Mittwoch, 19. August 2009

Der Tango und die vier Spiegelgesetze

Zwei Ereignisse dieses Tages lassen mich noch schnell einen Beitrag schreiben. Zunächst war da erst einmal der Artikel vom Blogger Kollegen Patrick. Er schrieb in der ihm eigenen augenzwinkernden Art zum Thema: Ablehnende Frauen und stinkende Männer und rezensierte einen Blog-Eintrag von Angelina Tanguera mit einem Kommentar von Arlene. Der zweite Grund war ein Kommentar von der Kollegin Elbnymphe, die als Reaktion auf einen Beitrag von mir vorschlug, die vier Spiegelgesetze nicht in einem Kommentar zu verstecken, sondern einen eigenen Artikel zu schreiben. Diesem Wunsch komme ich hiermit gerne nach.

  1. Spiegelgesetz
    Alles, was mich am anderen stört, ärgert, aufregt oder in Wut geraten lässt und ich anders haben will, habe ich selbst in mir.
    Alles, was ich am anderen kritisiere oder sogar bekämpfe und verändern will, kritisiere, bekämpfe oder unterdrücke ich in Wahrheit in mir und hätte es gerne anders.

    In den Tango-Kontext übersetzt:
    Negative Gefühle einem Tanguero / einer Tanguera gegenüber können darauf zurückzuführen sein, daß ich etwas in mir habe, was ich ablehne und es deshalb heftig bei einem anderen Menschen beim Tango ablehene. Es ist nämlich leichter, unangenehme Wesenszüge bei anderen (anstatt bei mir selbst) zu kritisieren.

  2. Spiegelgesetz
    Alles, was der andere an mir kritisiert, bekämpft und verändern will und ich mich deswegen verletzt fühle, so betrifft es mich - ist dies in mir noch nicht erlöst, meine gegenwärtige Persönlichkeit fühlt sich beleidigt - der Egoismus ist noch stark.

    In den Tango-Kontext übersetzt:
    Verletzt mich eine Kritik von einem Mitmenschen beim Tango, dann ist zu vermuten, daß seine Kritik möglicherweise berechtigt ist. Ich fühle mich ertappt und rege mich vielleicht deshalb so auf.

  3. Spiegelgesetz
    Alles, was der andere an mir kritisiert und mir vorwirft oder anders haben will und bekämpft und mich dies nicht berührt, ist es sein eigenes Bild, sein eigener Charakter, seine eigenen Unzulänglichkeiten, die er auf mich projiziert.

    In den Tango-Kontext übersetzt:
    Berührt mich eine von außen an mich herangetragene ablehnende Haltung, eine Kritik beim Tango nicht, kann ich sie also einfach so stehen lassen, dann darf ich davon ausgehen, daß dieser Mitmensch ein Problem hat, das er auf mich projeziert. Dieses darf ich dann freundlich bei ihm lassen. Es ist sein Problem - nicht meines.

  4. Spiegelgesetz
    Alles, was mir am anderen gefällt, was ich an ihm liebe, bin ich selbst, habe ich selbst in mir und liebe dies im anderen. ich erkenne mich selbst im anderen - in diesen Angelegenheiten sind wir eins.

    Das muß ich nun wohl nicht in den Tango-Kontext übersetzen.


Und nun übernehme ich diese Spiegelgesetze in meinen Tango:
Weigert sich eine Tanguera, sich von mir auffordern zu lassen, so liegt es wohl kaum an Äußerlichkeiten (ich dusche unmittelbar vor jeder Milonga und ziehe immer frische Kleidung an). Vielleicht gibt es etwas in meinem Wesen, was ihr nicht gefällt. Das ist ihr gutes Recht. Umgekehrt kommt das ja schließlich auch manchmal (selten) vor, daß ich aus irgendwelchen Gründen mit einer Tanguera nicht tanzen mag. Weil ich den argentinischen Weg des Aufforderns wähle (el cabeceo), bemerkt niemand etwas. Wir beide bleiben unverletzt.

Ich nehme den berechtigten Teil ihres Unbehagens zu mir und den unberechtigten Teil lasse ich bei ihr. Und so lasse ich diese Inkompatibilität einfach stehen. Ich rege mich darüber nicht auf. Ich denke, mit dieser Haltung wird man immer zu schönen und erfüllenden Tandas gelangen.

Ungelöst bleibt das Problem der Tango-Trampeltiere...

8 Anmerkung(en):

Sophia hat gesagt…

Das ist aber ganz schön harte Kost. Aber wahrscheinlich hast Du Recht. Schade, dass die Anmerkungen von elbnymphe noch am anderen Beitrag hängen. Kannst Du die nicht hier einbinden?

Sicherlich lassen sich immer Gegenbeispiele konstruieren, das die Gesetze nicht mehr gelten, aber wenn ich ehrlich bin, dann sind ees eben "konstruierte" Beispiele. Ich werde mal auf meine Gefühlswelt bei der nächsten Milonga achten.

Liebe Grüße
Sophia

cassiel hat gesagt…

Hi Sophia,

vielen Dank für Deine Anmerkung. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß ich auch nur eine Reaktion auf diesen Beitrag bekomme. Er war mir dann doch irgendwie wichtig. Natürlich sind diese Spiegelgesetze sehr zugespitzt, aber ich denke, es liegt schon ein wahrer Kern in ihnen.

Deine Idee mit dem Beitrag von Elbnymphe ist sehr gut. Also gibt es diese Gedanken (mit Hilfe der Firmen Copy und Paste) hier noch einmal:

Kommentar von Elbnymphe am 19.08. 12:28h:

Lieber Cassiel, hm, hm, hm.

Zweifelsohne ein interessanter Ansatz, diese Spiegelgesetze. In welchem Kontext sind sie denn formuliert worden?

Blogtechnisch finde ich es schade, daß Du die Spiegelgesetze in den Kommentaren zu einer anderen Diskussion unterbrachtest - m. E. hätten sie einen eigenen Eintrag gerechtfertigt. Ich kenne wirklich niemanden, den ich für fähiger halte als Dich, um die Spiegelgesetze herum einen Blogartikel zu spinnen, der sie auf die spezifische Situation einer Milonga angewendet würden. Dieser Artikel würde sicher auch viel kontroverses Interesse stoßen.

Irgendetwas an den Spiegelgesetzen macht mich aggressiv, aber ich muß erst noch darüber nachdenken, was und warum.

Ich stelle mir nur gerade einen Nazi vor, dem ich aufgrund seiner fremdenfeindlichen Äußerungen Contra biete. Laut dem 1. Gesetz hieße das, ich trage Fremdenhass in mir (wobei jeder Soziologe sagen wird, Xenophobie bzw. Ausgrenzung ist eine wichtige Kulturtechnik zur Schaffung von Gemeinschaften. Sei's drum).

Das 2. Spiegelgesetz "Der Egoismus ist noch stark": läßt mein Messer in der Hose aufgehen. Egoismus ist nicht per se schlecht, oder? Gerade Frauen mangelt es oft an Egoismus. Nein, wir sind keine Engel, wir sind nicht alle Altruistinnen. Aber es wird uns früh beigebracht, eigene Bedürfnisse hinatn zu stellen. Eine gesunde Portion Egoismus kann einer Frau nicht schaden.

Mir gefällt am Tango auch, daß ich egoistisch sein darf, muß: ich muß bei mir sein, um beim Anderen zu sein. Ich darf entscheiden, will ich mit dem und dem tanzen, oder nicht.

(Das 3. Gesetz habe ich nicht verstanden.)

4. Gesetz: Alles, was ich am anderen liebe, bin ich selbst? Ich liebe die Pünktlichkeit meiner besten Freundin, die Sanftmut meines Liebsten - gerade weil es mir selbst an diesen Eigenschaften mangelt.

Also, vielleicht bin ich nicht Zen genug, um das zu verstehen - erklärt's mir einer?

Herzliche Grüße aus dem Urlaub, wo das Meer mir hilft, mich in jene zu wandeln, die ich gerne wäre - von der Elbnymphe zur Meerjungfrau … ;-)

PS Tango im Sand steht noch aus.

Antwort von mir 19.08. 13:00:

Oho! Post aus dem Urlaub. Ist da etwa schlechtes Wetter? ;-)

Na ja, vielleicht schreibe ich noch einmal einen eigenen Artikel zu den Spiegelgesetzen, das ist ein leicht esoterisch angehauchter Text aus dem Internet. Ich habe mit derartigen Texten ja so ab und zu meine Schwierigkeiten, aber ich denke, das ist eine gute Einstellung um sich in Tangokontexten zu bewegen.

Das dritte Gesetz besagt nach meinem Verständnis, daß ich Kritik an mir, wenn ich sie denn so überhaupt nicht nachvollziehen kann, einfach an mir abperlen lassen darf. Ich darf eine solche Kritik einfach bei dem Menschen lassen, der sie formuliert.

Tango am Strand?

Jetzt aber... !


Da fällt mir auf, ich habe auf die fundierten Anmerkungen von elbnymphe noch nicht geantwortet. Das hole ich später nach... das Telefon klingelt... muß jetzt etwas arbeiten...

cassiel hat gesagt…

[Mittagspause - jetzt kann ich schnell noch schreiben... ]

@elbnymphe

So, jetzt habe ich die vier Spiegelgesetze noch einmal an prominenterer Stelle im Blog veröffentlicht. Natürlich ist dieser leicht esoterische (Peace & Love) Ansatz eine Herausforderung und wenn Du schreibst, Dich mache so etwas aggressiv, dann verstehe ich, was Du meinst. Mir geht es ähnlich. Ich betrachte allerdings diesen Gedanken als Herausforderung.

Natürlich findet sich immer ein Beispiel von irgendwelchen Vollchaoten bei denen diese Überlegungen komplett fehlschlagen. Aber es gibt für mein Empfinden eben auch Menschen beim Tango, die sind eine Herausforderung. Ich denke an Rempler, Grobmotoriker, missgünstige Tangueras usw. usw. ...

Ich habe festgestellt, daß ich mit einer gelasseneren Einstellung viel besser auf Milongas zurecht komme. Ich kann (und will) diese Menschen nicht ändern, aber ich kann sehr wohl meine Einstellung zu ihnen ändern. Das (und nichts anderes) ist m.E. der wertvolle Aspekt bei den Spiegelgesetzen.

Zu Deinen kokreten Anmerkungen:

zu 1.: Na ja, ich habe ja schon geschrieben, die Spiegelgesetze versagen bei Vollchaoten. Mir Nazis diskutiere ich noch nicht einmal - das habe ich inzwischen aufgegeben.

zu 2.: Es geht wohl weniger um Egoismus, vielleicht gehr es eher um eine Relativierung der eigenen Wichtigkeit. Es stimmt: Eine gesunde Selbsteinschätzung ist im Tango unerlässlich. Für meine Begriffe ist eine gelassene Souveränität ebenso hilfreich.

zu 3.: Dazu hatte ich ja bereits geschrieben. Sind meine Ausführungen nachvollziehbar gewesen?

zu 4.: Ich denke im Tango finden sich häufig seelen - und anschauungs-affine Menschen. Mir geht es jedenfalls so. Das geniesse ich sehr.




So! Das waren noch einige Anmerkungen im Telegrammstil.

Und... ?

Hast Du Tango im Sand getanzt?

la perla hat gesagt…

.... zum Thema Tango im Sand....
http://www.youtube.com/watch?v=bKmz2U6GQQc

....weiterhin sonnige Tage wünscht
la Perla :-))))

Anonym hat gesagt…

Bin im Urlaub immer nur mal minütchenweise online, daher Euch allen und vor allem Casssiel liebe Grüße.
Tango im Sand war noch nicht, dafür aber sehr viel Lebensfreude, Innigkeit, liebe Freunde … also fast wie auf einer Milonga. :-)
Bis irgendwann
Elbnymphe

Murka hat gesagt…

Hallo Cassiel,
ich habe ab und zu über diese Spiegelgesetze nachgedacht und bin so am zweifeln. Ich denke, wenn ich auf jemandem emotional reagiere, hat es natürlich etwas mit mir zu tun, aber dabei müssen nicht unbedingt die Spiegelgesetze greifen. Welchen Beispiel soll ich nehmen? Wenn ich mich über Unterrich auf Milongas ärgere könnte mein Minderwertigkeitsgefühl angesprochen werden (Mein Tanzpartner hält seine Tanzkünste für wertvoller), dass würde dann, wenn ich richtig verstanden habe, den Spiegelgesetzen entsprechen. Aber es könnte auch sein, dass ich mich ärgere, weil ich schön tanzen will und dabei gestört werde oder ich lege viel Wert auf Anhalten der Regeln auf Milonga. Es könnten vielleicht auch die anderen Gründe sein, die mir nicht einfallen...

cassiel hat gesagt…

Hi Murka,

vielen Dank für Deine Zeilen. Ich muß das vielleicht jetzt noch einmal relativieren. Ich halte diese Spiegelgesetze nicht für allgemeingültig!

Ich habe aber für mich feststellen müssen, daß ich in Tangokontexten viel besser lebe, wenn ich selbst negativen Faktoren mit Gelassenheit und Gleichmut begegne. Ich kann ja schlecht die äußeren Umstände ändern, aber ich kann sehr wohl meine Einstellung zu diesen Störungen ändern. Mir persönlich geht es dann auf Milongas entschieden besser.

Schönes Wochenende!

Anonym hat gesagt…

@la perla: Der Youtube-Clip ist wirklich schön, gerade weil es beim Tango im Moment des Tanzens vielleicht ja auch um eine Art des yīn yáng geht … Danke! :-)