Montag, 14. Juni 2010

Für die neue Woche 67: Rodolfo Biagi, Alberto Amor - Lison

Letzte Woche war ich auf der Suche nach ein paar neuen Tandas und plötzlich spielte mein Laptop einen zufällig ausgewählten Titel von Rodolfo Biagi (Gesang: Alberto Amor). Ich habe mir den Tango Lison gleich mehrmals angehört und bin unschlüssig was ich von ihm halten soll. Die Suche nach weiteren Versionen verlief leider ergebnislos.

Lison von Rodolfo Biagi (mit Alberto Amor) vom 11. April 1944:


Was ist denn das? Die rhythmische Auffälligkeit ist wirklich prominent und ich frage mich, ist das nun eine gelungene Abwechslung in der Musikauswahl einer Milonga oder ist es eine störende Effekthascherei? Anders formuliert: Kann ich diesen Titel in eine Tanda packen, oder ist er so "schwer" zu tanzen, daß ich es lieber lassen sollte?

Und so stelle ich diesen Tango einmal hier im Blog vor und warte neugierig auf Kommentare.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche.

14 Anmerkung(en):

Tangosohle hat gesagt…

Meine digitale Festplatte kennt genau diese Version und meldet: Nie gespielt. Sie stammt von einem Sampler à la "die schönsten 200 Tangos für 10 Eur auf Ebay", auf dem wirklich ein paar Kleinode versteckt sind, aber größtenteils einfach unbenutzte Datenmasse sind.
Ich fände es interessant zu wissen, wann und warum diese Komposition entstanden ist.
Natürlich kannst du das auf einer Milonga einbauen, ich würde es davon abhängig machen, wie gut die Tänzer des Abends zuhören können um dem Stück auch stolperfrei folgen zu können.
Zum einenbei diesen Verzögerungen (das erste mal bei 0:09-0:11) zu stolpern und auch bei den Beschleunigungen mitzugehen (z.B. 0:31-0:32).
Es juckt, das grad auszuprobieren, leider ist grad keine Tanguera in der Nähe.
Schöne Woche allerseits!

cassiel hat gesagt…

Genau das ist m.E. die Frage: Darf ich auch einmal ein Auditorium fordern? An sich ist das Stück nicht besonders spannend. Die von Dir erwähnten Passagen (u.a.) zwingen die Tanzenden allerdings hinzuhören und achtsam auf die Musik zu werden.

Darf man als DJ am späteren Abend die Tänzer mal freundlich auf Rhythmik und Melodie hinweisen?

Tangosohle hat gesagt…

Das kommt darauf an.
Ich würde mir wie ein Oberlehrer vorkommen und fände es eine Anmaßung gegenüber den Tänzern, sie auf Melodie und Rhythmik hinzuweisen. Lieber achte ich darauf, wie aufmerksam die Tänzer gerade tanzen, wie sie etwa mit Donato oder Firpo umgegangen sind und habe dann einfach das Vertrauen das wird mit "Lison" schon klappen.

Stücke, die mir gefallen und die ich gerne getanzt sehen möchte spiele ich regelmäßig. Mit der Zeit sehe ich dann meist auch eine Entwicklung.

Wenn ich die Tänzer aber gut kenne und umgekehrt, wäre meine Hemmschwelle zu einer musiktheoretischen Ansage vielleicht nicht so hoch.
Man kann das Hinweis geben auch zu seiner Marke machen: "DJ Cassiel - wie immer mit einem pfiffigen Stück am späteren Abend" oder so. Dann wissen die Tänzer, immer wenn Cassiel auflegt, wird er mal zu einem Stück was sagen.

Ich als Tänzer möchte jedenfalls nie von einem DJ gesagt bekommen, wie ich etwas zu hören oder zu tanzen habe. Ich erarbeite mir die Musik, die ich tanze und gestehe mir dabei auch fehlende Perfektion ein.

cassiel hat gesagt…

Vielleicht habe ich das mißverständlich formuliert. Hinweisen auf Melodie und Rhythmik wollte ich nur durch die Auswahl des Stücks. Ich bin da immer noch unsicher. Wieviel Klassiker (die möglicherweise in den Ohren der Tanzenden abgenudelt sind) sollte ich spielen - für den reinen Tanzgenuss, wieviel Neues sollte ich bringen?

Das ist für mein Empfinden ein sehr schmaler Grat.

Theresa hat gesagt…

In diesem Stück finde ich die rhythmische "Anomalie" einfach übertrieben oft eingesetzt, und dadurch wird es für mein Gefühl tatsächlich fast untanzbar. Eine ähnliche rhythmische Figur - eine über 2 Taktschläge verteilte Triole - findet sich gelegentlich mal im Tango, z.B. bei "Bien Frappé" von di Sarli mit Rufino, dort aber viel sparsamer eingesetzt, das kann dann, wer's drauf hat, witzig in den Tanz einbauen. Bei Biagi haben wir aber nicht nur die Triole, sondern eine generelle Verlangsamung auch drum herum, und wie gesagt, das alles viel zu oft.

Deshalb würde ich "Lisón" nicht auflegen.

Theresa

tangochristian hat gesagt…

Ich schon. Natürlich erst zu vorgerückter Stunde und nach behutsamer Hinführung zu Biagi, dessen rhythmische "Anomalie", wie Theresa es treffend schreibt, ja sowieso für Viele eine Herrausforderung darstellt. Aber gerade das macht doch Biagi so spannend, und bei einigermassenem Niveau auf der Tanzfläche sehe ich darin kein Problem, eher im Gegenteil, es wird sicher eine bereicherung sein.
Christian, der aus OWL

Austin hat gesagt…

Ich finde auch, dass man den spielen kann, denn viele Tänzer bemerken diese Besonderheit gar nicht. Dazu gehören

- alle, die zu Cassiel sagen, "hey, Musik ist auf der Milonga nicht so wichtig" und ihre Meinungsgenossen

- 95% der Figuren-Turner, die tanzen nämlich nie im Metrum

- noch ein paar andere Menschen, denen das mit der Musik jetzt nicht sooo sehr im Blut liegt.

Der Rest wird mal kurz aus der Kurve fliegen und sich denken, ups, was war das denn, interessant, aber am Tanzspaß ändert das nichts. Über weite Strecken ist die Musik ja ohne besondere Schwierigkeiten. Da finde ich einen Pugliese (wie Gallo Ciego) erheblich schwieriger, weil es da ganz lange Passagen gibt, in denen kein klarer Takt zu erkennen ist. Das sinnvoll zu füllen ist erheblich anspruchsvoller.

cassiel hat gesagt…

Bin fast schon wieder unterwegs... trotzdem ganz schnell ein riesiges Dankeschön an alle, die kommentiert haben. Manchmal hatte ich in der letzten Zeit den Eindruck, ich könnte die Serie einstellen, weil es eh niemanden interessiert. (Und dabei ist mir die Musik sehr wichtig).

Einen schönen Abend allerseits.

Aurora hat gesagt…

Bitte, bitte, bitte nicht Einstellen!
Zur Zeit fühle ich keinen Drang mich hier zu äußern, dennoch lese ich mit - und höre mit- ! Ich würde deinen musikalischen Wochengruß vermissen!

Schöne Grüße
A.

Theresa hat gesagt…

Lieber Cassiel,

warum kommen manchmal gar keine Kommentare zu deinen "Tangos der Woche"? Ich spreche jetzt mal für mich, vielleicht geht es anderen ebenso.

Es juckt mich zu kommentieren, wenn ich ein Stück entweder ganz toll finde (wie neulich "Tu vida es mi vida" vom OT Victor, das ich durch dich erst richtig entdeckt habe, obwohl ich es schon lange besitze), oder wenn ich es ziemlich scheußlich finde, so wie diese Woche das von Biagi oder neulich dieses Stück von d'Arienzo mit Valdez.

Oft hast du auch Stücke, die sind irgendwie ok, aber auch nicht begeisternd (neulich Pájaro ciego oder En mis brazos oder A mi madre). Was soll man da kommentieren? Bei "Ojos negros", das du in vielerlei Versionen vorgestellt hast, hat es mich ein bisschen gejuckt, denn einerseits finde ich die Versionenvergleiche immer hochinteressant, aber Ojos Negros ein sehr langweiliges Stück, von dem ich mich frage, warum jeder meinte, es aufnehmen zu müssen.

Ich habe zwar nur für mich gesprochen, aber vielleicht ist die Rate der Kommentare ein Gradmesser für die Interessantheit der Stücke, die du ausgesucht hast.

Jedenfalls: Bitte setze die Serie fort! Es ist einfach eine Anregung, ein Stück mal genauer anzuhören. Und neuerdings machst du ja auch Versionenvergleiche, davon bin ich ein Fan!

Theresa

Oldi hat gesagt…

Meiner Meinung nach kann und soll ein TJ auch experimentierfreudig sein. Die Reaktion der Tanzenden oder eben Nicht-Tanzenden wird zeigen, ob die Musikauswahl den Geschmack getroffen hat.
Damit findet ein TJ auch seinen persönlichen Stil und bestenfalls auch seine Anhänger.
Für mich als Tänzer ist der TJ das wichtigste Element einer Milonga und für meine favorisierten TJ's nehme ich gerne längere Reisen in Kauf.
Bei noch unbekannten TJ's besteht doch ein erhebliches Risiko, dass mich weder die Musik, noch die davon angezogenen TänzerInnen besonders zu begeistern vermögen.
Natürlich darf Lison aufgelegt werden. Aber ich würde nicht dazu tanzen. Und das hat weniger mit 'schwierig' oder 'einfach' zu tun, sondern einfach damit, dass mich das Stück nicht zum tanzen inspiriert.

Theresa hat gesagt…

Also ich meine, es braucht unbedingt DJs, die auch mal was Unbekanntes oder Ungewöhnliches auflegen. Immer schön im Wechsel mit den bewährten Schlagern, damit die Tänzer nicht nachhaltig irritiert werden.

Ich höre oft die Meinung, Tänzer wollten die bewährte Musik, weil sie darauf am besten tanzen könnten, und der DJ als Dienstleister solle sich darauf beschränken. Der Extremfall dieser Meinung ist mir in letztes Jahr in Buenos Aires in der Milonga 10 begegnet: Als ich Samstags exakt die gleiche Musik in der gleichen Reihenfolge wie Dienstags hörte und am Dienstag drauf nochmal, sprach ich den Organisator drauf an, in der Vermutung, es sei ein Notfall, und mit der Bereitschaft, meine DJ-Dienste anzubieten; dieser antwortete mir, dass in voller Absicht immer die gleiche Musik gespielt werde, die Tänzer wollten das so; er ändere allenfalls gelegentlich mal eine Tanda. Ich dachte, ich höre nicht recht; aber in abgemilderter Form begegnete mir diese Meinung schon oft, drüben wie hüben.

Wenn immer nur aus den vielleicht 400 gleichen Stücken aufgelegt wird, kann das bei Vieltänzern irgendwann selbst bei der schönsten Musik zu Überdruss führen; zumindest geht es mir so und einigen anderen. Und leider ist die Devise "nur das Bewährte" gerade in Buenos Aires ziemlich verbreitet. Dort höre ich im Prinzip immer noch die gleiche Musik wie vor 10 Jahren, obwohl inzwischen so viel mehr auf CD erschienen ist.

Deshalb schätze ich DJs, die auch mal was neues probieren. So wird bisher Unbekanntes bekannt, und manches davon gelangt irgendwann in den Fundus des "Bewährten". Als Beispiel dafür fällt mir die Milonga "Cacareando" vom OT Victor ein. Vor zwei Jahren noch eine Stirnrunzeln hervorrufende Rarität, heute hat sie jeder bessere DJ im Programm.

Ich persönlich spiele eine relativ hohe Rate von "Nicht-Bewährtem" und formuliere auch meine Milonga-Ankündigungen entsprechend. Viele Leute kommen deshalb nicht, wenn ich auflege, aber einige dann gerade erst recht, und das sind mir die liebsten Gäste.

Theresa

leo hat gesagt…

@ Theresa

ertappt!
Fußball ist nicht dein Ding :-)

Ich stimme dir zu. Ich finde auch, daß eine Milonga von Überraschungen lebt - und wenn es nur die Reihenfolge der Stücke ist.
Ich stehe absolut auf einige sehr bekannte "Klassiker", die ich 1000 mal hören und tanzen könnte. Aber wenn es berechenbar wird, dann kann Langeweile aufkommen.

Aurora hat gesagt…

Auch meine Lieblingsstücke gehören wahrscheinlich zu den Klassikern der Epoca de Ora.
Nichts desto trotz freue ich mich über weniger bekannte Stücke auf jeder Milonga. Für mich zählt es zu den elementaren Aufgaben eines DJ auch im Bereich der klassischen Tangomusik für Abwechslung zu sorgen. Sobald ein DJ nur noch eine beliebte Playlist mehr oder weniger wiederholt, stelle ich mir die Frage, worin die Aufgabe des DJ liegt.

Deshalb würde ich mich auch über das hier vorgestellte Stück freuen. Mir fallen dazu auch eine handvoll Tangueros ein, mit denen ich gerne dazu tanzen würde.

Grunsätzlich störrt mich unmusikalische Führung bei gängigen Rythmen mehr, wie bei Stücken mit rythmischen Anomalien.