Freitag, 30. Oktober 2009

Leserbrief: Beziehungsdilemma et al

Im Moment bin ich auf anderen Baustellen unterwegs. Deshalb gibt es hier ausnahmsweise einen Leserbrief und ein paar Gedanken. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle kurz etwas zum Thema Leserbriefe schreiben. Mich erreichten in der Folge zum Beitrag: Erotik vs. Sex im Tango Argentino sehr viele Leserbriefe. Ich bemühe mich, Leserbriefe zeitnah zu beantworten, das hat bei über 60 Leserbriefen nicht so funktioniert, wie ich es eigentlich als Anspruch an mich selbst leben will. Ich bitte um Verständnis. Prinzipiell möchte ich noch einmal auf die Kommentarmöglichkeit hinweisen. Ich werde dafür Sorge tragen, daß es nicht zu ruppig wird. Und viele Gedanken in den Leserbriefen waren durchaus berechtigt und es wäre schön gewesen, wenn sie in die Diskussion eingeflossen wären. Das ist aber jetzt auch egal. Ich möchte einen Kontakt mit einem Leser exemplarisch herausgreifen und hier veröffentlichen. Vielleicht ergibt sich eine spannende Diskussion.
Lieber Cassiel,

gelegentlich lese ich Deinen Blog und finde viel Kluges und Amüsantes darin.

Zuerst ein paar Worte zu meiner Wenigkeit:
Beim Tango bin ich seit ca. 8 Jahren, meine schlimme Suchtphase habe ich glücklich hinter mir, so gehe ich inzwischen ca. 1x die Woche zum Tango. Das ist auch insofern einfach, als ich hier inzwischen nur an den Sonntagsmilongas Freude habe. Ich vermute fast, wir sind uns mal in [...], der [...] oder dem Schloß [...] über den Weg gelaufen…

In vielen Punkten stimme ich Dir zu, viele Deiner Beobachtungen teile ich, einen "Edgar" gibt es bei uns auch (hier heißt er W. [Name abgekürzt - Cassiel]). In einem wesentlichen Aspekt möchte ich Dir aber entschieden widersprechen: In Deinen Einschätzungen zum Thema Tango&Beziehung, Erotik, Sex sitzt Du m.E. einem weit verbreiteten Denkfehler auf.

Dieser Denkfehler entsteht durch eine ebenso weit verbreitete Überschätzung von Wichtigkeit, Bedeutung und Gewicht des Tango. Man kann durchaus im Tangoumfeld jemanden kennenlernen, und demjenigen sehr ernsthaft begegnen - sei es für ein paar Tangos, für den ganzen Abend mit sehr anregenden Gesprächen, für die ganze Nacht mit oder ohne Sex, für eine kurze Affaire, eine längere Beziehung - oder eine lebenslange Ehe. All dies ist möglich - und für all dies gibt es genug Beispiele.

Nur einen Fehler darf man nicht machen - und dieser Fehler ist extrem verbreitet: Man begegnet sich auf dem Parkett, ist hingerissen von dem, was man beim Tango erlebt - und zieht aus diesem Erleben Rückschlüsse auf das, was im richtigen Leben möglich ist. Dieser Fehlschluß ist unter dem Namen "klassische Tangofalle" sattsam bekannt und vielfach beschrieben.

Tango ist ein Umfeld, das genauso gut oder schlecht geeignet ist, Lebens- oder Liebespartner für kürzere oder längerdauernde Beziehungen kennenzulernen wie der Arbeitsplatz, ein Sportverein, ein Supermarkt, eine Internet-plattform oder ein Eisenbahnabteil. Und das Risiko des Scheiterns einer Beziehung ist beim Tango nicht höher als bei einer der anderen Kennenlern-Formen, wenn man eine sehr simple Verhaltensregel beherzigt: Man muß geduldig und mit aller Gründlichkeit erforschen, was das Gegenüber für ein Mensch ist - und ob man mit ihm kürzere oder längere Zeit verbringen kann und will. Mit einem Wort: Man muß sein Gegenüber kennenlernen.

Manche Tangonauten sitzen nun dem Irrtum auf, nach ein paar Tangos in perfekter Harmonie wäre dieser Kennenlern-Prozeß abgeschlossen. Das sind die Fälle, von denen Du schreibst - nach ein paar Wochen sprechen sie dann nicht mehr miteinander…

Das Beherzigen meiner Verhaltensmaßregel schafft natürlich keine Sicherheit - die gibt es in Gefühlsdingen nicht. Aber sie kann sehr wohl das Risiko des Scheiterns auf ein verkehrsübliches Maß senken.

Vielleicht lese ich ja mal in Deinem Blog Deine Gedanken dazu… (-;

Herzliche Grüße

Meine Antwort:
Hallo,

vielen Dank für Deine ausführliche Mail. Womit habe ich das verdient.

Ich bin gerade beruflich im Stress, deshalb kommt auch meine Rückmeldung so spät. Ich fürchte ich muss Deinen Beitrag noch zwei bis drei mal lesen um den Unterschied unserer Ansichten (den Du vermutest) herauszufinden. Ich denke, unsere Ansichten liegen dichter beieinander als Du es beschreibst.

Darf ich aus Deiner eMail (selbstverständlich anonym) zitieren?

Ich werde Dir dann antworten.

Viele Grüße

Cassiel

Und dann kam diese eMail zurück:
Servus, Herr Cassiel,
| vielen Dank für Deine ausführliche Mail. Womit habe ich das verdient.
Ist das eine echte Frage? - Falls ja:

Du schreibst pointiert und beziehst klare Standpunkte, die Widerspruch hervorrufen. Aber Du tust es auf eine Art, bei der man das Gefühl hat, daß die eigene Meinung ernst genommen wird - v.a. auch deswegen, weil Du umfangreich auf die Kommentare eingehst.

So kommt wohl die Lebendigkeit der Diskussion auf Deinem Blog zustande.

| Ich bin gerade beruflich im Stress,

Naja - und der Blog macht ja auch eine Menge Arbeit. Wenn Du so weiter machst, kannst Du bald Deinen Beruf an den Nagel hängen und Dein Auskommen als Tango-Therapeut (2/3 weibl., 1/3 männl. Kundschaft) finden. Vorsicht - da lauern die richtig heftigen Beziehungs-Dilemmata… (((((((-;

| deshalb kommt auch meine
| Rückmeldung so spät. Ich fürchte ich muss Deinen Beitrag noch zwei bis
| drei mal lesen um den Unterschied unserer Ansichten (den Du vermutest)
| herauszufinden. Ich denke, unsere Ansichten liegen dichter beieinander
| als Du es beschreibst.

Bin gespannt…
| Darf ich aus Deiner eMail (selbstverständlich anonym) zitieren?

Naklar - so isses gedacht. Kannst mich ja als "Herrn Oswald" (oder lieber "Herrn Osvald" ?) bezeichnen.

Herzliche Grüße

Oswald


Also, lieber Herr Oswald, Du schneidest noch einmal das Thema Tango und Beziehung an und wenn ich Dich richtig verstanden habe, dann findest Du meinen Ansatz zu streng. Ich hatte mich ja schon erstmalig vor einem halben Jahr in epischer Breite in meinem Artikel Das TBD bzw. TPD zum Thema geäußerst. Ich sehe es immer noch so. Allein aus der Anzahl der Leserbriefe, die mich zu diesem Thema erreichen bemerke ich, wie wichtig einigen Menschen diese Fragestellung ist (vielleicht verlinke ich hier noch einmal den Leserbrief und meine Entgegnung aus dem Juni). Die klassische Tangofalle sehe ich natürlich auch (wenngleich ich den Begriff so bisher noch nicht verwendet habe).

Reduzieren wir doch einmal die Frage auf den Kern: Wie gehe ich mit der Nähe im Tango um. Nähe mit Tangueras, von denen ich niemals etwas will ist überhaupt kein Problem. Nähe mit Tangueras, bei denen ein "ungemütlicher" Vorfall zwischen uns steht ist schwierig - ebenso die Nähe mit Tangueras, die ich unglaublich attraktiv finde. Es ist nichts Sexuelles, vielleicht einfach nur eine kaum zu beschreibende Unruhe. Ich entwickele wahrscheinlich eher ein tiefes Mitgefühl, ein vertieftes Verstehen der persönlichen Schwierigkeiten dieser Tangueras. Das bleibt im Tango wohl nicht aus. Aus Angst, der entsprechenden Dame zu nahe zu kommen, ziehe ich mich dann eher etwas zurück.
Und dann setzt immer wieder diese Liberalität ein. Ich bin immer sehr gut mit dem Grundsatz: "Die Frau bestimmt in der Frage von Distanz und Nähe im Tango" gefahren. Und damit meine ich nicht nur die physische Nähe auf der Tanzfläche.

Lieber Herr Oswald, ich sehe wirklich kaum einen Unterschied in unseren Positionen. Doch, vielleicht einen: ich lebe im Moment eine intensivere Tangophase, so etwa drei Abende die Woche. Da sich meine zwischenmenschlichen Freizeit-Kontakte hauptsächlich im Tango fokussieren, ist die Frage für mich etwas dichter an meinem Leben. Wenn ich nur einmal die Woche zum Tango ginge, dann wäre diese Frage auch nicht so drängend.

Ich habe im Moment etwas viel um die Ohren und deshalb habe ich hier einen Leserbrief aus Denk- und Diskussionsanstoß veröffentlicht. Es kommen auch wieder andere Zeiten, dann gibt es wieder längere Artikel von mir.

Stay tuned ;-)

Mittwoch, 28. Oktober 2009

Eine Stadt irgendwo in Norddeutschland

Nur eine kurze Zwischenmeldung: Ich war gestern abend später noch schnell zur Milonga - ganz allein, eine mir unbekannte Tango-Szene.

Was mir auffiel? Deutlich mehr Paare auf der Milonga und cabeceo ist hier offensichtlich unbekannt. Gut! Das ist mir früher schon einmal aufgefallen und die Single-Dichte ist in anderen (süddeutschen?) Kontexten deutlich höher. Da ist das Leben auf der Milonga dann etwas leichter.

Für mich selbst habe ich noch einmal festgestellt, wie wichtig es ist, als Veranstalter oder DJ auf neue, unbekannte Menschen bei einer Milonga zuzugehen und sie zu integrieren. Gestern lief eine Pugliese-Tanda und es war mir nicht möglich, eine Tanguera per Blick zu einem Tanz aufzufordern. Das ist mir auch schon lange nicht mehr passiert.

Montag, 26. Oktober 2009

Für die neue Woche 34: Rodolfo Biagi, Alberto Amor - Tu Labios Me Dirán

Gerade habe ich nur sehr wenig Zeit für diesen Blog. Meine Serie "für die neue Woche" mag ich aber nicht vernachlässigen. Rodolfi Biagi war auch noch nicht dran! Ausgesucht habe ich einen Tango gesungen von Alberto Amor [was für ein Name ;-) ].

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche!


Mittwoch, 21. Oktober 2009

Zwischenruf: Erotik vs. Sex im Tango Argentino

Meine hoch geschätzte Blogger-Kollegin Elbnymphe war mal wieder schwer investigativ unterwegs und hat eine Corset-Tango Veranstaltung auf einer Erotik-Messe und deren Rezeption durch einen bekannten schrägen Vogel ausgegraben (ich erspare es mir, den ganzen Schrott hier noch einmal zu verlinken - für weitere Nachweise bitte Elbnymphes Artikel lesen). Erotik-Messe? Welch ein Euphemismus... aber dazu später mehr. Prinzipiell soll ja jede / jeder nach ihrer / seiner Façon glücklich werden. Ich will aber nicht alles wahrnehmen müssen. Nachdem aber das Thema Tango und Sex in jüngster Zeit derartig massiv von allen Seiten einschlägt, muß ich wohl oder übel noch einmal dazu schreiben.

Vielleicht werden mir nun Teile meiner Leserschaft Prüderie vorwerfen und ich habe wenige Argumente, diesen Vorwurf zu entkräften. Aber sei's drum, dieser Hype um das Thema "Sex" regt mich langsam gewaltig auf. So ist also die Tendenz der Sexualisierung des allgemeinen Lebens auch im Tango angekommen.

Aber lehnen wir uns einmal entspannt zurück und betrachten die ganze Geschichte in Ruhe. Im Gegensatz zu den Tieren kennt der Mensch die Erotik, die im ursprünglichen Wortsinn die geistige Affinität (im Gegensatz zur ungebremsten körperlichen Attraktivität) bezeichnet. Es geht (mit anderen Worten) um die Distanz zwischen den Geschlechtern (manchmal auch innerhalb der gleichen Hälfte der Bevölkerung) im alltäglichen Umgang. Es ist also die Handhabung des Alltags zwischen potentiellen Fortpflanzungs- bzw. Sexualpartnern - oder es ist eine weitere Instanz der bekannten Frage nach Distanz und Nähe. Welcher Reichtum sich in den verschiedenen Spielarten der Erotik in den unterschiedlichsten Kulturen der Welt entwickelt hat, das muß ich ja nicht weiter erwähnen (man denke vielleicht exemplarisch an das "Hohelied Salomos" in der alttestamentarisch-jüdischen Tradition, die persischen Märchen, das Kamasutra usw. usw.).

Ich will ja hier gar nicht leugnen, daß es eine erotische Komponente im Tango Argentino gibt. Deutlich machen möchte ich allerdings, daß ich den Begriff Erotik in der ursprünglichen, abendländisch-tradierten Weise benutze. Es geht um die Andeutung, die Möglichkeit, die Wagheit. Da ist für mein Verständnis kein Platz für das Plakative. Die erwähnte Sex-Messe lässt dieses reichhaltige Spiel von Nähe und Distanz einfach aus - unnötiges Vorspiel. Mit Vollgas geht es gleich zur Sache. Und damit auch keine Mißverständnisse aufkommen werden allerlei Prothesen zur Erektionsherbeiführung vorgestellt. Wer das mag, der möge sich dort tummeln. Meines Erachtens versperren solche Umgebungen den Zugang zum Tango. Und da kann man noch so viel über Authentizität fabulieren.

Wenn es also eine erotische Komponente im Tango gibt, so ist trotzdem anzunehmen, daß das Thema Tango und Sex ein Widerspruch in sich ist. Lebt denn nicht der Tango Argentino von der Andeutung, von der Möglichkeit oder von der Wagheit? Muß wirklich alles entsprechend plakativ auf das zwingende Resultat Beischlaf deuten? Brauchen wir diese ganzen Prothesen? Muß ich denn wirklich ein Korsett, einen extrem kurzen Rock, Mörder-High-Heels, Strapse, Netzstrümpfe usw. usw. wahrnehmen? Ich denke, das braucht es nicht.

Und jetzt werde ich ketzerisch und behaupte: Der echte Tango Argentino kann nur dann funktionieren, wenn die Grenzen zwar nach hinten verschoben, aber dennoch da sind. Wie sollen sich denn bitte zwei fremde Menschen in ihren jeweiligen Lebenskontexten angstfrei auf einen gemeinsamen (möglicherweise in dichter Umarmung stattfindenden) Tango einlassen können, wenn nicht als unausgesprochener Grundkonsens die Achtung der Grenzen der beteiligten Individuen vorgegeben ist? Eben!

Man kann toben, schreien oder sich trommelnd auf den Boden werfen, wir leben in unsere Gesellschaft seit ein paar Jahren (also so etwa seit Platon, 427 - 347 v. Chr. - maßgeblich vielleicht sein Werk: Symposion) in einer definierten und überwiegend monogam organisierten Gesellschaftsform. Nachdem ein Protest bei den Ahnen wirkungslos verhallen wird, bleibt entweder der Ausweg, sich in diese Lebensform einzufinden, oder aber in einen Kulturkreis zu übersiedeln, der polygam strukturiert ist.

So, nun bin ich meinen Leserinnen und Lesern noch die eingangs angekündigte Begründung, warum der Begriff Erotik-Messe für mich ein Euphemismus ist schuldig. Ich denke Sex-Messe oder Fachmesse für Prothesen zur Befeuerung der Libido wäre eine adäquateres Etikett. Wer's mag... bitte sehr! Ich will es nicht wahrnehmen müssen!

Und... Señor Tango Desnudo alias Promisc, ich gönne Dir ja Deine Titel durch die Du Dich offenbar unglaublich geschmeichelt fühlst. Ich für meinen Teil lebe ganz glücklich als androgynes Wesen, das nicht permanent über den nächsten F*** nachdenken muß (Sorry für die Wortwahl, aber manchmal muß man verbal drastisch werden).

Merke: Es gibt Körperteile, die sind von der Evolution nicht primär für die Erledigung emotional (über-)lebens-strategischer intellektueller Entscheidungen bestimmt. ;-)

Montag, 19. Oktober 2009

Für die neue Woche 33: Ricardo Tanturi, Enrique Campos - Una emoción

Wieder eine neue Woche... wieder ein anderer Tango. Ja, ich bin ein Mensch, der Gewohnheiten und Rituale liebt: Deshalb mache ich mir immer die Mühe und suche einen Tango "für die neue Woche" aus. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, in der die Musik für mich zwar faszinierend war, aber eigentlich nur ein einheitlicher Klangbrei mit Bandoneon. Ich weiß nicht, wieviele Stunden ich Tangomusik gehört habe und mir meinen Zugang zu dem Reichtum dieses Genres erarbeitet habe. In den letzten Wochen gab es auf diesen musikalischen Gruß wenig Rückmeldung und (da es ausgehende Verlinkungen sind) habe ich kaum Informationen, ob diese Musik auch tatsächlich von meinen Leserinnen und Lesern gehört wird. Egal! Für diese Woche habe ich Una emoción in der Interpretation von Ricardo Tanturi (Gesang: Enrique Campos) ausgesucht. Für weitere Informationen verweise ich gerne auf ein Kapitel bei tangoandchaos.

Übrigens ist tangoandchaos.org eine ganz besondere Seite über den Tango. Ich empfehle sie ausdrücklich meinen Leserinnen und Lesern.

Allen wünsche ich einen guten Start in die neue Woche!



[Edit] Aufgrund des Kommentares eines aufmerksamen Lesers / einer aufmerksamen Leserin habe ich mich doch noch einmal auf die Suche begeben und ein zweite Version von Lucio Demare (Gesang: Raul Berón) gefunden. Die will ich hier natürlich nicht verstecken.

Samstag, 17. Oktober 2009

Was ich an Tangueras besonders schätze...

Zugegeben, mein damaliger Beitrag war äußerst pointiert und ich finde es auch nicht besonders höflich, nur negative Eigenschaften an Tangueras aufzulisten. Insofern war ich besonders überrascht und auch ein wenig erleichtert, als ich in der vergangen Woche diesen wundervollen Artikel bei Mari lesen durfte: Ein Aha-Erlebnis. Ich möchte die Überschrift Listening to the embrace etwas freier übersetzen: Die Präsenz in der Umarmung. Das ist endlich ein Begriff mit dem ich umgehen kann. "Führen" oder "Folgen" tritt für mich dabei in den Hintergrund. Es ist vielleicht viel mehr das Sich-Einlassen auf den Tanzpartner und das hat nur sehr wenig mit Technik oder Erfahrung im Tango zu tun.

Dieses fast bedingungslose Annehmen eines anderen Menschens für ein paar Minuten, eine Viertelstunde oder so, genauer: Dieses Annehmen meiner Person (und ich kann unglaublich kompliziert und nervös sein) bringt mich dann dahin, daß ich mich frei tanzen kann. Dann wird mein Tango gut.

Vielleicht sollte ich in diesem Zusammenhang mal einige Deeskalations-Strategien von Tangueras erwähnen, die ich so kennengelernt habe. Unvergessen bleibt eine Tanguera, die wohl mitbekommen hat, daß mich eine volle Tanzfläche mit einigen Remplern gestresst hat. Sie hat mir einfach ins Ohr gesummt. Eine Andere justierte ganz behutsam ihre Umarmung lehnte ihre Stirn sanft gegen meine Schläfe und legte federleicht ihre Hand erneut auf meine linke Schulter. Das gab mir dann irgendwie Sicherheit.

So ab und zu erwähne ich ja immer mal wieder meine Tango-Krise. Die gibt es hauptsächlich in meinem Kopf. Der muß jeden Tag im Arbeitskontext funktionieren und manchmal habe ich meine soliden Schwierigkeiten, diese Kurbelkiste zwischen Ohr und Ohr beim Tango ruhig zu stellen. Präsente Tangueras helfen mir dabei und dafür bin ich unglaublich dankbar.

Montag, 12. Oktober 2009

Libertango Innsbruck: 10-jähriges Jubiläum - der Tangoball

So ab und an muß die Tanguera / der Tanguero seine Heimatszene verlassen um einmal neue Impulse für den Tango zu finden. Ich war nun schon lange nicht mehr weiter unterwegs, also wurde es höchste Zeit. Am letzten Samstag war ich dann schnell in Innsbruck beim 10 jährigen Jubiläum von Libertango. Ein wunderschöner Ball in der Orangerie vom Congress-Zentrum.

Es zeichnete sich schon vor Wochen ab: Ich wollte Vilma und Fernando mal wieder live sehen (obwohl ich Show-Einlagen bei Bällen und großen Milongas nicht so mag) und zur Wahl standen Dresden am vorletzten Wochenende und Innsbruck am vergangen Wochenende. Und weil ich im Moment sehr viel Arbeit habe, ist es dann doch ein Kurzbesuch für einen Abend bei Libertango in Innsbruck geworden. Einige hundert Kilometer sind jetzt auch kein Pappenstiel, aber es macht immer wieder Spaß. Eine Tango-Fahrgemeinschaft hat sich schließlich gefunden (zum Thema Tango-Fahrgemeinschaft muß ich wohl noch einmal gesondert schreiben) und so starteten wir am späten Nachmittag auf einem Parkplatz in der Nähe der Autobahn.

Wir kamen rechtzeitig in Innsbruck an und so blieb noch Zeit für einen kleinen Imbiss vor der Milonga (irgendwelche Nudeln mit Schafskäse und Spinat für schmale neun Euro... Hmmm... Na ja). Die Stimmung bei Bällen ist schon immer etwas Besonderes. Einige Damen kamen ernsthaft im langen Abendkleid und ein besonderer Ort verleiht einem Tango-Abend eine besondere Note.

Hervorzuheben ist die hervorragende Organisation der Veranstalter, eine gute Live-Band (Tango Tinto - die kannte ich bis jetzt noch nicht) und ein stark gewöhnungsbedürftiger DJ Francesco (der bekommt bei mir nun den Ehrennamen: "Eso fantastico"; er hat jeden - in Worten: j e d e n - Titel anmoderiert. Die Hitliste der Vokabeln führten Eso bzw. fantastico an. ;-)

Aber vielleicht berichte ich der Reihe nach. Meine Erfahrungen sind höchst subjektiv, aber für meine Wahrnehmung tanzten einige Tangobegeisterte an dem Abend deutlich körperbetonter, mit anderen Worten: Der Anteil der Rempler war leicht erhöht. Das stresst mich bei vollen Tanzflächen manchmal. Ich dann auch schon gleich zwei exponierte Vertreter dieser Gattung, die ich aus Salzburg kannte, wiedergesehen. OK! Ich bin ja tolerant und die Tanzfläche war groß genug - so konnte ich immer großen Sicherheitsabstand zwischen uns bringen, aber merkwürdig war es schon: Ich war friedlich auf der Außenbahn unterwegs, plötzlich tanzt ein Tanguero von der Mitte der Tanzfläche nach außen und kam mir (gegen die Tanzrichtung) entgegen. Ich sah direkt in seine Augen und blieb enfach stehen. Er machte keine Anstalten, langsamer zu werden. Ich konnte gerade noch meine Tanzpartnerin mit einem Vorwärts-Ocho Richtung Außenseite der Tanzfläche bewegen und schon kam der Treffer. Das verdirbt mir dann doch irgendwann die Freude. Also setzte ich mich still an den Rand der Tanzfläche und schaute erst einmal in Ruhe zu. Nach knapp einer Stunde habe ich dann erneut einen Versuch unternommen. Während der ganzen Zeit saß am Nachbartisch eine Tanguera, die nicht aufgefordert worden war. Irgendwann hab ich mich dann getraut und siehe da: Meine Blockade war weg. An dieser Stelle gibt es einen kurzen Gruß an M. aus Brixen. Nach Mitternacht wurde es dann auch deutlich leerer auf der Tanzfläche (ein schöner Parkettboden - nur an einigen Stellen leicht rutschig) und so gab es noch einige sehr schöne Tandas.

Größere Tango-Events haben (zumindest bei mir) eine hohe Anziehungskraft. Mich rührt es immer besonders, wenn sich Menschen unglaublich viel Mühe geben, einen besonderen Abend zu gestalten. So wurde auch die gute Seele der Tangoszene in Innsbruck am Abend gesondert geehrt. Die Musiker bekamen ordentlichen Applaus (sie haben gut angefangen und wurden immer besser). Eine Tanguera aus dem Veranstalter-Team erzählte mir, daß ursprünglich das Cuarteto Rotterdam angefragt war. Die waren aber schon gebucht (bei Patrick ist nachzulesen wo). Da ich das Cuarteto Rotterdam schon mehrmals gehört habe, war ich ganz froh, eine neue Gruppe kennenlernen zu dürfen.
Natürlich habe ich die CD gekauft. Solche Musikgruppen leben schließlich auch davon, daß sie CDs bei Konzerten und Milongas verkaufen können. Wenn man es also ernst meint mit der Tango Live-Musik, dann sollte man auch in dieser Frage nicht zu sparsam sein.

Die kleineren Irritationen um die hoffnungslos überlastete Gastronomie fielen praktisch überhaupt nicht ins Gewicht.

Zu jedem größeren Ereignis gehört natürlich auch ein fliegender Tangoschuhladen dazu. Das war auch in Innsbruck nicht anders. Das ist schon fast familiär und im Vorbeigehen sieht man Tangueras mit funkelnden Augen... sie probieren, prüfen und kaufen dann vielleicht...

Gegen halb drei haben wir uns dann wieder auf den Heimweg gemacht und sind erst deutlich nach Sonnenaufgang daheim gewesen. Auch das ist lange nicht mehr vorgekommen. Mein Sonntag war dann zwar schon ziemlich beeinträchtigt... aber... ich war glücklich und zufrieden.

Für die neue Woche 32: Angel D'Agostino, Angel Vargas - El Aristócrata

Heute kommt mein Gruß für die neue Woche etwas später. Ich mußte einmal ausschlafen. Am Samstag war ich schnell zum Tangoball in Innsbruck. Langsam werde ich zu alt für solche Späße. Ich werde später dazu ausführlicher schreiben.

Der musikalische Gruß zum Wochenanfang kommt dieses Mal von D'Agostino/Vargas. Die Beiden dürfen natürlich auch nicht fehlen, wenn es darum geht, die verschiedenen Tangointerpreten vorzustellen.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche.

Dienstag, 6. Oktober 2009

Die Tango-Tanda: ein höchst subjektives Backrezept

Zwischendurch melde ich mich einmal mit einem Beitrag. Ich wabere noch immer in meiner Tango-Krise herum und höre gerade lieber Tango, als daß ich darüber schreiben möchte. Letzten Freitag kam dann die besorgte eMail einer treuen Leserin, warum ich denn die Einstufung des Tangos als Weltkulturerbe nicht kommentiert habe. Tja, dazu fällt mir nichts ein. Ich bin da ziemlich unaufgeregt. Der Tango kann (so denke ich jedenfalls) ganz gut leben und sich weiterentwickeln ohne dieses Prädikat. Dann kam über irgendeinen Kanal am Sonntag die Nachricht, daß Mercedes Sosa gestorben ist. Eine kraftvolle Stimme, auch Tango... aber nicht nur. Egal! Die Sehnsucht war vermutlich eine ähnliche... ihr Gracias a la vida bleibt unvergessen. Auch zu diesem Thema fühle ich mich nicht in der Lage, zu schreiben.

Und so gibt es nur ein paar Gedanken zum Zusammenstellen von Tandas.


Eigentlich bin ich ja noch einen Bericht schuldig, wie ich MP3 Dateien in meinem Computer etikettiere, damit ich beim Auflegen einen schnellen Zugriff auf die Tangotitel habe. Dazu kann ich eigentlich gar nicht so viel schreiben, da der Großteil der Informationen bereits beim Einlegen einer CD in mein Laptop von der CDDB geliefert werden. Lediglich das ID3 Tag Genre ändere ich auf Tango, Milonga oder Vals. Und dem Schlüssel Werk gebe ich kurz an, ob es ein Instrumentaltango oder ein gesungener Tango ist. Manchmal mache ich hier zusätzliche Angaben zur Epoche. Da bin ich aber nicht sehr gründlich. In das Feld Kommentar schreibe ich meine höchst subjektiven Empfindungen und Gedanken. Halbwegs gründlich bin ich beim Eintragen des "BPM"-Wertes. Es gibt viele kostenlose Tools, mit denen man diesen Wert bestimmen kann und diesen anschließend in die ID3 Tags eines Titels kopieren kann.

Das ganze sieht dann ungefähr so aus:



Eigentlich sind diese Angaben aber nicht so spannend. Viel spannender ist eigentlich, wie dann eine Tanda entsteht. Dazu hat meine Software zwei interessante Features (wahrscheinlich sind diese Möglichkeiten in jeder Audio-Software implementiert). Zum einen sind da die sog. intelligenten Wiedergabelisten. Diese (dynamischen) Wiedergabelisten gruppieren alle Titel einer Musiksammlung nach bestimmten Kriterien. Fügt man neue Titel seiner Musik-Bibliothek hinzu, die den Kriterien entsprechen, so wird die intelligente Wiedergabeliste automatisch erweitert. So gibt es z.B. eine intelligente Wiedergabeliste mit den Kriterien "Interpret enthält Di Sarli" und "Werk ist gleich [voc]". Damit habe ich alle gesungen Tangos von Di Sarli in einer Liste. Suche ich nach Ideen für neue Tandas, dann höre ich mir diese Wiedergabeliste mit zufälliger Wiedergabe an (das zweite Feature). Mein erster CD-Spieler vor 20 Jahren hatte schon das Knöpfchen random play. Damals konnte ich nicht viel damit anfangen. Heute nutze ich das gerne um Anregungen für neue Tandas zu bekommen.

In der letzten Woche lief eben diese Wiedergabeliste mit zufälliger Auswahl als ich mir abends noch ein paar Nudeln kochte. Mein Ohr hakte ein bei Adiós corazón, ein später Di Sarli gesungen von Roberto Florio... sehr langsam - feierlich getragen. Das gefiel mir musikalisch ganz besonders gut. Klar! Gesungene Di Sarlis da denkt man an Durán, Rufino oder Podestá. Mich hat die Stimme von Florio dann aber doch gepackt. Also suchte ich mir alle Di Sarli-Tangos gesungen von Roberto Florio heraus und nach mehrmaligem Durchhören blieben (neben dem bereits erwähnten Adiós corazón) folgende Titel übrig: Fumando Espero, Y todavia te quiero und Buenos Aires. Alle Titel sind ähnlich langsam und getragen (so 56 oder 57 BPM - wobei mir diese Angabe fast zu technisch ist).

Nun geht es noch um die Reihenfolge. Nach einige Überlegungen habe ich Fumando espero an den Anfang der Tanda gestellt. Es ist bekannt und die sehr homogenen Violinen zu Beginn sind vielleicht programmatisch für die Tanda. Fest stand auch, daß Adiós corazón an das Ende der Tanda wandert. Es bildet (zumindest für mein Empfinden) virtuos die Quintessenz dieser Stücke. Dann habe ich Buenos Aires an die zweite Stelle und Y todavia te quiero auf Platz drei gestellt. Diese Kombination gefiel mir aber nicht. und so habe ich die Stücke zwei und drei vertauscht. Y todavia te quiero ist ähnlich lyrisch wie das Largho oder Adagio im 2. Satz einer Symphonie. Buenos Aires ist zwar nicht wesentlich schneller aber deutlich weniger dramatisch.

Diese Tanda ist schon sehr getragen. Also wird sie vermutlich direkt nach einer Milonga-Tanda am späteren Abend gespielt werden. Hmmm... ich bin gespannt, ob sie funktioniert.

So, das war mein höchst subjektiver Bericht über mein Backrezept für eine Tango-Tanda. Ich gehe jetzt nach Hause... kochen und die nächste Tanda zusammenstellen. ;-)

[Edit, 07.10.09] Jetzt kam eine eMail mit der Frage, was eine Tanda sei. Sehr peinlich, das habe ich einfach ausgelassen. Eine Tanda ist eine Gruppe von 3, 4 oder 5 Tangotiteln mit ähnlichem Charakter. Leider kann ich mich nicht mehr an die Fundstelle erinnern, aber ich habe irgendwo einmal gelesen, daß in der Frühphase des Tangos (damals gab es dramatischen Männerüberschuss) die Männer für eine Tanda bezahlten. Weitere Informationen zum Thema: Tangomusik in Tandas gibt es in einem früheren Artikel.

Montag, 5. Oktober 2009

Für die neue Woche 31: Carlos Di Sarli, Roberto Florio - Derrotado

Zur Zeit schreibe ich weniger; ich höre derzeit intensiv Tangomusik. Gestern habe ich eine Tanda der Kombination Carlos Di Sarli, Roberto Florio zusammengestellt. Vielleicht schreibe ich dazu die Tage noch. So gibt es heute einen musikalischen Gruß für die neue Woche von diesen beiden.