Bevor ich über Figuren (d.h. Sequenzen von Schritten) nachdenke, will ich mein Gehen korrigieren,
bevor ich über das Gehen nachdenke, will ich meine Umarmung und meine Gewichtswechsel korrigieren,
bevor ich über die Umarmung nachdenke, will ich meine Haltung und die Achse korrigieren
und bevor ich über meine Haltung nachdenke, stelle ich mir einmal grundsätzlich die Frage: "Warum eigentlich Tango?"
Und... über Musikalität habe ich jetzt noch gar nicht gesprochen.
Irgendwann muss ich meine Sprache ja wiederfinden und dieser Text ist jetzt ein erneuter Versuch. Die Zeilen oben sind eine Zusammenfassung meiner Gedanken der letzten Zeit.
Anfang des Jahres habe ich einen Kurs bei Melina Sedó und Detlef Engel besucht. Ich arbeite noch bis jetzt an der Umsetzung ihrer Konzepte. Das ist für mich guter (im Sinne von: nachhaltiger) Unterricht. Meine Defizite in meiner bisherigen Tango-Karriere sind mir noch einmal bewußter geworden und das Loslassen bekannter Bewegungsmuster und das Ersetzen dieser fehlerhaften Motorik durch angenehmere Bewegungsabläufe braucht seine Zeit.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einmal die zwei für mich zentralen Gedanken dieses Konzeptes formulieren:
Die Idee von Führen und Folgen ist kein Monolog in der Sprache Tango. Es ist viel komplexer. Der Führende lädt zu einer Bewegung ein, die Folgende interpretiert den Impuls und der Führende folgt anschließend der Bewegung der Folgenden. (Wenn ich das jetzt noch geschlechtsneutral formuliert hätte, dann wäre es komplett unlesbar geworden. Ich bitte um Verständnis.) Dieses Verständnis des Konzepts vom Führen und Folgen ermöglicht den Schutz der Umarmung. Detlef zitiert Carlos Gavito:
Never [ever] sacrifice the embrace for a step!
Der zweite Gedanke ist eine Hilfestellung für Führende. "Bewege Dich so, als würdest Du Deine eigenen Schritte führen". Mit diesem Gedanken im Hinterkopf gelingt mit Übung eine klare Kommunikation in der Sprache Tango. Führende bewegen ihre Füße analog zum Führungsimpuls ihres Oberkörpers.
Mit der Umsetzung dieser zwei Gedanken bin ich seit Monaten beschäftigt (und das wird wohl auch noch einige Zeit dauern), aber Besserung ist in Sicht.
In dieser Zeit in der ich intensiv mit meinem persönlichen Tango beschäftigt war, bin ich etwas ratlos bezüglich des Tangos in meiner Umgebung geworden. Während ich früher jeder Einladung einer Tanguera bereitwillig gefolgt bin, bin ich im Moment sehr zurückhaltend, weil ich an meinem eigenen Stil arbeite. Vor Wochen hatte ich eine eher unschöne Tanda mit einer Tanguera, für die der Tango eine andere Bedeutung hat. Sie redet fast pausenlos während des Tanzens und folgt häufig nicht mehr dem Führungsimpuls sondern fügt eigenständig Schritte an. So ein Tango ist für mich im Moment zu anstrengend. Bei Milongas fallen mir in letzter Zeit verstärkt auch einige Mitmenschen immer wieder unangenehm auf. Es sind die Tänzer, die sich nicht für eine Spur entscheiden können (und unabhängig von der Dichte auf der Tanzfläche großzügig die äußere und zusätzlich die benachbarte Spur beanspruchen), es sind die Autoscooter-Tänzer (hier wäre der englische Begriff bumper car vielleicht angebrachter), die ohne Rücksicht auf Kollisionen kreuz und quer tanzen, die notorischen Rechtsüberholer und einige andere mehr. Natürlich beschwere ich mich nicht, sondern ich setze mich erst einmal in Ruhe hin und warte ab. Mein Tango ist genügsamer geworden. Ein oder zwei schöne Tandas am Abend reichen mir momentan völlig aus. Qualität statt Quantität. Es werden sicherlich wieder andere Zeiten kommen, aber momentan ist es eben so.
Ich habe schon immer gerne andere Tanzpaare beobachtet und das ist in letzter Zeit noch stärker geworden. Ich beobachte Tanzpaare und stelle mir häufig die Frage, tanzen diese zwei Menschen miteinander? Oder tanzen sie paarweise jeder jeweils für sich?
Und dann lande ich fast zwangsläufig irgendwann bei der Musik. Vielleicht ist es eine Grundsatzfrage. Ist eine Milonga ein Happening mit Party-Charakter, oder geht es vielleicht doch darum, daß möglichst viele Tanzende einen ungetrübten Tangoabend erleben? Dementsprechend wird die Musikgestaltung ausfallen. Um mich nicht mißverständlich auszudrücken: Ab und zu eine Tanda moderne Musik, Gotan Project, Bajofondo, Otros Aires, Sexteto Milonguero oder ähnlich sind kein Problem, ich setze mich und warte ab. Bei der vierten Tanda einer (!) Formation während einer fünfstündigen Milonga ist für mich ein Punkt erreicht, an dem ich mich frage, ob diese momentan die richtige Milonga für mich ist. Ein DJ oder eine DJane kann mit treibender Musik so viel Energie in eine Tanzfläche pumpen, daß Kollisionen fast zwangsläufig folgen (das geht übrigens auch mit klassischen Tangos der Epocha d'Oro; man schraube nur den Anteil der D'Arienzos, Biagis usw. hoch genug, dann kocht die Tanzfläche - mit modernen Stücken ist es allerdings leichter, da sich viele derartig inspiriert fühlen, daß sie expressiv ihre Gefühle in großräumigen Bewegungen ausdrücken müssen).
Es liegt mir wirklich fern, nun sauertöpfisch oder rechthaberisch zu werden; das lehne ich ab. Also setze ich mich verstärkt hin und warte eben. Seltsamerweise wird mir dieses Verhalten dann als Desinteresse oder gar Arroganz ausgelegt. Aber mir fällt zu moderner Musik eigentlich immer seltener tänzerisch etwas ein und so verschone ich potentielle Tanzpartnerinnen vor einer langweiligen Tanda mit mir. Das hat überhaupt nichts mit Fundamentalismus zu tun. Ich habe vielleicht nur einen anderen Anspruch an die Entwicklung meines persönlichen Tangos. Ich mag da keinen Stillstand. Mir wäre ein Feinschliff, eine Präzisierung meiner Führung höchst willkommen. Deshalb werde ich wählerischer.
25 Anmerkung(en):
Hallo Cassiel, willkommen zurück.
Die Pause hat Dir gut getan, zumindest ist das wieder ein toll geschriebener Artikel.
Für mich ( mit den selben Erlebnissen und Verhaltensweisen) ist es beruhigend zu lesen, das es anderen doch auch so ergeht, Sie die gleiche Einschätzung haben, den gleichen Vorurteilen begegnen.
Mach weiter so und danke, das Du uns an Deinen Gedanken teilhaben lässt.
Mat
du meinst wohl, nur weil du der berühmte blogger bist, darfst du bestimmen wie die musik auf der milonga ist. mich nerven die alten tangos und das sexteto milongero spielt äußerst tanzbare musik - das ist allgemein bekannt. wenn du keine ahnung vom tango hast, dann solltest du auch nicht darüber schreiben!
Es ehrt dich natürlich, dass du die Beobachtungen als deine "Tangokrise" beschreibst. Mir ergeht es genau so und ich frage mich, ob es nicht doch Unterschiede in der Toleranz gibt. Nach meinen Beobachtungen sind die Vertreter der Neo- bzw. Non-Tangomusik ziemlich flink, wenn es darum geht, den Liebhabern klassischer Tangomusik "Fundamentalismus" vorzuhalten. Sie fordern Toleranz ein, sind aber im Gegenzug nicht oder kaum bereit, Toleranz zu gewähren.
Endlich schreibst Du wieder. Ich weiss erst jetzt, was mir gefehlt hat.
Lieber Cassiel,
es freut mich sehr von dir wieder ein paar sehr zutreffende Zeilen zu lesen!
Mein persönliches Problem ist inzwischen weniger Milongas mit schöner traditioneller Musik zu finden. Dank persönlichen Ortswechsel habe ich genügend Auswahl.
Viel schwieriger ist es angenehme Tänzer zu finden. Sicher rein vom Beobachten scheidet ein Teil bereits aus. Aber selbst unter den technisch äußerst schön anzusehenden Tänzern lässt nicht jeder einen Dialog zwischen Führenden und Folgender zu. Eine wirklich erfüllende Tanda am Abend reicht definitiv.
Ohne selbst auch nur annähernd perfekt zu sein, sitze auch ich oft am Rande und wundere mich, was denken viele Tanzende eigentlich was den Tango ausmacht? Figuren? Was suchen diese Tänzer/Innen im Tango? Ich weiß es nicht. Für mich ist guter Tango zur Zeit ein Dialog zwischen den mit und meinem Partner inspiriert von der Musik in angenehmer Umarmung.
Ich sehe in deiner Krise eine große Chance für dich. Wie heißt es so schön, eine Figur lernt man in 10 Minuten, Gehen in 10 Jahren. Auch ich bin noch auf meinem Weg zum Tango.
Wieder einmal ein grandioser Beitrag. Und er trifft wieder einmal mitten ins Schwarze. Auch ich gestehe Deine Überlegungen sind mir seltsam vertraut. Ich frage mich gerade, warum so etwas so selten zu lesen ist.
Hoffentlich ist Deine Schreibblockade endgültig Geschichte, mir hat in den letzten Monten dieses Blog wirklich gefehlt.
Störende Quer-Feld-Eintänzer gibt es leider auch auf Musik mit traditioneller Musik. Nach meiner Erfahrung genügen ca. fünf chaotische Tänzer um eine ganze Tanzfläche ins Chaos zu stürzen. Eine Garantie für störungsfreie Milongas kenne auch ich nicht. Mehr Achtsamkeit gegenüber seinen Partner und seiner Umgebung täte vielen gut. Ich frage mich hier, warum dies nicht grundlegend in jedem Anfängerkurs unterrichtet wird. Und weshalb manchen offenbar nicht bewusst ist, das er/sie nicht der /die einzige auf der Tanzfläche ist.
Nach Möglichkeit meide ich Milongas mit häufig vielen Remplern. Oder vertiefe mich lieber in ein Gespräch.
Aurora, das Problem der Rempler ist doch wohl nicht ganz losgelöst von der Musik zu betrachten. Oder wie Cassiel es formulierte: "Ist eine Milonga ein Happening mit Party-Charakter, oder geht es vielleicht doch darum, daß möglichst viele Tanzende einen ungetrübten Tangoabend erleben?"
So hatte ich das zwar bisher nicht gesehen, aber für mich klingt dieser Gedanke sehr Überzeugend. Es ist die Frage nach dem Grundcharakter einer Milonga. Und da sind für mich Veranstalter und DJs gleichermaßen in der Pflicht.
"Anonym" gar net ignorieren - spricht für sich selbst...
Als polyvalente Tänzerin ohne ständige Folge-Partnerin hatte ich erst in den letzten drei Wochen wieder Gelegenheit, einen Kurs als Führende zu besuchen. Und ich wurde mit der Nase mitten in die Herausforderung gestossen, die Du so wunderbar beschreibst.
Erst, wenn ich es hinbekomme, mehr die Folgende wahrzunehmen und zu überlegen, wie ich *unsere* Bewegungen durch meine Haltung, meine Umarmung, meine Platzierung zur Tanzrichtung (und noch viele Aspekte, die mir immer abwechselnd wieder aus der Aufmerksamkeit rutschen) beeinflusse, dann gelingt *unser* Tango. Und damit habe ich bei mir angefangen und noch keine Silbe darüber geschrieben, was die Folgende beitragen könnte.
Nach doch einigen Jahren auf der Tanzfläche versuche ich aber eine Einstellung, in der ich mich an allem freue was gelingt, versuche, wahrzunehmen was nicht gelingt und mir selbst keinen Druck zu machen, sondern einfach das Tanzen immer wieder zu geniessen. Über Fehler zu lachen, und zwar nicht hämisch, sondern einfach, weil es eben immer wieder was gibt, das nicht klappt, das macht mir das Tanzen auch zur Freude. (Und die "Fehler", aus denen spontan was Schönes entsteht, laden noch mehr zum Lachen ein.) Leistungsdruck hab ich im Job genug, das brauch ich beim Tango gar nicht!!!
Und wenn auf einer Milonga was nicht passt, dann hoffe ich auf die eine beglückende Tanda und gehe anschliessend, bzw. ziehe die Schuhe aus und plaudere...
... und denke nun nicht, dass mir diese buddhistische Haltung jeden Tag gelingt... auch das gehört dazu. :-)
Schön, dass Du wieder schreibst!!!
Nachtrag: ich meinte "Anonym von 14:13h", sorry.
Ein großartiger Beitrag, der mir in vieler Hinsicht aus der Seele spricht. Von einer Tango-Krise kann nur erfaßt sein, wer tatsächlich einen gewissen Anspruch an seinen Tanz hat - nicht im Sinne eines Leistungsdrucks - sondern aus diesem fast schon körperlichen Bedürfnis heraus, Bewegungsgespür im Tango heranwachsen zu lassen. Der Körper WILL ja verstehen lernen und unser Denken ist ihm dabei nur allzu oft im Weg. Du beschreibst es ja so treffend: Es geht schlicht darum, die eigene Wahrnehmung und die Motorik im gemeinsamen Fließen zu verbessern, um sich und dem Partner angenehmere Bewegungsabläufe im Tanz zu erschließen. Das steht hinter diesem Bedürfnis, sich im Tango weiterentwickeln zu wollen.
Ich beobachte auch gerne und oft Tanzpaare und manchmal macht es mich traurig wenn dabei das Gefühl entsteht, dass ein solches Entwicklungssehnen auch nicht einmal ansatzweise vorhanden ist. Es fehlt dann das lebendige, spürende Element im Tanz, das was den Beobachter in den Bann zieht und was ihn berührt. Das Gelernte wird "heruntergetanzt" Und nicht selten ist diese Nonchalance dann auch noch mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit auf der Tanzfläche verbunden.
Auch mich stört zunehmend das Nichteinhalten von Bahnen, das gegen-die-Tanzrichtung-tanzen und der Versuch, selbst bei einer vollen Milonga individuelle "Showtänze" aufzuführen, um ausschweifendste Figuren reihenweise zu absolvieren, die man entweder bei einem seiner persönlichen Lieblingspaare bei youtube mal auf freier Tanzfläche gesehen oder in einem Workshop "Bühnentanz" gelernt hat.. Wer mal die wirklichen Könner au einer bevölkerten Milonga hat tanzen sehen, wird demütig angesichts der sovuveränen Reduktion, mit welcher diese sich in den Fluß der Tanzenden voller Zurückhaltung einfügen aber die Schönheit ihres Tanzens stets präsent ist und sich in subtilsten Bewegungsereignissen entdecken läßt. Aber nirgendwo scheinen die Grundregel gelehrt zu werden.. man tanzt praktisch nirgendwo im "Zug".. also zwischenr immer demselben Paaren, zwischen die man sich beim Betreten der Fläche eingeordnet hat, tanzt nirgendwo wirklich noch in "Bahnen", hält nicht die Tanzrichtung etc..
Danke für dieses bemerkenswerte Zitat von Gavito und deine einleitenden Sätze, die mich veranlassen, wirklich einmal innezuhalten, um die eigenen Unzulänglichkeiten in all diesen Bereichen neu zu hinterfragen..:-)
Angesichts der vielen Kommentare bin ich ja schon etwas gerührt. Vielen Dank! Ihr seid ja alle noch da...
Hallo Cassiel,
vielleicht könntest Du das Zitat von Carlos Gavito etwas näher erläutern und was Dir bzw. seinen Schülern Detlef Engel damit sagen wollte.
Gilt das für [ausschliesslich] die enge Umarmung im „Milonguero- Stil“?
Denn wenn mich die Musik oder meine Inspiration dazu auffordert, eine „Soltada“ zu tanzen- dies dürfte ja bei den vielen Workshopthemen, die allein dies zum Thema haben, nicht ganz ketzerisch sein, opfere ich ja die Umarmung, wenn man will, für einen Schritt. Warum soll ich das „never ever“, also nie und nimmer, tun? Welcher Zeremonienmeister hat das [neuerdings oder seit wann] so festgelegt, und für welchen „Stil“ soll das gelten? Auch im etwas großspurigeren „Fantasía“- Stil auf Musik, die kraftvoll in der Spielweise von Pugliese bzw. später Color Tango kommt es zu einer Öffnung der Umarmung, ob man nun Soltadas tanzt oder nicht, die Schwünge werden einfach weiter, wenn Platz ist, weil dies einfach aus der Musik kommt.
Ich tanze selbst keine Soltadas, aber es ist zu sehen, dass solche Variationen – nach dem Abhandeln von Colgadas, Volcadas etc. als Spezialthemen bei Workshops - auf dem Vormarsch sind, ob es mit vielen Tänzern zusammenhängt, die aus der Ecke Standard/ Latein zum Tango stoßen, oder ob es aus den Neo- Variationen kommt, lasse ich mal dahingestellt.
Ich beobachte bei den jungen Neotango Tanzpaaren faszinierende Variationen, die in kein traditionelles Konzept passen, aber warum sollte es auch einen festgelegten „Kanon“ von Schritten oder ein unbedingtes Festhalten an einer bestimmten Umarmung geben?
Kann man es nicht einfach akzeptieren, dass – wie auch in der Generation von Gustavo Naveira und Fabián Salas, später vielleicht bei Chiche Frúmboli oder noch jüngeren „Maestros“, immer mal wieder etwas Neues erfunden und dem Tango zugefügt wird?
Nur eine bescheidene Frage von mir als Anregung, würde mich freuen über einen Kommentar, wie das obige Zitat von Dir verstanden wird.
Ich denke, wenn man dieses Zitat auf den rein körperlichen Aspekt der Haltung bzw. Umarmung reduziert, dann tut man Carlos Gavito unrecht.
Melina und Detlef unterrichten auch stil-neutral, sie betonen also, daß man ebenso in einer offenen Umarmung tanzen kann. Sie bevorzugen halt nur die geschlossene Umarmung. Aber diese sollte organisch und fließend sein.
Vielleicht sollte man das Gavito-Zitat so lesen, daß man connection statt embrace sagt. Dann liest es sich einfacher und ist vermutlich auch näher an dem, was ausgedrückt werden sollte.
Lieber Casiel,
auch ich freue mich außerordentlich, dass du die Kraft gefunden hast, dieser wunderbaren Blog fortzuführen. Ich staune nur, hast du etwa gedacht, wir haben nicht mit diene Rückkehr gerechnet, ja gehofft? Noch mehr freut mich, dass du den Schreiben nicht verlernt hast und auf gewohnter Art uns mit Fragen überschüttet hast, wohl wissend, dass wir auf diesen auch keine (eindeutige) Antwort haben.
Viele Gedanken, die du skizzierst, teile ich auch, das wiest du (und alle regelmäßige Leser) aber bereits. In einen Punkt möchte ich dich wiedersprechen. Ich denke nicht, dass wir den Phänomen Milonga definieren können oder dürfen. Es ist einen Ort, wo sich Leute versammeln um in Rhythmus der Musik sich zu bewegen. Für manche ist es Sport, für anderen einen Happening mit Party-Charakter, für uns „Traditionalisten“ ist es einen Ort, wo man eine „ungetrübten Tangoabend erleben“ kann. Auch ich beobachte gerne die Tanzende und auch mir fallen die, in den vielen Kommentare beschriebe „Tanzstils“, auf. Ist das schlimm? Ich störe mich nicht, wenn jemand vor mir das Gelernte "heruntertanzt" oder jemand in der Mitte der Ronda akrobatische Übungen vorführt. Anderseits stört mich extrem, wenn ein Milonguero gerade in der Stimmung ist 22 Takte auszulassen und einen Stau zu verursachen. Mich stören Tandas mit Neo- bzw. Non-Tangomusik überhaupt nicht. Da ich auf die Musik nicht Tanzen kann, kann ich mich gemütlich zurückziehen und einen oder anderen Gespräch führen. Mich stören viel mehr untanzbare Stücke der EdO oder DJ die nicht verstehen wie man für das tanzende (und hörende) Publikum auflegt.
Ich denke, der große Kunststück, dass wir alle vollbringen müssen ist einen Milonga so zu gestalten, dass allen Spaß macht und jeder Tanztyp seine Vergnügung findet. Und mit „alle“ meine ich wirklich alle – Veranstalter, DJ’s, Tangoleher und selbstv. wir Tänzer. Es ist nicht einfach, es ist aber möglich. Es existieren eine Menge Regeln, die wir hier mehrfach diskutiert haben, die uns dabei helfen werden. Eins müssen wir alle beachten – wir sollen toleranter werden.
Hallo Cassiel,
auch schließe mich den Vorschreibern an, schön das du wieder schreibst. Du sprichst zum großen teil auch mir aus der Seele. Auch wenn ich gern zu klassisch, wie auch neo/non-Tango tanze so ist das von dir beschriebene unsoziale Tanzen überall vorhanden. Das schlimme dabei ist, es sind oft die sogenannten Profis (Tanzlehrer, Bühnentänzer,Argentinier die Workshops anpreisen), die sich so verhalten. ich war auf Millongas, wo auf soziales Tanzen vom Veranstalter mehrmals hingewiesen wurde und es besser wurde, aber nur kurz. Tanzschulenund Workshops versuchen auch immer wieder soziales Tanzen anzuregen, meist ohne erfolg.
Desweiteren fällt mir schwer zu verstehen, das es mit Tänzern durchgeht, wenn die Musik so treibend ist. Ich tanze diese Musik auch sehr gern, dennoch geniesse ich und tanze nicht wild drauf los. Ich glaube aber auch das es inzwischen unterschiedliche Einstellungen zum Tango gibt. Eine richtung ist die Sportliche und eine andere die des Tangoerlebens und -kommunizierens. sportlich sieht oft effektvoll und toll aus (fühlt sich oft aber nicht wirklich gut an), ist aber natürlich anreizender und spricht die noch nicht Tangotänzer an.
Wie geschreiben ich finde mich in deinen obig beschreibenen Gefühlen
ebenso wieder. Zu guter letzt, eine wirklich schöne Tanda ist wie ein Glückstreffer. Es ist schwer die Harmonie zu finden, bei der beide Partner wirklich mit einander kommunizieren und sich auch verstehen!
Kompliment an den Blogger. Ich bin durch Zufall bei der Suche nach Sarli auf diesen Blog gestoßen und habe einige Beiträge gelesen, wobei mir viele aus der Seele gesprochen haben.
Ich bin 28 und tanze mit meiner Partnerin seit 1,5 Jahren Tango. Ich liebe die Leidenschaft und das Gefühl im Tango, was mir bei anderen Tänzen fehlt. Leider kann ich das noch nicht immer in meinen Tanz einbringen, aber ich bin geduldig. Allein was mir auffällt: ich sehe viele Tangueros/Tangueras, die ziemlich arrogant/selbstverliebt und auch intolerant gegenüber anderen Tänzen oder auch Einstellungen zu sein scheinen. Das finde ich schade, denn Toleranz hat noch keinem geschadet...
Den Blog werde ich ab jetzt regelmäßig lesen und freue mich schon auf weitere Beiträge.
LG aus Frankfurt,
Matthias
Sehr schön, dass Du wieder aktiv bist, Cassiel. Die Pause sei Dir von Herzen gegönnt, schließlich werden viele große Autoren gelegentlich von Schreibkrisen geplagt. Du bist also in illustrer Gesellschaft.
Und ich möchte zur Abwechslung auch mal etwas posities sagen:
klar muss eine Menge zusammenpassen, damit eine der hier oben beschriebenen Super-Tandas entstehen kann, die für alles entschädigt und nach der wir alle ein bisschen süchtig sind, aber deshalb ist es nicht gleich ein Aufenthalt in der Vorhölle, wenn mal ein paar Pistensäue unterwegs sind oder wenn ein Paar selbsternannte Tangogötter ein bisschen Figurenturnen macht, oder wenn die Musik mal nicht optimal ist.
Wenn wir auf die eine Milonga warten, wo wirklich nur die sind, die haargenau dasselbe wollen wie wir, dann warten wir wahrscheinlich ewig.
Vielleicht habe ich nur gerade eine menschenfreundliche Phase, aber ich finde, dass die Tango-Community doch im großen und ganzen eine recht angenehme ist, und dass wir nicht auf so hohem Niveau so laut jammern sollten.
Hallo Cassiel,
ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Schön, daß es weitergeht!
Zu den zwei, drei Themen in diesem Beitrag habe ich nicht viel zu sagen, außer vielleicht: Wenn eine Tür zuschlägt, geht eine andere auf, und ein neuer Raum mit neuen Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet sich, auch und vor allem im Tango.
Liebe Grüße an alle, Chris
Ich möchte mich hier auch noch äussern - auch wenn es schon ein wenig spät ist und die Diskussion bereits wieder abflaut.
Cassiel, weisst du eigentlich, dass es auch dein Verdienst ist, dass es inzwischen auf den bundesdeutschen Milongas wieder insgesamt gesitteter zugeht?
Ich habe durch Mundpropaganda (von einer anderen Tanguera) von deinem Blog erfahren und lese hier jetzt seit Jahresanfang. Die relativ lange Pause habe ich für das Lesen alter Beiträge genutzt. Ich freue mich, dass Du wieder schreibst.
Viele Grüße aus Freiburg
Hallo zusammen,
ich bin sehr dankbar, dass es diesen Blog gibt und lese mich nach und nach durch die vielen interessanten Beiträge und kann so vieles nachempfinden.
Die Tangokrise kenne ich auch. Und sie ist nicht gerade erträglich....
Ich erkenne sie an der zunehmenden Intoleranz gegenüber dem tänzerischen Können meiner Tanzpartner aber auch gegenüber meinen eigenen tänzerischen Qualitäten.
Die Ursache ist die Musik. Je länger ich tanze, desto mehr habe ich mich in die alten Tangos (Golden Age) verliebt. Damit meine ich, dass ich immer mehr in diesen Stücken entdecke, was es mir beinahe unmöglich macht, diese Werke auch zu tanzen. Wie soll man dieses Grandiose ausdrücken? Oder eine Kommunikation auch im Paar entstehen lassen?
Die Tangokrise lässt mich demütig am Rand sitzen, die Paare beobachtend, die die Musik auch wirklich hören und miteinander in Kontakt treten.
In der Tangokrise wirke ich vielleicht arrogant, kann Non-Neo-Elektro-Tango nicht ertragen und sehne mich nach rein traditionell ausgerichteten Milongas mit einem DJ, der die Musik liebt und nicht irgendeine Playlist "durchlaufen" lässt. Das meine ich mit der entstehenden Intoleranz, die ich an mir sicher nicht sonderlich schätze.
Vielleicht sollte ich besser gar nicht tanzen gehen in so einer Zeit.
Als Tangosüchtige bin ich natürlich trotzdem los.....und habe in einer fremden Stadt getanzt.
Nachdem drei unterschiedliche Tänzer mich in eine Soltada geführt haben, war meine Laune im Keller. Diese Ausdrucksform erinnert mich in unangenehmer Weise an frühere Discofox-Erfahrungen in der Tanzschule. Die armen Männer konnten nichts dafür und ich überlasse es jedem, Soltadas zu tanzen. Doch für mich tötet es jeden Tanz und ich KANN es einfach nicht tanzen. Es sperrt sich alles dagegen.
Ich frage mich in Zeiten der Tangokrise ob er, ob ich, ob wir dieser wundervollen Musik überhaupt gerecht werden können.
Umso dankbarer bin ich den Tänzern, die mich mit ihrem wundervollen Stil und ihrer Musikalität immer wieder zurück auf die Tanzfläche holen......
@Coqueta
Ich greife mir jetzt einmal Deinen Kommentar stellvertretend für die vielen höchst erfreulichen Rückmeldungen isoliert heraus und schreibe Dir.
Kennst Du die doppelte Verwunderung? Erstens: Das Sich-Wundern über manche Sachverhalte im Tango und dann zweitens: Die Verwunderung über das eigene Sich-Wundern... ;-)
Man könnte es einfach übergehen und versuchen, zur Tagesordnung zu wechseln; oder man schreibt darüber und erfährt, man ist nicht allein mit dieser doppelten Verwunderung. Insofern freuen mich solche Anmerkungen außerordentlich!
Die von Dir beschriebene Phase der Tango-Krise kenne ich sehr gut. Mittlerweile hat sich zwar meine Krise zwar leicht verschoben, aber die Erinnerung ist duchaus lebendig.
Aus eigener Erfahrung kann ich Dir berichten, daß ich diese Ehrfurcht vor der großartigen klassischen Tangomusik durch die Entdeckung der Langsamkeit (übrigens ein tolles Buch) überwunden habe. Die Angst, die wunderbare Musik nicht interpretieren zu können, habe ich inzwischen hinter mir gelassen.
Und auch ich bin wählerischer in meinem Tango geworden und muss nicht mehr zu jeder Musik / mit jeder Tanzpartnerin tanzen. Ich sehe ab und zu auch gerne einmal nur zu.
Für mich ist es dabei ganz wichtig, freundlich und entspannt zu sein (und zu bleiben). Ich will meinen Standpunkt nicht verallgemeinern, möchte mich aber auch nicht durch einen Massengeschmack dominieren lassen. Bisweilen ist es etwas schwierig, das psychisch auszubalancieren - aber es geht (mit einen wenig Übung immer besser).
Mit der Rückbesinnung auf die klassische Tangomusik bist Du auch nicht allein. Diese Beobachtung habe ich sehr häufig machen können. Und es gibt viele Tangobegeisterte, denen es auch so geht.
Wenn man den eigenen Tango als Weg betrachtet, dann eröffnen sich sehr spannende Perspektiven.
Ich kann inzwischen sehr gut damit leben, daß es Menschen im Tango gibt, die mit den Themen hier nichts anfangen können. Solange allerdings ab und zu Rückmeldungen kommen, die Deinem Text ähnlich sind, solange werde ich weiter schreiben...
Ich möchte mich für Deine ausführliche Anmerkung herzlich bedanken.
C.
@Coqueta
Es ist wirklich sehr hilfreich, wenn man die eigene Gedanken auch bei andere Menschen entdeckt - da fühlt man sich nicht so allein und frustriert. Für deine Offenheit möchte ich Dir danken!
Den Zustand, der Du (und auch Cassiel in den Eröffnungsbeitrag) beschreibst, kenne ich nur zu gut. Ich glaube nicht, dass der Auslöser einer „Tangokrise“ bei mir die Musik ist. Vielmehr beobachte ich solche „Krisenzustände“, die in regelmäßige Abstände kommen, bei jeder kreativer Tätigkeit, die ich längere Zeit ausübe. Die Dauer diese Tiefs sind unterschiedlich, die Gründe für die Entstehung sind mir unklar. Eins ist mir aber klar geworden und das ist auch mein erster Schritt zum Überwindung der (Tango)Depression: nach so einen Tief kommt garantiert eine Weiterentwicklung, deren Ergebnisse umso besser und befriedigend sind, je tiefer die Depression war. Diese Erfahrung deckt sich mit dem, was Cassiel als "eigenen Tango als Weg betrachten nennt.
Ich vermute die Ursache von Tango-Krisen bei mir in der Widerspruch zwischen die Ziele, die ich mich Stelle und die objektive Fähigkeiten, die ich zu den jetzigen Zeitpunkt besitze. Ja, klar, man möchte immer „schöner“ Tanzen (wie die alte Tangueros aus BsAs), man möchte die Musik immer besser verstehen und interpretieren (wie die berühmten Tangolehrer), man möchte… Halt, klingt das nicht ein wenig nach Wettbewerb, ja nach Sport. Ich versuche meine Ziele bei Tango anders zu setzen, in eine Richtung, wo mein Ego nicht so aktiv ist :)
Ich werde wahrscheinlich diese "Grandiose" in den Tangos der EdO nie richtig ausdrücken können, ich werde aber immer wieder versuchen. Und wenn bei diesen jämmerlichen Versuchen ein wenig Glücksgefühl bei mir und meine Partnerin entsteht, dann bin ich meine Ziele beim Tango ein Stück näher gekommen.
@Coqueta
P.S. technisch gesehen sind Soltadas relativ einfach zu tanzen. Die Schwierigkeit besteht darin, trotz fehlenden Körperkontakts, die "Verbindung" zw. den Tanzenden nicht zu unterbrechen. Ja, Du hast Recht, wenn die Verbindung verloren ist, ist der Rest des Tanzes tot. Und nein, die "armen Männer" können sehr wohl was dagegen tun.
Gegen Soltadas können Männer viel tun, nämlich lassen ;-) Frauen können auch was tun. Einfach die Tanzfläche verlassen. Wenn einer dumm fragt, kann man ganz entspannt sagen: "Ich dachte du magst nicht mehr, weil du mich losgelassen hast"
@sweti:
Ich werde wahrscheinlich diese "Grandiose" in den Tangos der EdO nie richtig ausdrücken können, ich werde aber immer wieder versuchen. Und wenn bei diesen jämmerlichen Versuchen ein wenig Glücksgefühl bei mir und meine Partnerin entsteht, dann bin ich meine Ziele beim Tango ein Stück näher gekommen.
Das ist ein richtig schöner Satz.......
@chamuyo:
Ich habe mich nach den Soltada-Tänzen jeweils bedankt und bei einem richtig netten Tänzer habe ich mich auch entschuldigt und mich erklärt. Der kann ja nun auch nichts dafür, dass ich so eingefahrene Vorstellungen habe ;-)
@Cassiel:
ja, die doppelte Verwunderung. Sie macht es nicht leichter.....
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