Freitag, 10. August 2012

Ein weiterer Versuch über die Höflichkeit und die Ehrlichkeit im Tango

Es ist mal wieder an der Zeit, ausführlicher und gründlicher über einen Gedanken zu schreiben und heute soll es ein Thema sein, welches mich schon längere Zeit umtreibt. Es geht um die Abgrenzung von Höflichkeit und Ehrlichkeit im Tangokontext - eine erstklassige Möglichkeit, sich einmal virtuell gehörig die Finger zu verbrennen.

Mit dieser Frage sah sich vermutlich jede Tanguera, jeder Tanguero bereits einmal konfrontiert: Wo bitte eigentlich verläuft zumindest ungefähr die Trennlinie zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit im Tango? Bevor ich allerdings versuche, mich anhand von konkreten Beispielen der Frage zu nähern, müsste einmal grundsätzlich geklärt werden, ob die Fragestellung überhaupt legitim ist. Schließlich wird das Gegenteil von höflich üblicherweise mit unhöflich gebildet und das Gegenteil von ehrlich ist unehrlich. Sind also die Gleichsetzungen, die in der Ausgangsfrage postuliert werden, überhaupt statthaft? Ist Höflichkeit also auch unehrlich und Ehrlichkeit zugleich auch unhöflich?


Betrachten wir vielleicht vor weiteren Überlegungen einmal ein paar konkrete Situationen. Wahrscheinlich hat es jeder schon einmal erlebt: Eine Partnerin oder ein Partner verlangt Feedback nach einer Tanda und persönlich hat man diese Tanda nun nicht so uneingeschränkt genießen können, oder vielleicht: Man wird (unter Missachtung des Cabeceos) direkt verbal aufgefordert und hat die Wahl zwischen Pest und Cholera, entweder man tanzt widerwillig eine Pflicht-Tanda oder man lehnt die Aufforderung ab um den Preis, daß einem das eigene Verhalten als unhöflich ausgelegt wird). Nach einer Vorführung in einer Milonga wird man unmittelbar gefragt, wie es denn einem persönlich gefallen habe und die Darbietung war so ganz und gar nicht nach dem eigenen Geschmack. Alternativ wäre vielleicht noch die Frage beim After-Milonga-Smalltalk, wie einem die Musik gefallen hat, zu nennen.

Fast all diesen Beispielen ist gemeinsam, daß man subtil um eine Wertung gebeten wird (bei dem Aufforderungsbeispiel ist es sehr versteckt; der oder die Auffordernde setzt unausgesprochen vorraus, daß man eine Tanda mit ihm oder ihr auch positiv besetzt hat und nun mit ihm oder ihr auch tatsächlich tanzen will). Möglicherweise sieht man sich gezwungen, zwischen den beiden Alternativen, die sich aus der Fragestellung ergeben, wählen zu müssen. Erst neulich las ich von einer Tanguera, die sich über Männer beschwerte, die über diese Frauen lästerten. Diese Frauen, die in ihren 40ern, frisch geschieden nach Buenos Aires übersiedeln und meinen, sie können sich und/oder den Tango neu erfinden. Natürlich kenne ich weder die Tanguera, die diese Zeilen schrieb, noch einen der Tangueros, die sich in der Art und Weise eingelassen haben. Insofern werde ich natürlich gar nichts zu dem Thema schreiben. Etwas anderes erscheint mir an dieser Situation bemerkenswert: Durch das Artikulieren dieses möglichen Dissenses wird der Kommunikationspartner möglicherweise genötigt, Stellung zu beziehen. Und so sollte in diesem Beispiel (wie übrigens auch in allen obigen Beispielen) die Frage nach der Höflichkeit vs. Ehrlichkeit viel früher in der entsprechenden Gesprächssituation gestellt werden; nämlich zu dem Zeitpunkt, an dem die oder der Fragende sein initiales Anliegen formuliert. Für meine Begriffe stellt sich nämlich nicht erst in dem konkreten Augenblick (also etwa, wenn man unmittelbar um ein Feedback gebeten wird) die scheinbar alternativlose (ein furchtbares Wort) Wahl zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit. Das Kind ist mit der initalen Bitte um Feedback bereits in den Brunnen gefallen. Ist es tatsächlich klug, einen Mitmenschen im Tango derartig in die Enge zu treiben und sie oder ihn zu einer Wertung zu nötigen?

Aber wie kann man im Tango-Alltag solchen Situationen entfliehen? Da bliebe zunächst die Option, eine solche direkte Frage überhaupt nicht zu beantworten und schlicht das Thema zu wechseln oder zu schweigen. Diese Option ist allerdings häufig mit der Gefahr verbunden, sich - ausgesprochen oder unausgesprochen - dem Vorwurf der Arroganz ausgesetzt zu sehen. Eine weitere Möglichkeit wäre es, durch geschickt gewählte Adjektive der oder dem Fragenden zu signalisieren, daß man sich eben nicht zu einer Wertung hinreißen lassen möchte. So kann z.B. eine Vorführung bei einer Milonga, auch wenn sie einem selbst nicht gefallen hat, interessant, ambitioniert, sportlich etc. sein. In vielen Fällen wirkt eine solche Reaktion Wunder. Dieser Trick mit der Mehrdeutigkeit einer Reaktion funktioniert natürlich nicht, wenn ein Mitmensch in einer Milonga die Codigos bricht und nicht per Blickkontakt auffordert. Da wird man tatsächlich in die Enge getrieben und muss zwischen den Optionen Tanzen und Nicht-Tanzen wählen (mit allen Konsequenzen). Aus diesem Grunde, vertrete ich nach wie vor die Ansicht, der Cabeceo ist eine segensreiche Erfindung und nicht etwa ein Überbleibsel des Machotums im Tango, das wir Europäer nicht brauchen (so äußerte sich neulich ein an sich erfahrener Tanguero im Gespräch).

Geht man also die Situationen im Kopf noch einmal durch, in denen man vermeintlich zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit wählen musste, dann wird man feststellen, daß in fast allen Situationen bereits deutlich früher etwas schief gelaufen ist. Und für das eigene Verhalten in der Milonga (und im Umfeld des Tangos) entsteht vielleicht eine neue Erkenntnis: Bringe nie einen Mitmenschen im Tango in die Situation zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit (in dem Sinne, wie ich es oben versucht habe zu skizzieren) wählen zu müssen.

Unabhängig davon bleibt die Höflichkeit natürlich unbestritten eine Kulturtechnik, die uns das Zusammenleben ungemein erleichtert. Ist es also zu einer Situation gekommen, in der es notwendig geworden ist, höflich zu sein, dann haben wir immer die Option, über den eigenen Schatten zu springen. Nur das sollte bitte niemals vorsätzlich oder grob fahrlässig ausgenutzt werden.

So! Das war es vorerst einmal. Ich freue mich auf Anregungen, andere Meinungen und eine (hoffentlich) lebhafte Diskussion in Kommentaren.

64 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Großartig! So hatte ich das überhaupt noch nicht gesehen.

1000 dank

Anonym hat gesagt…

Ein bemerkenswert ambitioniertes Stück!

Anonym hat gesagt…

Da bin ich ehrlicher: Schwachsinn! Geh mehr tanzen!

Melina Sedo hat gesagt…

Ich finde nicht dass dies hier Schwachsinn ist.

Gerade im Tango ist man/frau sehr häufig mit der Frage konfrontiert, ob man/frau ein negatives Feedback geben sollte. Insbesondere Frauen wählen dabei sehr häufig die Variante "Höflichkeit", um nicht Mauerblümchen spielen zu müssen. Oft ist man/frau dann aber nachträglich mit seiner Reaktion unzufrieden und wünscht sich, man/frau wäre ehrlicher gewesen.
(Ups, entschuldigt das ökomäßige man/frau, ist ein Überbleibsel aus politischen Zeiten und tritt leider auf, wenn ich deutsch schreibe.)

Für mich persönlich habe ich diese Frage wie folgt geklärt:

1. Ich werde niemanden in die unangenehme Lage bringen, zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit wählen zu müssen, wenn ich nicht selbst bereit bin, ein negatives Feedback zu bekommen. Sprich: Ich bitte nur um Feedback, wenn ich auch wirklich eine ehrliche Antwort hören will.

2. Wenn mich jemand um Feedback bittet, werde ich auf jeden Fall eine ehrliche Antwort geben. Ich werde versuchen, eine Kritik so zu formulieren, dass sie nicht unnötig verletzend ist, aber ich werde niemanden "aus Höflichkeit" schonen. Oder aus Angst, einen Kunden zu verlieren lügen! Übertriebene Höflichkeit bringt niemanden in seiner Entwicklung weiter.
Und wenn jemand mich am Tisch ohne Cabeceo auffordert, geht er das Risiko ein, eine Ablehnung bekommen, wenn ich gerade nicht tanzen will. Also besser Cabeceo verwenden! ;-)

Nun ist dieses Verhalten für mich typisch: Ich kritisiere verhälnismäßig viel (auch weil ich oft um meine Meinung gebeten werde) und bin mit Lob sparsam. Aber WENN ich etwas/jemanden lobe oder eine Einladung annehme, kann diese Person sicher sein, dass es auch wirklich ehrlich gemeint ist. Und das ist mir am Wichtigsten!

Schönen Tag noch!

Chris hat gesagt…

nach langer Durststrecke, so empfand ich es, wieder ein richtig guter Debattenbeitrag von Cassiel zu einem echten Dauerbrenner im Tango, abgesehen von dem unnötigen Seitenhieb auf die 'Tanguera', die sich kürzlich der Themen Cabecceo und Ablehnung verstärkt angenommen hatte.

Ich oute mich gerne als unbedingten Fan des Cabecceo, der es den Teilnehmenden im Falle nicht gleichlaufender Interessen ermöglicht, wenn schon nicht zu einem Tanz zu kommen, so doch zumindest ihr Gesicht zu wahren.

Trotzdem bleibt auch dann eine Zurückweisung eine Zurückweisung und die Frage 'höflich oder ehrlich' reduziert sich weiter auf die Entscheidung selbst. Lehne ich ein Gesuch/eine Bitte um einen Tanz ab, weil ich nicht will, oder willige ich gleichwohl ein.

Für beide Entscheidungen gibt es meineserachtens gute Gründe, auch jenseits von Ehrlichkeit und Höflichkeit. Manchmal kommt es nur darauf an, wer fragt, manchmal ist es auch nur eine Frage der Tagesform.

Grundsätzlich lehne ich keine Bitten ab. Abgesehen von der berühmten 'Kinderstube' liegt für mich auch eine nicht unerhebliche Befriedigung darin, wenn es für meine Gegenüber schön war. Das hat dann aber nicht unbedingt etwas mit Höflichkeit zu tun, es ist eigentlich nur eine etwas andere Form von Egoismus.

Terpsichoral hat gesagt…

Ich bin etwas verwirrt ueber die Anspielung auf ein Thema, das ich anderswo erwaehnt habe das, meines Erachtens, hier weder sehr relevant ist noch zum Thema passt. Um Missverstaendnisse zu vermeiden, und NUR deswegen, zitiere ich hier, dass was ich andersowo geschrieben habe: "One of the things I hear repeatedly is complaints/murmurings about *those* women. The conversation generally goes something like this. "Oh God, I hate those women. You know the ones: divorced foreign women in their forties. Sex-starved, naive and full of romantic notions about tango. They leave everything and go to live in Buenos Aires and reinvent themselves as tango dancers. They have lots of crazy ideas about what tango is *really* about. But really they dance because they just want to be held by some virile Argentine guy. And then they write these ridiculous books and blogs about their experiences." If I had a penny for every time I've heard or read this I would be rich as Croesus. And, of course, it always makes me cringe. Not least because, of course, I am one of "those women". But not *only* because of that." Es scheint mir, dieses Thema hat mit dem Rest von Cassiels Blogeintrag nicht das geringste zu tun. Und das finde ich schade, denn der Rest des Blogeintrags ist extrem interessant.

Aber ansonsten bin ich vollkommen, hundertprozentig einer Meinung mit Melina. Und freue mich sehr, wie immer, ueber diesen neuen Beitrag Cassiels.

cassiel hat gesagt…

Geneigte Blogger-Kollegin,
verehrte Terpsi,

ich habe mich vermutlich nicht deutlich genug ausgedrückt, wenn Du der Ansicht bist, die Erwähnung Deines Beitrags passt nicht zum Thema. Eigentlich hätte ich es diskret und ohne Namensnennung abwickeln wollen - Du hast anders entschieden.

Für mich stellt sich die Frage, ob ich in einem Tangoumfeld Mitmenschen in eine Situation bringe, in der sie werten müssen. Deshalb hat mich auch Dein ursprünglicher Beitrag sehr nachdenklich gemacht (um nicht sagen zu müssen: er hat mich gestört) und ich habe versucht, dieses diffuse Gefühl zu ergründen und dazu zu schreiben. Ich will einen solchen Konflikt, der offensichtlich zwischen Dir und einigen Tangueros besteht, am liebsten überhaupt nicht mitbekommen. Ich möchte so etwas eigentlich auch nicht lesen.

Ich fühle mich - überspitzt formuliert - durch solche Einträge genötigt, Stellung zu beziehen. Und das kann ich nicht. Um es klar zu sagen: Ich würde mich über niemanden derartig äußern; vermutlich sind aber diese Tangueros der Meinung, sie wären ehrlich.

Die Art und Weise, wie Du hier m.E. subtil ein schwarz-weiß-Denken "einforderst", finde ich problematisch.

Was willst Du denn von diesen Herren? Sollen sie höflich schweigen?

Mir wäre ees sehr lieb gewesen, wenn wir das ohne Namensnennung - also nur um der Sache willen - hätten ausdiskutieren können. Nun ist es anders gelaufen und ich hoffe, Du kannst mit meiner kritischen Randnotiz umgehen.

Terpsichoral hat gesagt…

Natuerlich bekomme ich gerne Kritik. Allerdings ging es beim urspruenglichen Status ueberhaupt nicht um persoenliche Kritiken, die irgendwelche Tangueros mir spezifisch gegenueber geauessert haben. Wo hast du dir nur einen solchen Eindruck geholt? Das haette ich eigentlich nie in einem Facebook-Status zitiert und ich bin etwas baff, dass du das so verstanden hast -- und ausserdem etwas verletzt, dass du glaubst, ich waere eine Person, mit denen einige im wirklichen Leben 'Probleme' haetten -- etwas, was mir noch nicht passiert ist. Meine Status sind uebrigens nur dann persoenlich, wenn ich das buchstaeblich erklaere oder erwaehne. Die Idee davon, ist Diskussionen zu stimulieren, nicht eine Autobiographie zu schreiben. Das 'Meckern' ueber aeltere auslaendische Frauen im Tango bekomme ich dann -- und nur dann -- von Menschen zu hoeren, die erstens mein Alter unterschaetzen (einige behaupten, ich sehe juenger aus, als ich bin) und zweitens nicht wissen, dass ich schreibe (etwas, was ich fast nie in Buenos Aires erwaehne oder bespreche, wo das die Leute ohnehin nicht sehr interessieren wuerde). Fuer die 'Meckerer' ist das also ein allgemeines Thema und keineswegs eine persoenliche Kritik an mir. Dabei bekomme ich trotzdem ein unwohles Gefuehl. Die Verbreitung von Cliches (auch wenn sie manchmal, in einzelnen Faellen zustimmen koennten) finde ich immer unhilfreich. Natuerlich bin ich auf Kritiken gegen aeltere Frauen beim Tango, gegen Auslaenderinnen, usw. besonders sensibel. Aber ich bin zB auch kein schwuler Mann und wenn jemand so ein Gespraech anfangen wuerde "ich hasse jene Schwule..." wuerde ich das auch unschoen finden. Ist das wirklich so schwer zu verstehen? Da ich dieses Thema (aeltere auslaendische Frauen im Tango) im Gespraech nie aussuche oder vorschlage, ist mir auch schleierhaft, wie ich da die 'Meckerer' vor eine Wahl zwischen Hoeflichkeit und Ehrlichkeit setze.

Terpsichoral hat gesagt…

Eine weitere Erklaerung, fuer den Fall, dass ich mich nicht klar genug ausgedrueckt hast. Vielleicht gibt es auch aeltere Frauen, die in Buenos Aires Tangotanzen, die naive und sexuel ausgehungert sind und Schwachsinn ueber ihre Erfahrungen schreiben. Das ist moeglich. Aber sogar dann finde ich folgendes. Dass manche Mitglieder einer spezifischen Gruppe gewisse Merkmale besitzen heisst lange nicht dass alle oder sogar die meisten Mitglieder der Gruppe diese gleichen Merkmale teilen. Ich bin deswegen gegen pauschale Verallgemeinerungen ueber Menschengruppen, seien es Deutsche, 'Auslaender', Argentinier, Tangotaenzer, Frauen ueber 40, Blogger oder wer auch immer. Zu sagen, "alle Deutschen sind aggresiv" oder "alle Frauen ueber 40 sind doof" oder was auch immer ist fuer mich nicht 'Ehrlichkeit' -- es ist Engstirnigkeit und faules Denken. Deswegen finde ich, dass dieses Thema ueberhaupt nicht hier passt.

Im allgemeinen wuerde ich herzlichst darum bitten, wenn du irgendwas von mir hier besprechen willst, entweder den Originalbeitrag zu linken, oder den urspruenglichen Status zu uebersetzen oder woertlich zu zitieren. Deine Art und Weise, dunkel auf Sachen anzuspielen fuehrt, meiner Meinung nach, zu sehr vielen Missverstaendnissen. Und zu irrelevanten Diskussionen wie diese. Wenn dich etwas stoert oder nachdenklich macht, was ich schreibe, bitte ich herzlichst, einen Kommentar bei mir zu hinterlassen. Meine Status sind oeffentlich. Jeder kann einen Kommentar hinterlassen, auch ohne mein Facebook-Freund/In zu sein. Und, da ich Deutsch spreche, kannst du auch gerne auf Deutsch Kommentare hinterlassen. Ansonsten fangen wir immer an, meine Meinungen zu besprechen, anstatt deine. Und ich lese diesen Blog, weil ich deinen Schreibstil schoen finde und weil DEINE Meinungen mich sehr interessieren.

Anonym hat gesagt…

Terpsichoral: hast du einmal darüber nachgedacht, warum der Autor hier bewusst deinen ursprünglichen Beitrag anonymisiert wiedergegeben hat und dabei höflich einige wirklich unter die Gürtellinie gehende Details ausgelassen hat?

Vermutlich ging es ihm wirklich um die Punkte, die er genannt hat: er will es nicht wahrnehmen müssen und er will nicht werten müssen. Also ich kann das ganz gut nachempfinden. Ist es möglich, dass dir der nötige Abstand fehlt, weil du dich angesprochen fühlst? Vielleicht denkst du dann erst einmal nach und schreibst dann.

Die Äusserungen über die Frauen in Buenos Iares kann ich mindestens nachenpfinden.

Terpsichoral hat gesagt…

Und jetzt faengt es wieder an...

Was fuer "unter der Gurtellinie liegende Details"??? Bitte hinterlasse deinen Kommentar auf meinem Facebook. Vielen Dank.

Terpsichoral hat gesagt…

Anonym

Ab und zu hoere ich auch "die Allerschlimmsten sind die amerikanischen Juedinnen; die Juedinnen sind immer sexbessesen". Ich bin nicht juedisch und fuehle mich da nicht direkt angesprochen. Aber versteht ihr wirklich nicht (du und Cassiel), warum mich solche Auesserungen stoeren?

Anonym hat gesagt…

Da werde ich jetzt langsam ärgerlich. Wenn du dich jetzt in eine Linie mit verfolgten Schwulen und Juden stellst, dann skandalisierst du die Situation und das ist nicht angemessen. Es bringt nichts. Ich verabschiede mich an dieser Stelle aus der Diskussion da ich weder etwas gegen Schwule noch etwas gegen Juden habe. Ich weiß jetzt wieder warum ich in deinem Facebook nichts schreibe.

Terpsichoral hat gesagt…

Anonym: das hat mit mir persoenlich nichts so tun. Es geht um eine Diskussion, die da auf meinem Facebook stattfindet. Und ich versuche zu erklaeren, was da gemeint wurde. Du hast selber von "unter der Gurtellinie gehenden Details" gesprochen. Also habe ich eine dieser Details erwaehnt. Da meldest du dich gleich von der Diskussion ab. Gut. Es ist ja auch eine Diskussion die hier wirklich nichts zu suchen hat.

Jörg hat gesagt…

Chris schrieb:
"Abgesehen von der berühmten 'Kinderstube' liegt für mich auch eine nicht unerhebliche Befriedigung darin, wenn es für meine Gegenüber schön war. Das hat dann aber nicht unbedingt etwas mit Höflichkeit zu tun, es ist eigentlich nur eine etwas andere Form von Egoismus."
Dies trifft auch für mich zu! Allerdings befriedigt es nur dann mein Ego, wenn es sich dabei um eine Frau handelt, die mich auch über das Tanzen hinaus interessieren würde...
Ansonsten bin ich sehr für Ehrlichkeit, kann mittlerweile damit umgehen, dass das mitunter nicht gut ankommt.
Erst kürzlich wurde ich von einer Frau über geschickte Umwege verbal zum Tanz aufgefordert.
Ich antwortete ihr, dass das doch beim letzten mal nicht so gut mit uns funktioniert hatte.
Sie meinte, dass das doch schon eine ganze Weile zurückliegt, bedankte sich aber für die Offenheit.
Persönlich hasse ich es, keine Antwort anstelle einer ehrlichen Einschätzung zu bekommen. Das ist überhaupt nicht höflich, wenn doch konkret gefragt wurde.
Danke Cassiel, für den großartigen Thread!

Aurora hat gesagt…

Lieber cassiel,

schön wieder einen anregenden Beitrag von Dir zu lesen!

Höflichkeit oder Ehrlichkeit im Tango eine interessante Frage. Grundsätzlich bin ich für Ehrlichkeit. Speziell im Tango ist diese jedoch etwas zu Gunsten der Höflichkeit zurückzustellen. Zum einen kommt man seinen Tanzpartner nicht nur körperlich sondern auch emotional ziemlich nahe. Zum anderen sollte man auch Anfänger nicht durch Kritik auf einer Milonga vergraulen, sondern sie eher ermuntern.
Deshalb bin ich mit persönlicher Kritik stets zurückhaltend. Schließlich bin ich keine Tanzlehrerin. Ungefragt äußere ich mich nicht - ausgenommen gegenüber meinem Lebenspartner.
Mein persönliches Kompliment an einen Tänzer ist einfach eine erneute Aufforderung anzunehmen bzw. den Blickkontakt erneut zu suchen oder zwei Tandas zu tanzen.
Ich persönlich empfinde es ebenfalls als Kompliment, während einer Veranstaltung erneut von dem selben Tänzer aufgefordert zu werden.

In Puncto direktes Auffordern unter Missachtung des Cabeceo bin ehrlich, habe ich zuvor den Blickkontakt vermieden, gebe ich auch eine direkte Absage - ohne Gründe.

Veranstaltungen, DJs kritisiere ich durch aus. Meist in Form einer Abstimmung mit den Füßen, in Form eines frühzeitigen Verlassens einer Milonga oder wenigem Tanzen - was ich leider (noch) nicht 100%ig beeinflusse- im Zweifel entscheide ich mich doch für den sympathischen Tänzer zur unsympathischen Musik. Wenn mir die Musik gefällt, danke ich dem DJ auch gerne persönlich.

Insgesamt denke ist, die Frage nach Ehrlichkeit oder Höflichkeit je nach Einzelfall zu entscheiden. Der gesunde Menschenverstand und eine vernünftige Erziehung sollten ausreichend sein. Hoffentlich!

Aurora hat gesagt…

@ Jörg

deinen Beitrag habe ich erst nach veröffentlichen meines gelesen.

Für mein Empfinden ist eine Absage ohne Gründe bei direkter Frage ansich nicht per se unhöflich. Unhöflich wird eine Absage mit vorgeschobenen Gründen, die dann auch nicht eingehalten werden: Z.B. "ich bin müde, danke" und zwei Minuten später tanzt Frau doch.
Sicher bei einer Aufforderung im Rahmen eines persönliches Gespräches mag ein Grund einem höflicher erscheinen.

4711 hat gesagt…

Jörg und Aurora es ist sehr schön wenn Ihr dem Beitrag eine sachliche Diskussion zurückgebt (zu TCs 'Wirken' muss man nur etwas zurückblättern. Ende Februar gab es schon einmal so eine 'Argumentation' zum Tango Sinsabor, ich finde dieses fast krampfhafte Wer-im-Tango-sein-wollen ziemlich daneben).

Und Cassiel, was ist das eigentlich bei Dir? Da ist monatelang Funkstille und dann gibt es wieder so einen 'Kracher'. Für mich war Dein Hinweis, man müsse nicht zwangslääufig zwischen Ehrlich- und Höflichkeit wählen ganz wichtig.

Anonym hat gesagt…

@ Aurora:
Ich meinte auch nicht die Frage nach einem Tanz. Hier bin auch ich Freund des non-verbalen Cabeceos.

Terpsichoral hat gesagt…

4711 Gerade deswegen bitte ich aller herzlichst, lieber Leser meines Blogs, dich, Cassiel und alle anderen: wenn ihr mit mir etwas besprechen wollt, bespricht es dort, auf meinem Facebook oder laesst beim Blog einen Kommentar. Hier sind solche Diskussionen fehl am Platz und lenken immer vom eigentlichen Thema ab. Das beeintraechtigt die Diskussion fuer alle. Denn auch ich bespreche gerne *die Themen, die CASSIEL vorschlaegt*. Mein letztes Wort zu diesem Thema.

4711 hat gesagt…

... und genau das werde ich nicht tun. Ich habe gerde den entsprechenden FB-Status mit allen 35 Kommentaren gelesen. Es scheint so, Cassiel und Du, Ihr sprecht von unterschiedlichen Dingen. Da bleib ich doch lieber hier.

Zitat TC-TA: "Strangely, this post has provoked controversy on a German website...apparently it is 'unfair' of me to criticise people for propagating cliches, since they are simply being 'honest'. (..)"

TC, so stimmt das nicht und da sehe ich keinen Weg, Deine Sehnsucht nach Traffic zu befriedigen.

Sorry. 4711

Terpsichoral hat gesagt…

4711. Gut, wenn ihr mich lieber hier besprechen wollt, wenn ich euch wirklich so interessiere, dass ihr nicht beim eigentlichen Thema bleiben konnt, macht weiter so. Viel Spass dabei. Und tschuess.

Jörg hat gesagt…

Hier wollen wir lediglich das eigentliche Thema besprechen, weil es sehr viel interessanter ist als +40 - women in Bs As...
Danke Melina... deinem Beitrag kann ich voll zustimmen!
Mich nervt es zunehmend, wenn manche "Tango-Leute" nicht in der Lage sind, ihre Gebaren aus dem Geschäftsleben im privaten Umgang miteinander abzulegen. Immer schön politisch korrekt...
Falsche Höflichkeit ist völlig unangebracht, weil sie Menschen in dem Glauben lässt, alles richtig zu machen.
Kritik ist für mich Anlass zum Hinterfragen...

cassiel hat gesagt…

Ich komme gerade von der Autobahn und lese die Kommentare seit dem späten Nachmittag mit einer Gefühlslage irgendwo zwischen Staunen und Entsetzen. Na gut! Heute kann ich das sowieso nicht mehr sortieren. Das mache ich vielleicht besser in Ruhe morgen oder am Sonntag. Jörg und Aurora, vielen Dank für Eure tapferen Bemühungen, die Diskussion zum ursprünglichen Thema zurückzuführen.

Terpsichoral hat gesagt…

Cassiel, es gab zwei urspruengliche Themen, die in deinem Blogeintrag erwaehnt wurden. Das erste (und fuer mich interessantere) Thema was: Hoeflichkeit oder Ehrlichkeit. Dein zweites Thema was dann, zum meiner Ueberraschung, ein Facebook-Status von mir, der nicht die geringste Verbindung mit dem ersten Thema hatte (zu dem du aber "Stellung nehmen wolltest" weil er dich "gestoert hat"). Vielleicht solltest du solch verschiedene Sachen nicht in einem Blogeintrag mischen? Wenn du wirlich ueber Frauen in ihren 40izgern in Buenos Aires schreiben willst, vielleicht solltest du lieber einen neuen Blogeintrag dazu schreiben? Es darf dich allerdings nicht erstaunen, dass die Leute auf BEIDE Themen, die du im Blogeintrag vorgeschlagen hast, eingegangen sind.

Theresa hat gesagt…

Das gemeinsame Thema für Cassiel beim Auffordern, beim Feedback, bei der Beurteilung von Musik oder Darbietung und beim Blogeintrag war, "dass man subtil um eine Wertung gebeten wird".

Lieber Cassiel, beim Blogeintrag sehe ich dieses Thema überhaupt nicht. Im Unterschied zu den anderen Situationen wirst du nicht persönlich angesprochen. Du kannst Äußerungen, die jemand im Internet macht, einfach ignorieren. Erst recht, wenn du die Autorin gar nicht persönlich kennst.

Aber jenseits dessen ist für mich nicht begreifbar, welch große Aufgeregtheit da entstanden ist.

Theresa

cassiel hat gesagt…

Ich will mich da nicht zu einer übereilten Reaktion drängen lassen. Insofern lasse ich mir Zeit.

Für mich war es vollkommen legitim, ohne Namensnennung über einen Umstand zu berichten den ich für relevant hielt. Das kann man mir m.E. in meinem privaten Blog nicht nehmen. (Ich denke, ich kann auch zu Fred Feurstein bloggen. Es muss ja niemand lesen.)

Selbstverständlich haben die zwei Themen miteinander zu tun: Es geht darum, Mitmenschen im Tango zu einer Wertung zu bewegen. Durch das ständige behaupten des Gegenteils wird es auch nicht besser.

Aber ich erbitte mir noch etwas Bedenkzeit.

Terpsichoral hat gesagt…

"Es geht darum, Mitmenschen im Tango zu einer Wertung zu bewegen." Jetzt meinst du, nicht spezifisch meine Auesserung zu den Cliches ueber Frauen ueber 40 in Buenos Aires, sondern das Sich-im-Internet-zum-Thema-Tango-Auessern ueberhaupt.

Da bin ich volkommen einverstanden. Ich faende es aber ehrlicher und hoeflicher, wenn du darauf reagieren willst, auf etwas was ich oder jemand anders im Internet gesagt hat, die Person zu zitieren. Auf diese Art und Weise koennen deine Leser mitreden, koennen beurteilen, ob du, mit deiner Meinung dazu recht hast oder nicht.

Ausserdem finde ich, wenn du das Recht hast, ueber irgendwas zu schreiben, was ich in meinem Facebook-Status geschrieben habe, habe ich auch das Recht, darauf zu reagieren und zu versuchen, meine Meinung zu klaeren. Vor allem dann, wenn du mich nicht zitierst und (vielleicht absichtlich?) misrepresentierst.

Du hast meinen Status erwaehnt, oder, besser gesagt, darauf angespielt, weil du ihn relevant zum Thema findest. Dann hast du weitere Behauptungen gemacht, die sehr wirklichkeitsfern waren. Wenn der Status fuer dich bei deinem urspruenglichen Thema relevant ist (was ich weiterhin bestreite) sollte er auch im Kommentarteil besprochen werden. Ausserdem wusstest du ganz genau, dass ich diesen Blog eifrig verfolge und mich angesprochen fuehlen wuerde und darauf reagieren.

Das ist nicht nur persoenlich. In einem frueheren Blog, wolltest du auch ein Video von Homer und Christina Ladas besprechen. Aber du hast dich geweigert, zu sagen, von wem das Video war, als du deine Kritik dazu geschrieben hast. Erst im Kommentarteil wurde klar, dass das Homer und Christina Ladas Video war. Und erst dann konnten also deine Leser das Video angucken und deine Kritiken beurteilen und zum Thema mitreden.

Stell dir vor, ein Freund sagt dir, "Dieser Film, der jetzt im Kino laueft, sollst du dir nicht anschauen. Der Film ist schrecklich." Du: "Warum denn?" Er: "Die Schauspieler sind hoelzern, die Geschichte ist unwahrscheinlich, das Thema schlecht behandelt. Ich musste das dir unbedingt sagen, denn dieser Film aergert mich sehr." Wuerdest du da nicht fragen: welcher Film? Und wuerdest du es nicht seltsam finden, wenn er antworten wuerde "das geht dich nichts an; ich will nicht, dass du den Namen des Films weisst. Du musst mir bei meinem Urteil blind vertrauen."

Lydia hat gesagt…

Was mich schon ein wenig wundert, ist die Selbstverständlichkeit, mit der hier alle davon auszugehen scheinen, dass Ehrlichkeit und Höflichkeit einander ausschließen. Das sehe ich nicht so.

Höflichkeit heißt für mich nichts anderes, als mit meinem Gegenüber respektvoll umzugehen. Auch Kritik oder eine abweichende Meinung kann ich in einer Weise äußern, die den anderen respektiert, die konstruktiv ist und ihn letztlich weiterbringt.

Ob meine Intention und das, was meine Äußerung beim anderen dann letztlich bewirkt, übereinstimmen, steht auf einem anderen Blatt. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Leute sich durch meine Komplimente gar nicht geschmeichelt fühlten, im Gegenteil, obwohl ich sie aufrichtig als Kompliment gemeint hatte. Subjektive Wahrnehmung und Wertsysteme unterscheiden sich eben, auch hat jeder seine wunden Punkte und Mimositäten, die ein anderer nicht ohne Weiteres erkennen kann. Aber das ist ein grundsätzliches Problem im menschlichen Miteinander, das nicht auf den Tango beschränkt ist.

Ich musste erst eine Weile darüber nachdenken, wie es für mich speziell beim Tango mit diesem Gezwungensein zur Stellungnahme aussieht. Wenn mich ein Tanguero um ein Feedback bittet (was bisher nicht sehr häufig vorgekommen ist), gehe ich davon aus, dass er mit einer ehrlichen, höflich formulierten Antwort leben kann. Höflich heißt für mich auch, dass die positiven Aspekte auf jeden Fall Erwähnung finden, auch wenn ich es insgesamt nicht sehr genießen konnte, mit ihm zu tanzen. Es sind ja immer bestimmte Dinge, die stören, und dann sehen wir nur noch diese Störfaktoren, aber all das, was eigentlich gut klappt, nehmen wir gar nicht mehr wahr. Wenn wir aber bewusst danach suchen, finden wir all die schönen, angenehmen Kleinigkeiten, die ja durchaus da und dann doch auch erwähnenswert sind.

Lydia hat gesagt…

Mir ist dann doch noch eine Situation eingefallen, bei der ich mich auf unangenehme Weise zu einer Stellungnahme genötigt sah. Vor einigen Jahren war ich auf einer Milonga, zu der ich damals regelmäßig ging, saß am Tanzflächenrand und genoss es, den Tänzern zuzuschauen und der Musik zu lauschen.

Irgendwann riss mich meine Nachbarin aus dieser kontemplativen Stimmung: "Also die Musik hier ... das ist doch unmöglich. Was ist denn das für ein DJ? Spielt der denn keine Tandas?" Ich wusste wirklich nicht, was ich darauf antworten sollte, da ich die Musik nicht als unangenehm und schon gar nicht als unmöglich empfand. Der DJ spielte für mich eindeutig erkennbare Tandas, wenn auch ohne Cortinas.

Meine Nachbarin war richtig aufgebracht, was ich in diesem Augenblick überhaupt nicht nachvollziehen konnte, da ich den Abend und die Atmosphäre ganz anders wahrnahm als sie. Dass ich nicht recht auf ihre Unmutsbekundungen reagierte, schien sie noch mehr aufzubringen. "Was ist denn das überhaupt für eine Milonga? Das ist ja furchtbar hier ... Hier komme ich bestimmt nicht mehr her!"

Natürlich hätte ich sie fragen können, was ihr denn nicht gefiel und ihr verständnisvoll zuhören. Aber an dem Punkt war ich einfach nur genervt von dieser Frau, weil sie mir ohne zu fragen ihre schlechte Laune aufgedrängt hatte, mit der ich mich jetzt wohl oder übel auseinandersetzen musste.

Das erinnerte mich an eine andere Situation, die ich einige Zeit zuvor erlebt hatte. Ich saß in der Straßenbahn, in mein Buch vertieft, auf der anderen Seite des Mittelgangs unterhielten sich zwei junge Männer auf Türkisch. Irgendwann schreckten mich die Bemerkungen der Frau, die mir gegenübersaß, auf: "Muss das denn sein?! Gibt's doch nicht! Hier so rumzubrüllen ..." Offenbar meinte sie die beiden Türken, die jedoch nach meinem Empfinden keineswegs brüllten, sondern sich einfach lebhaft unterhielten. Als ich von meinem Buch hochblickte, sprach sie mich sofort an: "Das ist doch unmöglich, oder! Wie finden Sie den das?" Auf meine Frage, was sie denn meine: "Na dass die hier so rumschreien." Ich: "Die schreien doch nicht, die unterhalten sich eben." Sie, in sarkastischem Ton: "Ach, wir haben uns ja alle sooooo lieb, und Hauptsache Multikulti."

Sie echauffierte sich so lange weiter, bis die beiden jungen Männer schließlich auf sie aufmerksam wurden und sich ein unerfreulicher Wortwechsel entspann. Ich war froh, als meine Haltestelle kam und ich aussteigen konnte.

Lydia hat gesagt…

Das Unerfreuliche an solchen Situationen ist, dass man sich ihnen nicht entziehen kann, dass man auf irgendeine Weise reagieren muss. Natürlich ist auch Teil des Problems, dass ich ein Harmoniemensch bin und es mir unangenehm ist, auf Konfrontationskurs zu gehen, auch wenn mich in beiden Situationen sehr viel mehr das Verhalten der Frauen nervte als das, was sie offenbar aufregte. Andererseits: Wenn mich etwas wirklich aufregt, kann ich nicht garantieren, dass ich meinem Unmut nicht auch Luft machen würde. Wahrscheinlich würde ich mich allerdings eher an Bekannte wenden als an jemand Wildfremdes. Aber wenn kein Bekannter weit und breit da ist?

Allerdings ist es für mich - und da stimme ich vollkommen mit Theresa überein - ein gravierender Unterschied, ob jemand, der in Fleisch und Blut neben mir sitzt, seine persönliche Meinung kundtut oder ob er bzw. sie das irgendwo im Internet tut. Letzteres kann ich ignorieren, ich bin keineswegs gezwungen, mich dazu zu äußern, so wie ich es auch hier nicht bin und es ganz allein aus dem Grund tue, das ich mich dazu äußern möchte. Wenn aber jemand mir gegenübersitzt und mich erwartungsvoll anschaut, dann kann ich gar nicht anders, als irgendwie auf ihn zu reagieren, selbst wenn ich tue, als würde ich ihn nicht hören und stur geradeaus starre, ist das eine Reaktion, die mein Gegenüber wiederum reagieren lassen wird - und womöglich viel mehr aufbringt als jede andere Reaktion. Von daher empfinde auch ich das Beispiel, das Du oben gebracht hast, Cassiel, als unglücklich gewählt in diesem Zusammenhang. Zumal ja auch Du hier in Deinem privaten Blog, wie Du oben schreibst, Deine persönlichen Überzeugungen kundtust - auf die wir Leser reagieren können, aber keineswegs müssen.

Anonym hat gesagt…

Es ist wirklich eine sehr schwierige Frage: ehrlich gleich unhöflich? Und Cassiel hat wieder einen philosophischen und wunden Punkt getroffen.

Mir fällt es sehr schwer, ehrlich zu reagieren, ohne unhöflich sein zu wollen. Ich kann natürlich ganz sympathisch nein sagen, wenn mich jemand direkt auffordert, ohne überheblich zu sein - Aber es bleibt dennoch eine - mehr oder weniger verletzende - Ablehnung, wie ich aus der Mimik dann ablesen kann. Oder mir kommen z.B. meine wirklich schmerzenden Füße manchmal ganz gelegen als "nein"-Argument. Aber wenn kurz danach mich ein von mir schon "ersehnter" auffordert, was mache ich dann? Bleibe ich sitzen, um den anderen nicht zu verletzen und verpasse dadurch einen wunderbaren Tanz (auch mit schmerzenden Füßen)? Wäre das ehrlich mir gegenüber?

Gut, mit cabeceo würde so etwas nicht passieren und man könnte es sich einfach machen und denken, selber schuld. Aber so einfach läuft es eben nicht auf den Milongas.

Lydia hat ganz recht trotz nicht genussvollen Tanzes auch auf "angenehme Kleinigkeiten" aufmerksam zu machen. Das ist zumindest edel - erfordert jedoch viel Mühe und Selbstkontrolle, da bekanntlich schlecht zu sein einfacher ist. Aber, es ist sicherlich eine Kopffrage und auch abhängig von der Tagesform, ob man einem schlechten Tanz, dennoch was Gutes abgewinnen kann. Ich meine, man kann sich bewußt nicht in den Gedanken eines schlechten Tanzes hineinsteigern. Dafür muss man jedoch gut drauf sein oder Zen-Übungen absolviert haben, oder?

Und werden wir nicht vom Teufel gekitzelt, wenn wir nach einer Meinung gefragt werden? Das heißt, fühlen wir uns da nicht auf eine erhöhte Position gestellt, von der aus herunter wir den Tanz mit demjenigen Bewerten - sollen? Und vergessen gerne, dass zu einem gelungenen/mißlungenen Tanz zwei gehören?

Ich muss gestehen, dass ich aus Angst, in solche Ungefilde zu fallen, dann eher ausweichende Antworten gebe und mich noch darin üben muss, ehrliche, klare Antworten zu geben. Aber, das ist wirklich eine Herausforderung, wie der Tango eben einer ist.

Hoffe, das war nicht alles zu verkorkst. Gruß in die Runde,
Araja.

Terpsichoral hat gesagt…

Zum Thema Hoeflichkeit und Ehrlichkeit beim Tango: mein persoenliche Art und Weise zu handeln ist folgendes. Wenn jemand mich zum tanzen verbal auffordert, und ich nicht mit ihm tanzen moechte, sag ich einfach "Nein, danke", so hoeflich wie moeglich. Ich gebe nur dann Ausreden (mir tun die Fuesse weh, ich hatte diese Tanda einem Freund versprochen, usw) wenn sie wirklich der Wahrheit entsprechen. In diesem Fall (ich will grundsaetzlich mit demjenigen tanzen, nur nicht in jenem Augenblick) sage ich dann "ich wuerde aber gerne spaeter tanzen" oder frage ihn, "wirst du bei Milonga X oder Y dabeisein?" damit ihm klar bleibt, dass ich eigentlich schon gerne mit ihm tanzen wuerde, waeren die Bedingungen guenstiger.

Ich begruesse gerne Leute, plaudere gerne mit ihnen, usw, aber ohne mich deswegen verpflichtet zu fuehlen, mit ihnen zu tanzen. (Jemanden auf freundliche, herzliche Art und Weise behandeln und mit demjenigen tanzen sind fuer mich zweierlei). Manche Leute sind mir wichtig als Freunde, obwohl ich ungerne mit ihnen tanze.

Beim Thema Feedback: auf einer Milonga gebe ich grundsaetzlich nie Feedback, auch wenn ich darum gebeten werde. Aber auf einer Practica oder beim Ueben oder beim Unterricht gebe ich gerne Feedback, wenn ich darum gebeten werde. Und ich versuche sachlich zu sein und mich milde auszudruecken.

Lydia hat gesagt…

Eine andere Sache, die ich mich immer wieder frage, ist, ob per Cabeceo aufzufordern wirklich so viel weniger verletzend ist. Da bin ich hin- und hergerissen.

Einerseits finde ich den Cabeceo durchaus reizvoll. Blicke auszuwerfen und zu fangen zu versuchen hat etwas Leichtes und Verspieltes, das einfach Spaß macht. Mir gefällt, dass ich nur wegzuschauen brauche, wenn jemand meinen Blick sucht, mit dem ich nicht tanzen möchte. Vor allem dann, wenn ich mit diesem Tanguero generell nicht (mehr) tanzen möchte. Andererseits fehlt mir bei einem Tanguero, mit dem ich eigentlich gern tanzen möchte, die Möglichkeit eben das zu äußern, und dass ich nur kurz Pause machen, etwas trinken oder frische Luft schnappen möchte oder die nächste Tanda schon versprochen habe ...

Außerdem kann es genauso eine kalte Dusche sein, wenn ich zu einem Tanguero hinschaue, mit dem ich schon öfter - so wie ich meine - schön und harmonisch getanzt habe und er wegschaut. Hab ich mir etwa nur eingebildet, dass es schön und harmonisch war? Und für ihn war es eher eine Tortur? Und schon beginnt die Zweifelmühle zu mahlen ... Hätte ich ihn gefragt, dann hätte er vielleicht gesagt, gern, sobald eine inspirierendere Musik gespielt wird ...

Auch das Argument, dass derjenige, der per Cabeceo einen Korb bekommt, sein Gesicht wahren kann, da es ja keiner mitkriegt, überzeugt mich nicht ganz. Wann schaue ich mich gezielt nach Tangueros um, mit denen ich tanzen möchte? Zu Beginn einer neuen Tanda. Und natürlich bin ich da nicht die Einzige. Auch die Tangueros schauen sich um, und ich sehe ja, wohin sie ihre Blicke werfen. Natürlich kriege ich dann auch mit, ob mit oder ohne Erfolg. Sicher nicht in jedem Fall, ich kann ja meine Augen nicht überall gleichzeitig haben, aber das gilt genauso für die Herren, die zu ihren auserwählten Tangueras hingehen und verbal auffordern: Auch die kann ich nicht alle gleichzeitig mit meinem Blicken verfolgen, ich kriege vielleicht die eine oder andere Szene mit, aber auch viele nicht. Ganz abgesehen von den Fällen, wo Paare nebeneinander sitzen oder stehen, sich unterhalten und dann irgendwann zusammen auf die Tanzfläche oder auseinandergehen. Im ersten Fall ist die Sache klar, im zweiten: Hat da jetzt er sie oder sie ihn um einen Tanz gebeten? Und einen Korb gekriegt? Oder haben sie sich einfach bloß unterhalten?

Was ich sagen will: Sosehr ich das Auffordern per Cabeceo schätze, ich wehre mich dagegen, darin ein alleinseligmachendes Wundermittel zu sehen, als das es häufig angepriesen wird. Manchmal sagt ein Wort einfach doch mehr als tausend Blicke ;-)

Theresa hat gesagt…

@Lydia:

Ich kann alles unterschreiben, was du sagst. Sehr schön und drastisch geschildert die Situationen, wo man wirklich zu einer - und zwar zustimmenden - Stellungnahme genötigt wird.

Auch die Situationen, wo Cabeceo eher hinderlich erscheint, kenne ich gut. Ich denke, Cabeceo ist eine sehr gute Option, aber natürlich schließt diese Option andere Optionen nicht aus. Z.B. im Smalltalk wissen zu lassen, dass man irgendwann Lust hätte zu tanzen, und wenn der andere das auch so sieht, folgt alsbald ein Cabeceo. Aber auch, wenn man sich strikt auf Cabeceo beschränkt, kann man nonverbal kundtun, dass man später gerne mit jemand tanzen möchte, z.B. mit einer "auf später verweisenden" Hand-Geste.

Ja, und auch dieser Hinweis ist richtig: wenn die Aufforderung per Cabeceo misslingt, bekommen andere das durchaus mit. Manchmal versuche ich es, wenn ein Mann, mit dem ich tanzen möchte, ewig in eine Richtung starrt und nichts passiert, in diese Blickrichtung zu gelangen. Das funktioniert manchmal, aber oft auch nicht, wenn er sich unbedingt eine bestimmte Traumtänzerin in den Kopf gesetzt hat.

Danke Lydia!

Theresa

Christian Tobler hat gesagt…

Lieber Cassiel,

da bist Du endlich wieder und stellst ein tiefgründiges Dauerthema zur Diskussion – wie schön. Ich hoffe sehr auf eine dieser ausufernden und abgrundtiefen, kontroversen und konstruktiven Diskussionen, für die viele Leser dieses Blog ganz besonders schätzen.

Danke


@ alle,

Teil 1: Leider taucht in den Kommentaren nicht zum ersten mal schnell lästige Ablenkung auf. Der Hinweis von Cassiel der kein Seitenhieb war, liebe Chris, war längst überfällig. Ich bewundere Cassiel für seine Engelsgeduld. Hier ständig für sich zu werben, natürlich am Thema vorbei, und sich dann darüber zu beklagen, dass das kommentiert wird –  was für ein bigottes Verhalten dieser Person.

Ihre Kommentare in den einschlägigen Blogs sollen von vielen Kommentatoren seit längerem totgeschwiegen werden. Das habe ich in den letzten Monaten überrascht aus 1. Hand erfahren. Ich kann diese Leute gut verstehen. Es gibt Gerüchte die besagen, sie sei in manchen Blogs aufgefordert worden, nicht mehr zu kommentieren. Keine Ahnung ob das stimmt. So was ist schwer einzuschätzen anhand von Information aus 2. Hand.

Leider ist es in der Kommunikation egal, was über Leute geschrieben wird. Es ist eine alte Binsenweisheit, dass einzig zählt, dass überhaupt irgendwas über eine Person geschrieben wird. Zum Glück bietet Cassiel keine klickbaren Links für diese penetrante Person an. Denn das wäre erfolgreiches Suchmaschinen-Marketing. Vermutlich nimmt diese Propaganda hier genau deshalb kein Ende. Daher kann ich jeden vestehen, der diese Person nicht beim Namen nennt.

Da die Hälfte der bisherigen Kommentare wie so oft zwangsläufig vom Thema ablenken da sie auf diese Person eingehen, macht es Sinn, ausnahmsweise, auszugsweise und stellvertretend für viele andere auf den eigentlichen Kern von zwei Passagen kurz einzugehen, die sich wie so oft einzig und allein um diese Person drehen:

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2: Zitat: "... die erstens mein Alter unterschätzen (einige behaupten, ich sehe jünger aus, als ich bin) ..." Interessiert mich als Leser dieses Artikels, dass diese Person der Ansicht ist, sie sehe jünger aus als sie ist? Schön für sie, falls es stimmt. Ist dieses fishing for compliments eine Bereicherung für die Beschäftigung mit dem Thema? Zweimal NEIN, weil Altern nicht Thema dieses Artikels ist. Das nervt hier – sehr sogar.

Zitat: "... ich wäre eine Person, mit denen einige im wirklichen Leben 'Probleme' hätten – etwas, was mir noch nicht passiert ist ..." Interessiert mich als Leser dieses Artikels, dass diese Person die Ansicht vertritt, niemand habe mit ihr Probleme? Das kann nicht sein, aber lassen wir das. Ist diese Verdrängung der Realität eine Bereicherung für die Beschäftigung mit dem Thema? Zweimal NEIN, weil das ist nicht Thema dieses Artikels. Das langweilt hier – sehr sogar.

Hoffentlich müssen wir in diesem Artikel keinen einzigen Kommentar mehr zu Schwulen oder Argentiniern, Juden oder Sexbesessenen, Geschiedenen oder Deutschen, Frauen über 40 und anderen überaus sympatischen Menschen lesen. Nicht weil das nicht interessant wäre – im entsprechenden Kontext. Aber es ist NICHT THEMA dieses Artikels und jedes weitere Wort darüber verhindert die spannende Diskussion zu der Cassiel uns einlädt!

Ich vertrete die Ansicht, dass Tango Argentino in vielen lokalen Szenen qualitativ darunter leidet, dass nicht nur Tänzer untereinander sondern auch Macher und Tänzer nicht ehrlich miteinander umgehen. Überspitzt formuliert: Die einen wollen mit möglichst wenig Aufwand Geld verdienen und die anderen wollen sich für einige Stunden amüsieren. Aber an Tango Argentino sind beide nicht wirklich interessiert. Wenn die Folgen nicht so fatal wären, könnte man darüber lachen. Aber Pampern und Tango Argentino passen nicht zusammen. Tango light erstickt Tango Argentino. So verkommt Tango Argentino zum Konsumgut. Tango Argentino ist aber eine komplexe Subkultur mit schwarzen Wurzeln, subversiven Aspekten, enormem Potential.

Wer Tango Argentino nicht konsumiert um damit sein eigenes Ding zu drehen, wer bereit ist, sich auf dieses Abenteuer mit Haut und Haaren einzulassen, der stösst in seiner Entwickung immer wieder an deutliche Grenzen. Auch ich kann davon ein Liedchen trällern. Das ist erst ein schmerzhafter und wenn man am Ball bleibt irgendwann ein bereichernder Schritt. Im Buch "der Prophet" des libanesischen Dichters Gibran gibt es ein Kapitel mit dem Titel "von die Liebe". So wie ich das sehe, könnte über diesen Seiten auch stehen: "vom Tango Argentino".

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 3: Natürlich trifft das nicht nur auf Tango Argentino zu, obwohl ich der Ansicht bin, dass es auf Tango Argentino ganz besonders zutrifft. Wer diesen zentralen Aspekt des Tanzens in Frage stellt, sollte sich mal den Film "Rhythm is it" aus dem Jahr 2004 anschauen. Was Royston Maldoom und Simon Rattle da für 250 junge Menschen, ein ganzes Synfonieorchester und einen Saal gefüllt mit hypnotisierten Zuschauern möglich machen, ist atemberaubend. Der Film zeigt unmissverständlich auf, welches Transformationspotential in Tanz steckt. Immer vorausgesetzt man ist bereit, das Gebotene an sich heran kommen zu lassen und darin einzutauchen anstatt kurz damit zu spielen, um sich hinterher wieder auf die Flucht vor dem Leben zu begeben. Und damit sind wir wieder beim Thema: höflich oder ehrlich oder irgendwas dazwischen. Denn wenn es um die Wurst geht, stehen wir alle vor der Herausforderung, uns dieser Entscheidung zu stellen.

Klar kann man mit Tango Argentino einfach nur Spass haben und immer höflich und damit unverbindlich bleiben. Dadurch wird der Braten allerdings je länger je fader. Wenn an einer Milonga der TJ wirklich was drauf hat und die Tänzer darauf einsteigen, ist an so einem Abend sehr viel mehr möglich. Dann bekommt das Leben für kurze Zeit eine Intensität die Tanz als Jahrmarktsgaudi, als tumbe Ablenkung vom schmerzlichen Alltag, als Jagdrevier für Menschen die sich selbst verloren haben niemals wird bieten können. Wo im Tango Argentino man landet, hängt davon ab, wieviel Mut man wagt aufzubringen, wieviel Risiko man bereit ist zu tragen. Kleiner Einsatz führt zu wenig Lebensfreude, grosser Einsatz führt zu viel Lebendigkeit.

Wenn ich meine Antwort auf eine Frage höflich anstatt ehrlich formuliere, dann mache ich damit sowohl mich als auch mein Gegenüber klein und schwach, bedeutungslos und hilfebedürftig. Denn ich gehe davon aus, dass diese Person der Realität nicht gewachsen ist. Das steht mir aber nicht zu – nicht mal, wenn mein Gegenüber eine solche Heuchelei von mir erwartet. Für solchen Firlefanz ist das Leben viel zu kurz, finde ich. Beruflich lassen sich diese destruktiven Prozesse oft kaum ganz vermeiden. Aber wozu sollte man Verlogenheit in seiner knapp bemessenen Freizeit praktizieren? Zumal verlogene Komplimente fächendeckend angewendet im Tango Argentino dazu führen können, dass die tänzerische Entwicklung einer ganzen lokalen Szene stagniert.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 4: Der krasseste Fall von Wahrnehmungsverzerrung durch Unehrlichkeit, respektive Höflichkeit, der mir im Tango Argentino begegnet ist, sind Tänzerinnen die die Ansicht vertreten, sie bräuchten einzig gute Tänzer, dann würde alles ganz von allein funktionieren. Oft vertreten diese Frauen die Meinung, für sie sei Unterricht übeflüssig. Gute Tänzer seien ausreichend, am liebsten natürlich stattliche Argentinier mit Bartschatten, feurigem Blick und Flokati auf der Brust.

Vor Jahren habe ich zwei befreundete Argentinische Lehrer gefragt, wie sie es schaffen einen ganzen Abend lang lächelnd mit schlechten Tänzerinnen zu tanzen, ohne sich am Ende der Nacht mit Rückenschmerzen und Frustration auf dem Heimweg zu machen und den Tango zu verfluchen. Beide haben sich dafür die selben Techniken angeeignet. Aber sowas hängt man nicht an die grosse Glocke.

Die Frustration wiegen diese Lehrer gegen die Anzahl der verkauften Privatstunden auf. In Anbetracht des Lohngefälles zwischen Mitteleuropa und Argentinien kann ich diese Betrachtungsweise sehr gut verstehen. Tango ist für sie Broterwerb, nicht Freizeitbeschäftigung und an Milongas betreiben sie Akquise. Die Rückenschmerzen vermeiden sie durch eine für diese Notlage entwickelte Führungstechnik. Sie führen überhaupt nicht, sondern folgen der Frau Schritt für Schritt unaufällig und sanft. Nur wenn eine Karambolage droht, greifen sie kurz ein.

Klar fühlen sich dergestalt verführte Tänzererinnnen an diesem Abend himmlisch. Aber bereits mittelfristig ist dieses Erlebnis eine Katastrophe für deren tänzerische Entwicklung, weil ihnen der tänzerische Dialog lediglich vorgegaukelt wird. Das führt zu Orientierungsverlust und einer übersteigerten Erwartungshaltung, weil sie dieses Wonnengefühl natürlich um jeden Preis wieder und wieder erleben wollen. Und das auf Basis einer völligen Fehleinschätzung der eigenen tänzerischen Fähigkeiten. Denn mit einem Tänzer, dessen Können ihrem eigenen entspricht, sind diese Tänzerinnen völlig überfordert. So entstehen dann Märchen von schlechten europäischen und guten argentinischen Tänzer. Dabei ist der Prozentsatz guter Tänzer überall ähnlich, was auf das Niveau der Milongas leider überhaupt nicht zutrifft. Das ist eine ganz andere Geschichte.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 5: Diese Frauen zu kritisieren zielt am Problem vorbei. Sich von solchen Tricks nicht einlullen zu lassen, ist viel verlangt. In die selbe Falle würde einem Mann genauso tappen, falls Lehrerinnen die selben Tricks anwenden. Bisher habe ich das noch nie beobachtet. Denn in jedem Tänzer schlummert ein Stück Eitelkeit. Und solche und andere Techniken sind weit verbreitet. Denn für die meisten Macher ist Tango Argentino Borterwerb. Sie möchten mit wenig Aufwand viel Geld verdienen. Viele Tänzer suchen im Tango Argentino dagegen so was wie persönliches Glück. Da versuchen Fische mit Vögeln zu interagieren.

Klar ist es manchmal schmerzlich, hören zu müssen, dass ein Gegenüber völlig andere Ansichen über einen Lehrer, eine Milonga, einen Tänzer, einen TJ vertritt. Natürlich sind kritische Anmerkungen meines Lehrers mitunter schwere Kost. Selbstverständlich ist ein Korb an einer Milonga etwas, worüber man vielleicht noch Wochen später ins Grübeln gerät, falls man in diesem Moment auf dem falschen Fuss erwischt wurde. Wer kann von sich schon sagen, dass er sowas noch nie erlebt hat.

Ich halte vorbehaltlose Ehrlichkeit trotzdem für unabdingbar, damit Tango Argentino gedeihen kann. Wie man so eine Botschaft erträglich rüberbringt ohne sie zu sehr zu verwässern wäre eine ganz andere Frage für einen ganz anderen Artikel.

Nun hoffe ich, dass die Diskussion dort weitergeht, wo Melina sich offen und ehrlich zum Thema geäussert hat, was ihr als Veranstalter hoch anzurechnen ist. Noch ist die Bandbreite der Ansichten zum Thema Höflichkeit oder Ehrlichkeit im Tango weder in Bezug auf Macher vesus Tänzer noch in Bezug auf Tänzer untereinander ausgelotet.

Das ist Thema dieses Artikels und nicht die Äusserungen einer Person, welche die Diskussion zuerst nach Patagonien und dann auf die Osterinseln entführt und sich hinterher darüber beklagt, dass einige Leser gegen diesen Zickzack-Kurs aufbegehren, welche weiter oben schon zweimal versprochen hat, sich nicht mehr zu äussern, um kurz darauf doch wieder loszuplappern.

herzlich - Christian

Terpsichoral hat gesagt…

@Christian Tobler Ich mache hier keine Werbung, verkaufe ganz und gar nichts. Ich bitte einfach, dass ich nicht so oft in den Blogeintraegen von Cassiel und den Kommentaren der anderen besprochen werde, ohne mich genau zu zitieren, um Missverstaendnisse zu vermeiden. Eigentlich waere es mir am liebsten, ihr wuerdet das Thema meines Facebooks liegen lassen und euch mit anderen Themen beschaeftigen. Aber du und 4711 konnt die Finger einfach nicht davon lassen, ich scheine euch einfach schlichtweg zu faszinieren. Wenn ihr nicht wollt, dass staendig von mir hier geredet wird: bringt nicht dauernd das Thema auf den Tisch. Ganz einfach. Und wenn mein Facebook euch stoert, klickt bitte auf "unsubscribe". Das waere auch ganz einfach.

Chris hat gesagt…

andere Menschen haben andere Meinungen, ein Umstand, für den ich grundsätzlich dankbar bin, solange man einander lassen kann.

Ich habe mich lange damit schwer getan, einer geäußerten Meinung direkt zu widersprechen (so ich anderer Meinung war), um mein Gegenüber nicht vor den Kopf zu stoßen. Also verstehe ich die Gedanken von Cassiel ganz gut. Höflich oder ehrlich ist dann eben nur die Wahl zwischen Pest oder Cholera.
Und doch möchten sich Menschen gerne mitteilen und austauschen, und am Liebsten bestätigt werden. Das läßt sich nur schwer in eine Form bringen, daß niemand mehr durch keinen belästigt wird. Aber man kann an sich selbst arbeiten, sich die Frage stellen, ob denn eine andere Meinung gleich ein Liebesentzug oder doch einfach nur eine andere Meinung ist? Je sensibler und harmoniesüchtiger man ist, desto schwerer wird diese Wendung zu vollziehen sein. Aber es ist auch sehr entspannend, nicht nach jeder konträr geäußerten Meinung schlaflose Nächte zu verbringen.

Während der Milonga gebe ich keine direkten Kommentare zum Tanz meines Partners, auch nicht auf Anfrage, wie TC. Dies ist dann auch meine Begründung. Damit lebe ich sehr gut.
Musik ist Geschmacksfrage, muß man ja nicht darüber streiten. Ich hatte schon immer einen Musikgeschmack, den niemand je als gut bezeichnet hat, irgendwie traurig. Aber es war mir immer wichtiger die Musik zu hören, die mir gefällt, anstatt die Musik, die anderen gefällt. Was soll’s, sollte man nicht so persönlich nehmen.
Tänzer können gut mit den Füßen abstimmen, sehr richtig Aurora.
Andere Meinungen können unseren eigenen Horizont ja auch erweitern, und auch die Angst vor einem Scheitern der eigenen Meinung ist zumindest im Privaten eigentlich nicht angebracht.

Christian Tobler, zwar bin ich nicht oft mit Dir, aber Du hast einen sehr interessanten Punkt angesprochen:“ Wo im Tango Argentino man landet, hängt davon ab, wieviel Mut man wagt aufzubringen, wieviel Risiko man bereit ist zu tragen“ So sehe ich das auch. Ich glaube zwar nicht an einen sprituellen Wert im Tango, und gewiß ist Tanzen oder speziell der Tango nicht für jeden Menschen der richtige Weg, so war’s dann auch im Film ‚rhythm ist it’. Aber egal welcher Weg der richtige ist, ohne ‚Blut, Schweiß, Tränen’ geht es nicht, auch nicht im Tango, gerade nicht im Tango. Und auch nicht ohne die Bereitschaft und den Mut, sich selbst immer wieder in Frage zu stellen.

4711 hat gesagt…

@Christian

Ein wunderschöner analytischer Beitrag. Ich finde Deine ergänzenden Gedanken sehr wichtig.


@Terpsichoral

Ich finde es sehr schade: Du kannst offensichtlich nicht mit Kritik umgehen. Ich will aber nicht weiter dazu schreiben. Es bringt nichts, Du machst einfach weiter so wie bisher, um den Preis, dass kritische Rückmeldungen einfach übergangen werden. Bravo! Eine glänzende Karriere steht Dir bevor.

Anonym hat gesagt…

Leider muss ich noch einmal auf die Unruhestifterin zurückkommen, behauptet sie doch, keine Werbung hier zu machen. Das ist ja wohl sehr dreist. Man gehe nur zum vorvorletzten Beitrag (über Melina und Detlef) und lese ihren Kommentar. Was erfährt der gelangweilte Leser? Dass sie ebenfalls unterrichtet und "Melina und Detlef es genauso wie sie unterrichten" (das war jetzt eine Spitze), das sie mit ihnen nicht immer einer Meinung ist (wen interessiert das?) und dass die selbsternannte Tangogöttin den Unterricht der Beiden mit "gut" benotet. Welch ein anmassendes Verhalten.

cassiel hat gesagt…

Huch! Ich schaue hier gerade vorbei und stelle fest, daß die Diskussion teilweise in eine falsche (weil eingeschränkte) Richtung läuft. Ich möchte nicht, daß dieses Blog hier zum Austragungsort einer Vendetta mit einer Bloggerin verkommt. Und so bitte ich alle Beteiligten um Sorgfalt.

Ich mag die Kommentarmöglichkeit nicht sperren. Dafür ist das ursprüngliche Thema (in seiner gesamten Breite) zu wichtig.

In einem Gespräch am Wochenende merkte die Liebste an, ob es nicht ratsam wäre, in der Ausgangsfrage "Höflichkeit" durch "Freundlichkeit" zu ersetzen. Ich finde das ist eine bestechende Idee, ist diese Änderung in der Wortwahl doch eine gute Möglichkeit, dem scheinbaren Dilemma zu entkommen.

Ich freue mich über weitere (sachdienliche!) Anmerkungen und Kommentare.

Dominio hat gesagt…

Ehrlichkeit und Höflichkeit: das ist wirklich ein sehr interessantes Thema. Ich habe oft den Eindruck, dass Kritik nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird, während vordergründig applaudiert wird.
Ein kürzlich erlebtes Beispiel in einer Milonga unserer Hauptstadt: es gab Live-Musik. Sowohl die Auswahl der Stücke, als auch die Interpretationen der Stücke, als auch die Untanzbarkeit der Stücke gefielen mir nicht so gut. Der Applaus, den es nach jedem Stück gab, schien ein "Tango-Applaus" zu sein. Ein höflicher (?) Einheits-Applaus, den ich von anderen kulturellen Veranstaltungen in dieser Form nicht kenne. Wenn eine Band das Haus nicht rockt, dann wird nicht geklatscht. Vielleicht war die ehrliche Antwort dieses Abends die sich leerende Tanzfläche. Viele Tänzer sind früh gegangen.
Ich versuche, solche Veranstaltungen zu vermeiden, ebenso, wie ich Begegnungen vermeide, die mich zu einer "Wertung" zwingen oder mich in einen Höflichkeits-vs. Ehrlichkeitskonflikt bringen.
Dies gilt natürlich nur für die (meines Erachtens sehr empfindsame) Tangowelt.
Verbale Aufforderungen akzeptiere ich (fast) nur noch von mir bekannten Tänzern. Mit denjenigen, die den Cabeceo nicht nutzen, komme ich zwangsläufig gar nicht zusammen. Ich nutze den Cabeceo, um "erzwungene" oder "aus Höflichkeit getanzte" Tandas zu vermeiden. Ich möchte höflich und ehrlich sein und als Frau ebenfalls entscheiden können, mit wem ich tanze. Dies ist mit dem Cabeceo super möglich.

Das Tanzerlebnis kommentiere ich nicht, sondern genieße es. Auf der Milonga finde ich Bewertungen unschön, denn man hat es ja selbst in der Hand, mit wem man tanzt. Komplimente mache ich gerne, aber nur, wenn ich sie so meine und nicht, um den Narzissmus zu bedienen.
Ich finde es auch eher schwierig, wenn ich in die Lage gebracht werde, mich ehrlich ODER höflich verhalten zu müssen.
Ich empfinde bspw. so manche Aufforderung ohne Blickkontakt schon als wenig höflich, da dann mein Einverständnis nicht abgewartet wird.
Ein "Nein, danke" empfinde ich dann als passende, höfliche Reaktion.
Auch umgekehrt würde es mir nicht einfallen, einen Mann zu einem Tanz zu drängen.

Und auch online fällt es mir auf, dass es nicht wenige gibt, die ihre Höflichkeit an der Firefox-Tür abgeben.
Ehrlichkeit, zumindest dann, wenn sie Kritik beinhaltet, würde ich eher vorsichtig und unter Freunden formulieren. Gegenüber Fremden bin ich vorsichtiger: schlechte Musik? Ich kann die Milonga ja verlassen. Ein nicht so schönes Tanzerlebnis? Ich kann entscheiden, dass ich mit diesem Tänzer nicht noch einmal tanze usw.
Neulich, als ich in einer kleineren Stadt tanzte, fragte mich der DJ und Veranstalter hinterher, wie mir die Milonga gefallen habe. Da ich die ganze Zeit Non-Tangos um die Ohren bekommen habe und nur die wenigen trad. Stücke getanzt habe UND er so direkt fragt, habe ich ihm ehrlich mitgeteilt, dass Non-Tangos nicht meine Musik sind.
Im Zweifel ist Ehrlichkeit dann ehrlicher ;-)

Aber: ich finde, das viele wundervolle Tanzerlebnisse "ehrlich" sind, dorthin könnte man den Blick ja auch mal wenden und das empfundene Glück nach einer schönen DiSarli-Tanda auch ausdrücken.....

Chris hat gesagt…

zu meiner Überraschung habe ich festgestellt, daß Terpsi wohl auch von vielen gelesen wird, die sie und ihren Blog als Zumutung empfinden, und zwar scheinbar beharrlich und aufmerksam.
Während ich überlegte, welche Erregungswerte dieses Verhalten wohl für diese Art von "Fans" bereithält, kam mir eine Bonmot in den Sinn, welches in etwa so lautet: "Ab einer bestimmten Machtstufe wird die Bedeutung eines Mannes nicht mehr nach seinen Freunden bestimmt, sondern nach den Feinden, die er hat".
In diesem Sinne herzlichen Glückwunsch, Terpsi ;-)

CoeurDePirates hat gesagt…

lieber Christian Tobler, den Teil 4 fand ich sehr amüsant, ich habe beim Lesen geschmunzelt, ehrlich. Dann habe ich es nochmal gelesen, und wurde sehr traurig. Manche Frauen, und irgendwie habe ich bei einem vorgestellten Bild vor allem 40+ Frauen vor meinem geistigen Auge, unterliegen da wirklich und vollkommen einem dummen Irrtum. Ich weiß aber auch, wenngleich sie es nicht gerne zugeben, daß einige Frauen keinem Irrtum unterliegen, sich aber für einige Tänze gerne einer Täuschung hingeben, einfach um mal dieses tolle Gefühl zu haben und zu genießen. Selbst wenn sie dafür bezahlen müssen.

Anonym hat gesagt…

Chris, willst Du etwa andeuten, Terpsi sei in Wahrheit ein Mann? Das finde ich gelinde gesagt unhöflich! Ich weiß zufällig ziemlich sicher, sie ist eine Frau.

bird hat gesagt…

Spannendes Thema, nicht nur für den Tango Argentino.
Teil 1.
Eine Trennlinie, von sicher vielen anderen, zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit verläuft für mich zum einen da, wo ich das Gefühl habe zu verletzen, ohne verletzen zu wollen und dies vorher ahne, mitbekomme und zum anderen da, wo ich spüre das jemand wirklich eine Einschätzung/Meinung meinerseits haben möchte oder ich mich genötigt fühle drastischer reagieren zu müssen, als mir lieb ist, weil z.B. nonverbale Kommunikation und/oder höfliche Worte nicht verstanden werden wollen oder nicht ausreichen.
Ein wichtiges und für mich entscheidendes Kriterium dafür ist auch der Bekanntheitsgrad. Jemanden den ich nicht gut oder gar nicht kenne werde ich selten, eher wenn ich mich unangenehm genötigt fühle, meine Meinung sagen, wenn ich den Eindruck habe den anderen damit zu kränken. Menschen die ich besser kenne, kann ich besser einschätzen, da weiß ich eher, was ich sagen kann, ohne Dramen zu beschwören, die ich gar nicht inszenieren will. Und ich nehme mir heraus da, wo ich es möchte, bzw. da wo ich erst gar nicht in eine Diskussion einsteigen will, ausweichend zu reagieren.
Und dann gibt es Dinge die direkter, persönlicher, schwieriger für mich sind, wie z.B. das Ablehnen eines gemeinsamen Tanzes. Bei Fragen nach der Musik des Abends oder einer Showeinlage fühle ich mich in der Regel nicht in die Enge getrieben.
Finde das eine, in diesem Fall meine, Wertung/Meinung keine Allgemeingültigkeit hat und der andere gerne eine andere Meinung dazu haben kann. So kann es sein das mir die Musik des Abends gefallen hat, der DJ aber z.B. nicht zufrieden war oder ein anderer Tanguer@.
Grundsätzlich habe ich keine Probleme damit Stellung zu beziehen, etwas zu bewerten.
Meine Wertung, Deine Wertung, Wertung ganz allgemeint, muss das immer persönlich genommen werden mit der Tendenz es als Kritik bzw. Abwertung zu definieren ?

bird hat gesagt…

Teil 2.
Schwieriger wird dieses Thema für mich beim Auffordern, wie ich oben schon erwähnte.
Als ich angefangen habe Tango Argentino zu lernen wurde mir mitgegeben, Höflich zu sein, einem Tanguero in der Regel keinen Korb zu verpassen, unabhängig davon ob ich mit diesem Tanguero tanzen möchte oder nicht. Ich muss dazu sagen, da wo ich Tanze ist der Cabeceo nicht sehr verbreitet, d.h. viele Tangueros fordern verbal auf. Ich habe vielleicht ein oder zweimal nein gesagt, weil mir die Füße wehtaten. Aber ich sage nicht immer mit Vergnügen ja. Diese Form des einseitigen Aufforderns durch die Tangueros empfinde ich ehrlicherweise als eigenartig, habe aber lange gedacht, so ist das beim Tango Argentino. Und wenn so etwas einmal zur Gewohnheit geworden ist, lässt sich das sicher nur sehr schwer ändern, noch dazu, wenn es eine schon länger bestehende Szene ist.
Tangueros, glaube ich, wollen so in der Regel nicht aufgefordert werden, geben entweder gleich einen Korb oder tanzen uninspiriert, so meine Beobachtung.
Und natürlich ist es eine berechtigte Frage, warum tanze ich mit jemandem der so Auffordert und tanze auch ich dann uninspiriert ? Tja, frage ich mich mittlerweile hin und wieder auch. Ja, es kommt vor das ich dann uninspiriert tanze, keineswegs immer. Es wurde mir so vermittelt und ich erlebe viele Tangueros, auch aus anderen Szenen, die entweder vom Cabeceo nichts wissen oder nicht in der Lage sind so aufzufordern und mit denen ich trotzdem gerne tanze. Hinzu kommen manchmal Örtlichkeiten die den Cabeceo, meiner Meinung nach, erschweren.
Es geht mir wie cassiel, ich finde Auffordern per cabeceo ist die beste Form aber in der Praxis läuft das selten so in Reinkultur ab. Und Lydia´s Einwände dazu kann ich gut verstehen.
Ich für meinen Teil habe herausgefunden, dass ein Milongaabend für mich gut läuft, wenn ich einen abgelehnten Cabeceo-Aufforderungsversuch nicht zu persönlich nehme. Mag das Gegenüber gerade halt nicht, ist schade, tut mir vielleicht auch für einen Moment weh, weil ich gerne mit ihm getanzt hätte, trotzdem geht die Welt davon nicht unter. Auch ich schaue hin und wieder, warum auch immer, bewusst-aktiv beiseite. Gleiches Recht für alle.
Und grundsätzlich finde ich, dass Ehrlichkeit auch höflich formuliert werden kann, wenn man das möchte und ist mir persönlich lieber, als höfliche Unehrlichkeit.

Jörg hat gesagt…

Danke Christian! Deinen Ausführungen kann ich beipflichten! ... mit einer Ausnahme (2.Satz):

"Ich halte vorbehaltlose Ehrlichkeit trotzdem für unabdingbar, damit Tango Argentino gedeihen kann. Wie man so eine Botschaft erträglich rüberbringt ohne sie zu sehr zu verwässern wäre eine ganz andere Frage für einen ganz anderen Artikel."

Nö, ich finde genau darum geht's hier.

Zum Thema Frauen, die meinen alles zu können, wenn sie nur mit dem Richtigen tanzen... davon kann ich auch ein Lied singen!
Im Grunde ist das auch eine Äußerung, die (zumindest bei mir) diese ehrliche Antwort provoziert:
"Ein guter Tänzer wird anspruchsvollere Sachen sicher nicht tanzen, wenn er spürt, dass die Dame hierzu nicht in der Lage ist, zumindest diese nicht pausenlos wiederholen."
Ich persönlich find's gut, wenn dann die Dame um eine Wiederholung bittet.
Das zeigt ihr Interesse sich verbessern zu wollen.
Das ersetzt natürlich nicht die Notwendigkeit, sich hin und wieder in die Hände eines Profis zu begeben...

tangopeter hat gesagt…

Anbetungwürdige, heiss begehrte Frau Umarmung!
Ihre peinigende Maske verkleidet Sie nur zur Hälfte.
Es macht mir keine Mühe, Ihre Eigenschaften,
die ich so vergöttere, zu erkennen.
Oh erhören Sie mein Flehen, wehren Sie sich nicht!
Lassen Sie sich erweichen, verzücken Sie mich!
Ständig foltern Sie mein Herz -
Ach, werfen Sie doch Ihre Maske weg!
(Selbst wenn Sie so schön wie ein Senftopf sind...)

Die Antwort, wo denn nun die Grenze zwischen Höflichkeit / Freundlichkeit und Ehrlichkeit liegt,
kann vielleicht die Stachelschweinparabel geben: Es kommt darauf an und Grenzen sind fliessend.
Der Weg zur Erfüllung von Sehnsüchten ist mit Wertungen gepflastert, das ist seit Kain und Abel so
und im Tango auch nicht anders. No risk no dance. Mauerblümchen und Femme fatale,
Platzhirsch und verschwurbelter Stadtneurotiker - jeder entwickelt im Laufe seines kurzen Lebens
seine Potentiale so gut er kann oder wie andere es ihm vorschreiben, vortanzen, vorleben.
Führen und Folgen, Nehmen und genommen werden, kreativ sein und konsumieren - alles ist möglich.
Im Land des Tango hat jeder Mensch die Wahl: Ehrlich oder höflich oder beides oder weder noch.
Nur eine kleine Bitte an die Legalisten unter Euch:
Fragt Euch, ob es Euch grösser macht, wenn Ihr andere verkleinert, bewertet, Masstäbe von Qualität,
Authenzität usw. apodiktisch von der Kanzel predigt und nach (Definitions)macht strebt. Versprochen?
OK, dann knibbel ich auch den Aufkleber von meinem Auto, auf dem zu lesen ist:
"Wer tanzen will, muss freundlich sein"
(Oder so ähnlich)

Anonym hat gesagt…

Ich meine bei manchen einen unterschwelligen Genderstreit herauszuhören …

"Zum Thema Frauen, die meinen alles zu können, wenn sie nur mit dem Richtigen tanzen... davon kann ich auch ein Lied singen!"

Könnte man da nicht auch von den Männern reden, die glauben, sich vieles erlauben zu dürfen, nur weil sie Mangelsubejte sind und von jeder Frau mit Kusshand angenommen werden müßten, wenn sie eben tanzen wollen?

Aber, wären derlei verbale oder gedankliche Geschlechter-Kriegsgebärden wirklich hilfreich, um im Tango Freude zu haben und weiter zu kommen?

Vielleicht sind meine Antennen ja auch nur zu empfindlich eingestellt

Araja

Jörg hat gesagt…

@ Araja: Ja, das sind sie (Deine Antennen)! Nix da Geschlechter-Krieg!
Da ich ja (meist) führe, möchte ich das Thema auch nur aus dieser Richtung beleuchten.
Aus 2. Hand berichten könnte ich sicher auch, mag ich aber nicht so gerne.

PS: hier gibt's ganz oft Männerüberschuss

Tester hat gesagt…

wollte nur schnell probieren ob man hier tatsächlich ohne Zensur schreiben kann.

Noboru Wataya hat gesagt…

Um das Thema "Höflichkeit oder Ehrlichkeit" aus einer anderen Richtung zu illustrieren, möchte ich auch mal ein Erlebnis beisteuern, das schon ein paar Jahre zurückliegt:
Ich damals ein recht unerfahrener Tänzer, tanzte mit einer Frau, die zu der Zeit eine Tangolehrerausbildung machte. Nach der Tanda bekomme ich von ihr unaufgefordert eine Auflistung "Mit Dir zu tanzen ist aus folgenden Gründen unangenehm, weil erstens, zweitens, drittens..." Kann mich noch daran erinnern, wie ich damals vor den Kopf gestoßen war. Ich wähnte mich auf einer Milonga und nicht im Unterricht.

cassiel hat gesagt…

@Noboru Wataya

Schön, daß Du geschrieben hast. Du hast vollkommen Recht, Unterricht in der Milonga ist m.E. ein absolutes Tabu! (Darf ich hier auf einen Beitrag aus dem August 2009 verweisen?)

Ich wünsche allseits einen schönen Tag. :-)

KlausPP hat gesagt…

Unterricht ist natürlich tatsächlich tabu, aber gestern hatte ich eine Anfängerin, die tatsächlich hinter jedem meiner Schritte den Einstieg in die Basse erwartete und auch immer auf ein Kreuz lauerte, aber meine Führung ignorierte.
Da musste ich schon deswegen was tun, damit niemand zu schaden kommt.

Ansonsten gilt (lag als kleiner Zettel mal in einer Milonga aus):

"UNTERRICHTEST DU NOCH ODER TANZT DU SCHON?

Aber 1:
Wenn aber wirklich etwas höllisch daneben gerät und es zwischen mir und der Dame -mit der ich unterwegs bin- einen akzeptierten Niveauunterschied gibt, bzw. die Dame fragt, dann werde ich nicht schweigen, denn wir sind alle lernende Systeme.

Aber 2:
Umgekehrt habe ich in den letzten Jahren extrem davon profitiert mit einer exzellenten Dame zu tanzen, die definitiv besser tanzte als ich und die mir gelegentlich Tipps gab. Manchmal von mir angefragt und manchmal auch ungefragt (Worüber mein Ego nicht glücklich war, aber ich habe trotzdem davon sehr profitiert).

Aber 3:
Gelegentlich drücken Köpfe oder Arme sind sehr schwer.
Manchmal hänge ich selbst zu sehr nach vorne (meine Schäche).
Da frage ich schon mal nach "drückt mein Kopf?" oder ich werde gebeten "Bitte sag mir, wenn mein Arm zu schwer ist?"
Das finde ich in Ordnung.

Klaus

Anonym hat gesagt…

Unauffällige Kommentare oder kleine Korrekturwünsche finde ich in Ordnung und haben mir in meiner Anfängerzeit auch viel Beigebracht.

Was ich jedoch als sehr unschön und manchmal gar als nervend und störend für meinen Ästhetischen Sinn empfinde, sind eben derlei offenkundige Lehrerattitüden auf einer Milonga. Ich finde es unhöflich anderen Tänzern gegenüber (mal unabhängig vom ungefragt Belehrten). Mir geht es zumindest so - vor allem als Zuschauende. Es fühlt sich für mich so an, als wenn ich eigentlich gerne in einen schönen oder spannenden Film eintauchen will, jedoch immer von einem Geplapper in den vorderen oder hinteren Reihen herausgerissen werde.

Gerade neulich geriet ich jedoch genau in solch eine Situation, in der mich ein Anfänger zum Tanz aufgefordert hatte und fast gleichzeitig mich darum bat, ihn zu korrigieren. Ich fühlte mich da etwas überfordert, da ich nicht den analytischen Blick / das Gefühl eines Lehrers habe und zum anderen, weil ich eben nicht auf einer Milonga Unterricht erteilen wollte. Ich wollte ihn, der offensichtlich ein ausländischer Gast war, jedoch nicht vor den Kopf stoßen. So gab ich dennoch Kommentare zu seinem Tanz, hielt sie aber sehr kurz und merkte auch, wie stark ich meine Gestikulation im Zaun zu halten versuchte, um eben nicht nach außen Sichtbar wie ein Lehrer oder Belehrender aussehen wollte - was mir wahrscheinlich nur mäßig gelungen ist.

Hätte ich da nun ehrlich mit ihm reden sollen und ihm erklären, dass sowas auf einer Milonga Tabu ist?

Es ist ja auch ein philosophisches Problem, in einem Dilemma zu stecken und sich entscheiden zu müssen - zwischen zwei Übeln (hier einen Gast vor den Kopf stoßen, oder gegen die Regeln einer Milonga verstoßen). Einige Philosphen seien jedoch der Ansicht, dass es immer eine richtige Lösung gebe ?!?

Gruss in die Runde der Diskuttanten und Leser. Araja.

cassiel hat gesagt…

Mein Wundermittel bei Wünschen meiner Tanzpartnerin nach verbaler Unterhaltung ist ganz einfach. Ich sage: "Ich bin nur ein Mann und bin nicht multitasking-fähig - entweder reden oder tanzen."

Das funktioniert ganz gut. :-)

Unknown hat gesagt…

Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo in der Mitte:

1. Verbales Auffordern?

Ich verstehe die Vorzüge von Cabeceo voll und ganz aber es gibt auch Nachteile. Ich selbst habe zum Beispiel Probleme mit dem Sehen. Was also sollte ich dann machen? Gar nicht tanzen?

In meinen Augen spricht gar nichts gegen ein freundlich vorgebrachtes "Möchtest Du (gerne) tanzen?" Ich gehe davon aus, dass eine ehrliche Antwort die beste Antwort ist. Hier birgt eine ehrliche Frage die Möglichkeit einer ehrlichen Antwort. Dass das in der Praxis nicht einfach ist, ist natürlich klar!

2. Bewertungen.

Wie im richtigen Leben ist jede Bewertung eine Gratwanderung. Ich neige durchaus der Antwort von Klaus zu. In den letzten Tage habe ich mit so vielen "Anfängerinnen" getanzt, dass es an Verlogenheit gegrenzt hätte, nur "höflich" zu sein. "Freundlich", ja, das ist der bessere Begriff! Missverständnisse sind möglich aber wenn ich es schaffe, gleichzeitig ehrlich und freundlich zu sein, dann habe ich die beiden Ebenen bestmöglich in Einklang gebracht.

Beispiel: Wenn mir eine Tänzerin beim Auffordern sagt: "Ich kann es aber noch nicht so gut", dann erzähle ich immer, was mir meine Lehrer mal erzählt haben. Ihnen hatte vor Jahren einer der noch heute bekanntesten Tangotänzer und Lehrer gesagt, nach zwanzig Jahren hätte er begonnen zu verstehen, was Tango sein könnte. Mit anderen Worten: Wir sind und bleiben alle Anfänger! Das bricht meistens das Eis und erlaubt dann auch mal eine ehrliche Aussage zu möglichen Tanzhaltungen, der Unbedingtheit des engen Tanzens, Stabilität, Armhaltung und so fort. Ich selbst bin jedenfalls froh, wenn mir jemand - natürlich freundlich! - sagt, was ihm oder ihr an meinem Tanzen auffällt. Am besten hinterher aber es kann natürlich auch im konketen Moment helfen. Aber bitte nicht: "Kommst du vom Standard oder warum hältst Du Deinen Arm so hoch?" (Ich bin 1,95m)

Schönen Tag und ein gelungenes und nicht durch Geschwätz gestörtes Wochenende auf der Tanzfläche! :-)

Unknown hat gesagt…
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cassiel hat gesagt…

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