Montag, 31. Oktober 2011

Für die neue Woche 125: Rodolfo Biagi, Alberto Amor - Seamos amigos

Nachdem ich schon in der letzten Woche einen Titel von Rodolfo Biagi vorstellen wollte und keinen passenden Vals gefunden habe, gibt es diese Woche einen Tango von Rodolfo Biagi mit dem Sänger Alberto Amor (was für ein Name).

Seamos amigos (wenn mich meine äußerst lausigen Spanischkenntnisse nicht im Stich lassen, ist das etwa mit Lass uns Freunde sein zu übersetzen) ist eine Einspielung aus dem Jahr 1944.

Ein Viertaljahr später spielte Juan D'Arienzo mit seinem Orchester und dem großartigen Sänger Alberto Echagüe diesen Tango ebenfalls ein. Mich interessieren neuerdings diese zeitnahe fast parallelen Einspielungen von Tangostücken durch verschiedene Interpreten sehr. Ich denke, es ist ein guter Einstieg für den Vergleich der jeweiligen Orchester unabhängig von den Einflüssen verschiedener (Zeit-)Phänomene. Zusätzlich kommt dem Titel dieses Tangos eine fast programmatische Funktion zu. Seamos amigos, bei aller Konkurrenz, lass uns Freunde sein. Rodolfo Biagi war bis 1938 als Pianist ein zentrales Mitglied im Ensemble von Juan D'Arienzo; manche Chronisten sagen sogar, daß er entscheidend zur Ausformung des charakteristischen Stils von D'Arienzo beigetragen hat.

Die genauen Umstände, die dazu geführt haben, daß die beiden Tangopersönlichkeiten irgendwann getrennte Wege gingen, sind wohl heute nicht mehr genau nachvollziehbar. Das ist auch m.E. nicht so wichtig. Für mich ist die Kollegialität der Musiker untereinander entscheidend. Es gibt Photos aus der Zeit, die das who-is-who im Tango beim gemeinsamen Feiern zeigen. Das wünsche ich mir auch für die Gegenwart. So manches lokales Scharmützel zwischen konkurrierenden Veranstaltern ist m.E. höchst überflüssig.

Für mich ist es ausgesprochen schwer, aus diesen beiden Interpretationen meinen Favoriten auszuwählen. Beide Stücke sind reizvoll. Ich bin ein großer Fan von der Stimme von Alberto Echagüe (geworden), andererseits reizt mich das Klavierspiel von Rodolfo Biagi. Großartig! Ich höre förmlich, welche Leichtigkeit beim Tanzen mir noch fehlt und ich freue mich darauf, diese in den nächsten Jahren zu entdecken!

Rodolfo Biagi (Sänger: Alberto Amor) Eine Aufnahme vom 15. September 1944

Direkter Link zum Titel bei goaer.com.

Juan D'Arienzo (Sänger: Alberto Echagüe) Eine Aufnahme vom 15. Dezember 1944

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche.

8 Anmerkung(en):

Cinderella hat gesagt…

Es gibt noch mehr Tangosänger mit auffallend klangvollen Namen. Das hat mich anfangs noch mehr ins Schwärmen gebracht bei dem einen oder anderen. Dann erfuhr ich allerdings, dass das oft 'nur' Künstlernamen sind. Egal, sie singen trotzdem wunderschön.

chamuyo hat gesagt…

Es bedeutet zwar "lass uns Freunde sein", aber nicht in dem heute üblichen Sinn eines verblümten "ich will jetzt Schluss machen", oder "Du bist es einfach nicht", sondern als echtes Freundschaftsangebot nach länger vorausgegangener Trennung im Streit. Und es geht nicht um Männerfreundschaft, sondern um Liebe.

KerstinGaertner@msn.com hat gesagt…

Lieber Cassiel! Danke für diesen blog, wo ich immerzu was lerne, und anregungen bekomme. Diesmal hätte ich eine frage : als ich das letzte mal in Baires war, das war vor 5 monaten, spielten sie in jeder Pugliesetanda LA TUPUNGATINA..und das fand ich sehr schön - mag sein dass " noch nie gehört" - mag sein dass die tänzer besonders gut waren. Habe es gesucht und gefunden, in der gesamtausgabe von Pugliese. Hab auch bei todotango den text gefunden. Auf anfrage sagten mir die "alten milongueros" dass es sich um eine argentinische zamba handelt. Aber.. was bedeutet der Titel? (der text gibt keine hinweise) Wer kann mir da weiterhelfen?
Lieben gruss Kerstin

Theresa hat gesagt…

@Kerstin:

Ich vermute stark, dass "La Tupungatina" von der Stadt Tupungato in der Provinz Mendoza kommt; also eine Frau aus dieser Stadt. Die Harmonien sind ganz andere als im Tango üblich. Sie werden schon mit der Folklore zu tun haben, davon verstehe ich aber nichts.

Ich war im September in Buenos Aires, und da wurde immer noch sehr häufig La Tupungatina gespielt!

Außerdem wurde ständig Marión von Caló gespielt, und die Milonga "Cacareando" vom OT Victor. Das sind so Moden, die kommen und vergehen. Vor ein paar Jahren war es "Poema" und eine gewisse Malerba-Tanda und eine gewisse García-Tanda. Auf dem Milonguero-Festival in Impruneta, auf dem ich gerade bin, ist es u.a. "Invierno" von Canaro.

Interessant ist es, wie ein Stück es vom Status "unbekannt" zum Status "aktueller Hit" schafft. Dazu muss es DJs geben, die Unbekanntes ausgraben und spielen. Und das ist gut so.

Theresa

chamuyo hat gesagt…

Invierno entwickelt sich zur Landplage. Das Lied ist zwar wunderschön, Maida sowieso, aber muss man das auf jeder Milonga hören? Warum keins der anderen 50 oder mind. 36 wunderschönen Canaro mit Maida Lieder?
Meine bösartige Antwort ist: weil man es nicht auf CD bekommt und jeder DJ meint zeigen zu müssen wie toll und "in" er ist, weil er das eben hat.
..nein, ich mag keine Moden...

tangopeter hat gesagt…

@Theresa

La Tupungatina ist seit ca. 10 Jahren mein absolutes Lieblingsstück
von Pugliese, jenseits aller Moden. Ich gestehe allerdings, dass ich anfangs
doch einen gewissen Stolz empfand, weil es dort, wo ich auflegte, niemand kannte
und ich die bewundernde Neugier durchaus genoss.
Eine schöne Folkloreversion gibt es hier zum anhören. Vielleicht kann eine Übersetzung
zur Erhellung des Hintergrundes des Liedes beitragen, mein Spanisch reicht leider nicht aus.

@chamuyo

Das mit den Moden ist zwiespältig.
Ohne sie gäbe es keine Entwicklung und keine (Wieder)entdeckungen.
Deine "bösartige" Ansicht teile ich allerdings, ich wollte vor Jahren auch immer wieder
gerne toll und aussergewöhnlich sein, heute nenne ich dieses Verhalten
die "DJ-Krankheit", das Bestreben, sich als DJ wichtig zu machen.
Heute ist ein guter DJ für mich wie ein guter Chauffeur - man bemerkt ihn gar nicht
und kann deswegen die Milonga / die Fahrt ungestört entspannt geniessen.
Ein Dienstleister halt, der einerseits den Meistern der Tangomusik und andererseits
den Gästen dient, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen.
Zu dieser Dienstleistung gehört es aber auch, Musik immer wieder (neu) zu hören,
nach Versionen in besserer Tonqualität Ausschau zu halten und nicht zuletzt
weniger bekanntes auszugraben, auszuwählen und den Gästen zu Gehör zu bringen.
Ich tue das mittlerweile nur, wenn ich selber rundum von einem Titel überzeugt bin.
Invierno habe ich bislang nicht gespielt, weil mir die Tonqualität in der mir vorliegenden
Aufnahme nicht genügt. Aber vielleicht hat ja jemand... >;->

tangopeter hat gesagt…

Nachtrag:
Ich habe in meinem vorherigen Beitrag vergessen, den Text reinzukopieren:

Ya se van para los campos y adiós;
a buscar yerbas de olvido y dejarte.
Haber si con esta ausencia pudiera
en relación a otro tiempo olvidarte.
Haber si con esta ausencia pudiera,
en relación a otro tiempo olvidarte.
He vivido tolerando martirio
y jamás pienso mostrarme cobarde.
Arrastrando una cadena tan fuerte
hasta que mi triste vida se acabe.
Arrastrando una cadena tan fuerte
hasta que mi triste vida se acabe.
Cuando a la fe no de tiempo
mis penas
no hay mal que por bien no venga
aunque tarde.
Cuando no halla tierra ni agua ni cielo.
Se acabaran mis tormentos cobarde.
Cuando no halla tierra ni agua ni cielo
se acabarán mis tormentos cobarde.

Wie gesagt, meine eigene Übersetzung liest sich schaurig, ich möchte sie niemandem zumuten
=8-((

Andreas hat gesagt…

@Chamuyo:

Klar gibt es jede Menge Canaros mit Maida, aber es hat schon seinen Grund, daß davon nicht alle gespielt werden. Viele davon finde ich ganz schön, aber sie sind nicht "stark" genug, daß ich sie auf einer Milonga spielen würde. Oft fängt das Stück auch schön an, nur um dann abzusaufen, wenn Maida einsteigt (ob das nun an Maida liegt oder den Arrangements, sei mal dahingestellt).

Was Moden angeht, so ist es nun mal ganz natürlich, daß ein "neu entdecktes" tolles Stück rauf- und runtergespielt wird, bis man genug davon hat. Das war mit Poema so, und jetzt eben mit dem "neuen Poema" Invierno. Allerdings wird es m.E. so viel gespielt, weil die Leute es lieben. Schwer zu bekommende Tangos gibt es genug, das erklärt es nicht, und inzwischen haben zu viele Leute dieses Stück, als daß es noch wirklich als Rarität durchgehen könnte.

Wenn ich ein mir unbekanntes Stück auf einer Milonga höre, kann meine Reaktion von Irritiertheit bis Begeisterung reichen, abhängig eben davon, wie gut ich das Stück finde. Als ich zum ersten Mal Invierno hörte, wollte ich sofort wissen, was das ist, wollte es haben, und wollte darauf tanzen. Wie damals bei Poema eben.
Zumindest in der "Encuentro-Szene" schlug Invierno vor etwa einem Jahr wie eine Bombe ein, und das mit Recht, wie ich finde, denn es ist ein extrem starkes Stück.

Ich stimme Theresa zu, daß DJs immer mal wieder Unbekanntes ausgraben sollten. Solange sie es nicht übertreiben halt.

Ein ganz interessanter Effekt ist übrigens, daß jetzt Poema wieder mehr gespielt zu werden scheint, weil man nicht unbedingt das Offensichtliche tun will (Invierno spät am Abend).