Sonntag, 22. März 2009

Ewald, der Event-Fotograf - Eine Schmähschrift

Heute geht es um eine Begleiterscheinung vom Tango in Zeiten von Web 2.0. Leider ist immer häufiger zu beobachten, daß Fotografen von Web-Portalen Tangoveranstaltungen entdeckt haben und dort ein Blitzlichtfeuerwerk abfackeln, daß man meint, man wäre auf dem Bundespresseball und nicht auf einer Milonga.

Auf einer zugegebenermaßen nicht ganz leeren Tanzfläche war ich schwer beschäftigt, meine Tanzpartnerin sicher durch die Heere von Tanzpaaren zu führen und pötzlich stand Ewald im Weg. Ewald ist Event-Fotograf, er ist also im Auftrag eines regionalen Web-Portals unterwegs um die Highlights des sozialen Lebens einer Region in Bildern einzufangen. Im Zeitalter der Digitalfotografie kostet so etwas ja auch fast kein Geld mehr. Gut! Man muß eine Kamera haben. Aber die teure und langwierige Filmentwicklung ist weggefallen.

Mittlerweile sind Speicherchips einem dramatischen Preisverfall ausgesetzt, so kann man also einige Gigabyte in der Tasche haben und schon geht es los. Weil Bilder bekanntlich wirklich das Wichtigste auf der Welt sind, steht Ewald selbstverständlich auf der Tanzläche und hält sein Objektiv direkt auf die Gesichter der Tanzenden. Nun sind Milongas üblicherweise nicht mit Flutlicht beleuchtet. Das macht nichts, denn Ewald hat einen Monster-Blitz mitgebracht der es schon richten wird. Ewald ist so unauffällig wie ein Exhibitionist. Sollte jemals ein Kamerahersteller einen Preis für "kreative Kamerahaltung" ausloben, Ewald wäre in der Endauswahl.

Ewald zielt also mit seinem Monster-Objektiv direkt auf das Gesicht meiner Tanzpartnerin. Gott sei Dank kann ich noch eine schnelle Vierteldrehung einbauen und bringe einige Paare zwischen Ewalds Objektiv und dem Gesicht meiner Tanzpartnerin. Puh! Gerade noch einmal gutgegangen.

Spricht man Ewald direkt darauf an, erntet man Unverständnis. Er kommt nicht einmal auf die Idee, daß seine Bilder ein Intimitätsbruch sein könnten. Schließlich möchte jeder einmal schöne Bilder von sich beim Tango haben.

Nun denn! Wir werden wohl damit leben müssen, daß die Ewalds dieser Welt als moderne Reinkarnation eines apokalyptischen Reiters den Tango entdecken und mit ihren digitalen Spiegelreflexkameras und Super-Zooms (18-300mm Brennweite - wie praktisch, da reicht ein Objektiv für den ganzen Abend) auf die Jagd gehen.

3 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Wunderbar!

Mir sind diese Tango-Fotografen auch schon seit langer Zeit ein Dorn im Auge...

Dominio hat gesagt…

Hallo zusammen!
Seit einiger Zeit lese ich immer wieder gerne die interessanten und vielseitigen Beitraege in diesem Blog
und finde die Atmosphaere und den Ton hier sehr angenehm, sicher auch das Werk von Cassiel. Danke dafuer!

Zum Thema Fotografie auf Milongas:
Es gab mal eine Zeit, da hat sich ein Fotograf verstohlen auf den hintersten Plaetzen niedergelassen und sich moeglichst unauffaellig verhalten.
Meine Beobachtungen auf den letzten Festivals gehen jedoch in eine Richtung, die ich immer befremdlicher finde.
Dass der getanzte Tango sicherlich auch einen exhibitionistischen Anteil in sich birgt, das mag so sein.
Wenn dieser Anteil aber immer groesser wird, weil immer mehr Fotografen sich am Rande der Tanzflaeche draengen, dann finde ich es schade um den Tanz fuer und mit dem Partner und mit der Musik.
Scheinbar scheinen auch Veranstalter immer interessierter daran zu sein, dass ihr Event fotografisch gut dokumentiert und zeitnah auf Fbelassenacebook erscheint.
Doch was macht es mit den Taenzern in dem Moment?
Ich finde, dass sich die ganze Atmosphaere im Raum veraendert, wenn Fotografen anwesend sind und ich persoenlich moechte waehrend meines Tanzes nicht fuer einen Fotografen "posieren". Ich finde den exhibitionistischen Anteil waehrend des Tanzens hoch genug, als das man diesen durch Fotografie noch foerdern sollte. Wie waere die Atmosphaere, wenn es waehrend der Milonga keine Moeglichkeit gaebe, sich im Spiegel zu betrachten oder abgelichtet zu werden?
Gaebe es dann nicht mehr Raum fuer das Eigentliche? ...der Musik lauschen und in den Tanz eintauchen, sich ganz auf den Kontakt und das Spiel mit dem Tanzpartner einlassen. Und ich mag das Gefuehl, wenn der Partner mit der Musik und mir und mit den anderen Taenzern auf der Tanzflaeche im Kontakt ist. Ist das nicht mehr als genug? Aber ich weiss auch, dass das Spiel mit den Eitelkeiten im Tango fuer viele eine wichtige Rolle spielt. Leider.
Nicht zuletzt ist der Gesichtsausdruck im Tango ein hoechst persoenlicher und intimer. Es ist ein Ausdruck des Geniessens und ich moechte diesen Genuss in dem Moment des Entstehens lassen und nicht fuer alle zugaenglich auf Facebook finden.

Ich weiss, dieses Thema ist schon aelter, doch wie seht Ihr das?

Dominio hat gesagt…

Heute ist wieder eine größere Milonga.
Hoffentlich kommen nicht so viele, die Ewald heißen....und dann das Lichtkonzept des Veranstalters mit ihrem Blitzlichtgewitter ganz durcheinander bringen ;-)