Montag, 27. August 2012

Für die neue Woche 142: Osvaldo Fresedo, Roberto Ray - Araca la cana

Für diese Woche habe ich einen gesungenen Tango aus dem Jahr 1933 ausgesucht. Araca la cana wurde von Osvaldo Fresedo mit dem Sänger Roberto Ray aufgenommen. Das Stück wurde von Enrique Delfino (genannt Delfy bzw. Dreyfus) komponiert und der Text stammt von Mario Fernando Rada. Bei Tango Padawan wird zumindest die erste Strophe übersetzt (diese erste Strophe wird jedoch in der Einspielung von Osvaldo Fresedo nicht gesungen). Es geht um einen Gefangenen, es darf aber vermutet werden, daß das Bild des Gefangenen (wieder einmal) als Allegorie für die unglückliche Liebe zu einer Frau aufgefasst werden kann.

Der Komponist des Stückes, Enrique Delfino war in den 30er Jahren sehr gefragt. So hat er beispielsweise sehr viele Stücke für Carlos Gardel komponiert. Und Carlos Gardel hat auch diesen Tango eingespielt - diese Version gibt es bei youtube. In der Biographie bei todotango.com wird über Enrique Delfino geschrieben, er habe den Tango Canción mit seinen zwei "Teilen" entwickelt (die älteren Tangos bestanden meist aus drei oder mehr "Teilen").

Eine kleine geschichtliche Besonderheit kann ich in diesem Zusammenhang noch präsentieren: Ein Ausschnitt aus dem Film: Los Tres Berretines (1933?) In dem Video sieht man den etwa 18-jährigen Aníbal Troilo wie er den Tango Araca la cana auf dem Bandoneon begleitet.



Ich möchte mich aber nun auf die Interpretation von Osvaldo Fresedo mit dem Sänger Roberto Ray konzentrieren.

Osvaldo Fresedo (Gesang: Roberto Ray) - Eine Aufnahme vom 06. Juni 1933

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Ich bin weder Musiker noch Tangolehrer. Insofern fühle ich mich nicht kompetent genug, über die Strukturen in der Tangomusik zu schreiben. Ich habe allerdings kompetente Menschen in meinem Umfeld und so präsentiere ich hier eine Grafik, die die Struktur dieses Tangos verdeutlicht. Monika Diaz und Christian Tobler haben mir eine Folie aus ihrem Vortrag "Eine Einführung in die Musik der Épocha de Oro" für diesen Beitrag überlassen. Herzlichen Dank.

Araca la cana - Osvaldo Fresedo
Araca la cana in einer schematischen Darstellung der einzelnen Teile
© Monika Diaz und Christian Tobler 2011 - mit  freundlicher Genehmigung

Jede Leserin, jeder Leser ist eingeladen, diesen Tango (evtl. mehrfach) zu hören und den Verlauf an der Grafik zu verfolgen. Dadurch daß die beiden Teile A und B einen komplett unterschiedlichen Charakter aufweisen, sollte es vergleichsweise einfach sein, der Grafik zu folgen. Teil A ist stark rhythmusbetont und in Teil B überwiegt die melodische Komponente (darunter erkennt man freilich noch eine rhythmische Struktur).

Ich möchte kurz auf zwei Besonderheiten eingehen, die aber m.E. sehr offensichtlich zu hören sind. Da ist zum einen die Einleitung (in der Grafik grün), die mit keinem Teil irgendeine Verwandschaft aufweisen und zum anderen möchte ich auf die letzte Durchführung des Teils A am Schluss hinweisen. Eigentlich könnte man diesen Teil auch mit A' kennzeichnen. Es ist eine Variation der ursprunglichen Melodie (wie sie in den zwei vorausgegangenen Durchführungen des Teils A zu hören war); hier liegt eine deutlich wahrnehmbare melodische Instrumentallinie über dem ursprünglichen Rhythmus. Man könnte auch davon sprechen, daß hier die beiden Teile A und B zu einer Synthese versöhnt werden.

Was bleibt nun für die interessierte Leserin, den interessierten Leser zu tun? Hier sind meine Vorschläge:
  • diesen Tango mehrmals hören und die Struktur verinnerlichen
  • in Gedanken (vielleicht mit Hilfe von zwei Fingern) ein mögliches musikalisches Tanzen probieren
  • den Tango allein gehen, den Teil A in kleinen schnelleren Schritten und in Teil B in etwas größeren eleganten Schritten die melodischen Instrumentallinien nachzeichnen - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt
  • Natürlich kann man dieses Gehen anschließend mit der Partnerin, mit dem Partner weiter ausbauen
  • Bei YouTube könnte man sich Interpretationen im Rahmen von Demos heraussuchen und nun unter dem Kriterium der Musikalität in der Interpretation neu ansehen (meine Favoriten heißen Noelia und Pablo)
  • Wem das noch immer nicht reicht, der könnte andere Titel aus der Serie "Für die neue Woche" als Beispiel nehmen und versuchen die einzelnen Teile zu identifizieren (es ist eine Frage der Übung).
  • und schließlich kann man sich im Internet auf die Suche begeben und weitere Artikel zum Thema Struktur der Tangomusik suchen. Ich möchte hier stellvertretend einen Artikel im Blog Simba-Tango empfehlen: The structure of a tango
Ich möchte hier noch auf einen möglichen Einwand vorsorglich eingehen. Wenn ich mit Tangotänzerinnen und Tangotänzern über dieses Thema rede, dann bekomme ich häufig zu hören, diese Art und Weise des Herangehens an Musik sei zu verkopft - man bevorzuge doch eher eine intuitivere, emotionalere Annäherung an die Musik.
Zunächst einmal ist das ein legitimer Einwand und es gibt viele verschiedene Wege, sich der Musik im Tango zu nähern. Der hier skizzierte analytische Weg findet natürlich zuerst im Kopf statt. Mir hat dieser Weg aber sehr geholfen und ich hoffe, ich habe diesen Weg eines fernen Tages so verinnerlicht, daß er nicht mehr nur reines Kopfkino ist. Ich kann jedenfalls aus eigener Erfahrung berichten, daß die intensive Beschäftigung mit der Musik meinen Tango extrem verbessert und bereichert hat.

Zum Abschluss dieses Beitrages bleibt mir nur, Monika und Christian für die Überlassung der Grafik zu danken. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, wie wichtig ich ihren Vortrag zur Musik finde. Er ermöglicht Tänzerinnen und Tänzern einen Zugang zur Musik der Épocha de Oro und das ist schließlich das, was wir alle wollen: Musikalisch tanzen! Monika und Christian werden ihren Vortrag am 15. und 16. September im oberösterreichischen Linz halten (eine gute Autostunde hinter der deutsch-österreichischen Grenze). Ob es noch freie Plätze gibt, weiß ich nicht - eine Anfrage beim Veranstalter lohnt in jedem Fall.


Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche.

28 Anmerkung(en):

PacoDaCapo hat gesagt…

Hoppla, ja wo ist denn nun der deutsch übersetzte DJ-Fragebogen von Fräulein Igel / Miss Hedgehog? Zurückgezogen - überarbeitet? Kommt er noch wieder?

cassiel hat gesagt…

Es gibt da einige Unsicherheiten bei der Übersetzung. Ich brauche noch ein wenig Zeit und bitte um Geduld...

In der Zwischenzeit können sich ja meine hoch verehrten Kommentatorinnen und Kommentatoren mit Araca la cana auseinandersetzen.

Thomas hat gesagt…

Etwas aus der Musiker-Ecke:
Tango ist zeitlich symmetrisch gegliedert, d.h. 1 Schlag besteht aus zwei Achteln (d.h. hat die änge eines Viertels), und ein Takt aus 2 Schlägen. Dann werden Gruppen zusammengefasst: 2, 4, 8, 16 Takte. Dies ist das europäische Erbe des Tango.
Die verinnerlichte Erfahrung dieses Ablaufs hilft dem improvisierenden Tänzer zu wissen, wo genau er sich zeitlich im Stück befindet, und ermöglicht ihm mit grösserer Sicherheit, seine Schritte und Verzierungen passend zu setzen, auch wenn ihm das Stück (noch) unbekannt ist. Auch der Schluss des Stücks wird ihn kaum noch überaschen.

Araca la cana wartet mit zwei interessanten und raffinierten Spezialitäten auf:

1. Da Thema A beginnt mit einem Auftakt, der etwas mehr als 1 Schlag dauert. Die Einleitung stoppt auf Schlag 1 des vierten Takts. Aus einer guten Musikanlage(!) kann man den Bass hören, der auf den Schlag 1 von Thema A wieder einsetzt (d.h. auf den fünften Takt von Anfang an). Ohne das Erleben der Schlag- und Taktsymmetrie und ohne Kontakt mit dem Bass ist die Verführung fast unwiderstehlich, den Start nach einem Achtel mitten in den Auftakt zu setzen. Tango-tanzen toleriert das, aber den Symmetrierahmen respektierendes Tanzen ist erfüllender.

2. Wer mitzählt (oder die Graphik betrachtet) merkt dass das Thema A nur 14 Takt hat: In Takt 3 von A findet eine Verdichtung des melodischen Ablaufs statt; zweimal wird die Energie von 2 Takten in einen zusammengefasst. Die Regel von 16 Takten pro Einheit wird hier gebrochen; die Melodie erfordert dies zwingend um in sich harmonisch zu sein. Eine Konsequenz für den Tänzer hat die verkürzte Periode nicht; eine offene Frage ist, wie das für die Choreographie genutzt werden könnte.

cassiel hat gesagt…

@Thomas

Vielen, vielen Dank für Deine ergänzenden Anmerkungen, da Du ja offensichtlich aus der musikalischen Ecke kommst, hätte ich eine Bitte: Würdest Du Dich vielleicht einmal per eMail melden? Ich habe nämlich Schwierigkeiten bei einem der folgenden Beiträge in dieser Mini-Serie zur Struktur des Tangos. Es soll ja weitergehen (der nächste Beitrag wäre dann zur Phrase). Meine eMail-Adresse findest Du unten auf der Seite im Kleingedruckten.

Eine inhaltliche Frage hätte ich noch: Sprichst Du in diesem Zusammenhang von einem "Teil" oder einem "Thema"? Ich war mit der Frage der korrekten Bezeichnung überfordert.

Thomas hat gesagt…

@cassiel

Ich habe ohne viel zu Überlegen die Terminologie von Monika und Christian übernommen; von 'Teilen' zu sprechen wäre glaube ich auch möglich.

Florian hat gesagt…

Einer meinen Lieblings-Tangos! Und zwei Versionen die ich noch nicht kannte! Vielen, vielen Dank, Cassiel. Wieviel schöner ist Fresedo ohne Harfe (tangotanzende Harfenistinnen nehmen mir diese Aussage immer ziemlich übel...).

Eine wunderschöne Grafik haben Monika und Christian erstellt! Übersichtlich und informativ, das ist gar nicht so einfach.

Mehr aus der Musiker-Ecke:

Die Einleitung weist sehr wohl Verwandtschaft mit den anderen Teilen der Tango auf! Sogar mit beiden Teilen. Glaube nicht dass ich das hier in ein Paar Wörter erklären könnte, aber wer gut zuhört erkennt es vielleicht (und bei Nachfrage könnte ich es eventuell trotzdem probieren).

Lieber Cassiel, bitte weiter so!

Florian

Florian hat gesagt…

Noch vergessen:

Ich würde sagen wir haben in diesem Tango zwei Themen (A und B) und fünf oder sechs Teilen (EinleitungABABA'). Mit Thema meint man meistens eine melodische und rhythmische Einheit, mit Teil eher ein Abschnitt. Bin aber kein Experte für deutschsprachige Musikanalyse-Terminologie...

P.S. ich finde es inzwischen ziemlich schwierig diese anti-spam Fragen richtig zu beantworten...

cassiel hat gesagt…

@Florian

Na ja, da wäre ich jetzt schon gespannt, vielleicht probierst Du es mit einer verbalen Beschreibung.

An dem Anti-Spam-Code kann ich leider nichts ändern (ich muss ihn nicht eingeben - na ja, einen Vorteil muss man ja auch als Blogger haben). Aber vielleicht hilft dieser Tipp: man kann in dem Feld auf das Symbol für einen neuen (hoffentlich leichter lesbaren) Code klicken.

Danke für Deine Zeilen.

PacoDaCapo hat gesagt…

Der gewünschte Kommentar von gestern nachmittag, bitte sehr:

[Ich wunderte mich nicht zum ersten Mal, dass Kommentare nicht auftauchen! Ist das auch auf „die Freiheit des Bloggers“ zurückzuführen oder bin ich gestern etwa auch am AntiSpamFeld gescheitert?]

Natürlich ist das Hören, das Empfinden und das Tanzen – die persönliche Übersetzung in getanzte Schritte – eine emotionale und intuitive Sache, weshalb wohl der Tango auch von „verkopften“ Menschen, die es im Beruf oft mit sehr abstrakten und weniger praktischen Dingen zu tun haben, besonders gern getanzt wird. Als körperlichen Ausgleich zur sitzenden und dennoch nervenaufreibenden Betätigung in einer oft „virtualisierten“ und uns künstlich und kompliziert erscheinenden Welt. Doch die Rezeption erfolgt ja über den Kopf!

Der gesamte Körper muss zu einem einzigen Ohr für die Musik werden Susana Miller

Natürlich wird auch der Tastsinn berührt und bedient, aber Hören und Sehen sind erstmal, so wie überhaupt die wahren Abenteuer *, im Kopf! Der Tango ist kein Sport, kein Regelwerk, kein Wettbewerb, keine Tanzübung, der Tango ist, wie kürzlich in einem Seminar auf den Punkt gebracht wurde (Joaquín Alem, Bandoneonist und Komponist aus Bs As in Oldenburg) Kommunikation! Da ist es wichtig, die Wesenszüge der Porteños zu verstehen, die sich von überlegten und skeptischen Europäern, gesteigert von Deutschen, deutlich unterscheiden. Man lebt unmittelbar den Moment und legt in den Moment alles hinein, hält nichts zurück! Forsches Herangehen, das können wir hier auch beobachten bei den Tänzern, es ist auch kein Widerspruch zu einem musikalisch und sanft getanzten Tango. Das alles scheint etwas paradox angesichts der Melancholie im Tango, der inhaltlichen Rückwärtsgewandtheit der alten Tangos, aber die Vergangenheit und auch die Zukunft spielen in diesem Moment nur eine geringe Rolle. Musikalisch bedeutet das, dass es keine Zurückhaltung in der Interpretation gibt: Melodie wird richtig breit melodisch, lyrisch und Rhythmus (staccato) wird hart dazu kontrastiert. Das kann man beim Tanzen hören, spüren und auch interpretieren! Bei einer sehr forschen Interpretation wie bei D’Arienzo fehlt leider dieses lyrische, melodische Legato, aber bei anderen Intrpretation kommen diese deutlichen Kontraste innerhalb eines Tangos vor. (Troilo, Pugliese … )

Jemand, der diese Musik faszinierend findet, muss nicht wissen, ob Teil A oder Teil B läuft, wie der Text lautet oder der Titel heisst, aber er/ sie geniesst nach diesem Regelwerk der Komposition, der Instrumentierung, des Gesangs, der Kontraste, ob er es „im Kopf“ analysiert oder nicht.

* „Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo…“ André Heller

Anonym hat gesagt…

Meinst du das hier eigentlich wirklich ernst? Bist du so drauf? Das kann sich doch kein Schwein alles merken. Lass uns doch bitte einfach tanzen und Spass haben. Du hast den Spass ja wol schon längst verloren. Tango-Oberlehrer!!!!!!

cassiel hat gesagt…

@anonym

Guten Abend,

Du hast aber schon den vorletzten Absatz (direkt hinter der nicht-nummerierten Aufzählung) gelesen, oder?

Da steht nämlich: "[...] es gibt viele verschiedene Wege, sich der Musik im Tango zu nähern".

Noch Fragen?

Ich finde es sehr mühsam, mich vermehrt mit latent aufgeregten Diskussionsbeiträgen auseinandersetzen zu müssen. Ich würde mich freune, wenn wir das hier sachlich ausdiskutieren könnten.

Daniel hat gesagt…

Vielen Dank für dieses interessante Thema, sowohl an Cassiel als auch an die
anderen Beiträger!

Wenn man es beim 'Heraushören' der Strukturen leichter haben will, kann es
nicht schaden, sich diese tatsächlich einmal an zwei oder drei Tangos
theoretisch bewußt zu machen.

Hierfür hilft neben der Einspielung auch ein Blick auf die Noten, die sich
zum Glück für die meisten älteren Tangos finden lassen. In diesem Fall z.B.
hier schauen http://partiturastango.blogspot.de/2010/08/araca-la-cana.html
und sich von dort durch die Sammlung auf Mediafire klicken (Partituras de
Tango>Araca la cana.zip)...

In der Hoffnung, daß es dem einen oder anderen willkommen ist, hier eine
kurze Aufschlüsselung an diesem Beispiel, sehr stark vereinfacht und mit dem
Versuch, keine weitergehenden musikalischen Fachbegriffe zu verwenden.
Hoffentlich klappt es mit den eingefügten Zeilenumbrüchen, sonst wird dieser
Beitrag wohl nicht lesbar sein.

Trotz der kleinen Schwierigkeiten durch den Auftakt können wir uns das Stück
im wesentlichen taktbasiert anschauen, ich ignoriere die sich daraus
ergebenden Verschiebungen im folgenden (ebenso wie Varianten am Übergang der
einzelnen Elemente), weil sie für das Verstehen der
Grundstrukturen nachrangig sind. Der Klavierauszug umfaßt in diesem Fall
nur den 'Kernteil' des Tangos, der zur Begleitung des Textes nötig wäre
(manchmal ist sonst noch eine Einleitung beigegeben). Die Orchesterfassungen
sind zu dieser Zeit meist so aufgebaut, daß zunächst das 'musikalische
Programm' des Stücks rein instrumental vorangestellt wird und danach die
vollständige Form mit Gesang folgt. In diesem Fall ist tatsächlich auf den
Gesang der A-Teile verzichtet worden, was die Übersicht zunächst erschwert.

Entlang der Noten (mit Textanfängen zur Orientierung):



Der erste Block setzt sich aus 3 Motiv-Elementen zusammen:

a1 "Araca la cana": 2 Takte

a2 "Ojazos profundos" (melodische Variante, rhythmisch wie a1): 2 Takte

a3 "tajantes y fieros": 2 Takte



Daraus wird folgende Struktur gebaut:

A1: a1,a1

A2: a2,a3,a3

A1: a1,a1

(mit Auftakt, Schlußtakt endet entsprechend mit Pause)



4 Takte, 6 Takte, 4 Takte

(in einem ganz strengen Schema würde man bei A2 8 Takte erwarten)



Es folgt der zweite große Block:

b1 "Yo que anduve": 1 Takt

b2 "[gua-]peao": Abschlußtakt (bzw. -teil)

b3 "gil vengo a ensartarme": 1 Takt, Variante ab 2. Hälfte von b1



Die Struktur:

B1 b1,b1,b1,b2

B1 b1,b1,b1,b2

B2 b1-b3,b3,b3

B1 b1,b1,b1,b2



4 x 4 Takte



Für die Gesangsversion wird nun noch der A-Block wiederholt:

A1,A2,A1,B1,B1,B2,B1,A1,A2,A1



In der Orchesterfassung geht ein Durchgang durch die Blöcke A und B voran,

der dann direkt in eine Wiederholung von vorne mündet. Und vorweg steht ein

einzelner B1-Block (entsprechend der Überleitung zur Wiederholung am Ende),

der hier vielleicht auch wegen des Auftakts als Einleitung gewählt wurde.

Als Gesamtstruktur ergibt sich also:



B1,|: A1,A2,A1,B1,B1,B2,B1 :|,A1,A2,A1

|: :| bezeichnet den komplett wiederholten Teil, mit der Wiederholung würde

der Gesang einsetzen.



Wenn man sich am Text orientiert, ist der Verlauf also vom Ende ab "Si es

pa' creer", dann von vorne durch, und dann erneut von vorne mit Wiederholung

bis zum Schluß am Ende der ersten Seite.



Als nächste Schritte kann man sich nun über die unterschiedliche melodische

und rhythmische Umsetzung der einzelnen Elemente auf den verschiedenen

Ebenen und in den jeweiligen Wiederholungen Gedanken machen. Damit haben wir

dann eine solide Grundlage für die praktische Umsetzung der Strukturen im

Tanz - im Idealfall vergessen wir dann die ganze Theorie wieder und setzen

künftig unbewußt die eigentlich ja ganz klaren Strukturen in unsere

tänzerischen Interpretationen um bzw. lassen uns von der Musik führen. ;-)

cassiel hat gesagt…

Hallo Daniel, vielen Dank für die Arbeit, die Du Dir gemacht hast! Das ist sehr ausführlich. Leider muss ich jedoch feststellen, daß das Thema meine Leserinnen und Leser nur wenig interessiert. Die Zugriffszahlen sind deutlich niedriger als sonst (von Kommentaren, Anmerkungen oder gar weitergehenden Fragen rede ich jetzt noch gar nicht). Vermutlich habe ich meinen ursprünglichen Artikel nicht gut genug formuliert. Ich suche einen Weg, wie man auch Nicht-Muskern einen Zugang zur Musik im Tango eröffnen kann. Grundsätzlich bin ich in dieser Frage für Vorschläge offen. Wer eine Idee beisteuern mag, ist herzlich eingeladen, mich zu kontaktieren.

Austin hat gesagt…

Also auch wenn ich kein Profimusiker bin, komme ich auch ein bißchen aus der musikalischen Ecke, und gerade daher wäre ich sehr froh, wenn diese Serie irgendwie weitergehen würde. Ich gehöre zwar auch zu denen, die vom Schluss eines Tangos nicht überrascht werden und die ein Gefühl dafür haben, was als nächstes wahrscheinlich kommt, aber das passiert bei mir eher intuitiv (vielleicht, weil das Hirn unterbewusst 4-er-Taktgruppen mitzählt, oder weil der Melodiebogen oft auf ein "logisches" Ende zusteuert) und manchmal liege ich auch grob daneben. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, mitzuzählen oder mitzuschreiben und mir das selbst zu erschließen. Eine Serie dieser Art wäre für mich der Anlass hierzu. Und noch ein paar Bemerkungen:

1. Klar ist das ein kopflastiges Herangehen an den Tango. Aber die Mühe muss man sich nur einmal machen. Wenn man dann verinnerlicht hat, wie Tangos funktionieren, dann hat man wieder Kapazität im Kopf frei, mit der man sich um seinen Tanz kümmern kann und wird am Ende besser (weil sicherer) tanzen. Davon bin ich überzeugt. Denn beim Musikmachen ist es genauso. Da wird die Interpretation auch besser, wenn man weiß, was kommt. Da ist man viel unaufgeregter als wenn man nur reagiert.
2. Den Verfechtern der "Hey, lass uns einfach nur tanzen"-Fraktion glaube ich nicht, dass sie alle so begnadete Improvisierer sind, dass ihnen ihre Intuition stets einen guten Weg weist. Ihr macht Euch da was vor. Ich akzeptiere es, wenn jemand sich nicht die Mühe machen will, das Thema so anzugehen und Beiträge hierüber uninteressant findet. Aber es ist Unsinn zu behaupten, dass das niemandem etwas bringen soll.
3. Ich würde in so einer Serie gern lesen, ob und inwieweit alle klassischen Tangos eine vergleichbare Struktur haben und wie die aussieht. Viel mehr müsste es gar nicht sein. Wenn es diese Vergelichbarkeit nicht gibt, wüsste ich gern, wie die häufigsten Strukturen aussehen und wo sie übelicherweise vorkommen.
4. Das Problem, wie man für den Laien verständlich von verschiedenen Themen in einem Tango sprechen kann, könnte man vielleicht mit dem Bezug auf den Text angehen ("Thema A beginnt mit dem Text ... und endet mit ..."), hilfsweise mit den Sekundenangaben.
5. Dass dieses Thema keine 90 erhitzen Beiträge pro Ausgabe bekommen würde, würde ich an Cassiels Stelle nicht zum Gradmesser für die Relevanz des Themas machen.

PacoDaCapo hat gesagt…

Wie kann man einem Nichtmusiker Zugang verschaffen zum Tango? Nun, es liegt auf der Hand: Der Nichtmusiker ist ja der Tänzer und begegnet bei vielen Milongas im Laufe einer langen Milonga immer neuen und auch vertrauten Klängen, mit der Zeit schärft sich die Wahrnehmung für das Gehörte, weil das Tanzen immer mehr zum Genuss der Musik wird. Ich behaupte, dass man dazu nicht unbedingt die Musiktheorie braucht, obwohl es spannend sein kann, so den Dingen auf den Grund zu gehen.

Der Ansatz, eine Regel auszumachen, wird dagegen eher scheitern. Mit allen kompositorischen Möglichkeiten sind die Tangomusiker doch immer evolutionär umgegangen, sie haben mit viel Phantasie alle ihre Inspirationen und Kenntnisse eingesetzt, um jeweils zu seiner Zeit und auf dem Hintergrund der bekannten Möglichkeiten, Neues zu schaffen. Ein gutes Beispiel ist Eduardo Arolas (Maipo, La guitarrita, Retintín…) , aber auch die Brüder De Caro (Flores negras, Boedo…). Oder der frühreife Osvaldo Pugliese mit seinem Thema „Recuerdo“ oder „La mariposa“. Harmonisch verfolgen die Komponisten immer mal wieder neue Wege, aber da der Tango doch eher melodisch ist, sind auch die begabten Erfinder von Melodien herauszustellen, wie zum Beispiel Carlos Gardel einer war, [Gestern abend eine tanzbare Version vom Tango canción „El día que me quieras“ gehört, wunderschön und selten in tanzbarem Arreglo gehört].

Eine Regelmäßigkeit, wie sie ohne Zweifel aus europäischen Musiken übernommen worden ist, ist nur bei der Folklore festzustellen, nicht beim Tango. Der Tango macht sich doch, weil er später aufkam und sich aus vielen Einflüssen speist, weitgehend frei von festen Taktstrukturen. Der Arrangeur in seiner ziemlich freien und wichtigen Rolle besorgt dann schließlich die Orchesterfassung, die sich von der ursprünglichen Komposition darüber hinausgehend noch deutlich unterscheiden kann. Beispiele für das Vertauschen der Teile A bzw. B oder C gibt es etliche, bei La mariposa kann man z. B. sehr verschiedenen Herangehensweisen hören, selbst Aufnahmen des Komponisten selbst unterscheiden sich im Laufe der Zeit schon mal. Ich nenne hier keine Beispiele, aber evtl setzt sich diese Diskussion ja im kleinen Kreis fort, dann kann man ja prägnante Beispiele zum Nachhören noch genügend zitieren!

Florian hat gesagt…

Noch einmal zur Einleitung von diesem wunderschönen Tango. Ich werde probieren so wenig wie möglich Fachbegriffe zu benutzen und deutlich zu erklären, aber bitte fragt nach wenn etwas unklar ist.

Nach dem allerersten Ton folgt ein absteigendes Motiv, das sich drei mal wiederholt. Dieses Motiv ist nicht nur in sich absteigend, sondern wird jedes mal eine Stufe niedriger wiederholt. Also absteigend im Kleinen und im Grossen. Das ist der Schlüssel um die Verwandtschaft zu den beiden Themen A und B zu verstehen.

Nun, das dritte Mal, dass dieses kurze Motiv in der Einleitung gespielt wird ist es rhythmisch fast und melodisch ganz gleich an der Auftakt von Thema A. Also man hört direkt nacheinander das gleiche Motiv. Ich rede hier von die zweite Hälfte von Takt drei und die zweite Hälfte von Takt 4. Das fällt kaum auf, denn in der Einleitung wird es sehr gesungen gespielt und in Thema A stark abgesetzt.

Der grosse absteigende Bogen von der Einleitung ist verwandt mit Thema B. Auch Thema B wird zusammengestellt aus ein kurzes absteigendes Motiv dass jedes mal eine Stufe niedriger wiederholt wird. Und diese grössere absteigende Linie ist genau die gleiche wie in der Einleitung: d - c - b. Es gibt sogar noch mehr Verwandtschaft: Am Ende diese stufenweise Linie von Thema B fällt die Melodie ab nach f, allerdings nur in der gesungene Version. Im Text ist es auf guapeao oder ciudao. Dieser Sprung ist genau der gleiche am Ende der Einleitung zur Auftakt von Thema A. Und nicht nur das, dieses Intervall (eine Quarte) wird auch später in Thema A genutzt, ziemlich am Anfang und mehrmals in die Stelle die Daniel a3 nennt.

Wenn auch nur ein Leser mich bis hier verstanden hat bin ich schon froh :-)

Und jetzt noch etwas ganz anderes: auch wenn Anonym nicht gerade dazu eingeladen hat auf ihn zu reagieren möchte ich das trotzdem tun, denn eigentlich ist es ein interessantes Thema wovon er spricht. Ich sehe es so: eine Analyse ist ein Weg sich ein Musikstück anzunähern, es besser zu verstehen. Das ist sicher keine reine Kopfsache, denn ich denke keiner der hier mitliest versteht Musik nur mit dem Kopf. Den Kopf braucht man vor allem um das was man hört/erfahrt/versteht auf Schrift zu fassen damit jemand anderes es auch verstehen kann, bzw. um die Analyse von jemandem anderen zu entziffern.

Es gibt viele Wege ein Stück zu analysieren: z.B. eine harmonische Analyse, eine Schenker-Analyse, oder eine Formanalyse wie Daniel und Monika+Christian gemacht haben. Wie unterschiedlich die Analysen von Daniel und Monika+Christian aussehen, auch wenn sie inhaltlich keine Gegensprüche aufweisen, zeigt für mich schon was eine Analyse ist: eine Wiedergabe von einem Interpretation eines Stückes. Erstens braucht man dazu mindestens soviel Herz wie Kopf und zweitens kommt man wenn man eine macht bzw. sich mit einer auseinandersetzt ein Stück oft viel näher. Allerdings nur wenn man nicht nur a1 und a2 sieht, sondern die musikalische und emotionale Inhalt dahinter mitdenkt/erfahrt.

bird hat gesagt…

Ersteinmal herzlichen Dank an alle die bis jetzt bereit waren sich an dieser spannenden, interessanten, wenn auch auf den ersten Blick vielleicht etwas kopflastigen Diskussion zu beteiligen und sich die Mühe gemacht haben etwas so schwieriges wie Musikverständnis schriftlich zu formulieren. Ich bin stille und begeisterte Leserin bis jetzt gewesen !
Wie Daniel schrieb kann es erhellend sein sich 1-3 Tangos in dieser Art und Weise vozunehmen, ähnlich wie z.B. Musiker/Sänger das sicher zum besseren Verständnis und besseren Interpretieren-Könnens Ihrerseits tun, getan haben. Und danach tritt dieses eher kopflastige Begegnen mit dem Tango, der Tangomusik zurück, hinterläßt aber Spuren die sehr wohl dem schöneren Tangotanzen dienen können.
Vielleicht ein Vorgang der dem Lernen des Alphabets nicht ganz unähnlich ist und bei Können wieder völlig in den Hintergrund zurücktritt. Eine Möglichkeit, wenn man mag, von vielen.
Ich freue mich gerade jeden Tag über die Beiträge die etwas so schwieriges versuchen für andere schriftlich in Worte zu fassen.
Und ärgere mich über Kommentare, wie von anonym am 28.08.12
- Das kann sich doch kein Schwein alles merken. -
Diese Verallgemeinerung mit solch einer Betitelung empfinde ich als unhöflich und unsachlich.

Christian Tobler hat gesagt…

@ PacoDaCapo,

ich fände es schade, wenn sich diese Diskussion aus dem Blog verabschieden würde, um auf anderen Kanälen in einem kleinen Kreis weitergeführt zu werden. Klar würde das manches vereinachen, für einige wenige. Aber viele Leser wären damit ausgeschlossen, welche den Thread interessiert verfolgen aber nicht kommentieren.

Denn ganz besonders in solchen eher anspruchsvollen Diskussionen wird der eine oder ander Miesepeter fast immer durch Dutzende, oft sogar hunderte von stillen Lesern aufgewogen, die sich allenfalls anhand der Zugriffzahlen eruieren liessen.

@ Florian,

falls Du in der Lage bist, eine harmonische Analyse und/oder eine Schenker-Analyse von Araca la Cana zu erstellen, wäre es toll wenn du die hier mit begleitenden Informationen veröffentlichen würdest. Ich bin sicher, dass viele Leser sich gerne darin vertiefen werden, auch wenn sie vielleicht nicht alles verstehen. Das würde die Breite und Tiefe dieser Diskussion bereichern.

In diesem Sinn lade ich euch beide ein, noch eine ganze Weile hier zu bleiben - ich weiss, Cassiel, das steht mir hier gar nicht zu, aber irgend jemand muss es aussprechen. Also presche ich jetze einfach mal vor. Womöglich findet der eine oder andere interessierte Leser dann doch noch den Mut, sich auch in die Diskussion einzubringen. Je breiter das Spektrum der Kommentare wird, desto spannender ist diese Diskussion für alle.

herzlich - Christian

PacoDaCapo hat gesagt…

Nein, Christian, der kleine Kreis bezog sich auf die geringen Zugriffszahlen, die Cassiel festgestellt hat. Ich meinte nicht, die Diskussion sollte ausgelagert werden in irgendeinen kleinen Zirkel. Der Tango oder die Tangos sind so faszinierend, weil sie einfach oder kompliziert sind, weil sie viele oder eher wenige Fassetten haben. Was in der Komposition eher einfach ist, sogar betont einfach, wird in der Zuordnung von Instrumenten und Stimmen gestaltet oder ist geprägt durch außerordentliche solistische Leistungen oder aber wiederum durch geschlossenes und diszipliniertes Stimmen-„Tutti“.

Nehmen wir einen Tango oder etliche Walzer, die mit einer Tonart und zwei Akkorden auskommen und keine Jazzharmonien, keine Dur- / Mollwechsel, keine harmonischen Sprünge durch mehrere Tonarten „nötig haben“. Poema oder El adiós als Tangos, ein Walzer wie Amor y celo(s) sind Beispiele oder einige Milongas. Diesen Walzer höre ich ausgesprochen gerne, er hat sich geradezu eingebrannt in das fotografiische Gedächtnis durch die Szene mit Pablo Verón an der Seine in Paris, die märchenhaft mit Schneeflocken endet. Man kann wunderbar darauf tanzen und vermisst eigentlich nichts. Bei Fresedo oder Troilo oder etwa bei Pugliese, vorher schon bei den bereits erwähnten Pionieren Arolas und De Caro etwa, [ das soll aber andere, evtl. nicht ganz so prominente Komponisten und bis zu Dynastien wie Gobbi aber nicht in den Schatten stellen!] kann man die Faszination immer wieder erneut erleben, weil man sie mit einem Hören niemals ermessen kann. Immer entdeckt man etwas Neues, einen versponnenen Akkord, eine raffinierte Kadenz, harmonische, rhythmische, melodische Fassetten, wobei die Komponisten durchaus bereit waren, die Arrangeure ihre Arbeit machen zu lassen und ihnen den verdienten Beifall auch zuzugestehen. Vida mía von Fresedo oder Titel von Troilo aus Anfang der 50er wie La Trampera, La última curda, Responso oder Una canción haben eine erstaunliche Qualität, die in der Reife der Abwägung der eingesetzten Mittel besteht. Frühere Stücke wie Sur oder Toda mi vida weisen den Weg dorthin. Das „Chromatische“ beim Tango hat mich schon immer verblüfft, wie bei Naranjo en flor im Moll-Refrain. [Oder bei Toda mi vida, was sich von gelegentlich fanfarenartigen Dur-Akkorden der Tango der ersten Generation schon ganz deutlich fortentwickelt hat]. Das kommt so wie ein sprachlicher, beiläufiger und eher gesprochener als gesungener Text rüber. Für mich selbst kommt auch noch der Inhalt der drei-Minuten-Geschichte (um hier das Klischeewort vom Drama zu vermeiden) sprich also der Textinhalt hinzu! Dort ist auch immer wieder eine Zeile oder ein Inhalt zu finden, den die Komposition ja stimmig umrahmen und illustrieren soll.

Was auch immer irgendjemanden dazu provoziert, das alles als oberlehrerhaft abzukanzeln, eine Spaßpartymusik ist der Tango bei allem wirklich nicht, und zum Glück für manche „Minderheiten“ gibt es ja auch noch genügend Szenen, in denen Diskofox etc. läuft. Jedem halt das Seine…

Thomas hat gesagt…

Zum uralten Grabenkrieg 'Kopf gegen Bauch': Ich denke, es steht jeder Person frei, ob und wie sie ihren Kopf gebrauchen möchte. Das kann sich ja mit der Zeit auch ändern. Ich finde aber auch, dass die, die den Kopf gebrauchen und gebrauchen können, sich nicht im mindesten dafür entschuldigen müssen.

bird hat gesagt…

PacoDeCapo,

darf ich leihenhaft fragen, was das Chromatische bei Toda Mi Vida in der Version von Troilo 1941 gesungen von F.Fiorentino ist ? Kann man das hören oder muss man das eher wissen ? Naranjo en flor besitze ich leider nicht.

KlausPP hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
KlausPP hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
KlausPP hat gesagt…

Also mich interessiert das Thema und ich finde es kann hier auch ruhig mal etwas elitärer zugehen.
Bin selber Hobbymusiker, der zumindestens versucht sehr musikalisch zu tanzen.

Das Thema PHRASEN begann mich genauer zu interessieren, nachdem ich mich hier mal völlig verritten habe

Vermutlich von einem Tangolehrer irgendwann einmal gehört und übernommen habe ich mich letztes Jahr hier mal kurz mit einem Beitrag als Phrasenunkundiger entlarvt und wurde damals nett von Chamuyo korrigiert.

Chamuyo:>>
Die Phrasen bestehen immer aus 4 Takten, das sind für den Tänzer 8 betonte Schläge
<< Eingefügt aus http://tangoplauderei.blogspot.de/2011/08/fur-die-neue-woche-113-francisco-lomuto.html

Der streitbare Herr Oswald wurde auch von mir gelesen und verwirrte mich aber mehr als mir lieb war:>>
8 Takte bilden eine Phrase (diese hat in der Mitte eine Zäsur),
4 Phrasen bilden einen Formteil.
<< Eingefügt aus http://tangosohle.wordpress.com/2010/01/29/610/

Daraufhin habe ich mich mit dem Thema Phrasen im Rahmen der musikalischen Formenlehre etwas eingehender beschäfitgt und mußte feststellen, dass nicht nur ich, sondern auch mein Korrektor und ebenso Herr Oswald im Sinne der musikalischen Formenlehre daneben lagen.

Wenn ich die Formenlehre http://de.wikipedia.org/wiki/Periode_Musik richtig verstehe, dann besteht eine Phrase aus 2 Takten (2/4 Takt) und damit aus 4 Schlägen (oder für uns Tänzer besser zu verstehen als 4 Schritte in einfachem Tempo).

Das stimmt mit Christian Toblers Grafik soweit überein.
Zwar ist aus der Grafik leider nicht zu erkennen, was denn da eigentlich ganz genau die Phrase sein soll.
Meine Notizen aus dem Vortrag besagen, dass Du (Christian) damals von Phrasen oder Doppelphrasen gesprochen hast, d.h. dass z.B. der A Teil aus 7 und der B-Teil aus 8 Phrasen besteht! Das würde sich aus deiner Grafik auch sinnvoll ergeben (Oder bin ich da meinen eigenen korrigierten Notizen aufgesessen?).

Schöne Grüße aus Frankfurt

Klaus

PS
Klappt einfach nicht mit den Links.
Leider stelle ich mich zu blöd an.
PPS
Cassiel bitte entferne gelegentlich die von mir gelöschten Kommentare. Danke.

cassiel hat gesagt…

@KlausPP

Das hatte ich befürchtet. Auch ich habe schon alle Theorien gehört: Eine Phrase besteht aus 2, aus 4 oder auch aus 8 Takten. Ich habe auch schon gehört, daß ein Teil eines Tangos aus 8 bzw. 16 Takten besteht.

Ich fürchte, das können wir nicht lösen. Wer hätte die Autorität das letztgültig festzulegen? Ich denke, es geht doch eigentlich um etwas anderes: Es geht um Strukturen in Tango-Stücken.

Wir müssen vielleicht mit der Unschärfe in Begriffen leben.

Und zu Deiner Bitte, die beiden Fehlversuche zu löschen: Ich mache das sehr ungern - aus Prinzip. Wenn ich hier lösche, dann verliere ich möglicherweise Glaubwürdigkeit und das möchte ich nicht. Deswegen lasse ich Deine Versuche einfach so stehen. Vielen Dank für Deine Mühen mit den Links.

Und allen Beitragenden vielen Dank für die Mühen, Ideen in Schriftform zu bringen und beizusteuern.

(Ich sitze gerade an einem Beitrag über Phrasen und muss mir das jetzt noch einmal - nach der Intervention von KlausPP - anhören.)

PacoDaCapo hat gesagt…

Phrasen: Nun, das können wir hier recht schnell klären, wozu gibt es Nachschlagewerke? Es ist wie so oft, keiner hat Recht.

Vorab eine Bemerkung an bird: Häufig werden Halbtonfolgen gespielt, sei es in der Melodie oder in den variationen, wie z. B. etwa ein bandoneon, eine Gitarre (Grela!!) oder eine Geige die Melodie "umspielt", man verwendet im Tango sehr gern solche kleinen "Vorschläge", die wie ein kleines Ornament wirken. Oder die Melodie sebst ist so eng in Halbtonschriten geschrieben, wie es bei "Toda mi vida" oder "Naranjo en flor" auffallend ist.

Den einfachsten Eintrag zum Stichwort "Phrase" liefert mein Wörterbuch Musik aus der Reihe der digitalen Bibliothek:

>>Aus der Sprache auf die Musik übertragener Begriff: Kleiner Gliederungsabschnitt eines melodischen Verlaufs.<<

Ein ähnliches Wörterbuch, das mehr populäre Musik abdeckt, ergänzt etwas:

>>Phrase (griech.): eine kleine, in sich geschlossene Tongruppe, ein musikalischer Gedanke, z. B. die Einheit Motiv und Anschlußglied (wird auch als Riff, Lick oder Pattern bezeichnet)<<

Der Gedanke mit dem Atemzug findet sich in einer englischen Definition wieder:

>>Phrase. Short section of a comp. into which the mus., whether vocal or instr., seems
naturally to fall. Sometimes this is 4 measures, but shorter and longer phrases occur. It is an
inexact term: sometimes a phrase may be contained within one breath, and sometimes subdivisions
may be marked. ... <<

Interesant auch, dass dieses Wort - zeitlos offenbar - bereits in einem Wörterbuch von 1895 vorkommt, damals gab es bestimmt noch keine Licks und Riffs:

>>Phrase, i. See Form.—2. Any short
figure or passage complete in itself and unbroken in continuity.<<

Aber, wie man sieht, eine festgelegte Länge an Takten kann es bei einer Phrase nicht geben. das liegt wohl in dr Natur der Sache bzw. der Definition...

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 1

@ alle,

jeder Tänzer, der sich schon mal ernsthaft mit dem Thema Tanzen im Rahmen von Phrasen beschäftigt hat und irgendwann mit einem Musiker darüber gesprochen hat, wird erlebt haben, wie verschieden die Ansichten darüber sind. Es gibt dazu unterschiedliche Lehren und Definitionen. Ich habe schon erlebt, dass an einem unserer Vortragswochenenden zwei Musiker sich in einer Pause beinahe darüber in die Haare geraten sind. Anscheinend existieren verschiedene Betrachtungsweisen dazu und es muss, müssen nicht zwingend eine richtig und alle anderen falsch sein. Man sollte sich einfach über gewisse Parameter einig sein, bevor man miteinander debattiert.

Als Tänzer und für Tänzer im Unterricht benützen mein Partnerin und ich eine vereinfachte grafische Darstellung. Jüngeren Generationen wurde in der Schule das kleine Einmaleins der Musik nur selten beigebracht. Dort ist oft eine sehr grosse Hemmschwelle vorhanden, sobald zwischen fünf horizontalen Linien eine Unmenge ovale Punkte zu finden sind – Noten eben – taucht schnell Überforderung und Verweigerung auf.

Wir gehen davon aus, dass Tangos eine Aneinanderreihung verschiedener Phrasen und Doppelphrasen sind. Manche Tangos bestehen nicht nur aus Doppelphrasen. Es liessen sich auch ganz anderee Systematiken entwicklen. Wir haben uns für diese Entschieden, damit das Thema für Tänzer nicht unnötig komplizert wird. Im Fall von Araca la Cana zB erzwingt die melodiöse Entwicklung in Teil A eine Einzelphrase an zweiter Stelle. Wir sind der Ansicht, dass Tänzer sich mit den Ursachen dahinter nicht beschäftigen müssen, schon gar nicht für einen Einstig ins Thema. Sie müssen lediglich wissen, dass auch Eizenphrasen existieren.

Uns ist es wichtig, Tänzern beizubringen, die Enden socher Phrasen nicht zu übertanzen, sondern zu betonen und allenfalls kurz zu pausieren. Wer lediglich das verinnerlicht, hat den Bogen raus und kann mit der Zeit entdecken, wie er weitere Details des Arrangements nach Gehör tänzerisch umsetzt. Daher sind Phrasen und Doppelphrasen der kleinste gemeinsame Nenner in unserer Darstellung.

Christian Tobler hat gesagt…

Teil 2

Und ja KlausPP, deine Notizzen sind korrekt. Eine Einzelphrase besteht in unserer Darstellung aus vier Schlägen: STARK-SCHWACH-stark-schwach. Eine Doppelphrase besteht in unserer Darstellung aus acht Schlägen: STARK-SCHWACH-stark-schwach-STARK-SCHWACH-stark-schwach. Die unterschiedliche Schreibweise begründet sich darin, dass es in jeder Prase starke starke und schwache starke, starke schwache und schwache schwache Schläge gibt. Aber eben, soweit teilen wir eine Phrase grafisch gar nicht auf.

Wir sind der Ansicht, dass Tänzer keine weiteren theoretischen Begriffe kennen müssen, da sich jeder Tango mit diesem Instrumentarium darstellen lässt. Natürlich gibt es allerlei Besonderheiten, die auch uns dazu zwingen, unsere Darstellung situativ nochmals ein klein wenig zu differenzieren.

Araca la Cana ist dafür ein gutes Beispiel. Die Melodie von Teil A eilt der ersten Phrase jedesmal um eine halbe Einzelphrase – also zwei Schläge voraus, einen schwachen Starken und einen schwachen Schwachen. Der der Phrase unterlegte Rhytmus des Kontrabasses startet aber akademisch korrekt mit dem Start der ersten Phrase. Damit dieses Vorauseilen der Melodie von Teil A im ersten Teil A möglich wird, ist Araca la Cana eine Einleitung vorangestellt, bestehend aus einer Doppelphrase. Diese Unregemässigkeiten sind in der Grafik farblich berüchsichtigt.

Tänzer haben bei Araca la Cana daher die Möglichkeit, bei Teil A mit der Melodie oder dem Rhythmus zu starten, hier gibt es kein richtig und falsch. Aber man sollte als Tänzer schon wissen, was man tut, weil sich erst damit die Chancen eines spielerischen Umgangs mit der Musik auftun.

Naturbegabungen finden dazu einen intuitiven Zugang. Alle anderen Tänzer – und das ist hier in Mitteleuropa, im deutschen Sprachraum definitiv die Mehrheit – kommen nicht darum herum, sich das zu erarbeiten. Zu Beginn mit dem Kopf und sobald das Verständnis darum die Wirbelsäule runter ins Körpergedächtnis gerutscht ist wieder mit dem Bauch. Auch ich tanze natürlich verstandesmässig am liebsten mit dem Bauch. Leider reicht meine tänzerische Begabung nicht, um ausschliesslich mit dem Bauch zu arbeiten. Gelegentlich auf die Krücke Kopf zurückzugreifen, lässt sich kaum vermeiden.

herzlich - Christian