Lieber Cassiel,Meine Antwort:
gelegentlich lese ich Deinen Blog und finde viel Kluges und Amüsantes darin.
Zuerst ein paar Worte zu meiner Wenigkeit:
Beim Tango bin ich seit ca. 8 Jahren, meine schlimme Suchtphase habe ich glücklich hinter mir, so gehe ich inzwischen ca. 1x die Woche zum Tango. Das ist auch insofern einfach, als ich hier inzwischen nur an den Sonntagsmilongas Freude habe. Ich vermute fast, wir sind uns mal in [...], der [...] oder dem Schloß [...] über den Weg gelaufen…
In vielen Punkten stimme ich Dir zu, viele Deiner Beobachtungen teile ich, einen "Edgar" gibt es bei uns auch (hier heißt er W. [Name abgekürzt - Cassiel]). In einem wesentlichen Aspekt möchte ich Dir aber entschieden widersprechen: In Deinen Einschätzungen zum Thema Tango&Beziehung, Erotik, Sex sitzt Du m.E. einem weit verbreiteten Denkfehler auf.
Dieser Denkfehler entsteht durch eine ebenso weit verbreitete Überschätzung von Wichtigkeit, Bedeutung und Gewicht des Tango. Man kann durchaus im Tangoumfeld jemanden kennenlernen, und demjenigen sehr ernsthaft begegnen - sei es für ein paar Tangos, für den ganzen Abend mit sehr anregenden Gesprächen, für die ganze Nacht mit oder ohne Sex, für eine kurze Affaire, eine längere Beziehung - oder eine lebenslange Ehe. All dies ist möglich - und für all dies gibt es genug Beispiele.
Nur einen Fehler darf man nicht machen - und dieser Fehler ist extrem verbreitet: Man begegnet sich auf dem Parkett, ist hingerissen von dem, was man beim Tango erlebt - und zieht aus diesem Erleben Rückschlüsse auf das, was im richtigen Leben möglich ist. Dieser Fehlschluß ist unter dem Namen "klassische Tangofalle" sattsam bekannt und vielfach beschrieben.
Tango ist ein Umfeld, das genauso gut oder schlecht geeignet ist, Lebens- oder Liebespartner für kürzere oder längerdauernde Beziehungen kennenzulernen wie der Arbeitsplatz, ein Sportverein, ein Supermarkt, eine Internet-plattform oder ein Eisenbahnabteil. Und das Risiko des Scheiterns einer Beziehung ist beim Tango nicht höher als bei einer der anderen Kennenlern-Formen, wenn man eine sehr simple Verhaltensregel beherzigt: Man muß geduldig und mit aller Gründlichkeit erforschen, was das Gegenüber für ein Mensch ist - und ob man mit ihm kürzere oder längere Zeit verbringen kann und will. Mit einem Wort: Man muß sein Gegenüber kennenlernen.
Manche Tangonauten sitzen nun dem Irrtum auf, nach ein paar Tangos in perfekter Harmonie wäre dieser Kennenlern-Prozeß abgeschlossen. Das sind die Fälle, von denen Du schreibst - nach ein paar Wochen sprechen sie dann nicht mehr miteinander…
Das Beherzigen meiner Verhaltensmaßregel schafft natürlich keine Sicherheit - die gibt es in Gefühlsdingen nicht. Aber sie kann sehr wohl das Risiko des Scheiterns auf ein verkehrsübliches Maß senken.
Vielleicht lese ich ja mal in Deinem Blog Deine Gedanken dazu… (-;
Herzliche Grüße
Hallo,Und dann kam diese eMail zurück:
vielen Dank für Deine ausführliche Mail. Womit habe ich das verdient.
Ich bin gerade beruflich im Stress, deshalb kommt auch meine Rückmeldung so spät. Ich fürchte ich muss Deinen Beitrag noch zwei bis drei mal lesen um den Unterschied unserer Ansichten (den Du vermutest) herauszufinden. Ich denke, unsere Ansichten liegen dichter beieinander als Du es beschreibst.
Darf ich aus Deiner eMail (selbstverständlich anonym) zitieren?
Ich werde Dir dann antworten.
Viele Grüße
Cassiel
Servus, Herr Cassiel,
| vielen Dank für Deine ausführliche Mail. Womit habe ich das verdient.
Ist das eine echte Frage? - Falls ja:
Du schreibst pointiert und beziehst klare Standpunkte, die Widerspruch hervorrufen. Aber Du tust es auf eine Art, bei der man das Gefühl hat, daß die eigene Meinung ernst genommen wird - v.a. auch deswegen, weil Du umfangreich auf die Kommentare eingehst.
So kommt wohl die Lebendigkeit der Diskussion auf Deinem Blog zustande.
| Ich bin gerade beruflich im Stress,
Naja - und der Blog macht ja auch eine Menge Arbeit. Wenn Du so weiter machst, kannst Du bald Deinen Beruf an den Nagel hängen und Dein Auskommen als Tango-Therapeut (2/3 weibl., 1/3 männl. Kundschaft) finden. Vorsicht - da lauern die richtig heftigen Beziehungs-Dilemmata… (((((((-;
| deshalb kommt auch meine
| Rückmeldung so spät. Ich fürchte ich muss Deinen Beitrag noch zwei bis
| drei mal lesen um den Unterschied unserer Ansichten (den Du vermutest)
| herauszufinden. Ich denke, unsere Ansichten liegen dichter beieinander
| als Du es beschreibst.
Bin gespannt…
| Darf ich aus Deiner eMail (selbstverständlich anonym) zitieren?
Naklar - so isses gedacht. Kannst mich ja als "Herrn Oswald" (oder lieber "Herrn Osvald" ?) bezeichnen.
Herzliche Grüße
Oswald
Also, lieber Herr Oswald, Du schneidest noch einmal das Thema Tango und Beziehung an und wenn ich Dich richtig verstanden habe, dann findest Du meinen Ansatz zu streng. Ich hatte mich ja schon erstmalig vor einem halben Jahr in epischer Breite in meinem Artikel Das TBD bzw. TPD zum Thema geäußerst. Ich sehe es immer noch so. Allein aus der Anzahl der Leserbriefe, die mich zu diesem Thema erreichen bemerke ich, wie wichtig einigen Menschen diese Fragestellung ist (vielleicht verlinke ich hier noch einmal den Leserbrief und meine Entgegnung aus dem Juni). Die klassische Tangofalle sehe ich natürlich auch (wenngleich ich den Begriff so bisher noch nicht verwendet habe).
Reduzieren wir doch einmal die Frage auf den Kern: Wie gehe ich mit der Nähe im Tango um. Nähe mit Tangueras, von denen ich niemals etwas will ist überhaupt kein Problem. Nähe mit Tangueras, bei denen ein "ungemütlicher" Vorfall zwischen uns steht ist schwierig - ebenso die Nähe mit Tangueras, die ich unglaublich attraktiv finde. Es ist nichts Sexuelles, vielleicht einfach nur eine kaum zu beschreibende Unruhe. Ich entwickele wahrscheinlich eher ein tiefes Mitgefühl, ein vertieftes Verstehen der persönlichen Schwierigkeiten dieser Tangueras. Das bleibt im Tango wohl nicht aus. Aus Angst, der entsprechenden Dame zu nahe zu kommen, ziehe ich mich dann eher etwas zurück.
Und dann setzt immer wieder diese Liberalität ein. Ich bin immer sehr gut mit dem Grundsatz: "Die Frau bestimmt in der Frage von Distanz und Nähe im Tango" gefahren. Und damit meine ich nicht nur die physische Nähe auf der Tanzfläche.
Lieber Herr Oswald, ich sehe wirklich kaum einen Unterschied in unseren Positionen. Doch, vielleicht einen: ich lebe im Moment eine intensivere Tangophase, so etwa drei Abende die Woche. Da sich meine zwischenmenschlichen Freizeit-Kontakte hauptsächlich im Tango fokussieren, ist die Frage für mich etwas dichter an meinem Leben. Wenn ich nur einmal die Woche zum Tango ginge, dann wäre diese Frage auch nicht so drängend.
Ich habe im Moment etwas viel um die Ohren und deshalb habe ich hier einen Leserbrief aus Denk- und Diskussionsanstoß veröffentlicht. Es kommen auch wieder andere Zeiten, dann gibt es wieder längere Artikel von mir.
Stay tuned ;-)