Samstag, 29. Mai 2010

Vom schönen Tango und vom schnöden Mammon...

An diesem Thema habe ich mich nun häufiger versucht. Es wollte nicht so einfach in die Tastatur fließen und auch nach mehreren Versuchen der schriftlichen Fixierung fühle ich mich immer noch nicht wohl. Ich schreibe einmal im Vertrauen darauf, daß der alte Satz von Heinrich von Kleist Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden zutrifft.

OK! Ich mache mich einmal unbeliebt! Wir reden heute über Geld. Wir reden nicht über das große Geld, die Wirtschaftskrise u.a. wir reden über Geld im Tango. So, so! Es soll doch bitte etwas genauer sein? Also gut: Ich beobachte manchmal in Tangokontexten ein sehr ambivalentes Verhältnis zum Geld. Auf der einen Seite findet sich ein Enthusiasmus und die Bereitschaft ohne Entlohnung zu Arbeiten und auf der anderen Seite sehe ich Profis oder Halbprofis, die vom Tango nicht leben können bzw. so gerade über die Runden kommen. Und eine dritte Gruppe mogelt sich so irgendwie durch. Sicherlich kann man nun einen wirtschaftsliberalen Standpunkt annehmen und behaupten, es ist die Privatsache der einzelnen Beteiligten und wenn eine Wenige den Dreh heraugefunden haben, wie man mit dem Tango Geld verdient, dann ist das in Ordnung. Wenn einige Veranstalter kommerziell nicht erfolgreich sind, dann ist es eben ihr Problem.

Und eine weitere Beobachtung habe ich einige Male gemacht. Kommt zum Tango die übertriebene Jagd nach dem Geld hinzu, dann leidet der Tango. Das habe ich nun mehrmals sehr eindrucksvoll miterleben dürfen. Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, daß es größere Reibungsverluste gibt, wenn der Neid mit ins Spiel kommt. Ich habe häufig den Eindruck, daß solche Prozesse leider irreversibel sind. Da leiden dann ganze Communities und es dauert meist sehr lange Zeit, bis es wieder in Ordnung kommt.

Der Publizist Henryk M. Broder hat anlässlich einer Preisverleihung einmal die provokante Frage formuliert: "Bin ich verrückt, oder sind es die anderen?" Was sind also einzelne Dienstleistungen im Tango wert? Für mein Empfinden setzt sich hier das allgemeine Mißverhältnis von Arbeit zur Entlohnung fort, das wir in weiten Teilen der Gesellschaft bereits jetzt betrachten dürfen. Um es plakativ zu machen: Es ist nich ohne weiteres einsehbar, daß eine Intensivkrankenschwester, die einen verantwortungsvollen Beruf unter schwierigen Bedingungen ausübt, drastisch schlechter entlohnt wird als ein Investmentbanker, der im Extremfall am Computer mit dem Verschieben von nicht vorhandenen Wertpapieren Geld macht. In den Tangokontext übertragen hieße das: Was darf beispielsweise eine Milonga kosten? 3 Euro, 5 Euro oder gar 8 Euro? Was darf eine Unterrichtsstunde kosten? Hinzu kommen noch die Fragen der Gerechtigkeit. Ein Betreiber einer Milonga, der Räume (womöglich für eine deutlich vierstellige monatliche Miete) zur Verfügung stellt und seine Einnahmen versteuert, muß anders rechnen als der Gelegenheitslehrer, der Stunden nach dem Tarif BAT (bar auf Tatze) gibt. Hier gilt vermutlich die alte Weisheit: Gerecht ist nicht gleich.

Versuchen wir es also weiter mit der Unterscheidung zwischen Profis und Amateuren. Ein Künstler erzählte mir von seiner Zeit an der Akademie. Der Professor riet auf Nachfrage den angehenden Künstlern: "Ihr müsst für Eure Kunst so viel Geld verlangen, daß Ihr davon leben könnt". Der Satz klingt erstaunlich schlicht aber mir will sich keine andere Lösung für Tango-Profis zeigen. Dann bliebe die Frage nach den Amateuren. Und hier zeigt sich das Problem. Ich für meinen Teil habe beschlossen, daß ich kein Geld mit dem Tango verdienen will (im Idealfall will ich natürlich auch kein Geld mitbringen). Meine Erfahrungen mit Tango-Events sind eher begrenzt, aber für meine Begriffe verbietet es sich von selbst, Geld mit dem Tango zu verdienen, wenn ich auf die Hilfe von ehrenamtlichen Helfern angewiesen bin, die (außer dem freien Eintritt) keinerlei Entlohnung für ihre Arbeit erhalten. Das habe ich aber auch schon anders erlebt. Amateure bekommen plötzlich den Glanz des Euro-Symbols in die Augen und schwuppdiwupp wird der Tango zur Einahmequelle degradiert. Dann wird es gerne einmal unlustig. Und so sensibel wie alle im Tango sind, färbt dieses Unbehagen deutlich auf die Grundstimmung ab.

Wenn es also in Tangokontexten zu Schwierigkeiten um Geld und Neid kommt, dann sollten für mein Empfinden alle Beteiligten einen kühlen Kopf bewahren. Der worst case, nämlich ein Aufspalten einer Gemeinschaft hat gerne zur Folge, daß die zwei entstehenden Hälften in der Summe weniger sind, als das ursprüngliche Ganze.

Am Ende meines Beitrages bin ich nicht wirklich schlauer geworden und die Fragen konnte ich auch nicht beantworten. Mein Grundangst bleibt: Mit Hilfe des schnöden Mammons sind wir tatsächlich in der Lage, aus dem schönen Tango einen öden Tango zu machen. Vielleicht darf ich ja die eine oder andere kluge Anmerkung lesen.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich ein schönes Wochenende und erfüllte Tandas.

17 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Mit dem schnöden Mammon ist es so eine Sache. Verwunderlich ist aber, wenn Milonga-Gäste bei 6 Euro Eintritt schon maulen und 8 Euro als Zumutung empfunden werden. Was kosten denn Alternativen wie Kino, Theater, etc. Da liegt man doch locker drüber. Und viele Gäste scheinen auch nicht zu realisieren, dass Räume, Deko, DJ, ggf. Sicherheitspersonal nicht umsonst zu haben sind. Von Live-Auftritten mal ganz zu schweigen.

cassiel hat gesagt…

@anonym

Wohl wahr! Ich habe schon 10 Euro Eintritt für eine Milonga bezahlt und es war wirklich günstig. Auf der anderen Seite habe ich auch schon 5 Euro gezahlt und es war zu teuer.

;-)

Tangosohle hat gesagt…

Der erste Versuch, eine Antwort zu schreiben füllt nun über eine ganze Seite, die ich hier niemandem zumuten möchte. So antworte ich in Form von kurzen Statements und Gegenfragen.

1. Nicht anders ist es in der Rock-, Jazz-, Swingszene und überall dort, wo keine Subventionen oder großzügige Mäzene parat stehen.

2. Welches Recht auf Geld haben diejenigen, die nicht nur viel Freizeit sondern auch hohe Kosten investieren oder ihren Erwerbsberuf reduzieren um ein Tangoengagement zu ermöglichen?

3. Welches Recht haben diejenigen, die einerseits genug Tangotalent und andererseits plötzlich kein geregeltes Einkommen mehr haben?

4. Was ist verwerflich am Geldverdienen bzw. an der pekunären Anerkennung für Dienste? Die Antwort, die ich bei dir herauslese ist: Persönliche Divergenzen, Abspaltungen, die sich dann ergeben. Daran sind aber die Emotionen beteiligt, die durch das Thema Geld erst freigelassen werden.

5. Welche Möglichkeiten gibt es, den Amateuren mit Eurozeichen in den Augen andere Formen an Wertschätzung und Würdigung für ihr Engagement zu zeigen?

6. Wenn sich eine Szene aufspaltet, dann wird gerne Geld, Narzissmus, Neid etc. als Vorwand genannt. Die Hintergründe sind m.E. meist andere, es ist aber anstrengender, sich damit auseinander zu setzen. „Aufspalten“ ist Teil (aber kein zwangsläufiger Teil) eines normalen Prozesses: Wchsen und Schrunpfen, Veränderung und Verwandlung. Ein Problem sehe ich eher in der Akzeptanz und im Umgang damit.

7. Zum letzten Komm.: ein schöner Vergleich, der zeigt, was Geld für eine qualitative Aussage hat: Gar keine!

cassiel hat gesagt…

@tangosohle

Deine Fragen unterstreichen noch einmal die Dringlichkeit der Fragestellung. ;-)

Mein Ausgangsbeitrag war auch nur ein Versuch meine Ratlosigkeit einmal in Worte zu kleiden. Vielleicht ist da ja auch meine Wahrnehmung verdreht, aber ich habe diese Problem so häufig bemerkt, daß es mich einmal gereizt hat, es anzsprechen.

Wer weiß, vielleicht wäre ein höfliches Schweigen ja auch der bessere Weg gewesen...

B. G. hat gesagt…

Du hast wieder einen Volltreffer gelandet! Wie schaffst Du es eigentlich immer die Themen zu finden? Wenn ich Deinen Beitrag lese, dann kommen mir viele Gedanken vertraut vor. Ich habe aber leider auch keine Lösung.

Nur weil ich es lange nicht mehr geschrieben habe bedanke ich mich noch einmal für Dein wundervolles Blog.

Anonym hat gesagt…

Problematisch ist doch, wenn Amateure mit Eurozeichen in den Augen, den Profis mit Kampfpreisen - seien es Eintritte oder Kurse - das Wasser buchstäblich abgraben. Zumal bei den Amateuren häufig auch Dilettanten zu finden sind, worunter Milongas und Tanzniveau mittelfristig leiden. Billiger ist eben nicht besser! Deshalb ist es bedauerlich, wenn Szenen Eintritte/Kurspreise, mit denen Kosten zu decken sind und den Beteiligten eine vernünftige Entlohnung zu Teil wird, nicht akzeptieren.

Aurora hat gesagt…

Ohne Geld, oder auch mit nur sehr geringen finanziellen Mitteln geht es nicht. Im Mittel müssen zumindest die Umkosten gedeckt sein.
Von guten Lehrern erwarte ich, wie auch von DJs, dass sie sich intensiv mit ihrer Materie auseinander setzen und nicht nur bei Gelegenheit tätig werden. Dies funktioniert nicht ohne Zeitaufwand und Vorbildung. Deshalb bin ich bereit für fundierten Unterricht zu zahlen.
Jeder bei Gelgenheit die Lehrertätigkeit Ergreifende kann sich meinetwegen auf Praktikas austoben, aber soll bitte nicht einer Tangoszene seine (Un-)Fähigkeiten als Unterricht verkaufen. Eventuell noch gegen hohe Kursgebühen.
Sicher, man könnte ausgiebig darüber diskutierren, was guter Tango und darausfolgend guter Tangounterricht ist. Diese Diskussion will ich hier nicht aufmachen.

Am ehesten komme ich mit schlichten Räumlichkeiten bei einer Milonga aus. Deko kann schön sein, aber besser Tangotanzen kann man dadurch nur bedingt. In Prunksäälen zu tanzen, schön, aber auch wirklich gut?
Vielmehr Einfluss auf die Stimmung hat doch der DJ als die Deko. Deshalb zahle ich auch gerne ein paar Euro mehr, wenn ich weiß, es legt ein "professioneller" DJ auf.

Wobei ich insgesamt die Grenzen zwischen Amateuren und Profis als verschwommen ansehe.
Leben vom Tango an sich können wohl die Wenigestens. Und wann lebt jemand alleine vom Tango? Darf der noch Schuhe auf der Milonga anbieten?

Bei mir ist die Schmerzgrenze bei Geldgier erreicht. Unabhängig von der tatsächlichen Höhe des verlangeten Betrages.

In Grunde ist jeder selbst dafür mitverantwortlich, welche Angebote auf dem Tangomarkt überleben.
Deshalb schadet es sicher nicht, einmal in sich zu gehen und darüber nachzudenken, was guten Tango ausmacht und in einem zweiten Schritt darüber, was geboten wird.

Entscheident ist für mich für einem guten Tango:
Der Tanzpartner,die Musik und meine Grundstimmung. Auf letztere hat im Wesentlichen mein Alltag Einfluss und kaum irgendeine Deko. Auf die Musik der DJ und auf meinem Tanzpartner seine Erfahrungen auf den Milongas und im Unterricht.

Anonym hat gesagt…

Ein ganz wichtiges Thema - nicht nur im Tango! In deinem Artikel klang es ja schon an. Wir müssen uns alle Gedanken machen, welche Entlohnung für welche Arbeit gezahlt wird. Die Marktgesetze funktionieren ja nun nicht mehr, auch wenn das einige Politiker und Manager vielleicht noch anders sehen.

Für mich ist es fast pervers. Was vor 100 Jahren unter den armen Einwanderern begann ist inzwischen fast zu einer elitären Leidenschaft verkommen. Aber vielleicht regelt sich auch das von selbst. Ich tanze die schönsten und innigsten Tandas mit den Tangueros, die nachdenklich und sensibel sind - häufig sind das nicht diejenigen, die materiell gut gestellt sind.

Aurora hat gesagt…

Sicher ist es bedauerlich, dass das was einst unter ärmsten Einwanderern entstanden ist, jetzt mehr und mehr zum Trend einer Elite wird.

Besonders beobachten kann man dies bei den europäischen Trend von einem Highlight, sei´s Festival, Marathon, zum nächsten zu reisen. Und dabei stets die neuesten Tangoschuhe und auch noch die angesagerstens Tangokleiderung im Gepäck zu haben.

Aber neben diesem Trend beobachte ich auch, dass viele Künstler und Interlektuelle unter den Tanguet@s anzutreffen sind.

Es ist auch eine Frage, für welchen Unterricht ich Geld ausgebe. Nehme ich Unterricht um die neusten Figuren zu lernen oder investiere ich in meine Grundhaltung?
Sicher ganz früher ging das ohne Geld. Aber es ging auch ohne Show-Figuren, ohne Schuhe ....

Auch heute noch werden Kinder von begnadeten Tangotänzern ohne jemals für Unterricht bezahlen zu müssen gut Tänzer werden können.
Daneben gibt es auch noch genügend aktive Tangotänzer, die ohne finanzielle Absichten Nachwuchs fördern.
Der Trend ist dies jedoch nicht.
Vielleicht mag auch die Wirtschaftskrise mit Schuld sein, dass der ein oder andere aktuell versucht seinen Lebensunterhalt mit dem Tango zu bestreiten oder wenigstesn aufzubessern.

Austin hat gesagt…

1. Im Gegensatz zu einigen Lesern hier glaube ich schon in gewissem Umfang an das Funktionieren des Marktes. Und wenn ein Amateur-Tänzer meint, er muss Unterricht geben, dann wird er bald merken, was den Lernwilligen seine Unterricht wert ist und ob er das gleiche verlangen kann wie der Profi. Vielleicht ist er geschickt und vermarktet sich gut und kann deswegen mehr verlangen als er wert ist. Aber das heißt nicht, dass der Markt nicht funktioniert. Das heißt nur, dass er nicht transparent ist.


2. Was ist denn das Szenario hinter dem beschriebenen Auseinanderbrechen einer Szene wegen der Geldgier eines Protagonisten? Dass ein Tanguero eine weitere Milonga anbietet, und dann fehlen seine Besucher auf einer anderen Milonga, wo auf einmal keine kritische Masse an Besuchern mehr zustandekommt?

Ich glaube nicht, dass sowas am Geld liegt. Denn großartig unterschiedlich werden die Preise nicht sein und mal ganz ehrlich: Es ist doch ziemlich schwierig, auf einer Milonga in Deutschland mehr als 20 Euro am Abend (für eine Person) auszugeben. Die Frage, auf welche Milonga man geht, liegt doch nicht am Geld.

3. Und Tangosohle hat die Frage aufgeworfen, wieviel eine Unterrichtsstunde kosten darf. Um eine Zahl zu nennen: ein guter Lehrer sollte mindestens 50 Euro pro Stunde verdienen. Das kosten nämlich andere Lehrer im künstlerischen Bereich auch.

4. Wenn wir einen Blick auf die Nachfrager-Seite werfen, gestatte ich mir die Vermutung, dass die meisten Mitbürger die Tugend der Großzügigkeit für sich noch nicht entdeckt haben, und die Tango-Community unterscheidet sich hier nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit dem Veranstalten von Milongas reich werden kann.

anonym6 hat gesagt…

wenn die Frage nach Geld hier aufgeworfen wird, dann stecken bestimmt Unzufriedenheiten dahinter. Vielleicht kann sich mal ein Betroffener äußern, wo es gefühlte Ungerechtigkeiten gibt. Die Sache sieht ja für Veranstalter, Lehrer, DJs, Musiker etc. jeweils unterschiedlich aus. Daß Unterricht etwas kostet, ist allgemein akzeptiert, Milongaeintritte und Getränkepreise ebenfalls, Musiker bekommen auch irgendeine Gage, nur bei den DJs ist es sehr unterschiedlich. Meistens wird das in Eigenregie gemacht - eingeladene und bezahlte DJs sind höchstens bei größeren Veranstaltungen üblich. Die Frage ist nun, was diese anzubieten haben, was ein Unbezahlter nicht leisten könnte. Und da ist die Grenze zwischen purer und kostenloser Lust am Auflegen und finanziellem Augleich für die enorme Vorbereitung besonders durchlässig. Und dazu die generelle Frage: ist es der Aufwand, den man betreibt oder das Ergebnis, was zu Geldansprüchen führten könnte? Das sollten, glaube ich, vor allem, die die so etwas leisten, beantworten.

cassiel hat gesagt…

@anonym6

Interessante Frage! Also ich habe beides erlebt. Es gibt Milongas, da bringt halt jemand seine CDs oder sein Laptop mit und dementsprechend ist die Musik. Wie oft habe ich den Satz gehört: "Musik ist nicht so wichtig." Und dann gibt es Milongas da bekommt der normale DJ einen Euro pro Gast. Es liegt in seinem Interesse, möglichst viele Gäste anzulocken. Wenn aber bei einer solchen Milonga dann jemand ehrenamtlich aufräumt sind wir schon wieder in der Ungleichbehandlung.

Vielleicht ist es ja auch typisch deutsch, daß wir hier überhaupt diskutieren. Andererseits: Fragen und laut Nachdenken wird ja wohl noch erlaubt sein.

Oder aber es ist ganz anders und wir nähern uns der Fragestellung aus der komplett falschen Richtung. Möglicherweise sollte man beim vereinsmäßig organisierten Tango grundsätzlich die eigene Leistung freiwillig und entgeldfrei erbringen - Geldzuflüsse fließen dann an einen gemeinnützigen Verein. Dann hätte man diese lästige Geldfrage aus dem Tango herausgehalten...

Für mich kristallisiert sich eigentlich immer deutlicher heraus, daß die Abgrenzung Ehrenamt vs. Geldverdienen die Wurzel des Übels ist. Wenn jemand die Räumlichkeiten für eine Milonga anmietet und evtl. seinen Lebensunterhalt vom Tango bestreiten muß, dann ist klar, daß er Geld verdienen muß. Da soll jetzt keine übertriebene Dramatik in das Thema kommen, aber hier lohnt es sich vielleicht doch, noch ein paar Gedanken in alle Richtungen zu denken.

anonym6 hat gesagt…

das Musikauflegen ist ein Paradebeispiel für dieses Thema. Dazu fühlen sich ja wesentlich mehr berufen als der Markt braucht. Und gerade da sind die Kriterien für einen musikalisch gelungenen Abend besonders verschwommen. Das liegt aber auch daran, daß ein großer Teil der TänzerInnen nicht so sehr Wert auf die Qualität der Musik legt.
Auf jeden Fall kommt es sehr selten vor, daß man als DJ gesucht ist (genauso wie es im Fußball tausende von potentiell guten Trainern gibt).

Ich halte die Diskussion nicht für typisch deutsch, eher die Tatsache, daß meistens sehr verschämt darüber gesprochen wird, obwohl's jeden was angeht und interessiert.

cassiel hat gesagt…

@anonym6

Den Gedanken mit dem verschämt darüber Sprechen finde ich zentral. Momentan fällt mir aber auch kein Königsweg ein, wie man einen vernünftigen Diskurs etablieren könnte.

Vielleicht sollte sich aber die Einstellung zum Geld sowohl auf der Anbieterseite, als auch auf der Konsumentenseite ändern. Ein möglicher erster Schritt wäre es vielleicht, wenn man sich Gedanken macht, was der Tango im Monat kosten darf und wie man dieses Geld verteilt. Wer weiß, vielleicht führt das zu einem bewußteren Geldausgeben in Tangokontexten und damit wird das Geld gerechter (im Sinne von Qualität von Angeboten) verteilt.

anonym6 hat gesagt…

einen Königsweg gibt's nicht, und die Einstellung auf beiden Seiten wird sich auch nicht wesentlich ändern.
Was mich der Tango monatlich kostet, weiss ich nicht und ich werde mir das auch nicht ausrechnen.
Der Tango ist ein Markt, und wer geschickt ist, kann damit auch was verdienen. Aber mit der gefühlten Gerechtigkeit hat das wenig zu tun.
Es wird weiterhin ein sehr diffuses Feld von Idealismus, Marketing, Qualität und Wichtigtuerei bleiben. Die einzige Hoffnung ist, daß genau hingeschaut wird, und daß Wertvolles erkannt wird.

Tangosohle hat gesagt…

Das ist doch überall so: Wenn Kunst nicht subventioniert wird oder Mäzene hat, kann man nicht davon leben. Die Antwort heißt dann Quersubventionierung, Selbstausbeutung, ehrenamtliche Helfer. Viel wichtiger als materielle Anerkennung ist, dass überhaupt eine Anerkennung stattfindet und allen das ganze auch Spaß macht.

Mich ärgern ja auch diese Trittbrettfahrer, die Geld abschöpfen wollen, aber wenn ich den Eindruck habe, dass dem so ist, dann sehen diese Veranstalter mich nicht mehr. Einen Fehler macht man ja erst, wenn man eine schlechte Erfahrung wiederholt.

Letztes Jahr war ich zur Leichtathletik-WM zufällig in Berlin. Das dortige Entlohnungssystem, so mein Eindruck, kommt aus absolutistischen Zeiten. Ich traf Helfer, die aus ganz Europa anreisten, um als Kartenabreißer u.ä. dabei sein zu dürfen. Anreise, Unterkunft auf eigene Kosten, der Lohn: Tageskarten der BVG, Getränke.

Klaus Wendel hat gesagt…

Als langjähriger Leiter einer Tangoschule habe ich manchmal die Kommerzialisierung im Tango in Frage gestellt, war ich doch selbst mit kommerziellen Kursangeboten ein finanzieller Nutznießer eine meist kommoden Tangogemeinde, die glaubte, dass man Tango kaufen könne. Kursthemen wurden allein der Rentabilität angepasst - entgegen der wirklichen Bedürfnisse eines Tänzers/in auf der Piste. Oft wurden die Kursthemen gar nicht an die Wünsche der Kursteilnehmer ausgerichtet, sondern allein dem Können und Wünschen der Lehrer. Der Umbau zu einer bedarfsorientierten Tangoschule, in der die Schüler wirklich an die Situation auf öffentlichen Tangopisten vorbereitet wurden, hat viel Zeit und Geld für Weiterbildung und Mühe für Schaffung eines Kurssystems in Anspruch genommen, die ich allerdings nicht in einer evtl. Freizeit neben einer Anstellung hätte schaffen können. Wenn ich allerdings zurückrechne, wie viele Tänzer und Tango-Lehrer, und somit Multiplikatoren, auf die Tanzflächen gebracht habe, ist mein Lohn, der nicht immer zum Leben reichte, für diese Energie gerechtfertigt. Die wöchentliche Betreuung meist wenig eigenmotivierter Teilnehmer aus der "Paarszene", die mit oft nur homöopathischen Dosen zum Tango tanzen animiert werden, finanziert die in der Unterzahl vorhandenen Enthusiasten - meist Singles - die dann wirklich auf den meisten Pisten zu finden sind. Hätten wir nur diese wenigen, wäre eine Tangoschule nicht und z.B. in der Lage Räume zu mieten. Da der Tango in Deutschland kein Bestandteil der eigen Kultur ist, ist ein Lernen diese Tanzes autodidaktisch nicht so gut möglich. Ich bezweifle nicht, dass sich einzelne aficionados den Tango aneignen könnten, aber die Eigeninitiative des meist konsumorientierten Klientel ist in Deutschland sehr begrenzt, jedoch in ökonomisch schlechter gestellten Kreisen in Ost- und Südeuropa viel größer. Die Eigeninitiative als Lernender sehe ich wohl als wichtigstes Kriterium an, aber wo diese fehlt, entsteht oft kein Tango. Wenn ich den Unterricht von heute mit dem der Anfangszeit vergleiche, stelle ich doch große Unterschied in der Entwicklung fest. Der heutige Unterricht ist durch das Wissen erfahrener Lehrer viel effektiver geworden; zumindest meiner. Den viel Wissen, das sich durch bloßes Abschauen nicht erschließen, sind nur durch gezielte Übungen und Anleitungen zu erlernen. Denn was sich innerhalb eines Paares, abspielt, ist nicht äußerlich erkennbar. Das beweist der gravierende qualitative Unterschied der Tänzer aus der Anfangszeit und jetzt: Vieles, was in der Pionierzeit gelehrt wurde, wurde bis heute auf den Kopf gestellt. Was ich jedoch sehr bedaure, ist der Umgang mit Workshops. Der Lerneffekt ist ohne Nacharbeit schlicht gleich null. Denn wer kennt es nicht: nur ein Bruchteil des Lernstoffs ist ohne Videos selbst am Ende des selben Workshop Tages schon wieder vergessen. Und wie viel Prozent der Teilnehmer eines Workshops übt eigenständig, was er in den Workshops angefangen hat. Die negativen Folgen der Kommerzialisierung des Tangos sind deshalb besonders hier zu spüren: Das inflationäre Angebot meist argentinischer Paare, die meist jung und didaktisch unerfahren, nur die durch ihre 'argentinidad' implementierten Voraussetzungen besitzen, unerfahrene deutsche Paare zu unterrichten, hat vor Jahren zu einem shoppingmall-ähnlichen Ansturm der hiesigen Szene geführt; mit zusätzlichen Franchising-Geschäften durch angegliederten T-Shirt, Tanzschuh und Souvenirverkauf. Dazu völlig überschätzter Lernerfolg in überdimensionierten Teilnehmergruppen bis zu 40 Paaren bei überbezahlten Stars der Tanzszene. Die so erzeugte Frustration vieler Tänzer führte jedoch bei vielen klug gewordenen Teilnehmern zu mehr Umsicht und Auswahl meist basisorientierter Lehrinhalte der heutigen Lehrerszene. Auch hier hat Kommerz teilweise zu einem kritischen Denken und Umgang mit sorgfältigeren Lerninhalten geführt. Denn auch hier ist zumindest die erfahrenere Tangoszene wach geworden, indem sie nur noch bessere Lehrerpaare auswählten. Fazit: Kommerz im Tango ist nicht überall schlecht.