0. Einleitung - Abgrenzung zu Regeln, zur Etikette und zu den Códigos
1. Über den Umgang mit der aktuellen Tanzpartnerin / dem aktuellen Tanzpartner
2. Über den Umgang mit den Mitmenschen in einer Milonga
3. Über den Umgang mit der Musik, den Texten und der Kultur im Tango
Eigentlich wollte ich ursprünglich diesen Artikel über den Umgang mit sich selbst im Tango auf den unterschiedlichen Strategien, sich konkret in der Milonga zu bewegen, aufbauen. Die beiden - zu vermeidenden - Extreme lassen sich vielleicht so benennen: „Mach' Dich nicht zum Affen!“ und „Sei keine graue Maus!“. Daneben wären vielleicht noch Tipps hilfreich, die die Positionierung zwischen übertriebenem Respekt vor möglichen Tanzpartnern und sorgloser Lässigkeit erleichtern. Bei längerem Überlegen erschiem es mir dann doch unpassend, auf isolierte Situationen einzugehen und ich habe den Weg gewählt, auf die m.E. zugrunde liegenden Prinzipien einzugehen. So ist dieser Text abstrakter geworden, aber ich denke er ist so etwas allgemeingültiger ausgefallen.
„Unser Schlachtfeld liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb von uns selbst.“
„Ungeduld und Stolz gehören zu den Haupthindernissen auf dem Pfad.“
„Veränderung ist immer möglich. Wir müssen sie nur wollen und dementsprechend handeln.“
Der 14. Dalai Lama Tendzin Gyatsho (*1935 als Lhamo Döndrub)
„Ungeduld und Stolz gehören zu den Haupthindernissen auf dem Pfad.“
„Veränderung ist immer möglich. Wir müssen sie nur wollen und dementsprechend handeln.“
Der 14. Dalai Lama Tendzin Gyatsho (*1935 als Lhamo Döndrub)
Ein möglicher Anfang für diesen Artikel ist die Schilderung eines Gesprächs während der Rückfahrt von einer Milonga im Rahmen einer Tango-Fahrgemeinschaft vor längerer Zeit. Ein mitfahrender Tanguero sprach direkt eine erfahrene Tanguera an und sagte: „XY, Du musst zugeben, ich war der beste Tänzer heute abend.“ Ich saß am Steuer und konnte mich glücklicherweise ganz auf das Fahren konzentrieren - aber ich war sehr gespannt, wie sich denn nun die Angesprochene aus der Situation herausschrauben würde. Nach einigem Zögern und ein paar sehr allgemein gehaltenen Sätzen darüber, dass man niemals von außen einen Tango richtig beurteilen kann, fand sie schließlich die Zauberformel: „Ich weiß nicht, ob Du der beste Tänzer warst, aber wahrscheinlich warst Du der leidenschaftlichste Tänzer“. Mit dieser - in meinen Augen mehrdeutigen - Antwort gab sich der Tanguero zufrieden und mein Fremdschämen war beendet.
Es ist immer wieder erstaunlich! So viel selbst gemachter Stress, so viel Ehrgeiz (und möglicherweise auch damit verbundener Neid) und so viel Fixiertheit auf den ungesunden Vergleich mit Anderen ist häufig genug ein Blockade in der Entwicklung des eigenen Tangos.
Aus diesem Grund schreibe ich im letzten Teil meines Tango-Knigges über den Umgang mit dem eigenen Ich im Tango. Die Ideen tummeln sich nun schon seit längerer Zeit in meinem Kopf und mittlerweile hat sich bei mir die Gewissheit eingestellt: Falsch verstandener Wettbewerb ist m.E. die größte Gefahr bei der Entwicklung im persönlichen Tango. Brauchen wir wirklich das „Besser/Schlechter", das „Mehr/Weniger“, das „Länger/Kürzer“ und all die anderen Vergleiche mit der Umwelt in der Milonga? Aber vielleicht muss man in der Frage noch stärker differenzieren.
Um mich nicht missverständlich auszudrücken: Ich finde es immer bereichernd, wenn man den Könnern zuschauen kann (aber bitte großherzig). Versucht man sich in einem falsch verstandenen Wettbewerb, so sind Fehlentwicklungen Tür und Tor geöffnet. Offensichtlich gibt es also ein gutes und einen schlechtes Wettbewerbsdenken. Vielleicht hat es etwas mit der Frage zu tun, ob man Tango mit dem restlichen Leben gleichsetzt - also Bedingungen des eigenen Seins im Tango auf das restliche Leben überträgt und umgekehrt. Möglicherweise ist es aber auch „nur“ das Konglomerat häßlicher Gefühle der Umwelt gegenüber.
Nun mag sich mancher voreilig entspannt zurücklehnen und vielleicht denken, Wettbewerb betrifft mich nicht. An dieser Stelle sollten wir vielleicht doch noch einmal auf ein paar Situationen schauen und uns überlegen, ob nicht doch ein Wettbewerbsdenken als tiefere Ursache erkennbar wird. Nehmen wir z.B. die berühmte Frage: „Warum tanzt er/sie nicht mit mir?“ Man kann sich diese Frage entspannt stellen und möglicherweise zu der Antwort kommen, es passt - egal aus welchen Gründen - gerade nicht. In nicht wenigen Fällen vermute ich allerdings, dass Unverständnis schnell in Neid, möglicherweise sogar starke Ablehnung umschlägt (gerade weil die Person, mit der man tanzen will, ausgiebig mit anderen Menschen tanzt). Ich erlebe häufig eine schroff verbalisierte Ablehnung von den Menschen im Tango, die nicht diese Tanzerwartung sofort und gleich erfüllen. Da fallen Worte wie „selbsternannte Tangogötter“, „VIP-Tanguer@s“ und andere Hässlichkeiten. Und nicht selten wären die Absender dieser Freundlichkeiten gut beraten, wenn sie einmal still würden und ihre eigene Situtation überdenken. Dazu hat eine Tango-Lehrerin aus Paris, Veronica Toumanova einen wunderschönen Text veröffentlicht. Im wesentlichen führt sie in ihrem Text die Leserin oder den Leser an ein Nachdenken über die eigenen Tango-Fähigkeiten und an ein Übernehmen von Verantwortung für den eigenen Tango heran. Die behütete Umgebung des Sandkastens unserer Kindheit kann nicht als Dauerzustand für die Befriedigung von Ansprüchen im Erwachsenenalter als Vorbild dienen.[1]
Nach meinen Beobachtungen kommt es in der Folge solcher Situationen zu einem Gefühl der Kränkung und einer anschließenden Ablehnung des vormals begehrten Tanzpartners. Da fallen dann schnell Worte wie z.B. asozial und die urteilende Person stagniert in ihrer Verletzung.
Und wie sieht es im umgekehrten Fall aus? Da signalisiert jemand den Wunsch, mit einem zu tanzen, aber man sieht sich - vielleicht auch nur momentan - nicht in der Lage diesen Wunsch erfüllen zu können. Ich habe da schon überraschende Begründungen gehört: "Wenn ich jetzt mit dem tanze, dann komme ich den ganzen Abend nicht dazu, mit den guten Tänzern zu tanzen", solche und andere Äußerungen verraten mir, dass vielleicht schon wieder eine Wettbewerbssituation, ein Vergleichen Grundlage für das Agieren in der Milonga ist.
Aus diesen beiden Beispielen lässt sich dann doch möglicherweise schlussfolgern, dass eine Standortbestimmung der eigenen Persönlichkeit im Tango (also konkret: Im Bezug zu die Mitmenschen in der Umgebung) eher hinderlich ist. Natürlich ist der Mensch ein soziales Wesen und man kann bestimmt nicht jedes Vergleichen komplett ausschließen, aber man sollte sich vielleicht bewusst machen, dass der Tango eine ganz persönliche Sache ist - ohne permanenten Wettbewerb mit den Mitmenschen.
Diese zwei kurz skizzierten Verhaltensweisen sind m.E. äußerst hinderlich im Tango. Das potenziert sich noch, wenn Veranstalter bewusst oder unbewusst solche Verhaltensweisen fördern oder sogar selbst etablieren. Es wird immer wieder der soziale Aspekt im Tango betont. Insofern ist gegenseitige Rücksichtnahme eine gute Sache. Für die Veranstalter oder allgemeiner formuliert: Multiplikatoren im Tango lauert aber noch eine weitere Gefahr unter dem Stichwort ungesunder Wettbewerb: Da werden in Ankündigungen bedenkenlos tonnenweise Superlative bemüht - nur um möglichst viele Gäste in die eigene Milonga zu locken. Bei so mancher Selbstdarstellung von Veranstaltern denke ich, diese Milonga, dieses Festival, dieser Marathon soll tatsächlich die beste Tangoveranstaltung östlich vom Rio de la Plata werden (und unausgesprochen wird so manches Mal eine Konkurrenzveranstaltung verachtet). Ich gestehe aber gerne, dass ich mich natürlich leicht lebe, ich muss vom Tango nicht meine Existenz bestreiten.
Betrachtungen zum Umgang mit sich selbst im Tango sollten m.E. auch kurz auf die Art und Weise eingehen, wie jede/jeder Einzelne ihren/seinen persönlichen Tango weiterentwickelt. Es geht um die Frage des Unterrichts. Es gibt Menschen im Tango, die haben für sich beschlossen, ihnen reicht ihr Tango so wie er ist und sie nehmen keinen weiteren Unterricht mehr. Das ist m.E. vollkommen legitim und überhaupt nicht zu kritisieren. Allerdings beobachte ich manchmal in der Folge eine Intoleranz denjenigen gegenüber, die weiterhin versuchen, ihren eignen Tango stetig zu verbessern. Ist es das schlechte Gewissen? Ist es das Nicht-Gönnen-Können? Ich weiß es nicht, aber ich finde es sehr schade, dass dann alle, die weiterhin an ihrem Tango arbeiten mit Spott, Häme oder offener Ablehnung bedacht werden.
Ich kann leider keine Quelle mehr nennen, aber mir wurde mal vor Jahren ein Paradoxon im Bezug auf den Tango-Unterricht erzählt:
Anfänger buchen Workshops für die Mittelstufe, Tänzerinnen und Tänzer auf mittlerem Niveau besuchen Fortgeschrittenenkurse, Fortgeschrittene belegen die Meisterklassen und die Maestras und Maestros arbeiten irgendwann wieder an den absoluten Grundlagen ihres Tangos, den Basics.In diesem Spruch steckt für mein Empfinden sehr viel Wahres. Tangotänzerinnen und Tangotänzer überfordern sich sehr leicht selbst und blockieren sich sehr schnell selbst auf ihrem Weg. Und einer der Gründe für dieses Verhalten ist nach meiner Vermutung ein ungesundes Wettbewerbsdenken, eine falsche Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und eine Jagd nach den falschen Zielen im Tango. Und ein weiterer Aspekt steckt in dem Satz: Die wirklichen Könner kehren zu den Anfängen zurück und verfeinern ihre Fähigkeiten; sie gehen zurück zu den Wurzeln, werden wieder „Anfänger“. Vor Jahren bloggte Bora unter dem Titel Loosin Shoshin und spielte damals auf eine Tugend in den asiatischen Kampfkünsten an: wahre Meister bewahren sich Shoshin, das Bewusstsein, immer ein Anfänger zu sein. Ich denke, eine gewisse Demut im Bezug auf die eigenen Fähigkeiten ist unerlässlich, wenn man es zu wahrer Meisterschaft im Tango bringen will. Dieses Shoshin in den fernöstlichen Kampfkünsten findet vielleicht in dem Ich weiß, dass ich nichts weiß. der antiken Philosophie seine abendländische Entsprechung.
Und an dieser Stelle lohnt vielleicht doch noch der Blick auf einen zweiten Faktor, der m.E. entscheidend im Umgang mit dem Tango ist. Es ist die Angst. Auch wenn es im ersten Moment komisch klingen mag, ich halte die Angst für einen permanenten Begleiter im Tango - auch wenn das jetzt vielleicht von vielen Leserinnen und Lesern zunächst einmal abgelehnt wird. Seit wir in zivilisierten Umgebungen leben, hat sich unsere Angst gewandelt. Die Angst unserer Vorfahren vor Naturgewalten oder wilden Tieren hat sich mittlerweile gewandelt und Objekt unserer Ängste sind u.a. soziale Umgebungen bzw. Interaktionen geworden. Mir fiel neulich wieder ein schönes Buch in die Hände: Grundformen der Angst von Fritz Riemann aus dem Jahr 1961. Der Autor vermittelt in diesem leicht lesbar geschriebenen Buch die These von den vier Ursachen der Angst, die wir alle in unterschiedlich starken Ausprägungen in uns tragen.
- Die Angst vor der Selbsthingabe: Sie führt dazu, dass man als Vermeidung eine unnatürlich große Distanz zur Umwelt sucht.
- Die Angst vor der Selbstwerdung: Sie führt zu einer Vermeidungsstrategie, die übertriebene Nähe als Ausgleich sucht.
- Die Angst vor Veränderung: Sie führt dazu, dass man krampfhaft an Bekanntem festhält.
- Die Angst vor Notwendigkeit: Sie wird kompensiert durch einen übertriebenen Impuls nach Freiheit, Intensität und Veränderung.
Ich meine häufiger beobachten zu können, wie Angst (in den verschiedenen Ausprägungen) Menschen im Tango blockiert und behindert. Sei es, dass aus scheinbar nicht nachvollziehbaren Gründen eine übergroße Distanz gesucht wird, sei es, dass eine versucht wird, eine ungesunde Nähe permanent zu etablieren, sei es, dass sich Menschen aus Angst, sich nicht aus ihrem gewohnten Tangokontext (z.B. ihre „Stamm-Milonga“ mit ihrer bekannten Ordnung) nicht lösen können oder wollen oder sei es, dass immer ein neues Highlight im Tango gesucht werden muss, weil sonst Langeweile droht.
An dieser Stelle möchte ich nicht näher auf die Ideen von Fritz Riehmann eingehen, Leserinnen und Lesern, die sich da weiter einlesen wollen, sei das o.g. Buch herzlichst empfohlen.
Die beiden hier dargestellten Faktoren, ungesunder Wettbewerb und Angst sind m.E. die tieferen Ursachen eines unguten Umgangs mit sich selbst. Sie führen zu diversen beobachtbaren Ausprägungen im Tango. Am Ende dieses Textes möchte ich noch ein Zitat von einem englischen Tanguero wiedergeben, der sich mit dem „Ego“ im Tango auseinandergesetzt hat. Man kann sich durchaus vorstellen, dass schädlicher Egoismus seine tiefere Ursache entweder im falsch verstandene Wettbewerb, oder aber in verdrängten Ängsten hat. Diese Überlegungen sollen aber an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Abschließend wird also nur das Zitat über das falsch verstandene Ego im Tango wiedergegeben:
Ego is the biggest thing a dancer has to overcome. Most males quit after two weeks if they can’t dance like the teacher! Their Ego won’t let them admit they can’t do something so they run away rather than face the truth. One lady told me “It takes a real man to dance” And I think she hit the nail on the head. I took lessons with a teacher who I thought was good. After 12 months I went to a Practica in another town and danced with two very good dancers. They were polite but I could see it in their faces “I was really bad” pushing and shoving them into doing “the moves” It makes me cringe when I think about it. I asked the teacher “I’d like to join your class”? They said yes complete beginners! I protested, but I have been dancing Tango for a year! Yes they said “Complete beginners” My dilemma was, am I macho man or do I want to learn tango properly? I dropped the Ego and accepted that I wanted to learn tango. It was humiliating but I did learn to lead with my chest, not like a bus driver with my arms. I have watched people I know who have big egos slowly getting better but I know their progress would have been much quicker if they dropped the Ego.
William Addictedtotango in einem Beitrag in der Facebook-Gruppe The Tango Reformation Party
Ergänzung:
[1] Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Aufsätze von Veronica Toumanova empfehlen. Hier befindet sich eine gute inhaltliche Übersicht mit Links zu den Texten.
Wie immer freue ich mich über weiterführende Kommentare, andere Ansichten und neue Gedanken meiner Leserinnen und Leser.
12 Anmerkung(en):
Hm, eigentlich habe ich keine Lust, hier den ersten Kommentaraufschlag zu machen. Aber was soll's... Alle anderen gucken wohl Fußball.
Lieber Cassiel, Du hast diesem Artikel 3 Zitate des Dalai Lama vorangestellt. Was mich wundert. Der Dalai Lama ist ein Mann des "sowohl als auch", Du eher einer des "entweder-oder". Aber vielleicht sehe ich Dich auch falsch.
Umgang im Tango mit sich selbst, da sind "Wettbewerb" und "Angst" Deine Hauptstichworte?! Da bist Du wohl ehrlich, wie ich Dich einschätze. Aber auch ein wenig bedauernswert. Jetzt verstehe ich endlich, warum Du einen vierteiligen Tango-Knigge schreiben musstest. Den anderen sagen, wie sie bitteschön sein sollen, damit Du weniger Konkurrenz empfinden und Angst haben musst.
Ich will nicht kneifen: Konkurrenz und Angst im Tango sind mir nicht fremd. Aber es sind beileibe nicht meine Themen, wenn es um den Umgang im Tango mit mir selbst geht. Ich will mich hier nicht persönlich ausbreiten, das interessiert nicht. Aber meine Stichworte wären: Tanzfreude (empfinden zu wollen), Herausforderung (durch diesen so komplexen Tanz), Ästhetik (genießen zu können), Demut (zu lernen, weil es nicht so klappt, wie ich möchte).
Es hat mich sehr gefreut, dass Du die Artikel von Veronica Toumanova empfiehlst. Auch wenn ich Deinen Blog schätze, das Beste, was ich über Tango bisher so im Netz lese, stammt aus der Feder von dieser Tangofrau!!! (Wenn auch ihr Sandbox-Artikel nicht ihr bester ist...)
schöner Beitrag, der ans Eingemachte geht. Über den Umgang mit dem Ich. Ist ja insgesamt ein interessantes Thema. Über kurz oder lang wird wohl jeder Tänzer an diese Frage gelangen, wenn er nur ein bisschen was in der Birne hat. Was mache ich hier eigentlich, und warum? Wettbewerb, sicher ein Antrieb. Aber Angst, ich fürchte, das habe ich nicht verstanden. Sozialer Tango, den gibt es nicht, Tango ist alles andere als sozial. Die von Dir zitierte Bloggerin hat dazu alles gesagt.
Und Haribold: OMG, manchmal hält man besser einfach die Klappe.
Für mich persönlich war das Stichwort Angst die Erleuchtung. Vielleicht klingt es übertrieben, aber ich habe noch nie darüber nachgedacht. Man kann sicherlich über alles reden, aber man muss dem Autor hoch anrechnen, das er immer wieder neue Aspekte in das Denken seiner Leser bringt. So stelle ich mir Tango vor. Toll.
haribold schrieb:
- " Konkurrenz und Angst im Tango sind mir nicht fremd. Aber es sind beileibe nicht meine Themen, wenn es um den Umgang im Tango mit mir selbst geht. Ich will mich hier nicht persönlich ausbreiten, das interessiert nicht. Aber meine Stichworte wären: Tanzfreude (empfinden zu wollen), Herausforderung (durch diesen so komplexen Tanz), Ästhetik (genießen zu können), Demut (zu lernen, weil es nicht so klappt, wie ich möchte).- "
Ich finde das eine schöne Ergänzung zu den von Cassiel angeregten Gesichtspunkten und gehe da d´acord mit haribold.
Chris, deinen Einwand an haribold verstehe ich da nicht so ganz.
Tanzfreude, Herausforderung ob der Komplexität des Tangos, Ästhetik und Demut beschäftigen mich jedenfalls auch.
Wettkampf ist weniger mein Thema, die Angst dagegen, hm, da muss ich mal drüber schlafen, nachdenken, in mich gehen. Das ist oft sehr sublim, vor allem so wie Cassiel das anspricht.
Kompliment für den Artikel, da liegt der Finger wirklich auf einer vielleicht nicht ganz so angenehmen Stelle.
@Haribold, auch wenn ich den einen oder anderen inhaltlichen Dissens mit Cassiel habe - wäre es nicht auch etwas respektvoller gegangen? Solche Breitseiten sollte man nicht "einfach mal so" abfeuern.
Ich denke jedenfalls, Cassiel hat Mut bewiesen. Ehrlich gesagt hoffe ich, daß es etwas mehr in diese Richtung geht - das sind nun mal die wirklich spannenden Themen, in denen wir alle irgendwie drinhängen und es auf jeden Fall Wichtiges zu entdecken und über sich selbst zu lernen gibt.
Aber danke für den Hinweis auf Frau Toumanova.
Lieber Cassiel
Ganz wunderbarer Text und ziemlich auf den Punkt. Ich habe gemerkt, dass ich umso besser tanze, je weniger ich gut tanzen "will". Sprich: Erwartungen loslassen. Und nein, das ist nicht esotherisch, sondern sehr praktisch.
Eine Ergänzungen mit den eher freudigen Facetten hätte ich mir auch gewünscht: ich bin bekennend süchtig nach den Tänzen, wo es mir mit meinem Tanzpartner oder meiner Tanzpartnerin gelingt, komplett mit der Musik zu verschmelzen; wenn unsere Bewegungen und die Musik ein grosses Ganzes werden und nichts stottert, blockiert, zieht oder aus der Achse ist. Selten, aber himmlisch.
I especially hope that others see how you faced being a beginner all over again. I am now taking Tai Chi, and I am disappointed that the value of the beginners mind is not appreciated as much as I thought it would be.
I think you are too hard on guys. Men drop out. Why? It is not only "male ego" (as if women don't have an ego?) but the concepts of how tango is taught presently mislabels our role as "Führender" (avoiding "Führer" in German??) or we are "leaders" in English. How can a beginner be a "leader"? With prescribed steps in chachachá and salsa and waltz that is not so undaunting, but in tango it is. This is NOT ballroom, so why use that stupid-ass term? No matter what language the woman speaks except Spanish (which does not use "leader", the women give me sense that I am fully responsible for the good dance we just had, and when I resist taking all the credit, they say "I just followed you." All of this is too much reponsiblity for the magic of tango being upon the tanguero. There is the other sharp side of the blade that cuts us when things do not go well that I am also to blame fully for that!
Maybe it is not 100% the male students' fault when they drop out, but the teaching method and flawed philosophy of how we go about conveying the rol masculino. Be careful about blaming your fellow men... women are likely not going to come to our aid to say, "hey, no fair." And now we have just another reason for men to say "no" to tango--both men and women who have a low estimate of men in tango and low expectations of men staying. The man just walked in the damn door, and the whole room turns to look at them like "oh, here's another flawed human being.
This is as at least part of what causes the Taufelskris of the gender gap in tango.
[Sonntagnachmittag - ich nehme mir etwas Zeit und schreibe dann doch noch einmal zu den aufgelaufenen Kommentaren.]
Zunächst möchte ich mich bei allen (!) Kommentierenden herzlich bedanken. Ich weiß, das Thema ist kein Publikumsmagnet, deswegen habe ich auch nicht mit vielen Anmerkungen gerechnet. Gerade deshalb freut es mich, dass Einige ihre Gedanken dennoch geteilt haben.
@Haribold
Wir kennen uns ja nun schon eine Weile und nach Deinem fulminaten Einstieg hier im Blog bist Du nun geblieben. Das begrüße ich sehr. Ich sehe allerdings den Dalai Lama nicht unbedingt als einen Menschen des "sowohl als auch". Nach meiner Wahrnehmung artikuliert er sehr deutlich seine Meinung in gewissen Fragen (ähnlich wie übrigens auch Veronica Tourmanova, die in vielen Details sehr viel resoluter formuliert, als ich es jemals schreiben würde). Schön, wenn Du einen Zugang zum Tango in ihren Texten findest. Ich lese die auch sehr gerne.
Etwas bedauerlich finde ich Deine unterschwellig aggressive Vermutung, ich würde zu den Stichworten Wettbewerb und Angst lediglich über mich schreiben. Wenn man mich fragen würde, dann würde ich meinen Anteil in diesen Fragen als "erlebt ja, gelebt nein" beschreiben. Ich bin nun schon eine Weile im Tango unterwegs und beobachte sehr viel. Natürlich habe ich auch eine gehörigen Respekt vor Tangueras, die lautstark postulieren nur mit den besten Tangueros tanzen zu wollen (solche Damen sind dann auch vor einer Aufforderung von mir sicher), aber mit „Angst“ würde ich meine Haltung dennoch nicht benennen.
Zu Deinen Stichworten möchte ich aber auch kurz schreiben: „Tanzfreude“, ein großer Begriff. Für mich hat es viel mit Lernen zu tun. Nach meiner Wahrnehmung verläuft es mit der Tanzfreude in einer Wellenform. Ich sehe übersprudelnde Freude bei sog. „Anfängern“. Diese Freude geht ein wenig zurück, wenn diese Menschen so weit fortgeschritten sind, dass sie überblicken können, wie viel harte (Körper-)Arbeit noch vor ihnen liegt. Da hören dann für meine Wahrnehmung viele mit dem Tango auf. „Ästhetik“ ist m.E. ein zwiespältiger Begriff. Wenn es nur um das eigene Erleben und Wahrnehmen geht, dann ist der Begriff sicherlich berechtigt. Wenn mit „Ästhetik“ die Wahrnehmung von außen beschrieben wird, dann läuft man Gefahr, den Tango nach außen zu tanzen. Ich beobachte ab und zu Tanguer@s, die während des Tanzens in einen vorhandenen Spiegel schauen und da an einer Ästhetik schrauben und die in der großen Gefahr stehen, die Verbindung zum Partner, zur Partnerin zu verlieren. Mit „Demut“ nennst Du ein weiteres wichtiges Stichwort. Du schreibst von der eigenen Demut dem Tango gegenüber. Hier ist für meine Begriffe aber auch die Demut in der Gemeinschaft wichtig. Vor Jahren habe ich hier einmal einen Ausschnitt aus einem Interview mit Clint Eastwood zitiert. Das halte ich für sehr wichtig - das würde ich vielen Organisatoren und Lehrern ins Büchlein schreiben wollen.
@Tango-Therapist
Schön, dass Du geschrieben hast. Ich finde es immer wieder wichtig, zu betonen, „Anfänger“ im Tango brauchen Unterstützung und Ermutigung. Sicherlich sind so Manche versucht, die Schwierigkeiten beim Lernen zu bagatellisieren. Das mag vielleicht kurzfristig Schülerzahlen in die Höhe treiben, langfristig geht es aber m.E. selten gut.
Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt: Ich wollte nicht hart zu „Führenden“ sein. Mag sein, dass es so wirkt, weil ich aus der Situation eines Führenden schreibe, aber ich sehe die von mir beschriebenen Mechanismen als Folge von Wettbewerb und Angst nicht nur bei den Führenden, Folgende sind m.E. ebenso betroffen. Allerdings fehlt mir ein Zugang zu einer wie auch immer gearteten Philosophie des Männlichen so wie sie z.B. David Deida formuliert hat. Darüber muss ein anderer schreiben. Mir fehlt da jeglicher Zugang zu diesen Gedanken.
Abschließend vielleicht noch ein weiterführender Gedanke: Mit der Darstellung im Text ist sicherlich nicht erschöpfend über den Umgang im Tango mit sich selbst geschrieben worden. Ein wichtiges Stichwort im Vorfeld des Artikel war für mich auch „die Zeit“. Nach meiner Überzeugung braucht es mindestens drei bis fünf Jahre, bis man sich im Tango zu Hause fühlt (mag sein, dass es Naturtalente gibt, die diese Frist auf zwei bis drei Jahre verkürzen, im Regelfall dauert es aber, bis man sich da eingefühlt bzw. eingedacht hat). Ich habe mich dann doch entschieden, nicht über die Zeit im Rahmen dieses Artikel zu schreiben. Die Zeit ist nämlich ein Faktor, den man selbst nicht unmittelbar beeinflussen kann. Man muss die ersten Jahre in erster Linie einmal „durchstehen“. Es dauert eben, bis man seine Tango-Jugend (und damit auch seine eigene „Tango-Pubertät“) durchlebt hat.
@Cassiel:
Im Nachhinein erkenne ich auch eine unterschwellige Aggressivität in meinem Kommentar und nehme dies mit Bedauern zurück. Zu meiner Verteidigung führe ich an, dass ich rhetorisch gern das Mittel "Übertreibung macht anschaulich" einsetze. Und dabei Gefahr laufe, persönlich zu attackieren, was nicht meine Absicht ist.
Du hast noch das Stichwort "Zeit" ins Spiel gebracht. Ja, inzwischen für mich Zeit im Tango-Lernprozess ein wichtiger Parameter geworden! Zusammen mit dem Bruder "Geduld". Am Anfang ging es mir nicht schnell genug! Bis ich schmerzhaft erkennen musste, dass meine Tangolehrer nicht zu langsam lehrten, sondern ich nicht so schnell lernte, wie ich es gern wollte. Jetzt lasse ich mir die Zeit, die es eben bei mir braucht.
Das Stichwort "Ästhetik" ist mir so wichtig, dass ich doch noch ein paar Sätze dazu verliere: Es ist diese wunderbare Ästhetik eines guten Tangopaares, die mir immer wieder über Durststrecken hinweghilft. Für mich ist Tango optisch so ein schöner Tanz! Es bereitet mir großen Genuss auf einer Milonga, guten Paaren beim Tanzen zuzuschauen! Und ich möchte, dass in einer fernen Zukunft vielleicht auch andere gern mir und meiner Partnerin beim Tanzen zuschauen. Was soll schlecht daran sein, anderen Freude zu machen, wenn sie gute ästhetische Tänzer sehen? - Davon ganz unberührt ist die innere Freude, mit der Partnerin im gemeinsamen Tanzempfinden zu verschmelzen - wenn es gelingt!
@Haribold
Vielen Dank für Deine Klarstellung; ich schlage vor: Schwamm drüber...
Interessant finde ich Deine nähere Erläuterung der Ästhetik und dessen, was Du da konkret im Tango suchst. Das kann ich gut verstehen. Erlaubst Du mir eine differenzierende Anmerkung? Ich finde es trotzdem notwendig, zu betonen, dass sich der Tango (richtig verstanden) von selbst externalisiert und damit eine äußerlich wahrnehmbare Ästhetik sich quasi von selbst entwickelt. Manchmal - so beobachte ich es jedenfalls - stehen Tanguer@s in der Gefahr, bei dieser äußerlich wahrnehmbaren Ästhetik nachhelfen zu wollen (gerne bei dramatischer Musik). Ich sehe da leider häufiger übergroße Schritte und für mein Empfinden ist dieses „Wollen“ eines ästhetischen Eindrucks die Ursache für die Zerstören dieses Eindrucks. Mir war es wichtig, das abgrenzend klarzustellen...
Allseits einen schönen Abend...
Hi all,
zur Ästhetik möchte ich auch gerne noch etwas schreiben.
Für mich, bezogen auf das Thema hier " Über den Umgang im Tango mit sich selbst", hat das auch etwas mit meiner ganz spezifisch äußeren und inneren Ausstrahlung zu tun. Ich meine explizit nicht schick oder für andere gefällig aussehen aber ich habe das Bedürfniss das mein Haltung, meine Stimmung meine Geesten, meine Bewegungen sich für mich gut und stimmig anfühlen. Hm, und das hat, für mich ganz persönlich, etwas mit Eleganz zu tun und diese wiederum hat etwas mit der Musik zu tun.
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