tandas pro Milonga spielt, strickt sowieso mit zu grober Nadel, da bleibt die musikalische Subtilität auf der Strecke.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 9: Wenn man den bestens tanbzaren Repertoire-Kern der EdO, zB 1938/47 herauspickt, umfasst dieser Kern rund 1200 bis 1600 Titel. Davon ist aber nur ein knappes Drittel instrumental, was nicht weiter erstaunt, weil die goldenen Vierziger wie jeder weiss das Zeitalter der gesungenen tanzbaren Tangos, Valses und Milongas war. Hier unterscheidet sich unsere Wahrnehmung des Repertoires offensichtlich sehr deutlich.

Stimmt, bei Lomuto 1932/40, Carabelli, d'Agostino und Fresedo 1933/40 ist die Anzahl der instrumentalen Titel tatsächlich beschränkt. Da kann es schwierig werden, mehr als eine tolle Tanda zusammen zu stellen. Vor diesem Dilemma stehe auch ich immer wieder mal. Mit den Jahren tendiere ich dazu diese Instrumentaltitel seltener zu spielen, weil die fehlende Homogenität gemischter Tandas eine Milonga nie besser macht. Für mich stehen nie einzelne vielleicht tolle Titel im Vordergrund der TJ-Tätigkeit, sondern immer rundherum begeisternde, homogene und trotzdem abwechslungsreiche Tandas. Wenn eine tolle Aufnahme nicht wirklich in eine Tanda passt, dann werden ich sie kaum an Milonga spielen, ganz egal wie toll da für sich allein betrachtet musiziert wird.

Dass ich bei instrumentalen Tandas nur drei Stücke spiele, ist wohldurchdachte Absicht. Ein Teil des durchaus guten instrumentalen Repertoires ist weniger abwechlsungsreich, als das vokale Repertoire. Zu viele TJs tendieren dazu, bei Instrumentaltiteln zu beliebige Aufnahmen aufzulegen. Die Chance, dass sich die Tänzer beim vierten Stück zu langweilen beginnen ist daher grösser. Und diese Tendenz verstärkt sich, weil Intstumentalaufnahmen die Instrumentenkategorie Sänger fehlt. Deshalb beschränke ich mich bei Instrumental-Tandas immer auf drei Titel, die ich jeweils ganz besonders sorgfältig aussuche.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 10: Nichts ist der Stimmung einer Milonga so abträglich, wie akademisch korrekte aber musikalisch langweilige Tandas. Im deutschsprachigen Raum gibt es unter den TA-Tänzern immer noch zu viele Stoppelhopser, Tänzer die sich ausschliesslich auf den Takt konzentriert marschieren und dabei ihre 765 Figuren abspulen. Für Folgende sind solche Zeitgenossen auf dem Parkett schreckliche Langweiler. Und nichts bestätigt diese Antitänzer in ihrer Monotonie mehr, als zu viele und vor allem die falschen Instrumentalstücke ohne Überaschungen, ohne Ecken und Kanten, ohne Spielwitz. Ein guter Sänger stört solche Zeitgenossen meist so sehr, dass ihnen das Marschieren schwer fällt – gut so.

Die Qualität eines TJ bemisst sich nicht daran, wie viele wenig oder unbekannte Titel er auflegt, die nur er in seiner Tangothek hat. So was macht nur ein DJ. Könner erkennt man daran, dass sie in der Lage sind, im Rahmen des über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Konsenses darüber was aus der EdO bestens tanzbar ist, eine Milonga zu kreieren, bei der nicht nur jede einzelne Tanda harmonisch und trotzdem lebendig daherkommt, sondern mittels gestaltetem Spannungsbogen über den ganzen Abend hinweg die Tänzer allmählich abheben lässt: manchmal entspricht das einer Frühlingsbrise, gelegentlich einem kräftigen Sommerwind, zum Abschluss womöglich einem herbstlichen Gewitter – aber niemals einer winterlichen Bise und ganz sicher nie einer anhaltenden Flaute.

Die einzelnen Aufnahmen sind dabei Mittel zum Zweck und haben sich unterzuordnen, allerdings ohne dabei unterzugehen. Auch dafür sorgt ein guter tradioneller TJ. DJs, die originell sein wollen, ständig auf der Suche nach unbekannten Aufnahmen sind, kann ich daher schon lange nicht mehr ernst nehmen. Es gibt längst einen Konsens darüber, welche Aufnahmen der EdO es wert sind, sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg wieder und wieder zu betanzen. Ob da in den nächsten zehn Jahren noch 20 Titel dazu kommen, ist völlig egal. Als DJ den Fokus auf diesen Nebenschauplatz zu verlegen, kommt einem Verlust der musikalischen Orientierung gleich.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 11: Wenn man als Tänzer tatsächlich zur Musik tanzt, anstatt TJ und Musik zum Metronom zu degradieren, ist es bereits eine Lebensaufgabe, die Top-500 der EdO tänzerisch halbwegs angemessen zu interpretieren. Bei vielen Titeln werde ich vermutlich daran scheitern, bis ich sterbe. Ich weiss das ganz genau und versuche mich diesen Aufnahmen tänzerisch trotzdem immer wieder anzunähern, so gut wie ich es eben vermag. Und gelegentlich erlebe ich dabei eine Überraschung, mache in meiner tänzerischen Entwicklung einen Sprung. Das sind die schönsten Momente eines Tänzer-Daseins. Ohne die reglmässige Präsenz der Top-500 der EdO an Milongas wäre solche Höhepunkte unmöglich.

Wenn ein DJ lediglich die Grandes Exitos auflegt, ist das natürlich langweilig und vermiest einem diese Überfliegertitel ganz schnell. Diese Grandes Exitos umfassen allerdings lediglich 500 Titeln. Ich spreche im Zusammenhang mit dem Repertoire-Kern der EdO jedoch von 1500 Titeln. Mit diesem erweiterten Instrumentarium sieht die Situation vollkommen anders aus.

Ein internationales Festivalito ist immer etwas anderes als ein lokale Milonga. Ein Festivalito braucht einen etwas grösseren Anteil an Top-500-EdO-Titeln, damit die Tänzer abheben. Chamuyo hat die Hintergründe dieser Notwendigkeit bereit umfassend dargestellt. Aber vier mal di Sarlis Corazon mit Rufino ist natürlich zu viel. Sogar für mich, der ich ich Rufino liebe und Corazon sowieso. Ich habe an so einem Festivalito auch schon vier mal Donatos Sinsabor mit Morales/Lagos erlebt. Auch das ist natürlich zu viel. Aber ein wirkliches Problem ist das bei solchen musikalischen Kleinoden nie wirklich. Dann tanze ich so ein Stück beim dritten mal eben contra piano. Das ist Herausforderung genug, auch für den besten Tänzer und die anspruchsvollste Partnerin.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 12: Kürzlich habe ich an einem Festivalito einen DJ über mich ergehen lassen müssen, der das Kunststück vollbracht hat, zwei Stunden lang lauter Aufnahmen des Repertoire-Kerns der EdO dergestalt aneinander zu reihen, dass ich nach 30 Minuten schlecht gelaunt war und nach zwei Stunden eingeschlafen bin. Man kann mit den Aufnahmen der EdO tatsächlich depressive Milongas zusammen stellen, oder agressive und sogar chaotische. Das ist aber nicht dem Repertoire-Kern der EdO anzulasten, sondern diesen DJ, die keine TJs sind.

Du Theresa liebst Aufnahmen, in denen die Musiker den Tänzern für jeden einzelnen Schritt einen ziemlich unmissverständlichen musikalischen Schubs mit dem Schuh in den Hintern geben. Diese ländlich-derbe Spielweise der 20er und 30er ist tatsächlich reizend und kann Tänzern unglaublich viel Tanzspass schenken. Aber ganz sicher nicht in Form einer endlosen Aneinanderreihung solcher Titel, von denen es zudem gar nicht hunderte in bester Musizierqualität gibt. Solche Tandas sind eine schöne Abwechslung zum Repertoire-Kern der EdO, werden aber schrecklich monoton, sobald diese Aufnahmen den Grossteil einer Milonga bestreiten sollen.

Es gehört zur Krux des eigentlichen Repertoire-Kerns der EdO, dass sich der nur mit bester Technik angemessen wiedergeben lässt, weil da sehr viel anspruchsvoller musiziert wurde als in den Aufnahmen, die Dir so am Herzen liegen. Dann hört man plötzlich, dass da vier oder fünf und nicht nur eine Geige spielt. Da hört man fasziniert, wie der Bassist den Bogen am Ende des Zugs abknickt. Da hört man erstaunt, dass auf ein Bandoneon auf Zug und Stoss gespielt eine ganz andere Qualität hat. Da hört man ständig, wieviel Luft die Aufnahmen der Gran Orquestas zwischen den einzelnen Tönen lassen, was diesen Aufnahmen ungemein beschwingt. Da stören die Restgeräusche der Schellack plötzlich nicht mehr, weil die Stimmen Körper bekommen. Da ist kein unkonturierter Brei mehr, keine alte Scherbe.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 13: Und das wiederum führt zu einer ganz anderen Dimension tänzerischen Inspiratierens. Aber natürlich nicht mit MP3, einer Strereoklinke am Kopfhörerausgang des Laptops und PA-Schrott von Beringer oder Bose, um nur zwei von vielen Schwerverbrecher zu benennen.

Überrascht erfahre ich hier, dass du von Firpo lediglich das Gran Orquesta auflegst. Ich sehe das nicht so eng und könnte den Tänzern zB niemals ein Kleinod wie die faszinierenste aller Interpretation der Milonga El Lloron vorenthalten – jene von Firpos Cuarteto. Was Tänzerbeinen da an Spielwitz und damit Tanzspass geboten wird, ist einzigartig. Zudem gibt es von Firpos Cuarteto genügend tolle Milongas, um eine rundum stimmige Tanda zusammen zu stellen. Aber ja, damit diese Aufnahmen mit nur vier Musikern richtig fetzen, darf die Technik keine Schlampe sein. Sonst erntet ein TJ zu Recht Kopfschütteln und böse Blicke.

Abschliessend möchte ich meine Sicht der Dinge zusammenfassen: Ein guter TJ definiert sich niemals über Originalität – dem Auflegen wenig bekannter Titel – sondern über einen meisterlichen Umgang mit dem tanzbaren Repertoire-Kerns der EdO und den zwei diesen Kern flankierenden Jahrzehnten. Die Alternative zum zu vielen Spielen der Grandes Exitos, der Top-500 der EdO ist nicht das Auflegen von Titeln, welche an Milongas bisher kaum oder gar nicht zu hören waren. Die Alternative ist wiederum ein gekonnter Einsatz des bestens tanzbaren besten Aufnahmen der EdO und zwei diese flankierenden Jahrzehnte in angemessenen Proportionen. Dabei handelt es sich – hier gibt es einen gewissen Ermessensspielraum – um 1200 bis 1600, allenfalls 2000 Aufnahmen. Damit gekonnt zu hantieren ist sehr viel anspruchsvoller, als mit unbekannten Aufnahmen minderer Qualität betreffend Tanzbarkeit, Arrangement und Spieltechnik zu dealen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 14: Wer sich der halsbrecherischen Gratwanderung nicht stellt, die mit der Konzentration auf einen gewachsenen Konsens von rund 1600 Aufnahmen einhergeht, ist in meinen Augen kein TJ sondern ein Musikliebhaber oder ein DJ. Beides reicht aber nicht, um als traditioneller TJ tätig zu sein. Im privaten Rahmen ist ein Musikliebhaber eine wunderbare Sache. Aber an jeder traditionellen Milonga ist ein Musikliebhaber eine krasse Fehlbesetzung, weil das zu Sparten-Milongas führt. Ein DJ darf gerne das tun, was er kann und mag: Discos veranstalten, ganz egal ob mit oder ohne Tango. Ein DJ soll diese Event aber bitte genau so nennen: Tango-Disco – damit niemand sich versehentlich dorthin verirrt. TJing ist ein ungemein subtil zu handhabendes Metier, welches keine Egomanen duldet und keine Pfuscher, keine Stars und keine Faulenzer.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass Du Therea mit viel Akribie, Wissen und Sorgfalt ans Werk gehst und damit einer anderen Kategorie zuzurechnen bist. Trotzdem ich bin mit deinem zentralen Fokus, mit deiner Konzentration auf einen Bruchteil des Repertoire-Kerns in keiner Weise einverstanden. Und ich denke es muss möglich sein, offen über solche grundsätzlichen Unterschiede nicht nur vehement zu debattieren, sondern auch mit Anstand zu streiten, ohne das dabei der Respekt vor der oder die Sympathie für die Person gegenüber flöten geht.

Verlogener Friedefreudeeierkuchen ist Gift für den TA. In diesem Sinn freue ich mich auf unsere nächste Begegnung – vermutlich an irgend einem dieser in manchen Kreisen zu Unrecht als elitär verschiehenen Encuentros für Tango-de-Salon-Tänzer ;-)

herzlich – Christian

Anonym hat gesagt…

Chistian Tobler,

Im Kommentar sprichst du viel von Tänzern und lässt auch deutlich durchblicken, du hältst dich selber für einen sehr musikalischen Tänzer. Es behaupten aber Einige, dass du überraschend unmusikalisch tanzt. Das wäre an für sich interessant zu wissen, Bei youtube finde ich keine Videos von dir als Tänzer. Könntest du Cassiels Lesern bitte einen Link zu Verfügung bieten?

cassiel hat gesagt…

@letzte(r) Anonym

Chistian hat als DJ bzw. TJ geschrieben - nicht als Tänzer und wenn es darum ginge, daß hier nur Kommentatoren schreiben dürften, die schon bei YouTube ein Video eingestellt haben, dann würde es hier sehr schnell sehr still (inkl. von meiner Seite).

Gerne darfst inhaltlich mit Christian argumentieren, billige Angriffe (so zumindest habe ich Deine Zeilen gelesen) verbitte ich mir hier.

Monika hat gesagt…

Liebe(r) letzte(r) Anonym(a),

drei Dinge möchte ich anmerken:

1. Du weichst vom Thema ab.

2. Christian behauptet nirgends, ein besonders musikalischer Tänzer zu sein. Ich zitiere (aus Teil 11): "Wenn man als Tänzer tatsächlich zur Musik tanzt, anstatt TJ und Musik zum Metronom zu degradieren, ist es bereits eine Lebensaufgabe, die Top-500 der EdO tänzerisch halbwegs angemessen zu interpretieren. Bei vielen Titeln werde ich vermutlich daran scheitern, bis ich sterbe. Ich weiss das ganz genau und versuche mich diesen Aufnahmen tänzerisch trotzdem immer wieder anzunähern, so gut wie ich es eben vermag."

3. Christian und ich sind keine Show-Tänzer. Es gibt keine Videos von unserem tanzen auf youtube. Warum auch?

Ach ja, und
4. möchte ich sehr gerne auf Cassiel's häufige Bitte um einen "Namen" hinweisen, bei bisher 46 (gleich 47) Kommentaren ist es mühselig, auf "Kommentar von Anonym am 18. November 2012 um 19.48 h" hinzuweisen...

TC-TA hat gesagt…

Hey, das riecht ja verdammt nach Deiner Blog-Nervensäge. Soll ich schon mal die Grimm'schen Märchen suchen?

Theresa hat gesagt…

So ein langer Kommentar braucht natürlich eine wohlüberlegte Antwort. Erstmal Danke, Christian, dass du dir so viel Mühe gemacht hast. Als "Fleisch" für eine weitere Diskussion veröffentliche ich hier mal eine Playlist, nämlich vom Bailongo am Samstag, den 10.11.12.

Hier ist sie:
http://www.theresa-tango.de/Bailongo101112

Theresa

Anonym hat gesagt…

Lieber Chistian! Hast was professorales.... und meine Studienzeit liegt lang zurück. Was mit UNHEIMLICH gut gefällt, ist das Feuer, Dein engagement! Und dass Du wahrhaftig, und offensichlich jahrelang nach dem Optimum des TJ - ings gesucht hast. Wovon wir "konsumenten" sehr profitieren können. Da ich einige Musikbeispiele noch suchen muss, werde ich eine weile zu tun haben.
Und das gerne!
Danke für diesen ausführlichen Kommentar!
Kerstin

Theresa hat gesagt…

Zur veröffentlichten Playlist:

Die Tanda, in der OTV von 1943/44 und Caló von 1934 gemischt sind, habe ich von Theo Chatzipetros "geklaut". Dass einmal Vals schon nach 1 Tango-Tanda kommt, lag an einem Geburtstag.

Es waren immerhin 6 Tandas mit instrumentalen Stücken und Sängern gemischt, bei den reinen Gesangs-Tandas waren 5 mit verschiedenen Sängern, insgesamt gab es nur eine rein instrumentale Tanda. Nur 5 Tandas waren von vor 1935.

Theresa

Terpsichoral hat gesagt…

Gruess Euch, allesamt! @TC-TA Da ich hier erwähnt wurde, möchte ich nur dazusagen, dass ich diese Diskussion mit sehr grossem Interesse verfolge und sehe Argumente auf beide Seiten (Christians und Theresas). Ansonsten habe ich hier gar nichts zu suchen, da ich weder DJ noch Musikexpertin bin. Keine Ahnung, was das überhaupt mit meinem Blog zu tun haben sollte.

Seid herzlichst gegruesst. Ich bedanke mich um die interessanten Beiträge und freue mich auf Theresas Antwort.

cassiel hat gesagt…

hmmm...

Ich wünsche mir hier einen ordentlichen Umgang (aber das funktioniert ja sowieso ganz gut) und Terpsichoral, wir hatten doch eigentlich etwas vereinbart - oder? Könntest Du Dich bitte daran halten?

Allseits einen schönen Tag

c.

TC-TA hat gesagt…

Hey Terpsichoral, fühlst du dich etwa erwähnt, wenn ich von der Blog-Nervensäge schreibe? Sehr bedenklich.

Hier war es in letzter Zeit so friedlich und nachdem keiner sich traut, muss ich es dir sagen. Nicht alle im Tango finden dich so toll, wie du es wohl tust. Und nachdem du versuchst unter anderem Namen bzw. anonym hier wieder Fuß zu fassen, muss ich nun doch einmal sehr deutlich werden. Bleib doch in der Kuschelecke deines Facebookprofils oder deines Blogs. Da kannst du dich entfalten. Wenn andere Leute ernsthaft über Tango sprechen und eigene Gedanken entwickeln, dann lies vielleicht still mit. Da kann man lernen und ist nicht immer darauf angewiesen, seinen Veröffentlichungszwang hauptsächlich mit fremden Gedanken zu füttern.

cassiel hat gesagt…

@TC-TA

Ich denke, solche Beiträge sind total überflüssig weil sie nichts zur Sache beitragen. Ich distanziere mich von Deinen Äußerungen und bitte darum, hier nicht persönlich zu werden. Ich finde es mühsam, mich mit solchen Beiträgen aufhalten zu müssen. Leider können manche Diskutierende mit der Freiheit, die in dem sofortigen Erscheinen der Beiträge begründet ist, nicht umgehen. Ich kann aber eine Kommentarmoderation allein zeitlich nicht leisten. Sollte es wieder vermehrt zu derartigen Kommentaren kommen, würde ich geeignete Maßnahmen treffen müssen und das wäre schade.

Anonym hat gesagt…

Ich kann TC-TA gut verstehen und ich bin gleicher Meinung. Könnte er das freundlicher sagen? Bestimmt. Aber warum sollte er? We man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück. Das gilt auch für anonyme Kommentare die nicht anonym sind. Ich habe die gleichen Schlussfolgerungen gezogen wie TC-TA. Es ist klar, wer sich da wichtig machen will. Mich stört das und ich möchte das sagen dürfen. Eigentlich möchte ich es viel deutlicher sagen. Aber aus Respekt Cassiel gegenüber schlucke ich meinen Ärger runter und bleibe höflich.

Anonym hat gesagt…

liebe Theresa,
bei dieser Playlist wäre ich die ganze nacht geblieben ( naja Donato mag ich nicht, aber der war ja am anfang, Die Di Sarli - auswahl, und mein lieblingstango Pa que bailen los muchachos ... (.
Dem kann man, vorteilhaft mit Garrua verbinden )
Demnächst in Mümchen!
Kerstin

Terpsichoral hat gesagt…

Ich sehe immernoch nicht, was hier mein Blog zu suchen hat (der letzter Eintrag war eine Kurzgeschichte zum Thema Tango und Liebe -- das erwähne ich nur, um zu zeigen, wie wenig das überhaupt mit den Themen zu tun hat, die hier besprechen werden). In meinem Blog wurde noch NIE, an überhaupt keiner Stelle Cassiels Blog, seine Themen oder seine Kommentatoren auch nur vorübergehend erwähnt. Ich schreibe da (im Blog), autobiographische und fiktive Kurzgeschichten über meine Erfahrungen als Tänzerin. Wer will, kann sie dort lesen. Dort wird nicht über Tango diskutiert, sondern einfach beschrieben. Wen das nicht interessiert, muss das nicht lesen. Aber ich sehe überhaupt nicht, warum ich nicht hier zu den Diskussionen bei Cassiel beitragen darf. Das ist ja ein öffentlicher Blog und jeder (auch ich) ist frei, hier zu kommentieren. Falls ihr mit mir persönlich Problem habt, bitte schreibt mir. Missbraucht Cassiels Blog nicht zu solchen Zwecken. Ich bringe dieses Thema, was mich herzlich langweiligt, selber nie auf den Tisch. Aber Cassiel und seine Kommentatoren erwähnen und missrepresentieren mich ständig. Wenn das passiert, habe ich natürlich das Recht mich zu verteidigen und werde es auch ausüben. Wer das nicht will, erwähne mich und meinen Blog bitte nicht andauern. Grüß miteinander.

Anonym hat gesagt…

Terpsi, weisst Du was? - Hör einfach auf hier zu kommentieren. - Dein Blog? - Ist hier in diesem Strang nicht erwähnt. Jemand schreibt über Blog-Nervensägen, und Du fühlst Dich angesprochen? Interessant.

Wer sich angesprochen fühlt werfe den ersten Stein, oder so.

Anonym hat gesagt…

Cassiel, bitte lösch Terpsichorals störende Kommentare weit weg vom Thema ohne zu zögern, auch die die sie unter Pseudonym macht. Ihr Blog in einer anderen Sprache ist hier nicht Thema und interessiert keinen. Sie stört hier nur die gute Diskussionskultur mit ihrer negativen Publizitätssucht, dieses um jeden Preis wer sein wollen in der Tangowelt. Das ist billiges Suchmaschinen-Spamming und primitive Werbung für ihr Blog, das davon lebt, die kreative Leistung anderer zu vermarkten. Hier will niemand diese Streitereien lesen. Cassiel, bitte lösch Terpischorals Kommentare in Zukunft sofort.

Anonym hat gesagt…

Lieber Cassiel, Dein Blog ist qualitativ hochwertig, und sehr interessant, sowohl Deine Themen, wie auch ( die meisten) Kommentare dazu.
lass uns de gegenseitigen, verflachenden, beleidigenden Bemerkungen, die gelegentlich vorkommen, einfach überlesen!
Und bitte mach weiter!
Gruss Kerstin

Theresa hat gesagt…

Also ich verstehe die Aufregung um die Beiträge von "Terpsichoral Tangoaddict" nicht. Sie hat einen eher dichterischen Blog, der braucht hier nicht zu interessieren, und in ihrem Facebook-Status wirft sie öfters interessante Diskussionen auf, in denen meist hochkarätige Beiträge auftauchen. Ich verfolge ihren Status jedenfalls mit Interesse und schreibe dort auch gelegentlich.

Jetzt gibt es einen dauernden Kleinkrieg drum, ob sie sich äußern darf oder nicht, wenn man sie einfach ließe, kämen von ihr Beiträge zur Sache, und fertig. Es ist mir zu mühsam, zurückzuverfolgen, woher die ursprüngliche Irritation kam (rgendwas mit einer unangemessenen Zitierung), aber in den letzten Beiträgen ist wirklich nichts Unangemessenes zu erkennen.

Theresa

cassiel hat gesagt…

Also gut. Ich komme gerade vom Auflegen zurück und lese hier die Kommentare. Jetzt muss ich mal die Reißleine ziehen: Geneigte Kollegin Terpsichoral, wir haben wohl unterschiedliche Ansichten über den Tango. Nachdem Du mich am 25. August in einer privaten Nachricht beschimpft hast (ich hatte Deinem Löschbegehren nicht entsprochen), habe ich Dich gebeten, hier nicht mehr zu kommentieren. Du betreibst selbst ein Blog und veröffentlichst hochfrequent bei Facebook.

Ich habe es bislang nicht öffentlich erwähnt, da ich Dich nicht bloßstellen wollte. Ich bitte Dich jetzt öffentlich, hier nicht mehr zu kommentieren. Weitere Anmerkungen, Begründungen usw. erspare ich uns beiden.

Vielleicht klappt es jetzt...
Hoffentlich...

B. G. hat gesagt…

Cassiel hat sich für eine klaren Position entschieden. Das ist zu respektieren. Auch wenn dieses Blog öffentlich sichtbar ist, wir sind alle Cassiels Gäste (und seine Gastfreundschaft ist großzügig). Insofern geht die Argumentation von Terpsichoral, dies sei ein öffentlicher Ort, ins Leere. Wenn nun die selbsternannte Tango-Expertin hier einbrechen will, dann spricht das doch eigentlich für sich. Auf die Dauer sind ihre Gedanken nicht tragfähig: Junkfood für den Facebook-Junkie.

Christian Tobler hat gesagt…

@ alle,

ich habe mich hier einmal deutlich zu Terpsi geäusstert. Sie hier nicht mehr lesen zu müssen, halte ich für eine Bereicherung. Die Gründe dafür wurden von anderen längst benannt. Aber eins stimmt mich traurig. Wieder einmal ist es dieser Egomanin gelungen, hier eine spanende Diskussion nachhaltig auszubremsen. Die letzten 13(!) Kommentare beschäftigen sich ihr. Und genau das hat sie hier schon oft geschafft. Ich wünsche mir, dass die eigentliche Diskussion dieses Threads jetzt wieder aufleben kann. Denn der ist es wert, kommentiert zu werden. Sorry Cassiel –  aber das muss einmal gesagt sein.

herzlich – Christian

cassiel hat gesagt…

@Christian

Du sprichst einen Punkt an, der mich auch beschäftigt. Das Rauschen wird durch unerfreuliche und wenig ergiebige Diskussionen am Rande so groß, daß inhaltliche Kommentare nur sehr zögerlich kommen.

Ich bin gewiss kein Freund von einem rigiden Löschen aber ich denke darüber nach, dies in Zukunft kommentarlos zu tun. Soweit ich weiß, bin ich der einzige Blogger im Tango, bei dem Kommentare (auch unter Pseudonym bzw. anonym) sofort online gehen. Leider lädt das dazu ein, hier auch ab und zu destruktive bzw. themenfremde Anmerkungen zu hinterlassen.

Dieses Blog lebt vom Mitmachen und erfordert etwas Reife von den Kommentierenden. Ich werde das jetzt noch einige Zeit beobachten und dann ggf. die Grundlagen der Kommentarmöglichkeit modifizieren. Ich fände es sehr schade, wenn ich dazu genötigt wäre.

Christian Tobler hat gesagt…

@ Chassiel,

es wäre fatal, wenn Dein Blog durch diese Person einer ihrer grössten Vorteile verlieren würde. Bei Dir Cassiel hat es sich etabliert, dass viele Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten und unterschiedlichstem Wissensstand kommentieren. Und meist wird kontruktiv und fair geschrieben. Daraus ist immer wieder ein sehr reicher und auch für nur-Leser wertvoller Austausch entstanden, den es in deutschsprachigen Tango-Blogs so nirgends in dem Mass gibt. Abgesehen vom einen oder anderen nur gelegentlich auftretenden und ziemlich harmlosen Blog-Troll nervt und stört eigentlich nur diese eine Person immer wieder. Ihr den Triumpf zu verschaffen, dass sie es mit negativen Kommentaren schafft dieses Blog zu kastrieren, wäre fatal. Dann müssten ganz viele dafür zahlen, weil eine sich nicht zu benehmen weiss. Das wäre Sippenhaft und Deiner nicht würdig, Cassiel. Da ist ein konsequentes Löschen sämtlicher Äusserungen einer einer Person die passendere Lösung – finde ich.

herzlich – Christian

Harald hat gesagt…

Die Tangoplauderei und die hier stattfindenden Diskussionen eine Utopie?

Jetzt muss ich mich als treuer Nur-Leser doch einmal melden. Ich schätze diesen Blog als einen Ort sachlicher Diskussionen, die auch einmal lang werden können über alle Massen. Ich habe mich immer gefragt, warum es so etwas in den Zeiten agressiver Selbstvermarktung überhaupt geben kann. Für mich ist ein wesentlicher Punkt das Pseudonym von Cassiel. Wieviele Tangueros hatte ich schon in Verdacht und kann es doch nicht sagen.

Dieser Blog hat sich in seiner Vergangenheit wohltuend von den üblichen Foren-Diskussionen (ich erinnere mit Grauen an das Forum von tangomuenchen.de zu seiner schlimmsten Zeit) abgehoben. Vielleicht liegt es an der Popularität, vielleicht an der Einzigartigkeit... jedenfalls scheint die Hektik, die Eitelkeit und Polemik nun auch hier angekommen zu sein.

Und sind wir alle nicht ein wenig mitverantwortlich? Jeder sucht nach dem Eklat, nach der Aufregung, nach dem Besonderen (zumindest für einen Moment). Jeder liked bis zum Finger-Krampf bei Facebook den größten Unfug.

Ich habe die Befürchtung, dass hier eine Ära zu Ende geht. Eine obsessive Bloggerin torpediert einen Kollegen anderer Ansicht und beschädigt in für mich rücksichtsloser Weise eine gewachsene Gemeinschaft gleich mit.

Schade!

Cassiel? Kannst Du bitte trotzdem weitermachen? Ich habe soviel bei Dir gelernt.

Monika hat gesagt…

@Harald

genau weil wir so empfinden wie Du - dies ist ein Hort der gepflegten Diskussion, durchaus kontrovers - haben Christian und ich und auch einige andere Kommentatoren Cassiel gebeten eine Quelle der Ablenkung vom Thema und Polemik und Selbstvermarktung von den Diskussionen auszuschliessen. Ein grosser Dank an ihn dass er da Konsequenzen gezogen hat.

Weil eigentlich möchte ich nur nochmal auf die Bitte von Christian vom 1. November, 09:43 h hinweisen: "Kurzum, ich will für einmal keine Antworten geben, sondern zu einer intensiven Diskussion anregen. Vergesst die Furcht, nicht kompetent genug zu sein, euch womöglich eine Blösse zu geben. (...)" - Bitte lest das Buch und äussert Euch!

Wobei ich zu meiner grossen Schande gestehen muss das Buch - es liegt neben mIr - auch noch nicht gelesen zu haben :-( - manchmal fordern Job und sonstiges Real-Live halt mehr als man möchte.

Trotzdem, grosse Bitte: lest das Buch von Michael, und kommentiert zuhauf!

Anonym hat gesagt…

An Cassiel, Christian, Monika, und ja - an Allen!
Ich schrieb einen recht langen Bericht ( DJing teil 2) über die Schwierigkeiten, neue Leute für Tango zu begeistern : NULL Kommentar.
Terpsi, laut Christian, 13 Kommentare.
Nachdenklich
Kerstin

Theresa hat gesagt…

Hier kommt meine Replik zu Christians Diskussionsbeitrag.

Lieber Christian!

Erstmal bin ich dir sehr dankbar über die akribische Replik und überhaupt für die fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema "TJ" (ich sag nach wie vor "DJ", vielleicht bin ich ja auch eine ;-))

Du erhebst einen Anspruch auf Verbindlichkeit, und zwar mit der Berufung auf den "über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Konsens" dessen, was in Buenos Aires "als tanzbar betrachtet" wird.". Du schreibst: "Es gibt längst einen Konsens darüber, welche Aufnahmen der EdO es wert sind, sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg wieder und wieder zu betanzen."

Was heißt "längst"? Und warum Buenos Aires? Seit ich das erste Mal zum Tanzen in Buenos Aires war (im Jahr 2000), ist enorm viel neuer Stoff auf CD erscheinen (z-B. war im Jahr 2000 keinerlei Musik von Donato in Buenos Aires erhältlich, nur in Spanien). In vielen Milongas in Buenos Aires wird aber heute weitgehend dasselbe aufgelegt wir damals; z.B. immer noch kaum Lomuto, Donato und praktisch gar nicht OTV (eine von wenigen rühmlichen Ausnahmen ist Daniel Borelli, DJ in der Nachmittags-Milonga für ältere Herrschaften wie mich "Nuevo Chiqué"). Ich sag mal provokant: Wenn du mit dem längst existierenden Konsens meinst, was in den meisten Milongas in Buenos Aires aufgelegt wird – und das ist ein ziemlich kleines Repertoire -, dann behaupte ich: dieser Konsens verdankt sich der Faulheit etlicher DJs in Buenos Aires.

Du schreibst ja auch selbst: "dass das in BA als tanzbar betrachtete Repertoire der EdO stetig kleiner wird, was längst kontraproduktiv ist. Hier gebe ich vorsichtig Gegensteuer – aber lediglich in einem angemessenen Rahmen." Ist das jetzt eine Distanzierung vom "Konsens"? Ich halte es für daneben, einen solchen Konsens anzunehmen und sich auf ihn zu berufen. Nicht ein Konsens sollte die Richtschnur eines DJ sein, sondern sein Streben nach Qualität, und sein Mittel dabei sein Gehör und sein Gespür.

In der Zwischenzeit (von 2000 bis heute) gab es die von mir schon in einem früheren Kommentar erwähnten zu Tode gespielten Greatest Hits, "Poema", "Invierno", "Milonga de los Fortines", "Sinsabor" u.v.a.. Die hat irgendwann mal ein DJ gespielt, obwohl sie unbekannt waren. Ich erinnere mich noch gut, wie ich "Poema" das erste Mal hörte: auf dem Festival in Basel 2003 oder 2004, Chicho tanzte es mit Eugenia in einer Show, das Stück kratzte und rauschte ganz fürchterlich. Danach trafen sich die anwesenden DJs an Irmas Stand und fragten "was war das für ein Stück", und keiner wusste es, nicht mal Irma. Drei Monate später spielten es die nach Originalität strebenden DJs, ein Jahr später alle (inzwischen war eine weniger kratzende Version erschienen), vor 5 Jahren war es zu Tode gespielt, inzwischen kann man es langsam wieder auflegen. Diese aufgekommenen "Greatest hits" sind natürlich auch in Buenos Aires angekommen, aber sonst hört man dort nicht viel aus dem in der Zwischenzeit auf CD erschienenen Stoff.

Ich will damit sagen, das Repertoire auf guten Milongas ist keineswegs etwas Statisches, sondern es wird ständig erweitert durch DJs, die auch mal was Neues spielen, und schnell landet das Neue im "Kern-Repertoire".

(Teil 2 folgt)

Theresa hat gesagt…

Teil 2:

Mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit wirst du auch polemisch: Du schreibst über mich: "Du definierst Dich als TJ über den Umfang des Repertoires, welches du auflegst, also primär über das WAS des Auflegens. Ich definiere mich als TJ über den Umgang mit den Repertoire-Kern, also primär über das WIE des Auflegens. Das sind zwei vollkommen verschiedene Ansätze ....agierst du aus Opposition heraus und das halte ich für problematisch, weil du nicht für etwas auflegst sondern gegen etwas. "

Ich habe neulich geschrieben "Damit meine ich nicht komische Musik von zurecht vergessenen Orchestern, sondern super tanzbare, halt nur weniger bekannte Stücke." Damit müsste doch eigentlich klar sein, wofür ich auflege.

Ich als leidenschaftliche Tänzerin, die es sich erlaubt, auch während einer DJ-Schicht zu tanzen (was von manchen schief angesehen wird), habe ausschließlich Musik im Kopf, die nicht nur tanz"bar" ist, sondern dringendst zum Tanzen lockt. Und in diesem Bereich gibt es sehr viel zu entdecken.

Und die Sache mit den neuen Stücken ist kein Nebenschauplatz. Für mich (und für andere) ist es eine große Freude, was schönes wenig Bekanntes zu hören, anstatt zum Tausendsten Mal dieselbe Tanda mit "Lejos de Buenos Aires" von Caló oder die mit "Gitana rusa" von Malerba oder die mit "Cachirulo" von Troilo.

Du argumentierst, dass Tänzer eine Aufnahme oft gehört haben müssen, um gut darauf tanzen zu können. Da ist was dran. Aber: Auch wenn man Sachen aus dem Nicht-Repertoirekern 50mal spielt, gewöhnen sich die Tänzer dran und entdecken die zum Tanzen inspirierenden Feinheiten.

Dein Plädoyer, jedesmal neu hinzuhören, da es keine abschließende Interpretation gibt, kann genausogut auf wenig gehörte Musik zutreffen: wer genau hinhört, erfasst tausend Feinheiten, denn auch die Musik von vor 1935 ist sehr reichhaltig, nicht nur das von mir früher schon erwähnte Beispiel "El distinguido ciudadano" von Los Provinicanos, sondern so ziemlich jede x-beliebige Aufnahme von Canaro, Lomuto, Firpo, Pacho, Fresedo, OTV 1927-1932, ganz zu schweigen von Juan Carlos Cobián, Cayetano Puglisi oder OT Minotto.

Theresa hat gesagt…

Daran relativieren sich auch die von dir aufgestellten Regeln über den Anteil des "EdO Kernrepertoires" in einer Milonga. Du schreibst: "Denn wenn der Repertoire-Kern der EdO nicht zwei Drittel der Titel einer Milonga umfasst, läuft die Stimmung praktisch immer aus dem Ruder. Lokale Szenen, die nichts anderes kennen, können das natürlich nicht nachvollziehen. Für sie ist so ein Trauerspiel Milonga-Alltag und meist auch noch das Mass aller Dinge, was eine tänzerische Entwicklung so gut wie verhindert."

Also erstens: Die tänzerische Entwicklung im Buenos Aires in den 30er und 40er Jahren geschah ohne den Repertoire-Kern. Der "Repertoire-Kern" ist nämlich zeitgleich mit dem Tanz, wie wir ihn heute tanzen, entstanden. Damals gab es in Buenos Aires bestenfalls 2 Orchester am Abend, und die spielten übrigens gemischt instrumental und mit Sänger. Die Tänzer dort und damals konnten offenbar aus der Musik, die ihnen geboten wurden, genug Inspiration für ihre tänzerische Entwicklung ziehen. Auch in Vorstadt-Zirkeln, wo die Tango-Verrückten geübt haben, gab es mit Sicherheit, wenn überhaupt, nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Repertoire-Kern auf Schallplatten.

Und zweitens: Meine Milonga im Giesinger Bahnhof wurde als Sparten-Milonga gegründet, speziell für Liebhaber alter Tango-Musik (und solche, die es werden wollten). Das war in einer Großstadt wie München nicht daneben, denn es gab sonst nur Milongas, die entweder "für jeden (inkl. Neo- und Non-Tango Liebhaber) etwas" auflegen wollten oder welche, die ausschießlich die tausendfach abgenudelte traditionelle Musik spielten. Inzwischen sind wir im Giesinger Bahnhof (bzw. in den "Bailongo"-Milongas) reifer geworden ;-). Die aktuelle Beschreibung meines Auflegens lautet: "mit Schwerpunkt auf zart, frech und raffiniert statt bombastisch, schwülstig und wuchtig; vorwiegend aus den 30er und fühen 40er Jahren und auch viel aus den 20er Jahren; dazwischen auch mal in kleineren Dosen Dramatisches oder Zuckersüßes aus späteren Zeiten. Musik, die fetzig, aber nicht hektisch; ruhig, aber nicht eintönig; herzanrührend, aber nicht schwülstig ist - Musik, die in die Beine geht!".

Es kommt ja auch auf den Moment an, wann man in einer Milonga etwas spielt. Ich habe zwar eine Playlist veröffentlicht, um der Diskussion etwas Stoff zu geben, aber letztlich entscheidet sich in der momentanen Stimmung, ob eine Tanda passt oder nicht. Und gerade die Tandas mit unbekannte, aber raffinierten und intensiven Stücken können – z.B. in der letzten Stunde einer Milonga, wo nur noch die eingefleischten, vertieften Tänzer da sind – eine magische Stimmung erzeugen.

Ich fühle mich also von deiner Charakterisierung "Du Theresa liebst Aufnahmen, in denen die Musiker den Tänzern für jeden einzelnen Schritt einen ziemlich unmissverständlichen musikalischen Schubs mit dem Schuh in den Hintern geben. Diese ländlich-derbe Spielweise der 20er und 30er ist tatsächlich reizend und kann Tänzern unglaublich viel Tanzspass schenken." nicht getroffen. Ich lege eher subtil auf. Bei den frühen Titeln gibt es sowohl die "ländlich-derbe" Spielweise ("música cuadrada", wie unser Freund Frank Rossi sie nennt; sprich Canaro und Lomuto, die aber auch ihre Rafinessen und Verspieltheiten hat), aber es gibt auch die Decareaner und Evolutionisten, wo man den Schub in den Hintern als Tänzer schon selber mit feinen Ohren suchen muss: Orquesta Firpo, OTV, Petrucelli, Los Privincianos, ganz zu schweigen von Julio de Caro selbst.

Theresa hat gesagt…

Und nun zum Thema "instrumentale vs. gesungene Aufnahmen".

Du schreibst: "Du bevorzugst instrumentale Aufnahmen über das Mass ihrer Häufigkeit hinaus." Wo hast du das her? Ich habe nur gesagt, dass ich keine 3-Stücke Tandas mit Instumentalaufnahmen will. Aber nicht, weil ich so erpicht auf Instrumental-Aufnahmen bin, sondern weil ich mit einem Tänzer meiner Wahl lieber 4 Stücke als 3 Stücke genieße. Und wenn ich keine 4 schönen Instumental-Aufnahmen eines Orchesters und einer Epoche finde, schmuggele ich eben eine gesungene Aufnahme hinein, und wenn man das gut macht, wird es eine gute Tanda.

Du behauptest: "die Instrumentierierung ist auf Grund des zusätzlichen Sängers eine vollkommen andere ... werden instrumentale Titel zwangsläufig anders arrangiert als vokale, das geht gar nicht anders, weil wie gesagt eine zentrale Instrumentenkategorie fehlt – der Sänger.

Als Gegenbeispiele möchte ich anführen: di Sarli 1940: Lo pasao pasó und Viviani; Fresedo 1933/1934: Tigre viejo und Cordobesita. In diesen Beispielen (und vielen anderen) kann ich keinen Unterschied im Arrangement hören, bevor der Sänger einsetzt. Ja, der Sänger ist ein neues Solo-Instument, und ein prägnantes – aber kein Grund, nicht mit Stücken zu kombinieren, wo andere Instrumente (oder keine, wie bei di Sarli ab 1940/1941) das Solo spielen.

Zum Thema "einen dominanten Sänger abmildern", was von dir hart gegeißelt wird ("Eine Tanda ist kein Cocktail. Und die Vermessenheit eines DJs, einen absoluten Könner wie zB Duran in einer Tanda amildern zu wollen, indem man die Tanda mit einem instrumentalen Tiel nein nicht abschwächt sondern verunstaltet ist genauso arrogant, ignorant. Botox hat in Tandas nichts verloren. Ein TJ hat die Qualitäten dieser Musiker ins rechte Licht zu rücken und nicht in den Schatten stellen zu wollen."): Hier kommt die Indiviualität des DJs ins Spiel, zu der ich mich bekenne. Ja, für mich, persönlich ist Alberto Morán viermal in einer Tanda eine Überdosis (La Tupungatina würde ich allerdings wirklich nicht einmischen, das ist zu verschieden); und manchmal auch Jorge Durán. Das ist halt meine Spezialität: mehr "trockene", dezente, subtile und weniger opernartige, dramatische Musik. Und ich beharre darauf, dass DJs einen individuellen Auflege-Stil haben sollen, und das ist sehr gut vereinbar mit einem exzellenten Service für die Tänzer.

Theresa hat gesagt…

letzter Teil:

Damit wären wir beim Thema "Wie kohärent sollen Tandas sein?".

Du schreibst: "Gemischte Tandas machen lediglich dort Sinn, wo auf Grund des beschränkten Repertoires einzelne tolle Titel sonst nie gespielt werden könnten. Aber nicht mal in diesen Fällen würde ich je auf die Idee kommen, instrumental und vokal in eine Tanda zu packen. So was ist ein absolutes no go für einen traditionellen TJ. Ein DJ, der mehr als ein, maximal zwei gemischte Tandas pro Milonga spielt, strickt sowieso mit zu grober Nadel, da bleibt die musikalische Subtilität auf der Strecke."

Ich meine, gemischte Tandas können auch sehr subtil sein, sie können z.B. einen harmonischen oder thematischen Zusammenhang schaffen. In meiner Playlist habe ich z..B. "orientalische" Harmonien in der gemischten Tanda mit "Melodia oriental"; Klammer ist die Violine, zwischen dem ersten und letzten Titel. Und spanische Harmonien in der letzten Vals-Tanda. (darin ist mir allerdings ein Fehler unterlaufen: ich habe als 2. Stück ein Stück mit Vorspiel gespielt). Gerne mache ich auch thematische Tandas und sage sie auch an, damit die Leute eine Ahnung bekommen, wovon die Texte im Tango eigentlich handeln.

Die Kohärenz einer Tanda kann auf verschiedene Weisen zustandekommen. Nicht immer ist es erstrenbenswert, dass die Tanda möglichst homogen ist. Man kann während der Tanda z.B. eine Tempo-Steigerung absichtlich einbauen, oder eine Verlangsamung, oder auf einen Höhepunkt hinsteuern. Und wenn die Tänzer immer maximal hinhören, so wie du und ich es empfehlen, greifen sie so eine Entwicklung innerhalb der Tanda auf, anstatt enttäuscht zu sagen "so hab ich mir das mit dieser Tänzerin nicht gedacht". Ich rede nicht von abrupten Wechseln, sondern von relativ subtilen Entwicklungen.

Man kann den Tänzern das Zuhören nicht abnehmen. Du schreibst selbst von der Reichhaltigkeit der Tango-Musik, dass man auch beim fünfzigsten Hören und Tanzen noch neue Elemente erkennt, die einen tänzerisch inspirieren. Für solche Tänzer will ich den DJ-Service bieten. Das bedeutet aber auch, sie gelegentlich mit neuer Musik herauszufordern, und die, die zuhören, freuen sich darüber, greifen die Inspiration auf und schaffen die magischen Momente in einer Milonga.

Theresa

Tangonegro hat gesagt…

Vielen Dank für diese Replik, Theresa, sie entspricht viel eher meiner Sichtweise des DJs in der Milonga als die von Christian. Auch deine tolerantere Sichtweise Terpsi gegenüber tut gut.

Anonym hat gesagt…

An Theresa:
Eine SO gute Erwiderung!
Die Erkenntnis dass Niemand "die letzte Wahrheit " besitzt (auf welchem Gebiet auch immer), und die vorwurfslose Behauptung der eigenen Sichtweise zeugt von Erfahrung, Intelligens und die Toleranz, die nötig ist um gemeinsam, und -NICHT!- professoral an dem Ergebnis gutes D-Tjaying zu arbeiten.
Glückwunsch und Danke
Kerstin

Johannes Kuhn hat gesagt…

Hallo @lle,

jetzt muß ich auch mal etwas loswerden. Ich habe mir diese Seite am Montag auf meinen ebook-reader gezogen und heute im Zug gelesen - besonders die langen Ausführungen von Christian und die Erwiderung von Theresa.

Beim Lesen war ich doch einigermaßen erschüttert über Christians verkopfte Thesen, seine aggressive Polemik, herablassende und respektlose Formulierungen gegenüber DJ/TJ-Kollegen und Tänzern und die Arroganz, die da zu Tage tritt. Da werden DJs verjagt und erhalten Berufsverbot, Tänzer sollen den Eintritt zurückverlangen, wenn sie auf einen "Musikliebhaber" treffen, die Firmen Behringer und Bose als "Schwerverbrecher" bezeichnet - um nur ein paar Beispiele zu nennen, die ich behalten habe. Wer MP3s verwendet ist ein Stümper, ein Lautsprecher muß - wie in der TangoDanza stand soviel wiegen, daß er praktisch nicht mehr transportiert werden kann u.v.m., was den Tango auf eine unerreichbare Wolke hebt. Dabei ist er doch in Wirklichkeit so bodenständig - und wird dort auch getanzt :-)

Es gibt den schönen Satz: "El tango no está en los pies, está en el corazón" - und man muß hinzufügen: Der Tango ist auch nicht im Kopf zu Hause. Das Herz fühlt - aber es denkt nicht. Was mir am Tango so wichtig ist, ist nicht, was ich dazu denke, sondern wie es sich anfühlt. Ich ziehe mal einen Vergleich heran: Ein abgeschlossenes Psychologiestudium und die Weiterbildung zum Eheberater, ist nicht wirklich eine Garantie, daß die eigene Ehe/Beziehung funktioniert - womöglich ist sogar das Gegenteil der Fall. Beides, Tango und Liebesbeziehung, haben etwas mit Spontaneität und v.a. Authentizität zu tun - und nicht mit Berechnung, Sachkompetenz, Hirnakrobatik und Standards.

Noch ein anderer Vergleich, der mich schon länger begleitet. Er stammt von Nicole Nau: Der Schnittblumentango und der Topfblumentango. Man KANN den Tango in Standards pressen (oder behaupten, es gäbe DEN Konsens und DIE Verbindlichkeit - oder eben auch die oder jene tollen Figuren). Dann tut man aber nichts anderes als der ADTV, der die Lebendigkeit von Tänzen dadurch tötet, daß er sie standardisiert. Oder hat Euro-Tango noch irgendwas mit Tango Argentino zu tun - oder eher mit Schnittblumen, die manchmal schön sind, aber halt verblühen, weswegen man dann neue Figuren als Kick braucht? Oder man kann Tango als etwas Lebendiges, sich Entwickelndes (für sich selbst und als Ganzes) ansehen. Bei der Topfblume hilft es wenig, an ihr zu zerren oder Vorträge über die wahre Topfblume zu halten, damit sie auch gut gerät. Sie wird wachsen, wie sie will. Man kann nur wässern und für Licht sorgen und ansonsten zusehen, wie sie wächst.

(Fortsetzung kommt...)

Johannes Kuhn hat gesagt…

(...Fortsetzung)

Ich glaube ganz einfach,
1.) wenn es viele Leute gäbe, die agieren wie Christian, würde es den Tango überhaupt nicht (mehr) geben.
2.) ich weiß aus eigener Erfahrung: Es gibt viele sehr unterschiedliche Zugänge zum Tango. Jemand der jetzt Figuren dreht und die Musik nur als Hintergrundrauschen erlebt, oder der bei einer Milonga eine Neo-Runde auflegt, muß das in ein paar Jahren nicht auch noch so tun.
3.) und deshalb wünsche ich mir von den "Tango-Stars" (egal ob auf das DJing oder das Tanzen bezogen) einfach mehr Respekt vor der persönlichen Entwicklung (und den Vorlieben) anderer - und ein bißchen mehr Demut dem Tango, also dem Leben gegenüber.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich gehöre persönlich zu denen, die ausschließlich Traditionelle Milongas besuchen und ich würde nie im Leben auch nur einen Neotango auflegen. Aber ich käme nie auf die Idee, mit *meiner* Art des Tangos hausieren zu gehen und wie ein religiöser Fundamentalist den Tango anderer herabzuwürdigen.

@Christian: Ich habe Dich einmal als DJ erlebt. Ich muß Dir leider sagen, daß Du wie ein normalsterblicher TJ aufgelegt hast. Die Milonga war durch Deinen Beitrag nicht wirklich anders als sonst - zum Glück. (Klar - ich bin ja beim Tango auch nur ein kleines Licht und kann das evtl. gar nicht beurteilen - dafür schenkt mir Tango aber auch unendlich viel Lebensfreude...)

@Theresa: Vielen Dank für Deine Antwort. Du sprichst mir in Vielem aus der Seele. Und danke auch für die Playlist, für die ich mir demnächst mehr Zeit nehme.

Joh

Christian Tobler hat gesagt…

@ Theresa (+ Kerstin),

Teil 1: Indem du Theresa meine Replik als Polemik bezeichnest, bremst du eine konstruktive Auseinandersetzung aus. Schade, denn mein Sichtweise habe ich nicht in einen lufleeren Raum gestellt, sondern immer sachlich begründet. Zudem untermauert die von Dir inzwischen veröffentlichte Playlist viele meiner Schlussfolgerungen. Aber lassen wir das. Ich halte es nicht für praktikabel, eine Playlist öffentlich zu debattieren, weil die Playlist jeder Milonga einen situativen Bezug hat, der bei nachträglicher Betrachtung fehlt und sich durch begleitende Erklärungen nicht ersetzen lässt. Das ist theoretisieren. Ich erheben auch keinen Anspruch auf Verbindlichkeit. Ich schrieb weiter oben wortwörtlich:  

"... Wir zwei werden wohl nie der selben Ansicht sein in Bezug auf die Definition darüber was ein traditioneller TJ ist. Das muss auch nicht sein, weil es nie nur eine richtige und viele falsche Antworten gibt. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass vieles von dem was ich vertrete Hand und Fuss hat und damit verbindlicher ist, als das manchen Zeitgenossen lieb ist. ... Wie schon mehrmals geschrieben: Wenn man sich lange genug intensiv genug mit der EdO beschäftigt, tauchen überraschend oft allgemeingültige Ansichten auf. Daher vertrete ich die Meinung, dass vieles betreffend EdO schlussendlich eben doch nicht Ansichtssache ist. Also habe ich mir die Mühe gemacht, zu klären warum unser beider Ansichten so weit auseinander liegen. ... Du definierst Dich als TJ über den Umfang des Repertoires, welches du auflegst, also primär über das WAS des Auflegens. Ich definieren mich als TJ über den Umgang mit den Repertoire-Kern, also primär über das WIE des Auflegens. Das sind zwei vollkommen verschiedene Ansätze. Und damit wird verständlich, warum wir nie einer Meinung sein können. Denn du sprengst damit einen über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Konsens. Diese Freiheit kann dir niemand verwehren. Aber das hat weitreichende Konsequenzen."

Ich äusserte mich also differenziert und verzichtete auf nichtsagende Verallgemeinerungen und sinnentstellende Verkürzungen (liebe Kerstin), weil das der Sache nicht dienlich ist. Also bitte nicht immer drei Viertel überlesen. Ich kenne natürlich die abstrusen Ansichten mancher DJs betreffend Kreativität: alles erlaubt und Freiheit grenzenlos. Für mich ist das nichts anderes als ein Kaschieren des Fehlens handwerklichen Rüstzeugs.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Zudem reden du Theresa und ich nicht immer vom selben, wenn wir einen Begriff verwenden. Du spricht von Greatest Hits und meinst damit einige Dutzend Aufnahmen, die tatsächlich viel zu oft aufgelegt werden. Ich verwende den Ausdruck Greatest Hits im Sinn von Grandes Exitos. Darunter versteht man in BA rund 500 Ohrwürmer der EdO, welche im Rahmen des Repertoire-Kerns der EdO die musikalischen Überflieger dastellen, aber dort mitnichten alle an Milongas zu häufig gespielt werden. Ich bin gerne bereit Beispiele zu nennen.  

Die Abwesenheit von Leitplanken ist bequem, weil sich so jeder Furz als Geistesblitz verkaufen lässt. Handwerk kommt aber von Können und bedingt einen nie endenden Lernprozess und eine gewisse Demut dem Gegenüber, womit man sich beschäftigt. Freiheit gibt es im Handwerk auch. Aber die kommt erst nachdem das Handwerk tatsächlich erlernt und praktiziert wird, massvoll eingesetzt wie ein aromatisches Gewürz. Nur dann schenkt Freiheit Handwerk den letzten Schliff. Umgekehrt wird das nie klappen. Das ist die Domäne der Pfuscher.

Die unbefriedigende Repertoire-Situation in BA den TJs dort in die Schuhe zu schieben geht am eigentlichen Problem vorbei. Ich kann die TJs in BA gut verstehen. Zuviel Lomuto und Donato oder OTV ist tatsächlich ein Problem, welches auch ich stets vermeide. Die TJs in BA wissen schon was sie tun. Natürlich gibt es dort genau so viele faule und schlecht DJs wie in Europa. Aus Gesprächen mit einigen der Könnern in BA weiss ich aber, dass ein traditioneller TJ in BA betreffend Repertoire-Breite sehr viel weniger Freiheit hat als ein TJ in Europa. Die goldene Mitte liegt irgendwo zwischen den zu rigiden Genzen in BA und dem Zuviel an Freiheit in Europa.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Der Wettbewerb zwischen den Milongas ist in BA sehr viel intensiver als in Europa. Tänzer sind viel schneller bereit die Milonga zu wechseln und stellen an TJs Ansprüche, was ist Europa nur sehr selten der Fall ist, leider. Damit eine neue Milonga Erfolg hat, muss ein Veranstalter in BA meist lediglich einzwei handvoll Schlüsselpersonen für seine Milonga begeistern. Die restliche Tänzerschar folgt diesen Meinungsmachern fast immer innert einzwei Wochen. So was spricht sich dort schnell herum und sorgt für einen funtionierenden Wettbewerb.

Die Mehrheit der älteren unter diesen Meinungsmacher reagieren allerdings mit Boykott, falls ein TJ sich nicht auf die Hälfte oder weniger des bestens tanzbaren Repertoire-Kerns beschränkt. An traditionellen Milonga dort sind TJ die das nicht berücksichtigen ganz schnell arbeitslos. Das ist für gute TJs ziemlich frustrierend und darin sind sie dort ein Stück weit gefangen. Da ist tatsächlich kaum Platz für neue Aufnahmen. Diese sind eigentlich lediglich die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Denn wenn in zehn Jahren 60 Aufnahmen neu Akzeptanz finden, dem aber 600 oder 900 etablierte Aufnahmen gegenüber stehen, dann sind die sechs neuen alten pro Jahr bedeutungslos. Dass in Europa mangels kultureller Verankerung des TA weit verbreitete Zuviel an Freiheit dagegen ist längst das grösste Probleme hiesiger Milongas. Und in dieser libertären Tradition sehe ich auch dich Theresa ein Stück weit, obwohl du sehr viel von Musik verstehst. Und ich finde das schade.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass die Sache mit den neuen alten Stücken für dich kein Nebenschauplatz ist. Daher sage ich ja, du definierst dich über das WAS des Auflegens. Das ist also keine Polemik sondern Fakt. Dieser Fokus auf neues altes um jeden Preis führt jedoch nirgends hin. Wenn ich an einer durchschnittlichen europäsischen Milonga jedesmal wenn ich Corazon mit di Sarli/Rufino oder Patetico mit Pugliese, Todo te nombra mit Biagi/Omar oder Mano a Mano mit Lomuto/Omar, La Bruja mit d'Arienzo/Echagüe oder No me extrana mit Laurenz/Casas, En esta tarde gris mit Troilo/Fiore oder Caranval de mi Barrio mit Donato/Morales-Lagos auflege, eine einzige gekonnte tänzerische Interpretation sehen würde, könnte man vielleicht über eine massvollere Ausweitung des Repertoire-Kerns der EdO debattieren, als Du Theresa sie praktizierst. Aber dem ist leider nicht so. Tanzen in anstatt gegen die Musik ist immer noch alles andere als selbstverständlich. Solange sich daran auf breiter Front nichts ändert, bleibt jede Repertoire-Verbreiterung wie du sie forderst eine Qualitäts-Verwässerung und damit kontraproduktiv, weil es die Tänzer der Chance beraubt, tänzerisch zu wachsen.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 4: Über Malerba müssen wir nicht debattieren. Das ist ein zweitklassiges Orchester, welches in BA von Touri-Milongas wieder ins Repertoire aufgenommen wurde. Aber nicht, weil die Malerba toll finden. Da geht es einzig und allein um Devisen. Touris sind eine lukrative Zielgruppe. Zurück aus BA mag natürlich auch ich zu Cachirulo für eine Weile nicht mehr Tanzen. Wer in BA täglich zwei traditionelle Milongas besucht, hört Cachirulo tatsächlich dreizehn oder vierzehn mal pro Woche. Aber wenn ich schon gezwungen bin, eine Aufnahme so oft zu hören, dann lieber eine Jahrhundertkunstwerk wie Cachirulo anstatt was Drittklassiges von Minotto. Auch da werden wir nie derselben Ansicht sein, genauso wie zu Maglio oder Cobian, Puglisi oder Petrucelli.

So ziemlich jede Aufnahme von Canaro aufzulegen wäre schrecklich. Um 1941 herum nimmt die künsterlische Qualität seiner Aufnahmen nicht nur aus Sicht der Tanzbarkeit rapid ab. Zudem wurde Canaro schon zu Lebzeiten zurecht für seinen hemmungslosen Kommerz kritisiert. Kurzum, da gibt es ganz viele, eigentlich die Mehrheit seiner über 4000 Aufnahmen, die ein qualitätsbewusster TJ nie auflegt. Und das ist überhaupt kein Problem, weil immer noch mehrere 100 Aufnahmen bleiben die grossartig sind. Bei Laurenz und Demare dagegen ist die Situation eine ganz andere. Beide Orchesterleiter haben an ihr Repertoire sehr hohe Ansprüche gestellt und bei beiden gibt es weniger mediokre Titel als bei jedem anderen Gran Orquesta.  

Auch von Canaros Kumpel Lomuto gibt es viel Mittelmässiges. Ich konnte bisher nur die Hälfte seiner rund 900 Aufnahmen finden und möchte nicht wissen, wie schlecht es um die Qualität der anderen Hälfte seiner Aufnahmen bestellt ist, die mehr oder weniger verschollen ist. Ich lege Lomuto beste Aufnahmen – und das sind immerhin rund 200 Aufnahmen – gerne gelegentlich auf. Aber nicht zu oft, damit sein schwerer Sound nicht zu langweilen beginnt. Denn gelegentlich hat dieses Orchester den Groove eines musikalischen Trampeltiers. Die Parallelität von Kontrabass und linker Hand des Pianisten ist manchmal sehr starr ausgestaltet.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 5: Die Gründe dafür, dass Lomuto in BA kaum gespielt wird, sind jedoch ganz andere. Das ist historisch bedingt, das ist auch ein politisches Ding. Rückblickend betrachtet muss Lomuto heute in BA mit zwei Killerfaktoren kämpfen. Einerseits ist Lomuto 1950 sehr früh gestorben und damit bereits vor dem Putsch von 1955 allmählich aus dem Gedächtnis der Tänzermassen verschwunden, die damals hauptsächlich zu Live-Musik getanzt haben. Zudem war Lomuto immer der erklärte Liebling nicht der High Society sondern des Establishments, also einer noch kleineren Gruppe. Dieses Image hat er auch privat zu seinem Markenzeichen gemacht: Lebemann mit Monokel, der in besten Kreisen verkehrt. Aber so was tut man als Künstler nicht ungestraft. In der Arbeiterklasse hatte Lomuto niemals was zu melden. Dort wurde er boykottiert und belächelt, verachtet und gehasst. Andererseits hat das Establishment nach dem Putsch von 1955 ganz schnell aufgehört TA zu tanzen. Wer sich diesem Oportunitäts-Diktat nicht fügte, hat nämlich sein gesellschaftliche Stellung nicht halten können.

Doch Theresa, es gibt abschliessende Interpretationen – genaugenommen sind es Hunderte. Von diesen Kompsitionen im Interesse vermeintlicher Vielfalt an einer Milonga andere, weniger gekonnte Aufnahmen aufzulegen ist etwas vom ärgerlichsten, was ein DJ tun kann. Das ist dieser Hang originell zu sein anstatt nach Qualität zu streben, der in Europa leider häufig anzutreffen ist. Tanturis Interpretation von La ultima copa mit Castillo kann gegen die Puglieses mit Moran niemals bestehen. Canaros Interpretation von Mano a Mano mit Maida kann gegen die Lomutos mit Omar niemals bestehen. Und keine andere Aufnahme, weder eine frühere noch eine spätere und schon gar keine kontemporäre kann gegen Troilos Interpretation von Comme il faut bestehen, auch di Sarli mit drei Aufnahmen nicht. Calos Interpretation von Oigo tu Voz mit Beron kann gegen die Interpretation Taturis mit Campos niemals bestehen. Puglieses Interpretation von Farol mit Chanel kann gegen die Interpretation Troilos mit Fiore niemals bestehen. Dazu noch eine Steigerung: Auch d'Arienzos Interpretation von Mandria mit Bustos von 1957 kann gegen seine eigene Interpretation mit Echagüe von 1938 niemals bestehen. Gegen diesen über Jahrzehnte gewachsenen Konsens verstösst man als traditioneller TJ nicht ungestraft ständig.

Es gibt weit weniger Kompositionen, bei denen zwei oder mehr Aufnahmen zwar unterschiedlich aber qualitativ ebenbürtig sind. Laurenzens Interpretation von Todo mit Podesta und di Sarlis mit Rufino spielen in dieser Liga. Und mit Tanturis Interpretation von Asi es baile el Tango mit Castillo kann die Aufnahme von Castillo mit eigenem Orchester mithalten. Nochmals: Mit deiner Definition von an Milongas kaum gespielten Aufnahmen, die dringendst zum Tanzen locken, entfernst Du dich aus meiner Sicht zu weit weg von einem über Jahrzehnten gewachsenen Konsens unter traditionellen TJs. Wer nun fragt welcher Konsens der hat sich nie ernsthaft mit der Materie beschäftigt. TJs sind nicht dazu da, um sich selbst zu verwirklichen und feiern zu lassen. TJing ist niemals Kunst sondern Auftragsarbeit, eine Dienstleistung an Tänzern, so was wie gepflegtes Leichenfleddern. Vielleicht wird jetzt klar, warum TJing so eine Herausforderung ist.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 6: Gaudi-Tango ist was anderes. Wenn die Musik lediglich Hintergrundberieselung für Workout mit einer Frau im Arm ist – was ich als ziemlich unappetitlich erachte, aber jedem Tierchen sein Pläsierchen – sieht das natürlich anders aus. Aber dann braucht es keine EdO. Das wäre Perlen vor die Säue werfen. Denn dann ist alles erlaubt. Dann kann man sogar zu Dünnpfiff aus Bohlens Musikschrottimperium "tanzen". Aber Gaudi-Tango interessiert mich nicht. Und das ist in diesem Thread auch nicht Thema. Und dich Theresa sehe ich keinesfalls in dieser einfältigen Ecke.

Falls du mir jetzt entgegnen willst, das du den Repertoire-Kern der EdO tänzerisch längst im Griff hast, dich mit ihm langweilt und deshalb das Repertoire ausweitest, stehe ich vor einem schier unlösbaren Problem. Dann müsste ich Dich entweder eine Schwindlerin oder ein Ignorantin nennen. Und beides möchte ich nicht, weil ich Dich anders einschätzte. Weder du noch ich haben den Repertoire-Kern der EdO auch nur ansatzweise musikalisch wie tänzerisch abschliessend bewältigt. Und wir beschäftigen uns beide doch einigermassen intensiv mit dieser Musik. Für die meisten Konsumenten in unseren lokalen Szenen gelten diese Defizite in noch weit grösserem Mass. Und damit sollten das Ziel jedes traditionellen TJs kristallklar sein. Wir haben Aufzulegen, was Tänzern die Chance schenkt tänzerisch zu wachsen und trotzdem Spass zu haben. Nur diese Gratwanderung kann Masstab sein, falls man als DJ nicht zum Egomanen mutieren will. Von Corazon mit di Sarli/Rufino habe ich in 10 Jahren eine einzige vollendete tänzerische Interpretation an einer Milonga gesehen. Dasselbe gilt für Patetico mit Pugliese. Und im zweiten Fall bezweifle ich, dass ich so was in meinem Leben nochmals erleben darf. Mir selbst wird das im Fall von Patetico mit Pugliese in diesem Leben mit Sicherheit nicht vergönnt sein. Aber vielleicht schaffst Du das ja.

Milonga für Milonga mit dem immer gleichen Repertoire-Kern der EdO einen tollen Abend zu gestalten, ist nur langweilig, wenn man nicht richtig hinhört. Es ist die alte Frage: will ich als DJ im seichten Wasser meiner Lagune plantschend und spielend mich dauernd von allem ablenken lassen, was Aufmerksamkeit heischend glitzert oder pipst, mit dem Hintern wackelt oder mit den Augen klimpert – musikalisch betrachtet. Oder habe ich als TJ den Mut, die Laugne schwimmend hinter mir zu lassen, um weiter draussen tief einzutauchen in eine ganz andere Welt mit eigenen Gesetzen und einem unendlichem Reichtum und Inspiration. Das eine nennt sich Massentourismus. Das andere kann aber muss nicht Idividualtourismus sein. Das hängt davon ab wie man daran heran geht und wie man damit umgeht.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 7: Solange Du den Repertoire-Kern der EdO als tausendfach abgenudelte Musik bezeichnest ist eine Annäherung zwischen uns unmöglich. Wenn Dir in der Klassik nur Vivaldi und seine Zeitgenossen zusagen und du diesen Bruchteil des Repertoires allenfalls mit etwas Berg und Bartok pfefferst und alles von Mozart über Haydn und Beethoven bis Puccini, Verdi über Schuhmann und Chopin bis Ravel als abgenudelt bezeichnest, wirst du nie mehrheitsfähig sein. Denn jede, auch die beste Milonga ist auch ein Stück weit Massenphänomen. Die aktuelle Beschreibung des Auflegens an deiner Sparten-Milonga klingt spannend. Aber das sind Worte, welche Du mit deiner Playlist nicht in die Tat umsetzt. Firpo ist ganz viel Tolles, aber ganz sicher kein Decareanist, und der überbewertete Kommerzwitter OTV schon gar nicht.

Die ganz grossen Tango-Sänger zwischen 1935 und und 1945 verstanden sich alle als weiteres Instrument im Reigen der Instrumente, solange sie unter Orchesterleitern arbeiteten. Erst als Castillo, Rufino und andere Spitzenkräfte eigene Orchester beschäftigten, haben sie diesen Konsens ignoriert und wurden damit wenig bis nicht mehr tanzbar. Darum nochmals zum Mitschreiben: Wenn man so ein spezielles Instrument wie eine grosse Stimme weglässt, klingt der Kanon der restlichen Instrumente nicht mehr wie vorher, weil dieses eine ganz besondere Instrument fehlt. Das kann es gar nicht. Das ist doch nicht so schwer zu verstehen. Mit oder ohne Stimme ist was völlig anderes. Oder blendest du in einer instrumental-Tanda Titel mit Sänger etwa wenige Sekunden bevor der Sänger einsetzt aus, damit die Tanda keinen inneren Bruch erleiden muss? Mag sein, dass das Arrangement nicht unter einem Bruch leidet bevor der Sänger einsetzt. Aber auch du hörst den Unterschied in der Anmutung zwischen den Passagen mit und ohne Sänger. Hier geht es darum, die Tänzer nicht durch unnötiges Mischmasch zu verärgern, die Erwartungshaltung zu erfüllen anstatt zu enttäuschen.

Nein Theresa, im Zusammenhang mit dem "Abmildern" einer Duran-Tanda kann man nicht von der Individualität eines TJs sprechen. Das ist nicht nur für mein Empfinden eine Verhunzung. So was Grobmotorisches tun nur DJs. Ein traditioneller TJ drängt sich im Gegensatz zu einem DJ –  oder einem Musikliebhaber, der als Macher an einer Milonga nun mal null und nichts verloren hat –  nicht mit dem Anspruch seiner ach so wichtigen individuellen Handschrift auf dermassen grobe Weise in den Vordergrund. Ein TJ ist eine graue Eminenz. Ein TJ hat es nicht nötig sich aufzuspielen. Ein TJ agiert feinmotorisch, weil jedes andere Raster der Musik der EdO Gewalt antut. Die Handschrift eines TJs ist sehr viel raffinierter. Da werden Cocktails nicht mit dem Baseball-Schläger gerührt.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 8: Eine Tanda mit den vier richtigen Pugliese-Aufnahmen mit Moran kann eine Milonga ungemein bereichern – zum rechten Zeitpunkt, passend eingebettet, so dass diese Aufnahmen ihre Eigenheiten voll ausspielen können. Mitten im Abend wäre das eine Unding. Dasselbe gilt für ein di Sarli mit Duran, obwohl so eine Tanda sehr viel mehr Spielraum erlaubt. Es steht einem DJ nicht zu, die Aufnahmen der Edo abwertend einzusetzten indem sie bewusst in einen verwässernden Kontext gestellt werden. Das ist schlicht und einfach impertinent. Und das ist keine Polemik. Mit so einem Gebaren desavouierst Du dich als traditioneller TJ.

Das Können eines TJs liegt darin, die besonderen Qualitäten und Eigenheiten einer jeder Orchester/Sänger-Kombination zu erfassen und passend zusammengesetzt sich nochmals steigernd voll auszuspielen, indem sie zum rechten Zeitpunkt eingesetzt oder weggelassen werden. Tandas kastrieren ist nicht Handschrift sondern Selbstdisqualifizierung. Im Gegensatz zum DJ hat ein TJ nicht die Aufgabe durch Spezialitäten zu glänzen. Er ist gefordert sich zurück zu nehmen und über den Abend hinweg seiner heterogenen Tänzerschar ein Spektrum an Tandas zu bieten, welches jeden Tänzer mit gutem Geschmack zufrieden stellt. Du, ich sind dabei nicht Masstab, sondern dieser über Jahrzehnte gewachsene Konsens, den du leider ablehnst.

Betreffend deiner Vorstellung der inneren Kohärenz einer Tanda kann ich nur antworten: Eine Tanda ist keine Themenparty, so wie eine Milonga kein Jahrmarktsgaudi ist. In sich völlig homogene Tandas sind aber tatsächlich so ziemlich das Langweiligste was es gibt. Der Bogen einer jeden Tanda darf individuell sein, solange die Gesetzte der Dramaturgie nicht auf den Kopf gestellt werden. Es ist nicht Aufgabe des DJs, Tandas als intellektuelles Gebilde zu einem Motto zu konstruieren, welches sich den meisten Tänzer nur mit Hilfe einer Erklärung offenbart.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 9: Tänzer sind in erster Linie mit der Musik und ihrer Partnerin beschäftigt. Dazu müssen sie auf die Situation auf dem Parkett achten. Da ist wirklich keine Zeit für artifizielle Erklärungen, durch die sich einem der Sinn einer Tanda erst erschliesst. Auf so eine Idee kann nur ein Europäer kommen. Für den Bau von Tandas gibt es Regeln die man nicht ungestraft ignoriert. Oder hast du schon mal ein Drama von Shakespeare gesehen, bei dem der Held im dritten Akt stirbt und der vierte und fünfte Akt die Geschichte der Fliege erzählt, welche den Helden am Ende des ersten Akts geärgert hat, weil sie ihm in die Nase geflogen ist und dabei unwiderbringlich inhalliert wurde? Ein traditioneller DJ spricht nicht mit dem Mund, weil das zu einem Bruch im Spannungsbogen führt. Ein traditioneller TJ spricht mit der Musik, die er auflegt. Und er tut das so, dass die Tänzer dazu einen intuitiven Zugang finden.  

Da du wie du selbst erwähnst als DJ eine Sparten-Milonga betreibst, ist unser Disput hier vermutlich sinnlos. Sparten-Milongas sind keinem Kodex unterworfen. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange kein Etikettenschwindel betrieben wird. Wenn ich zum TJing schreibe, schreibe ich ausschliesslich zu tradionellen TJing. Eine Sparten-Milonga ist etwas ganz anderes. Andererseits sehe ich bei dir in dieser Sache einen Widerspruch, denn ich nicht nachvollziehen kann. Und das meine ich überhaupt nicht polemisch. Aber dieser Widerspruch wirft schon Fragen auf. Nur darum schreibe ich diese Antwort. Die Encuentros, an denen ich dir begegne, sind alle der Tradition der EdO verpflichtet, ohne Repertoire-Verbreiterung in deinem Sinn. Dort sehe ich Dich mit viel Spass zu jenen Aufnahmen tanzen, die Du als abgenudelt bezeichnest. Und ich habe nicht den Eindruck, dass du dich dabei langweilst. Sonst würdest du ein anderes Gesicht schneiden. Schlagen da am Ende doch zwei Herzen in deiner Brust? Oder wie muss ich mir diesen Spagat vorstellen?

Bis vor einigen Monaten habe ich einen langjährigen DJ – der Name tut nichts zur Sache – im Rahmen meines TJ-Workshops als Einzelabreibung über eineinhalb Jahre Hinweg begleitet und angeleitet, auseinandergenommen und wieder zusammen gesetzt, motiviert und provoziert, damit er an sich und der EdO wachsen kann – in musikalischer  wie technischer Hinsicht. Der Mann ist seit seiner Kindheit musikalisch klassisch geschult und hat profunde Kenntnisse, welche die meinen bei weitem übersteigen. Trotzdem war er kein TJ als er zu mir kam, weil er sich um den Kodex ein Stück weit foutiert hat, da er ihn nicht verstanden und verinnerlicht hatte. Heute darf ich das sagen, ohne ihn damit zu verletzten, weil sich der Knopf gelöst hat. Dieser Mann hat jahrzehntelang ein Instrument gespielt und gesungen und ist auch aufgetreten. Mit all diesem Wissen, war es für ihn ein Klacks, die musikalische Struktur komplexester Tangos zu erfassen. Ob er sie auch angemessen getanzt hat ist ein anderes Thema. Das hat jedoch dazu geführt, dass er als TJ viele Aufnahmen in sein Repertoire aufgenommen hat, die dort nichts verloren haben.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 10: Anfangs hat er meine Forderungen nach Tanzbarkeit überhaupt nicht verstanden. Aber es war Vertrauten da und darauf lässt sich bauen und auch mal heftig streiten. Das hat es uns erlaubt die Monate des Missverstehens zu überbrücken. Erst nach einem halben Jahr ist bei ihm der Knopf aufgegangen betreffend tanzbarem Repertoire. Vorher wollte er in jede Milonga das eine oder andere Experiment, die eine oder andere Innovation, die eine oder andere Überraschung einbauen. Kurzum, er wollte originell sein. Aber es hat weitere sechs Monate gedauert, bis er tatsächlich in der Lage war, einzuschätzen ob ein gehört toller Tango auch an einer Milonga den Tänzern vor die Füsse geknallt werden darf. Erst dananch kam er langsam in die Gänge. Er hat gelernt, wie man Tandas so baut, dass sie funktionieren. Und dann wurde es richtig spannend. Wir konnten damit beginnen, zu üben wie man  als TJ den musikalischen Spannungsbogen über den ganzen Abend hinweg steuert. Denn das ist sie, die Königsdisziplin eines jeden TJs: Der Spagat zwischen der Schwingung im Raum und den Anforderungen der Breite des Repertoire-Kerns der EdO.

Ich erzähle dir Theresa davon, weil ich nicht zum ersten mal erlebt habe wie schwierig es für Menschen mit umfassender Schulung in Sachen Musiktherorie und Musizierpraxis sein kann (aber nicht sein muss), sich auf die kaum vorhandene Schulung in Sachen Musik einzulassen, welche ein durchschnittlicher Tänzer im deutschen Sprachraum mitbringt. Denn genau das und nicht der eigene, sehr viel umfassendere Fokus hat einen TJ bei seinem Tun zu leiten. Diese Geschichte ist auch die Geschichte der Metamorphose eines Lustmolchs in Sachen Musik –  und welcher Musiker ist nicht mit Leib und Seele so ein Lustmolch – in einen Vermittler in Sachen Musik, welcher nie über de Stränge haut. Denn genau das ist der der konzeptionelle Kern eines jeden TJs, Tango-Jockeys.  

Parallel zur Entwicklung in Sachen Musik-Programmation hat dieser Mann sich Wissen um technische Zusammenhänge und ein angemessenes Minimum an technischer Infrastruktur angeschafft. Und sein Budget war beschränkt und musste eingehalten werden. Das wiederum hat seine Sicht auf die Tangothek umfassend verändert. Vorausgesagt habe ich ihm diesen Wandel natürlich. Aber geglaubt hat er mir kein Wort. Zum Glück ist er ein waschechter Afficionado. Und so hat mit der Zeit ganz von allein eins zum anderen geführt. Und eines Tages kam der von mir seit langem erwartete Telefonanruf. Er wollte mir mitteilen, wie frustriert er ist, weil ich schon wieder recht behalten habe. Wir haben herzlich zusammen gelacht und ich habe mich riesig gefreut – für ihn, nicht für mich.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 11: Warum er überhaupt an meine Tür geklopft hat? Mit Sicherheit weiss ich es nicht. Ich denke es ist eine gemeinsame Demut der Sache gegenüber,  die ihn und mich immer irgendwie verbunden hat und uns die Kraft gegeben hat auch dann weiter zu machen, wenn wir uns wieder mal heftig aneinander gerieben haben. Denn Friedefreudeeierkuchen waren diese 18 Monate niemals. Und trotzdem waren das eine tolle Zeit und ich möchte sie nicht missen, unter anderem weil dabei eine Bekanntschaft zur Freundschaft wurde.

Toleranz ist eine feine Sache und – ganz wichtig – der kulturelle Fensterkit unserer Gesellschaft. Ein Mangel an Zivilcourage ist aber nicht dasselbe wie Toleranz (liebe Kerstin). Toleranz um jeden Preis, Toleranz in Ermangelung besseren Wissens, Toleranz aus Angst vor Auseinandersetzung, Toleranz wider besseres Wissens, Toleranz aus Bequemlichkeit – all das und noch viel mehr ist meist einfach nur feig und damit dumm und lässt uns nicht nur im TA stagnieren. Wenn wir wollen, dass sich die lokalen TA-Szenen hier in Europa tänzerisch tatsächlich weiterentwickeln und lernen mit anstatt gegen die Musik ihre Kreise zu drehen, dann brauchen wir sehr viel mehr TJs anstatt DJs, inspirierende TJs, welche dieses Metier in Bezug auf die Musik-Programmantion genauso verstehen wie in Bezug auf die Audio-Technik. Das ist heute sehr oft nicht gegeben, leider.

Auf dem Weg dorthin ist das Buch von Lavocah – denn darum geht es in diesem Thread eigentlich – essentiell für Tänzer. Für sie hat Lavocah es geschrieben. Es ist an den Tänzern, die DJs heraus zu fordern und auch zu kritisieren. Sonst wird sich nichts zum Besseren wenden.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 12: Dass TJs das Buch aus dem Effeff kennen, und sich beim Lesen ständig fragen, warum der zu ganz vielen Aspekten genau die selben Ansichten vertritt wie sie, muss so sein. Sonst würde das Buch nichts taugen und der TJ auch nichts.

Damit sich die Erkenntnis durchsetzen kann, dass viele DJ noch keine TJs sind und viele der wenigen TJs noch besser werden sollen, sind Debatten wie die hier zwischen Theresa und mir unabdingbar, obwohl wir zwei uns womöglich noch in fünf Jahren über die selben Fragen streiten werden.  Was ich im einem lachenden und einem weinenden Auge betrachte, weil ich mir schon eine Annäherung wünschen würde. Dabei geht es aber gar nicht um Theresa oder mich. Es geht darum, das Bewusstsein der musikalischen Katalysatoren jeder Milonga für Verbesserungspotential zu schärfen. Damit sich etwas zum Besseren wenden kann.

Ein Laptop und ein USB-Speicherstick mit 1'000 geklauten MP3, ein Kopfhörer und ein USB-DAC für 5 Euro und ein Kabel mit Kopfhörerstecker am einen und zweimal RCA am anderen Ende machen noch keinen TJ – noch nicht mal einen DJ. Damit aus einem Musikliebhaber ein TJ werden kann, müssen die Weichen im Kopf richtig gestellt sein, muss ein Anwärter erkennen als wie lange und manchmal auch steil der Weg vor ihm sich immer wieder entpuppen wird, wenn es ihm wieder mal gelingt eine weitere Kurve zu bewältigen. Das ist manchmal anstrengend und gelegentlich entmutigend. Aber eigentlich ist es unglaublich spannend.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 13: In diesem Sinn werde ich auch in Zukunft gerne mit dir Theresa streiten –  hier oder anderswo. Und noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dich irgendwann für einen Kodex zu begeistern, der Türen zu neuen Horizonten öffnet. Falls man sich auf ihn einlässt. Denn dann verfällt man ihm mit Haut und Haaren und Unverbindlichkeit ist nicht mehr möglich. Künstlerische Freiheit ist immer auch künstlerische Selbstbeschränkung. Obwohl, ich wie gesagt nicht die Ansicht vertrete, ein guter TJ sei so was wie ein Künstler.  

herzlich - Christian

Theresa hat gesagt…

Lieber Christian,

ich werde sicher, wie schon vorher, einige Zeit brauchen, um eine ausführliche Antwort auf deinen neuen Beitrag zu formulieren. Zu zwei Punkten möchte ich mich aber schon heute äußern.

1. Meine Meinung zum "Repertoire-Kern" der EdO.

Du schreibst: "Solange Du den Repertoire-Kern der EdO als tausendfach abgenudelte Musik bezeichnest, ist eine Annäherung zwischen uns unmöglich." Ich habe einmal die Formulierung "die tausendfach abgenudelte traditionelle Musik" verwendet, meinte damit aber etwas anderes, nämlich: erstens die zu Tode gespielten Titel, von denen schon die Rede war, und zweitens die Gepflogenheit, die immer gleichen Tandas in der gleichen Reihenfolge zu spielen, wie es lange Zeit zumindest in München in mehr als einer Milonga üblich war (es gab eine Milonga, da konnte man die Uhr auf Mitternacht stellen, wenn "Tres esquinas" erklang, und zwar immer nach der Tanda, die mit "Pensalo bien" begann.). Auch in Buenos Aires gibt es solche Milongas, aber auf dieses Thema will ich heute nicht eingehen.

Ich möchte also an dieser Stelle ausdrücklich klarstellen, dass wir uns darin einig sind, dass die "rund 500 Ohrwürmer der EdO" großartige Musik sind. In meiner veröffentlichten Playlist sind unter 20 Tandas 11, die vermutlich auch nach deinen Kriterien zu diesen Ohrwürmern gehören. (Darunter sind übrigens ein paar Stücke, die ich schweren Herzens absichtlich nicht zu oft spiele, weil ich möchte, dass sie was Besonderes bleiben: z.B. "No está", "Corrientes y Esmeralda", "Pa' qué bailen los muchachos").

Deshalb ist es auch müßig, einen Widerspruch daraus zu konstruieren, dass ich beim Tanzen auf die 500 Greatest Hits offensichtlich Spaß habe. Mein Spaß am Tanzen ist übrigens – angesichts der Reichhaltigkeit der Tango-Musik der 20er bis 50er Jahre – eher abhängig vom Partner als von der speziellen Musik. Mit den großartigen Partnern, mit denen du mich tanzen gesehen hast, hätte ich sicher auch sehr viel Genuss bei unbekannter Musik und sogar bei Puglies/Morán gehabt :-)

Deiner Behauptung, dass es "abschließende Interpretationen" bestimmter Tangos gibt, möchte ich auch widersprechen. Abgesehen davon, dass man sich darüber im einzelnen sehr streiten kann, welches dann die abschließende Interpretation sei, hängt es doch sehr davon ab, welche Art Musik man den Tänzern gerade präsentiert. Und da kann die Tanturi/Castillo-Version von "La última copa" in dem Moment, wenn es Zeit für eine Tanturi/Castillo-Tanda ist, gerade das richtige sein, und ich käme nie auf die Idee, sie dann mit Pugliese/Morán zu vergleichen, geschweige denn zu fragen, ob sie dagegen "bestehen" kann! Und übrigens: Die ultimative Interpretation von La última copa ist von Canaro mit Charlo ;-). Jedes zu seiner Zeit! Manchmal kann es sogar schön sein "Te aconsejo que me olvides" von Lomuto 1928 zu spielen, obwohl nichts, aber auch gar nichts, über Troilo mit Fiorentino geht ;-)

Theresa hat gesagt…

2. Die Zielgruppe eines TJ

Ich bin etwas befremdet darüber, wie du dein Publikum siehst, dem du als TJ ja eine Dienstleistung bieten möchtest. Du schreibst: "Wenn ich an einer durchschnittlichen europäischen Milonga jedesmal wenn ich Corazon mit di Sarli/Rufino oder Patetico mit Pugliese, Todo te nombra mit Biagi/Omar oder Mano a Mano mit Lomuto/Omar, La Bruja mit d'Arienzo/Echagüe oder No me extrana mit Laurenz/Casas, En esta tarde gris mit Troilo/Fiore oder Caranval de mi Barrio mit Donato/Morales-Lagos auflege, eine einzige gekonnte tänzerische Interpretation sehen würde, könnte man vielleicht über eine massvollere Ausweitung des Repertoire-Kerns der EdO debattieren, als Du Theresa sie praktizierst. Aber dem ist leider nicht so. Tanzen in anstatt gegen die Musik ist immer noch alles andere als selbstverständlich. Solange sich daran auf breiter Front nichts ändert, bleibt jede Repertoire-Verbreiterung wie du sie forderst eine Qualitäts-Verwässerung und damit kontraproduktiv, weil es die Tänzer der Chance beraubt, tänzerisch zu wachsen. ...Von Corazon mit di Sarli/Rufino habe ich in 10 Jahren eine einzige vollendete tänzerische Interpretation an einer Milonga gesehen. Dasselbe gilt für Patetico mit Pugliese."

Also, erstens erlebe ich offenbar, und erfreulicherweise, öfter als du Milongas, wo man Leute wunderbar auf die Musik tanzen sieht (darunter auch regelmäßig in dem von mir organisierten "Bailongo" ;-)). Und zweitens: Wenn du die Tänzer derart kritisch siehst, läge doch eher die Schlussfolgerung nahe, ihnen den großartigen Stoff vorzuenthalten, wenn sie eh nichts damit anfangen können, was vor deinem kritischen Auge besteht.

Anscheinend beharrst du auf einem selbstgestellten Erziehungsauftrag, den Tänzern den Repertoire-Kern der EdO so lange vorzusetzen, bis sie ihn gefressen haben, und wenn es 10 Jahre dauert – und erst dann dürfen sie sich an einem erweiterten Repertoire versuchen. Ich würde mir eher wünschen, dass der Tango-Unterricht mehr Augenmerk auf die Musik richtet, so dass in der Milonga die Leute besser hinhören; das würden sie dann sowohl beim Bewährten als auch beim ebenfalls tollen Unbekannten. Und es mag ja sein, dass unser Publikum und wir selbst "Patético" von Pugliese nicht "musikalisch wie tänzerisch abschliessend bewältigt" haben, aber was ist denn das für ein Maßstab? Abschließen tut man den Tango doch eh niemals, und das Schöne ist ja, jedesmal mehr zu hören und besser darauf zu tanzen.

Soweit für heute. Demnächst mehr, vor allem auch zu dem interessanten Thema "DJs in Buenos Aires".

Theresa

Theresa hat gesagt…

Ich darf erfreut ankündigen, dass Michael Lavocah vom 22. bis 24. Februar in München sein wird. Er hält 3 Seminare, und er und ich legen gemeinsam im Bailongo vom 23. Februar auf (um das hässliche Wort DJ-Challenge zu vermeiden). Näheres auf meiner Webseite.
Theresa

Anonym hat gesagt…

Wann kommen endlich wieder neue Beiträge? Die tröpfelnden Kommentare (z.T. mit erheblicher Eigenwerbung) sind leider kein adäquater Ersatz für das Schweigen des Bloggers .....

Tango Therapist hat gesagt…

Servus Cassiel, I started translating your book review into English, but I think that Christian's advise was sound: Read the book first before making a commentary. So I will have to do that.

You know, my head is swimming from trying to follow the sometimes wonderful, sometimes passionate, but sometimes downright mean dialogue here. Let's see how paint this: There is "the passion of tango" and the "Passion [suffering] of Christ." I suggest the former -- the Passion of Tango. After all, this is the the time of Peace on Earth, not story of the Tango Cross. :-)

PS. I don't mean to sound like I am some sort of "Tango Therapist" here. Aber so bin ich. :-)

bird hat gesagt…

An alle die es noch nicht haben,

auch ich kann Michael Lavocah´s Buch nur wärmstens empfehlen ! Bin seit kurzem endlich Besitzer desselben und kann allen, die evt. die englische Sprache abhält es zu kaufen, nur sagen, lasst dies keinen Hinderungsgrund sein, denn sein Englisch ist fein, leicht zu verstehen, unkompliziert und gut zu lesen, mal ganz vom Inhalt abgesehen.
Der Inhalt ist, soweit ich bis jetzt gekommen bin gut strukturiert, eingängig, einleuchtend und angenehm zu Lesen. Ein wunderbares Buch, um der Musik des Tango Argentino näher zu begegnen und den eigenen Tanz zu intensivieren und schöner und genauer auf die Musik abzustimmen !!! Es hilft sehr das Musikhören zu verfeinern.

Chris hat gesagt…

Please excuse English.

Cassiel, I see your link to the disputed DJing information on Michael's website has been undermined by the fact the info has now been changed on the site. I hope Michael won't mind me posting this record of the version that showed at the time you wrote the review - click here .

In that page, Michael says he sometimes plays curtains, sometimes not. Sometimes nuevo, sometimes not. Sometimes "neotango" (non-tango), sometimes not. I'm sure he also won't mind me pointing out the milongas at which he DJs are mostly in the UK.

Readers, it is important to understand that many of the so-called milongas here in the UK are very different from milongas elsewhere. Many are basically just dance events for classgoers to do their taught steps to whatever music their teachers think is suitable, whether that's tango or not. Some play less than half traditional tango. Some play none at all.

At such events, cortinas are useless and unwelcome because, as Michael says, the normal milonga codes don't exist. And anyway, cortinas are impractical because just about any music that a traditional DJ might play as a cortina is music that these people will think is good for doing what they call dancing tango.

Another critically important difference is duration. The milonga at which Michael is a regular DJ has typically less than three hours of dancing time - after classes and show time are subtracted from the evening. Most people start dancing at the start then continue non-stop until the end - as if it were a Jive event. They rarely sit. They make no selection at all of the music. When there's music they don't know, they don't listen and learn - they dance it regardless.

The UK does have a few regular milongas - following the BA tradition. But if a working DJ confined himself to the traditional milongas, he could not earn enough to live. A professional DJ must adapt to circumstances, and the circumstances here are very varied. If one keeps this in mind when reading the DJing advice of Michael's book, much misunderstanding and confusion will be avoided.

Bye for now.

cassiel hat gesagt…

@Chris

You are welcome to comment in English as long as you do not expect me to answer without any mistake :-)

Thanks for sharing your thoughts. It is an unsolved problem (at least in my opinion) how to deal with missing knowledge in certain communities. Who is able to change things? I think a professional DJ could be the one who could introduce the customs of Bs As Milongas in local communities, and he should do that.

I think it is the same old question which we have mentioned several times: If I am a tango-professional how far can I go? Do I have to fullfill the expectations of the audience (even if I consider these expectations harmful)? Or shall I work for a change?

As far as I know there are tango-professionals in the UK who try to establish a better culture in the local milongas. They try to change things. I think that is the better way.

Thanks for commenting...

Chris hat gesagt…

Cassiel wrote: "It is an unsolved problem (at least in my opinion) how to deal with missing knowledge in certain communities. Who is able to change things? I think a professional DJ could be the one who could introduce the customs of Bs As Milongas"

Well, I must say I think he could find much better things to do with his time, at least here in the UK. We have two different dances called Argentine tango. One is an improvised dance based on the music, learned by partnering with people who can dance, and found in milongas. The other is a pattern dance based on instruction, learned by partnering with people who can't dance, and found in classes - and in what Christian above aptly calls tango discos. The crossover between the two is diminishing as they diverge, one driven by social factors and the other in a different direction by commercial factors. They meet different needs in different people, so I don't think a DJ can help by trying to introducing BA milonga customs to a dance culture that has chosen the opposite. He can do more good by encouraging the customs in the environment in which they are natural - milongas - and surely there is no better way to do that than simply to to a great job in playing the music that is the basis of those customs.

By the way, I received a private response from a reader unhappy at my representation above of the event at which Michael Lavocah is the regular DJ. I apologise if it was inaccurate in any way. For anyone who wishes to check in person, it is called Zero Hour, at the The Dome, in London. Or view these samples of the teaching, DJing and dancing here and here. I don't know which DJs is playing in tha video.

Cassiel, I've been reading back in this blog (as best as is possible through Google Translate) - very interesting. Thank you.

cassiel hat gesagt…

@Chris

Obviously Michael did a great job with his time. He wrote a fantastic book (in my opinion one of the most important tango books in the last years). The situation in Germany is only slightly different. Although we have in between a great variety of traditional milongas, there are still organizers (and teachers) denying the codigos of traditional tango. Mainly they argue: "We don't need any more rules." But there are only little interferences with the ballroom-scene.

I see a main difference to the situation you have described:
Fortunately it becomes more and more common to clearly label the character of a milonga in advance so the visitor has the opportunity to choose. I am following with vivid interest the discussion in a Berlin FB-group. The organizers of a milonga decided to ask there guests to practice cabeceo and change dance-partners more often. So even in Berlin things are changing.

To avoid missunderstandings: Everyone should dance his prefered style of tango. But if an organizer announces his event as a traditional milonga, it should be a milonga - not a circus or a disco.

In my opinion one of the reasons for the developement of the last 5 or maybe 7 years is the work of very good DJs and professional teachers nevertheless in some areas they are still a minority.

Chris hat gesagt…

Cassiel wrote: "Obviously Michael did a great job with his time."

Well, I doubt Michael's book will accomplish any of the introduction of customs of Bs As milongas that you call for (nor of course any indication it is intended so to do.)

It is interesting to hear you report teachers saying "We don't need any more rules." In dance, teachers are the primary creators and distributors of rules. Their business could not exist without them. History saw this in the standardisation of tango by English dance teachers last time around - transforming Argentine tango into what now is known as Ballroom Tango. We are seeing the same effect now, creating a new kind of tango dancing forged in classes, remote from the traditional dance learned by Argentines direct from dancers.

I agree that much of the development of recent years has been due to good professional teachers. Some of those teachers contributed to the development of Tango de Salon - others just to Tango de Workshop.

Oskar hat gesagt…

Liebe Leser dieses Blogs.
Christian Tobler hat ein vehementes Statement für das Buch "Tango Secrets" hier abgegeben. Zurecht. Als Tangotänzer der seit mehr als 10 Jahren 2- 3 Milongas pro Woche besucht, kann ich nur sagen:

"Egal ob ihr 15 Jahre oder ein Jahr tanzt, ob ihr regelmäßig 3 Monate im Jahr in BsAs verbringt oder euch gerade erst seit kurzem dafür interessiert, sogar wenn euer Englisch so lausig wie meines ist. TJs sollten es eigentlich alle bereits besitzen.

Unbedingte Kaufempfehlung.

Es ist spannend, kurzweilig, die Anekdoten über Donato...

Wer noch nicht weiß wo er es kaufen soll - beim Autor direkt ist sicher für den Autor eine gute Löung. Der örtliche Buchhändler müsste auch schon in der Lage sein das Buch für euch zu besorgen. Amazon bietet auch die Möglichkeit einer Leseprobe (Blick ins Buch).

Unknown hat gesagt…

Nur um möglicher Verwirrung vorzubeugen: Das Buch heisst Tango Stories: Musical Secrets

Michael Lavocah hat gesagt…

Cassiel, I was pleased to meet you at the music seminars I gave in Munich. Thank you for introducing yourself and for your friendly greeting.

Chris, thank you for clarifying that you did indeed intend to characterise Zero Hour as one of many "so-called milongas" in the UK. I take it you won't be visiting when "Punto Y Branca" plays there later this month.

Permit me to correct the factual errors in your post.

The teaching video you link to is not from Zero Hour, but from the Brighton Dome. The teacher lives in Brighton where she runs a dancing school that teaches Ballroom & Latin, Argentine Tango, Rock 'N' Roll and Salsa. She has no connection to Zero Hour.

I am one of a team of five or so resident DJs at Zero Hour (whose venue was formerly called The Dome), not the resident DJ.

As for a DJ having to "adapt to circumstances" in order to "earn enough to live" - speak for yourself please Chris. Having given up a career where I earned in a week what I now lucky to earn in a month, I am definitely not in tango for the money. I am happy to play at Zero Hour because I like the people, even though I find the no-cortina rule a bit limiting.

Michael

Chris hat gesagt…

Michael wrote: "The teaching video you link to is not from Zero Hour, but from the Brighton Dome"

My apology for the error. The regular teaching I've seen at the London Dome is similar. If you have a video that shows otherwise, please do show it.

"... I find the no-cortina rule a bit limiting"

More limiting IMO than the rule itself is the circumstance that necessitates it - The Dome DJs that play for dance the kind of music that a milonga DJ would play as a curtain. Here's an example of such a piece and such a DJ.

That, and the absence of milonga customs, is why I'd call your event at The Dome a so-called milonga. Or, as Christian recently proposed here, a "tango disco".

Chris hat gesagt…

"Here's an example of such a piece and such a DJ."

Oops, belatedly I see this blog hides links. To see the video, click on that sentence.

_wannadance hat gesagt…

Hallo, hat jemand das Buch auf Deutsch gelesen? Falls ja, ist die Übersetzung brauchbar? Danke :)

cassiel hat gesagt…

Oho! Ich sehe Deine Kommentare, habe aber nicht viel Zeit, weil ich gleich los muss (zur Arbeit). Ich habe beide Versionen (deutsch und englisch). Das Buch wurde leicht überarbeitet, aber auf jeden Fall lohnt sich auch der Kauf der deutschen Ausgabe...

Muss schon los...

Viele liebe Grüße

c.

_wannadance hat gesagt…

Danke Dir vielmals für die kurze Rückmeldung! Brauche es für meine Bachelorarbeit und bin zu faul um es auf Englisch zu lesen ;-)
Herzlich
Mirella