Mittwoch, 10. November 2010

Aufgemerkt: Bondage, SM, Tango und so weiter...

Über tango-de kam gestern eine Veranstaltungsankündigung zu einem BoundTango und mit etwas Abstand möchte ich dazu meine Gedanken veröffentlichen. Um es vorweg noch einmal rein vorsorglich zu betonen: Es sind meine (höchst subjektiven) Gedanken, die keinesfalls den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben.

Tango und Bondage? Haben wir das jetzt wirklich noch gebraucht? Wir hatten den Nackten Tango, den Tango im Korsett und ab und zu erzählen mir irgendwelche Experten (beiderlei Geschlechts) am Rande der Tanzfläche vom Tango und SM bzw. BDSM. Da muss ich mich dann erst einmal in das Vokabular einlesen und erfahre etwas über Subs und Doms. Und mit einem ersten oberflächlichen Blick auf das Begriffspaar Führen und Folgen mag es ja durchaus legitim sein, über diese Frage einmal zu debattieren. Das mag jeder halten wie er will. Ich frage mich nur langsam stirnrunzelnd wofür der arme Tango noch alles herhalten muss.


In der zugehörigen Workshop-Beschreibung heißt es:
Tango ist eine innige Verbindung, basierend auf "Führen und Folgen". Bondage beinhaltet diese Elemente in ähnlicher Form. Schon die Tanzhaltung im Tango ist nichts anderes als ein Bondage - eine Begrenzung des äußeren Raumes um eine Erweiterung des Inneren zu ermöglichen und zu erleben.
Da drängen sich mir spontan zwei Fragen auf. Erstens: Welche Idee von der Umarmung im Tango wird hier zwischen den Zeilen transportiert? Ist die Umarmung etwas Begrenzendes? Für mich ist sie stets eine organische und fließende Berührung in der Bewegung. Bin ich da zu altmodisch?
Und die zweite Frage, die sich für meine Begriffe unmittelbar anschließt lautet etwa: Ist das mit dem Führen und Folgen derartig hartnäckig in die Vorstellungswelt einzementiert, daß wir da überhaupt nicht zu einer Weiterentwicklung kommen. Für mich ist Führen und Folgen lediglich ein Etiketten-Paar, das einen komplizierten Dialog umschreibt. Der Führende lädt ein, die Folgende nimmt den Vorschlag an und tanzt entsprechend, der Führende folgt schließlich der Folgenden und komplettiert so diesen Dialog zur Musik. (Ich bitte um Verständnis, daß ich das jetzt nicht noch geschlechtsneutral formuliert habe - dann wäre die Verwirrung komplett gewesen!) Mit diesem Verständnis lässt sich ein Dialog im Paar implementieren. Weniger ausdifferenzierte Modelle vom Führen und Folgen lassen diesen Dialog m.E. zu einem Monolog verkommen; die Kommunikation im Paar wäre eine Einbahnstraße.

Ein australischer Tanguero fasste es die Tage in einem Beitrag in TANGO-L folgendermaßen zusammen:
  1. The man & the woman need to be able to dance independently in order to achieve true connection.
  2. The woman needs to help the man just as much as he helps her (for example, in turns).
  3. If the woman is going to relax in the dance, she needs to feel secure.
  4. To achieve connection in tango, the man & the woman need to dance as equals.
  5. In tango, the man proposes, the woman responds, then he follows her.
Gesetzt den Fall, der Tango ist tatsächlich eine Kommunikation im Paar, dann müssen wir ernsthaft über Kommunikationstheorie sprechen. Wollen wir tatsächlich die Hierarchie in diesem Dialog etablieren? Oder ist es doch eher eine Instanz der herrschaftsfreien Kommunikation - mit gleichberechtigten Teilnehmenden.

Ich hoffe, mir ist es gelungen, diesen Beitrag neutral genug zu formulieren. Im Rahmen der allgemeinen Toleranz und Liberalität sollte sich ja nun wirklich jeder verwirklichen können. Für mich stellt sich allerdings immer dringender die Frage, wo liegt der Kern des Tangos? Ist es die Musik? Da erlebt man ja nun landauf landab, daß es die Musik nicht sein kann. Sind es Schritte? Hier besteht wohl ein breiter Konsens, daß es Schritte nicht gibt. Ist es die Umarmung? Da haben wir mit der aktuellen Veranstaltung ein weiteres Modell angeboten bekommen. Wo also liegt der Kern des Tangos? Benötigen wir ein Präzisierung des Begriffs angesichts immer vielfältigerer Formen?

Ich freue mich auf weitere Beiträge und Anmerkungen. Darf ich abschließend um Sachlichkeit in der Diskussion bitten?

38 Anmerkung(en):

Aurora hat gesagt…

Für mich ist Tango die getanzte Umarmung zur Musik. Zum Glück stehe ich mit dieser Priorität nicht alleine da, wenn auch gewiss nicht in der Mehrheit.
Wobei die Umarmung keine bewusst empfundene Begrenzung ist. Wer denkt denn bitte bei einer freundlichen, lieben Umarmung eines Freundes an eine Freiheitsbeschränkung?
Fühle ich mich nicht als zu respektiernede Folgende wahrgenommen, bedanke ich mich inzwischen konsequent nach zwei Tangos.

Zum Glück gibt es vermehrt Workshops wie zB "Die aktive Rolle der Folgenden" und "Musikalität". Dies lässt zumindest auf eine positive Entwicklung hoffen, wenn diese auch nicht alle erreichen und ansprechen wird.

Warum Tango für Alles herhalten muss? Weils ein Trend ist. Trittbretfahrer gibt´s immer.
Und es mag unbestritten Anhänger von Bondage u. ä. in der Tangosezene gegen, die von einer wie der angekündigten Veranstaltung begeistert sind.

Aber es gibt sie noch die Verfechter des traditionellen Tangos. Und nach meinem Empfinden sind sie nicht am Aussterben! :)

Peter hat gesagt…

Lieber cassiel
Ich finde deinen Beitrag sehr gut als Grundlage über "solche" Dinge zu reden.... Danke

Hier einige Anmerkungen von mir dazu.
"Braucht der Tango das?"
Nein, er hat es schon lange ;-)
In seiner Geschichte gab es vermutlich mehr in dieser Richtung als wir uns vorstellen können.
Den Tango hat meiner Meinung nach schon immer ausgezeichnet, dass er das widerspiegelt was seine Protagonisten bewegt, das machte ihn ja auch mal so "gefährlich", da sich die Akteure vornehmlich in nichtkonformen Kreisen bewegten und somit der Tango auch nicht.
Piazzolla musste das Selbe auch erleben, allerdings aus der anderen Richtung und ich erinnere mich gut, als ich zum ersten mal Gotan auf einer Milonga aufgelegt habe, war das sehr in dieser "Tradition".

Aber konkret cassiel....
Ich gebe dir völlig Recht, dass der Kern dessen was wir tun die Kommunikation ist und das ist eine klare Form von Führen/Folgen; Reden/Zuhören etc.
Niemand sagt, dass das eine Einbahnstrasse ist, im Gegenteil, aber wie jede Form guter Kommunikation führt das nur zusammen wenn man sich auf dem gleichen festen Boden bewegt, die selbe Sprache spricht und das Ziel hat, den Anderen zu verstehen und verstanden zu werden.

- Führen und Folgen findet auf Augenhöhe statt -

Die Umarmung ist ohne Zweifel eine Begrenzung des Raumes, aber nicht mit der Massgabe einzuengen, sondern sich einen Raum zu nehmen in dem etwas Anderes geschieht als ausserhalb davon.
Etwas das im Sinne der Improvisation nicht vordefiniert ist, nicht bestimmt sein kann und deshalb geschehen muss.
Anders gesagt.."Tango wird nicht gemacht, er geschieht ... die Kunst ist es Bedingungen zu schaffen in denen das Geschehen kann was ich/wir wollen"
Wenn es hier beliebt kann ich mich gerne spezifischer über die Spielart Bondage/Tango auslassen, aber ich hoffe mit dem oben gesagten wird deutlich auf welcher Basis für mich Tango in all seinen Facetten ( auch die die ich nicht mag) steht.
Ich bin gespannt;-)
Peter

Kröte hat gesagt…

Sachlichkeit in der Diskussion? Das fällt mir angesichts der Homepage der Bondage-Tangueros recht schwer. Neugierig und unbedarft bin ich zu der Seite gesurft - und die Bilder verfolgen mich immer noch. Muss man unbeteiligten Surfern wirklich ohne Vorwarnung seine Sexualität aufs Auge drücken? Ich meine nein.

Aber zur Sache: Die Parallelen zwischen Bondage und Tango sehe ich durchaus. Die Liebe und der Tango sind zwei Dinge, die durch Hingabe erst zu dem werden, was sie sind. Und wenn das mit der Hingabe nicht hinhaut, dann behilft man sich eben mit Posen, mit schwülstigen Inszenierungen, mit Symbolen statt Inhalten. Demütigung anstelle von Hingabe, Fesseln anstelle von Bindung. Im Bett und auf der Tanzfläche.

Hildegard

tangopeter hat gesagt…

Moin Moin!

Fragen über Fragen von Cassiel, hier mein Senf:

Wo liegt der Kern des Tangos?
- In der Umarmung.

Ist es die Musik?
- Sie bestimmt neben anderen Faktoren
die Qualität der Umarmung.

Da erlebt man ja nun landauf landab,
- Wer ist "man"?

daß es die Musik nicht sein kann.
- Wirklich? Ist das Deine persönliche Meinung?

Sind es Schritte?
- Bewegungsprinzipien und Schritte kommen hinzu.

Hier besteht wohl ein breiter Konsens,
- Wie breit genau?

daß es Schritte nicht gibt.
- Es gibt genau drei. Basta ;-)))

Ist es die Umarmung?
- Es ist die Umarmung in all ihren Variationen und Implikationen.

Wo also liegt der Kern des Tangos?
- Auch wenn ich mir jetzt widerspreche (s.o.) -
Es gibt keinen Kern. Ich empfinde Tango als ein Puzzle, welches nie
fertig wird, dessen Vorlage ständig weiterentwickelt wird.

Benötigen wir ein Präzisierung des Begriffs angesichts immer vielfältigerer Formen?
- Ich brauche keine, so wie Schönheit im Auge des Betrachters liegt,
liegt die Definition des Tango im Kontakt mit dem Tanzpartner,
der Musikgenuss im Ohr des Hörers.

Der Tanz lässt sich als hierarchisches Modell beschreiben,
an der Spitze der Hierarchie steht die Musik. Das Tanzpaar
kommuniziert im Einklang mit der Musik - auf der dritten
Hierarchieebene interagiert es idealerweise im sozialen Kontext,
nämlich mit den anderen Paaren auf der Tanzfläche.

Das sage ich als Bewunderer der einzigartigen Musiker der goldenen Ära,
ohne die es keinen Tango (mehr) gäbe, und dessen Marketingderivate
wie den BoundTango Dekadance-Club erst recht nicht.
Der Blick in meine subjektive, von persönlichen Vorlieben und Wünschen
geprägte Glaskugel sagt mir, dass die Trittbrettfahrerkarawane vom
Tango zum nächsten verkaufsfördernden Logo weiterzieht, aber die Musik
von D'Arienzo, De Caro, Di Sarli, Canaro und all den anderen Giganten
des Tango auch noch unsere Enkel zu immer neuen, vielfältigen Formen
von Ekstase und sinnlichen Genüssen inspiriert.

Andererseits begrüsse ich jedwede Initiative, meinetwegen
auch die Verquickung mit Bondage und ähnlichem,
wenn sie sie zum Überleben des Tango wie ich ihn liebe, beiträgt.
Die Website von Peter und Petra finde ich im übrigen sehr gelungen,
insbesondere das Design und die hervorragenden, professionell gestalteten
Fotoserien. Da können sich Traditionalisten wie ich ruhig eine Scheibe
von abschneiden... ;-)))
Vokabeln wie "Liebhaber des Sündigen", die dem Sprachgebrauch
katholisch gefesselter Religiosität bzw.zwanghaft überwertiger Ideen entspringen,
stehen allerdings im wohl unfreiwillig komischen Gegensatz zum
Anspruch des lasziven, eleganten, provozierend dekadenten Dresscodes.
Separees finde ich gut, oder besser noch:
"Why don't we do it on the dancefloor, in the line of the dance?"
Das wär doch mal was wirklich provozierendes...

Peter Ripota hat gesagt…

Lieber Cassiel,
toll, was du alles schon kennst: Nackter Tango, Korsett-Tango, und so. Erzähl doch mal, wie's dort so war! Ich nehme an, du warst dort, sonst hättest du keine Meinung dazu. Oder warst du womöglich gar nicht dort? Wie kommst du dann dazu, darüber zu urteilen?
-Peter Ripota- (echter Name; habe es nicht nötig, mich hinter einem Pseudonym zu verstecken)

Anonym hat gesagt…

Hallo Herr Ripota!

Sind sie eigentlich immer so ein vorblildlicher und höflicher Gast?

Beeindruckende Vorstellung die sie hier geben.

Peter Ripota hat gesagt…

Danke für das Lob, ja, ich bin immer so höflich. Muss wohl mein Naturell sein. -ri-

cassiel hat gesagt…

Ich komme gerade erst nach Hause und bin sehr müde. Vielen Dank für die Anmerkungen. Ich werde morgen antworten; allerdings ist der Vormittag schon voll - es kann also ein wenig dauern.

Angesichts der aufkeimenden Aufgeregtheiten wiederhole ich meine Bitte um Sachlichkeit in der Diskussion.

Vielen Dank

cassiel hat gesagt…

Teil 1:

@Aurora
Vielen Dank für Deinen Beitrag. Langsam frage ich mich ernsthaft, ob die traditionellen Tanguer@s nicht doch eine aussterbende Minderheit sind. ;-)


@Peter
Schön, daß Du hier schreibst. Um meine Antwort ein wenig zu strukturieren isoliere ich einzelne Gedanken von Dir und bitte um Korrektur, falls ich da etwas missverstanden haben sollte.

Zunächst finde ich die Betonung der nichtkonformen Kreise etwas mühsam. Wir leben in der Bundesrepublik des Jahres 2010. Da ist (Gott sei Dank) eine große Bandbreite toleriert. Warum müssen wir also das nicht-konforme Verhalten extra betonen? Ist es womöglich identitätsstiftend?

Die Begrenzung des Raumes nicht als Einengung sondern als Rahmen in dem etwas anderes geschieht als außerhalb? Das ist für mich schwierig weil es schwammig ist. In der Umarmung wird (hoffentlich) ein Raum bereitet, der Schutz vor der Außenwelt bietet. Warum wir jetzt noch Fesseln brauchen erschließt sich mir nicht.

Führen und Folgen findet auf Augenhöhe statt: Möglicherweise bin ich da zu einfach gestrickt. Kommen Seile oder Handschellen mit ins Spiel wird für mich die Gleichberechtigung ausgehebelt. Da helfen auch keine schönen Formulierungen. Nun kann es ja durchaus sein, daß dies im gegenseitigen Einverständnis geschieht. Dann folgt für mich zwingend die Frage, ob sich die Beteiligten einen Gefallen damit tun. Ich kann in einen gewissen Maße die Sehnsucht nach Abgabe der Kontrolle nachvollziehen. Wird es damit langfristig besser? Ich denke, das ist trügerisch. Dauerhaft lässt sich so eine Hierarchie in der dichtesten sozialen Umgebung für mein Verständnis nicht leben.

Ich blogge ganz bewußt nicht zum Weltfrieden, zu ökologischen Formen der Landwirtschaft und bestimmt nicht zu Spielarten der (Paar-)Beziehungen. Und das aus gutem Grund. Ich behandele diese Themen nur am Rande, wenn sie in den Tango getragen werden. Natürlich geht eine gewisse Faszination vom Thema aus (explodierende Zugriffszahlen nach der Veröffentlichung des ursprünglichen Beitrags mögen das belegen). Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob man das Fass wirklich öffnen will, oder ob es dann doch unkontrolliert zu einer Büchse der Pandora mutiert. In der (Paar-)Beziehung mag es jeder halten, wie er mag. Hierarchien im Tango müssen m.E. nicht sein.

Abschließend greife ich noch Deinen Satz, "Tango wird nicht gemacht, er geschieht..." auf. Natürlich gibt es ein kaum erklärbares Rest-Mysterium im Tango. Ansonsten wäre die Faszination auch nicht nachvollziehbar. Aber: Ist es wirklich erstrebenswert, dieses unberechenbare Mysterium derartig zu betonen? Mich beschleicht dann sofort der Verdacht, daß Verantwortung für das Handelm im Tango weggeschoben werden soll. Intakte Grenzen in der Frage nach Distanz und Nähe sind für mein Empfinden inhärent im Tango.

cassiel hat gesagt…

Teil 2:

@Hildegard
Die Bilder hatte ich noch gar nicht gesehen. Sie treffen auch nicht unbedingt meine ästhetische Welt. ;-)


@tangopeter
Danke für Deine Zeilen. Vielleicht habe ich mich nicht präzise ausgedrückt. Milongas mit einem (zu) hohen Anteil an Non-Tangos sind für mich zu stark verbreitet. Ärgerlich wird es dann, wenn beispielsweise 80% traditionelle Musik angekündigt wird und dann nicht ein klassischer Tango gebracht wird. Deinen abschließenden Vorschlag kann ich nicht unterstützen. Ich kann kein Elend sehen... ;-)


@Peter R.
Auch Dir ein herzliches Willkommen. Du kannst schon lesen oder? In den ersten Zeilen habe ich meinen Text deutlich als subjektive Meinungsäußerung gekennzeichnet. Wieso Du es gleich zu einem Urteil eskalieren musst ist mir rätselhaft.

Zur Verwendung eines Pseudonyms habe ich nun wirklich häufig genug geschrieben. Das findet man mühelos mit Hilfe der Suchfunktion.

Ich habe im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen einmal davon geschrieben, daß ich nicht in jeden Tümpel springen muss, um zu wissen, daß Wasser nass macht.

Alles klar?


@Anonym
Lass den Peter R. mal machen. Mir ist eine offene Kommunikation (um den Preis des besonderen Verhaltens einiger Weniger) lieber als eine gegenseitige Bestätigung altbekannter Standpunkte.

Tanguero hat gesagt…

Ist dieser Blogbeitrag nun eine subjektive Meinungsäußerung oder eine neutral formulierter Beitrag? Der Autor behauptet beides und mir fehlt die Weisheit, diesen Gegensatz zu vestehen.

"Tango wird nicht gemacht, er geschieht ... die Kunst ist es Bedingungen zu schaffen in denen das Geschehen kann was ich/wir wollen" ein genialer Satz, Peter, um dies zu verstehen, muss man vom willentlichen Tun losgelöst sein und in tiefen Schichten kommunizieren. Mit sich. Mit dem Partner. Mit dem Augenblick. Mit dem Ort. Du musst damit leben(und tust es wahrscheinlich), dass dir nicht jeder, der Tango praktiziert, mit Verständnis folgen kann.

Aussterbende Minderheit – gute Güte, welche Formulierung, damit kann man ja den Heldentod sterben. Und da man weiß, dass man ja doch nicht stirbt, überlebt man als Held – raffinierte Rhetorik, klasse! Auch „Verfechter des traditionellen Tango“ ist so ein wenig Selbstüberhöhung. Da genieße ich doch lieber den traditionellen Tango ohne solche Gedanken, ein aufrechter Außenseiter zu sein. Leider ist „traditionell“ kein Qualitätsmerkmal für eine Milonga, ach, das hatten wir schon an anderer Stelle glaube ich.

Neudefinierung von Grenzen: Es gibt etliche Möglichkeiten, sich zu umarmen, und dutzende von schrecklichen Tangoumarmungen, wie sie landauf landab unterrichtet werden. Peters Definition finde ich sehr interessant und ich selbst habe nicht die Erfahrung um eine Vorstellung davon zu haben. Ich kann neugierig werden oder nicht. Andere Schreiber hier scheinen ohne irgendeine Erfahrung zu wissen, wie sich „geboundete“ Kommunikation anfühlt. Ihnen gilt meine Bewunderung!

Ich kann nicht erkennen, dass Peter S. von sich behauptet, er würde den Kern des Tango besitzen oder auch der Tango bräuchte Fesseln. Er betritt neue Wege, kann diese begründen und lädt andere zu dem Event ein, das für mich den Charakter einer experimentellen Erfahrung hat. Das finde ich mutig und spannend.

Ich kenne auch niemanden, der behauptet, es gäbe einen Kern des Tango bzw. er würde ihn kennen. Es gibt sicher wichtige Aspekte, und je nach Zeitgeist verschiebt sich die Wichtigkeit immer wieder.

Peter R: Das hört sich aber aufgeregt an, dabei ist es doch ganz einfach: „Sex sells“, das gilt auch für diesen Blog. Und dieses Thema provoziert eben mehr als andere Themen („Politik und Tango“ wäre wirklich unsexy) und dieser Blog lässt sich (in der Vergangenheit) gelegentlich recht gerne provozieren, das ist doch wirklich nett. Nichts für ungut. Ich könnte deinen Gedanken aber noch weiterspinnen: Vielleicht steckt hinter dem anonymen Verfasser einer der Veranstalter und dies ist ein kleiner PR-Gag. Man kann nie wissen :)

Schönen Tag allerseits
Tanguero

Aurora hat gesagt…

@ Tanguero

"Verfechter des traditionellen Tangos" in deiner Interpretation habe ich nicht gemeint, ich verstehe mich eher als "Fürsprecherin".

Aussterben werden traditionelle Tangotänzer sicher nicht, viel eher manche eine Modeerscheinung die auf der Tango-Welle mitschwimmt.

Minderheit sind die traditionellen Tänzer in meiner näheren Umgebung leider schon. Weltweit wohl nicht.

Tanguero hat gesagt…

Ah ja, ok,
das heißt du bist weniger in deiner näheren Umgebung als reisenderweise unterwegs, was Tango betrifft. Eine Fernbeziehung sozusagen.

Es gibt wohl viele Tangueros, die lieber auf Festivals oder auf Bällen in entfernten Städten tanzen als in der drögen Heimat.
Tango, Heimatlosigkeit, eine neue Bedeutung eines alten Kontextes.

Dank dir, dass ich diesen Gedanken formulieren konnte.

Aurora hat gesagt…

Ich habe meine Wahlheimat in Sachen Tango gefunden. Zum Glück in Einklang mit meinem Broterwerb.
In dieser Wahlheimat tanze ich gerne, auf ausgesuchten Milongas. In der Gesamtheit sind auch in meiner Wahlheimat die traditionellen Tänzer in der Minderheit. Ich gehe auch auf unbekannte Veranstaltung, und bilde mir mein eigenes Urteil. Bälle sind so gar nicht meins, meinst zu hohe Erwartungen bei allen Beteiligten. Festivals, das ein oder andere gerne.
Aber ich beobachte auch manch exotische Blüte in dieser Wahlheimat, teils mit beachtlichen Zulauf. Deshalb stehe ich als gerne als Verfechterin für traditionellen Tango ein - ohne Überhöhung. Ich kenne Viele die dies im Kleinen tun. Im persönlichen Umfeld, im eigenen Blog. Dies ist keine Überhöhung der eigenen Person. Sondern eine klare Standortbekennung.
Und mir ist vollkommen bewusst, dass der Tango, auch der "Traditionelle", eine Änderung im Laufe der Zeit erfahren wird. Dies tat er schon seit seiner Entstehung. Ich will meinen eigenen Beitrag dazu liefern, dass das was mir im Tango am Herzen liegt, Musikalität, die Umarmung, das Tanzen zur Musik, auch den nachfolgenden Tänzern erhalten bleibt. Ohne pathetisch zu sein und zur Tangolehrin mutieren zu wollen, dies gelingt am einfachsten in dem ich diese Eigenschaften meinen Tanzpartnern anbiete, und auch Tanzpartner aussotiere.

Und ich bin viel gereist und reise immer noch gerne. Bevorzugt nach Buenos Aires. Die Verwässerung des Tangos scheint mir ein deutsches, eventuell noch europäisches Problem zu sein. In der Gesamtschau meiner Erfahrungen sind die Traditionisten keine Minderheit.
Kurzum: Ich bin in der glücklichen Position weder heimatlos noch in einer drögen Tangoszene beheimatet zu sein.

Snej hat gesagt…

Ich finde es gut, dass du dich gegen die versuchte Verknüpfung von Tango und SM-Spielchen wehrst. Meiner Meinung nach wird bei "Bound Tango" ein sehr gekünstelter Versuch unternommen Tango und SM, in einen Topf zu werfen. Ich kann, bis zu einem gewissen Bereich mit solchen Ideen der Verbindung umgehen und finde sie interessant, aber auf der Seite Bound Tango wirkt mir die Verknüpfung Tango-Bondage übertrieben konstruiert. Heute Abend habe ich mit einem anderen Tanguero darüber gesprochen, dass wir vorläufig nicht mehr zum versuchsweise mit SM verknüpften Tango gehen, was allerdings andere Gründe hat: Das eher niedrige Tanzniveau der meisten anwesenden Damen und die Raucherlaubnis in einem von der Tanzfläche nicht räumlich getrennten Bereich. Die Bondage im Hintergrund stört mich nicht, solange sie mich nicht durch zu starkes Ausschwingen der aufgehängten gefesselten Frau am Tanzen hindert. Sie begeistert mich aber aus Gründen der Gleichberechtigung und meines in dem Moment bewußt unterdrückten Mitgefühls auch nicht.

Chris hat gesagt…

Lieber Cassiel, gleich zwei Fragen in einem Beitrag (zum Preis von einem).

Zum einen Tango und Bondage. Nicht ganz neu und im Prinzip nur eine von den vielen vielen Variationen des Themas "Tango und ..."
Meist reicht ein kurzer Blick um festzustellen, daß sich diese Themen nicht aus dem Wesen des Tango aufdrängen, sondern überwiegend aus der individuellen und ökonomischen Situation der "Veranstalter". Tango und Freitanz/Jazz/Ballett/Salsa, etcpp (wurgs), Tango und ThaiChi, Tango für Manager, Tango zur Schwangerschaftsvorbereitung, ja, und Tango und Bondage. Interessanterweise hatte ich Anfang des Jahres ein kurzes Gespräch mit einem Liebhaber beider Welten. Sein Ansatz war etwas einleuchtender. Er meinte, Tango und Bondage forderten die Fähigkeit, sich fallen lassen zu können, die Kontrolle dem Gegenüber zu überlassen. Daraus folge ein besonderer Lustgewinn. In sexueller Hinsicht habe ich das noch nicht versucht, im Tango kann es wohl schon so sein. Die Kontrolle einem Partner vertrauensvoll zu überlassen und sich so zu befreien? Ein Ansatz für viele Beziehungen, nicht nur im Tango und in sexuellen Spielarten.
Damit könnte ich noch leben. Für mich zu verwegen ist der Ansatz von Peter S. Dominanz und Gewalt im Tango. Manche Männer/Führende begreifen ihre Rolle so, und verwirklichen sich genau darin, und tatsächlich, manche Frauen/Folgende fragen genau das nach, sehen ein klassisches Frauenbild darin, welches sie mal auf ner Milonga ausleben. Wer Peter S. und seine Partnerin schon mal hat tanzen sehen, wird dieses Tangoverhältnis bei ihnen erleben.
Und: ist das jetzt kein Tango mehr, sind Grenzen überschritten, ist es zu geißeln und zu verurteilen? Was maßen wir uns an. Wir sind nicht die Gralshüter des Tango, niemand hat uns dazu gemacht, nichts erlaubt uns, uns dazu aufzuschwingen. Wir, die Liebhaber eines kommunikativen Tango, sind auch nur ein Teil des großen, weltweiten Tango. Er wird es überleben, er wird Peter S. überleben und uns auch, er hat schon weit bösartigeres überstanden.
Wir können unser Tangoverständnis leben, und wir können versuchen, andere dafür zu begeistern. Mehr nicht. Und unter uns: wir können ganz beruhigt sein, wer Peter S. schon mal hat tanzen sehen ... es wird eine Nische bleiben.

Zum anderen: was macht den Kern des Tango aus? Ich weiß es nicht! Hätte Tango so einen Kern, einen allgemeinverbindlichen, hätte ihn dann nicht wahrscheinlich schon einer gefunden?
Vielleicht ist es ein Glück, ein großes Glück für uns alle, daß es keinen gibt oder er sich so gut versteckt. So bleibt Platz für viele viele Sinnsuchende, den Raum zu füllen, mit allem möglichen. Vielleicht ist das das Geheimnis des Tango?

Tanguero hat gesagt…

@ aurora
dazu fällt mir doch ganz spontan "Felcia" von D'Arienzo ein

@Chris: großartige Aufarbeitung von "Tango und..."
Für meinen Begriff ist das "sich fallenlassen" eine (von vielen) Möglichkeit, Tango zu tanzen. Besonders schön und intensiv ist dies, wenn ich mich in die Energie fallen lasse, die da im Paar, auf der Tanzfläche, zwischen den Paaren entsteht. Diese Energie aufnehmen und im Tanz zu materialisieren. Das sind nicht planbare Augenblicke, die aber reichen um Tango zur Sucht zu machen.
Mit Bondage kenne ich mich nicht aus, ich meine aber aus meiner flüchtigen diesbezüglichen Internetbildung zu ahnen, dass das etwas anderes ist als SM und auch mit Gewalt nichts zu tun hat.
Woher hast du das mit Dominanz und Gewalt? Ich kann es weder im Blog noch auf der BT-HP finden.
Dominanz findet subtil sicherlich im Tango statt.
Mit Gewalt ist es so eine Sache. Als Teil der menschlichen Zivilisation leben ich natürlich Gewalt ab. Ich muss aber anerkennen, dass es diese gibt, und zwar auch zwischen und innerhalb schein-zivilisierter Gesellschaften. Die Psychoanalyse sagt glaube ich, dass Gewalt eine der Urkräfte im Menschen ist, es ist also die Frage, wie diese Urkraft gelebt bzw. sublimiert wird. Mögen andere fachkundige Leser diesem Gedanken die angemessenen Form geben.

Und danke für den Hinweis, dass in einem Blog sicherlich weder ein Gralshüter noch ein Gral zu finden ist. Wenn es ihn wirklich gibt, dann auf der Tanzfläche.

cassiel hat gesagt…

Ich habe nur kurz zwischen zwei Terminen hier vorbeigeschaut und finde leider keine Zeit in Ruhe zu lesen. Es freut mich, daß einige umfangreichere Beiträge geschrieben wurden und ich bedanke mich bei den Verfassern.

Ich wünsche allseits ein schönes Wochenende und erfüllte Tandas.

Bin schon wieder weiter...

c.

Promisc hat gesagt…

Einfach köstlich, Du bist also immer noch am Thema dran, wirst dem einfach nicht müde... -schmunzel-
Nun, Tango und Bondage wir bereits seit mittlerweile zB in Hamburg zelebriert, Tango + BDSM sind wesentliche Bestandteile auch schon seit bis zu zwei Jahren des Salon Mala Fama und des Tango Viscioso in Berlin und auch bei uns (»Nackter Tango«) war es der einen und anderen Tanguera eine wahre Wunscherfüllung, einmal gebunden geführt zu werden von ihrem Führenden (Ein Foto davon findet sich sogar im hercorragenden Artikel über unser Event im FOCUS) - so what? Tut Dir das nun weh? Zwingt Dich jemand, Deinen Focus darauf zu richten, hat sich "Dein" guter alter Tango dadurch in irgendeiner Art und Weíse verändert? Ich mach mal eine Wette: Nein! Aber für andere schon - und die sind verdammt froh darum, haben sie doch schon lange auf solch einen Asudrucks des Tangos gewartet, bisweilen schon seit Jahrzehnten! Weil sie nach ihrem Verständnis in solchen Verbindungen etwas ihrem Bild des Tango Argentino natürlich inneliegendes erkennen :-)

Komm, lass uns alle doch einfach, wir tun Dir doch nichts, nehmen Dir nichts und fügen Dir nichts hinzu was Du Dir nicht selbst von allein zu eigen machst... -smile-

Rudi R. hat gesagt…

Hallo Cassiel,
so ganz neutral oder liberal ist Dir Dein Beitrag nicht gelungen, finde ich. In Deinen Beiträgen zu diesem Themenbereich kommt schon Deine Haltung deutlich heraus. Für mich liest sich das eher moralisierend, was ich immer dann für kritisch halte, wenn es Dir, wie Du selbst schreibst, an konkreten Kenntnissen zum Thema fehlt.

Ich persönlich kann mir schon eine Reihe von Bezügen zwischen Tango und Bondage vorstellen und finde den Ansatz von Peter und Petra spannend.

cassiel hat gesagt…

@Promisc

Immer noch? Nein, nach ca. einem Jahr wieder. Bei Deiner Veranstaltung hat mich das unkritische Bemühen der Hure-Freier-Kulisse und die Betonung der Authentizität extrem gestört. Hier habe ich lediglich Fragen formuliert. Ich könnte den Spieß umdrehen und fragen, warum Du Dich nur zu diesem Themenkreis äußerst? Findest Du nichts anderes im Tango?
Aber lassen wir das...

Deine großzügige Einladung kann ich leider nicht annehmen. Ich denke in einem derartigen Umfeld wird sich der Tango, den ich suche, nicht finden lassen...


@Rudi R
Natürlich liest man meine Meinung durch. Aber ich denke, das ist das Wesen eines Blogs (das ursprünglich einmal eine Art online-Tagebuch war und somit subjektiv). Ich habe Fragen formuliert, auf die ich bis jetzt noch keine Antworten bekommen habe. Vielleicht sind die Fragen ja auch nicht zutreffend, dann sollte man mir allerdings erklären, was an den Fragen verkehrt ist. Ansonsten halte ich meine Fragen schon für berechtigt.

Vielleicht entwickele ich jetzt auch einmal bahnbrechende Kurskonzepte für den Tango: Tango mit dem Haustier... in der Kursankündigung läse sich das wie folgt:

Versteht Dein Hund Dich nicht mehr? Spielt den Katze mit dem Sofakissen Frau Holle? Springt Dein lebensmüder Goldfisch immer wieder in selbstmörderischer Absicht aus dem Aquarium? Das muss nicht sein! Mir argentinischen Tangotänzern wurde ein Konzept entwickelt, die gestörte Kommunikation zwischen Tier und Halter wieder zu neu zu definieren und etablieren. Kursanmeldungen bitte unter...

Ich hoffe, die kleinen Scherz nimmt mir niemand übel. Er soll lediglich die Anfrage verdeutlichen, ob wir den Tango für alles hernehmen sollten...

Allseits einen schönen Tag...

c.

Rudi R. hat gesagt…

@cassiel

Ja richtig, zu Deinen beiden Fragen:
Mit dem Führen und Folgen sehe ich das wahrscheinlich ähnlich wie Du. Es handelt sich für mich dabei um einen vielschichtigen Dialog zwischen beiden Tanzpartner. Der Führende definiert eher den Rahmen (Tanzrichtung, Geschwindigkeit, etc.), die Folgende gestaltet den Rahmen aus. Dabei kann man das schon auch, wie Du schreibst, als Einladen und Annehmen und Weiterentwickeln der Einladung verstehen. Damit nach meinem Verständnis das Tangotanzen Spaß macht, sollte der Führende so führen, dass die Folgende dem auch folgen kann und folgt. D.h. klar kann sich die Folgende gegen das Folgen entscheiden oder es geht einfach auch nicht, aber dann ist es irgendwann auch kein schönes Tanzen mehr, was dann auch ein beiden liegt.

Und gerade in diesem Punkt sehe ich persönlich auch viele Parallelen zum Bondage. Wäre dort keine Kommunikation vorhanden, die mindestens genauso vielschichtig ist, wäre das bloße Gewalt oder Freiheitsberaubung.

Zur Frage welche Idee von der Umarmung im Tango transportiert wird, hat sich Peter m.E. auch schon recht schlüssig geäußert.

Den Vergleich von Tango mit dem Haustier finde ich in diesem Zusammenhang schon sehr abwertend und als Scherz einfach nur plump.

Das Tango nicht Analogie für jedwedes Thema taugt, ist wohl jedem klar und Deine Frage daher auch nur rethorisch wertend gemeint.

cassiel hat gesagt…

Mein (zugegebenermaßen) plakatives Beispiel war eigentlich dazu gedacht, aufzuzeigen, welchen Stellenwert in diesen Kontexten der Tango hat. Daher finde ich den Vergleich gar nicht so schlimm. Für mein Empfinden verkommt der Tango zur Dekoration für eigene Vorlieben.

Vielleicht probiere ich es auf einem anderen Weg: Was steht im Vordergrund, der Tango oder spezielle Formen der Kommunikation (in diesem Fall mit Seilen)?

Ich wehre mich dagegen den Tango zu einer Metapher für eine erotische Aufladung eines Events verkommen zu lassen.

chamuyo hat gesagt…

Genauso ist es, wie Cassiel es vorhersagt, der nächste Hype ist Tango mit dem Hund! Tango ist offenbar so ein starkes Markenzeichen, dass man den letzten Mist noch an den Mann/Frau bringt, wenn es nur mit Tango gefärbt wird.
Zu Cassiels ernsthaften Fragen gab es so wenige Antworten, weil die Fragen für diesen Rahmen etwas zu komplex sind. Sowohl zum Thema Führen-Folgen-Kommunikation-Gleichberechtigung-Unterordnung als auch zum Thema "Was ist Tango" gibt es jede Menge Text ohne dass es einen allgemeinen Konsens gibt. Den wird man auch nicht im Web finden, bestenfalls auf der Piste. Dort werden die Fragen pragmatisch gelöst, entweder es passt und man tanzt an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Musik mit einem bestimmten Menschen auf einer bestimmten Weise, oder es passt nicht und man such eine andere Umgebung wo es besser passt.
Wir suchen gerne Etiketten und Kategorien, um die Orientierung zu erleichtern, so etwas wie Klassische Milonga oder Neolonga, das deckt nur den Aspekt Musik ab. Wir haben offen und geschlossen für die Umarmung, grobe Stilbezeichnungen wie Milonguereo, Nuevo, Salon, Bühne, die verschiedene Komponenten umfassen. Für die Arte der Kommunikation haben wir noch keine prägnante Begriffe. Wenn wir für alles die Worte gefunden haben und formulieren können was wir genau suchen, werden wir wahrscheinlich genau 1-3 Menschen auf der Welt finden, mit denen wir einen fantastischen Tanz erleben können. Dummerweise werden Sie über die Kontinente verteilt sein und nicht gerade in der eigenen Stammmilonga aufkreuzen. Solange werden wir mit den Partnern tanzen müssen, die da sind. Der eine mag es weiter, der andere enger, die eine läßt sich mit Hingabe fallen und die andere überlegt bei jedem Schritt ob sie wirklich die "Einladung" annehmen soll und dahin laufen oder doch nicht lieber in die andere Richtung. Es ist alles weder richtig noch falsch. Die Frage ob im Paar eine herrschaftsfreie Kommunikation das richtige Modell ist, ist einfach nicht relevant. Die richtige Frage ist, "Ist es mein Modell, mit dem ich klar komme?" Die Antwort ist individuell und ändert sich mit der Zeit. Manchmal ändert sie sich im Laufe eines Abends.
Interessanter ist es zu wissen was es alles gibt um dann eine qualifizierte Wahl zu treffen. Dafür muss man sich schon mal intensiver mit den einzelnen Theorien (praktisch)beschäftigen um die Vorteile und Nachteile beurteilen zu können. Sie funktionieren alle mehr oder weniger.
Nicht jeder Lehrer weiß aber, dass er eine bestimmte Theorie vertritt, viele glauben, sie kennen den einzigen richtigen Weg und vermitteln es ihren Schülern auch so. Wenn der Schüler bei einem anderen Lehrer genau das entgegengesetzte hört wird er völlig verwirrt und fühlt sich gedrängt Partei zu ergreifen und sich für richtig oder falsch zu entscheiden.

Uralt hat gesagt…

Zu diesem Thema möchte ich mich nicht auch noch äussern. Ich stelle aber fest, dass sich die sonst sehr wortgewaltigen Mitbloggerinnen nicht melden. Es scheint also ein Thema zu sein das nur eine bestimmte Sorte Männer interessiert.

Nun habe ich aber noch ein ganz anderes Anliegen. Ich suche schon seit Monaten die CD Una Historia del Tango von Color Tango von 2003. Diese CD ist vergriffen und ich wäre sehr dankbar wenn mir jemand aushelfen könnte. Ich bräuchte WAVE oder noch besser AIFF Format. Mp3 Format genügt mir nicht. Der Kontakt könnte dann über Cassiel hergestellt werden oder was meinst du Cassiel? Herzlichen Dank

cassiel hat gesagt…

Hallo Uralt,

selbstverständlich sollten solche Formen der Kontaktaufnahme hier möglich sein. Ich bitte allerdings um Beachtung der Rechtslage.

Wenn allerdings jemand die genannte CD verkaufen oder verschenken möchte, dann kann er sich hier gerne melden. Bei der Synchronisation von eMail-Adressen bin ich natürlich jederzeit behilflich.

Einen schönen Sonntag allerseits...

c.

peter hat gesagt…

hallo uralt,
hast du es schon mal direkt bei color tango versucht. die müßten dir doch die cd zuschicken können ...

peter fangmeier

cassiel hat gesagt…

Aus irgendeinem (nicht nachvollziehbaren) Grund wurde der Kommentar von chamuyo als SPAM gewertet und aussortiert. Ich habe das gerade korrigiert und einen zweiten (identischen) Kommentar vom Urheber gelöscht...

Ich werde das weiterhin beobachten...

Chris hat gesagt…

ein schöner Beitrag von chamuyo, endlich einer, der das weithin herrschende und auch hier gern vertretene "Tango ist ..." in Frage stellt, und zwar vollständig.

Tango ist für jeden Tänzer und jede Tänzerin und für jeden Betrachter/jede Betrachterin etwas anderes. Diese Deutungsvielfalt macht den Tango vielseitig, mit all seinen positiven und negativen Begleiterscheinungen.
Freilich sehnen wir Menschen uns nach Antworten, lehnen uns gerne an, brauchen Gewißheiten. Aber nach vielen Jahren des eigenen Suchens, was der Tango sei, was sein Kern, frage ich mich, ob der Tango Gewißheiten und Antworten überhaupt bereit hält, oder nicht eher ein großes Abenteuer ist, eine ewige unerfüllte Sehnsucht, ein Weg bestenfalls zu sich selbst.

Er entzieht sich beharrlich selbst der wortgewaltigsten Beschreibung und kann nur erlebt und erfahren werden; eigentlich wundervoll.

Trotzdem ein niedergeschriebener Gedanke zur Umarmung. Für mich ist sie kein Rahmen mehr, kein Raum, keine Einschränkung und keine Ausgrenzung. Nur der Ausdruck eines zärtlichen Gefühls für mein Gegenüber, unserer Verbundenheit und ein wortloses Versprechen der uneingeschränkten Hingabe bis zum letzten Ton. Und machmal schwer zu lösen ;-)

Uralt hat gesagt…

Hallo Chamuyo und Chris,
Eure beiden Beiträge entsprechen sehr genau meinem Empfinden. Ich könnte das aber
nicht so gut formulieren. Herzlichen Dank

Hallo Peter,
Danke für den Tipp. Ich habe schon vor einiger Zeit Color Tango geschrieben aber keine Antwort bekommen.

Hallo Cassiel,
heute habe ich einen Artikel in der Zeitung über Yoga mit Hund gelesen. Also deine Befürchtung dass irgendjemand demnächst Tango mit Hund propagiert
ist nicht total unwahrscheinlich ;-)
Herzlichen Dank für alles.

Tanguero hat gesagt…

Danke uralt für den Hinweis.
Guckstu hier:

http://www.wildacker.de/Infos/Filme/Hunde-Tango/hunde-tango.html

Da ist mir der Bondagetango doch erheblich sympathischer..

Anonym hat gesagt…

Danke allen Mitschreibern für den Gedankenaustausch und Cassiel für den Hinweis.

Es war eine sehr schöne Veranstaltung.
:)

Anonym hat gesagt…

Man mag von dem Thema ja halten was man will, aber manchmal passen SM und Tango doch gut zusammen, wie Tom Lehrer zeigt:

http://www.youtube.com/watch?v=TytGOeiW0aE

(keine Angst, der verlinkte Clip ist vollkommen harmlos)

;)

Privateer hat gesagt…

Wer möchte nicht gerne seine Partnerin fesseln? Wir machen das auf ganz unterschiedliche Weise. Der Intellektuelle möchte mit seinem Verstand brillieren und schafft es rein Kraft seiner Worte. Auch im Tanz versuche ich, das Interesse meiner Partnerin durch Interpretation von Musik und den Vorschlag dazu passender Figuren zu gewinnen. Wir kennen auch den Begriff "ein fesselndes Buch". Wir lassen uns für einen Moment fesseln, besitzen aber die Freiheit, sie jederzeit wieder zu beenden. Der Veranstalter des "nackten Tangos" geht gleich den direkten Weg und läßt die Damen auf seiner Veranstaltung komplett fesseln. Und als ob das noch nicht genug wäre, bekommen sie auch noch einen Schleier über den Kopf. Beim Anblick der Bilder war ich unwillkürlich an den Islam erinnert. Bei der Rückerinnerung an meine Anfänge im Tango denke ich an meine Schwierigkeiten, die Partnerin zu führen. Sie verstand nicht, was ich wollte und lief immer in die falsche Richtung. Da kann schon mal der Wunsch hochkommen, sie einfach zu fesseln und in die gewünschte Richtung zu bugsieren. Der Veranstalter des "nackten Tangos" gibt auf seiner Internetseite selbst zu, erst seit kurzem Tango zu tanzen. Vielleicht wäre es besser, etwas mehr zu üben? Auf Milongas kann ich mich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Vielleicht versteht er dann auch den Tango endlich. Auf seiner Internetseite plaudert er ganz offen, ja fast naiv über seine sexuelle Lust, die ihn umtreibt und sein Handeln prägt. Gleichwie er seiner Partnerin einen Schleier um den Kopf zieht, ist auch sein eigener Blick verschleiert. Weder kennt er das "Hure-Freier-Zuhälter"-Spiel eines Bordells noch die Psyche des Tango. Beides hat mit sexueller Lust nichts zu tun. Ein Bordell als Geschäftsbetrieb kann nur funktionieren, wenn Betreiber und Mitarbeiter ihre Lust unterdrücken. Wenn es etwas Besonderes am Bordell gibt, dann diese (erlernte) Fähigkeit, die eigene Lust mit eiserner Disziplin zu beherrschen. Der Veranstalter ist, getrieben von einer, wie sein Blog nahelegt, perversen Lust, selbst auf gängige Klischees hereingefallen. Im Bordell empfinden wir Verachtung für Leute, die ihre Lust nicht kontrollieren können. Oftmals gelingt es nur schwer, sie wieder vor die Tür zu setzen, falls sie gänzlich aus der Rolle fallen.

Tango bedeutet sehr viel, nur eines nicht: Fesselung = Freiheitsberaubung. Vielleicht ist "Tango" ja auch nur ein Wort, das werbewirksam eingesetzt wird, z.B. Tango 4x4 nach Euro 5. Es gibt bereits "Salsa picante" als Konserve im Feinkostregal, nun kommt auch noch "bound Tango mit Tomatencreme". Wenigstens hat man was zum (Aus)-Lachen.

Peter hat gesagt…

@Privateer
Da dein Kopfkino mit dir durch geht und du offensichtlich keine Ahnung davon hast, was "spell BoundTango" (was im Übrigen ver-/bezauberndernder Tango heisst) mit Seilen und Tüchern macht, sei dir unser erklärender Beitrag in Cassiels aktuellem blog ans Herz gelegt.
http://tangoplauderei.blogspot.com/2011/01/tango-im-bordell-das-schicksal-der.html
Und glaub mir, dass ich nach 16 Jahren Tangopraxis sehr wohl weiss von was ich rede, nämlich von allem anderen als "Zwang" sondern von Führen und Folgen als partnerschaftlichem Prozess.

Privateer hat gesagt…

Mißverständnis "Führen und Folgen" im Tanz

Was mich am Tango so besonders fasziniert ist die Hamonie der Bewegungen. Seine entschlossenen Schritte durchkreuzen ihre Drehungen ohne daß sie davon in ihrem Bewegungsfluß gestört wird. Für den staunenden Beobachter ist keine Hierarchie, keine Dominanz des einen über den anderen zu erkennen. Bei anderen Tänzen ist das durchaus anders, so macht z.B. der Jive oder Lindy Hop auf mich den Eindruck, als würde der Herr seine Dame, meist breitbeinig, um sich herumhüpfen lassen.

Die erste Unterrichtsstunde prägt sich am deutlichsten ein. Sie steht unter dem Motto: "Führen und Folgen". Ich habe damals schon geahnt, daß das ein Risiko in sich birgt und habe versucht, eine Diskussion darüber zu entfachen. Ich wurde allerdings nicht verstanden. Nun haben wir die Bescherung, denn die BDSM-Szene, eine gesellschaftliche Randgruppe, welche sich dieses Prinzip zur Steigerung der sexuellen Lust angeeignet hat, stürzt sich nun auf den Tango und erreicht zum allgemeinen Entsetzen Veröffentlichungen in namhaften Medien.

Es ist also an der Zeit, die Positionen der Tänzer näher zu beleuchten, um eine differenziertere Aussage treffen zu können.

In der ersten Unterrichtsstunde werden Laufübungen gemacht. Ein Partner macht einen Schritt und der andere versucht ihn spiegelbildlich nachzuvollziehen. Zuerst hält man sich dabei fest an den Armen, danach erfolgt die gleiche Übung nur durch Berühren der Fingerspitzen. Eine erfahrene Tanguera ist sogar in der Lage, meine Gedanken zu erraten und reagiert bereits ohne körperlichen Kontakt. Mache ich einen unerwarteten Schritt, wird sie nicht darauf antworten. Es geht bei dieser Übung darum, den Partner zu verstehen. Das ist eines der Grundelemente des Tangos.

Beim Tanz versuche ich die Musik zu interpretieren und meiner Partnerin zu vermitteln. Ist sie damit nicht einverstanden, bleibt sie einfach stehen oder macht einen Schritt in die andere Richtung. Ich versuche es erneut und sie stellt sich wiederum auf stur. Auf meinen fragenden Blick sagt sie gelassen: "Ich wollte dir nur zeigen, daß du dich nicht richtig ausdrücken kannst", oder ganz einfach "ich verstehe dich nicht". Tango ist Kommunikation. Es gibt keine festen Figuren und daher müssen sich beide im Tanz verständigen. Es gibt kein "Führen und Folgen".

Im Unterricht heißt es, Ganchos werden vom Herrn geführt. Kaum sind die Worte verklungen, tritt sie ihm Ganchos zwischen die Beine tritt, die er so gar nicht gewollt hat. Es ist interessant, versierte Paare zu beobachten und wer hierbei die Initiative zu den Figuren entwickelt. Eine Tanguera gestaltet den Tanz ganz maßgeblich mit. Sie wird das im anschließenden Gespräch auch bestätigen, obwohl sie immer noch den Leitsatz der ersten Stunde im Ohr hat: "Führen und Folgen".

Ich glaube, es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, was uns am Tango wichtig ist. Das wäre der beste Schutz vor Fehlinterpretationen und Mißbrauch.

Tango ist Kommunikation, Harmonie und Spiel. Im Tango darf ein Mann ein Mann sein. Er gibt seiner Partnerin den Schutz, sich als Frau ausdrücken zu dürfen. Tango ist eine der wenigen Möglichkeiten, in der die Partner trotz ihrer Unterschiede gleichberechtigt sind. Eine Tanguera wird daher eher einen Korb geben, als sich dem Risiko aussetzen, nicht verstanden zu werden.

cassiel hat gesagt…

@Privateer

Ein schöner ausführlicher Beitrag. Ich weiß, so etwas schüttelt man nicht so aus dem Ärmel, da muß man sich schon etwas anstrengen.

Dank für Deine Mühen!

Unknown hat gesagt…

Ein wunderbares Beitrag, @Privateer. „Tango ist Kommunikation, Harmonie und Spiel…“ - ja, das ist Tango!

Eine wunderbare Beschreibung wie Kommunikation beim Tango funktioniert und wie man sie bei dem Unterricht entwickeln und üben kann. „Es geht bei dieser Übung darum, den Partner zu verstehen.“ - hier möchte ich wiedersprechen. Es geht bei dieser Übung darum, den Partner zu erspüren. Am besten funktioniert diese Übung wenn man den Verstand ausschaltet (wer kann das schon :) und sich von den Präsenz, Ausstrahlung (ich kann es nicht genau formulieren) des Partners/Führende führen lässt.

Lieber @Privateer, verzeihe mir diese krümelkackerige Bemerkung, sie war mir wichtig. Danke für den wertvollen Beitrag