Montag, 3. September 2012

Für die neue Woche 143: Carlos di Sarli, La torcacita - Ein Blick auf die Phrasen im Tango

Titelblatt der Noten
Quelle: todotango.com
Für diese Woche habe ich einen instrumentalen Tango ausgesucht, den Carlos di Sarli 1941 eingespielt hat. La torcacita ist eine Komposition von José Martínez (1890 - 1939). Dieser Tango wurde ein halbes Jahr vorher bereits von Enrique Rodríguez (ebenfalls instrumental) eingespielt. La Torcaza ist Die Taube im Spanischen - der Diminutiv wäre also Das Täubchen.

Für diejenigen, die des Lesens von Noten kundig sind, verlinke ich den Klavierauszug bei todotango.com.

Enrique Rodríguez (instr.) eine Aufnahme vom 18. Dezember 1940

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Carlos di Sarli (instr.) eine Aufnahme vom 21. Juni 1941

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Für die folgenden Überlegungen beschränke ich mich auf die Aufnahme von di Sarli. Nachdem wir in der letzten Woche die einzelnen Teile bzw. Themen des Tangos Araca la cana betrachtet haben, geht es heute um die Phrasen im Tango. Ich gehe jetzt einmal davon aus, daß ein Teil i.d.R. aus 4 Phrasen besteht, die jeweils üblicherweise 4 Takte umfassen. (Es gibt auch Zeitgenossen, die der Ansicht sind, eine Phrase bestehe aus 2 Takten, andere sagen, eine Phrase bestünde aus 8 Takten - ich kann es gerade nicht auflösen und mute meinen Leserinnen und Lesern der Begriffs-Wirrwarr zu: Ich kann es nicht entscheiden.)

Für den Rest dieses Textes ist es ein Voraussetzung,  daß man verhältnismäßig sicher dem Takt folgen kann. Es empfiehlt sich, es einmal zu probieren mit den zwei Zeigefingern abwechselnd den Taktschlag zu treffen. Man merkt dann irgendwann, der eine Schlag ist ein wenig "stärker" betont (1) und der zweite ist nicht ganz so stark (3). Als weiter Hilfe kann man sich auch auf einem Blatt Papier (kariert) einfach Intervalle markieren (4 Kästchen für einen Takt, 4*4 Kästchen für eine Phrase und 4*4*4 Kästchen für einen Teil oder ein Thema).

Wir können nun die Teile von La torcacita als A | B | A' | C | A'' notieren. Und nun etikettieren wir die Phrasen mit Kleinbuchstaben und einer fortlaufenden Nummer. Also:

A:   a1   a2   a3   a4
B:   b1   b2   b3   b4
A':  a'1  a'2  a'3  a'4
C:   c1   c2   c3   c4
A":  a"1  a"2  a"3  a"4


Betrachten wir aber nun einmal nur die Teile A, A' und A''. Diese Teile weisen in der ersten und dritten Phrase jeweils eine sehr markante Melodie auf (also die Phrasen a1, a3 usw). Nun wird das Erkennen von Phrasen sehr einfach (die sehr auffällige Melodie hilft uns wie ein Wegweiser). Diese Folge von vier Takten (oder 8 betonten Schlägen) taucht immer wieder auf (in der schematischen Darstellung oben sind die Stellen durch unterstrichene Angaben markiert).

Im Teil B fällt auf, daß b1 und b2 mit b3 und b4 wiederholt werden.

Hat man ein paar Mal diesen Tango gehört, wird man langsam sicherer im Erkennen der einzelnen Teile und man entwickelt ein Gespür für die Struktur. Und so wird aus einem Stück, was vielleicht nicht besonders interessant zum reinen Anhören ist, ein wunderbares Kleinod, das man sehr gut tanzen kann. Besonders hinweisen möchte ich auf die Stelle c4: di Sarli geht hier das Temperament durch und man merkt, welche Leidenschaft für die tanzbare Tangomusik da zwischen den Noten transportiert wird.

Und weil ich gerade dabei bin, möchte ich noch auf ein kleines Detail hinweisen: Am Ende jedes Themas (oder Teils) gibt es zwei gleichmäßig betonte Noten in Folge ("drei", "vier"). Hier lädt die Melodieführung dazu ein, einmal bewußt in der Anfangsposition zu stoppen und zu verharren (das ist - zumindest für mich - eine echte Herausforderung; das musikalische Drosseln eines Tempos bzw. das bewußte Anhalten - passend zur Musik - bleibt noch eine Zeit eine Baustelle für mich).

Ich möchte an dieser Stelle eine Idee von Detlef Engel zitieren. Er motiviert Phrasen mit einem Melodieteil, den man singen kann ohne Luft zu holen. Das finde ich als Erklärungsmodell sehr einleuchtend. Melina und Detlef unterrichten Musikalität übrigens mit Ensueños von di Sarli. Den Titel hatte ich als "Für die neue Woche 47" hier schon einmal vorgestellt - allerdings vom Quinteto Real. Ich werde die entsprechende Version ergänzen und dann kann man den Titel Ensueños von Carlos di Sarli nachher hier hören.

Ich lade alle Musiker ein, an dieser Darstellung ggf. notwendige Korrekturen zu benennen. Mir geht es um eine einfache Darstellung musikalischer Strukturen für Tänzerinnen und Tänzer. Das kann für einen Musiker manchmal zu stark simplifiziert sein. Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion.

Und für die Vertreter eines intuitiven Ansatzes: Man muss diese Überlegungen nicht anstellen. Das ist für diejenigen, die sich eine Musikalität mit dem Kopf erarbeiten. Es gibt keinen besseren oder schlechteren Ansatz; die Ansätze sind nur unterschiedlich.

31 Anmerkung(en):

Melina Sedo hat gesagt…

Nur eine kleine Richtigstellung.

Wir unterrichten "Musikalität" - je nach genauem Thema - mit vielen verschiedenen Tangos.

encuenos verwenden wir in der Tat dazu, die regelmäßige Phrasenstruktur eines Tangos zu untersuchen. Aber ich bin sicher, genau das wollte Cassiel sagen. ;-)

Liebe Grüße,

Melina

cassiel hat gesagt…

Sorry für meine sprachliche Unschärfe [muss am Thema liegen :-)]. Danke für die Präzisierung und viele Grüße...

bird hat gesagt…

wunderbar cassiel !!!
Funktioniert ähnlich gut, wie am Musikworkshop von Chr.Tobler und ich finde über das immer wieder Hören und Mitzählen des Taktes Phrasen fängt man langsam an auch die wunderschönen, kleinen, feinen Details bewusst wahrzunehmen, wie z.B. den Einsatz der Bratsche? bei c2, die den Charmen und auch die Kunst der traditionellen Tangos ausmachen.
Herzlichen Dank für diese Mühe.

PacoDaCapo hat gesagt…

Zum Thema Phrasen und zu deren Definition hatte ich als Antwort auf / an Klaus PP unter dem vorherigen Artikel einen Kommentar hinterlassen. Wenn Phrase von sprachlich "Satz" kommt, dann ist es klar, dass es deren kurze wie auch längere geben kann.

"Ensueños" von Luis Brighenti hat einen Text (von E. Cadícamo), da liegt es nahe, es am Text zu untersuchen, was man musikalisch als Phrase bezeichnen kann. Dies müsste sich decken. Dieser Tango ist alt (Fresedo hat ihn z. B. 1927 aufgenommen), damals waren die Strukturen regelmäßiger als später. Dennoch sind spätere Tangos auch Tangos, tango nuevo z. B. ist auch Tango! Also gilt diese Regel-Mäßigkeit nur bedingt für Tangos früher Epochen. Aber natürlich, was diesen Tango angeht: Einverstanden mit Melina in diesem Fall.

PacoDaCapo hat gesagt…

Kurzer Nachtrag zu meinem letzten Kommentar: Tangotext und Komposition sind perfekt aufeinander abgestimmt, wie zu erwarten war! Am Text läßt sich ebenso wie bei der Musik ganz genau festmachen, wie eine Phrase logisch zu Ende geht (ob 2teilige oder 4teilig) und ohne diesen "Bogen" einfach in der Luft hängen würde, wie eben ein angefangener Satz.

Man muss sich das in Gedanken zur Melodie mitsingen oder mitsprechen; ich habe von diesem Stück noch keine gesungene Version gehört. Text auch bei Todotango!

Theresa hat gesagt…

Trotz der Unschärfe des Begriffs kann man in fast allen Tangos eine Regelmäßigkeit von "Phrasen" erkennen, die ich so bestimmen würde:

Eine Phrase besteht aus 4 oder 8 Takten (das hängt auch von der Notierung ab, ob 4/4 oder 4/8) und hat meist zwei Unter-Phrasen von 2 bzw. 4 Takten, die man oft auch als "Frage" und "Antwort" bezeichnet, was man in der Melodieführung oft gut nachvollziehen kann. Die Phrasen kommen meist wiederholt vor, wobei sich in der Wiederholung stilistische Details ändern, z.B. aus Legato wird Stakkato, oder es kommt ein Solo dazu. Phrase plus Wiederholung sind zusammen ein "Teil". Meist bestehen Tangos aus zwei oder drei verschiedenen Teilen, also z.B. ABABA oder ABCABC oder ABACA.

Ganz selten gibt es Stücke, die nur aus einem Teil bestehen, der sich immer mit Abwandlungen wiederholt, z.B. der Vals "Con los amigos" (Tanturi).

Die Wiederholung der Phrasen und der Teile hilft beim Tanzen, auch wenn man das Stück nicht kennt, denn es wiederholen sich zuverlässig rhythmische und melodische Charakteristika.

Theresa

Thomas hat gesagt…

Der C-Teil des Stücks 'Torcazita' ist mit 'Trio' überschrieben, was eine europäische Gepflogenheit ist. Es kommt in der Schweizer Volksmusik (SV) ebenfalls bei ABAC-Stücken vor. Wenn die Haupttonart in Dur steht, steht das Trio in der Subdominantart (wird auch von Mozart so verwendet). Hier ist die Haupttonart h-Moll, das Trio steht in D-Dur (Paralleltonart/ gleiche Vorzeichen). Parallelen zu europäischer Musik sind mir nicht bekannt; SV steht eh meist in Dur.

In der SV wird ein ABAC-Stück meist so gespielt: AABBACC. Je nach Länge des Stücks und Stimmung auf dem Tanzboden werden Wiederholungen spontan ausgeführt (angezeigt mittels Kopfnicken oder Klarinette schwenken).

Was mich zu meiner Frage bringt: Das vorliegende Stück passt so arrangiert genau auf eine Schallplattenseite; wie war das wohl beim Aufspielen zum Tanz? Wurden die Stücke u.U. auch beliebig verlängert?

KlausPP hat gesagt…

Ich bin schon der Meinung, dass die Definition von Phrase im Sinne der musikalischen Formenlehre die Richtige ist, nur bringt uns das als Tänzer nicht von hier bis zur Tür, wenn wir wissen, dass so ein A oder B-Teil aus zwei Perioden besteht, die jeweils wieder aus Vorder- und Nachsatz bestehen, die jeweils aus 2 Phrasen, bzw. einer Doppelphrase bestehen.

Was wir brauchen ist eigentlich nur eine einfache Terminologie umd die für uns wichtigen Elemente eines Stückes zu beschreiben:
- Schritte
- Phrasen
- Teile
Und in diesem Sinne möchte auch ich Cassiel für die Mühe, die er sich gemacht hat danken.

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Auch wenn das jetzt nicht so rüberkommt, aber ich oute mich hier jetzt mal als absoluten Intuitivtänzer, der sich ganz auf sein Gefühl verlässt, nicht zählt und meistens damit richtig liegt.

Seitdem ich meine Beine im Tango halbwegs gesteuert bekomme und die gängigen Tangotitel (und ihre Variationen) mir geläufig sind, tanze ich nur und ausschließlich musikgesteuert.

Dabei orientiere ich mich -vermutlich (es ist mir nicht bewußt)- an der Melodieführung und/oder an der Harmonik des Stückes und erahne die Übergange zwischen den Teilen (ABABA), bzw. die Breaks und die Einsätze.

Das empfinde ich eigentlich nicht als etwas Besonderes und schon gar nicht als Naturbegabung (wie Christian es nennt), das ist einfach so.

Es gibt da leider auch eine Kehrseite: Der Mechanismus läßt sich nicht abschalten. Er funktioniert auch, wenn im Büro jemand einen von diesen Radiosendern laufen hat und der allerletzte Scheiss von Katy Perry, David Guetta (schreibt man den so) läuft und mein Unterbewußtsein nicht in der Lage ist das gehörte auszublenden.

Aber jetzt geht's zum Tanzen nach DA.

Gute Zeit allen.
Klaus

Daniel hat gesagt…

(In drei Teilen, wegen der Längenbeschränkung :-(
Am Ende folgt ein spezieller Teil zu den Fragen von Thomas bzw. zu den Klavierauszügen allgemein...)

Die Begriffsfrage läßt sich wohl nicht abschließend klären. Teil dürfte unstrittig sein; aus praktischen Gründen finde ich es nützlich, die "Phrase" auf vier Takte zu beziehen, wie es Cassiel oben getan hat - so hält es übrigens auch Amenabar (dessen auf Tänzer ohne musikalische Ausbildung ausgerichtete Workshops und Buch "Tango zur Musik tanzen" übrigens sehr empfehlenswert sind). Bitte nicht auf acht Takte, und dies vor allem bitte nicht am Takt festmachen - es ist heute (leider, aber wegen des ruhigeren Notenbilds verständlicherweise) üblich, Tangos im 4/4-Takt zu setzen, während eigentlich (daher die Bezeichnung Dos por quatro = "2x4") ein 2/4-Takt üblich war, wodurch aber fast nur kurze Noten das Druckbild prägten. Eine Tempoänderung geht damit aber nicht einher, und die Taktgrenzen ändern sich auch nicht. (Eigentlich müßte statt 4/4-Takt 2/2 stehen, denn es hat sich ja nichts am Rhythmus geändert, so wie auch auf jeden Takt 2 Schritte im 'einfachen' Tempo fallen würden.)

Ausgehend von den Phrasen kann man dann nämlich sowohl die kleineren Einheiten betrachten als auch die größeren Zusammenhänge. Ich finde es nicht verkehrt, zumindest in der Melodie auch nochmal auf die Details zu schauen, um die Regelmäßigkeiten zu verstehen (die durch die Begleitung und Orchestrierung dann unterschiedlich ausgestaltet werden, was sich vor diesem Hintergrund dann noch besser nachvollziehen läßt, natürlich nur an der Orchesterversion - hier mit Cassiel nur die von Di Sarli - und nicht im Klavierauszug).

Die erste Phrase (a1) spielt hauptsächlich mit einem Melodieelement, das sich im ersten und vierten Takt wiederfindet sowie im zweiten mit Verschiebung der Intervalle. In der zweiten Phrase (a2) haben wir eine neue Melodie, die aber das anfängliche Element in der abgewandelten Form wieder aufnimmt (im zweiten und nun auch rhythmisch abgewandelt im vierten Takt; eine detailliertere Analyse insbesondere auch mit Blick auf die Harmonik würde hier wohl zu weit führen). Dieser Wechsel ist das, was gerne als "Frage-Antwort-Struktur" bezeichnet wird, und das Spiel mit dem Motiv aus der Melodie zwischen a1 und a2 veranschaulicht das in diesem Fall sehr schön. Die dritte Phrase entspricht unverändert der ersten, die vierte dagegen gleicht der zweiten nur im ersten Takt völlig, danach folgt sowohl eine melodische Variation als auch eine Abwandlung in der Harmonik (letztere nur im 'Innern' der Phrase, sie endet harmonisch wie a2, was für die Gesamtstruktur auch notwendig ist); beides arbeitet natürlich auch auf den Schluß des ersten Teils (A) hin.

Der zweite Teil (den wir ebenfalls als Einheit von 16 Takten betrachten können; auch wenn er hier als Wiederholung mit abweichendem Ende notiert ist und bei Rodriquez allerdings dann jeweils nur als kürzere Einheit Verwendung findet, dazu ganz kurz unten zur Gesamtform) hat ebenfalls die entsprechende Wiederholungsstruktur (mit Abweichung in b4 diesmal nur am Ende, für die von mir hier betrachteten Aspekte sogar eigentlich ohne Abweichung), aber der Aufbau der Phrasen ist diesmal ein anderer: die erste (=dritte) ist noch deutlicher als a1 in zwei abgesetzte 'Unterphrasen' unterteilt (die 'Singbarkeit' kann in der Tat bei der Veranschaulichung helfen), die hier melodisch jeweils parallel (nur in der Tonhöhe versetzt) beginnen und erst im jeweils zweiten Takt abweichen (auch in dieser Unterstruktur könnte man übrigens wieder von Frage und Antwort sprechen), was sich in b2 entsprechend wiederholt (die Struktur, nicht die Melodie oder der Rhythmus), wobei die Melodie hier schon zum Ende des jeweils ersten Taktes abweicht, wohl auch deshalb, weil hier auf den markanten Schluß hingearbeitet wird. Entprechend der Wiederholung natürlich auch Frage b1 und b3, Antwort b2 und b4 (wie ja auch schon von Cassiel dargestellt).

Daniel hat gesagt…

...

C (das 'Trio') hat seinerseits neue melodische (usw.) Elemente, gleicht in der Struktur aber wiederum A: c1 und c3 sind identisch, c2 und c4 weichen ab dem zweiten Takt ab (in diesem Takt ist die harmonische Entwicklung gerade im Vergleich zu den entsprechenden Entwicklungslinien in Teil A übrigens nicht uninteressant) und enden trotz der hier im hinteren Teil völlig unterschiedlichen Ausgestaltung harmonisch natürlich wieder gleich (in der Grundtonart des Trios).

Was hilft uns das nun? (Bzw. warum halte ich diese Details für wichtig genug, diesen Beitrag zu verfassen?) Das Erkennen der Phrasen ist bereits das wichtigste 'Handwerkszeug', um im Einklang mit der Musik tanzen zu können - auch wenn man beim Tango nicht im eigentlichen Sinne 'Figuren' tanzt (ich denke an das soziale Tanzen auf der Milonga, nicht an choreographierten Showtanz), ergibt sich doch auch beim Tanz eine gewisse Phrasierung und es entstehen (improvisierte) Folgen von Schritten mit gewissen Akzenten und Schlußpunkten (ggf. sogar Pausen), also letztlich Spannungsbögen, rhytmische Strukturen wie in der Musik. Und diese möchte man als Führender natürlich schon passend zur Musik setzen (bzw. bekommt sie, wenn wir das Bild aufgreifen, daß der Führende selbst von der Musik geführt wird bzw. ihr Sklave ist), und es ist wohl auch kein Zufall, daß der im Unterricht gerne als Hilfsmittel benutzte 'Grundschritt' (die oft diskutierte "Base") 8 Schritte umfaßt, also im einfachen Tempo genau einer Phrase von 4 Takten entspricht, und daß einige auf die Musik achtende Lehrer auch andere Elemente für den Unterricht zunächst gern in kleine Folgen einbauen, die ebenfalls oft 8 oder 4 Schritte bzw. einfache Zählzeiten umfassen. Wenn man es als Führender einmal geschafft hat, daß man keine Sequenzen beginnt, die mit Phrasenende nicht elegant abschließen, und schon gar nicht ein tänzerisches Motiv über Grenzen von Hauptteilen hinweg laufen läßt, tanzt man zumindest nicht mehr unmusikalisch oder 'gegen die Musik'. Ein wirklich musikalisches Tanzen folgt aber insgesamt der Musik, und hier hat auch der Aufbau der jeweiligen Phrase seinen Einfluß. Wenn man diese Elemente verinnerlicht hat (und das muß ja keinesfalls auf diesem analytischen Weg erfolgen, der lediglich uns 'verkopften' Diskutierenden hier eine Hilfestellung bietet), fällt es meiner bescheidenen Meinung nach leichter, 'die Musik zu tanzen', also in seinen eigenen Führungsstrukturen die Musik zu reflektieren. (Übrigens kann sich auch bei Folgenden die Musikalität zumindest darin zeigen, daß sie erkennen, wo eine Pause oder Verzögerung ihnen Raum für eigenständige Verzierungen gibt und wo sie damit die Struktur der Musik durchbrechen und damit ihre Führenden in Verlegenheit bringen.) Und zuletzt noch einmal sinngemäß das, was ich auch beim letzten Mal gesagt habe: es ist völlig unsinnig, eine solche detaillierte Analyse (ob nun mit Musiktheorie im Hintergrund oder rein vom Hören her) bei jedem Tango oder gar auf der Tanzfläche ablaufen zu lassen. Sich aber einmal bewußt an einigen Stücken mit diesen Elementen auseinandergesetzt zu haben, kann aber helfen, die entsprechenden Strukturen auch beim Tanzen unbewußt wahrzunehmen. (Und wer mag, kann ja auch tatsächlich einmal zu zwei oder drei Stücken eine auf den Strukturen basierende Choreographie für sich und seine Folgende entwickeln - diese Übung halte ich aber nur für schon recht fortgeschrittene Tänzer für sinnvoll, da ein Denken in Choreographien ansonsten für das soziale Tanzen eher hinderlich ist.)

...

Daniel hat gesagt…

...

und zu guter letzt

@Thomas:

Eine beliebige Verlängerung wirst Du eher nicht finden, denn gerade für das Tanzen ist das gar nicht erwünscht (ich erspare mir hier einen Exkurs zum Aufbau einer traditionellen Milonga, dazu findest Du mit etwas Suchen im Netz genug Informationen). Und es würde mich auch wundern, wenn die Schallplatte der entscheidende Faktor für die Länge gewesen wäre. (Ob wohl nicht eher die typische Länge der frühen Platten durch die Länge typischer Vortragsstücke, die sich auch über die Genres hinweg vielleicht gar nicht so sehr unterschieden haben mögen, beeinflußt war? In die Entscheidung für einen bestimmten Durchmesser und eine bestimmte Abspielgeschwindigkeit als frühes 'Standardformat' dürfte dieser Faktor sicher zumindest eingeflossen sein...)

Diese 'Klavierauszüge' der Tangos folgten ihren eigenen Konventionen, die sicherlich z.T. darauf zurückgehen, daß sie sich nicht in erster Linie an die Profi-Orchestermusiker richteten, sondern der einfache Weg waren, die Musik und ggf. den Text eines Tangos einem breiteren musikalischen Publikum zugänglich zu machen. Dabei ist in der rechten Hand meist auf die Erkennbarkeit der Melodie geachtet (wenn ein Text vorlag, war dieser normalerweise dabei, üblicherweise am Ende der zweiten Seite), und die Begleitung in der linken Hand beschränkt sich auf eine eher einfache Ausgestaltung der Harmonien am jeweiligen Grundrhythmus entlang.

Der hier besprochene Tango hat allerdings die typische Rondo-Form ABACA (dies ergibt sich auch aus dem Klavierauszug, denn am Ende findet sich ein D.C., d.h. Da capo, das auch ohne expliziten Hinweis in diesem Fall ebenso am Ende des A-Teils beendet worden sein dürfte wie es auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts längst Konvention war, die Wiederholung des ersten Teils zu ignorieren.), was zumindest bis in die 1930er die klassische Form des Tangos war und auch in den Orchesterversionen wahrscheinlich die häufigste (die Einspielung von Rodríguez, auf die ich im weiteren nicht eingehe, wandelt hier allerdings auf die in den Orchestern ebenfalls häufige Form ABCABC ab, wobei die Übergänge insbesondere am Ende des B-Teils gegenüber der anderen Fassung natürlich entsprechend modifiziert sind; B in diesem Fall dort dann jeweils nur mit 8 statt 16 Takten.) Nur der "Tango canción" hat grundsätzlich keinen Teil C mehr, sondern nur noch sich abwechselnde A- und B-Teile; dort haben wir dann in der Orchesterfassung meist zusätzliche Wiederholungen VOR den Partien mit Gesang (diese Thematik ist auch in vergangenen Wochen schon manchmal angerissen worden)..

Übrigens waren diese Klavierversionen üblicherweise ein Doppelblatt, also ein auf ca. A4 gefaltetes Blatt doppelter Größe, innen die Noten, vorne eine hübsche Titelseite und auf der Rückseite meist Werbung; tw. gab es aber auch doppelseitige mit Noten versehene Bögen, die dann einen weniger bekannten Tango enthielten, dessen Noten sich vielleicht einzeln nicht so gut verkauft hätten.

In ähnlicher Form gab es auch fertige Sextett-Partitionen, die nach ähnlichen Prinzipien 'vereinfacht' waren, d.h. sie richteten sich auch eher an nicht- bzw. halbprofessionelle 'Kammerorchester', und die Partien (Klavier als Lead, 2 Violinen, 2 Bandoneons, Kontrabaß) waren deutlich leichter zu spielen als das, was man von den 'Großen' zu hören bekäme. (Und sie waren zudem so arrangiert, daß auch mit weniger Instrumenten noch ein halbwegs 'runder' Klang herausgekommen sein dürfte.) Bei universelles.fr sind immer noch Nachdrucke erhältlich.

Anonym hat gesagt…

Ich finde das hier ganz hinreissend! Mehrmals habe ich versucht, das alles zu verstehen und ich muss es wahrscheinlich noch ein paar mal lesen. Trotzdem ist mir schon jetzt klar, wohin mein Weg im Tango gehen wird: Wieder zur Musik!

Ich möchte mich beim Autor und allen Kommentatoren für die Mühen bedanken.

Großartig!

Anke

Chris hat gesagt…

Theorie und Praxies, viel Spaß beim Üben und Tanzen ...:-)

Christian Tobler hat gesagt…

@ alle,

Teil 1: Ob während der EdO live improvisierend oder nach vorheriger Absprache verlängert wurde ist eine interessante Frage, die neugierig macht. Die sollte man einem noch lebenden Zeitzeugen der goldenen 40er stellen. Alberto Podesta, der damals in erster Linie bei Calo, di Sarli und Laurenz unter Vertrag stand, ist der letzte noch lebende Megastar unter den Sängern der EdO. Er kann diese Frage aus ersten Hand beantworten. Podesta ist eine grossartig Persönlichkeit, hat keinerlei Star-Allüren. Ist jemand unter den Kommentatoren jetzt oder demnächst in Bs As und bereit das zu klären und die Podestas Antwort hier zu posten?

Thomas und Daniel stellen und ziehen dazu unterschiedliche Fragen und Schlüsse. Der eine mehr auf Grund seiner Musizierpraxis, der andere mehr auf Grund der Musikstruktur, falls ich das richtig interpretiere. Da ich den einen persönlich kenne, wir schon oft stundenlange Gespräche zu solchen und ähnlichen Themen geführt haben, und den anderen nicht, könnte es sein, dass ich das falsch einschätze.

Es gibt aber weitere Fakten, die Rückschlüsse erlauben: Kenntnis über die damals eingesetzte Aufnahmetechnik zB. Ich vermute, dass nicht verlängert wurde, weil sämtliche Radioaufnahmen der EdO, die ich bisher hören konnte, sich am Arrangement der Studio-Aufnahme orientieren. Im Radio war die durch das Medium Schellack/78er gegebene Längenbeschränkung von gut 3 Minuten bei 10 Inch, gut 4 Minuten bei 12 Inch ja nicht gegeben. Meist wurden Tangos übrigens auf 10-Inch-Platten veröffentlich, mit einer maximalen Spieldauer von 3 Minuten und 40 Sekunden.

Wenn ein Tango für eine Radioübertragung damals 6 anstatt 2 Minuten gedauert hätte, wäre die vorhandene Technik kein Problem gewesen. Denn sehr oft wurde live gesendet. Entscheidend ist zudem, dass Radiostationen das schon damals dokumentieren konnten. Denn bereits in den 30ern hatten Radiostationen ein Speichermedium, welches Aufnahmelängen von 15 Minuten zuliess: die Transcription Disc mit 16 Inch und 33 Touren.

Es gab zwei Arten dieser Platten: Einerseits mittels Pressung vervielfältigte, ab 1935 nicht mehr aus Schellack sondern aus Vinyl und damit klanglich efreulich gut. Unter anderem auch, weil es für die verwendete laterale Schneideschrift einen Schneidekopf mit besserer Höhenwiedergabe gab, als für die bei Consumer-Schellacks/78er verwendete vertikale Schneideschrift. Sofort spielbare, ab 1934 in Cellulose Nitrat geschnitten, wurden fälschlich meist Azetat genannt.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Sie konnten ein halbes Dutzend mal gespielt werden. Dann verschlechterte sich die Klanqualität rapid. Die Klangqualität beider Plattenmaterialien kam der einer LP sehr nahe, vorausgesetzt alle Komponenten –  Rohling, Schneidekopf, Schneidemaschine und Elekronik – waren von allerbester Qualität und der Tonmeister war tatsächlich ein Meister seines Fachs.

Die Vorläufer der Transcription Disc, Schellacks für das Kinoprojektionssystem Vitaphone, die gleich lang liefen wie eine 1000-Fuss-Filmrolle, waren übrigens auch nur für 10maliges Abspielen zugelassen. Dann wurden sie im Interesse der Klangqualität ersetzt, weil sie noch mit Stahlnadeln abgetastet wurden. Transcription Disc wurden dagegen spätestens ab 1940 mit modernen Tonabnehmern mit Diamantnadeln abgetastet.

Mit Ausnahme von Deutschland (ab 1941/42 vereinzelt) gab es Bandgeräte in Radiostationen und Aufnahmestudios erst ab 1948. Davor war alles, was gesendet wurde entweder live gespielt, oder von eine Transcription Disc gesendet. Allerdings wurde diese Technik lange von Musikergewerkschaften versucht auszugrenzen. In den USA zB war in Radiostationen jahrelang nur Gewerkschaftsmusikern gestattet, einen Plattenspieler zu bedienen. Ob es solche Absurditäten auch in Argentinien gab, habe ich bis heute nicht heausfinden können.

Natürlich habe ich bisher nur wenige Konserven von Radioauftritten aus der EdO hören können. Trotzdem wäre es ein eigenartiger Zufall, wenn ausgerechnet auf all diesen Aufnahmen nicht improvisierend oder nach vorheriger Absprache verlängert wurde. Ich vermute daher, dass dies kaum gängige Praxis war. Zudem wäre es denkbar, dass die einzelnen Gran Orquestas das damals unterschiedlich gehandhabt haben. So was konnte wohl nur ein Orchesterleiter entscheiden.

Auf jeden Fall ist es toll, dass hier vermehrt vertiefende Diskussionen stattfinden. Ich hoffe sehr, dass sich dieser Trend anhält. Es wäre allerdings schön, wenn mehr Leser kommentieren, die vielleicht keine neuen Erkenntnisse beizutragen vermögen. Das Thema Tanzen im Rahmen musikalischer Phrasen ist essentiell und brandaktuell. Trotzdem wüsste man als Verfechter solcher Schwerpunkte gerne, was so eine Diskussion bei Tänzern auslöst. Oder wohin die Diskussion gehen soll, damit der Themenkomplex für Tänzer verständlicher wird.

herzlich - Christian

bird hat gesagt…

Hi Christian und alle anderen,

ich brauch etwas mehr Zeit als sonst, um zu Antworten oder Fragen zu formulieren, weil ich eure Texte und Ideen oder Erklärungen mehrmals Lesen muss, sacken lassen muss und dann z.B. an dem von cassiel vorgeschlagenen Beispiel Nachhören muss und auch das muss ich mehrmals, bevor ich wenigstens entwas von euren Anregungen erkenne, höre, verstehe.
Lasst euch bitte nicht abschrecken auch ich finde dieses Thema hochspannend und interessant und kann allen die hier was Erklärendes dazu schreiben nur von Herzen danken !

Eine Frage hätte ich an euch. Ihr, die ihr hier zu diesem Thema schreibt seid ja meistens in der führenden Rolle. Vermeidet ihr Tänze mit Frauen die diese Musikalität nicht haben oder nicht umsetzten können oder wie geht ihr damit um ? Die Milonga ist ja kein Unterricht und Kurse über einen etwas längeren Zeitraum für Musikalität gibt es schier nicht. Offene Übungsabende gibt es auch sehr wenige und das Üben dieser Musikalität, wenn man es übt, weil man es noch nicht kann, braucht viele Wiederholungen. Hat mit den mir bekannten Übungsabenden nichts zu tun. Ist etwas völlig anderes. Als Paare ist das noch eher hinzukrigen, nämlich zu Hause. Für Singles oder jemanden dessen Partner nicht tanzt ist das schon eine Ecke komplizierter.

KlausPP hat gesagt…

Hallo @Bird und alle anderen. Auf Deine Frage: Ich finde, wenn sich die Damen gut führen lassen und sicher in der Achse stehen, dann ist es kein Problem, wenn sie in Musikalität ungeübter oder einfach nicht so musikalisch sind. Das wird dann schon.

Es gibt ja auch den umgekehrten Fall, dass die Geführte dem Führenden bei der Umsetzung der Musik in den Takt (nach)hilft. Das ist sicherlich etwas schwieriger umzusetzen als mein Job.

Ich muß noch was korrigieren. Mir ist klar geworden, dass das was ich weiter oben geschrieben habe falsch war:
"Seitdem ich meine Beine halbwegs gesteuert bekomme ... tanze ich nur und ausschließlch musikgesteuert".
Meine Beine bekam ich eigentlich immer schon halbwegs gesteuert (seitdem ich laufen kann). Die Herausforderung ist eigentlich die Beine der Geführten halbwegs gesteuert zu bekommen und in die Musik zu setzen.

@Bird. In der Vorwoche hast Du PacoDaCapo gefragt, wie er das mit dem Chromatischen bei "Toda mi Vida" gemeint hat. Hat er ja leider nicht beantwortet.
Ich finde an dem Stück etwas ganz anderes faszinierend oder tänzerisch herausfordernd. Das sind die 3-3-2 Parts (ich drösel das Stück jetzt nicht in Phrasen auf) die z.B. bei 0:43, 1:41 und 2:39 einsetzen.
Ich versuche (wenn mich das Stück auf der Tanzfläche ereilt) und was nicht immer klappt, die 3-3-2 Rhythmik in Rückwärtsochos oder auch einfach nur ins Gehen einzubauen.
Wenn's klappt, dann hat das eine wunderbare unregelmäßige Dynamik und ich habe dann mit der Dame einen großen Spaß.
Wenn's nicht klappt (schlecht geführt oder sie hat's nicht kapiert), dann sehen wir aus wie Anfänger, die den Takt nicht halten können ;-)

PacoDaCapo hat gesagt…

Doch, lieber Klaus, darauf bin ich eingegangen. Und zwar in der Kommentarspalte zu Araca la cana, das Ganze durchaus auch eine Antwort auf Deine Kommentare. Ich habe ja versucht, eine zu orthodoxe Definition von einer "Phrase" etwas zu korrigieren mit Hilfe von Wörterbuchdefinitionen. Dabei ["chromatisch"] ging es aber um Naranjo en flor und die typischen chromatischen „Umspielungen“ im Refrain. Toda mi vida ist eine Beispiel für chromatische (Halbtonschritt-) Tonfolgen in der Melodie, während dies zur Ornamentierung von Variationen aller Instrumente, der Bandoneons, Geigen oder auch Gitarre (besonders bei Grela!) ja sehr typisch ist und oft, eigentlich immer, vorkommt. Im Tango der Alten Garde dagegen wird noch öfter mit plakativen Dreiklängen, breiter, gearbeitet, diese Melodien haben eher noch einen Volksmusikcharakter als – am wenigsten- einen Chanson- oder gar Jazz-Sound. Beispiel Re Fa Si, dieser Titel verrät sogar die Tonfolge des Dreiklangs! Oder ein Tango, der mit der „Koberer“- Melodiefolge eines Klarinettisten spielt, dieser blies eine einfache und erkennbare Tonfolge als Werbemelodie für sein „Etablissement“ , um die Passanten in den Schuppen zu locken. Dieser Mann beispielsweise war Juan Carlos Bazán, und man identifizierte ihn mit seinem eigenen musikalischen Erkennungszeichen. In dem tango mit seiner Tonfolge setzte man ihm musikalisch ein Denkmal. Heute würde man dazu sagen: Werbe-Jingle! Wer jetzt nicht weiß, was ein Koberer ist, war sicher noch nicht auf St. Pauli nachts um halb eins unterwegs…

Ich gehöre zu denjenigen, die das Tanzen aus der Empfindung befürworten, der ganze Kopfballast kann, aber muss ja nicht… Und ich habe schon mit sehr angenehm und leicht zu führenden Frauen getanzt, die von irgend jemandem schon mal als unmusikalisch hingestellt worden waren und dies als eigenes Vorurteil immer bei sich führten! Wie schade und was für eine Grobheit, das jemandem zu sagen und ihn damit zu entmutigen. Das geht gar nicht. Wenn man allerdings etwas ganz gezieltes will, was natürlich von niemandem geahnt werden kann, muss man so gut führen – das heisst also vorausdenken und rechtzeitig führen – dass es klar wird. Das kann beim ersten Mal dann evtl. auch noch nicht klappen, aber beim zweiten oder dritten Mal vielleicht wird es dann ganz deutlich, was gemeint ist. Die 3/3/2 –Patterns haben in manchem Tango als Rhythmische Abwechslung ihren Platz und erinnnern an die Milonga campera, man kann diese „Figur“ (rhythmisch gesehen, eine „Clave“ oder Pattern) natürlich tanzen.

PacoDaCapo hat gesagt…

Um es für bird noch einmal deutlich zu formulieren: Es ist eine gewisse Hürde und kostet etwas Überwindung von Selbstzweifeln und Skepsis, "blind" d.h. ohne feste Verabredung zu Milongas zu gehen. Aber genau das hilft dabei, einfach vielfältige Erfahrungen zu sammeln, wie sich das Tanzen mit völlig fremden und unerwarteten Tanzpartnern anfühlt. Ich finde, der Anlauf ist vielleicht lang, aber man hat auch lange etwas davon, d.h. später, wenn das Tanzen zum Genuss wird, kann und soll und kann man es lange praktizieren, ohne Altergrenze...

Und zusätzlich -meist vor den Milongas - die Practica ausnutzen, denn da kannst Du wirklich experimentieren und Dinge wiederholen, auch mal nachfragen.

Das ausschliessliche Fixieren auf einen - eigenen - Partner halte ich eher für weniger wünschenswert, weil man sich leicht gewöhnt an etwas, was nicht richtig sein muss. Besser ist ein Überraschungsprogramm. Man sollte auch frech sein und auffordern.

cassiel hat gesagt…

PacoDaCapo:

"[...] Man sollte auch frech sein und auffordern."

... aber bitte per Cabeceo! (Auch als Frau!)

Das wäre mir wichtig. Insofern bitte ich meine Intervention zu verstehen.

:-)

bird hat gesagt…

Erstmal lieben Dank für die ausführlichen Antworten.
Das hier Lesen zeigt erste Wirkung, bei mir jedenfalls. Vorgesternabend, auf der Milonga, habe ich mich dabei ertappt, wie ich plötzlich, als ich saß und zuschaute, die Musik in Phrasen hörte, ohne mir das vorgenommen zu haben. Einfach toll, ich danke herzlich für diese anregende Diskussion !

Klaus PP
Werde mir deine Anregung anhören, sowie ich das mit PacoDaCapo´s Anregung auch gemacht habe.

PacoDaCapo,
entschuldige, dass ich dir nicht für deine Antwort gedankt habe. Angekommen ist sie auf jedenfall.

Anonym hat gesagt…

Wo bleibt der nächste Artikel?

KlausPP hat gesagt…

Lieber @capodacapo, da hast Du recht, da habe ich etwas überlesen, aber eigentlich habe ich das gar nicht mehr alles gelesen, sondern einfach nur nach "chromatisch" gesucht. Nicht ahnend, dass du plötzlich stattdessen von Halbtonfolgen ;-) schreibst.

Das bringt mich zu einer kleinen Stilkritik meiner Mitkommentatoren.

@ALLE
Im Moment gibt es eine Tendenz zum 3-fach gesplitteten Kommentar, zu einer ausufernden, alles erklärenden Ausführlichkeit.

Als Smartphone, ICE, U-Bahn, Bus und (manchmal mit einem Auge) Jobleser überfordern mich diese kleinen Bleiwüsten. Natürlich habe ich mir selber auch elitärere Diskussionen gewünscht, aber bitte kürzer und prägnanter.

Klaus

cassiel hat gesagt…

@bird

Schön!!!


@anonym

Nur Geduld! Ich kann die Beiträge hier nicht einfach so rausballern, das kostet (mich jedenfalls) Zeit und Mühe...

@KlausPP

Ich bin da anderer Meinung und möchte bewußt keine Vorgaben bezüglich der Länge von Kommentaren machen. Wer hier kommentiert hat sich Gedanken gemacht und es ist m.E. sekundär ob er diese in einem 2- oder 3-teiligen Kommentar hinterlässt. Jedem steht es frei, hier zu lesen oder es eben sein zu lassen. Manchmal ist es eben nicht kürzer zu erklären...

Lieben Dank für alle Anmerkungen... und das zu einem Thema, das nun wahrlich kein Kassenschlager ist. :-)

bird hat gesagt…

Hi @,

habe nochmal eine Frage an die, die musikalisch versierter sind.
Was macht den Unterschied aus (musikalisch, rhythmisch, instrumental ... ) zwischen einem Walzer und einem Vals ?
Das Canaros Vals "Amor Y Primavera" von 1935 viel stärker an den Walzer ganz allgemein angelehnt ist, höre ich zwar aber erklären, wieso das so ist, könnte ich nicht.
"Con Tus Besos" von Edgardo Donato von 1938 z.B. hört sich, jedenfalls für mich, mehr nach Vals an.
Vielleicht aber stimmt das auch gar nicht und ist das eine ebenso ein Vals wie das andere ?

PacoDaCapo hat gesagt…

Hallo bird,

es gab eine wunderbare Dokumentation auf arte, leider kaum wiederholt, über den Walzer und seinen Export aus Wien, Teil 2 spielte in Paris und Teil 3 in Peru. Aus diesen 3 Perspektiven konnte man plastisch vieles lernen, obwohl nicht ausdrücklich auf den kreolischen Walzer [= Tango-Walzer oder Vals cruzado] eingegangen wurde. Als Musette-Walzer wurde der Wiener Walzer, nach Frankreich exportiert, schon einmal sehr schnell und erreichte spielend Werte von über 160, meist sogar 18 oder gar 200 BPM. Das ist ein Tempo, das es nur erlaubt, den Taktschlag 1 zu tanzen. Im Wienerwalzer ist das Tempo noch vglw. so geruhsam, dass man dazu 1-2-3 tanzt.

Konkret zu dem Donato-Walzer von Domingo Rosa: Ein Taktell / Metronom kann ich ziemlich genau bei 69 BPM zur Übereinstimmung bringen, das bedeutet einen Wert von 3 x 69 Schlägen, also 207 BPM!

Im Vergleich dazu der Canaro-Walzer, der von einem Salonwalzer aus dem 19. Jahrhundert "entlehnt" sprich geklaut worden ist, Amour et printemps von Émile Waldteufel, einem französischen Kapellmeister, der zwischen Klassik und Unterhaltungsmusik, also den Schubladen U- und E-Musik, angesiedelt ist.

Hier hat man ein schnelles Wienerwalzer-Tempo vor sich, etwas geruhsamer zu tanzen auf die "1", kein Vals criollo also, sondern ein europäischer Salonwalzer. Nicht instrumentiert von einem Streicherensemble oder Salonorchester, sondern eben von einer Tangoband. Viel langsamer als der Donato ist er allerdings nicht: In BPM etwa 190, er klingt etwas "fliessender", das kann nur das etwas langsamere Tempo sein.

PacoDaCapo hat gesagt…

Kann leider den Kommentar nicht editieren! Korrektur: BPM [=Beats per minute, wird von vielen DJing-Programmen angezeigt] in dem Rahmen von 160, 180 bzw. 200, da fehlte eine "Null".

bird hat gesagt…

Hi PacoDaCapo,

herzlichen Dank für deine Antwort.
Ja, schade, die Dukumentation auf arte würde ich mir gerne anschauen.
Vielleicht kommt das ja mal wieder.
Mit deinen BMP hast du mich etwas verwirrt, sind doch beide "Vals" diesbezüglich sehr ähnlich, also kein großer Unterschied oder habe ich das völlig falsch verstanden ?

PacoDaCapo hat gesagt…

Der Film hiess "Walzer - Tagebücher", Wien, Paris, Lima und wurde schon 2009 gezeigt. Damals keine Wiederholungen, aber ich bin sicher, der Film ist bei einem Themenabend "Tanz" auf 3sat wieder gezeigt worden. Auf der arte-Website ist ein Abriss zu lesen; die Regisseurin war Patricia Plattner.

raimund w. hat gesagt…

@bird: 332-er-Rhythmen sind speziell und vermitteln einen ganz eigenen Groove. Wenn das aber nicht exakt geführt und wahrgenommen wird, kann es sich schnell -wie von dir beschrieben-einfach "falsch" oder "nicht in der Musik" anfühlen. Dazu ein paar Tipps:
Wenn man einen 4/4-Takt in 1/8-Einheiten zerlegt und so zählt: 1+2+3+4+ ergeben sich für einen Takt 8 "Momente" in denen ein Schritt gesetzt werden kann. Im 332-er Rhythmus sind das die 1, die 2+ und die 4. Der Knackpunkt an der ganzen Story ist die 2+. Diese Synkope erzeugt den Groove, ist schwer zu führen und liegt sehr nah bei der 3, weshalb das knackig, eindeutig und klar geführt sein muss.
Das übt man am besten mit einem Stück, welches nicht nur in einigen kurzen Takten sondern durchgehend in diesem Rhythmus gespielt wird.
( Narco: El Aire en mis manos / Narco: Como si / Otros Aires: Barrio de Tango / Milonga Triste (Tango Lesson)
Lass für den Anfang einfach die 4 weg und setz' pro Takt nur 2 Schritte auf die 1 und die 2+. Das macht alles etwas gelassener und der "Groove" der durch die verschobene Betonung auf 2+ entsteht, ist trotzdem deutlich spürbar. (Ich tanz das so, wenn das Stück sehr schnell ist wie z.B. Lydie Auvray, "Tango terrible" ) Bei einem langsamen Stück wie "El Aire en mis manos" kann man dann die Betonung auf 4 wieder dazu nehmen und volle 3 Schritte pro Takt tanzen.

Das Vorziehen der Betonung von 3 nach 2+ beschleunigt die Bewegung. Ebenfalls sind die beiden Betonungen 4 und 1 schnelle Momente eines solchen Rhythmus'. Das erzeugt auf jeden Fall den Eindruck von Beschleunigung und Dynamik. Deshalb zum Üben noch eine 2. Variante, diesen Rhythmus umzusetzen:
Einfach die 2+ vollständig weglassen und über längere Strecken nur die 4 und die 1 tanzen. Auch das ist dynamisch und erzeugt Geschwindigkeit in der Bewegung. Das Problem mit der etwas schwierigeren 2+-Betonung wird galant umgangen.

bird hat gesagt…

Hallo raimund,

ganz herzlichen Dank für diese, deine Beschreibung, die sich mir beim Lesen rythmisch aufgetan hat.
Das werde ich praktisch probieren und so, vielleicht durch die Bewegung, den gehörten Unterschied verstehen lernen.