Samstag, 17. Oktober 2009

Was ich an Tangueras besonders schätze...

Zugegeben, mein damaliger Beitrag war äußerst pointiert und ich finde es auch nicht besonders höflich, nur negative Eigenschaften an Tangueras aufzulisten. Insofern war ich besonders überrascht und auch ein wenig erleichtert, als ich in der vergangen Woche diesen wundervollen Artikel bei Mari lesen durfte: Ein Aha-Erlebnis. Ich möchte die Überschrift Listening to the embrace etwas freier übersetzen: Die Präsenz in der Umarmung. Das ist endlich ein Begriff mit dem ich umgehen kann. "Führen" oder "Folgen" tritt für mich dabei in den Hintergrund. Es ist vielleicht viel mehr das Sich-Einlassen auf den Tanzpartner und das hat nur sehr wenig mit Technik oder Erfahrung im Tango zu tun.

Dieses fast bedingungslose Annehmen eines anderen Menschens für ein paar Minuten, eine Viertelstunde oder so, genauer: Dieses Annehmen meiner Person (und ich kann unglaublich kompliziert und nervös sein) bringt mich dann dahin, daß ich mich frei tanzen kann. Dann wird mein Tango gut.

Vielleicht sollte ich in diesem Zusammenhang mal einige Deeskalations-Strategien von Tangueras erwähnen, die ich so kennengelernt habe. Unvergessen bleibt eine Tanguera, die wohl mitbekommen hat, daß mich eine volle Tanzfläche mit einigen Remplern gestresst hat. Sie hat mir einfach ins Ohr gesummt. Eine Andere justierte ganz behutsam ihre Umarmung lehnte ihre Stirn sanft gegen meine Schläfe und legte federleicht ihre Hand erneut auf meine linke Schulter. Das gab mir dann irgendwie Sicherheit.

So ab und zu erwähne ich ja immer mal wieder meine Tango-Krise. Die gibt es hauptsächlich in meinem Kopf. Der muß jeden Tag im Arbeitskontext funktionieren und manchmal habe ich meine soliden Schwierigkeiten, diese Kurbelkiste zwischen Ohr und Ohr beim Tango ruhig zu stellen. Präsente Tangueras helfen mir dabei und dafür bin ich unglaublich dankbar.

8 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Sehr schön geschrieben; Cassiel! „Die Präsenz in der Umarmung“ ist eingängig und präzise. Und für mich stimmt Deine Beschreibung.

Habe das gestern Abend bei der einzigen Tanda des Abends bemerkt. Alle anderen waren seit Stunden eingetanzt, ehe auch ich mal die Tentakel bewegen durfte. Der erste Tanz: Oh Gott, ich hatte zu viel Prosecco! Hilfe, fremder Mann! Der Zweite: Ah, so meint er das, na, dann lasse ich ihn wohl mal machen. Der Dritte: Summsummsäuselsumm, hach, ist das alles schön hier … Was ich damit sagen will, am Anfang war ich weder bei ihm noch bei mir. Am Ende hatte ich schon das Gefühl.

Anonym hat gesagt…

War von Maris Beitrag eigentlich wenig begeistert, weil sie zu sehr die Suche nach dem Punkt betont, von dem aus der Mann führt - für mich völlig unerheblich. Ich gebe mich in der Umarmung hin und fertig. Technische Details sind dabei uninteressant. Um Technik gehts im Kurs oder Workshop, bei der Milonga geht es nur ums Feeling.
Wenn mir ein Tänzer(speziell ein sehr guter!)sagt, ich habe eine schöne Umarmung, dann empfinde ich das als ganz großartiges Kompliment

cassiel hat gesagt…

Danke für die Anmerkungen.

... und es stimmt: Die Frage: Wie weit oben bzw. unten die Führung stattfindet, verkürzt vielleicht die Betrachtung. Mir war diese Überschrift Listening to the embrace unglaublich wichtig. Auch der verlinkte Beitrag bei Tina ist lesenswert.

Schönes Wochenende allerseits!

[Ich werde mir mal wieder das Drei-Tage-Tango-Paket geben. ;-) ]

Anonym hat gesagt…

Anonym noch mal: jaaa Tinas Beitrag ist der treffliche!! Genau! Und das mach ich jetzt gleich in der Milonga! Ich glaube/hoffe, dass es den Herren gefällt :-))

cassiel hat gesagt…

Hmmm... wieder ein Tangowochenende hinter mich gebracht und ich lese meine eigenen Zeilen noch einmal und sie sind fremd und vertraut zugleich.

Am Freitag die unaufgeregte wöchentliche Milonga. Irgendwie fast schon ein Pflichttermin (wobei sich das Wort Pflicht nicht gut anhört) vielleicht ist es eine Art Routine im besten Sinne; etwas, was zum Leben gehört - vielleicht wie der Einkauf im Supermarkt, der Friseurbesuch oder etwas ähnliches...

Samstag ein Tangoausflug - nichts, was besonders spektakulär gewesen wäre. Für mich mal wieder ein Abend, der mich auf den Boden zurück geholt hat. Ich hatte große Schwierigkeiten, meinen Kopf abzuschalten und dann tanzte ich noch ausgerechnet mit einer meiner persönlichen Tangogöttinnen... Nein, es war wunderschön, aber ich habe einfach nicht meine Gedanken abschalten können (ich hatte den Eindruck, ich hätte Bleigewichte an den Enden meiner Beine und sie bewegt sich derartig anmutig, daß meine Versuche eher eine Beleidigung ihrer Kunst waren). In solchen Momenten denke ich, das wird nie etwas mit meinem Tango.

Heute war dann der ruhige Sonntag. Ich war viel an der frischen Luft: Herbst erleben, riechen, fühlen und spüren. Abends bin ich dann noch für eine Stunde zum Tango gegangen. Wieder Routine (und das ist überhaupt nicht wertend oder gar böse gemeint). Schnell ein wenig getanz und dann habe ich mich mit einem Freund zum Abendessen getroffen.

cassiel hat gesagt…

... und dann kam doch noch eine Zuschrift einer Tanguera per eMail...

Sie hat den Eindruck, sie werde von den Männern beim Tango missverstanden, wenn sie diese so umarmt, wie ich es in dem Beitrag beschreibe. Sie sucht die Verantwortung dafür bei sich selbst.

Leider konnte ich die Tanguera nicht überreden, hier einen Kommentar zu verfassen.

Nein, es liegt nicht an der Tanguera. Ich würde ein solches Mißverständnis eher den betroffenen Herren vorhalten. Die Grenzen im Tango sind immer da, sie sind nur verlagert. Natürlich bekommen solche Situationen Nahrung aus Vorurteilen, die sich hartnäckig festgesetzt haben, wie z.B. Neophyten. Wenn ich beispielsweise in der Frankfurter Rundschau lese, Tango sei getanzter Sex, dann sind das (wieder einmal) die Vorstellungen, die genau diese Mißverständnisse entstehen lassen. Davon müssen sich sowohl die Tangueras, als auch die Tangueros befreien. Der Tango hat eben nichts mit einer möglichen Beziehung zu tun. Darüber habe ich hier ja schon mehrfach geschrieben (z.B. hier oder hier). Warum glaubt mir den niemand?

Anonym hat gesagt…

Naja - ich finde es liegt AUCH an der Tanguera. Ich tanze mit Männern, deren "Tanz-Motivation" mir nicht gefällt, grundsätzlich nicht. Da ich sie komplett ignoriere, funktioniert Cabeceo nicht, und wenn dann einer doch auffordert, sage ich "nein danke". Manche finden diese Vorgehensweise brutal, aber ich bin eben nicht daran interessiert, "angebraten" zu werden, mittlerweile haben es alle mitbekommen ;-)
Was ich mir eventuell vorstellen kann, ist, dass es einen Unterschied macht, welchen Stil man tanzt - milonguero ist die Umarmung kein Thema, nuevo weiß ich nicht, ob es nicht zu Mißverständnissen kömmen kann - ?? Damit will ich die Männer keinesfalls in Schutz nehmen!
Noch eine Möglichkeit ist, dass diese Tanguera mit der Nähe nicht wirklich umgehen kann und ihr eigenes uneingestandenes Unbehagen im Sinn einer Projektion den Männern unterschiebt??? Oder sie tanzt überwiegend mit Anfängern, die damit noch Schwierigkeiten haben??? So viele Möglichkeiten... Stellungnahme ihrerseits wäre schon toll....

cassiel hat gesagt…

... und schwuppdiwupp da sind wir wieder bei Nähe und Distanz oder vielleicht Grenzen ziehen und verteidigen...

Wir drehen uns hier wahrscheinlich die ganze Zeit im Kreis.

:-)))