Freitag, 30. Januar 2015

Der Tango innerhalb und außerhalb der Milonga und die Spieltheorie

Ich habe viel nachgedacht und nun versuche ich einmal, meine Überlegungen in einem Artikel schriftlich zu fixieren. Bevor es aber losgeht gibt es hier eine eindringliche Warnung: Der folgende Text hat den Status „Work in progress“; es sind Überlegungen, die vielleicht sogar auf den ersten Blick sehr wenig mit dem Tango zu tun haben. Leserinnen und Leser, die schnelle Lektüre und eine hohe Faktendichte erwarten, werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit enttäuscht sein. Deswegen meine ausdrückliche Warnung vorab: Wer sich nicht auf ungewöhnliche, höchst subjektive Gedanken einlassen kann oder will, wer nicht etwas nachdenken möchte und wer es nicht aushält, dass dieser Artikel in letzter Konsequenz keine Antworten gibt, sondern im Optimalfall nur neue Fragen produziert, der sollte einfach auf die Lektüre verzichten. Allen anderen versuche ich meine Gedanken einmal aufzuzeigen und bin gespannt, welche Reaktionen, andere Ansichten und weiterführenden Gedanken, ich in Anmerkungen vielleicht noch lesen werde.

Vorbemerkungen

Im Zusammenhang mit meinem vorletzten Blogpost (einige Gedanken zum Jahreswechsel) habe ich noch einmal in dem wunderbaren Podcast alternativlos.org von Frank Rieger und Fefe gestöbert. Es ging um die Frage, wie sich die Kommentarkultur im Internet gewandelt hat. Der Podcast Alternativlos behandelt in unregelmäßig erscheinenden Ausgaben gesellschaftliche Phänomene und die beiden Autoren unterhalten sich jeweils mit einem Gast über ein entsprechendes Thema. Ich will jetzt nicht auf die Erkenntnisse zum Wandel der Diskussionskultur im Internet näher eingehen (Interessierte können sich die Folge 31 zu diesem Thema anhören). In diesem Zusammenhang fiel mir dann auch die Folge 29 mit dem Gast Frank Schirrmacher zum Thema Weltbildmanipulation auf. Ich lud mir die knapp 2 ¾ Stunden lange Folge herunter und hörte sie in der letzten Woche während der Hin- und Rückfahrt zu einem etwas entfernter gelegenen Tangokurs. Ganz grundsätzlich finde ich die Auseinandersetzung mit neuen, möglicherweise zunächst auch eher unhandlichen, Gedanken immer spannend. Und dann erlebte ich in der Folgezeit den Verlauf der Diskussion zum letzten Gastbeitrag: Fotografieren im Tango. Ich hatte aber im Hinterkopf den Gedanken der Entscheidungs- bzw. Spieltheorie aus der Unterhaltung von Frank Rieger und FeFe mit Frank Schirrmacher, dem leider sehr früh im letzten Jahr verstorbenen Leiter des Feuilletons und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Entscheidungs- und spieltheoretische Modelle sozialer Interaktion

Natürlich kann ich hier nicht die komplette Folge des Podcast wiedergeben, aber in groben Zügen möchte ich einmal die Entscheidungs- und die Spieltheorie vorstellen und kurz skizzieren, wie diese Methoden benutzt wurden und werden um soziale Interaktionen abzubilden. Um es vorab einmal deutlich zu sagen, der Blick durch die wissenschaftliche Brille verhilft zwar zu einigen Erkenntnissen bei der Einschätzung von Situationen, für das Modellieren von Strategien reichen diese Theorien aber regelmäßig nicht aus - die Realität ist zu komplex. Vielleicht sollte hier noch erwähnt werden, dass die Hauptanwendungsgebiete für Entscheidungs- und Spieltheorie in der Vergangenheit zwei weniger populäre Umgebungen waren. Im Kalten Krieg wurde Strategien für den Umgang der Blöcke untereinander mit Hilfe der Spieltheorie entwickelt und ausprobiert und auch beim computergestützten Hochfrequenzhandel mit Wertpapieren sind die Entscheidungsalgorithmen nach spieltheoretischen Überlegungen konzipiert. Deswegen ist die Spieltheorie historisch betrachtet ideologisch vorbelastet.

Vielleicht hilft ein einführendes motivierendes Beispiel weiter: Der Klassiker der Spieltheorie ist das Gefangenendilemma (vgl. dazu auch den entsprechenden Wikipedia-Artikel). Das Problem wird immer wieder mit leichten Variationen beschrieben, hier wird die Version aus dem Interview wiedergegeben. Zwei Untersuchungshäftlinge werden wegen einer Straftat unabhängig voneinander verhört. Beide haben keinen Kontakt. Dabei hat jeder der Gefangenen zwei Optionen: Er kann schweigen oder er kann den anderen belasten. Schweigen beide zum Tatvorwurf, werden sie freigelassen. Belastet ein Gefangener den anderen, so bekommt der Belastete die volle Strafe, der Aussagende geht ungestraft nach Hause. Belasten sich die Gefangenen gegenseitig, bekommt jeder die halbe Strafe. Man kann nun mathematisch beweisen, dass die spieltheoretisch stabile Lösung dieser Situation eine belastende Aussage ist, obwohl der theoretisch günstigste Ausgang das (kooperierende) beidseitige Schweigen wäre. In diesem Beispiel werden für mein Empfinden schon die Grundprobleme bei spieltheoretischen Betrachtungen deutlich. In der Spieltheorie geht es um die Maximierung der individuellen Vorteile. Damit kann das bestmögliche Ergebnis bestenfalls utilitaristischen Maximen (größtmögliche Vorteil für eine größtmögliche Gruppe von teilnehmenden Personen) genügen.
Ein Sonderfall der Spieltheorie ist übrigens die Entscheidungstheorie. In der Entscheidungstheorie werden Situationen betrachtet, in denen der Entscheidungsweg unabhängig von Mitspielern untersucht und ggf. optimiert wird (z.B. Kreuzworträtsel oder Sudoku).

Die Spieltheorie unterscheidet verschiedene Umgebungen, für die reine oder klassische Spieltheorie (Zwei-Personen-Nullsummenspiele mit perfekter Information - z.B. Schach) wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Bedingungen formuliert, wann ein solches Spiel im Gleichgewicht ist. In den 50er Jahren formulierte dann der amerikanische Mathematiker John F. Nash sein Nash-Equilibrum der mathematischen Spieltheorie. Ohne jetzt in die Details zu gehen sei an dieser Stelle nur kurz skizziert, dass das Nash-Gleichgewicht dann erreicht ist, wenn eine Strategie-Änderung eines Einzelnen keinerlei Vorteil im Bezug auf sein Ergebnis bringt. Eine solche Situation wird häufig als stabil bezeichnet.

Und an dieser Stelle muss ich vielleicht der Vollständigkeit halber ganz kurz auf einen bizarren Sonderfall eingehen: Unter dem Stichwort Madman-Theory (auch dazu gibt es einen Wikipedia-Artikel) versuchte der damalige amerikanische Präsident Richard Nixon, im späten Vietnamkrieg, seine Gegner glauben zu machen, er wäre wahnsinnig und zum Einsatz äußerster Mittel bereit (inkl. des Einsatzes nuklearer Waffen). Er glaubte damit seinen Partikularinteressen mehr Nachdruck verleihen zu können. Die Strategie ging nicht auf, da die nord-vietnamesische Führung ebenfalls bereit war, bis zum Äußersten zu gehen. Eine solche nicht vorhersehbare Handlungsstrategie führt i.d.R. nicht zum gewünschten Erfolg (besonders dann nicht, wenn die Spielsituation stabil - s.o. - ist).

Das „Spiel“ Tango

Bevor man nun spieltheoretische Überlegungen zum Tango beginnt, ist es notwendig, die Dimension des „Spiels“ zu definieren. Und hier liegt die erste Unschärfe. Natürlich könnte man den Tango auf das Geschehen auf und unmittelbar neben der Tanzfläche beschränken. Die Erfahrungen und Eindrücke - gerade nach der Diskussion um den letzten Blog-Artikel - zeigen m.E., dass diese Sicht verkürzt ist. Das „Spiel“ ist wesentlich komplexer und findet einerseits synchron mit einem eingeschränkten Regelsatz in der Milonga statt. Andererseits gibt es neben dem Kerngeschehen ein erweitertes - meist asynchron betriebenes - „Spiel“ in sozialen Medien (allen voran ist sicherlich Facebook zu nennen), in Zeitschriften, Foren und auch in Blogs (prinzipiell gelten die Überlegungen natürlich auch für dieses Blog - allerdings mit einer kleinen Einschränkung: Als Blogger besuche ich keine Milongas, das mache ich nur als Privatperson).

In einem weiteren Schritt versuche ich nun (vollkommen wertfrei), mögliche Ziele zu benennen. In der Sprache der Spieltheorie wären es Werte der Auszahlungsfunktion: „Viele schöne Tandas mit einer Person (meiner Partnerin, meinem Partner)“, „Viele schöne Tandas mit möglichst vielen Personen“, „Anerkennung“, „Bewunderung“, „neue Aufträge (als DJ oder Lehrerin bzw. Lehrer)“ und … und … und … Dementsprechend werde ich mich in der konkreten Milonga-Situation auch so verhalten, dass ich meine Ziele erreichen kann.

Vielleicht ist schon an dieser Stelle klar geworden, welchen Vorteil wir für unsere innere Einstellung durch die Verwendung der abstrakten Ideen der Spieltheorie erzielen können. Wir müssen eigentlich nicht mehr werten. Die obige (offensichtlich unvollständige) Aufzählung möglicher Ziele zeigt schon, dass Menschen im Tango vollkommen unterschiedliche Dinge erreichen wollen. Und befreien wir nun noch den Begriff Egoismus von sämtlichen moralischen Konnotationen und verwenden ihn gleichsam als Terminus technicus für das Verhalten von Mitmenschen bzw. Mitspielern im Tango, dann wird klar, dass wir uns selbst eine Menge Ärger und negativer Gefühle ersparen können. Der Tango ist ein Spiel mit n Mitspielern, die alle eigene Vorstellungen von ihren jeweiligen optimalen, zu erreichenden Zielen mitbringen. Spieltheoretisch betrachtet wird eine soziale Umgebung dann stabil, wenn (gemäß des Nash-Equilibrums) eine Strategieänderung eines Individuums nicht dazu führen kann, dass er seine Zielerreichungschancen entscheidend erhöht.

abgeleitete Vermutungen

Und vielleicht erwähne ich auch noch eine weitere Vermutung von mir. Verschiedentlich werde ich mit finsteren Verschwörungstheorien konfrontiert. Es geht um den libertären Tangobegriff, wie er vielleicht noch vor 5 - 10 Jahren in Europa weiter verbreitet war. Vereinzelt trifft man im Tango Menschen, die jegliche Bestimmungen für ein ausgeglichenes Miteinander unter Hinweis auf den Freizeitcharakter des Tangos ablehnen. Vergesellschaftet mit dieser Einstellung trifft man bisweilen auch auf absurde Verschwörungstheorien: Finstere Mächte haben einen Masterplan ausgeheckt um diesem Tango europäischer Prägung den Garaus zu machen und die Anhänger eines derartigen Tangos werden gezwungen, sich in Geheimmilongas zu treffen (so z.B. auch in dem unsäglich schlechten offenen Brief von Annette Postel, der widerspruchslos in der TangoDanza vor einiger Zeit abgedruckt wurde). Nein, es gibt keine Verschwörung; nur den Trend, dass sich Mitspieler bevorzugt in stabile Situationen begeben. Deswegen - so meine Vermutung - verlieren Veranstaltungen, die nicht auf den Ausgleich von Individualinteressen bedacht sind, sondern eine größtmögliche Freiheit des Einzelnen als oberste Maxime vorgeben, immer mehr an Attraktivität und werden vermutlich irgendwann komplett von der Bildfläche verschwinden. Es gibt keine Tango-Freimaurer oder andere finstere Gesellen; das sind Hirngespinste von Zeitgenossen, die sich nicht damit abfinden können, dass sich der Tango weiterentwickelt.

Aber auch in der traditionellen Milonga, in der die überlieferten Sitten und Gebräuche gepflegt werden, gibt es manchmal Fälle zu beobachten, in denen Einzelne u.U. etwas schummeln um ihre eigene Situation zu verbessern. Grundsätzlich steht es ja jedem frei, so etwas zu probieren; die Spieltheorie ist frei von moralischen Wertungen. Und so gibt es die schleichenden Verbalaufforderer, die Cabeceo-Diebinnen, die Mehr-Tanda-Tänzer usw. Kurzfristig mag ein solches Verhalten die entsprechenden Akteure belohnen. Langfristig wird es sich - so jedenfalls meine starke Vermutung - nicht auszahlen. Untersuchen wir z.B. den schleichenden Verbalaufforderer: Seine Strategie, wie zufällig zu einer Tanguera zu gehen und sie in ein Gespräch zu verwickeln und beiläufig zum Tanz aufzufordern mag eine Zeit lang gut gehen. Ein solches Verhalten belohnt den Handelnden eine Zeit lang mit Zielerreichung und es gibt keinerlei Motivation für ihn, seinen Tango zu verbessern. Irgendwann (da bin ich mir ausnahmsweise ziemlich sicher) wird diese Strategie nicht mehr aufgehen. Die übrigen Tangueros in seinem Umfeld haben vielleicht in der Zwischenzeit kontinuierlich an ihrem eigenen Tango gearbeitet und sind so langsam aber stetig die signifikant besseren Tänzer geworden. Entweder ändert der schleichende Verbalaufforder nun seine Strategie (und belegt u.U. sogar Tangokurse um seine Ausgangslage zu verbessern), oder er wechselt in das Lager der Verschwörungstheoretiker und postuliert fortan die Ablehnung der Codigos. Aus diesem Grunde kann man solche (Mode-)Erscheinungen von beabsichtigten oder unbeabsichtigten Regelverletzungen in der Milonga deutlich leichter ertragen, wenn man mit diesen skizzierten spieltheoretischen Überlegungen im Hinterkopf das Treiben so mancher schummelnder Zeitgenossen beobachtet.

Natürlich gab es keine Spieltheorie in den Milongas in Buenos Aires in den 30er und 40er Jahren, aber die Milongueras und Milongueros haben bereits damals mit ihren Sitten und Gebräuchen im goldenen Zeitalter ein spieltheoretisch stabiles Sozialgefüge etabliert.

Die Erweiterung des „Spiels“ und die damit verbundenen Implikationen

Es wurde weiter oben bereits angesprochen, wir können unsere Betrachtungen auf die Tanzfläche und möglicherweise auf das Geschehen neben der Tanzfläche eingrenzen, wir können aber auch die Grenzen der Beobachtung weiter stecken. Ganz offensichtlich sind aber die Spielregeln in der Milonga und außerhalb der Milonga komplett unterschiedlich. Ich bin neulich über eine Facebook-Grafik gestolpert, die diesen Unterschied zwischen dem realen Leben und dem Verhalten in sozialen Medien überdeutlich gemacht hat.

„Ich versuche zur Zeit auch ohne Facebook neue Freunde zu gewinnen! Täglich laufe ich also auf die Straße und schreie um mich herum, was ich gekocht habe, was ich gegessen habe, was ich eingekauft habe, wo ich bin, was ich gerade mache, wie ich mich fühle … Ich stubse jeden an, der mir über den Weg läuft und gröhle laufend »Gefällt mir«. Nicht ohne Erfolg. Zur Zeit habe ich 3 Followers: 2 Polizisten und einen Psychiater!!! Nicht schlecht oder?“

Zitiert nach Kay One bei Facebook
Das Problem der divergierenden Verhaltensweisen bei FB und im übrigen Leben wurde auch noch einmal sehr schön in einem YouTube-Video aufbereitet.

Ja, es gibt Menschen, die bei Facebook unermüdlich an ihrem Erscheinungsbild im Tango feilen. Da gibt es vielfältige Werkzeuge: Zu nennen wären da beispielsweise die Like-machines, die High-frequency-low-relevance-publishers u.a.. Wenn die oben formulierten spieltheoretischen Grundlagen des Miteinanders im Tango Gültigkeit haben, dann ist klar, dass solche Verhaltensweisen dauerhaft keinen Erfolg haben können. Es mag für eine Übergangszeit funktionieren, aber darum geht es nicht. Langfristig führt eine Divergenz der online- und offline-Strategie zu instabilen Umgebungen und die werden von Individuen gerne gemieden. Also sind auch hier Langmut und Geduld sehr gute Berater. Es kann abgewartet werden, dass derartige Verhaltensweisen dauerhaft nicht funktionieren.

Zum Abschluss kann ich jetzt aus einem anderen Blickwinkel auf die Fotografie-Diskussion schauen. Ich muss nicht mehr zwingend die rechtliche Situation bewerten und entsprechend argumentieren. Unsensibele Fotografen und übereifrig veröffentlichende Veranstalter produzieren eine instabile Situation und die wird - so jedenfalls meine Erfahrung - irgendwann unattraktiv und wird dann in der Folge gemieden. Jede Intervention mit moralischen Imperativen ist daher - so meine ich zumindest im Moment - verfrüht und überflüssig.

12 Anmerkung(en):

KlausPP hat gesagt…

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Spielregeln hat gesagt…

Hallo Cassiel!Du stellst die Frage, ob die Leute in der Milonga Spielregeln anders handhaben als außerhalb. Nun,für mich ist eine Milonga auch erheblich ein Abbildung unserer Gesellschaft (oder umgekehrt:"La vida es una milonga").So benehmen sich viele Leute in der Milonga, wie auch in ihrem privaten Freizeit-Bereich, bewusst sozial (was ihnen im Berufs- und Geschäftsleben nicht immer gelingt).Ein kleinerer Teil nimmt es in der Milonga,in der Freizeit,auf der Autobahn nicht so genau - warum auch immer. So betrachte ich eine Milonga oft als "Weltkino im Kleinen" (und der Eintritt ist sogar noch niedriger als im Kino!)

Spielregeln hat gesagt…

Hallo Cassiel!Habe diesen Kommentar absichtlich von meinem vorhergehenden abgetrennt. Er hat auch keinen Bezug zu Blog-Teilnehmern oder zur Tango-Szene.

Ein Ergebnis (aus einem großen computerisierten Feldversuch) aus der Spieltheorie, das ich vor vielen Jahren las (in "Science"?)fand ich amüsant (Du kennst es wahrscheinlich): 2 Spieler hatten als in Verhandlung stehende "Geschäftsleute" jeweils die Wahl, den anderen Verhandlungspartner fair zu bedienen (korrekte Waren-Lieferung,korrekte Zahlung nach Waren-Erhalt,u.s.w.) oder zu betrügen (nicht liefern trotz Vorkasse,nicht zahlen nach Lieferung, u.s.w.).So wurden viele Tausende Transaktionen mit wechselnden oder den gleichen Partnern durchgeführt und von den Wissenschaftlern ausgewertet,welche mentale Haltung sich hinsichtlich des finanziellen gesamten Endgewinns(!)der einzelnen Geschäftstreibenden statistisch als die Erfolgreichste bewährte: Es war die Haltung "Wie Du mir, so ich Dir". Wie Du mit mir zuvor umgegangen bist, so mache ich es auch wieder mit Dir.
Ich hoffe, den Test aus der Erinnerung einigermaßen richtig wiedergegeben zu haben.
Gruß.

cassiel hat gesagt…

Vielen Dank für die Anmerkungen. 

@Spielregeln (ein passendes Pseudonym für die Diskussion :-) ) 
Vielleicht habe ich nicht sorgfältig genug formuliert. Mir ging es im Beitrag nicht primär um unterschiedliche Verhaltensweisen unterschiedlicher Menschen, mir ging es (gerade bei den Anmerkungen um das Verhalten innerhalb und außerhalb der Milonga) um unterschiedliche Verhaltensweise einer Person. Ich sehe da momentan bestimmte Zielvorgaben für die eigene Person als tiefere Ursache für manchmal seltsame Auswüchse (gerade bei Facebook).

Und zu dem Experiment, welches Du beschrieben hast: Nein, ich kannte das nicht; es gibt (gerade in der angelsächsischen) Literatur eine kaum übersehbare Zahl an Fundstellen. Ich will meinen Beitrag auch nicht so verstanden wissen, dass ich nun spieltheoretische Grundlagen als das Allheilmittel im Tango sehe. Der Vorteil ist bescheiden, wenn man sich auf die Gedanken einlässt. Man gewinnt „nur“ Gelassenheit. Ansonsten stehe ich utilitaristischen Ideen (größtmögliche Vorteile für eine größtmögliche Anzahl von Menschen) sehr kritisch gegenüber; ich halte das sogar für gefährlich (vgl. z.B. den Umgang mit der tibetischen Minderheit in China – die chinesische Gesellschaft ist für mich ein typisches Beispiel einer utilitaristisch organisierten Gemeinschaft). Ein „wie Du mir, so ich Dir“ im Tango halte ich ebenso für nicht zielführend; die Milonga würde zu einer Ver- bzw. Aufrechnungsgemeinschaft verkommen. Ich denke, ein wenig Großzügigkeit oder Großherzigkeit – gerade der erfahreneren Tanguer@s – bringt eine Gemeinschaft weiter. Das habe ich vielleicht im Artikel vergessen. Darf ich hier vielleicht noch einmal auf meine Ausführungen in Teil 2 meines Tango-Knigges verweisen?

Anonym hat gesagt…

Ich sehe es anders. Für mich ist das nicht geklärte Verhältnis von Profis und Amateuren die Hauptursache für manche Verwerfung im Tango. Wie im Text angesprochen, gibt es unterschiedliche Erwartungen an ein Erscheinen in der Milonga. Jeder will mitmischen. Das macht es anstrengend.

Austin hat gesagt…

Ich hab's nicht verstanden. Was ist die stabile Situation? Wenn eine Strategieänderung mir keinen Vorteil bringt? Kannst Du ein Beispiel machen?

haribold hat gesagt…

@Austin:
Du hast's nicht verstanden? Mach Dir nix draus. Cassiel hat's auch nicht verstanden!

@Cassiel:
Mein Bester, ich schätze ja Deinen Blog und hab lang überlegt, ob ich mich zu diesem Deinem - sorry- Vergaloppierer äußern soll.
Nun hab ich halt mal VWL studiert und versteh von dieser Materie mehr als vom Tango. Die Spieltheorie ist ein alter verbeulter Hut, erfunden von Mathe-Freaks, und hat noch nie brauchbare Ergebnisse geliefert. Warum? Weil weder ihre Annahmen noch ihre Rechenmodelle die jeweilige Realität adäquat abbilden. Also, sei so gut: Schreib weiter über Tango, aber lass doch bitte die Spieltheorie dabei außen vor! Dann verstehen es Austin und alle anderen auch wieder besser!

Nix für ungut, wie Du zu sagen pflegst.

cassiel hat gesagt…

[Hat leider etwas gedauert… Sorry] 

@Austin 

Klar, kann ich das noch einmal erklären. Im Text habe ich vielleicht nicht deutlich genug, den Begriff stabil erklärt. In der Spieltheorie geht man dann von einer stabilen Situation aus, wenn ein Mitspieler seine Chancen nicht signifikant erhöhen bzw. die Chancen seiner Mitspieler nicht deutlich schmälern kann, indem er seine Strategie ändert.

Überträgt man nun diese Idee eines Gleichgewichts auf die Situation in der Milonga (selbstverständlich mit gewissen Abstrichen), dann heißt das: Ein Teilnehmer in der Milonga sollte seine Chancen nicht entscheidend beeinflussen können, indem er beispielsweise seine Aufforderungspraxis ändert.

Für das Beispiel des schleichenden Verbalaufforderers habe ich im Text einmal skizziert, wie sich eine derartige Strategieänderung auf den Protagonisten auswirkt. Ich kann das aber gerne noch einmal an einem anderen Beispiel erläutern. Nehmen wir z.B. die Cabeceo-Diebin: Kurzfristig führt ihre Strategie möglicherweise zum Erfolg (aber auch das ist mit einem Risiko behaftet - in diesem YouTube-Video spricht Oscar Casas darüber, wie er sich in derartigen Situationen verhält - ab ca. 5'05"). Allerdings fällt ein solches Verhalten anderen Mitspielern auf. Je nachdem, wie sensibel sie solche Störungen im Sozialgefüge registrieren und entsprechend reagieren, kann sich eine solche Strategieänderung mittel- und längerfristig auch extrem negativ auswirken. Beobachte ich z.B. bei einer Tanguera ein solches Verhalten in einer Milonga häufiger, werde ich mit ihr nicht tanzen. Es interessiert mich nicht. Einmal kann es ein Missverständnis sein, kann man es ein zweites Mal beobachten, ist es möglicherweise ein dummer Zufall beim 3. Mal gehe ich von Vorsatz aus und ändere meine Strategie. Ich vermute stark, dass auch andere Tangueros das tun werden.

Es ist keine bewusste Bestrafung der entsprechenden Dame – ich sehe das eher als ein Sicherstellen der Chancengleichheit. Die Cabeceo-Diebin verursacht eine Instabilität gegenüber anderen Damen, die möglicherweise schon länger sitzen. Wenn ich vermeiden möchte, dass die anderen Damen frustriert werden (und möglicherweise zu Folgemilongas nicht mehr erscheinen), werde ich gegensteuern und diesem unerwünschten Verhalten dergestalt begegnen, dass es nicht zum beabsichtigten Erfolg führt. Damit habe ich einen Beitrag zu einer stabilen Situation geleistet.

@Haribold 
Schön, Du meinst also, ich hätte mich vergalppiert. Selbstverständlich ist das eine zu respektierende Meinung. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich nehme ja die Spieltheorie nicht so wörtlich, ich habe mir im wesentlichen den Begriff der Stabilität ausgeliehen. Wie bereits im urspünglichen Text geschrieben, ist die für ich zentrale Erkenntnis: Ich muss nicht werten. Natürlich kann es Menschen geben, die sich konträr zu den Spielregeln verhalten, ich gehe aber davon aus, dass sich eine solche Strategie längerfristig nicht auszahlt. Betrachtet man die Situation durch diese Brille, dann sind die leider immer wieder zu beobachtenden verbalen Kraftakte (Wahrheitseigentümer, Oberlehrer, Regelbewahrer usw. usf.) vollkommen überflüssig. Sie gehen an der Sache vorbei und sind m.E. eher der hilflose Versuch, die eigene Unwilligkeit bzw. Unfähigkeit, sich gemäß den Spielregeln zu verhalten, zu kompensieren. Ach ja: Das Alter einer Theorie sagt m.E. nichts über die Stichhaltigkeit, sonst dürften wir uns ja auch nicht mehr mit der aristotelischen Logik beschäftigen. :-) Aber das sage ich Dir ja nur als ehrenamtlicher Milonga-Hausmeister, mit Deinem VWL-Studium kann ich natürlich nicht mithalten.

Austin hat gesagt…

Danke. Was ich noch nicht ganz scharf habe, ist der Unterschied zwischen Strategie-Wechseln (die im stabilen System meine Position nicht verbessern) und anderen Wegen, meine Position zu verbessern.

Beispiel 1: Ich transpiriere stark, habe vor der Milonga immer 60 Minuten Spinning-Training, und weil Duschen so lang dauert, behalte ich mein Funktionsshirt in der Milonga an und dusche immer erst daheim. Mein optischer und olfaktorischer Eindruck ist entsprechend. Obwohl ich tanze wie ein Gott, reagieren die Damen nur zaghaft auf meine Cabeceos und ich bekomme viele Körbe. Fast keine Frau tanzt ein zweites Mal mit mir. Nachdem mir eine wohlmeinende Freundin erklärt hat, woran das liegt, erscheine ich fortan stets frisch geduscht und gepflegt gewandet. Nach einem Monat hat sich mein Standing dramatisch verbessert.

2. Ich bin schon lange unfreiwillig Single und wenn ich mit einer Frau tanze, habe ich es gern etwas enger; den Körperkontakt schätze ich beim Tango am meisten und eigentlich gehe ich nur deswegen zum Tango. Das sieht man meinem Tanzsstil an und immer weniger Frauen tanzen mit mir. Irgendwann sehe ich meinen Fehler ein und tanze nicht enger als nötig und respektiere den Wunsch meiner Partnerinnen, die Enge der Umarmung selbst bestimmen zu können. Dennoch bin ich in meiner Szene gebrandmarkt, ich kann machen, was ich will, alle Frauen, die mich von früher kennen, ignorieren mich weiterhin.

3. Ich tanze nicht besonders gut, aber mit Hingabe, ich schätze große Seitwärtsschritte auch mit kleinen Partnerinnen, die Ronda lehne ich als Institution ab, und es kommt schon mal vor, dass meine Partnerin einen Ellenbogen eines anderen Tänzers an den Kopf bekommt. Mein Erfolg hält sich in Grenzen. Nach sechs intensiven Wochen in Buenos Aires kann ich eine ganze Tanda auf einer Serviette tanzen, meine Partnerin beschütze ich mit meinem Leben und wenn Platz ist und nur dann, dann kann ich ein paar Schmankerln auspacken, von denen meine Partnerin nicht wusste, dass sie so was tanzen kann.


In allen drei Fällen ändere ich etwas an meinem Verhalten. Bei 1. werde ich vermutlich Erfolg haben, bei 2. nicht und bei 3. schon. All dies vermutlich in einem stabilen System. Wie passt das zusammen mit der Aussage, dass sich in stabilen Systemen meine Strategieänderungen nicht auswirken? Oder ist die Verbesserung des Marktwerts durch besseres Tanzen keine Änderung der Strategie im beschriebenen Sinne?

cassiel hat gesagt…

[1 von 2] @Austin

Wunderbar! Vielen Dank von Dir angeführten Beispiele. Bevor ich darauf eingehe, muss ich vielleicht eine Vorbemerkung machen. Ich wollte mit dem Artikel meinen Weg aufzeigen, wie ich aus diesem permanenten Werten im Tango herausfinden will. Das ist mir mit Hilfe des Umwegs über die Spieltheorie halbwegs gut gelungen. Natürlich habe ich den Artikel für Tanguer@s geschrieben – keinesfalls wollte ich eine vollständige und wissenschaftlich fundierte Einführung in die Spezialdisziplin Spieltheorie in meinem Blog abliefern. Es kann sein, dass ich Details zu stark gekürzt habe.

Um zu Deinen Beispielen zu schreiben muss ich jetzt etwas weiter ausholen. Ich habe im Text bewusst darauf verzichtet, die Spieltheorie noch differenzierter darzustellen. Es gibt natürlich unterschiedlichste Spiele, z.B. Schach als reines Strategiespiel mit perfekter Information (jeder hat zu jeder Zeit einen Gesamtüberblick über das Spielfeld), z.B. Poker als Spiel, in dem der Bluff zum wesentlichen Spielgeschehen gehört und als drittes Beispiel das Würfeln, wo der Zufall das wesentliche Element im Spiel ist. Weiterhin gibt es natürlich Mischformen: Mäxchen, Mensch ärgere Dich nicht, Monopoly und … und … und …
Auf diese Aspekte der Spieltheorie bin ich überhaupt nicht eingegangen.

In einem weiteren Schritt muss man (gerade auch beim grob skizzierten Gefangenendilemma) zwischen einem einmaligen Durchgang und dem mehrmaligen Spielen unterscheiden. Da werden nämlich dann auch Einschätzungen jenseits der reinen oder optimalen (m.a.W. stabilen) Strategie spielentscheidend – d.h. die Historie eines Spielgeschehens fließt in die Entwicklung der eigenen Strategie mit ein. (Wer es noch detaillierter mag , wird im Wikipedia-Artikel zum Gefangenendilemma fündig.)

Und eine letzte vorbemerkende Anmerkung zum Nash-Equilibrum: es geht bei diesem Phänomen um den Unterschied zwischen den Chancen. das bedeutet, eine Spielsituation ist dann stabil, wenn (bei etwa gleich verteilten Ausgangschancen) ein einzelner Mitspieler durch Änderung seiner Strategie sich selbst nicht einen signifikanten Vorteil verschaffen kann bzw. er die Chancen seiner Mitspieler durch eine Strategieänderung nicht wesentlich schlechter machen kann. Die erwartbare Gewinnauszahlung sollte in etwa gleich verteilt sein. Ich gebe zu, das klingt im ersten Moment sehr technisch und hart (für eigentlich tango-vertraute Ohren).

cassiel hat gesagt…

[2 von 2] Nach diesen Vorbemerkungen wird vielleicht klar, warum Deine Beispiele sich auch gut in eine spieltheoretische Betrachtung einbetten lassen. Aber vielleicht der Reihe nach:

zu 1: Ich denke, in der optimalen Milonga sollten die Chancen auf eine Tanda gleich verteilt sein. Wenn ein Mitspieler sich einen Startnachteil einhandelt, weil er in Funktionswäsche, die eher in das Fitnessstudio gehört, in der Milonga auftaucht, sein Verhalten später korrigiert und sich adäquat kleidet, dann widerspricht das für mein Empfinden nicht den obigen Ausführungen, er hat ja eigentlich nur seinen Startnachteil ausgeglichen und ist gleichberechtigter Mitspieler im Wettbewerb um die nächste Tanda geworden.

zu 2: Hier liegt der Startnachteil anders, vielleicht ist er von außen betrachtet weniger gut beobachtbar. Insofern denke ich, es dauert länger, bis sich nach einer Strategieänderung auch wieder die Chancen auf einen gerechten Mittelwert einpegeln. In dem oben verlinkten Wikipediaeintrag zum Gefangenendilemma steht (weiter unten), dass Computersimulationen gezeigt haben, die erfolgreichste Strategie ist ein „Tit-for-Tat“ ohne „Nachtragen“.

zu 3: Auch hier war – so wie ich Deine Zeilen gelesen habe – ein ursprünglicher Startnachteil. Wer so wild tanzt, dass seine Partnerin u.U. getroffen wird, der muss damit rechnen, dass sich dies nachteilig auswirkt.

Zu Deiner Abschlussfrage, wie Deine genannten Beispiele mit den Ideen zur stabilen Spielsituation zusammenpassen, muss ich vielleicht ergänzend anmerken, dass ich bei den Überlegungen zum Gleichgewicht von einer idealen Milonga mit etwa gleichverteilten Chancen ausgegangen bin. Das habe ich vergessen zu erwähnen. Natürlich gibt es Mitspieler mit den von Dir skizzierten „Startnachteilen“, die sie allerdings mit der Zeit ausgleichen können.

Ich hoffe, ich habe Deine Fragen beantwortet.

wolfgang_wi hat gesagt…

Im sozialen Tango laufen vielfältige Spiele ab - bei den meisten geht es um Rollen und Positionen, also weniger um konkrete Spielrunden mit festem Anfang und Ende. Die Spieltheorie ist, obwohl sie "Spiel" im Namen trägt, nicht das passende Werkzeug. Austin hat dies aus meiner Sicht auch mit ein paar schönen Beispielen unterlegt.

Ich würde "Spiele der Erwachsenen" von Eric Berne als Einstiegslektüre empfehlen. Ansonsten - ich finde die Komplexität und Vielfalt dieser Interaktionen - wozu durchaus aus das gehört, was auf diesem Blog geschieht - spannend, interessant und es sicher auch wert, beschrieben zu werden. Am besten auf respektvolle, poetische Art, im Sinn eines staunenden Reisenden, der auch Teil der Sache ist.