Dienstag, 25. Januar 2011

Für die neue Woche 98: Orquesta Típica Select - A la gran muñeca

Gestern habe ich leider keine Zeit für mein Blog gefunden und so gibt es heute einen Tango für die Woche. In dieser Woche habe ich A la gran muñeca, eine Komposition von Jesús Ventura aus dem Jahre 1919 ausgewählt. Sicherlich ist die Interpretation von Carlos Si Sarli die bekannteste (er spielte übrigens den Titel dreimal ein - ich werde hier seine erste Einspielung vorstellen). Doch zunächst möchte ich eine Aufnahme vom Orquesta Tipica Select erwähnen. Natürlich würde ich so etwas nicht auf einer Milonga spielen, das ist dann doch zu ungewöhnlich für die Ohren der Tanguer@s. Ich stelle diese frühe Aufnahe auch hier nur deshalb vor, um an einem Beispiel das sehr frühe Auftreten einer polyphonen Instrumentierung zu belegen. Im Orquesta Típica Select spielte übrigens Osvaldo Fresedo, von dem ich hier schon einige Titel vorgestellt habe. Üblicherweise wird die Innovation im Tango häufig Julio De Caro zugeschrieben. Vielleicht vernachlässigt man mit dieser These aber das Wirken von Fresedo (der übrigens in der frühen Zeit in einem Orquesta mit De Caro spielte). Zur Abrundung habe ich einen typischen Vertreter der Alten Garde (guardia vieja) im Tango dazugenommen: Roberto Firpo. Beim Hören wird der Unterschied sofort deutlich. Miguel Caló (übrigens in einer Vokalversion mit Roberto Arrieta zu hören) ist ein Vertreter der eher ruhigeren, melodiöseren Hochphase der goldenen Ära.

[Ergänzung: Rodrigo schrieb in einem Kommentar, daß er eine Anekdote zu diesem Tango früher einmal in der Mailingliste tango-de veröffentlicht hat: A la gran muñeca Anekdote von Rodrigo bei tango-de.]

Orquesta Típica Select - Eine Aufnahme vom 25. August 1920

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Roberto Firpo - Eine Aufnahme vom 08. Januar 1941

Direkter Link zum Titel bei goear.com.


Carlos Di Sarli - Eine Aufnahme vom 28. September 1945

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Miguel Caló (mit: Roberto Arrieta) - Eine Einspielung vom: 01. Mai 1948

Direkter Link zum Titel bei goear.com.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine gute Woche!

P.S. Rodrgio schrieb in einer lesenswerten Ankdote in tango-de vom Tode von Emilio Balcarce. Die besprochene Komposition La bordona ist hier zu hören. Balcarce war Musiker (Violine, Bandoneon), Komponist, Arrangeur (bei Troilo, Pugliese u.a.) und hat zuletzt zwei CDs mit dem Orquesta Escuela de Tango eingespielt. Der Dokumentarfilm über ihn und sein Wirken Si sos brujo ist übrigens sehr empfehlenswert.

13 Anmerkung(en):

Theresa hat gesagt…

Das finde ich ja ganz toll, dass wir hier einmal das Orquesta típica Select hören können!

Eine kleine Korrektur: Roberto Firpo ist keineswegs ein "typischer Vertreter der Guardia Vieja". Er war es in seinen Anfangszeiten, aber spätestens Mitte der 20er Jahre war er unter dem Einfluss der zahlreichen Neuerungen, die die Decareaner und andere erfanden, stilistisch zum "Evolutionisten" geworden und blieb dies auch. In den 30er und 40er Jahren betrieb er sowohl ein großes Orchester mit Cello und Bläsern als auch das bekanntere Cuarteto Roberto Firpo, von dem die Aufnahme stammt. Das Cuarteto spielte in dem flotten Tempo der alten Guardia Vieja (heute bezeichnet man dieses Tempo meist als Tango-Milonga), aber in einer großen melodischen und rhythmischen Komplexität. Leider klingen die Aufnahmen vom Cuarteto oft dünn und schrill (hierzu wäre ich gespannt auf einen Kommentar von Christian!), und leider identifizieren viele Tänzer den Namen Firpo immer noch ausschließlich mit diesem Cuarteto, dem nervösen Tempo und dem schlechten Klang und kennen nicht die wunderbaren Aufnahmen des Orchesters. Dem wirke ich bei meinem Auflegen nach Kräften entgegen.

Theresa

cassiel hat gesagt…

@Theresa

Danke für Deine klärenden Zeilen.

Ich gebe zu, ich habe noch immer keinen Zugang zu der Musik von Firpo gefunden. Da muß ich wohl noch mehr hören...

lg

c.

Anonym hat gesagt…

Lieber Cassiel,

ich habe auch hier:
http://de.groups.yahoo.com/group/tango-de/message/21153

über den gennanten Tango was geschrieben.


Danke für deinen Zitat
und Gruss aus Berlin
Rodrigo

cassiel hat gesagt…

@Rodrigo

Danke für Deine Rückmeldung. Ich habe den Beitrag ergänzt.

lg

c.

Anonym hat gesagt…

Dieser Blog ist einzig- und großartig! Weiter so!

Liebe Grüsse

L.

Aurora hat gesagt…

Vielen Dank für den ausführlichen und seltenen musikalischen Wochengruß! Orquesta Tipica Select habe ich zuvor noch nie gehört.
Mein Dank gilt auch Theresa die informativen Ausführungen.

Unknown hat gesagt…

Orquesta Tipica Select – was ist das? Diese Frage höre ich öfters. Hier eine kurze Geschichte mit ein paar Links. Drei große Musiker, die eine wichtige Rolle in der Tangogeschichte spielen – der Bandoneonspieler Osvaldo Fresedo, der Pianist Enrique Delfino und der Geiger Tito Rocatagliata - schließen sich 1919 zusammen und nennen sich „Trio Select“. Zu diesem Zeitpunkt hat Odeon mit der Aufnahme von argentinischen Tangos begonnen, die Orchester von Canaro und Firpo waren die ersten. Wie Fresedo zu einem Vertrag mit Victor Talking Machine Co. (später RCA Victor) kam, weiß ich nicht. Allerdings existierten 1920 noch keine Aufnahmestudions in Buenos Aires, so dass die Drei im Herbst dieses Jahres nach Camden, New Jersey reisten um dort typische argentinische Tangos aufzunehmen. Angekommen in Camden treffen die Drei Alberto Infantas (Alberto Infante Arancibia) - Geiger und Badlieder der Orchester in den Ney Yorker Kabarett „El Chico“. Dazu kommt noch der deutschstämmige Cellist Hermann Meyer und schon ist die Orquestra Tipica Select gegründet. Nach 9 Tage (24.08. – 02.09.1920) im Studio und 54 aufgenommene Tangos, fahren die Drei wieder nach Buenos Aires.

Für mich sind diese Aufnahmen aus zwei Gründen wichtig:
Ich meine, eine gewisse Einfluss, der zu dieser Zeit in Raum Philadelphia / New York herrschende Jazz-Richtungen zu höheren. Ich weiß, die meisten Tangos waren in Argentinien komponiert und arrangiert und die drei Musiker waren nicht lang genug in USA um richtig mit Jazz im Berührung zu kommen. Anderseits waren die andere zwei Bandmitglieder längere Zeit im Ney York und haben bestimmt zu diese „Färbung“ beigetragen.
Für mich sind diese Aufnahmen die ersten, die neue Ära in dem Tango einläuteten. Alle drei werden in EdO eine wichtige Rolle spielen und ich bin der Meinung, dass damals im Camden in der Nähe von Philadelphia diese goldenen Zeiten seinen Anfang hatten.

Einzelheiten über die Musiker kann man wie üblich bei todotango.com nachlesen. Für spanisch sprechende Leser ist der Artikel bei TANGO Reporter von Interesse. Die einzige mir bekannte CD von Harlequin kann man z.Bsp. bei Danza y Movimento bestellen

Ich hoffe, dass Rodrigo auch über Orquesta Tipica Select eine gute Geschichte kennt :)

Theresa hat gesagt…

Danke Sweti, für diese interessanten Infos, die mir neu waren. Demnächst werde ich mal hören, ob ich die von dir vermuteten Jazz-Effekte auch erkennen kann.

Es gibt auch vom Buenos Aires Tango Club eine CD mit dem OT Select, in der "Serie para entendidos" (= " für Kenner").

Theresa

Unknown hat gesagt…

@Theresa
Ja, ich weiß, die beiden CDs sind praktisch identisch. Ich schätze alle Stücke für „normale“ Milonga als ungeeignet.

Theresa hat gesagt…

@Sweti: ja, das sehe ich auch so. Es ist was für Historiker. Neulich in "Zuhören und Kennenlernen" habe ich Aufnahmen von Firpo aus 1913 und 1920 gespielt, das war im Kontext der stilistischen Entwicklung interessant.
Theresa

Theresa hat gesagt…

@Sweti:

Jetzt habe ich mir den bei Cassiel veröffentlichten und 3 andere Titel von OT Típica Select nochmal angehört und meine, ganz deutlich eine Flöte rauszuhören. Das passt aber nicht zu deinen Ausführungen und zu dem, was bei Tango Reporter steht. Oder ist es eine Violín Corneta?

Das mit dem Jazz-Einfluss höre ich nicht. Die Improvisations-Freude hört man natürlich deutlich, aber "Nueve de Julio" von Firpo aus 1916 ist in dieser Hinsicht absolut vergleichbar.

Schönes Wochenende allerseits! Theresa

Uralt hat gesagt…

@sweti
Danke für die interessanten Details.

@Theresa
Es tönt tatsächlich wie eine Flöte. Ich bin zwar nicht Flötist aber ich glaube, dass die Glissandos, wie sie deutlich bei ca. 39 Sec. und 1:05 zu hören sind, mit einer Flöte nicht gespielt werden können. Mit einer Flöte kann man zwar auch Glissandos spielen aber nicht in dieser ausgeprägten Art. Vielleicht ist es tatsächlich eine Violin Corneta wie du schreibst. Ich kenne dieses Instrument nicht genügend, dass ich das beurteilen könnte.

Theresa hat gesagt…

@Uralt
Du hast recht! Die Glissandos können nicht von der Flöte gespielt werden. Dann muss es eine Violín corneta sein.
Theresa